Koch, Sören, Unaufgeforderte Hilfeleistung in Notsituationen (= Rechtshistorische Reihe 420). Lang, Frankfurt am Main 2012. XXV, 412 S. Besprochen von Harald Maihold.

 

Sören Koch beschäftigt sich in seiner Münsteraner rechtswissenschaftlichen Dissertation von 2009, die hier im Druck vorliegt, mit den zivilrechtlichen Aspekten der Nothilfe aus rechtshistorischer und rechtsvergleichender Perspektive. Insbesondere widmet er sich der dogmatischen Begründung für den Ersatz von Aufwendungen und Schäden, die der Hilfeleister in Fällen unaufgeforderter Nothilfe bei akuter Gefahr für Leib, Leben oder Vermögen durch seine Aufopferung erleidet. Die Untersuchung will den Nachweis einer These Nils Jansens führen, dass dafür ein Rückgriff auf die Geschäftsführung ohne Auftrag, wie er in Deutschland erst seit einer Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1941 üblich sei, weder angebracht noch erforderlich ist, sondern sich tragfähige Ergebnisse auch über andere Institutionen aus dem Vertrags-, Delikts- und Kondiktionsrecht sowie aus sozialrechtlichen Instrumentarien erzielen lassen. Dieser Nachweis gelingt, allerdings hätte der rechtshistorische Mehrwert dieser dogmengeschichtlichen Arbeit stärker herausgestrichen werden können. Da weder der Forschungsstand noch das auszufüllende Forschungsdesiderat referiert werden, bleibt der Leser über den Eigenanteil der Forschung im Unklaren. Dass die Arbeit bislang unberücksichtigte Quellen aufarbeiten würde, wird in der Arbeit jedenfalls nirgendwo angedeutet. Der methodische Ansatz beschränkt sich offenbar in einer den Forschungsstand zusammenführenden Darstellung der Lösungsansätze zur unaufgeforderten Hilfeleistung mit dem Ziel, dogmatische Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.

 

Nach einer Einleitung über den Gegenstand und den methodischen Ansätzen seiner Untersuchung (1-18) wird im ersten und umfangreichsten Teil der Arbeit zunächst das rechtsgeschichtliche Spektrum des Themas ausgeleuchtet. Der zweite, dogmatische Teil (239-355) liefert eine Bestandsaufnahme zur unaufgeforderten Hilfeleistung und ihren Rechtsfolgen nach geltendem Recht. Im dritten Teil (357-377) werden die gewonnenen Erkenntnisse für eine Kritik der deutschen Rechtsprechung fruchtbar gemacht. Die Arbeit schließt mit einem Ausblick auf die Chancen und Risiken der künftigen europäischen Rechtsvereinheitlichung. Ich beschränke mich im Weiteren auf den ersten Teil.

 

Im klassischen römischen Recht (21-73) standen Koch zufolge bei den Ansprüchen aus  negotiorum gestio die Interessen des Prinzipals im Vordergrund. Im Fall der selbstgefährdenden Lebensrettung konnte der Geschäftsführer wegen seiner Aufwendungen weder gegen den Geschäftsherrn noch gegebenenfalls gegen die Personen, von denen die Lebensgefahr ausging, erfolgreich vorgehen, er kam lediglich in den Genuss einer Haftungserleichterung, falls er selbst dem Vermögen des Geschäftsherrn einen Schaden zufügte. Für das mittelalterliches Recht (75-93) stellt Koch eine „gelegentlich deutliche Ähnlichkeit“ mit den römischen Quellen fest (92f.). Wenig Neues konstatiert Koch auch für die frühe Neuzeit, wobei er sich hierbei nur kurz mit Humanismus und Usus modernus beschäftigt (95-105). An einigen Stellen erwähnt Koch immerhin Luis de Molina, der die Lebensrettung nicht nur als Fall der Geschäftsführung ohne Auftrag angesehen, sondern den Geschäftsführer auch mit einem Vergütungsanspruch ausgestattet habe. Neue Ansätze werden von Koch dann erst in der deutschen Naturrechtslehre des 17. Jahrhunderts (Grotius, Pufendorf, Wolff) ausgemacht (107-133), die zu einer Fokussierung auf Fälle der Notgeschäftsführung geführt habe. Ob die naturrechtliche Pflicht zur Hilfeleistung einklagbar war, sei zwar umstritten gewesen, doch sei bei Vorliegen einer Notlage ein Willen des Geschäftsherrn zur Geschäftsführung vermutet worden, was Ansprüche des Geschäftsführers bis hin zur Vergütung nach sich gezogen habe. Im 19. Jahrhundert (135-170) habe Kohler die Geschäftsführung ohne Auftrag auf ein neues Fundament gestellt, die in der Praxis jedoch noch keine Spuren hinterlassen habe. Erst im 20. Jahrhundert (171-233) sei dann, parallel zur Ausdehnung der Verschuldenshaftung und zur Einführung des Sozialversicherungsschutzes, die unaufgeforderte Hilfeleistung in Notfällen als Rechtsinstitut ausgestaltet worden.

 

Die gewählte Darstellung ist auch für eine dogmengeschichtliche Arbeit wenig innovativ. Anstatt die dogmatischen und rechtshistorischen Fragen miteinander zu verbinden, indem die einzelnen für die Lösung in Betracht kommenden Rechtsinstitute in ihrer historischen Entwicklung vorgestellt und einer dogmatischen Würdigung zugeführt würden, eröffnet der Autor eine vergleichsweise sperrige chronologische Gliederung. Die Ordnungskritierien des 19. Jahrhunderts werden dabei weitgehend unkritisch übernommen. Weder das klassische römische Recht noch das „germanische Obligationenrecht“ werden in ihrem Aussagegehalt kritisch hinterfragt. Obwohl Koch in einigen Passagen auf die Sonderstellung Molinas eingeht, nimmt er dies leider nicht zum Anlass, den Beitrag der Spanischen Spätscholastik und Naturrechtslehre (z.B. Vitoria, Covarrubias, Soto, Lessius, Vásquez de Menchaca) zur Entwicklung der zivilrechtlichen Ansprüchen des Hilfeleistenden genauer unter die Lupe zu nehmen. Das ist bedauerlich, denn es steht zu vermuten, dass sich in diesen Texten einiges zur Behandlung des „barmherzigen Samariters“ finden lässt. Dass diese Texte einen theologischen und damit „außerrechtlichen“ Kontext haben, macht ihre Untersuchung nicht überflüssig, ihr rechtlicher Status hätte methodisch vielversprechend zum Thema der Untersuchung gemacht und damit auch ein deutlicher Mehrwert gegenüber dem Forschungsstand gewonnen werden können. So bleibt trotz Kochs Monographie auf diesem Gebiet noch einiges zu tun.

 

Frankfurt am Main                                                                            Harald Maihold