Han, Yi, Gesetzlicher Tierschutz im Deutschen Reich. Lang (PL Academic Research), Frankfurt am Main 2014. XXX, 577 S., zugleich Diss. jur. Köln 2013. Besprochen von Werner Schubert.

 

Trotz mehrerer Arbeiten, die sich mit der Entstehung des Reichstierschutzgesetzes von 1933 und dem Tierschutzrecht unter dem Nationalsozialismus befassen (u. a. Wilfried C.J. Eberstein: Das Tierschutzrecht in Deutschland bis zum Erlass des Reichs-Tierschutzgesetzes vom 24. 11. 1933, 1999; Daniel Heintz, Tierschutz im Dritten Reich, 2008; Stefan Derscherl, Tier- und Naturschutz im Nationalsozialismus, 2012) ist, wie die vorliegende Kölner Dissertation Yi Hans zeigt, noch viel Raum für die weitere Erforschung des aufgezeigten Themenkreises. In seiner Einleitung stellt Han fest, dass es zunächst darum gehe, „auf breiterer Quellenbasis Lücken für die Jahre nach 1933 zu schließen und damit das gesetzgeberische Gesamtkonzept der vielen ineinander greifenden Tierschutznormen deutlicher herauszuarbeiten“ (S. 4). Zudem werde „auf dieser verbreiterten Basis ein Vergleich zu den Diskussionen vor 1933 versucht“; auch für die Vorgeschichte des Reichstierschutzgesetzes sei eine Reihe neuer Quellen verwertet und insgesamt bisher nicht näher herangezogene Literatur ausgeweitet worden. Im Teil A geht es zunächst um die gesetzliche Grundlage des strafrechtlichen Tierschutzes (§ 360 Nr. 13 StGB von 1871) und um Problemfälle am Beispiel des Schlachttierschutzes (S. 9-41). Auf den Seiten 43ff., 75ff. geht Han ein auf Versuche zur Verbesserung des Tierschutzes insbesondere am Beispiel des Schlachttierschutzes (S. 79-121). Das bayerische Schlachttiergesetz vom 17. 5. 1930 brachte einen Betäubungszwang für Schlachttiere und damit ein Verbot auch des Schächtens nach jüdischem Ritus, gegen das sich nur die Bayerische Volkspartei gewandt hatte (S. 105ff.; S. 119 das Ergebnis der namentlichen Abstimmung im Landtag am 29. 1. 1930). Eine Ausnahme vom Betäubungszwang sollte nach den Beschlüssen der Strafrechtskommission des Reichstags von 1927-1932 nicht gelten für Handlungen an Tieren, „soweit sie zur Verfolgung ernster wissenschaftlicher Zwecke oder zur Erfüllung der Gebräuche einer Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts geboten sind“ (S. 123ff.; nach einem von Zentrumsabgeordneten im Ausschuss eingebrachten Antrag mit überwiegender Mehrheit angenommen).

Bereits am 21. 4. 1933 brachte das Reichsschlachtgesetz ein Verbot des betäubungslosen Schlachtens und damit indirekt auch ein Verbot des Schächtens (S. 127ff.; S. 132ff. eine Analyse der einzelnen Bestimmungen dieses Gesetzes), das bereits vor der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus u. a. von Braunschweig, Oldenburg und Thüringen nach dem bayerischen Muster eingeführt worden war (S. 121). Weitere Abschnitte des Werkes befassen sich mit der StGB-Novelle vom 26. 5. 1933 (Übernahme der §§ 145 b, 360 Nr. 13 des StGB-Entwurfs von 1927; S. 167ff.) und mit Görings Vivisektionsverbot vom 9. 5. 1933 (S. 175-206). Ausführlicher als in allen bisherigen Darstellungen berichtet Han über die Entstehung des Reichsnaturschutzgesetzes vom 24. 11. 1933 (S. 207-292) unter erstmaliger Heranziehung des Tierschutzgesetz-Entwurfs des Deutschen Tierschutzvereins zu Berlin (S. 571). Zu bedauern ist, dass Han nicht detaillierter auf die Hauptautoren des Gesetzes (Clemens Giese, Carl Craemer und Waldemar Kahler) eingegangen ist. S. 293-450 folgt eine ausführliche Auslegung des Reichstierschutzgesetzes  in rechtspolitischer und rechtsdogmatischer Hinsicht unter 16 Gesichtspunkten (S. 293-450). Der Abschnitt über die „weitere Tierschutzgesetzgebung 1934-1940“ (S. 483-501) umfasst u. a. die Jagdgesetzgebung und die Naturschutzgesetzgebung. Hinzuweisen ist noch darauf, dass nach dem amtlichen Entwurf zu einem neuen Strafgesetzbuch von 1939 (§§ 245-248) der Schutz des Tieres nicht mehr im Tierschutzgesetz, sondern wieder in einem eigenen Abschnitt des Strafgesetzbuchs geregelt werden sollte (Materialien hierzu bei J. Regge/W. Schubert, Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts, II. Abteilung, Bd. 1-4, 1989ff.). Die „Umsetzung des Tierschutzes 1933-1945“ (S. 509-539) gehörte nicht mehr zur Hauptthematik der Untersuchungen Hans, deren Schwerpunkt in der Gesetzgebungsgeschichte und der inhaltlichen Erschließung des Reichsnaturschutzgesetzes liegt (vgl. S. 7). Die Praxis des Tierschutzes (Hinweise bei Heintz, aaO., 69ff., 87ff., 94ff., 112ff.) lässt sich im Übrigen nur erfassen, wenn man den tierschützerischen Aktivitäten der Tierschutzvereine und anderer Institutionen (u. a. der Schule, der Partei usw.) auf regionaler Ebene nachgehen würde. Auch die Erfassung der Judikatur zum Reichsnaturschutzgesetz während der NS-Zeit (vgl. S. 516ff.) würde eine eigene Monografie erfordern. Zu dem von Han angeführten Urteil des Reichsgerichts vom 4. 2. 1937, das u. a. in JW 1937, S. 1352, ohne Sachverhalt mitgeteilt wurde, ließe sich dieser anhand des Originalurteils in der Bibliothek des BGH ermitteln.

 

Das Werk Hans wird abgeschlossen mit dem Abschnitt „Schlussfolgerung“ (S. 541-553), der im Hinblick auf den reichhaltigen Inhalt der Untersuchungen im Ganzen hätte aussagekräftiger und breiter sein können. Abschließend stellt Han fest: Giese und Kahler hätten „1938/39 ,das deutsche Tierschutzrecht‘ als neues Fachgebiet darstellen“ können, „das an und für sich völlig sachlich blieb, aber aus dessen Zustandekommen der Nationalsozialismus nicht wegzudenken war. Demnach war nicht der Tierschutz ein ,Kind des Nationalsozialismus‘, aber doch das Tierschutzrecht mit seinem erzieherischen Impetus“ (S. 553). Mit Johannes Caspar, Tierschutz im Recht der modernen Industriegesellschaft, Baden-Baden 1999, kann man insoweit auch von einer „Instrumentalisierung“ des Tierschutzanliegens „zu einer Placebo-Ethik“ sprechen, „einsetzbar als kompensatorisches Hilfsmittel zur Außerkraftsetzung fundamentaler Gerechtigkeitsprinzipien“ (S. 276).

 

Insgesamt liegt mit dem Werk Hans eine erhebliche Erweiterung der Quellenbasis der Vorgeschichte, der Entstehung und der Implementation des Reichsnaturschutzgesetzes von 1933 vor, das für weitere Arbeiten des Natur- und Tierschutzes und dessen Praxis unter dem Nationalsozialismus zahlreiche Hinweise und Anregungen enthält.

 

Kiel

Werner Schubert