Bielefeld und die Welt. Prägungen und Impulse, hg. Büschenfeld, Jürgen/Sunderbrink, Bärbel (= 17. Sonderveröffentlichung des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg e.V.). Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld. 655 S. Besprochen von Thomas Vogtherr.

 

Bielefeld feierte 2014 seinen 800. Geburtstag, Grund genug, einen voluminösen, reich bebilderten und prachtvoll aufgemachten Band vorzulegen, der keine Stadtgeschichte sein will, aber doch historische Tiefenbohrungen exemplarischer Art vornimmt, wie die beiden Herausgeber in ihrem Vorwort schreiben (S. 11-16), das in ungetrübter Selbstsicherheit mit der früheren Orts- und Landesgeschichte ins Gericht geht und mit Feststellungen aufwartet wie derjenigen, dass „die vom Nationalsozialismus missbrauchte Landesgeschichte nach 1945 auf jeden Fall politisch desavouiert“ gewesen sei, weswegen (!) methodische und methodologische Neuerungen wie die besonders geschätzte Mikrogeschichte oder die Geschichte der Globalisierung vonnöten gewesen seien. Man kann es sich forschungsgeschichtlich auch einfach machen. Dazu passt es auch, dass die durchaus respektable, dreibändige Stadtgeschichte von Reinhard Vogelsang (erschienen 1988-2005) an dieser Stelle keines Wortes gewürdigt wird. Der Historiker als Rezensent ist mindestens irritiert.

 

Die folgenden Beiträge sind großenteils sehr ergiebige Detailstudien, die in Gruppen zur Bevölkerung und ihrer Geschichte, zu „Stadtherrschaften“, zur Einbindung in überörtliche Wirtschaftsstrukturen, zu „Bielefelder Weltsichten“, zur baulichen Gestaltung der Stadt und zur Vielfalt der Kulturkontakte zusammengestellt sind. Jede dieser Sachgruppen wird von einem Beitrag eröffnet, der von meist politisch Verantwortlichen oder von Journalisten stammt, eine interessante und durchaus reizvolle Gegenüberstellung mit den dann folgenden wissenschaftlichen Beiträgen. Freilich entsteht auf diese Weise eine Form von Hybridpublikation, die nicht nur in keine Schublade passt (was ein Kompliment sein kann), sondern die auch im Unklaren lässt, welchen Leserkreis man sich eigentlich vorstellte.

 

In der Artikelgruppe zur Bevölkerungsgeschichte findet sich folgerichtig der Eröffnungsbeitrag durch die einschlägige städtische Amtsleiterin verfasst (S. 19-25). Er liest sich weitgehend wie städtische Imagebroschüre über den Umgang mit dem demographischen Wandel, durchsetzt mit güldenen Worten wie diesem: „‚Bielefeld für alle‘ – als eine lebendige und lebenswerte Stadt, in der sich unterschiedliche Menschen heimisch fühlen“ (S. 25). Darauf folgt dann lupenreine Wissenschaft, etwa in dem teils bedrückend zu lesenden, aber hervorragenden Beitrag von Hans-Jörg Kühne über „Bielefelder wider Willen. Zwangsarbeiter, DPs, Flüchtlinge und Vertriebene“ (S. 83-96). Andere Beiträge sind, wie in einem solchen Sammelband kaum anders zu erwarten, eher unbefriedigend, so etwa die überraschend konventionelle Darstellung Bielefelds im Mittelalter, die an keiner Stelle über die frühere Stadtgeschichte Vogelsangs hinauskommt. Die in der Einleitung eingeforderte Globalgeschichte wird – neben einem durchaus gelungenen Beitrag zu Bielefeld und der Hanse – vor allem von Karl Ditt behandelt, der „Die Industrialisierung einer Textilstadt im europäischen Vergleich“ darstellt und das in gewohnter Souveränität tut (S. 247-266), theoriegesättigt und dennoch anschaulich, auf den Ort bezogen und dadurch global geöffnet. Ähnlich geht auch Margrit Schulte Beerbühl vor, die die Spuren von Bielefelder Händlern im 18. und 19. Jahrhundert verfolgt (S. 323-338). Man würde sich mehr Beiträge dieses Niveaus gewünscht haben.

 

Wenn der letzte Themenblock durch einen journalistischen Beitrag unter dem Titel „Bielefeld, keine Kulturstadt“ eröffnet wird, dann ist dieser allein gegenwartsorientierte und in keiner Beziehung historisch perspektivierte Beitrag eine denkbar ungeschickte Einleitung für die folgenden, dann wieder lesenswerten Beiträge. Auch sie behandeln eher konventionelle Themen, etwa Kirche und Schule nach der Reformation oder das konfessionelle Zusammenleben im 17. und 18. Jahrhundert (S. 507-522). Was aber der Verfasser dieses Beitrags, Philip Knäble, zustande bringt, ist ein überzeugender Nachweis für die Qualitäten landesgeschichtlichen Arbeitens, denn er interpretiert die Religionsrezesse dieser Jahrhunderte so intensiv, dass er dem Thema eben doch Neues abgewinnen kann. Schließlich sei noch auf den leider nur zurückhaltend bebilderten Beitrag über „Historische Selbstvergewisserung im Fest. Bielefelder Stadtjubiläen im 20. Jahrhundert“ hingewiesen (Katrin Minner, S. 571-597), eine gelungene Fallstudie zu städtischer Festkultur.

 

Der Band hinterlässt insgesamt einen zwiespältigen Eindruck. Dass er, für Leserinnen und Leser dieser Zeitschrift wichtig zu wissen, an keiner Stelle explizit Rechtshistorisches thematisiert, mag man noch durchgehen lassen. Dass er zwischen konventioneller Geschichtsforschung und städtischer Eigenwerbung oszilliert, ist womöglich ein Tribut an die Bielefelder Gegenwart. Wer also eine Stadtgeschichte erwartet, wird enttäuscht sein, aber das war eben auch nicht das Ziel der Herausgeber. Zum Trost sei nochmals auf Vogelsangs drei Bände hingewiesen und auf die genannten (und manche anderen) Beiträge, die unbedingt lesenswert sind, auch über Bielefeld hinaus.

 

Osnabrück                                                     Thomas Vogtherr