Gedächtnisschrift für Theo Mayer-Maly - zum 80. Geburtstag, hg. v. Harrer, Friedrich/Honsell, Heinrich/Mader, Peter. Springer, Wien 2011. IX, 677 S. Besprochen von Tilman Repgen.

 

Am 16. August 2011 wäre Theo Mayer-Maly, der am Nikolaustag 2007 in Salzburg verstorben ist, 80 Jahre alt geworden. Zu seinem Gedächtnis sind die Arbeiten von 38 Autoren zusammengebunden worden, die Breite und Tiefgang des wissenschaftlichen Lebens Mayer-Malys widerspiegeln.

 

Den Anfang machen sehr persönliche Worte Wolfgang Zöllners, die weithin auf seinem Nachruf in der ZfA 2008, S. 237ff. aufbauen (1-5). Zöllner nennt Mayer-Maly einen „Jahrhundertjuristen“. Das ist zwar kein geschützter Berufstitel, bezeichnet aber eine Ausnahmegestalt. Dabei hebt Zöllner einerseits auf die rasche Qualifikation mit größtem Erfolg ab, andererseits auf die Spannweite der wissenschaftlichen Interessen, die vom Arbeitsrecht über die Dogmatik des allgemeinen Privatrechts zur Rechtsgeschichte, insbesondere der römischen, und zur Rechtsphilosophie reichte. Das nützliche Schriftenverzeichnis (S. 625-674) bietet gewissermaßen den Beweis für diese These.

 

Ludwig Adamovich bringt einen essayistischen Artikel zum Verhältnis von Staat, Recht und Politik (S. 7-18), „Gedankensplitter“ (S. 8)  zur Demontage des Staates durch Populismus und Partikularismus, schwindender Akzeptanz von Rechtsnormen u. a. m. – Peter Apathy informiert handbuchähnlich und abstrakt über „die Rechtsstellung des debitor cessus bei der Sicherungsabtretung“ (S. 19-33). Letztere hatte die österreichische Praxis im 19. Jahrhundert neben dem gesetzlichen Modell der Forderungsverpfändung entwickelt.

 

Über die „Entstehung der Rechtsgeschichte“ schreibt Heinz Barta (S. 35-51). Ausgangspunkt ist die aristotelische Lehre, Einsicht werde sich erst ergeben, wenn man die Dinge sich von ihren Ursprüngen her entwickeln sehe. Er setzt damit gewissermaßen den Fachdialog mit Mayer-Maly fort. Rechtsgeschichte ist für Barta ein, man könnte wohl auch sagen: der Zugang zum Recht, der es als ein „Orientierungs- und Sinnvermittlungssystem“ (S. 38) nachvollziehbar mache. Leitende Ideen seien dabei Gerechtigkeit, „Freiheit, Gleichheit, gesellschaftliche Teilhabe am politischen Geschehen, Solidarität und das von den Griechen anvisierte menschliche und gesellschaftliche ‚Glück‘“. Die Rechtsgeschichte sei, so meint Barta, letztlich aus der historischen und vergleichenden Bearbeitung rechtlicher Fragen bei den griechischen Philosophen hervorgegangen. Vorbild der Rechtsgeschichte sei die Philosophiegeschichte, die bereits die griechischen Philosophen entwickelt hätten. Für die Rechtsgeschichte seien unter diesen insbesondere Aristoteles und Theophrast wichtig (S. 43).

 

Die Geschichte von Kants Taube beschäftigt Okko Behrends. Dieser Vogel kommt im luftleeren Raum mangels Widerstands nicht mehr recht voran. So ergehe es, meint Behrends, auch dem, der die reine praktische Vernunft zur alleinigen Beschäftigung macht (S. 53-82). So wenig, wie Behrends glauben möchte, dass eine intelligente Taube die Luft als Hindernis betrachte, so wenig möchte er Kant darin folgen, dass das Recht außerhalb der Begriffe „gar nicht angetroffen“ werde (S. 54f.). Behrends betätigt sich weniger als Rechtshistoriker, denn als Rechtsphilosoph. Kant ist ihm methodisch gesehen ein lebendiger Konterpart, der mal Recht, mal Unrecht haben kann (vgl. insbesondere S. 75, 77). Recht habe Kant damit, dass unbestimmte Rechtsbegriffe nun einmal nicht der vollständigen Klärung zugänglich seien. Aber es sei falsch, wenn man diese Begriffe von der praktischen Wirklichkeit abkopple (S. 56). Rechtliches Handeln lasse sich – entgegen Kant – nicht auf einen „Gehorsam gegenüber einer aus dem Apriori kommenden Vernunft“ reduzieren (S. 57), denn die Berücksichtigung konkreter Umstände bei der Ausübung von Ermessen sei mit einer apriorischen praktischen Vernunft unvereinbar. Savigny kritisiere zurecht, dass Kant anstelle „einer Willkühr im Einzelnen eine Willkühr im Ganzen“ setze  (S. 58). In der „dünne[n] Luft des Vernunftgehorsams“ fehle der „Zugang zu den mitmenschlichen Rücksichtsprinzipien der Moral“ (S. 62). Kant habe gemeint, so erklärt Behrends, wenn alle Menschen streng den Gesetzen der praktischen Vernunft folgten, ergebe sich gleichsam von allein „ewiger Friede“. Die unerbittliche praktische Vernunft verlange auch kategorisch stets die Wahrheit zu sagen, sogar gegenüber dem Häscher, der den im Haus versteckten Freund töten möchte (cf. Kant, Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen, 1797 = Akadamie Ausgabe VIII, 423ff.). Wenngleich sich Kant hier konkret mit einer Äußerung des französischen Philosophen Benjamin Constant beschäftigt, ist die Fragestellung sehr viel älter. Die unbedingte und ausnahmslose Pflicht zur Wahrhaftigkeit betrachtete Kant als ein „Prinzip des Rechts“, obgleich man doch meinen sollte, es sei geradezu ein Wesensmerkmal von Prinzipien, dass sie in ihrer konkreten Anwendung Ausnahmen dulden würden. Behrends erscheint das utopisch. Kant habe, so meint er, diese unbedingte Wahrheitspflicht „zu früh“ ausgerufen, sie passe nur zu einer Welt, in der bereits der „ewige Frieden“ herrsche (S. 65). – Der auf diese Weise und wenig sympathisch rekonstruierten Rechtstheorie Kants stellt Behrends die Rechtstheorie der Stoa gegenüber, die – trotz rigoristischer Härte (dazu S. 68) – „das Recht als eine in der Wirklichkeit realisierte, zwischen Eigennutz und Fremdnützigkeit vermittelnde Ordnung angeschaut“ habe (S. 80f.). Behrends belegt diese These anhand der Haltung der Stoa zu den Grenzen der Wahrheitspflicht, zunächst mit Bezug auf Quintilian, Institutiones oratoriae XII 1, 38, wo es genau um den soeben erwähnten Fall des Häschers geht. Der Gehorsam gegenüber der Vernunft sei, so fährt Behrends fort, durch die Beschränkungen der Einsicht des Menschen begrenzt. Unbedingt sei er nur geschuldet, wenn „Einsicht in alle relevanten … Umstände“ (S. 70) bestehe – ein utopischer Zustand. Für den Fall der Notlüge sei „nicht entscheidend, was jemand sagt, sondern wie er es sagt, nämlich wie es im Verhältnis zu der von rechtlichen und moralischen Prinzipien erfüllt gedachten Lage zu bewerten“ sei (S. 71). So ist es dann nur folgerichtig, dass stets die Handlungsumstände bei der Bewertung der Handlung mitbedacht werden müssen – ein Thema, dass in der Privatrechtsdogmatik unter dem Stichwort „clausula rebus sic stantibus“ immer wieder diskutiert worden ist. Die Stoa hat in den Augen von Behrends also Recht, wenn und weil sie die konkrete Erfahrung vor dem Hintergrund mitmenschlicher Werte bei der Beurteilung der Handlung mitberücksichtigt (S. 75). Die Voraussetzung der apriorischen Vernunft bei Kant, die dem Menschen kategorisch gebiete, sei hingegen, so Behrends, „eine unbeweisbare Annahme, der man, wenn man will, durchaus die Kennzeichnung schwärmerisch“ geben könne (S. 79). Und so verwundert es den Leser nicht, wenn Behrends schließlich die kantische Rechtslehre verwirft und die stoische als richtige anerkennt (S. 80), die sich im römischen Recht wirkmächtig durchgesetzt habe (S. 81), weshalb die Utopie Kants letztlich Episode bleibe (S. 82).

 

Einem Zentralthema Mayer-Malys widmet sich Hans-Peter Benöhr, der sich mit dem Wucherparagraphen (§ 138 BGB) beschäftigt und das Sittenwidrigkeitsurteil ohne subjektive Komponente ausreichen lassen möchte, auch um einer größeren Methodenehrlichkeit willen, da die Rechtsprechung zu Verschuldensfiktionen führe (S. 83-100). Gerade der mit der subjektiven Seite des Wuchergeschäfts verbundene persönliche Vorwurf führe in große Schwierigkeiten, weil niemand einen solchen unwidersprochen passieren lassen möchte (S. 89), wie Benöhr schreibt. De lege lata spreche für die Beseitigung des Merkmals „Ausbeutung“ in § 138 II BGB bereits, dass der subjektive Vorwurf systematisch dem Strafrecht entstamme. Mit reichen Quellenzitaten belegt Benöhr freilich, dass § 138 II BGB genetisch eine Strafvorschrift sei. Sie passe nur nicht ins Bürgerliche Gesetzbuch. Und in § 138 I BGB sei ein subjektives Element vollends verfehlt, weil der Schutz des Schuldners nicht vom Verschulden des Gläubigers abhängig zu machen sei. Mit Recht erinnert Benöhr daran, dass man die Gesamtrechtsordnung bei der Beurteilung eines Gesetzes im Auge behalten müsse (S. 98). Die Beweislastfragen werden von Benöhr nur angedeutet. Hier bliebe manches zu erörtern.

 

Eine in ihrer Tragweite noch längst nicht überall realisierte Veränderung des Zivilrechts im 20. Jahrhundert ist durch die gesetzliche Verankerung der Grundrechte in den Verfassungstexten eingetreten. Und so ist es bemerkenswert, dass sich Mayer-Maly in einer seiner ersten wissenschaftlichen Arbeiten mit der Freiheitsidee befasst hat. Es war die schriftliche Fassung seiner Promotionsrede. Walter Berka greift diese Überlegungen aus dem Jahr 1955 auf und stellt sie in den Zusammenhang der österreichischen Grundrechtsdogmatik (S. 101-112). Berka wertet die historischen Thesen Mayer-Malys als „Wege zu grundrechtsdogmatischen Erkenntnissen“ (S. 103) und weicht damit einer Auseinandersetzung über die Fragen nach dem Ursprung der Freiheitsrechte aus, dabei aber andeutend, dass eine Verortung vor der Zeit des jüngeren Naturrechts kaum überzeugend sei (S. 103). Das lässt sich hier nicht diskutieren, wäre aber diskussionswürdig. Berka konfrontiert die These Mayer-Malys, Freiheit sei ein Recht, mit der im Positivismus abgestumpften Wirkung der Freiheitsforderungen der Aufklärung, von der nur noch der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns übrig geblieben sei. Heute jedoch habe die Grundrechtsdogmatik die Freiheit als konstitutiv für die demokratische Gesellschaft anerkannt.

 

Ein arbeitsrechtliches Thema wählt Martin Binder, indem er „Modifikationen des zivilen Schadensersatzrechts im Rahmen von Arbeitsverhältnissen“ vorschlägt, die in einer Kodifikation des Arbeitsrechts innerhalb des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs stattfinden sollten (S. 113-139). Im Sinne einer Reintegration des Arbeitsrechts ins allgemeine Zivilrecht wäre das ein nützlicher Zug. – Die „guten Sitten“ sind der Gegenstand des Beitrags Horst Dreiers (S. 140-158). Er sieht sie in unterschiedlichen Rollen: manchmal als Schleuse für die Vermittlung faktisch gewandelter moralischer Anschauungen in die Rechtsordnung, manchmal als „Bollwerk“ gegen abweichende Realitäten. Die eigene Position des Autors bleibt zwar undeutlich, doch scheint er die erstere der Rollen für vorzugswürdig zu halten.

 

Michael Geistlinger behandelt die „Präjudizien im Völkerrecht“ (S. 159-186) und kann auch dafür an einen Beitrag Mayer-Malys anknüpfen. Deutlicher ist der Zusammenhang aber in dem folgenden Aufsatz Peter Gollers zu „Theo Mayer-Malys Auseinandersetzung mit der sozialistischen Arbeitsrechtswissenschaft“ (S. 187-205), die viele biographische Details enthält. – Michael Gruber knüpft mit seinem Aufsatz „Der grundrechtliche Schutz des Erbrechts“ (S. 207-212) an Mayer-Malys Beitrag zur FS Adamovich (1992) an. Wie Mayer-Maly sieht er den Inhalt des grundrechtlichen Erbrechtsschutzes in der Garantie von Testierfreiheit, Intesterbfolge und Pflichtteilsrecht. – Friedrich Harrer würdigt Mayer-Maly als Handelsrechtler (S. 213-223), eine Rolle, die er eher en passant – und dies mit eleganter Leichtigkeit, wie Harrer betont – ausgefüllt hat.

 

Anders als in dem oben referierten Aufsatz Heinz Bartas ist für Heinrich Honsell das antike römische Recht der Ursprung der wesentlichen Institutionen des Privatrechts (S. 225-235). Gerade die Kenntnis der Rechtsgeschichte bewahre vor unkritischem Dogmatismus (S. 225). Römische Zivilrechtsdogmatik sei ein ideales „Propädeutikum des modernen Zivilrechts“. In Zeiten entsprechender Empfehlungen des Wissenschaftsrats ist es nicht verkehrt, auch solche Bekenntnisse in Erinnerung zu bringen, was freilich nicht für die Behauptung eines „dunklen“ Mittelalters (S. 226) gilt.  Honsell sieht eine ungebrochene und daher auch unkomplizierte Kontinuität zwischen den Digesten und dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Schwächen des letzteren erscheinen ihm als Unvollkommenheit bei der Interpretation der ersteren. Da gerät der Rücktritt trotz Untergangs der Sache kurzerhand zur „falschen Lösung“ (S. 229). Und so ist es für ihn konsequent, die Arbeiten an einem Europäischen Zivilgesetzbuch dafür zu kritisieren, dass sie die „unerreichte Dogmatik“ (S. 234) des römischen Rechts missachten würden. Methodisch will dazu freilich der Schluss, „Gesetzgeber und Rechtswissenschaft könnten nach Aufklärung über die Genese einer Rechtsregel von der Tradition abweichen“ (S. 235), für den sich Honsell auf Klaus Luig beruft, nicht ganz passen.

 

Georg Klingenberg konfrontiert die Regel des § 400 ABGB, wonach der, welcher einen Schatzfund verheimlicht, seinen Anteil zugunsten des „Angebers“ bzw. des Fiskus verliert, mit der römischrechtlichen „Delation“ (S. 237-256). – Unter der Überschrift „Der Schutz der Menschenwürde im Verfassungsrecht und im internationalen Recht“ beschäftigt sich Karl Korinek mit der heterogenen Reichweite der Gewährleistungen der Menschenwürde (S. 257-268). – „Methodologische Probleme des ‚autonomen Nachvollzugs‘ von EU-Richtlinien durch die Schweiz“ greift Ernst A. Kramer auf (S. 269-278), der an einer schweizerischen Selbständigkeit festhält. – Um die Stromversorgungssicherheit geht es im energierechtlichen Beitrag Heinz Krejcis (S. 279-298). – Luigi Labruna schreibt über das Berufsbild des Universitätsprofessors (S. 299-307).

 

Detlef Liebs setzt sich detailliert mit einigen verfahrensrechtlichen Fragen des Prozesses gegen Jesus auseinander (S. 309-325), den er für ein prominentes Beispiel für ein Gerichtsverfahren – nicht eine Polizeimaßnahme (S. 322) – hält, das er zwar für „durchaus auf gesetzlicher Grundlage und rechtlich vertretbar“ einschätzt, das aber „den Inbegriff eines ungerechten Urteils“ hervorgebracht habe (S. 324). Die Parallelen, die Liebs in einigen problematischen Fällen US-amerikanischer Verfahren sieht (S. 324f.), wirken freilich gesucht. Der Aufsatz ist ein interessanter methodischer Versuch, historische Berichte – als solche liest er die Evangelien – anhand normativer Rechtskenntnisse zu überprüfen. Richtigerweise bewegt sich Liebs dabei aber vor allem im hypothetischen Bereich von Wahrscheinlichkeiten.

 

Carla Masi Doria beschäftigt sich in einem knappen Aufsatz mit der staatlichen Immunität anhand eines Textes über das Bellum Iugurthinum des Sallust und der Wiederkehr des Billigkeitsarguments im Fall Ferrini in Italien 2004 (S. 327-331). – Um ein Problem internationalen Verfahrensrechts geht es Franz Matscher, der sich mit dem Prinzip De minimis non curat praetor befasst (S. 333-345).

 

Franz-Stefan Meissel beginnt seine Überlegungen zu „Vertragspraxis und Privatrechtsdogmatik. Zum Umgang der römischen Juristen mit Vertragsklauseln am Beispiel der societas“ mit Reflexionen Mayer-Malys zur Zielsetzung dogmatischer Rechtswissenschaft (S. 347-362). Mit Recht betont Meissel die gegenseitigen Bezogenheit von Theorie und Praxis, die keine Parallelwelten seien und begründet dies mit konkreten Beobachtungen zur Klauselpraxis zum Recht der societas.

 

Auch für das Thema „Goethe in der Bergwerkskommission Sachsen-Weimar-Eisenachs“ weiß der Autor, Werner Ogris, eine Verbindung zu Mayer-Maly zu begründen (S. 363-376). – J. Michael Rainer schreibt über „Das Römische Recht als Erkenntnisquelle zu Puchtas Lehre vom Gewohnheitsrecht“ (S. 377-394). Er vertritt die These, dass Puchtas Lehre vom Gewohnheitsrecht auch nach dem Stand heutiger Forschung aus den römischen Quellen ableitbar sei und dass man heute noch diese Rechtsquellenlehre akzeptieren könne.

 

Reinhard Richardi wendet sich dem kirchlichen Arbeitsrecht zu, das Mayer-Maly so stark geprägt hat (S. 395-407). – Martin Schermaier liefert als Schüler Mayer-Malys eine scharfsinnige Kostprobe der Leistungsfähigkeit historischer Rechtskritik („Was schuldet der Schuldner? Die ‚Pflicht zur Anstrengung‘ im modernisierten Schuldrecht“, S. 409-422). Er erweist, in der Wertung mit Picker übereinstimmend, das „Pflichtenrecht“ des Schuldrechtmodernisierungsgesetzes als „spätabsolutistisch“, als bevormundend, als ein Recht, das der „Eigenverantwortung der Bürger ebenso wie den Fähigkeiten von Richtern und Rechtswissenschaftlern“ misstraue und dem veralteten Gesellschaftsbild der 60er- und 70er Jahre anhänge, „in dem es nur Gute und Böse, nur Verbraucher und Unternehmer“ gebe (S. 422). Das passt trotz der insofern zufälligen Abfolge der Aufsätze in der Gedächtnisschrift sehr gut zu dem Essay Karsten Schmidts über „Intellektuelle Moden in Recht und Rechtswissenschaft. Ein Versuch über den Zeitgeist“ (S. 423-438), der den wissenschaftlichen Juristen die Aufgaben rechtsethischer Kontrolle, rechtshistorischer und interdisziplinärer Vergewisserung und teleologischer Systemsicht zuweist (S. 438).

 

Kurt Schmoller wendet sich der „Gesichtsverschleierung im Strafprozess“ zu (S. 439-459), die er entgegen der österreichischen Rechtsprechung für keinen zulässigen Grund einschätzt, eine(n) Angeklagte(n) aus dem Gerichtssaal zu entfernen. – Fritz Sturm hält ein Plädoyer für die Anerkennung der deutschen Staatsangehörigkeit für in Besatzungsgebieten im Krieg gezeugte Kinder deutscher Soldaten (S. 461-473). – Theodor Tomandl schreibt über „Zwei Probleme der Arbeitskräfteüberlassung“ (S. 475-488), Andreas Wacke über „Res iudicata pro veritate accipitur? Die Ziele des römischen Zivilprozesses zwischen Verhandlungsmaxime und Untersuchungsgrundsatz“ (S. 489-524), also das zentrale Problem der Wahrheitssuche im Prozess. Zentral ist das Thema nicht zuletzt deshalb, weil Wahrheit und Gerechtigkeit so eng zusammenhängen. Wacke hebt hervor, dass ein Urteil nur dann als für Dritte bindend  verstanden werden könne, wenn sein Ergebnis auf materieller Wahrheit beruhe. Im Bereich der Dispositionsmaxime sei das jedoch gerade nicht gewährleistet, sondern nur dort, wo der Untersuchungsgrundsatz gelte, in Rom also vor allem bei den Personenstandssachen (S. 513), nicht aber beim Erwerb durch in iure cessio (S. 521f.). Hätte Wacke auch den sächsischen Prozess des Mittelalters in seine Untersuchung einbezogen, so wäre die Vielschichtigkeit des Problems der Wahrheitssuche im Prozess freilich wesentlich deutlicher hervorgetreten. – Wilhelm H. Wacker trägt mit einem Aufsatz zu „Komplexität und Vereinfachung im Steuerrecht“ bei (S. 525-544) und kann auch damit an Gedanken Mayer-Malys anschließen. – Wolfgang Waldstein behandelt „Evidenz und Intuition bei den Römischen Juristen“ (S. 545-555). Zurückgreifend auf Aristoteles entwickelt Waldstein die These, die Intuition im Sinne einer „aktive[n] Seite des Einleuchtens“, der Evidenz, sei die Instanz, die das im Einzelfall Gesollte erkenne. Waldstein pflichtet Kaser bei, der meinte, die römischen Juristen verdankten den „Weg zur richtigen Rechtserkenntnis vornehmlich […] ihrer genialen Intuition“ (S. 548). – Robert Walter greift als Thema „Das österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst“ auf, dessen Träger Mayer-Maly war (S. 557-569). – Gunter Wesener äußert sich „Zur Bedeutung des Usus modernus pandectarum für das österreichische ABGB“ (S. 571-592).

 

Laurens Winkel fügt in das von ihm immer wieder maßgeblich gestaltete „Mosaik“ der Lehre vom Rechtsirrtum ein paar weitere Steine hinzu, indem er über „Rechtsirrtum im Völkerrecht bei Hugo Grotius“ schreibt und dabei selbstverständlich auch die spanische Spätscholastik als für Grotius wichtige Quelle mitberücksichtigt (S. 593-598).

 

Wiederum stark biographische Bezüge haben die „Bemerkungen zu Mayer-Malys Österreichischem Arbeitsrecht von 1970“ aus der Feder von Wolfgang Zöllners (S. 599-607). Dieses Lehrbuch hält Zöllner für ein Grundlagenwerk, das in einzigartiger Weise den Blick für „die Grundstrukturen des Rechtsquellengefüges und die Grundideen der Lösung arbeitsrechtlicher Schutzaufgaben“ öffne und daher für Arbeitsrechtler eine Pflichtlektüre sein sollte.

 

Zöllner trägt also gleich doppelt zu dieser Gedächtnisschrift bei, an deren Ende ein „Scherzvortrag“ Theo Mayer-Malys selbst aus dem Jahre 1965 steht: „Ius civile dormientibus scriptum est“, redigiert durch Andreas Wacke (S. 611-624). Mayer-Maly setzt sich hier in satirischer Weise mit wissenschaftlichen Vorträgen, mit den Beiträgen von Prüflingen, mit duplex interpretatio, mit Kausalität und Zurechnung, Interpolationen- und Konjekturalkritik sowie mit den tatsächlichen Voraussetzungen für ein tieferes „Eindringen ins römische Recht“ auseinander, zu denen hier Sofa, Kanapee, Zigarre und Bett gezählt werden – ein Beitrag zum „romanistische[n] Surrealismus“ (S. 623).

 

Abgeschlossen wird der Band mit einem Schriftenverzeichnis Mayer-Malys (S. 625-674), das freilich um den posthum publizierten Scherzvortrag ergänzt gehört.

 

Gedächtnisschriften sind wie Festschriften in der Regel nicht dazu gedacht, dass man sie von vorn bis hinten durchliest. Unterzieht man sich aber dieser Aufgabe in diesem Fall, so wird man reich entlohnt, nicht nur mit vielfältigen wissenschaftlichen Erkenntnissen, mit interessanten Belegen für die Unterschiedlichkeit wissenschaftlicher Arbeiten in Stil und Denkart, sondern es spiegelt sich in ungewöhnlichem Maße auch die Biographie Mayer-Malys selbst in den Beiträgen wieder, der so dem Leser geradezu lebendig gegenübertritt. Das ist ein schöner Erfolg!

 

Hamburg                                                                                Tilman Repgen