Feldmann, Ekke, Bauordnungen und Baupolizei. Zur Entwicklungsgeschichte zwischen 1850 und 1950. Lang, Frankfurt am Main 2011. 501 S. zahlr. Tab. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die an der TH Darmstadt (Institut für Geschichte) entstandene Dissertation Ekke Feldmanns befasst sich mit der Frage, welche Entwicklungen dazu geführt haben, um aus der Baupolizei in Form der Bauaufsicht ein modernes Planungsinstrument zu schaffen. Nach einer breiten Einleitung (S. 13-40) behandelt Feldmann im Abschnitt: „Baugenehmigung und Baupolizei im 19. Jahrhundert“ (S. 41-113) u. a. die Abgrenzung zwischen Polizei und Baupolizei sowie die beruflichen Anforderungen an die Baupolizeibeamten. S. 74ff. folgt ein detaillierter Vergleich der wichtigsten Regelungen der Bauordnungen von Bayern, Sachsen, Württemberg, Hessen-Darmstadt und Berlin. Aus dem nächsten Abschnitt: „Baupolizei, städtebauliche Planung, Gestaltung durch Reglementierung“ ergibt sich, dass das preußische Fluchtliniengesetz von 1875 (S. 120ff.) nicht die Bebauungsplanung allgemein regelte, sondern lediglich die Planung der Straßenfluchtlinien (S. 123). Im folgenden Abschnitt: „Die Wohnungsfrage im 19. Jahrhundert, Bauordnung und Baupolizei“ (S. 151-250) stellt Feldmann heraus, dass der Zusammenhang zwischen der Wohnungsfrage und der Bauordnung (Einarbeitung der Gesundheits- und sozialpolitischen Postulate in die Bauordnung bzw. in das „[Bau-]normengerüst“) schon vor 1860 und dann verstärkt in den 80er und 90er Jahren des 19. Jahrhunderts theoretisch erarbeitet worden sei (S. 26). In diesem Zusammenhang geht Feldmann ausführlich auf den Berliner Bebauungsplan des preußischen Stadtplaners James Hobrecht ein (S. 164ff.) und stellt im Gegensatz zu in der Literatur vertretenen Ansichten klar, dass Hobrecht sich in seinem Berliner Bebauungsplan von 1862 noch nicht mit sozialpolitischen Wohnungskonzeptionen befasst habe (S. 183ff., 439f.). Diese wurden erst ab der zweiten Hälfte der 1860er Jahre von Ernst Bruch, Werner Hagemann, vom Deutschen Verein für Gesundheitspflege, von Otto Kunze (zu dessen Entwurf eines deutschen Gesundheits-Baugesetzes, 1882, S. 227), von Mietervereinen, vom Verein Reichswohnungsgesetz und von der Sozialdemokratie detailliert entwickelt. Beispielhaft erläutert Feldmann die zögerliche und nur teilweise Verwirklichung der sozialpolitischen Forderungen am Beispiel der Hygieneregelungen für Wasser/Abwasser sowie für Licht/Luft (S. 211 Tabelle der Belichtungsvorschriften in den deutschen Bauordnungen für Aufenthaltsräume; vgl. auch S. 213, 218). Im Kapitel: „Bauordnungen, Wohnungsaufsicht und Reformen am Beginn des 20. Jahrhunderts (S. 251-316) untersucht Feldmann zunächst Durchsetzung der Wohnungsaufsicht und Wohnungsinspektion, die erstmals das hessische Gesetz von 1893 über die polizeiliche Beaufsichtigung von Mietwohnungen und Schlafstellen einführte (S. 254ff.). Für Preußen war bahnbrechend die Thronrede Wilhelms II. vom 8. 1. 1901, in der zur Wohnungs- und Grundstückspolitik Stellung genommen wurde (S. 275). Es folgten der Erlass von 1901 über die Verbesserung der Wohnungsverhältnisse und die Gesetzentwürfe zu einem preußischen Wohngesetz von 1904, 1913 und 1917, die zum preußischen Wohnungsgesetz von 1918 führten (S. 265ff.), das in seinem ersten Teil das Fluchtliniengesetz von 1875 nur teilweise erweiterte. Ausführungen des Zusammenhangs der Bodenfrage mit der Bauordnung schließen das genannte Kapitel ab (S. 293ff.).

 

Im Kapitel „Wege zu einem Reichsstädtebaugesetz“ (S. 317-368) behandelt Feldmann die „normale Bauordnung“ von Baumeister (1876/80), die Gesetzesinitiativen der SPD zu einem Reichsbaugesetz (ab 1901) und die Entwürfe zu einem preußischen Städtebaugesetz von 1925, 1926 und 1929, die eine vorausschauende Planung durch regionale und überregionale Flächenaufteilungspläne ermöglichen sollten (S. 322ff.). Nach der Veröffentlichung der „Reichsrichtlinien für den Wohnungsbau“ durch das Reichsarbeitsministerium (1929) erstellte der Mannheimer Stadtbaudirektor D. A. Platz 1929 den Entwurf zu einem Reichsbaugesetz. Im Reichsarbeitsministerium entstanden 1930 und 1931 Entwürfe zu einem Reichsstädtebaugesetz (S. 344ff.), welche die SPD im Wesentlichen unverändert 1932 in den Reichstag einbrachte. Im Hinblick auf das Reichsgerichtsurteil vom 28. 2. 1930 (RGZ 128, 18), nach dem die Gemeinden für nach § 13 des Fluchtliniengesetzes in Anspruch genommene Grundstücke entschädigungspflichtig waren, eröffnete die 2. Notverordnung vom 5. 6. 1931 den Gemeinden Planungen und Festsetzungen von Fluchtlinien gegen Entschädigung in angemessener Höhe, eine Regelung, die bis in die Kriegszeit bestehen blieb. In der NS-Zeit ergingen nur wenige baurechtlich relevante Einzelgesetze, u. a. das Gesetz vom 4. 10. 1937 über die Neugestaltung der Städte, das nur für von Hitler bestimmte Städte galt. 1942 lag der unveröffentlicht gebliebene Entwurf des Reichsarbeitsministeriums zu einem Deutschen Baugesetzbuch (hierzu 2013 die Edition des Rezensenten), vor, der von den damaligen Ministerialbeamten Wilhelm Dittus und Ludwig Wambsganz verfasst worden war (S. 366ff.). In den beiden letzten Abschnitten befasst sich Feldmann mit der von den Besatzungsmächten angeordneten „Trennung von Polizei und Ordnung“ (sog. „Entpolizeilichung“; S. 376ff.), mit dem Erlass von Bau- bzw. Wiederaufbaugesetzen der Länder und mit der Vorbereitung eines Bundesbaugesetzes. Die Berliner Gesetze und Entwürfe sowie der bayerische Baugesetzentwurf von 1950 waren von Dittus bzw. Wambsganz in zum Teil enger Anlehung an den Entwurf von 1942 aufgestellt worden (vgl. S. 387, 389). In dem 1949 begründeten Wohnungsbauministerium stellte Dittus wiederum in teilweiser Anlehnung an den Entwurf von 1942 die Vorlage zu einem Baugesetzbuch für die Bundesrepublik Deutschland auf, den er 1950 veröffentlichte. Da die Zuständigkeit des Bundes für die Baupolizei bzw. für die Bauplanung umstritten war, erstattete das Bundesverfassungsgericht unter dem 16. 6. 1954 ein Gutachten, nach dem die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung der städtebaulichen Planung, der Baulandzusammenlegung sowie des Bauverkehrsrechts dem Bund zustehe (S. 430ff.). Der Bund schöpfte mit dem 1960 ergangenen Bundesbaugesetz seine Gesetzgebungskompetenz nicht voll aus, um einen Widerstand des Bundesrates auszuschließen; vereinheitlicht wurde nur das Bauplanungsrecht, während das Bauordnungsrecht weiterhin in Anlehnung an die Musterbauordnung von 1960 in den Landesbaugesetzen geregelt ist. Mit dem Bundesbaugesetz wurde aus der Baupolizei die Bauaufsicht, zu einer „Verwaltungseinheit ohne Polizeibefugnisse“. Die „ ‚Baupolizei’ erfüllt als Bauaufsicht“, so Feldmann, „seit der Einführung des Bundesbaugesetzes von 1960 ihre Funktion als ‚mitwirkende Bauaufsichtsbehörde’“.

 

Das Werk Feldmanns enthält 30 Tabellen sowie im Schlussteil 14 Anlagen (S. 449ff.). Das Inhaltsverzeichnis erschließt den Text nur teilweise, da dieses die Unterpunkte der Hauptabschnitte nicht aufführt. Unter dem Gesichtspunkt einer besseren Orientierung des Lesers hätten die Inhalte der drei Anfangsabschnitte (S. 41-245) schärfer voneinander abgegrenzt werden sollen (vgl. den Vergleich der Einzelvorschriften aus den Bauordnungen von Bayern, Sachsen, Württemberg, der Stadt Berlin und Hessen-Darmstadt vor der Erörterung der preußischen Entwicklung und des preußischen Fluchtliniengesetzes sowie der Erörterung der Wohnungsfrage in der Literatur). Wichtig erscheint der Hinweis, dass die ersten Entwürfe zu den Baugesetzen nach dem Kriege von Beamten des Reichsarbeitsministeriums stammen, die dort für den „Entwurf zu einem Deutschen Baugesetz“ von 1942 verantwortlich waren. Eine genauere Analyse und zeithistorische Einordnung der Vorlage von 1942, aber auch der Entwürfe der späteren Weimarer Zeit und der frühen Bundesrepublik steht allerdings noch aus.

 

Mit seiner Darstellung hat Feldmann einen zunehmend wichtiger gewordenen Rechtsbereich historisch, und zwar auch rechtsgeschichtlich im Überblick umfassend erschlossen. Es ist zu wünschen, dass sich auch die Rechtsgeschichte verstärkt mit der Geschichte des neueren deutschen Bauordnungsrecht, und zwar auch unter dem Gesichtspunkt der historischen Rechtsvergleichung (vgl. den Abschnitt über die englische und deutsche Gartenstadtbewegung, S. 313ff.) annimmt.

 

Kiel

Werner Schubert