Prager Frühling. Das internationale Krisenjahr 1968, hg. v. Karner, Stefan/Tomilina, Natalja/Tschubarjan, Alexander, Bd. 1 Beiträge, Bd. 2 Dokumente. Böhlau, Köln 2008. 2885 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Prager Frühling ist im politischen Umfeld der in der Tschechoslowakei im Frühling 1968 unter Alexander Dubček unternommene Versuch der Liberalisierung und Demokratisierung des Staates, der rasch von einer kritischen Öffentlichkeit unterstützt wurde. Im Kern ging es sachlich um ein menschliches Antlitz des Sozialismus und sprachlich um eine von westlichen Medien geschaffene Anknüpfung an den Roman Tauwetter Ilja Ehrenburgs (1953). Die damit verbundenen Hoffnungen wurden aber wie bei einem Frühlingsfrost durch die in der Nacht vom 20. auf den  21. August 1968 einmarschierenden Truppen des Warschauer Paktes aus der Sowjetunion, Polen, Ungarn und Bulgarien zunächst völlig zerstört.

 

Die damaligen dramatischen Geschehnisse sind bereits verschiedentlich mehr oder ausführlich behandelt. Eine umfassende Aufarbeitung auf Grund der politischen Veränderungen durch die Politik Michail Gorbatschows stand aber noch lange aus. Zu diesem Zweck gaben im Jahre 2003 das Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung in Österreich, das russische Staatsarchiv für Zeitgeschichte und die russische Akademie der Wissenschaften eine Absichtserklärung über eine gemeinsame Publikation zu dem Thema ab, als deren Ergebnis ein Netzwerk von Forschungsinstitutionen, das die Herausgeber im Vorwort kartographisch veranschaulichen, die beiden umfangreichen Bände ermöglichte, die umgehend das Interesse eines sachkundigen Interessenten erweckten, das mangels eines Rezensionsexemplars vom Verlag leider aber so wenig befriedigt werden konnte, dass der Herausgeber wenigstens mit wenigen Zeilen auf die beeindruckende Leistung hinweisen muss.

 

Der erste Band enthält nach dem klaren Vorwort der Herausgeber fast siebzig Beiträge in den Abteilungen Der Prager Frühling, Der Kreml und der Prager Frühling, Die Atommächte 1968, Die Bruderländer und Moskau, Europa und der Prager Frühling, Die militärische Intervention und die politischen Folgen, Die Geheimdienste, Die sowjetische Gesellschaft und der Prager Frühling, Der Prager Frühling und sein Echo in den Sowjetrepubliken und Zeitzeugen (Zilk, Bacher, Portisch, Orlov, Meyer, Pisa, Grubmayr, Peterlik, Grünberg, Prečan) erinnern sich sowie „Anstelle eines Schlussworts“. Der Dokumentenband umfasst als zweisprachige Ausgabe 232 Dokumente vom 1. Februar 1968 bis zum 4. Juni 1971 aus 29 Archiven (103 aus dem russischen Staatsarchiv für Zeitgeschichte) und acht anderen Archivbeständen zu den Reformen, zu Vorbereitung des Einmarsches, Bruderparteien, Manöver und Einmarsch, Moskauer Diktat, internationalen Reaktionen, Krise der kommunistischen Welt, Nachbarland Österreich, NATO und Warschauer Pakt sowie schließlich dem Ende des Prager Frühlings. Rund 400 Kurzbiographien und verschiedene Register runden das durch Panzer wie Bruderkuss auf den Umschlägen der beiden gleich starken, sich sinnvoll ergänzenden Bände veranschaulichte Grundlagenwerk vorteilhaft ab.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler