EINFÜHRUNG

 

Literatur: Deutsch-bulgarisches Wörterbuch in zwei Bänden der bulgarischen Akademie der Wissenschaften, 1970; Bulgarisch-deutsches phraseologisches Wörterbuch, 1977; Endler, D./Walter, H., Bulgarisch-deutsches Wörterbuch, 1984; Дормишев, Х., Немско-Български юридически речник Deutsch-bulgarisches Rechtswörterbuch, 2000; Немско-български речник А-Z, 2001; Köbler, G., Juristisches Wörterbuch, 13. Auflage, 2004

 

 

 

A) Geschichte

 

Literatur: Todorov, N., Kurze bulgarische Geschichte, 2. A. 1977; Christov, C., 1300 Jahre Bulgarien, 1980; Радев, Ив./Радев, Р., История и култура на България в дати, 1980; Петров, П./Петрова, Г., История на Българската държава и право, 1999; Николова, Б., Православните църкви през Българското средновековие IХ – ХIV в., 1999; Geier, W., Bulgarien zwischen West und Ost vom 7. bis 20. Jahrhundert, 2001; Дринов, M./Златарски, В., История на българската държава през средните векове, 2002

 

 

I. Die antiken Anfänge

 

Das im Westen des Schwarzen Meeres gelegene, von Donau und Balkan durchzogene Gebiet, in dem als erstes historisch fassbares Volk die Thraker und danach die Illyrer sichtbar werden, wird im 5. Jahrhundert vor Christi Geburt in das Reich der Mazedonier einbezogen. Im zweiten vorchristlichen Jahrhundert gerät es unter die Herrschaft der Römer, die ihr Recht mitbringen und nach ihrer Christianisierung das Christentum verbreiten. Bei der Teilung des römischen Weltreichs (395 n. Chr.) fällt das Gebiet an Ostrom (Byzanz).

 

 

II. Mittelalterliches Bulgarien und osmanische Herrschaft

 

Im 5. und 6. Jahrhundert wandern Südslawen ein. Sie verbünden sich mit den von Khan Asparuch geführten, turko-altaischen Urbulgaren gegen Byzanz. Danach gründen sie das erste bulgarische Reich mit der Hauptstadt Pliska, das 681 von Byzanz anerkannt wird.

Sein Gebiet wird unter Asparuchs Nachfolger Khan Terwel (700-718) beträchtlich erweitert. In dieser Zeit entwickelt sich Bulgarien zu einer bedeutenden politischen Kraft. Unter Khan Krum (803-814) erstreckt es sich vom fränkischen Reich Karl des Großen im Westen bis an die Mauern Byzanz’ im Osten.

Fürst Boris I. Michail (852-889) erhebt 864 das Christentum zur offiziellen Religion (870 autonomes Erzbistum unter der Jurisdiktion des Patriarchats von Konstantinopel, 893 Festlegung der altbulgarischen Sprache als verbind­liche Liturgiesprache). Danach verlieren die Unterschiede zwischen Slawen und Urbulgaren an Gewicht. Es entsteht ein einheitliches bulgarisches Volk.

Simeon I. (893-927) nennt sich erstmals Zar und macht Weliki Preslaw zur Hauptstadt. Unter Zar Simeon erlebt das Reich eine kulturelle Blüte und wird 927 die bulgarische Kirche als Patriarchat anerkannt. Unter seinen Nachfolgern setzt aber der Zerfall ein, in dem Ostbulgarien 971 byzantinische Provinz wird und sich das übrige Reich 1018 der byzantinischen Herrschaft (1018–1186) unterwirft.

1186 entsteht ein zweites bulgarisches Reich. Es ist durch wechselnde Beziehungen zu Byzanz, Serbien, Normannen, Kreuzrittern und italienischen Städten gekennzeichnet. 1393/1396 erliegt es dem Ansturm der muslimischen Osmanen (Türken) und verliert die bulgarische Christenheit mit der Unterstellung unter den Patriarchen von Konstantinopel ihre Unabhängigkeit.

 

 

III. Das neue Bulgarien

 

Als Folge der Aufklärung werden sich die Bulgaren seit dem 18. Jahrhundert ihrer Geschichte bewusst und erlangen 1870 wieder kirchliche Eigenständigkeit als bulgarisches Exarchat. Der russisch-türkische Krieg (1877/1878), der Friede von San Stefano und der Berliner Kongress führen 1878 zur Gründung des dritten bulgarischen Reiches. Der nördliche Teil Bulgariens wird dabei ein autonomes Fürstentum (unter Fürst Alexander von Battenberg 1878-1887), dem 1885 der südliche Teil bzw. die türkische Provinz Ostrumelien angeschlossen wird.

Am 16. 4. 1879 erhält Bulgarien eine Verfassung (Grundgesetz). Sie folgt dem Vorbild Belgiens. Der Monarch beruft das Parlament (Volksversamm­lung, народно събрание) ein und kann es auflösen, doch sichern Grundrechte die Freiheit der Bürger (Gleichheit vor dem Gesetz, Religionstoleranz, Verbot der Sklaverei).

Dem 1887 zum Fürsten gewählten Ferdinand von Sachsen-Coburg und Gotha gelingt 1908 die Durchsetzung der formellen Unabhängigkeit als Königreich bzw. Zarenreich. 1912 schließen sich Griechenland, Serbien, Bulgarien und Montenegro zum Balkanbund zusammen und erobern im ersten Balkankrieg einen Teil des osmanischen Reiches. Nach dem zweiten Balkankrieg zwischen den wegen der Verteilung der Eroberung entzweiten Verbündeten tritt Bulgarien 1913 im Frieden von Bukarest die Süd-Dobrudscha an Rumänien ab, verzichtet zu Gunsten Serbiens und Griechenlands auf Mazedonien und gibt Adrianopel (Edirne) an die Türkei zurück.

1915 schließt sich Bulgarien den Mittelmächten, 1941 dem Dreimächtepakt an. Es wird danach von deutschen Truppen besetzt. Im September 1944 wird es von der Roten Armee der Sowjetunion erobert und am 9. September 1944 der Vaterländischen Front unterstellt.

1946 wird Bulgarien unter der von den Kommunisten beherrschten Vaterländischen Front Volksrepublik. Es wird eine Volksdemokratie ausgerufen, die Agrarreform vollendet und ein großer Teil des Privateigentums der Bürger enteignet. Die zweite Verfassung von 1947 (Dimitroff-Grundgesetz) ersetzt die Monarchie durch die Republik, die Gewaltenteilung durch das Prinzip der starken staatlichen Zentralisierung und das freie Mandat der Abgeordneten durch das imperative Mandat.

In der Folge arbeitet Bulgarien eng mit der Sowjetunion zusammen. Durch den Beitritt zum COMECON (1949) und zu dem Warschauer Pakt (1955) wird die Einbindung Bulgariens in den Ostblock gefestigt. 1953 wird jedoch auf kirchlicher Ebene das selbständige bulgarische Patriarchat wieder­hergestellt.

1962 kommt Theodor Schiwkow an die Macht. Unter ihm wird 1971 nach einer Volksabstimmung die dritte Verfassung in Kraft gesetzt. Sie festigt die Stellung der Kommunistischen Partei und schränkt die Rechte des Parlaments durch einen Staatsrat ein, so dass allmählich ein totalitäres Einparteiensystem entsteht, in dem die Pirvatautonomie weitgehend zurücktritt.

Im November 1989 tritt Theodor Schiwkow unter dem Druck der von Michail Gorbatschow ausgelösten Wende des Ostblocks zurück. Die Kommunistische Partei verzichtet auf ihr Führungsmonopol und benennt sich in Bulgarische Sozialistische Partei um. Einparteienherrschaft und Planwirtschaft werden beseitigt.

1990 finden demokratische Wahlen statt. Am 12. 7. 1991 wird eine neue (vierte) Verfassung verabschiedet. Nach ihr ist Bulgarien eine parlamen­tarische Republik.

Im Rahmen des Demokratisierungsprozesses erfolgt die gewaltlose Macht­übernahme, die Festigung der staatlichen Institutionen und wird ein Konsens aller politischen Parteien hinsichtlich der Einführung der Marktwirtschaft und der Wahrung der Menschenrechte erzielt. In den ersten Jahren danach gibt es zahlreiche Regierungswechsel und die ökonomischen Reformen werden nur zögernd umgesetzt. Unter der von Jan Viedenov (1994-1996) geführten Regierung der sozialistischen Partei kommt der Transformationsprozess fast völlig zum Stillstand.

1997 beginnt Ministerpräsident Kostov (1997-2001) zügig mit der Umsetzung von Reformen. Die bulgarische Währung wird an die Deutsche Mark gebunden (1999 an den Euro) und die Privatisierung wird gefördert. Im Dezember 1999 wird von der Europäischen Union eine förmliche Einladung zu Aufnahmegesprächen ausgesprochen.

Im Juni 2001 gewinnt die gerade zwei Monate zuvor gegründete Nationale Bewegung Simenon II. (NDSW) um den früheren Zaren Simeon II. (Simeon Sakskoburggotski - Sachsen-Coburg-Gotha) die Parlamentswahlen in Bulgarien und verfehlt nur knapp die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament. Simenon II. kündigt die Fortsetzung der Politik Kostovs an. Am 24. Juli 2001 wird Simeon Sakskoburggotski und die von ihm zusammen­gestellte Regierung vom Parlament bestätigt.

Verhandlungen mit der Europäischen Union führen zu einem Erfolg. Bulgarien wird Mitglied. Der Beitritt wird zum 1. 1. 2007 mit kleinen Auflagen wirksam.

 

 

 

B) Sprache

 

 

Literatur: Попова, В., Помагало по история на българския книжовен език, 1978; Schaler, H., Literatur zur bulgarischen Sprache, 1990; Петров, П./Петрова, Г., История на Българската държава и право, 1999; Бояджиев, Т., Българска лексикология, 2000

 

 

Bulgarisch ist eine aus dem Indogermanischen entstandene (von den turko-altaischen Urbulgaren übernommene) südslawische Sprache, die ostbulgarische Dialekte (u. a. Mösisch) und westbulgarische Dialekte auf­weist. Vom Urbulgarischen sind nicht mehr als 40 Wörter erhalten, die mehr historische Bedeutung haben und den mittelalterlichen Verwaltungs­apparat der vorchristlichen Zeit Bulgariens, einige Tierarten und Körperteile betreffen. Von den Thrakern sind kaum erkennbare Sprachreste geblieben.

Bulgarisch wird zurzeit von ca. 10 Millionen Menschen gesprochen, vor allem in Bulgarien (knapp 9 Millionen), aber auch in anderen Staaten Osteuropas, in Nordgriechenland, in der Nordosttürkei, in Südostrumänien und Westmazedonien.

Die ersten (gesicherten und systematischen) Aufzeichnungen der bulgarischen Sprache werden von den beiden heiligen Brüdern Konstantin/Kyrill und Methodius angefertigt. Dafür schafft Konstantin um 860 n. Chr. eine eigene Schrift für das Bulgarische (Glagolica oder glagolitische Schrift). Diese setzt sich aber nicht durch, sondern unterliegt der von der damaligen griechischen Schrift abgeleiteten und mit einigen aus der älteren Glagolica übernommenen Zeichen für slawische Laute bereicherten, von Schülern und Nachfolgern der Brüder Konstantin/Kyrill und Methodius entwickelten, zu Ehren Kyrills mit dessen Namen benannten Schrift (Kyrillica, kyrillische Schrift).

Die erste in diese Schriftzeichen geschriebene Sprache wird als Altbulgarisch, Altslawisch oder Altkirchenslawisch bezeichnet und noch heute als liturgi­sche Sprache in den östlichen orthodoxen slawischen Kirchen verwendet. Sie ist die Sprache der kirchlichen Literatur, der Beamten und der diplomatischen Dokumente der östlichen orthodoxen Slawen. Da viele Texte von Bulgarien weiter nach Serbien, Russland, Ukraine und Mitteleuropa wandern, bezeichnet man Bulgarien als die Wiege aller slawisch-orthodoxen Kultur.

Nach der Eroberung des mittelalterlichen bulgarischen Reiches durch die Osmanen wird die gesprochene Sprache stark vereinfacht. Dadurch löst sie sich von der nur noch heimlich in Kirchen und Klöstern bewahrten Schriftsprache. Zahlreiche Wörter übernimmt sie aus dem Türkischen als der damaligen Amtssprache.

Einen Neuaufschwung erlebt das moderne Bulgarisch erst am Ende des 18. Jahrhunderts, wobei es immer wieder Bestrebungen gibt, türkische Wörter durch slawische, vorwiegend aus dem Russischen stammende Wörter zu ersetzen. Auswirkungen haben diese Bemühungen vor allem auf die Schriftsprache, während die Umgangssprache fast bis zum Ende des 20. Jahrhunderts reich an türkischen Elementen bleibt und erst danach das Türkische durch Angloamerikanisches abgelöst wird. Die moderne litera­rische Sprache, die Amtssprache (Hochbulgarisch) beruht in erster Linie auf den östlichen und nordöstlichen Dialekten.

Trotz ihrer engen Verwandtschaft mit den anderen slawischen Sprachen weist das Bulgarische eine Reihe von Eigenheiten auf. So kennt es im Gegensatz zu den anderen slawischen Sprachen (wie das Angloamerikanische) fast keine Fallendungen bei den Substantiven mehr, sondern verwendet im Wesentlichen nur noch Präpositionen zur Kennzeichnung der Fälle. Weiter enthält Bulgarisch im Gegensatz zu allen anderen slawischen Sprachen ein System von sicheren Artikeln, die dem Substantiv angehängt werden - zum Beispiel kniga (Buch) und knigata (das Buch). Außerdem hat Bulgarisch (wie Griechisch) die Infinitivform aller Verben verloren, während die anderen slawischen Sprachen sie behalten haben. Schließlich hat Bulgarisch noch eine Vielzahl an Zeitformen der Verben erhalten, während alle anderen slawischen Sprachen ihre Zeitformsysteme erheblich vereinfacht und verringert haben.

Bei der Umschrift des Bulgarischen in lateinische Zeichen gelten die für das Russische entwickelten Regeln. Allerdings wird das Zeichen „ъ durch „â“ umgeschrieben (z. B. Bâlgaria). Vereinzelt wird dafür auch das û gebraucht (Bûlgaria).

In diesem Wörterbuch wird Bulgarisch folgendermaßen in lateinische Zeichen umgeschrieben:

 

 

 

 

 

 

 

C) Recht

 

 

I. Allgemeines

 

Die Republik Bulgarien grenzt an Rumänien, das Schwarze Meer, die Türkei, Griechenland, Mazedonien und Serbien. Sie umfasst 110912 Quadrat­kilometer mit knapp 9 Millionen Einwohnern, von denen mehr als zwei Drittel in Städten leben. Hauptstadt ist Sofia.

Das bulgarische Recht gehört zu dem europäischen kontinentalen Recht­system bzw. der romanisch-germanischen Gruppe. Es beruht auf dem römischen Recht. Auch während des Mittelalters wird oströmisches Recht übernommen und selbst unter der langen türkischen Herrschaft bewahrt, so dass nach deren Auflösung kein Bruch der Rechtskultur eintritt.

Seit der modernen Erneuerung Bulgariens im 19. Jahrhundert versucht der Gesetzgeber Bulgarien mit dem westeuropäischen Recht zu verbinden. Diese Beziehungen werden während der Einbeziehung Bulgariens in den Ostblock unterbrochen. Seit der Wende sind sie in erheblichem Maße wieder aufgenommen und gestärkt.

 

 

II. Öffentliches Recht (публично право)

 

Literatur: Неновски, Н., Конституцията Актуални въпроси на теорията и практиката, 1996; Друмева Е., Конституционно право на Република България, 1996; Танчев, Е., Въведение в конституционното право, 1997

 

 

1. Verfassung (конституция)

 

Nach der Verfassung vom 12. Juli 1991 ist Bulgarien eine parlamentarische Republik mit Volkssouveränität, Gewaltenteilung und Mehrparteiensystem. Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist der für fünf Jahre vom Volk direkt gewählte Präsident. Er hat ein aufschiebendes Vetorecht gegenüber den vom Parlament beschlossenen Gesetzen.

Die ausführende Gewalt steht (neben dem Präsidenten überwiegend) der Regierung zu, die vom Vertrauen des Parlaments abhängig ist. Ihren Vorsitz führt der Ministerpräsident. Sie ist für die Durchführung des Staatshaushalts zuständig, verwaltet das staatliche Eigentum und billigt bestimmte Arten von internationalen Abkommen im Einvernehmen mit der Verfassung.

Die Gesetzgebung ist Aufgabe und Recht der Volksversammlung (narodno sâbranie). Sie umfasst 240 Abgeordnete. Sie werden für vier Jahre gewählt.

Die Verfassung regelt nicht ausdrücklich die Wechselbeziehung zwischen internationalem Recht und bulgarischem Recht und kennt keinen direkten und sofortigen Vorrang der internationalen Rechtsnormen. Gleichzeitig fügt aber der bulgarische Gesetzgeber die Normen der ratifizierten, verkündeten und in Kraft getretenen internationalen Verträge in das interne Rechtssystem ein (Dualismusprinzip). Damit sämtliche internationalen Abkommen Bestandteil des bulgarischen Rechtes werden, müssen sie nach dem in der Verfassung vorgesehenen Verfahren ratifiziert werden.

 

2. Verwaltungsrecht (административно право)

 

Bulgarien ist in 278 Gemeinden und 28 Gebiete aufgeteilt. Die Gemeinden sind juristische Personen mit Eigentum und selbständigem kommunalem Haushalt. Der Gemeinderat ist das kommunale Organ, das die Entwicklungspolitik der Gemeinde beschließt. Die Gebiete sind territoriale Verwaltungseinheiten, welche die regionale Politik der Landesregierung durchführen. Die Leitung der Gebiete obliegt den Gebietsverwaltern und den regionalen Verwaltungen, die vom Staatshaushalt unterhalten werden. Die Gebietsverwalter werden durch den Ministerrat ernannt.

 

3. Verfahrensrecht (процесуално право)

 

Die bulgarische Gerichtsverfassung umfasst drei Instanzen. Die ordentliche Gerichtsbarkeit (Zivilsachen und Strafsachen) gliedert sich in 34 Amtsgerichte, 23 Kreisgerichte, 5 Appellationsgerichte (in Sofia, Plovdiv, Varna, Veliko Tarnovo und Burgas) und den Obersten Kassationsgerichtshof in Sofia. Neben ihm bestehen ein Verwaltungsgerichtshof und ein Verfassungsgerichtshof sowie vier Militärgerichte mit einem Appella­tionsmilitärgerichtshof (und dem Obersten Kassationsgerichtshof).

Das Amtsgericht ist das unterste Gericht im bulgarischen Gerichtssystem. Es ist als erste Instanz zuständig für Zivilprozesse und Strafprozesse, wenn ein Gesetz nicht ein anderes Gericht (Kreisgericht) als erste Instanz festlegt. Örtlich ist das Amtsgericht für sein Gebiet zuständig.

Das Kreisgericht ist für bestimmte Zivilsachen und Strafsachen als erste Instanz zuständig. Diese sind in Gesetzen besonders bestimmt (schwerere Straftaten, schwierigere Zivilsachen). Als zweite Instanz fungiert das Kreisgericht bei der Überprüfung von Urteilen des Amtsgerichts.

Das Appellationsgericht ist überwiegend zweite Instanz für das Kreisgericht.

Oberstes Gericht für alle Zivil- und Strafsachen ist der für ganz Bulgarien zuzständige Oberste Kassationsgerichtshof. Dieses Gericht übt Zweck­mäßigkeitskontrollen und Gesetzmäßigkeitskontrollen hinsichtlich der Ent­scheidungen der untergeordneten Gerichte aus. Es vereinheitlicht die Rechtsprechung durch seine Entscheidungen.

Für den Zivilprozess gilt die Zivilprozessordnung von 1952. Der Strafprozess verläuft nach der Strafprozessordnung von 1974. Der Verwaltungsprozess bestimmt sich nach der 1979 in Kraft gesetzten Verwaltungsprozessordnung.

 

4. Strafrecht (наказателно право)

 

Literatur: Стойнова А., Наказателно право обща част, 1999; Гиргинов, А., Наказателно право на Република България обща част - курс лекции, 2002

 

Das Strafrecht ist im Strafgesetzbuch des Jahres 1968 geregelt. Es umfasst einen allgemeinen Teil und einen besonderen Teil, in dem Straftaten gegen die Republik, gegen den Einzelnen und gegen die Rechte der Bürger, gegen die Ehe, die Familie und die Jugendlichen, seit 1993 gegen das Eigentum und gegen das Finanzsystem sowie Wirtschaftsstraftaten, Urkundenstraftaten und Militärstraftaten unterschieden werden. Die für schwere Straftaten vorge­sehene, im jeweiligen Einzelfall vom Parlament zu bestätigende Todesstrafe ist seit Juli 1990 suspendiert und seit 11. 12. 1998 aufgehoben. Im Vordergrund stehen seitdem Freiheitsstrafe und Geldstrafe.

 

 

III. Privatrecht (частно право)

 

Im Privatrecht fehlt (trotz jahrzehntelanger Gesetzgebungsbestrebungen) noch ein umfassendes Bürgerliches Gesetzbuch, doch gibt es eine Reihe von Einzelgesetzen. Ihren Inhalt ordnet die Wissenschaft in etwa nach dem deutschen Pandektensystem, in dem sie aber das Sachenrecht dem allgemeinen Teil folgen lässt und an das Erbrecht das Urheberrecht anschließt.

 

1. Allgemeiner Teil (гражданско право обща част)

 

Literatur: Павлова, М., Гражданско право обща част, 1995

 

Allgemeine Grundsätze sind die Privatautonomie, die Vertragsgerechtigkeit, die Gleichheit der Rechtssubjekte vor dem Gesetz und das Streben nach Rechtssicherheit. Forderungen verjähren grundsätzlich in fünf Jahren.

 

2. Sachenrecht (вещно право)

 

Literatur: Венедиков, П., Ново вещно право, 1995

 

Das Sachenrecht ist vor allem im Eigentumsgesetz von 1951 und im Staatseigentumsgesetz von 1996 geregelt. Nach Wiederbelebung des seit 1944 durch umfangreiche Enteignungen (z. B. der Unternehmen einschließlich der landwirtschaftlich genutzten Grundstücke) rechtstatsächlich auf Häuser, Wohnungen und Kraftfahrzeuge eingeschränkten Eigentums sind Sachen alle körperlichen Gegenstände (nicht z. B. Wärme, Strom). Es gibt kein Grundbuch, sondern von den örtlich zuständigen Notaren geführte, von jedermann einsehbare Liegenschaftsregister, in die alle Grundstücke betreffenden Rechtsgeschäfte eingetragen werden. Der Erwerb von Grundstückseigentum setzt die Staatsangehörigkeit Bulgariens voraus.

Es wird zwischen Besitz und Eigentum unterschieden. Besitz ist die tatsächliche Herrschaft über eine körperliche Sache. Eigentum ist das Vollrecht über eine Sache, das jeden anderen ausschließt.

Neben dem Besitz kennt das bulgarische Sachenrecht wie das römische Recht die Innehabung (lat. detentio). Im Gegensatz zum römischen Recht ist die Abgrenzung zwischen Innehaber (lat. detentor) und Besitzer nicht nach dem Grund des Verhältnisses (causa) vorzunehmen. Entscheidend ist, ob die Person das Ziel (animus) hat, die Sache als eigene zu behandeln.

Das bulgarische Sachenrecht kennt daneben beschränkte dingliche Rechte wie Pfand, Nießbrauch, Dienstbarkeit, Hypothek.

Anders als im römischen und im deutschen Recht ist die Übereignung geregelt. Nach dem durch das italienische Recht vermittelten französischen Vorbild genügt Einigung zwischen den Parteien für den Übergang des Eigentums an der Sache. Sobald Käufer und Verkäufer sich über den Kauf einer bestimmten Sache zu einem bestimmten Preis einigen, geht das Eigentum über.

Ausnahmsweise genügt der kausale Vertrag nicht. Dies ist etwa der Fall, wenn die Sache nicht genügend bestimmt ist (z. B. Gattungsschuld). Dann geht das Eigentum entweder mit der Bestimmung der Sache oder mit der Übergabe über.

Bewegliche Sachen werden nach dem bulgarischen Recht grundsätzlich formlos übereignet. Dies gilt nicht für Kraftfahrzeuge und Schiffe. Hier bedarf ein wirksamer Vertrag einer Textform mit notarieller Beglaubigung der Unterschriften.

Es kann ein Eigentumsvorbehalt vereinbart werden. Erforderlich ist dabei Schriftform. Bei beweglichen Sachen ist der Eigentumsvorbehalt Dritten gegenüber unwirksam.

Die Auflassungserklärung bei einem Erwerb unbeweglicher Sachen bedarf der notariellen Beurkundung und der Eintragung in das lokale Liegenschaftsregister.

 

3. Schuldrecht (облигационно право)

 

Literatur: Кожухаров, А./Герджиков, О., Облигационно право, 1992; Кожухаров, А./Герджиков, О., Общо учение за облигационното правоотношение, 1994; Калайджиев, А., Облигационно право обща част, 1996

 

Die erste gesetzliche Regelung des Schuldrechts in Bulgarien stammt von 1892 (Gesetz über die Pflichten und Verträge). Dieses Schuldrechtsgesetz wurde sehr stark von dem italienischen Zivilgesetzbuch (und damit mittelbar vom französischen Code civil) beeinflusst. Seine zweite Redaktion von 1951 gilt trotz umfangreicher Abänderungen noch in der Gegenwart. In ihr sind die Schuldverhältnisse aus Vertrag (z. B. Kauf, Tausch, Schenkung, Dienst­vertrag, Werkvertrag, Gesellschaft des bürgerlichen Rechts), Vertrauen und Gesetz geregelt und damit auch die Geschäftsführung ohne Auftrag, die ungerechtfertigte Bereicherung und die unerlaubte Handlung.

Wichtige allgemeine Grundsätze des Schuldrechts sind: pacta sunt servanda (Verträge sind zu halten), Treu und Glauben, das Verbot sittenwidrigen Handelns, die Verkehrssicherungspflichten und die Privatautonomie.

 

4. Familienrecht (семейно право)

 

Literatur: Ненова, Л., Семейно право на Република България, 2000

 

Das Familienrecht (Ehe, Verwandtschaft, Adoption, Vormundschaft, Betreuung) beruht bis 1945 im Kern auf dem Kirchenrecht, nach 1945 auf einer Verordnung über die Ehe, nach 1949 auf dem Gesetz über die Personen und die Familie, nach 1968 auf dem ersten Familiengesetzbuch und nach 1985 auf dem zweiten Familiengesetzbuch. Es ist nicht sicher, dass es in ein umfassendes Bürgerliches Gesetzbuch aufgenommen wird. Voraussichtlich wird es teils liberalisiert, teils stärkerem staatlichem Einfluss unterworfen.

Die Ehe wird nicht als Vertrag, sondern als Union angesehen. Voraussetzung sind Ehemündigkeit und Ausschluss der Gefährdung der nächsten Generation, der Gesellschaft oder des Ehepartners. Ehen unter Partnern desselben Geschlechts sind (derzeit) ausgeschlossen.

Die Ehescheidung ist schon dem orthodoxen Kirchenrecht (bei Ehebruch, Getrenntleben und Kinderlosigkeit) bekannt. Sie erfolgt nach dem geltenden weltlichen Recht durch (rechtskräftiges) Urteil. Das dorthin führende Verfahren ist umständlich und langwierig.

 

5. Erbrecht (наследствено право)

 

Literatur: Петканов, Г./Тасев, С., Българско наследствено право, 1993; Тасев, Хр., Българско наследствено право, 2003

 

Für das Erbrecht gilt das einem ersten Erbgesetz von 1896 folgende Erbgesetz von 1949, wobei seit 1944 Männer und Frauen gleichberechtigt sind, seit 1945 auch eheliche Kinder und nichteheliche Kinder. Seit 1991 hat das Erbrecht wieder rechtstatsächliche Bedeutung. Es besteht Testierfreiheit.

Die gesetzliche Erbfolge im bulgarischen Recht kennt grundsätzlich vier Ordnungen: die Abkömmlinge, die Eltern und deren Abkömmlinge, die Großeltern und deren Abkömmlinge und die Urgroßeltern und deren Abkömmlinge. Die nähere Ordnung schließt die entferntere aus. Ausnahme stellеn die Erbsubstitution und die Erbtransmission dar.

Der Ehegatte des Erblassers ist bevorzugter gesetzlicher Erbe. Wenn der überlebende Ehegatte zusammen mit den Abkömmlingen des Erblassers erbt, sind die Teile des Ehegatten und der Kinder gleich. Anders ist es, wenn der Ehegatte zusammen mit den gesetzlichen Erben der weiteren Erbfolge (1.- 4. Ordnung) erbt. Hier ist die Dauer der Ehe von Bedeutung (bei weniger als zehn Jahren Dauer die Hälfte, bei längerer Dauer zwei Drittel).

 

6. Urheberrecht (авторско право)

 

Literatur: Саракинов, Г., Авторското право и сродните му права в Република България,1995

 

Das Urheberrecht ist zunächst im Rahmen des Handelsgesetzes von 1897 geregelt, seit 1921 auf der Grundlage des Berner Übereinkommens in einem eigenen, 1951 sowjetisierten, 1972 aber wieder etwas und 1993 weitgehend verwestlichten Urheberrechtsgesetz.

 

7. Handelsrecht (търговско право)

 

Literatur: Павлова, М., Гражданско право, 1995; Кацарски, А., Търговски закон - коментар, 1995; Герджиков, О., Основи на търговското право, 1995; Leitfaden für ausländische Investoren, Bulgarische Agentur für Auslandsinvestitionen, 2002, 2004

 

Nach Außerkraftsetzung des 1897 erlassenen Handelsgesetzes im Jahr 1951 wird ein besonderes Handelsgesetz erst wieder 1991 geschaffen. Danach gibt es vor allem offene Handelsgesellschaften, Kommanditgesellschaften, Gesellschaften im beschränkter Haftung, Aktiengesellschaften (und Genossenschaften) sowie Joint Ventures, Holdings und Einzelkaufleute. Besondere Vorschriften bestehen für Zweigstellen (und Vertretungen). Eine Gesellschaft muss grundsätzlich im vom Kreisgericht geführten Handelsregister eingetragen werden und kann aus einer einzigen Person bestehen (Einmanngesellschaft).

Eine Gesellschaft muss als öffentlich registriert werden, wenn sie ein Primärangebot von Aktien organisiert und ihre Aktien an einem organisierten Wertpapiermarkt zum Handel registriert sind.

Das Handelsgesetz enthält auch das Insolvenzrecht. Bei Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung können Schuldner oder Gläubiger einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen. Möglich ist die Einigung auf einen Sanierungsplan.

Der lautere Wettbewerb ist durch ein Wettbewerbsgesetz von 1998 geschützt.

 

8. Arbeitsrecht (трудово право)

 

Literatur: Мръчков, В., Осигурително право трето преработено и допълнено издание 2001; Мръчков, В./Средкова, К../Василев, А., Коментар на Кодекса на труда - седмо преработено и допълнено издание, 2003; Средкова, К., Осигурителни правоотношения, 2003

 

Die Arbeitsverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind durch das Arbeitsgesetzbuch geordnet. Alle Bürger Bulgariens haben ein Recht auf Arbeit. Die allgemeinen Arbeitsbedingungen werden zwischen der Regierung, den Arbeitgebern und den (zwei großen) Gewerkschaften vereinbart.

Der Arbeitgeber muss jeden Arbeitnehmer bei dem zuständigen örtlichen Sozialversicherungsamt zur obligatorischen Sozialversicherung (wegen Krankheit, Arbeitsunfall, Berufskrankheit und Altersarbeitsunfähigkeit) anmelden. Für die Sozialversicherung gilt das Sozialversicherungsgesetzbuch. Die Sozialversicherung gegen Arbeitslosigkeit ist freiwillig.

 

 

 

D) Juristen

 

Die juristische Ausbildung in Bulgarien setzt ein sehr gutes Abiturzeugnis voraus. Hinzukommen zwei Universitätsaufnahmeprüfungen, die in der Regel bulgarische Geschichte und bulgarische Sprache oder bulgarische Literatur betreffen. Sie sollen feststellen, ob der Studienbewerber in der Lage ist, auf Bulgarisch ein vorher nicht bekanntes Thema selbständig zu bearbeiten.

Rechtswissenschaft kann (mit nicht ganz einheitlichem Programm an den weitgehend autonomen Universitäten) in Sofia, Plovdiv, Varna, Veliko Tar­novo, Blagoevgrad, Burgas und Russe studiert werden. Das Rechtsstudium dauert fünf Jahre zu jeweils zwei Semestern. Am Ende jedes Semesters finden schriftliche Prüfungen (Klausuren), häufiger aber mündliche Prüfungen statt. Im Studium werden nicht Punkte, sondern Noten (von 2 = mangelhaft bis 6 = ausgezeichnet) vergeben. Es werden Pflichtfächer und Wahlpflichtfächer unterschieden (z. B. Latein bis 2000 Pflichtfach, seitdem Wahlpflichtfach, ähnlich Kriminalistik).

Nach dem Studienabschluss kann man sich für die Staatsprüfungen anmelden. Termine sind im Februar, Juli und November. Der Prüfungsstoff wird in drei Gruppen eingeteilt: öffentliches Recht (Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht und Verwaltungsprozess, Finanz und Steuerrecht); Strafrecht (Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminalistik und Strafvollzugsrecht); Zivilrecht (Zivil­recht und Zivilprozessrecht). Meist erhält man in jedem Rechtsgebiet eine schriftliche Klausur aus drei theoretischen Fragen und Fällen und wird danach mündlich von einer Kommission (aus Professoren und Praktikern) geprüft.

Nach dem erfolgreichen Bestehen der Prüfungen kann man sich für ein Referendariat anmelden. Die Referendarzeit hat bis Oktober 2003 ein Jahr gedauert, wurde aber danach auf drei Monate gekürzt.

Die Referendare besuchen Ermittlungsbehörden, die Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft, und Gericht, eine oder mehrere Anwaltskanzleien oder Notarkanzleien. Während der Referendarzeit wird man von einem Volljuristen (als Patron) betreut.

Die Rechte eines bulgarischen Volljuristen werden nach der Referendarzeit durch eine theoretisch-praktische (meistens mündliche), im Justizministerium abgehaltene Prüfung verliehen.

2003 gab es etwa 11000 zugelassene Rechtsanwälte.

 


 

 

 

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

 

 

Adj.                               Adjektiv

Adv.                              Adverb

am.                                amerikanisch

brit.                                britisch

engl.                               englisch

F.                                  Femininum

franz.                             französisch

griech.                            griechisch

jur.                                 juristisch

lat.                                 lateinisch

M.                                 Maskulinum

N.                                  Neutrum

Part.                               Partikel

Pl.                                  Plural

Präp.                              Präposition

Sb.                                Substantiv

V.                                  Verb