Reichsgesetzblatt für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder.

XLII. Stück. – Ausgegeben und versendet am 30. Juni 1873.

(397) 119. Gesetz vom 23. Mai 1873, betreffend die Einführung einer Strafproceß-Ordnung.

Mit Zustimmung beider Häuser des Reichsrathes finde Ich anzuordnen, wie folgt:

Art. I. Die nachfolgende Strafproceßordnung tritt mit dem Ablaufe von sechs Monaten nach der Kundmachung bei allen Civilgerichten als alleinige Vorschrift für das Verfahren wegen Verbrechen, Vergehen und aller anderen den Gerichten zur Aburtheilung zugewiesenen Strafbaren Handlungen in Wirksamkeit.

Art. II. Nach Beginn der Wirksamkeit dieser Strafproceßordnung können die bisherigen Gesetze über das Strafverfahren nur nach Maßgabe der folgenden Artikel Anwendung finden.

Art. III. Wenn ein Einstellungs- oder Anklagebeschluß oder ein Enderkenntniß vor Beginn der Wirksamkeit dieser Strafproceßordnung ergangen ist, so entscheiden die Gerichtshöfe zweiter Instanz und der oberste Gerichtshof über die dagegen ergriffenen Rechtsmittel nach den bisherigen Gesetzen.

Art. IV. Wenn in Folge eines vor dem erwähnten Zeitpunkte nach §. 200 der Strafproceßordnung vom 29. Juli 1853 gefällten Anklagebeschlusses eine Schlußverhandlung stattzufinden hat, so sind für diese und für das nachfolgende Verfahren die bisherigen Gesetze maßgebend.

Wäre jedoch später auf Grund des §§. 220 und 251 der Strafproceßordnung vom 29. Juli 1853 ein neuer Anklagebeschluß zu fällen, so richtet sich das weitere Verfahren nach dem neuen Gesetze.

In Preßsachen ist, wenn die Hauptverhandlung nach §. 12 des Gesetzes vom 9. März 1869, Nr. 32 R. G. Bl., bereits angeordnet ist, nach den bisherigen Gesetzen, sonst aber nach der gegenwärtigen Strafproceßordnung weiter zu verhandeln.

Art. V. Die Statthaftigkeit der Wiederaufnahme des Strafverfahrens und der Verfolgung wegen einer neu hervorgekommenen strafbaren Handlung ist nur dann nach dieser Strafproceßordnung zu beurtheilen, wenn nicht das ältere Gesetz, nach welchem das frühere Verfahren zu Ende geführt wurde, dem Beschuldigten günstiger ist.

(398) Die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Wiederaufnahme kommt jenen Gerichten zu, welche an die Stelle der bisherigen Strafgerichte treten.

Das wiederaufgenommene Verfahren dagegen ist nach dieser Strafproceßordnung zu führen und kommt den nach derselben zuständigen Gerichten zu.

Art. VI. Vom Beginne der Wirksamkeit der gegenwärtigen Strafproceßordnung gehört vor die Geschwornengerichte die Hauptverhandlung über alle Anklagen:

A. wegen der durch den Inhalt einer Druckschrift verübten Verbrechen und Vergehen,

B. wegen nachbenannter Verbrechen und Vergehen:

1. Hochverrath (§§. 58-61 des Strafgesetzes vom 27. Mai 1852, R. G. Bl. Nr. 117 und Art. I des Gesetzes vom 17. December 1862, R. G. Bl. v. J. 1863 Nr. 8);

2. Störung der öffentlichen Ruhe (§§. 65 und 66 St. G. und Art. II des Gesetzes vom 17. December 1862 R. G. Bl. v. J. 1863 Nr. 8);

3. Aufstand und Aufruhr (§§. 68-73 und 75);

4. Oeffentliche Gewaltthätigkeit:

a) durch gewaltsames Handeln gegen eine von der Regierung zur Verhandlung öffentlicher Angelegenheiten berufenen Versammlung, gegen ein Gericht oder eine andere öffentliche Behörde (§§. 76, 77 und 80);

b) durch gewaltsames Handeln gegen gesetzlich anerkannte Körperschaften oder gegen Versammlungen, die unter Mitwirkung oder Aufsicht einer öffentlichen Behörde gehalten werden (§§. 78, 79 und 80);

c) durch boshafte Beschädigung fremden Eigenthums (§§. 85 und 86), oder durch andere boshafte Handlungen oder Unterlassung unter besonders gefährlichen Verhältnissen (§§. 87 und 88); jedoch in allen diesen Fällen nur dann, wenn entweder einer der im §. 86, Abs. 2 St. G., bezeichneten Umstände eingetreten ist, oder wenn in Fällen des §. 85, lit. b) und c) und des §. 87 in der Anklageschrift ausdrücklich beantragt ist, wegen der Größe der Bosheit oder Gefahr auf eine mehr als fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen;

d) durch Menschenraub (§§. 90 und 91);

e) durch Betreibung eines fortgesetzten Verkehrs mit Sclaven (Schlußabsatz des §. 95);

f) durch Entführung (§§. 96 und 97), jedoch nur dann, wenn nach dem Gesetze mindestens auf fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen ist;

5. Mißbrauch der Amtsgewalt (§§. 101-103);

6. Verfälschung der öffentlichen Creditpapiere (§§. 106-117);

7. Münzverfälschung (§§. 118-121);

8. Religionsstörung (§§. 122 und 123), jedoch nur dann, wenn in der Anklageschrift ausdrücklich beantragt ist, nach Maßgabe des §. 123 wegen großer Bosheit oder Gefährlichkeit auf eine mehr als fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen;

9. Nothzucht (§§. 125-127);

10. Schändung (§. 128), wenn eine der im §. 126 St. G. erwähnten Folgen eingetreten ist, oder in der Anklageschrift ausdrücklich beantragt ist, wegen sehr erschwerender Umstände auf eine mehr als fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen;

11. Unzucht wider die Natur (§. 129), jedoch nur unter den im §. 130, Abs. 2, bezeichneten Umständen;

12. Mord und Todtschlag (§§. 134-143);

13. Abtreibung der Leibesfrucht wider Wissen und Willen der Mutter (§. 147 und 148), wenn nach dem Gesetze auf Kerkerstrafe zwischen fünf und zehn Jahren zu erkennen ist;

14. Weglegung eines Kindes (§§. 149 und 150), wenn nach dem Gesetze auf Kerkerstrafe zwischen fünf und zehn Jahren zu erkennen ist;

(399) 15. schwere körperliche Beschädigung (§§. 152 bis 157), wenn nach dem Gesetze auf Kerkerstrafe zwischen fünf und zehn Jahren zu erkennen ist;

16. Zweikampf (§§. 158-162), wenn nach dem Gesetze mindestens auf fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen ist;

17. Brandlegung (§§. 166-169), wenn nach dem Gesetze mindestens auf fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen ist;

18. Diebstahl (§§. 171-176), wenn nach dem §. 179 auf Kerkerstrafe zwischen fünf und zehn Jahren zu erkennen ist;

19. Veruntreuung (§§. 181-184), wenn nach dem Gesetze mindestens auf fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen ist oder in der Anklageschrift auf Grund des §. 184 St. G. beantragt wird, wegen besonders erschwerender Umstände auf eine mehr als fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen;

20. Raub (§§. 190-195);

21. Betrug (§§. 170, 197 bis 204), wenn nach dem Gesetze mindestens auf fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen ist;

22. Verleumdung (§§. 209 und 210), wenn in der Anklageschrift einer der im §. 210, lit. a)-c) bezeichneten Umstände angegeben und deßhalb beantragt wird, auf eine mehr als fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen;

23. Verbrechern geleisteter Vorschub, jedoch nur in dem Falle, wenn nach §. 218 auf Kerkerstrafe zwischen fünf und zehn Jahren zu erkennen ist;

24. Herabwürdigung der Verfügungen der Behörden und Aufwiegelung (§. 300 St. G. und Art. III und IV des Gesetzes vom 17. December 1862, Nr. 8 R. G. Bl. v. J. 1863);

25. Aufreizung zu Feindseligkeiten (§. 302 St. G.).

Wegen jener Verbrechen, bei welchen nach den vorstehenden Bestimmungen die Zuständigkeit des Geschwornengerichtes nicht eintritt, darf das erkennende Gericht in keinem Falle eine mehr als fünfjährige Kerkerstrafe verhängen.

Art. VII. Wenn auf verfassungsmäßig zulässige Weise in einem bestimmten Gebiete die Wirksamkeit der Geschwornengerichte zeitweilig eingestellt wird, so finden rücksichtlich der Hauptverhandlung und der Rechtsmittel gegen die in derselben gefällten Urtheile die Bestimmungen des XVIII. Hauptstückes, dann des §. 338, Abs. 2 und 3 und der §§. 339 und 341 der Strafproceßordnung Anwendung.

Art. VIII. Hinsichtlich aller im Strafgesetze vom 27. Mai 1852 vorgesehenen, sowie aller anderen ausdrücklich den Gerichten zur Aburtheilung zugewiesenen Uebertretungen steht das Verfahren und die Urtheilsfällung den Bezirksgerichten zu.

Art. IX. Der Minister der Justiz ist mit der Vollziehung dieses Gesetzes beauftragt. Derselbe hat im Einvernehmen mit dem Minister des Innern die hiezu erforderlichen Verordnungen zu erlassen.

Wien, am 23. Mai 1873

Franz Joseph m. p.

Auersperg m. p.

Glaser m. p.

(400) Strafproceß-Ordnung.

1. Hauptstück.

Allgemeine Bestimmungen.

§. 1. Eine Bestrafung wegen der den Gerichten zur Aburtheilung zugewiesenen Handlungen kann nur nach vorgängigem Strafverfahren in Gemäßheit der Strafproceßordnung und in Folge eines von dem zuständigen Richter gefällten Urtheiles erfolgen.

§. 2. Die gerichtliche Verfolgung der strafbaren Handlungen tritt nur auf Antrag eines Anklägers ein.

Wegen Handlungen, die nach den Strafgesetzen nur auf Begehren eines Betheiligten verfolgt werden können, kommt diesem die Anstellung der Privatanklage zu.

Alle anderen strafbaren Handlungen sind Gegenstand der öffentlichen Anklage, deren Erhebung zunächst der Staatsanwaltschaft zukommt, statt derselben aber nach Maßgabe dieser Strafproceßordnung von dem Privatbetheiligten übernommen werden kann. (§. 48.)

Die öffentliche Anklage erlischt, sobald der Kaiser anordnet, daß wegen einer strafbaren Handlung ein strafgerichtliches Verfahren nicht eingeleitet oder das eingeleitete wieder eingestellt werden soll.

§. 3. Alle in dem Strafverfahren thätigen Behörden haben die zur Belastung und die zur Vertheidigung des Beschuldigten dienenden Umstände mit gleicher Sorgfalt zu berücksichtigen, und sie sind verpflichtet, den Beschuldigten auch, wo es nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist, über seine Rechte zu belehren.

§. 4. Privatrechtliche Ansprüche aus strafbaren Handlungen sind auf Antrag des Beschädigten im Strafverfahren mit zu erledigen, wenn nicht die Nothwendigkeit weiterer Ausführung eine Verweisung derselben vor die Civilgerichte als unerläßlich erscheinen läßt.

§. 5. Die strafgerichtliche Untersuchung und Beurtheilung erstreckt sich auch auf die privatrechtlichen Vorfragen.

An das über eine solche ergangene Erkenntniß des Civilrichters ist der Strafrichter, soweit es sich um die Beurtheilung der Strafbarkeit des Beschuldigten handelt, nicht gebunden.

Nur wenn die Vorfrage die Giltigkeit einer Ehe betrifft, ist das Erkenntniß des hiefür zuständigen Civilrichters der strafgerichtlichen Entscheidung zu Grunde zu legen. Ist ein solches Erkenntniß noch nicht ergangen, die Verhandlung aber bereits anhängig, oder hat der Strafrichter selbst eine solche veranlaßt, weil sich Thatsachen ergaben, welche ein von Amtswegen zu berücksichtigendes Ehehinderniß begründen: so ist die Entscheidung des zuständigen Civilrichters abzuwarten und nöthigenfalls auf deren Beschleunigung zu dringen.

§. 6. Die in diesem Gesetze anberaumten Fristen können, wenn das Gegentheil nicht ausdrücklich verfügt ist, nicht verlängert werden. Wenn dieselben von einem bestimmten Tage an zu laufen haben, sind sie so zu berechnen, daß dieser Tag nicht mit mitgezählt wird. Sonn- und Feiertage, sowie diejenigen Tage, während welcher eine für das Gericht bestimmte Schrift sich auf dem Wege befand, werden eingerechnet.

§. 7. Die in diesem Gesetze ausgesprochenen Geldstrafen, welche von dem Straffälligen nicht eingebracht werden können, sind in Arreststrafen von je einem Tag für fünf Gulden umzuwandeln. Nach demselben Maßstabe sind Geldstrafen auf Ansuchen des Straffälligen in

(401) Arrest umzuwandeln, wenn dieselben seinen Vermögensumständen oder seinem Unterhaltserwerbe zum empfindlichen Abbruche gereichen würden. Alle Geldstrafen sind zur Unterstützung dürftiger Gefangener bei ihrer Entlassung aus der Haft, insbesondere zum Zwecke ihrer Unterbringung in einem ehrlichen Erwerbe, zu verwenden. Die Regelung dieser Verwendung erfolgt auf dem Verordnungswege.

II. Hauptstück.

Von den Gerichten.

§. 8. zur Gerichtsbarkeit in Strafsachen sind berufen:

1. die Bezirksgerichte,

2. die Gerichtshöfe erster Instanz,

3. die Geschwornengerichte,

4. die Gerichtshöfe zweiter Instanz,

5. der oberste Gerichtshof als Cassationshof.

Die Gerichtsbarkeit eines jeden Strafgerichtes erstreckt sich auf dessen ganzen Bezirk und umfaßt alle darin befindlichen Personen, hinsichtlich welcher nicht in dem gegenwärtigen Gesetze eine Ausnahme ausdrücklich angeordnet ist. Jedermann ist schuldig, auf die an ihn ergangene Vorforderung vor dem Strafgerichte zu erscheinen, demselben Rede und Antwort zu geben und seinen Verfügungen zu gehorchen.

I. Bezirksgerichte.

§. 9. Den Bezirksgerichten als Einzelgerichten liegt ob:

1. das Strafverfahren rücksichtlich der ihnen durch das Einführungsgesetz zur Aburtheilung zugewiesenen Uebertretungen;

2. die Mitwirkung bei Vorerhebungen und Voruntersuchungen wegen Verbrechen und Vergehen in Gemäßheit dieser Strafproceßordnung.

Sind in derselben Stadt mehrere Bezirksgerichte aufgestellt, so wird die Gerichtsbarkeit in Strafsachen ausschließlich von demjenigen oder denjenigen derselben ausgeübt, welche durch besondere Verordnungen hiezu bestimmt werden.

II. Gerichtshöfe erster Instanz.

§. 10. Die Gerichtshöfe erster Instanz üben ihre Gerichtsbarkeit aus:

1. als Untersuchungsgerichte (§. 11);

2. als Rathskammern über Vorerhebungen und Voruntersuchungen (§. 12);

3. als Erkenntnißgerichte (§. 13, Z. 1);

4. als Berufungsgerichte in Uebertretungsfällen (§. 13, Z. 2).

§. 11. Bei jedem Gerichtshofe erster Instanz werden ein oder mehrer Mitglieder desselben als Untersuchungsrichter bestellt.

Dem Untersuchungsrichter liegt die Voruntersuchung wegen aller Verbrechen und Vergehen ob.

§. 12. Eine Abtheilung des Gerichtshofes erster Instanz führt als Rathskammer die Aufsicht über alle nach Maßgabe des §. 9, Z. 2, und des §. 11 in seinem Sprengel fallenden Voruntersuchungen und Vorerhebungen und nimmt auf dieselben den in dieser Strafproceßordnung ihr zugewiesenen Einfluß.

Die Rathskammer kann in einzelnen Fällen nach Anhörung des Anklägers die dem Untersuchungsrichter zukommende Vornahme von Vorerhebungen oder die Voruntersuchung

(402) wegen Verbrechen und Vergehen, und zwar ganz oder theilweise, an ein im Sprengel des Gerichtshofes gelegenes Bezirksgericht übertragen. Sie kann jedoch diese Geschäfte jederzeit wieder an sich ziehen und ist dazu verpflichtet, sobald es den Anklägern oder der Beschuldigte beantragt.

Die Rathskammer faßt ihre Beschlüsse in Versammlungen von drei Richtern.

§. 13. Den Gerichtshöfen erster Instanz liegt ob:

1. die Hauptverhandlung in Entscheidung hinsichtlich aller nicht vor die Geschwornengerichte gehörige Verbrechen und Vergehen;

2. die Verhandlung und Entscheidung über Rechtsmittel, welche gegen die Erkenntnisse und Verfügungen der Bezirksgerichte in Uebertretungsfällen ergriffen werden.

In beiden Fällen (1 und 2) üben sie ihre Thätigkeit in Versammlungen von vier Richtern.

In allen Fällen, wo nach dieser Strafproceßordnung vom Gerichtshofe erster Instanz im Verfahren wegen eines Verbrechens oder Vergehens außerhalb der Hauptverhandlung ein Beschluß zu fassen ist, erfolgt derselbe, soweit nicht etwas Anderes ausdrücklich vorgeschrieben ist, in einer Versammlung von drei Richtern.

III. Geschwornengerichte.

§. 14. Den nach Vorschrift des XIX. Hauptstückes zusammenzusetzenden Geschwornengerichten kommt die Hauptverhandlung und Entscheidung über die durch das Einführungsgesetz ihnen zugewiesenen Verbrechen und Vergehen zu.

IV. Gerichtshöfe zweiter Instanz.

§. 15. Die Gerichtshöfe zweiter Instanz entscheiden über Beschwerden gegen Beschlüsse der Rathskammer (§. 114), über Einsprüche gegen die Versetzung in den Anklagestand und über die nach Maßgabe der §§. 283 und 345 zulässigen Berufungen; sie haben ferner die Aufsicht über die Wirksamkeit der Strafgerichte ihres Sprengels zu führen und über die Beschwerden gegen dieselben zu entscheiden, soweit nicht der Rechtszug ausdrücklich untersagt oder anders geordnet ist. Die Gerichtshöfe zweiter Instanz fassen ihre Beschlüsse in Versammlungen von fünf Richtern.

V. Oberster Gerichtshof als Cassationshof.

§. 16. Der oberste Gerichtshof hat als Cassationshof über alle in dieser Strafproceßordnung für zufällig erklärten Nichtigkeitsbeschwerden zu entscheiden.

Er faßt seine Beschlüsse in Versammlungen von sieben Richtern.

VI. Zusammensetzung und Abstimmung der Richtercollegien.

§. 17. Bei Entscheidungen in Strafsachen darf die Zahl der Stimmführer der Richtercollegien mit Einschluß des Vorsitzenden weder größer noch kleiner sein, als sie in den §§. 12. bis 16 festgesetzt ist.

§. 18. Diejenigen Abtheilungen (Senate) der Gerichtshöfe, welche zu den in den §§. 12, 13 (Z. 1 und 2) und 15 bezeichneten Verhandlungen und Entscheidungen in Strafsachen bestimmt sind, müssen von den Vorstehern dieser Gerichte am Anfange eines jeden Jahres für die Dauer desselben bleibend zusammengesetzt werden, wobei zugleich für jede dieser Gerichtsabtheilungen die Ersatzmänner sowohl für die Vorsitzenden, als für die Mitglieder und die Reihe ihres Eintrittes bleibend zu bestimmen sind. Ist durch Veränderungen in dem Personalstande eines Gerichtshofes der Bestand einer oder mehrer dieser (ständigen) Gerichtsabtheilungen unmöglich geworden, so ist dem Gerichtsvorsteher gestattet, die unerläßlichen

(403) Veränderungen in der Zusammensetzung dieser Abtheilungen für den Rest des Jahres vorzunehmen.

§. 19. Bei allen Richtercollegien geht der Abstimmung eine Berathung voraus. Der Berichterstatter, wenn ein solcher nach dem Gesetze bestellt ist, gibt seine Stimme zuerst, der Vorsitzende, welcher sich an der Abstimmung gleich jedem anderen Richter zu betheiligen hat, gibt die seine zuletzt ab. Außerdem stimmen die dem Dienstrange nach älteren Richter vor den jüngeren.

§. 20. Wo das Gesetz nicht etwas Anderes ausdrücklich anordnet, wird zu jedem Beschlusse absolute Stimmenmehrheit, d. i. mehr als die Hälfte sämmtlicher Stimmen erfordert.

Theilen sich die Stimmen im mehr als zwei verschiedene Meinungen, so daß keine dieser Meinungen die erforderliche Mehrheit für sich hat, so versucht der Vorsitzende, ob sich durch Theilung der Fragen und Wiederholung der Umfrage, eine absolute Mehrheit erzielen lasse. Bleibt dieser Versuch erfolglos, so werden die dem Beschuldigten nachtheiligsten Stimmen den zunächst minder nachtheiligen solange zugezählt, bis sich eine absolute Stimmenmehrheit ergibt.

Bei Stimmengleichheit ist der Beschluß in jedem Falle nach der dem Angeklagten günstigeren Meinung zu fallen.

Entsteht eine Verschiedenheit der Ansichten darüber, welche von zwei Meinungen für den Beschuldigten minder nachtheilig sei, so ist darüber, als über eine Vorfrage, besonders abzustimmen. Sind bei dieser Abstimmung die Meinungen gleich getheilt, so gibt für die Vorfrage die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

§. 21. Ueber die Zuständigkeit des Gerichtes, über die Nothwendigkeit von Ergänzungen des Verfahrens und andere Vorfragen muß immer zuerst abgestimmt werden. Entscheidet sich die Mehrheit der Stimmen dahin, daß ungeachtet der über die Vorfrage erhobenen Zweifel zur Hauptentscheidung zu schreiten sei, so sind auch die in der Minderheit gebliebenen Richter verpflichtet, über die Hauptsache mit abzustimmen.

§. 22. Bei der Entscheidung der Hauptsache ist die Frage, ob der Angeklagte der ihm zur Last gelegten Handlung schuldig sei, immer von der Frage über die Strafe zu sondern und vor dieser Frage zur Abstimmung zu bringen. Liegen dem Angeklagten mehrere strafbare Handlungen zur Last, so muß rücksichtlich jeder einzelnen That ein eigener Beschluß über die Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten gefaßt werden. Die Berathschlagung über die Strafe hat sich auf jene strafbaren Handlungen zu beschränken, deren der Angeklagte für schuldig erklärt worden ist. Hiebei steht es den Richtern, welche den Angeklagten wegen einer ihm zur Last gelegten strafbaren Handlung nicht schuldig gefunden haben, frei, auf Grund des über die Schuldfrage gefaßten Beschlusses ihre Stimme über die Strafe abzugeben oder sich der Abstimmung zu enthalten. In letzterem Falle sind ihre Stimmen so zu zählen, als ob sie der für den Angeklagten günstigeren unter den von den übrigen Stimmführern ausgesprochenen Meinungen beigetreten wären.

VII. Nebenpersonen bei den Gerichten.

§. 23. Jeder Gerichtssitzung muß ein Schriftführer beiwohnen und das Protokoll darüber aufnehmen. Sowohl diese Schriftführer, als die zur Führung der Protokolle bei Vorerhebungen und Voruntersuchungen wegen Verbrechen und Vergehen zu verwendenden Personen müssen zur Führung der Protokolle beeidigt sein.

VIII. Verhältniß der Strafgerichte zu anderen Behörden.

§. 24. Die Sicherheitsbehörden, unter welchen auch die Gemeindevorsteher begriffen sind, haben allen Verbrechen und Vergehen, soferne sie nicht blos auf Begehren eines Betheiligten

(404) untersucht werden, nachzuforschen, und wenn das unverzügliche Einschreiten des Untersuchungsrichters nicht erwirkt werden kann, die keinen Aufschub gestattenden vorbereitenden Anordnungen zu treffen, welche zur Aufklärung der Sache dienen, oder die Beseitigung der Spuren der strafbaren Handlung oder die Flucht des Thäters verhüten können. Hausdurchsuchungen und die vorläufige Verwahrung von Personen dürfen die Sicherheitsbehörden und deren Organe zum Zwecke der Strafgerichtspflege nur in den in dieser Strafproceßordnung vorgesehenen Fällen unaufgefordert vornehmen, und sie haben von ihrem Einschreiten und dessen Ergebnisse dem zuständigen Staatsanwalte oder Untersuchungsrichter sogleich Mittheilung zu machen.

§. 25. Es ist den Sicherheitsorganen, sowie allen öffentlichen Beamten und Dienern bei strengster Ahndung untersagt, auf die Gewinnung von Verdachtsgründen oder auf die Ueberführung eines Verdächtigen dadurch hinzuwirken, daß derselbe zur Unternehmung, Fortsetzung oder Vollendung einer strafbaren Handlung verleitet oder durch insgeheim bestellte Personen zu Geständnissen, welche sodann dem Gerichte hinterbracht werden sollen, verlockt wird.

§. 26. Die Strafgerichte sind in Allem, was zu ihrem Verfahren gehört, berechtigt, mit allen Staats-, Landes- und Gemeindebehörden der im Reichsrathe vertretenen Länder unmittelbares Vernehmen durch Ersuchschreiben zu pflegen. Alle Staats-, Landes- und Gemeindebehörden sind verbunden, den Strafgerichten hilfreiche Hand zu bieten und den an sie gelangten Ersuchen derselben mit möglichster Beschleunigung zu entsprechen, oder den Strafgerichten die entgegenstehenden Hindernisse sogleich anzuzeigen. Auch mit den kön. ungarischen Behörden, sowie mit denen fremder Staaten können die Strafgerichte in unmittelbaren Verkehr treten, soferne darüber nicht durch besondere Vorschriften etwa Anderes festgesetzt ist.

§. 27. Bemerkt ein Strafgericht eine Nachlässigkeit oder Verzögerung in Erfüllung eines von ihm an eine andere Behörde gerichteten Ersuchens, so hat es diesen Umstand entweder zur Kenntniß der der letzteren zunächst vorgesetzten Behörde zu bringen oder dem Gerichtshofe zweiter Instanz, zu dessen Sprengel es gehört, die Anzeige zu erstatten, damit im geeigneten Wege Abhilfe verschafft werde. Sollte das Strafgericht diese Pflicht außer Acht lassen, so kann ihm die Saumseligkeit einer anderen Behörde zu keiner Entschuldigung dienen.

Vorstehende Vorschrift findet insbesondere auch dann Anwendung, wenn die Staatsanwaltschaft in jenen Fällen, wo sie nach dem Gesetze verpflichtet ist, innerhalb einer bestimmten Frist eine Erklärung oder einen Antrag einzubringen, dieser Pflicht nicht pünktlich nachkommt.

§. 28. Die Strafgerichte sind befugt, erforderlichen Falles die bewaffnete Macht unmittelbar, ohne Dazwischenkunft einer anderen Behörde, zum Beistande aufzufordern.

III. Hauptstück.

Von der Staatsanwaltschaft.

§. 29. Bei jedem Gerichtshofe erster Instanz wird ein Staatsanwalt, bei jedem Gerichtshofe zweiter Instanz ein Oberstaatsanwalt und bei dem obersten Gerichtshofe als Cassationshofe ein Generalprocurator mit der erforderlichen Anzahl von Stellvertretern bestellt. Die Stellvertreter der Staatsanwälte und Oberstaatsanwälte, sowie des Generalprocurators sind, wo sie für die letzteren auftreten, zu allen Amtshandlungen derselben gesetzlich berechtigt.

(405) §. 30. Die Mitglieder der Staatsanwaltschaft haben in dem ihnen angewiesenen Wirkungskreise das Interesse des Staates zu wahren; sie sind in ihren Amtsverrichtungen unabhängig von den Gerichten, bei welchen sie bestellt sind.

Die Staatsanwälte bei den Gerichtshöfen erster Instanz sind den Oberstaatsanwälten bei den Gerichtshöfen zweiter Instanz und diese, sowie der Generalprocurator am Cassationshofe, dem Justizminister unmittelbar untergeordnet.

§. 31. Zu dem Geschäftskreise des Staatsanwaltes bei dem Gerichtshofe erster Instanz gehört die Betheiligung an allen dem letzteren zustehenden Vorerhebungen, Voruntersuchungen und Hauptverhandlungen wegen Verbrechen und Vergehen, sowie an den beim Gerichtshofe erster Instanz stattfindenden Berufungsverhandlungen über Entscheidungen der Bezirksgerichte und bei den im Sprengel des Gerichtshofes erster Instanz abzuhaltenden Sitzungen des Geschwornengerichtes. Er ist befugt, sich auch bei den vor die Bezirksgerichte gehörigen Verhandlungen persönlich oder durch einen Stellvertreter zu betheiligen.

Er hat über die erledigten, sowie über die noch anhängigen Strafsachen und den Stand der letzteren dem Oberstaatsanwalte monatlich Bericht zu erstatten.

An denselben hat er auch in zweifelhaften Fällen, wenn es sich um die Einleitung oder Einstellung einer Untersuchung oder auch nur um einzelne wichtige Untersuchungsschritte handelt, zu berichten und dessen Weisungen zu befolgen.

§. 32. Der Oberstaatsanwalt bei dem Gerichtshofe zweiter Instanz hat sein Amt bei den vor diesem Gerichte vorkommenden Verhandlungen auszuüben.

Außerdem steht ihm die Aufsicht über alle im Sprengel des letzteren bei den Gerichtshöfen erster Instanz und bei den Bezirksgerichten bestellten Organen der Staatsanwaltschaft zu. Er ist berechtigt, sich bei jeder zu deren Geschäftskreise gehörigen Strafsache persönlich oder durch einen Stellvertreter zu betheiligen.

§. 33. Die Verhandlungen vor dem Cassationshofe gehören in den Geschäftskreis des bei demselben angestellten Generalprocurators oder seiner Stellvertreter.

Der Generalprocurator am Cassationshofe kann von Amtswegen oder im Auftrage des Justizministers gegen Urtheile der Strafgerichte, welche auf einer Verletzung oder unrichtigen Anwendung des Gesetzes beruhen, sowie gegen jeden gesetzwidrigen Beschluß oder Vorgang eines Strafgerichtes, welcher zu seiner Kenntniß gelang, eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, und zwar auch dann noch erheben, wenn der Angeklagte oder der Ankläger in der gesetzlichen Frist von dem Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde keinen Gebrauch gemacht hat. Den Staatsanwälten liegt ob, diejenigen Fälle, welche sie zu einer solchen Nichtigkeitsbeschwerde für geeignet halten, den Oberstaatsanwälten vorzulegen, welche zu beurtheilen haben, ob dieselben dem Generalprocurator am Cassationshofe anzuzeigen seien.

§. 34. Die Staatsanwälte haben alle strafbaren Handlungen, welche zu ihrer Kenntniß kommen und nicht blos auf Begehren eines Betheiligten zu untersuchen und zu bestrafen sind, von Amtswegen zu verfolgen und daher wegen deren Untersuchung und Bestrafung durch das zuständige Gericht das Erforderliche zu veranlassen.

Sie haben darauf zu sehen, daß alle zur Erforschung der Wahrheit dienlichen Mittel gehörig benützt werden. Sie sind befugt, jederzeit von dem Stande der anhängigen Untersuchungen durch Einsicht der Acten Kenntniß zu nehmen oder deren Mittheilung zu verlangen und die geeigneten Anträge zu stellen, ohne daß jedoch das Strafverfahren dadurch aufgehalten werden darf. Nehmen sie Unregelmäßigkeiten oder Verzögerungen wahr, so haben sie auf gesetzliche Weise deren Abstellung zu veranlassen.

Auf den Strafvollzug nehmen die Staatsanwälte den in dieser Strafproceßordnung ihnen zugewiesenen Einfluß.

(406) §. 35. Die Staatsanwälte stellen ihre Anträge mündlich oder schriftlich, und es muß über jeden derselben eine richterliche Verfügung oder Beschlußnahme erfolgen. In gleicher Weise geben sie über Anträge des Beschuldigten oder über Anfragen des Gerichtes Erklärungen ab.

Sie können der Berathung des Gerichtshofes beiwohnen, soferne dieselbe nicht eine Entscheidung, die in der Hauptverhandlung oder bei dem über eine Berufung oder Nichtigkeitsbeschwerde angeordneten Gerichtstage zu fällen ist, zum Gegenstande hat; sie haben jedoch kein Recht, bei der Abstimmung und Beschlußfassung anwesend zu sein.

§. 36. Die Staatsanwälte sind befugt, sich in unmittelbare Verbindung mit Sicherheits- oder anderen Staats-, Landes- oder Gemeindebehörden zu setzen und deren Unterstützung in Anspruch zu nehmen, sowie auch erforderlichen Falles die bewaffnete Macht, ohne Dazwischenkunft einer anderen Behörde, zum Beistande aufzufordern. Die Sicherheitsbehörden und deren untergeordnete Diener haben ihren Anordnungen Folge zu leisten.

§. 37. Der Generalprocurator am Cassationshofe und die Oberstaatsanwälte haben dem Justizminister nach Ablauf jedes Jahres über die im Laufe desselben erledigten und über die noch anhängigen Strafsachen, über den Zustand und Gang der Rechtspflege, sowie über die wahngenommenen Gebrechen der Gesetzgebung und des Geschäftsganges Bericht zu erstatten.

IV. Hauptstück.

Von dem Beschuldigten und seiner Vertheidigung.

§. 38. Derjenige, welchen der Verdacht einer strafbaren Handlung trifft, kann als Beschuldigter erst dann angesehen werden, wenn gegen ihn die Anklageschrift oder der Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung eingebracht wurde.

Als Angeklagter ist Derjenige anzusehen, gegen welchen eine Hauptverhandlung angeordnet worden ist.

Soweit indeß die den Beschuldigten betreffenden Vorschriften dieses Gesetzes nicht als ihrer Natur nach auf die Voruntersuchung beschränkt erscheinen, finden sie auch auf den Angeklagten und auf Denjenigen Anwendung, welcher als einer strafbaren Handlung verdächtig vernommen oder als solcher zur Vernehmung vorgeladen oder in Verwahrung oder Haft genommen wurde.

§. 39. Der Beschuldigte kann sich in allen Strafsachen eines Vertheidigers bedienen und dazu Jeden wählen, der in die Vertheidigerliste eines der im Reichsrathe vertretenen Länder eingetragen ist.

Für einen Minderjährigen oder Pflegebefohlenen kann der Vater, Vormund oder Curator, selbst wider den Willen desselben, einen Vertheidiger bestellen.

Jeder Gerichtshof zweiter Instanz hat für seinen Sprengel eine Vertheidigerliste anzulegen, mit Anfang eines jeden Jahres zu erneuern und allen Strafgerichten zuzustellen, bei welchen sie zu Jedermanns Einsicht offen zu halten ist. In diese Liste sind vorerst alle im Sprengel des Gerichtshofes zweiter Instanz die Advocatur wirklich ausübenden Advocaten aufzunehmen. Auf ihr Ansuchen sind aber auch für das Richteramt, die Advocatur oder das Notariat geprüfte Rechtsverständige, sowie alle Doctoren der Rechte, welche Mitglieder des Lehrkörpers einer rechts- oder staatswissenschaftlichen Facultät sind, aufzunehmen, soferne nicht Umstände vorliegen, welche nach dem Gesetze die Ausschließung von dem Richteramte, der Advocatur oder dem Notariate zur Folge haben. Wer sich durch die Ausschließung aus dieser Liste gekränkt erachtet, kann darüber bei dem Justizminister Beschwerde führen.

 

 

(407) Staatsbeamte können nur dann in die Vertheidigerliste aufgenommen werden, wenn sie

die Bewilligung ihrer vorgesetzten Dienstbehörde beibringen.

§. 40. Ausgeschlossen von der Vertheidigung bei der Hauptverhandlung sind Diejenigen, welche als Zeugen zu derselben vorgeladen wurden. Inwieferne in dem vorausgehenden Verfahren bestimmte Personen deßhalb von der Vertheidigung auszuschließen seien, weil sie als Zeugen vernommen wurden oder weil ihre Vorladung zur Hauptverhandlung beantragt ist, hat die Rathskammer zu beurtheilen.

Dem Beschuldigten ist auch gestattet, mehrere Vertheidiger beizuziehen; doch darf hiedurch eine Vermehrung der für den Angeklagten in der Hauptverhandlung gestatteten Vorträge nicht herbeigeführt werden.

§. 41. Bei der Mittheilung der Anklageschrift ist der Beschuldigte über sein Recht, sich eines Vertheidigers zu bedienen, zu belehren.

Für die Hauptverhandlung vor dem Geschwornengerichte ist dem Angeklagten ein Vertheidiger von Amtswegen zu bestellen, wenn er sich eines solchen nicht bedienen will.

Ist ein Beschuldigter nach seinen dem Gerichte bekannten Verhältnissen nicht im Stande, die Vertheidigungskosten aus Eigenem zu tragen, so ist ihm auf sein Verlangen zur Ausführung bestimmter, von ihm angemeldeter Rechtsmittel, zur Begründung des von ihm angemeldeten Einspruches gegen die Anklageschrift, sowie für die Hauptverhandlung vom Gerichte ein Armenvertreter beizugeben.

§. 42. In allen Fällen, in welchen von dem Gerichte ein Vertheidiger zu bestellen ist, hat es denselben soweit thunlich aus der Zahl der am Orte des Gerichtes wohnhaften Vertheidiger (§. 39) zu nehmen.

An Orten, wo sich ein Advocatenausschuß befindet, steht diesem die Benennung der aus dem Stande der Advocaten und Advocaturscandidaten zu bestellenden Vertheidiger zu.

Für mehrere gleichzeitig Beschuldigte kann ein gemeinschaftlicher Vertheidiger bestellt werden; doch ist auf Antrag eines der Beschuldigten oder des Vertheidigers und selbst von Amtswegen für die abgesonderte Vertretung derjenigen Beschuldigten Sorge zu tragen, bezüglich welcher sich ein Widerstreit der Interessen zeigt.

§. 43. Jeder in die Vertheidigerliste Eingetragene ist verpflichtet, in seinem Wohnorte die ihm übertragenen Vertheidigungen zu übernehmen, soferne er nicht für die Ablehnung Gründe geltend macht, über deren Erheblichkeit die Rathskammer entscheidet.

Die bei Gericht angestellten, zum Richteramte befähigten Beamten haben Vertheidigungen, welche ihnen der Gerichtsvorsteher in Ermanglung anderer Vertheidiger aufträgt, auch dann zu übernehmen, wenn sie nicht in die Vertheidigerliste eingetragen sind.

§. 44. Der einmal bestellte Vertheidiger bedarf zur Vornahme einzelner Proceßhandlungen keiner besonderen Vollmacht, selbst nicht zur Stellung des Antrages auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens.

Der Beschuldigte kann die Vertheidigung von dem durch ihn selbst gewählten Vertheidiger jederzeit auf einen Anderen übertragen. Auch der Auftrag des von Amtswegen bestellten Vertheidigers erlischt, sobald der Beschuldigte einen anderen Vertheidiger bestellt. Doch darf in solchen Fällen durch den Wechsel in der Person des Vertheidigers das Verfahren nicht aufgehalten werden.

§. 45. Auch während der Vorerhebungen und der Voruntersuchung kann der Beschuldigte sich eines Rechtsbeistandes aus der Zahl der Vertheidiger zur Wahrnehmung seiner Rechte bei jenen gerichtlichen Acten, welche unmittelbar die Feststellung des Thatbestandes betreffen und eine spätere Wiederholung nicht zulassen, sowie zur Ausführung bestimmter, von ihm angemeldeter Rechtsmittel bedienen, und sich, wenn er verhaftet ist, mit demselben

(408) im Beisein einer Gerichtsperson besprechen. Soferne es der Untersuchungsrichter und, im Falle der Beschwerde, die Rathskammer mit dem Zwecke des Verfahrens vereinbar findet, kann dem Rechtsbeistande auch die Einsichtnahme aller Acten oder eines Theiles derselben gestattet werden; jedenfalls aber ist demselben auf Verlangen vom Verhaftsbefehle und von dessen Gründen, sowie von jener gerichtlichen Verfügung, gegen welche der Beschuldigte ein Rechtsmittel angemeldet hat, Abschrift zu ertheilen.

Nach Mittheilung der Anklageschrift dagegen kann sich der Beschuldigte mit dem Vertheidiger ohne Beisein einer Gerichtsperson besprechen, und haben beide das Recht, die Acten, mit Ausnahme der Berathungsprotokolle des Gerichtshofes, unter Aufsicht einzusehen und von denselben Abschrift zu nehmen. Von den Augenscheinsprotokollen (!), den Gutachten der Sachverständigen und von Originalurkunden, welche den Gegenstand der strafbaren Handlung bilden, sind ihnen auf Verlangen unentgeltliche Abschriften zu ertheilen.

V. Hauptstück.

Von dem Privatankläger und dem Privatbetheiligten.

§. 46. Handelt es sich um ein Vergehen, das nach den Strafgesetzen nur auf Begehren eines in seinem Rechte Verletzten strafrechtlich verfolgt werden darf, so steht diesem das Befugniß zu, bei dem Strafgerichte als Privatankläger schriftlich oder mündlich das Begehren um strafrechtliche Verfolgung zu stellen.

Der Privatankläger ist berechtigt, während der Vorerhebungen und der Voruntersuchung dem Gerichte Alles an die Hand zu geben, was seine Anklage unterstützen kann, von den Acten Einsicht zu nehmen und zur Geltendmachung seiner Anklage alle Schritte bei Gericht einzuleiten, zu welchen sonst der Staatsanwalt berechtigt ist.

Hat der Privatankläger unterlassen, innerhalb der gesetzlichen Frist die Anklageschrift oder die sonst zur Aufrechthaltung der Anklage erforderlichen Anträge einzubringen, ist er bei der Hauptverhandlung nicht erschienen, oder hat er bei derselben unterlassen, die Schlußanträge zu stellen, so wird angenommen, daß er von der Verfolgung zurückgetreten sei.

Auf den Wunsch des Privatanklägers kann der Staatsanwalt dessen Vertretung übernehmen.

§. 47. Jeder durch ein Verbrechen oder durch ein von Amtswegen zu verfolgendes Vergehen in seinen Rechten Verletzte kann sich bis zum Beginne der Hauptverhandlung seiner privatrechtlichen Ansprüche wegen dem Strafverfahren anschließen und wird hiedurch Privatbetheiligter.

Dem Privatbetheiligten stehen folgende Rechte zu:

1. Er kann dem Staatsanwalte und dem Untersuchungsrichter Alles an die Hand geben, was zur Ueberweisung des Beschuldigten oder zur Begründung des Entschädigungsanspruches dienlich ist.

2. Er kann von den Acten, und zwar, falls nicht besondere Gründe entgegenstehen, schon während der Vorerhebungen und der Voruntersuchung Einsicht nehmen.

3. Zur Hauptverhandlung wird der Privatbetheiligte mit dem Beisatze geladen, daß im Falle seines Nichterscheinens die Verhandlung dennoch vor sich gehen werde, und daß seine Anträge aus den Acten vorgelesen werden würden. Er kann an den Angeklagten, an Zeugen und Sachverständige Fragen stellen oder, um andere Bemerkungen zu machen, schon während der Verhandlung das Wort erhalten. Am Schlusse der Verhandlung erhält er unmittelbar, nachdem der Staatsanwalt seinen Schlußantrag gestellt und begründet hat, das Wort, um seine Ansprüche auszuführen und zu begründen und diejenigen Anträge zu stellen, über die er im Haupterkenntnisse mitentschieden haben will.

(409) §. 48. Außerdem ist der Privatbetheiligte berechtigt, nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen statt des Staatsanwaltes die öffentliche Anklage zu erheben und durchzuführen:

1. Wenn der Staatsanwalt die Anzeige des Verletzten zurückweist und die gerichtliche Verfolgung, sei es sofort, sei es nach Vornahme von Vorerhebungen (§. 90) ablehnt, so hat er jenen davon zu verständigen.

Der Verletzte ist in diesem Falle, insoferne er sich dem Strafverfahren anzuschließen erklärt, berechtigt, den Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung bei der Rathskammer einzubringen, welche über diesen Antrag nach allenfalls gepflogenen Erhebungen Beschluß zu fassen hat.

2. Wenn der Staatsanwalt von der Verfolgung einer strafbaren Handlung zurücktritt, ehe der Beschuldigte wegen derselben rechtskräftig in Anklagestand gesetzt ist, so ist der Privatbetheiligte hievon in Kenntniß zu setzen, und ist berechtigt, binnen drei Tagen nach erfolgter Verständigung mündlich oder schriftlich beim Untersuchungsrichter die Erklärung abzugeben, daß er die Verfolgung aufrecht erhalte. Wenn der durch die strafbare Handlung Verletzte von dem Rücktritte des Staatsanwaltes nicht ämtlich (!) verständigt wurde, so kann er diese Erklärung binnen drei Monaten nach der Einstellung des Verfahrens abgeben.

In beiden Fällen ist die Erklärung, in welcher sowohl der Beschuldigte, als die ihm zur Last gelegte That genau bezeichnet sein muß, sammt allen Acten dem Gerichtshofe zweiter Instanz vorzulegen, welcher, soferne er nicht erachtet, daß kein Grund zur weiteren Verfolgung des Beschuldigten vorliege, die Einleitung oder Wiederaufnahme der Voruntersuchung verfügt. Ist der Beschuldigte über die gegen ihn erhobene Anschuldigung bereits vernommen worden, so kann der Gerichtshof zweiter Instanz auch auf Grund der Erklärung des Privatbetheiligten sofort die Versetzung in Anklagestand aussprechen.

3. Tritt der Staatsanwalt von der Anklage zu einer Zeit zurück, wo die Versetzung in Anklagestand bereits rechtskräftig ist, so ist dieß dem Privatbetheiligten mit der Eröffnung mitzutheilen, daß er berechtigt sei, die Anklage aufrecht zu erhalten, dieß jedoch binnen drei Tagen beim Gerichtshofe erster Instanz zu erklären habe. Auf eine später abgegebene Erklärung kann keine Rücksicht genommen werden.

§. 49. Auch wenn der Privatbetheiligte als Ankläger einschreitet, steht es dem Staatsanwalte frei, von dem Gange des Strafverfahrens Kenntniß zu nehmen und ist derselbe jederzeit berechtigt, die gerichtliche Verfolgung wieder zu übernehmen.

Im Uebrigen finden die den Privatankläger betreffenden Bestimmungen dieser Strafproceßordnung auf den statt des Staatsanwaltes die Anklage führenden Privatbetheiligten mit folgenden Einschränkungen Anwendung:

1. Es ist seinem Ermessen nicht anheimgestellt, ohne vorausgegangene Voruntersuchung die Anklageschrift einzubringen.

2. Gegen die Beschlüsse der Rathskammer steht ihm außer der Beschwerde gegen die Einstellung der Voruntersuchung kein Rechtsmittel offen.

3. Er ist nicht berechtigt, die Nichtigkeitsbeschwerde gegen Beschlüsse des Gerichtshofes zweiter Instanz oder gegen das in der Hauptverhandlung ergehende Urtheil zu ergreifen; die Berufung gegen das letztere steht ihm nur insoweit offen, als sie dem Privatbetheiligten überhaupt eingeräumt ist (§§. 283, 345, 465). Er ist nicht berechtigt, auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens anzutragen.

4. Die Versetzung des Beschuldigten auf freien Fuß soll wegen des nach §. 48, Z. 2. dem Privatbetheiligten zustehenden Rechtes nicht aufgehalten werden.

Im Falle des §. 48, Z. 3, hat die Rathskammer nach ihrem Ermessen zu entscheiden, ob die Entlassung des verhafteten Angeklagten aufzuschieben sei.

(410) §. 50. Der Privatankläger und der Privatbetheiligte, sowie deren gesetzliche Vertreter, können ihre Sache selbst oder durch einen Bevollmächtigten führen und sich eines Rechtsbeistandes aus der Zahl der in die Vertheidigerlisten Eingetragenen bedienen.

Das Gericht kann, wenn es ihm angemessen erscheint, dem vom Gerichtsorte abwesenden Privatankläger oder Privatbetheiligten die Namhaftmachung eines daselbst wohnhaften Bevollmächtigten auftragen und den einen wie den anderen anweisen, sich eines Rechtsbeistandes aus der Zahl der in die Vertheidigerliste Eingetragenen zu bedienen.

VI. Hauptstück.

Von der Zuständigkeit der Strafgerichte und von der Verbindung mehrerer Strafsachen.

I. Einzelne Gerichtsstände.

§. 51. Das Strafverfahren steht in der Regel demjenigen Gerichte zu, in dessen Sprengel die strafbare Handlung begangen wurde, und zwar auch dann, wenn der zum Thatbestande gehörige Erfolg an einem anderen Orte eingetreten ist.

Wurde die strafbare Handlung in mehreren Bezirken oder auf der Gränze zweier Gerichtsbezirke begangen, oder ist es ungewiß, in welchem von mehreren bestimmten Gerichtsbezirken sie begangen worden sei, so entscheidet unter den dadurch in Frage kommenden Gerichten das Zuvorkommen.

Dasjenige Gericht ist zuvorgekommen, welches zuerst eine Untersuchungshandlung vorgenommen hat.

Wird die Ungewißheit über den Ort der begangenen That noch vor der Versetzung in den Anklagestand behoben, so steht die Fortsetzung des Strafverfahrens dem Gerichte des Thatortes zu.

§. 52. Wird die Anzeige wegen einer strafbaren Handlung bei dem Gerichte gemacht, in dessen Sprengel der Beschuldigte seinen Wohnsitz oder Aufenthalt hat oder betreten wird, so ist dasselbe zuständig, soferne nicht das Gericht des Bezirkes der begangenen That bereits zuvorgekommen ist. Doch ist die Sache an dieses letztere Gericht abzugeben, wenn es der Staatsanwalt des einen oder des anderen Sprengels, der Privatankläger oder der Beschuldigte, und falls deren mehrere sind, wenn auch nur einer derselben es verlangt.

Wird das gegen einen verhafteten Beschuldigten wegen eines Verbrechens oder Vergehens eingeleitete Strafverfahren vor der Hauptverhandlung eingestellt, so ist hinsichtlich der ihm noch zur Last liegenden, vor das Bezirksgericht gehörigen strafbaren Handlungen jenes Bezirksgericht zuständig, in dessen Bezirke er sich in Haft befindet. Doch kann auch in diesem Falle sowohl der Ankläger, als auch der Beschuldigte die Abtretung an das Gericht des Thatortes verlangen.

§. 53. Demjenigen Strafgerichte, welches zuerst von einer in den im Reichsrathe vertretenen Ländern verübten strafbaren Handlung Kenntniß erlangt, steht das Verfahren wegen derselben solange zu, bis ein Umstand erhoben ist, welcher nach einer der Bestimmungen der §§. 51 und 52 die Zuständigkeit eines anderen Gerichtes begründet.

§. 54. Ist eine strafbare Handlung außerhalb der im Reichsrathe vertretenen Länder begangen worden, so ist dasjenige innerhalb derselben gelegene Gericht zuständig, in dessen Sprengel der Beschuldigte seinen Wohnsitz oder Aufenthalt hat, in Ermanglung eines solchen dasjenige, in dessen Sprengel er betreten wird.

Wird von einem auswärtigen Staate oder von einer Behörde der zur ungarischen Krone gehörigen Länder die Auslieferung eines Beschuldigten angeboten, oder soll die Auslieferung

(411) erst begehrt werden, und ist nicht bereits die Zuständigkeit eines hierländigen Gerichtes begründet, so wird dasjenige Gericht zuständig, welches der Cassationshof nach Anhörung des Generalprocurators hiefür bestimmt.

§. 55. Die Zuständigkeit eines Gerichtes über den Thäter begründet auch die Zuständigkeit über alle Mitschuldigen und Theilnehmer.

§. 56. Liegen demselben Beschuldigten mehrere strafbare Handlungen zur Last, oder haben sich an derselben strafbaren Handlung mehrere Personen betheiligt, oder hat eine dieser letzteren auch noch in Verbindung mit anderen Personen strafbare Handlungen begangen: so ist in der Regel das Strafverfahren gegen alle diese Personen und wegen aller dieser strafbaren Handlungen bei demselben Gerichte gleichzeitig zu führen und über alle zusammentreffenden Strafsachen ein Endurtheil zu fällen.

Zu diesem Verfahren ist dasjenige unter den dabei in Frage kommenden Gerichten, welches den anderen zuvorgekommen ist, zuständig. Gehört jedoch eine der zusammentreffenden Strafsachen vor das Geschwornengericht, so gibt sie für die Zuständigkeit den Ausschlag, wenngleich ein für eine andere Strafsache zuständiges Gericht zuvorgekommen wäre. Ebenso richtet sich die Zuständigkeit nach dem vor einen Gerichtshof gehörigen Verbrechen oder Vergehen, wenngleich ein Bezirksgericht rücksichtlich einer vor dasselbe gehörigen strafbaren Handlung zuvorgekommen wäre.

§. 57. Das nach §. 56 für mehrere zusammentreffende Strafsachen zuständige Gericht kann auf Antrag oder von Amtswegen verfügen, daß hinsichtlich einzelner strafbaren Handlungen oder einzelner Beschuldigten das Strafverfahren abgesondert zu führen und zum Abschlusse zu bringen sei, soferne dieß zur Vermeidung von Verzögerungen oder Erschwerungen des Verfahrens oder zur Kürzung der Haft eines Beschuldigten dienlich scheint.

In jedem solchen Falle ist der Ankläger verpflichtet, sogleich zu erklären, ob er sich hinsichtlich der übrigen gegen denselben Beschuldigten vorliegenden Anschuldigungspunkte die Verfolgung vorbehalte. Geschieht dieß, so ist das Verfahren hinsichtlich der letzteren ohne unnöthigen Aufschub fortzuführen und zum Abschlusse zu bringen; im entgegengesetzten Falle kann eine Verfolgung wegen derselben nur unter jenen Bedingungen stattfinden, unter welchen die Wiederaufnahme eines vor der Hauptverhandlung eingestellten Strafprocesses zulässig erscheint.

Läßt diese Erklärung eine strafbare Handlung, welche Gegenstand gerichtlicher Vorerhebungen oder einer Voruntersuchung war, unberührt, so kann der Beschuldigte verlangen, daß der Ankläger sich auch darüber erkläre, widrigens anzunehmen wäre, daß er auf die Verfolgung verzichtet habe.

Handelt es sich um Vergehen oder Uebertretungen, die nicht blos auf Begehren eines Betheiligten verfolgt werden, so ist jedenfalls auch dem Staatsanwalte eine Erklärung abzufordern.

§. 58. Ist die Verfügung getroffen, daß eine der zusammengehörigen Strafsachen abgesondert zur Hauptverhandlung gebracht, oder daß rücksichtlich eines der Beschuldigten die Voruntersuchung abgesondert geführt werde, so kann die ausgeschiedene Strafsache an dasjenige Gericht abgegeben werden, welches für dieselbe, abgesehen von dem Zusammentreffen mit anderen Strafsachen, zuständig wäre.

§. 59. Wenn ein Beschuldigter an eine königlich ungarische oder an eine ausländische Behörde auszuliefern ist, so steht die Beurtheilung und die Verhandlung mit jener Behörde demjenigen Gerichtshofe erster Instanz zu, in dessen Bezirk der Auszuliefernde seinen Wohnsitz oder Aufenthaltsort hat, und in Ermanglung eines solchen demjenigen, in dessen Bezirke er betreten wird. Auf ein solches Verlangen der Auslieferung oder auf erlassene Steckbriefe ist

(412) zwar gegen die Entweichung des Beschuldigten die nöthige Vorkehrung zu treffen; auf seine Auslieferung aber hat die Rathskammer nach Vernehmung des Staatsanwaltes nur dann bei dem Gerichtshofe zweiter Instanz anzutragen, wenn von der die Auslieferung verlangenden Behörde sogleich oder in einem angemessenen Zeitraume solche Beweise oder Verdachtsgründe beigebracht werden, worüber sich der Beschuldigte bei seiner Vernehmung nicht auf der Stelle auszuweisen vermag. Der Gerichtshof zweiter Instanz hat seinen, nach Anhörung des Oberstaatsanwaltes gefaßten Beschluß jederzeit vorläufig dem Justizminister zur Genehmigung vorzulegen.

II. Besondere Gerichtsstände.

§. 60. Das Strafverfahren gegen Personen, die nach dem Gesetze in Straffällen der Militärgerichtsbarkeit unterstehen, bleibt auch fernerhin den Militärgerichten vorbehalten. Die Erhebung des Thatbestandes rücksichtlich solcher strafbarer Handlungen, welche nach den allgemeinen Strafgesetzen zu beurtheilen sind, steht jedoch den Militärgerichten nur dann zu, wenn der Beschuldigte offenbar der Militärgerichtsbarkeit untersteht. Ergibt sich dieß erst im Laufe einer vor dem Zivilstrafgerichte geführten Untersuchung, so ist die Verhandlung von dem Zivilstrafgerichte abzubrechen und dem Militärgerichte zu übergeben.

§. 61. Die am österreichisch-ungarischen Hofe beglaubigten auswärtigen Gesandten und das eigentliche Gesandtschaftspersonale derselben stehen nicht unter der Gerichtsbarkeit der Landesbehörden. Auch die Haus- und Dienstleute dieser Gesandten und der in Oesterreich sich aufhaltenden fremden Souveräne, welche zugleich Unterthanen des Staates sind, welchem der Souverän oder Gesandte angehört, unterstehen den österreichischen Gerichten nicht. Hätte daher mit solchen Personen eine Amtshandlung wegen einer strafbaren Handlung einzutreten, so hat die Behörde sich zwar nach Umständen der Person des Beschuldigten zu versichern, jedoch sogleich die Anzeige davon an das Obersthofmarschallamt zur weiteren Eröffnung an den Souverän oder Gesandten wegen Uebernahme des Beschuldigten zu machen.

III. Befugniß zur Delegirung.

§. 62. Die Gerichtshöfe zweiter Instanz sind berechtigt, nach Anhörung des Oberstaatsanwaltes aus Rücksichten der öffentlichen Sicherheit, oder aus anderen wichtigen Gründen ausnahmsweise dem zuständigen Gerichte Strafsachen abzunehmen und sie einem anderen Gerichte derselben Art in ihrem Sprengel zuzuweisen.

§. 63. Dasselbe Recht hat auch der Cassationshof für den ganzen Umfang der im Reichsrathe vertretenen Länder.

Gegen die in Gemäßheit des §. 62 vom Gerichtshofe zweiter Instanz verfügte Delegirung eines anderen Gerichtes kann sowohl der Ankläger, als der Beschuldigte beim Cassationshofe Beschwerde führen. Dieselbe ist binnen drei Tagen nach der Eröffnung des Beschlusses bei dem eröffnenden Gerichte anzubringen.

IV. Streitigkeiten über die Zuständigkeit von Gerichten.

§. 64. Ist die Zuständigkeit zwischen Bezirksgerichten streitig, welche unter demselben Gerichtshofe erster Instanz stehen, so entscheidet die Rathskammer des letzteren. Können sich zwei Gerichtshöfe erster Instanz über ihre Zuständigkeit, oder über die zweier ihnen unterstehenden Gerichte nicht einigen, so entscheidet der Gerichtshof zweiter Instanz. Ist die Zuständigkeit zwischen Gerichten, welche nicht unter demselben Gerichtshofe zweiter Instanz stehen, oder zwischen zwei Gerichtshöfen zweiter Instanz streitig, so entscheidet der Cassationshof. Entscheidungen dieser Art können nur nach Anhörung der Staatsanwaltschaft erfolgen, und es findet gegen dieselben kein abgesondertes Rechtsmittel statt.

(413) In der Zwischenzeit hat jedes der streitenden Gerichte die zur Einleitung der Untersuchung und Herstellung des Thatbestandes in seinem Bezirke nöthigen Handlungen, und insbesondere alle jene Untersuchungsschritte vorzunehmen, bei welchen Gefahr auf dem Verzuge haftet.

V. Amtshandlungen nicht zuständiger Gerichte.

§. 65. Alle, auch die nicht zuständigen Strafgerichte, in deren Bezirk sich Spuren eines Verbrechens oder Vergehens finden, sind, wenn Gefahr auf dem Verzuge haftet, berechtigt und verpflichtet, jene Handlungen vorzunehmen, die zur Erhebung des Thatbestandes oder zur Festhaltung eines Beschuldigten dienen können. Sie müssen jedoch die zuständigen Gerichte oder Staatsanwälte davon alsbald in Kenntniß setzen und denselben die von ihnen aufgenommenen Verhandlungen übersenden.

§. 66. Untersuchungshandlungen, welche ein nicht zuständiges Strafgericht außer dem Falle des vorhergehenden Paragraphen vorgenommen, sind deßhalb allein noch nicht ungiltig, soferne sie sich nur auf die Voruntersuchung beziehen; doch liegt dem zuständigen Gerichte ob, zu beurtheilen, inwieferne eine Wiederholung oder Ergänzung dieser Handlung einzuleiten sei.

VII. Hauptstück.

Von der Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen und Staatsanwälten.

I. Ausschließung der Gerichtspersonen.

§. 67. Jeder Richter und Protokollführer ist von der Vornahme gerichtlicher Handlungen im Strafverfahren ausgeschlossen, wenn er selbst der durch die strafbare That Verletzte, oder wenn die beschuldigte oder verletzte Person mit ihm durch das Band der Ehe verbunden, oder wenn der Beschuldigte, der Verletzte, der Staatsanwalt, der Privatankläger oder der Vertheidiger mit ihm in auf- oder absteigender Linie verwandt oder verschwägert, sein Geschwisterkind, oder noch näher mit ihm verwandt, oder in gleichem Grade verschwägert ist, oder zu ihm in dem Verhältnisse von Wahl- oder Pflege-Eltern oder -Kindern, eines Vormundes oder eines Mündels steht.

§. 68. Ausgeschlossen von der Wirksamkeit als Richter oder Protokollführer in allen Instanzen ist ferner Derjenige, welcher

1. außerhalb seiner Dienstverrichtungen Zeuge der in Frage stehenden Handlung gewesen oder in der Sache als Zeuge oder Sachverständiger vernommen worden ist;

2. welcher in dieser Sache als Vertheidiger, als Vertreter des Privatanklägers oder Privatbetheiligter, oder als Staatsanwalt mitgewirkt hat.

Von der Mitwirkung und Entscheidung bei der Hauptverhandlung ist Derjenige ausgeschlossen, welcher in derselben Sache als Untersuchungsrichter thätig gewesen ist, oder an der Entscheidung über den Einspruch gegen die Versetzung in den Anklagestand (§§. 211 bis 214) theilgenommen hat. Muß eine Hauptverhandlung in Folge einer Berufung oder Nichtigkeitsbeschwerde wiederholt werden, so sind von der neuen Hauptverhandlung jene Richter ausgeschlossen, welche an der ersten theilgenommen haben.

§. 69. Mitglieder von Gerichten höherer Instanzen sind insbesondere auch ausgeschlossen:

1. von der Verhandlung über alle Strafsachen, bei welchen sie als Untersuchungsrichter thätig waren;

(414) 2. von der Verhandlung über Rechtsmittel gegen alle diejenigen Entscheidungen, bei welchen sie selbst in einer unteren Instanz an der Abstimmung theilgenommen haben;

3. von der Führung des Referates und von dem Vorsitze bei einer Verhandlung in Strafsachen, in denen als Untersuchungsrichter oder Referent bei einem untergeordneten Gerichte eine Person thätig war, welche mit ihnen in einem er im §. 67 bezeichneten Verhältnisse steht.

§. 70. Der Richter ist schuldig, das Verhältniß, welches den Grund seiner Ausschließung bildet, unverzüglich dem Vorsteher des Gerichtes, dessen Mitglied er ist, anzuzeigen. Der ausgeschlossene Vorsteher eines Bezirksgerichtes hat die Anzeige an den Vorsteher des Gerichtshofes erster Instanz zu machen.

Der Protokollführer hat diese Anzeige dem Richter zu machen, bei welchem er das Protokoll führen soll.

§. 71. Jede Gerichtsperson hat sich von dem Zeitpunkte, in welchem ihr ein Ausschließungsgrund bekannt geworden, aller gerichtlichen Handlungen bei sonstiger Nichtigkeit dieser Acte zu enthalten. Nur wenn Gefahr auf dem Verzuge haftet, und die Bestellung eines anderen Richters oder Protokollführers nicht sogleich bewirkt werden kann, hat eine solche Gerichtsperson die dringend nöthigen gerichtlichen Handlungen selbst vorzunehmen, ausgenommen, wenn gegen die Ehegattin des Richters oder gegen Personen, welche mit ihm verwandt oder verschwägert sind (§. 67), einzuschreiten wäre, in welchem Falle unverzüglich die Amtshandlung an den nächsten Richter abzutreten ist.

II. Ablehnung der Gerichtspersonen.

§. 72. Der Staatsanwalt, der Privatbetheiligte, der Privatankläger und der Beschuldigte können Mitglieder des Gerichtes und Protokollführer ablehnen, wenn sie außer den in den §§. 67- 69 bezeichneten Fällen andere Gründe anzugeben und darzuthun vermögen, welche geeignet sind, die volle Unbefangenheit des Abzulehnenden in Zweifel zu setzen.

§. 73. Das Gesuch, womit ein Betheiligter die Ablehnung eines Richters geltend machen will, ist jederzeit bei dem Gerichte, welchem der Abgelehnte angehört, und zwar, wenn es sich um die Ablehnung eines Mitgliedes des erkennenden Gerichtes handelt, längstens binnen vierundzwanzig Stunden vor Beginn der Verhandlung, und wenn es sich um die Ablehnung eines ganzen Gerichtshofes handelt, längstens binnen drei Tagen nach der Vorladung zu der Verhandlung zu überreichen oder zu Protokoll zu geben. In diesem Gesuche müssen die Gründe der Ablehnung genau angegeben und soviel als möglich bescheinigt sein.

§. 74. Ueber die Zulässigkeit der Ablehnung einer Gerichtsperson entscheidet in der Regel der Vorsteher des Gerichtes, zu welchem sie gehört.

Wird ein Bezirksrichter abgelehnt, so entscheidet die Rathskammer des Gerichtshofes erster Instanz; wenn ein ganzes Gericht erster Instanz oder dessen Vorsteher abgelehnt wird, so entscheidet der Gerichtshof zweiter Instanz, und wenn ein Gerichtshof zweiter Instanz oder dessen Präsident abgelehnt wird, so entscheidet der Cassationshof.

Gegen diese Entscheidungen findet kein Rechtsmittel statt. Der Vorsteher, beziehungsweise der Gerichtshof, welcher über die Ablehnung entscheidet, hat zugleich, falls derselben stattgegeben wird, denjenigen Richter oder das Gericht zu bezeichnen, welchem die Sache zu übertragen ist.

III. Ausschließung von Staatsanwälten.

§. 75. von dem Einschreiten in Strafsachen sind diejenigen Mitglieder der Staatsanwaltschaft ausgeschlossen, mit welchen der Beschuldigte oder dessen Vertheidiger, oder der

(415) durch das Verbrechen oder Vergehen Verletzte, oder der Privatankläger in einem der im §. 67 erwähnten Verhältnisse steht; ferner Diejenigen, welche in der Sache als Zeugen oder Sachverständige vernommen worden, oder als Vertheidiger, als Vertreter des Privatanklägers oder Privatbetheiligten, oder als Richter thätig gewesen sind.

§. 76. Jedes Mitglied der Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, sich von dem Zeitpunkte, in welchem ihm ein Ausschließungsgrund bekannt geworden, des Einschreitens in der Sache, für die er als ausgeschlossen erscheint, zu enthalten, dieselbe seinem Stellvertreter zu überlassen und davon seinem unmittelbaren Vorgesetzten die Anzeige zu erstatten. Durch Beschwerden von Parteien gegen das Einschreiten eines Staatsanwaltes, welcher sich nach dem Gesetze des Einschreitens hätte enthalten sollen, darf das Verfahren nicht aufgehalten werden.

VIII. Hauptstück.

Von der Bekanntmachung der gerichtlichen Verfügungen und von der Gestattung der Acteneinsicht.

§. 77. Die Bekanntmachung gerichtlicher Verfügungen geschieht entweder durch mündliche Verkündung vor Gericht oder durch Zustellung der Urschrift oder einer amtlich beglaubigten Abschrift derselben.

Die mündliche Verkündung muß durch ein Protokoll beurkundet werden. Auf Verlangen ist Demjenigen, welchem eine Verfügung mündlich verkündet wird, eine Abschrift derselben zu ertheilen.

§. 79. Die Vorladung zur Hauptverhandlung in erster Instanz muß dem Beschuldigten selbst zugestellt werden.

Die Zustellung dieser Vorladung an den Privatankläger und Privatbetheiligten, sowie die aller Actenstücke, von deren Behändigung für einen Betheiligten die Frist zur Ergreifung eines Rechtsmittels oder des Einspruches gegen die Versetzung in Anklagestand läuft, muß entweder an die Partei selbst oder an ihren bestellten Vertreter erfolgen.

Sucht sich der Betheiligte, obgleich dessen Aufenthalt bekannt ist, der persönlichen Zustellung zu entziehen, so ist die zuzustellende Verfügung dem Gemeindevorsteher zu behändigen und der Betheiligte hievon durch Anschlag an seiner Wohnung und am Gemeindehause in Kenntniß zu setzen.

§. 80. Soll eine Zustellung in anderen als den im §. 79 erwähnten Fällen stattfinden, und wird Derjenige, an welchem sie gerichtet ist, in seiner Wohnung nicht angetroffen, so wird die gerichtliche Verfügung an einen erwachsenen Hausgenossen desselben übergeben. In Ermanglung eines solchen ist die zuzustellende Urkunde einem Nachbar einzuhändigen, oder, wenn sich Niemand findet, der sie übernehmen will, beim Gemeindevorsteher niederzulegen und eine Benachrichtigung in der Wohnung an einer leicht in die Augen fallenden Stelle zurückzulassen oder, wenn die Wohnung verschlossen ist, an der Thür anzuheften.

Kann die Wohnung Desjenigen, an welchen eine Zustellung erfolgen soll, nicht ermittelt werden, so geschieht dieselbe durch Anschlag am Gemeindehause und, wenn das Gericht es angemessen findet, durch Bekanntmachung in den öffentlichen Blättern.

(416) §. 81. Befindet sich der Betheiligte, an den die Zustellung zu erfolgen hat, außer dem Bezirke des Gerichtes, von welchem die Verfügung ausgeht, so ist das Bezirksgericht des Zustellungsortes um die Zustellung zu ersuchen. Dasselbe geschieht mit Verfügungen des Gerichtshofes erster Instanz, welche außer dem Bereiche des am Sitze desselben befindlichen Bezirksgerichtes zuzustellen sind.

In diesen Fällen steht es dem Betheiligten frei, bei dem um die Zustellung ersuchten Bezirksgerichte die Rechtsmittel nach Vorschrift dieser Strafproceßordnung anzubringen.

§. 82. Der Beurtheilung der Gerichte ist es überlassen, ob es zulässig erscheine, einer Partei oder ihrem ausgewiesenen Vertreter auch außer den in dieser Strafproceßordnung insbesondere bezeichneten Fällen die Einsicht in strafgerichtliche Acten oder die Ausfolgung von Abschriften aus solchen zu bewilligen, soferne diese Personen glaubwürdig darthun, daß ihnen dieselbe zur Ausführung eines Entschädigungsanspruches oder zum Zwecke des Begehrens um Wiederaufnahme, oder aus anderen Gründen nothwendig sei.

§. 83. Von der Einleitung und von der Beendigung des Strafverfahrens gegen Militär- und Landwehrpersonen, sowie gegen Personen, welche in einem Staats- oder anderen öffentlichen, daher auch in einem Landes- oder Gemeindeamte oder -Dienste stehen, Mitglieder einer Gemeinde- oder einer anderen zur Besorgung öffentlicher Angelegenheiten berufenen Vertretung sind, oder welchen öffentliche Titel oder in- oder ausländische Orden oder Ehrenzeichen verliehen sind, ist ihrer vorgesetzten Behörde, beziehungsweise dem Vorstande des Vertretungskörpers und den betreffenden Hofämtern oder Ordenskanzleien Mittheilung zu machen.

IX. Hauptstück.

Von der Erforschung strafbarer Handlungen und von den Vorerhebungen über Verbrechen und Vergehen.

§. 84. Alle öffentlichen Behörden und Aemter sind schuldig, die entweder von ihnen selbst wahrgenommen oder sonst zu ihrer Kenntniß gelangten strafbaren Handlungen, welche nicht blos auf Begehren eines Betheiligten zu untersuchen sind, sogleich dem Staatsanwalte des zuständigen Gerichtes anzuzeigen.

Bei Gefahr am Verzuge kann die Anzeige einer verübten strafbaren Handlung auch an jenes Bezirksgericht erstattet werden, in dessen Sprengel sich die Behörde befindet.

§. 85. Das Gericht, welches einen Concurs für eröffnet erklärt, oder entscheidet, daß die Concurseröffnung nur wegen Geringfügigkeit des Vermögens oder nur deßhalb nicht stattfinde, weil nur ein einziger persönlicher Gläubiger vorhanden ist, hat sofort den Staatsanwalt an jenem Gerichtshofe erster Instanz, in dessen Sprengel der Schuldner seinen Wohnsitz hat, in Kenntniß zu setzen; das Zivilgericht ist ferner verpflichtet, dem Staatsanwalte, sowie dem Strafrichter alle nothwendigen Aufklärungen zu ertheilen, und die Acten, deren sie bedürfen, in der Urschrift oder in beglaubigter Abschrift mitzutheilen.

§. 86. Wer immer von einer strafbaren Handlung, welche von Amtswegen zu verfolgen ist, Kenntniß erlangt, ist berechtigt, dieselbe anzuzeigen. Zur Annahme der Anzeige ist nicht blos der Staatsanwalt, sondern es sind dazu auch der Untersuchungsrichter, der Bezirksrichter und die Sicherheitsbehörde verpflichtet, welche die Anzeige dem Staatsanwalte zu übermitteln haben.

§. 87. Der Staatsanwalt ist verpflichtet, alle an ihn gelangten Anzeigen über strafbare Handlungen, welche von Amtswegen zu verfolgen sind, zu prüfen, sowie die zu seiner

 

 

(417) Kenntniß gelangenden Spuren solcher strafbarer Handlungen zu verfolgen. Er hat auch zur Entdeckung unbekannter Thäter durch Erforschung dahin führender Verdachtsgründe mitzuwirken.

Wenn namenlose Anzeigen, oder solche, die von einem völlig Unbekannten herrühren, bestimmte, die strafbare Handlung glaubwürdig bezeichnende Umstände enthalten, so ist zwar zur Erhebung dieser Umstände zu schreiten; doch ist dabei mit Vermeidung alles Aufsehens und mit möglichster Schonung der Ehre der beschuldigten Personen vorzugehen.

Wenn der Ruf von einer strafbaren Handlung, die nicht blos auf Begehren eines Betheiligten zu untersuchen ist, an den Staatsanwalt gelangt, so ist er verpflichtet, die Vernehmung der Personen, durch welche der Ruf fortgepflanzt wurde, zu veranlassen, demselben unter Mitwirkung der Sicherheitsbehörden bis zu seinem Ursprunge nachzugehen und sich, soviel als möglich, von dessen Grunde oder Ungrunde zu überzeugen.

§. 88. Ueberhaupt ist er berechtigt, durch den Untersuchungsrichter, durch die Bezirksgerichte oder durch die Sicherheitsbehörden Vorerhebungen zu dem Zwecke führen zu lassen, um die nöthigen Anhaltspunkte für die Veranlassung des Strafverfahrens wider eine bestimmte Person oder für die Zurücklegung der Anzeige zu erlangen.

Die Untersuchungsrichter und Bezirksrichter haben auch bei diesen Vorerhebungen jene Rechte und Obliegenheiten, welche dem Untersuchungsrichter in der Voruntersuchung zukommen.

Durch die Sicherheitsbehörden kann der Staatsanwalt Personen, welche Aufklärungen über begangene strafbare Handlungen zu ertheilen im Stande sein dürften, unbeeidigt vernehmen lassen und diesen Vernehmungen auch selbst beiwohnen. Augenschein und Hausdurchsuchung kann er durch sie nur dann vornehmen lassen, wenn sich in Abwesenheit einer zur Amtshandlung berufenen Gerichtsperson die Nothwendigkeit eines unverzüglichen Einschreitens herausstellt; er kann diesen Untersuchungshandlungen, bei welchen alle für gerichtliche Acte dieser Art vorgeschriebenen Förmlichkeiten zu beobachten sind, auch selbst beiwohnen. Die hierüber aufgenommenen Protokolle können jedoch bei sonstiger Nichtigkeit nur dann als Beweismittel benützt werden, wenn sie unverweilt dem Untersuchungsrichter mitgetheilt worden sind, welcher deren Form und Vollständigkeit zu prüfen und nöthigenfalls die Wiederholung oder Ergänzung der Verhandlung zu bewirken hat.

§. 89. Der Untersuchungsrichter am Gerichtshofe erster Instanz nimmt, solange kein Antrag des Staatanwaltes vorliegt, nur diejenigen Amtshandlungen vor, welche ohne Gefährdung des Zweckes oder ohne Ueberschreitung einer gesetzlichen Frist nicht aufgeschoben werden können. Von dem Vorgenommenen hat er den Staatsanwalt in Kenntniß zu setzen, und sodann dessen Anträge abzuwarten.

Bezirksgerichte dagegen haben zwar ebenfalls die zu ihrer Kenntniß kommenden Verbrechen und von Amtswegen zu verfolgenden Vergehen unverweilt dem Staatsanwalte anzuzeigen, zugleich aber, und ohne die Anträge des letzteren abzuwarten, die Vorerhebungen (§. 88, Absatz 1 und 2) zu führen. Untersuchungshandlungen jedoch, durch welche die Spuren der strafbaren Handlungen verwischt und einer wiederholten Besichtigung entzogen werden könnten, haben sie nur dann vorzunehmen, wenn Gefahr am Verzuge haftet; außerdem haben sie nur in der zu erstattenden Anzeige auf die Nothwendigkeit einer solchen Untersuchungshandlung aufmerksam zu machen und dafür zu sorgen, dass die Spuren der That erhalten werden, bis entweder der Untersuchungsrichter oder das Verlangen desselben um Vornahme der Untersuchungshandlungen eintrifft.

Die über die Vorerhebungen aufgenommenen Protokolle hat das Bezirksgericht mit größter Beschleunigung und, falls eine Verhaftung vorgenommen wurde, längstens binnen acht Tagen an den Staatsanwalt einzusenden, welcher in dem letzteren Falle längstens binnen

(418) drei Tagen nach deren Einlangen den Verhafteten außer Verfolgung zu setzen oder seine Anträge bezüglich der Person und des Verfahrens bei dem Untersuchungsrichter anzubringen hat (§. 27, Absatz 2).

§. 90. Findet der Staatsanwalt nach Prüfung der Anzeige oder der Acten der, nöthigenfalls auf seine Veranlassung zu ergänzenden, Vorerhebungen genügende Gründe, um wider eine bestimmte Person das Strafverfahren zu veranlassen, so bringt er entweder den Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung (§. 91) oder die Anklageschrift ein. Im entgegengesetzten Falle legt er die an ihn gelangte Anzeige mit kurzer Aufzeichnung der ihn dazu bestimmenden Erwägungen zurück, und übersendet dem Untersuchungsrichter die Acten der Vorerhebungen mit der Bemerkung, dass er keinen Grund zur weiteren Verfolgung finde. Der Untersuchungsrichter hat in diesem Falle die Vorerhebungen einzustellen und den etwa verhafteten Beschuldigten sofort auf freien Fuß zu setzen.

X. Hauptstück.

Von der Voruntersuchung über Verbrechen und Vergehen im Allgemeinen.

I. Einleitung der Voruntersuchung und Stellung des Untersuchungsrichters in derselben.

§. 91. Der Versetzung in den Anklagestand (XVI. Hauptstück) muss eine Voruntersuchung vorangehen, wenn es sich um ein Verbrechen handelt, dessen Aburtheilung dem Geschwornengerichte zukommt, oder wenn gegen einen Abwesenden das Strafverfahren eingeleitet werden soll. In allen anderen Fällen bleibt es dem Ermessen des Staatsanwaltes, beziehungsweise des Privatanklägers anheimgestellt, ob eine Voruntersuchung zu beantragen sei.

Die Voruntersuchung hat den Zweck, die gegen eine bestimmte Person erhobene Anschuldigung einer strafbaren Handlung einer vorläufigen Prüfung zu unterwerfen und den Sachverhalt soweit ins Klare zu setzen, als es nöthig ist, um jene Momente festzustellen, welche geeignet sind, entweder die Einstellung des Strafverfahrens herbeizuführen oder die Versetzung in Anklagestand und die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung vorzubereiten.

§. 92. Der Untersuchungsrichter darf die Voruntersuchung nur wegen solcher strafbarer Handlungen und nur gegen diejenigen Personen einleiten, bezüglich welcher ihm ein darauf abzielender Antrag eines berechtigten Anklägers vorliegt.

Beantragt der Staatsanwalt die Einleitung einer Voruntersuchung, so hat er sie Anzeige, sowie die zu seiner Kenntniß gelangten Beweismittel und die Ergebnisse der etwa veranlaßten Vorerhebungen dem Untersuchungsrichter mitzutheilen.

Findet der Untersuchungsrichter Bedenken, einem Antrage auf Einleitung der Voruntersuchungen beizutreten, so ist darüber der Beschluß der Rathskammer einzuholen. Der Untersuchungsrichter nimmt an der Berathung, aber nicht an der Beschlußfassung Theil. Von solchen Berathungen ist der Staatsanwalt jedesmal vorher zu benachrichtigen, damit er seine Ansichten schriftlich oder mündlich vortragen könne.

§. 93. Die Voruntersuchung wird in der Regel von dem Untersuchungsrichter persönlich und unmittelbar geführt. Dann kann derselbe die Bezirksgerichte sowohl innerhalb als außerhalb des Sprengels seines Gerichtshofes um die Vornahme einzelner gerichtlicher Handlungen ersuchen.

Die Bezirksgerichte haben dem Ersuchen unter Beachtung der für den Untersuchungsrichter geltenden Vorschriften zu entsprechen, und wenn sich hieraus die Nothwendigkeit weiterer, in ihren Sprengel fallender Untersuchungshandlungen ergibt, dieselben sofort vorzunehmen.

(419) §. 94. Der Untersuchungsrichter erstattet der Rathskammer über den Stand aller anhängigen Voruntersuchungen monatlich einmal oder auch während des Monats, wenn er dieß wegen der Wichtigkeit einer Sache für nöthig erachtet, oder die Entscheidung der Rathskammer einzuholen hat, mündlich Bericht. Den Sitzungen, in welchen die Rathskammer diese Berichte entgegennimmt, wohnt der Staatsanwalt bei, und er ist berechtigt, Anträge zu stellen.

§. 95. Beschließt die Rathskammer, die Führung einer Voruntersuchung einem Bezirksgerichte zu übertragen (§. 12), so hat dieses alle für den Untersuchungsrichter geltenden Vorschriften zu beobachten. Den monatlichen Bericht über den Stand aller anhängigen Voruntersuchungen erstattet das Bezirksgericht schriftlich; in gleicher Weise holt es die Entscheidungen der Rathskammer ein. Die mündliche Berichterstattung in der Sitzung der Rathskammer wird in solchen Fällen einem Mitgliede derselben übertragen. Auch diesen Sitzungen wohnt der Staatsanwalt bei.

II. Geschäftsgang in der Voruntersuchung.

§. 96. Ist die Voruntersuchung eingeleitet, so schreitet der Untersuchungsrichter von Amtswegen, und ohne weitere Anträge des Anklägers abzuwarten, ein, um den Thatbestand zu erheben, den Thäter zu ermitteln, und die zur Ueberführung oder Vertheidigung des Beschuldigten dienenden Beweismittel soweit festzustellen, als es der Zweck der Voruntersuchung erfordert.

§. 97. Der Ankläger ist berechtigt, auch hinsichtlich der Vornahme einzelner Untersuchungshandlungen Anträge an den Untersuchungsrichter zu stellen, über welche dieser, falls er Bedenken findet, ihnen beizutreten, die Entscheidung der Rathskammer einzuholen hat (§. 94).

Untersuchungshandlungen nimmt der Staatsanwalt bei sonstiger Nichtigkeit des Actes nicht vor. Weder der Ankläger noch der Vertheidiger dürfen bei der förmlichen Vernehmung des Beschuldigten oder der Zeugen durch den Untersuchungsrichter gegenwärtig sein. Sie sind aber berechtigt, dem Augenscheine, der Hausdurchsuchung und der Durchsuchung von Papieren beizuwohnen und die Gegenstände zu bezeichnen, auf welche diese Untersuchungshandlungen auszudehnen sind. Der Untersuchungsrichter soll den Ankläger zu diesem Behufe in der Regel von der Vornahme dieser Handlungen vorher benachrichtigen, kann sie aber auch, wenn Gefahr am Verzuge haftet, ohne vorausgegangene Verständigung desselben vornehmen.

§. 98. Hat ein Verbrechen oder ein Vergehen Spuren zurückgelassen, so sind diese in geeigneter Weise, insbesondere durch Augenschein nach den in dem folgenden Hauptstücke enthaltenen Bestimmungen zu erheben.

Gegenstände, an oder mit welchen die strafbare That verübt wurde, oder welche der Thäter am Orte der That zurückgelassen haben dürfte, überhaupt Gegenstände, welche von dem Beschuldigten oder von Zeugen anzuerkennen sind oder in anderer Weise zur Herstellung des Beweises dienen können, sind, soweit es möglich ist, in gerichtliche Verwahrung zu nehmen. Sie sind entweder in einen mit dem Gerichtssiegel zu verschließenden Umschlag zu legen, oder es ist an ihnen eine gegen Unterschiebung oder Verwechslung schützende gerichtliche Bezeichnung anzubringen.

Befinden sich unter den vorgefundenen Gegenständen zum Gottesdienste geweihte Sachen, so hat das Gericht für deren Absonderung von allen übrigen Gegenständen und für deren entsprechende Aufbewahrung zu sorgen.

§. 99. Kann der durch ein Verbrechen oder Vergehen verursachte Schade oder entgangene Gewinn durch die Aussage des Beschädigten nicht zuverlässig erhoben werden oder ist der Grund zu vermuthen, daß derselbe seinen Schaden zu hoch schätze, so ist die Größe

(420) desselben in jenen Fällen, in welchen sie auf die Zurechnung der That als Verbrechen, auf das Strafmaß oder auf die Zuerkennung der Entschädigung von Einfluß ist, durch Vernehmung von Zeugen oder durch Sachverständige zu ermitteln.

§. 100. Schriften, die in einer nicht gerichtsüblichen Sprache geschrieben und für die Untersuchung erheblich sind, hat der Untersuchungsrichter durch einen beeideten Dolmetsch übersetzen zu lassen und sammt der Uebersetzung zu den Acten zu bringen.

§. 101. Ueber alle gerichtlichen, zur Untersuchung gehörenden Handlungen sind Protokolle aufzunehmen; es muß außer dem Beamten, welcher die Handlung vornimmt oder leitet, stets ein beeideter Protokollführer gegenwärtig sein.

§. 102. Ist bei einer Untersuchungshandlung die Zuziehung von Gerichtszeugen erforderlich, so müssen diese volljährige, unbescholtene, bei der Sache unbetheiligte Männer sein und entweder allgemein oder für den einzelnen Fall mittelst Handschlages angelobt sein, daß sie, um möglicherweise Zeugniß vor Gericht abzulegen, auf Alles, was vor ihnen vorgenommen oder ausgesagt wird, volle Aufmerksamkeit verwenden, über die getreue Protokollirung desselben wachen und bis zur Hauptverhandlung über Alles, was ihnen bei Gelegenheit der Untersuchungshandlung bekannt geworden, Stillschweigen beobachten werden.

§. 103. Es ist eine allgemeine Bürgerpflicht, sich bei Untersuchungshandlungen unentgeltlich als Gerichtszeuge verwenden zu lassen. Diese Pflicht trifft zunächst die Bewohner jener Gemeinde, in welcher die Untersuchungshandlung vorzunehmen ist.

Befreit sind:

1. die Seelsorger der gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaften;

2. Militär- und Landwehrpersonen in activer Dienstleistung und wirklich dienende öffentliche Beamte und Diener;

3. öffentliche Lehrer, die ihren Beruf wirklich ausübenden Sanitätspersonen, Advocaten, Notare, bei Eisenbahn- und Dampfschiffahrten beschäftigte Personen, sowie Alle, deren Berufsdienst ohne Verletzung des öffentlichen Interesses nicht unterbrochen werden kann, endlich

4. Personen, welche vom Tag- oder Wochenlohne leben.

§. 104. Die Protokolle über gerichtliche Verhandlungen werden gleich bei Vornahme derselben, und wo dieß nicht thunlich ist, unmittelbar nachher aufgenommen.

Jedes Protokoll enthält die Bezeichnung des Ortes, Jahres und Tages der Aufnahme und der gegenwärtigen Personen.

Die Fragen sind nur soweit niederzuschreiben, als es zum Verständniß einer Antwort erforderlich ist. Die Antworten sind in der Regel blos ihrem wesentlichen Inhalte nach erzählungsweise aufzunehmen. Nur wo es für die Beurtheilung der Sache wichtig oder wo zu erwarten ist, daß die Vorlesung des Protokolles in der Hauptverhandlung erforderlich sein werde, ist der Vernommene unter Beibehaltung seiner eigenen Ausdrücke redend anzuführen.

Der Richter hat das Protokoll laut, so daß es die Anwesenden hören, zu dictiren. Doch steht dem Vernommenen frei, seine Antworten dem Protokollführer in die Feder zu dictiren. Mißbraucht der Vernommene dieses Recht, so kann es ihm vom Richter entzogen werden.

§. 105. Jedes Protokoll ist den vernommenen oder sonst beigezogenen Personen vorzulegen, auch auf Verlangen zum Durchlesen vorzulegen und die geschehene Vorlesung oder Vorlegung, sowie die Genehmigung im Protokolle zu bemerken. Dasselbe ist sodann von den vernommenen Personen durch Beisetzung der Unterschrift oder des Handzeichens auf jedem Bogen, und am Schlusse von den anwesenden Beamten, dem Protokollführer und den beigezogenen

(421) Gerichtszeugen zu unterschreiben. Verweigert der Vernommene die Unterschrift, so ist dieß nebst dem Grunde der Weigerung im Protokolle zu bemerken.

§. 106. In dem einmal Niedergeschriebenen darf nichts Erhebliches ausgelöscht, zugesetzt oder verändert werden. Durchstrichene Stellen müssen noch lesbar bleiben. Erhebliche Zusätze oder Berichtigungen, die ein Vernommener seiner Aussage beifügt, sind am Rande des Protokolles oder in einem Nachtrage zu bemerken und auf die im §. 105 bezeichnete Art zu genehmigen und zu unterschreiben.

§. 107. Besteht das Protokoll aus mehreren Bogen, so müssen diese sämmtlich mit einem Faden zusammengeheftet und die Enden des Fadens mit dem Gerichtssiegel befestigt werden.

Der Untersuchungsrichter hat ein Tagebuch zu führen, in welchem alle Acten der Voruntersuchung genau zu verzeichnen sind.

§. 108. Gegen Diejenigen, welche sich ungeachtet vorausgegangener Ermahnungen bei irgend einer Amtshandlung des Untersuchungsrichters ein ungestümes oder beleidigendes Betragen zu Schulden kommen lassen, kann der Untersuchungsrichter eine Geldstrafe bis zu fünfzig Gulden oder eine Arreststrafe bis zu acht Tagen, und insolange der zu Bestrafende ohnehin verhaftet ist, Anweisung eines harten Lagers, Anhaltung in Einzelhaft, einsame Absperrung in dunkler Zelle (mir Beobachtung der in den §§. 255-257 des Strafgesetzes angeordneten Einschränkungen) oder Entziehung der warmen Kost während einer Woche verhängen.

Gegen Gerichtszeugen, Sachverständige und Rechtsbeistände der Parteien können nur Geldstrafen verhängt werden.

Jede solche Verfügung ist in den Acten ersichtlich zu machen und der Rathskammer sogleich anzuzeigen, welcher die Befugniß zukommt, diese vom Untersuchungsrichter verhängten Strafen auch von Amtswegen aufzuheben oder zu mildern (§. 113).

III. Einstellung oder Schließung der Voruntersuchung.

§. 109. Die Voruntersuchung ist durch Verfügung des Untersuchungsrichters einzustellen, sobald der Ankläger das Begehren nach strafgerichtlicher Verfolgung zurückzieht oder auf Einstellung der Voruntersuchung anträgt, oder erklärt, daß er keinen Grund zur weiteren gerichtlichen Verfolgung finde (§. 112).

Außerdem kann die Einstellung der Voruntersuchung nur durch Beschluß der Rathskammer oder des Gerichtshofes zweiter Instanz erfolgen.

§. 110. Wird die Voruntersuchung eingestellt, so sind der Ankläger, der Privatbetheiligte und der Beschuldigte hievon zu verständigen und letzterer ist, wenn er verhaftet war, sogleich freizulassen.

Auf sein Verlangen ist ihm ein Amtszeugniß darüber auszufertigen, dass kein Grund zur weiteren gerichtlichen Verfolgung gegen ihn vorhanden sei.

Hat sich der durch das Verbrechen oder Vergehen in seinem Rechte Verletzte dem Verfahren nicht angeschlossen, so ist ihm auf sein Ansuchen die Bestätigung der erfolgten Einstellung zu ertheilen.

§. 111. Die Voruntersuchung wird geschlossen, sobald die gepflogenen Erhebungen zureichen, um die Anordnung der Hauptverhandlung zu begründen, und zugleich die zur vollständigen Vorführung der Beweismittel in der Hauptverhandlung erforderliche Uebersicht über dieselben erlangt ist.

§. 112. Nach geschlossener Voruntersuchung theilt der Untersuchungsrichter die Acten dem Staatsanwalte mit. Dieser ist verpflichtet (§. 27), binnen acht Tagen nach Empfang der Acten entweder die Anklageschrift bei dem Untersuchungsrichter einzubringen oder die Acten

(422) demselben mit der Erklärung zurückzustellen, daß er keinen Grund zur weiteren gerichtlichen Verfolgung finde.

Der Privatankläger ist von dem Abschlusse der Voruntersuchung mit der Aufforderung zur Einbringung der Anklageschrift binnen vierzehn Tagen und mit der Belehrung in Kenntniß zu setzen, daß die Nichteinhaltung dieser Frist dem Rücktritte von der Anklage gleichkomme (§. 109).

Innerhalb der zur Einbringung der Anklageschrift bestimmten Frist kann auch der Antrag auf Ergänzung der Voruntersuchung gestellt werden. Wird dieser Antrag abgelehnt, so läuft die neue Frist zur Einbringung der Anklageschrift von der Bekanntmachung des bezüglichen Beschlusses der Rathskammer.

IV. Rechtsmittel gegen Verfügungen des Untersuchungsrichters und der Rathskammer.

§. 113. Alle, welche sich während der Vorerhebungen, der Voruntersuchung oder in dem der Einbringung der Anklageschrift nachfolgenden Verfahren durch eine Verfügung oder Verzögerung des Untersuchungsrichters beschwert erachten, haben das Recht, darüber eine Entscheidung der Rathskammer zu verlangen und ihr Begehren entweder schriftlich oder mündlich bei dem Untersuchungsrichter oder unmittelbar bei der Rathskammer anzubringen. Eine solche Beschwerde hemmt den Vollzug der Verfügung des Untersuchungsrichters nur in den im §. 108 erwähnten Fällen.

Die Rathskammer entscheidet in nicht öffentlicher Sitzung nach Anhörung des Untersuchungsrichters und des Staatsanwaltes.

§. 114. Gegen diese Entscheidung der Rathskammer findet in der Regel ein weiterer Rechtszug nicht statt. Doch kann gegen dieselbe sowohl der Staatsanwalt oder Privatankläger als auch der Beschuldigte beim Gerichtshofe zweiter Instanz Beschwerde führen, wenn sie die Ausscheidung einzelner Strafsachen aus dem gemeinsam zu führenden Strafverfahren, die Verhängung oder Aufhebung der Haft oder die Bestimmung der Versicherungssumme betrifft. Ferner steht dem Staatsanwalte oder Privatankläger die Beschwerdeführung an den Gerichtshof zweiter Instanz gegen jene Entscheidungen offen, durch welche ein Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung abgelehnt oder die Einstellung der letzteren ausgesprochen wird.

Diese Beschwerde hat in der Regel (§. 197) keine aufschiebende Wirkung. Sie ist binnen drei Tagen nach Eröffnung des Beschlusses, gegen welchen sie gerichtet ist, bei der Rathskammer anzubringen. Der Gerichtshof zweiter Instanz entscheidet über die Beschwerde endgiltig in nicht öffentlicher Sitzung nach Anhörung des Oberstaatsanwaltes.

Bei der Entscheidung über solche Beschwerden kann der Gerichtshof niemals zum Nachtheile des Beschuldigten Verfügungen und Beschlüsse abändern, gegen welche nicht Beschwerde geführt wird; im Uebrigen aber ist er berechtigt, die Beseitigung wahrgenommener Gebrechen des Verfahrens auch dann anzuordnen, wenn eine Beschwerde gegen dieselben nicht ergriffen werden konnte oder nicht ergriffen ward.

Findet er die Beschwerde gegen die Einstellung einer Voruntersuchung begründet, so kann er wegen solcher Handlungen, deren Verfolgung von einem berechtigten Ankläger verlangt wurde (§. 92) und wegen welcher der Beschuldigte bereits vernommen wurde, sofort dessen Versetzung in Anklagestand aussprechen.

§. 115. Es ist nach Möglichkeit dafür zu sorgen, daß durch die wegen Ergreifung von Rechtsmitteln erfolgende Vorlegung der Acten der Rang des Verfahrens nicht aufgehalten werde; nöthigenfalls sind von Actenstücken, welche zur Fortführung desselben unentbehrlich sind, Abschriften zu machen.

(423) XI. Hauptstück.

Von dem Augenscheine und den Sachverständigen.

I. Von dem Augenscheine und der Zuziehung von Sachverständigen überhaupt.

§. 116. Der Augenschein ist vorzunehmen, so oft dieß zur Aufklärung eines für die Untersuchung erheblichen Umstandes nothwendig erscheint. Es sind stets zwei Gerichtszeugen, und wenn sich dieß wegen Anerkennung der zu untersuchenden Gegenstände oder zur Erlangung von Aufklärungen als zweckdienlich darstellt, ist auch der Beschuldigte zuzuziehen. Dem Vertheidiger des Beschuldigten kann die Betheiligung bei der Vornahme des Augenscheines nicht versagt werden; auch ist ein bereits bestellter Vertheidiger, wenn kein besonderes Bedenken dagegen obwaltet, von der Vornahme des Augenscheines in Kenntniß zu setzen.

§. 117. Das über den Augenschein aufzunehmende Protokoll ist so bestimmt und umständlich abzufassen, dass es eine vollständige und treue Anschauung der besichtigten Gegenstände gewähre. Es sind demselben zu diesem Zwecke erforderlichenfalls Zeichnungen, Pläne oder Risse beizufügen; Maße, Gewichte, Größen und Ortsverhältnisse sind nach bekannten und unzweifelhaften Bestimmungen zu bezeichnen.

§. 118. Sind bei einem Augenscheine Sachverständige erforderlich, so soll der Untersuchungsrichter in der Regel deren zwei beiziehen.

Die Beziehung (!) eines Sachverständigen genügt, wenn der Fall von geringerer Wichtigkeit ist, oder das Warten bis zum Eintreffen eines zweiten Sachverständigen für den Zweck der Untersuchung bedenklich erscheint.

§. 119. Die Wahl der Sachverständigen steht dem Untersuchungsrichter zu. Sind solche für ein bestimmtes Fach bei dem Gerichte bleibend angestellt, so soll er andere nur dann zuziehen, wenn Gefahr am Verzuge haftet, oder wenn jene durch besondere Verhältnisse abgehalten sind, oder in dem einzelnen Falle als bedenklich erscheinen.

Wenn ein Sachverständiger der an ihn ergangenen Vorladung nicht Folge leistet oder seine Mitwirkung bei der Vornahme des Augenscheines verweigert, so kann der Untersuchungsrichter eine Geldstrafe von fünf bis einhundert Gulden gegen ihn verhängen.

§. 120. Personen, welche in einem Untersuchungsfalle als Zeugen nicht vernommen oder nicht beeidet werden dürfen, oder welche zu dem Beschuldigten oder dem Verletzten in einem der im §. 152, Z. 1, bezeichneten Verhältnisse stehen, sind bei sonstiger Nichtigkeit des Actes als Sachverständige nicht beizuziehen. Von der Wahl der Sachverständigen sind in der Regel sowohl der Ankläger, als der Beschuldigte vor der Vornahme des Augenscheines in Kenntniß zu setzen; werden erhebliche Einwendungen vorgebracht und haftet nicht Gefahr am Verzuge, so sind andere Sachverständige beizuziehen.

§. 121. Diejenigen Sachverständigen, welche vermöge ihrer bleibenden Anstellung schon im Allgemeinen beeidigt sind, hat der Untersuchungsrichter vor dem Beginne der Amtshandlung an die Heiligkeit des von ihnen abgelegten Eides zu erinnern.

Andere Sachverständige müssen vor der Vornahme des Augenscheines eidlich verpflichtet werden, dass sie den Gegenstand desselben sorgfältig untersuchen, die gemachten Wahrnehmungen treu und vollständig angeben und den Befund, sowie ihr Gutachten nach bestem Wissen und Gewissen und nach den Regeln ihrer Wissenschaft oder Kunst abgeben wollen.

§. 122. Die Gegenstände des Augenscheines sind von den Sachverständigen in Gegenwart der Gerichtspersonen zu besichtigen und zu untersuchen, außer wenn letztere aus Rücksichten des sittlichen Umstandes für angemessen erachten, sich zu entfernen oder, wenn die

(424) erforderlichen Wahrnehmungen, wie bei der Untersuchung von Giften, nur durch fortgesetzte Beobachtung oder länger dauernde Versuche gemacht werden können.

Bei jeder solchen Entfernung der Gerichtspersonen von dem Orte des Augenscheines ist aber auf geeignete Weise dafür zu sorgen, daß die Glaubwürdigkeit der von den Sachverständigen zu pflegenden Erhebungen sichergestellt werde.

Ist von dem Verfahren der Sachverständigen die Zerstörung oder die Veränderung eines von ihnen zu untersuchenden Gegenstandes zu erwarten, so soll ein Theil des letzteren, insoferne es thunlich erscheint, in gerichtlicher Verwahrung behalten werden.

§. 123. Der Untersuchungsrichter leitet den Augenschein. Er bezeichnet mit möglichster Berücksichtigung der von dem Ankläger und dem Beschuldigten oder dessen Vertheidiger gestellten Anträge die Gegenstände, auf welche die Sachverständigen ihre Beobachtung zu richten haben, und stellt die Fragen, deren Beantwortung er für erforderlich hält. Die Sachverständigen können verlangen, daß ihnen aus den Acten oder durch Vernehmung von Zeugen jene Aufklärungen über von ihnen bestimmt zu bezeichnende Punkte gegeben werden, welche sie für das abzugebende Gutachten für erforderlich erachten.

Wenn den Sachverständigen zur Abgabe eines gründlichen Gutachtens die Einsicht der Untersuchungsacten unerläßlich erscheint, können ihnen, soweit nicht besondere Bedenken dagegen obwalten, auch die Acten selbst mitgetheilt werden.

§. 124. Die Angaben der Sachverständigen über die von ihnen gemachten Wahrnehmungen (Befund) sind von dem Protokollführer sogleich aufzuzeichnen. Das Gutachten sammt dessen Gründen können sie entweder sofort zu Protokoll geben oder sich die Abgabe eines schriftlichen Gutachtens vorbehalten, wofür eine angemessene Frist zu bestimmen ist.

§. 125. Weichen die Angaben der Sachverständigen über die von ihnen wahrgenommenen Thatsachen erheblich voneinander ab, oder ist ihr Befund dunkel, unbestimmt, im Widerspruche mit sich selbst, oder mit erhobenen Thatumständen, und lassen sich die Bedenken nicht durch eine nochmalige Vernehmung der Sachverständigen beseitigen, so ist der Augenschein, soferne es möglich ist, mit Zuziehung derselben oder anderer Sachverständigen zu wiederholen.

§. 126. Ergeben sich solche Widersprüche oder Mängel in Bezug auf das Gutachten oder zeigt sich, daß es Schlüsse enthält, welche aus den angegebenen Vordersätzen nicht folgerichtig gezogen sind, und lassen sich die Bedenken nicht durch eine nochmalige Vernehmung der Sachverständigen beseitigen, so ist das Gutachten eines anderen oder mehrerer anderen

Sachverständigen einzuholen.

Sind die Sachverständigen Aerzte oder Chemiker, so kann in solchen Fällen das Gutachten einer medicinischen Facultät der im Reichsrathe vertretenen Länder eingeholt werden. Dasselbe geschieht, wenn die Rathskammer die Einholung eines Facultätsgutachtens wegen der Wichtigkeit oder Schwierigkeit des Falles nöthig findet.

II. Verfahren bei Untersuchungen wegen Tödtungen und Körperverletzungen insbesondere.

§. 127. Wenn sich bei einem Todesfall Verdacht ergibt, daß derselbe durch ein Verbrechen oder ein Vergehen verursacht worden sei, so muss vor der Beerdigung die Leichenbeschau und Leicheneröffnung vorgenommen werden.

Ist die Leiche bereits beerdigt, so muss sie zu diesem Behufe wieder ausgegraben werden, wenn nach den Umständen noch ein erhebliches Ergebniß davon erwartet werden kann und nicht dringende Gefahr für die Gesundheit der Personen, welche an der Leichenbeschau Theil nehmen müssen, vorhanden ist.

(425) Ehe zur Oeffnung der Leiche geschritten wird, ist dieselbe genau zu beschreiben und deren Identität durch Vernehmung von Personen, die den Verstorbenen gekannt haben, außer Zweifel zu setzen. Diesen Personen ist nöthigenfalls vor der Anerkennung eine genaue Beschreibung des Verstorbenen abzufordern. Ist aber der letztere ganz unbekannt, so ist eine genaue Beschreibung der Leiche durch öffentliche Blätter bekannt zu machen.

Bei der Leichenbeschau hat der Untersuchungsrichter darauf zu sehen, daß die Lage und Beschaffenheit des Leichnams, der Ort, wo, und die Kleidung, worin er gefunden wurde, genau bemerkt, sowie Alles, was nach den Umständen für die Untersuchung von Bedeutung sein könnte, sorgfältig beachtet werde. Insbesondere sind Wunden und andere äußere Spuren erlittener Gewaltthätigkeit nach ihrer Zahl und Beschaffenheit genau zu verzeichnen, die Mittel und Werkzeuge, durch welche sie wahrscheinlich verursacht wurden, anzugeben und die etwa vorgefundenen, möglicherweise gebrauchten Werkzeuge mit den vorhandenen Verletzungen zu vergleichen.

§. 128. Die Leichenbeschau und Leichenöffnung ist durch zwei Aerzte, wovon der eine auch nur ein Wundarzt sein kann, nach den dafür bestehenden besonderen Vorschriften vorzunehmen.

Der Arzt, welcher den Verstorbenen in der seinem Tode allenfalls vorhergegangenen Krankheit behandelt hat, ist, wenn es zur Aufklärung des Sachverhaltes beitragen und ohne Verzögerung geschehen kann, zur Gegenwart bei der Leichenbeschau aufzufordern.

§. 129. Das Gutachten hat sich darüber auszusprechen, was in dem vorliegenden Falle die den eingetretenen Tod zunächst bewirkende Ursache gewesen und wodurch dieselbe erzeugt worden sei.

Werden Verletzungen wahrgenommen, so ist insbesondere zu erörtern:

1. ob dieselben dem Verstorbenen durch die Handlung eines Anderen zugefügt wurden, und falls diese Frage bejaht wird,

2. ob diese Handlung

a) schon ihrer allgemeinen Natur wegen,

b) vermöge der eigenthümlichen persönlichen Beschaffenheit oder eines besonderen Zustandes des Verletzten,

c) wegen der zufälligen Umstände, unter welchen sie verübt wurde, oder

d) vermöge zufällig hinzugekommener, jedoch durch sie veranlaßter oder aus ihr entstandener Zwischenursachen den Tod herbeigeführt habe, und ob endlich

e) der Tod durch rechtzeitige und zweckmäßige Hilfe hätte abgewendet werden können.

Insoferne sich das Gutachten nicht über alle für die Entscheidung erheblichen Umstände verbreitet, sind hierüber von dem Untersuchungsrichter besondere Fragen an den Sachverständigen zu stellen.

§. 130. Bei Verdacht einer Kindestödtung ist nebst den nach den vorstehenden Vorschriften zu pflegenden Erhebungen auch zu erforschen, ob das Kind auch lebendig geboren sei.

§. 131. Liegt der Verdacht einer Vergiftung vor, so sind der Erhebung des Thatbestandes nebst den Aerzten nach Thunlichkeit noch zwei Chemiker beizuziehen. Die Untersuchung der Gifte selbst aber kann nach Umständen auch von den Chemikern allein in einem hiezu geeigneten Locale vorgenommen werden.

§. 132. Auch bei körperlichen Beschädigungen ist die Besichtigung des Verletzten durch zwei Sachverständige vorzunehmen, welche sich nach genauer Beschreibung der Verletzungen insbesondere auch darüber auszusprechen haben, welche von den vorhandenen Körperverletzungen oder Gesundheitsstörungen an und für sich, oder in ihrem Zusammenwirken, unbedingt oder unter den besonderen Umständen des Falles, als leichte, schwere oder lebensgefährliche

(426) anzusehen seien; welche Wirkungen Beschädigungen dieser Art gewöhnlich nach sich zu ziehen pflegen, und welche in dem vorliegenden einzelnen Falle daraus hervorgegangen sind, sowie durch welche Mittel oder Werkzeuge und auf welche Weise dieselben zugefügt worden seien.

§. 133. Ist die körperliche Besichtigung einer Frauensperson nöthig, so können nach Umständen auch Geburtshelfer, oder in minder wichtigen Fällen Geburtshelferinnen statt der Aerzte oder Wundärzte damit beauftragt werden.

III. Verfahren bei Zweifeln über Geistesstörungen oder über Zurechnungsfähigkeit.

§. 134. Entstehen Zweifel darüber, ob der Beschuldigte den Gebrauch seiner Vernunft besitze, oder ob er an einer Geistesstörung leide, wodurch die Zurechnungsfähigkeit desselben aufgehoben sein könnte, so ist die Untersuchung des Geistes- und Gemüthszustandes des Beschuldigten jederzeit durch zwei Aerzte zu veranlassen.

Dieselben haben über das Ergebniß ihrer Beobachtungen Bericht zu erstatten, alle für die Beurtheilung des Geistes- und Gemüthszustandes des Beschuldigten einflußreichen Thatsachen zusammenzustellen, sie nach ihrer Bedeutung sowohl einzeln als im Zusammenhange zu prüfen und, falls sie eine Geistesstörung als vorhanden betrachten, die Natur der Krankheit, die Art und den Grad derselben zu bestimmen, und sich sowohl nach den Acten, als nach ihrer eigenen Beobachtung über den Einfluß auszusprechen, welchen die Krankheit auf die Vorstellungen, Triebe und Handlungen des Beschuldigten geäußert habe und noch äußere, und ob und in welchem Maße dieser getrübte Geisteszustand zur Zeit der begangenen That bestanden habe.

IV. Prüfung von Handschriften.

§. 135. Entstehen Zweifel über die Echtheit einer Urkunde, oder soll ermittelt werden, von wessen Hand eine bestimmte Schrift herrühre, so kann eine Vergleichung mit unzweifelhaft echten Schriftstücken durch Sachverständige vorgenommen werden.

V. Verfahren bei Untersuchungen wegen Verfälschung oder Nachmachung öffentlicher Creditpapiere und bei Münzverfälschungen.

§. 136. In Fällen der Nachmachung oder Verfälschung von öffentlichen Creditpapieren hat der Untersuchungsrichter die Stücke, welche den Gegenstand der Untersuchung bilden, in der Regel an das Finanzministerium einzusenden, um den Befund über ihre Echtheit oder Unechtheit und die weitere Auskunft zu erhalten, in welcher Art die Fälschung geschehen sei, ob vorbereitete Werkzeuge, welche die Vervielfältigung erleichtern, benützt worden, endlich ob und wo solche gefälschte Stücke bereits vorgekommen seien.

Ebendahin sind auch nach gänzlich beendigtem strafgerichtlichen Verfahren die Falsificate sammt allen von der strafbaren Handlung herrührenden Werkzeugen, Materialien und anderen dazu gehörigen Gegenständen einzuschicken. Sobald diese Gegenstände zu einer neuerlichen strafgerichtlichen Amtshandlung nöthig werden, sind sie zurückzuverlangen.

Bei Fälschungen von Noten oder Creditpapieren der privilegirten österreichischen Nationalbank haben sich die Untersuchungsrichter unmittelbar an die letztere, bei Fälschungen von inländischem Metallgeld an das hiefür bestimmte Münzamt zu wenden und ebendahin nach beendigtem Verfahren auch die Falsificate einzusenden.

Wegen Erlangung des Befundes über gefälschtes ausländisches Geld oder solche Creditpapiere hat sich der Untersuchungsrichter unmittelbar an das Justizministerium zu wenden.

 

 

(427) VI. Verfahren bei Untersuchungen wegen Brandlegungen.

§. 137. Bei Brandlegungen ist insbesondere zu ermitteln, auf welche Weise der Brand gelegt, ob dazu ein Zündstoff und welcher verwendet worden; ferner der Ort, wo, und die Zeit zu erforschen, wann die Brandlegung, ob bei Tag oder Nacht, und ob sie unter solchen Umständen geschehen, daß daraus wirklich eine Feuersbrunst an fremdem Eigenthume bewirkt oder doch die Gefahr einer solchen herbeigeführt, oder das Leben eines Menschen einer Gefahr ausgesetzt worden sei, und ob das Feuer bei dem Ausbruche sich leicht hätte verbreiten können; endlich ist bei einem wirklich ausgebrochenen Brande die Größe des dadurch verursachten Schadens zu erheben.

VII. Verfahren bei Untersuchungen wegen anderer Beschädigungen.

§. 138. Bei Verbrechen oder Vergehen, durch welche auf andere, als die eben erwähnte Weise, ein Schade oder eine Gefahr für Leben oder Eigenthum herbeigeführt wurde, ist durch den Augenschein vorzüglich die Beschaffenheit der angewendeten Gewalt oder List, der gebrauchten Mittel oder Werkzeuge und die Größe des verursachten oder beabsichtigten Schadens und des entgangenen Gewinnes oder der Gefahr für das Leben, die Gesundheit, oder körperliche Sicherheit von Menschen und für fremdes Eigenthum zu erheben.

XII. Hauptstück.

Von der Haus- und Personsdurchsuchung und der Beschlagnahme.

I. Haus- und Personsdurchsuchung.

§. 139. Eine Hausdurchsuchung, das ist die Durchsuchung der Wohnung oder sonstiger zum Hauswesen gehörigen Räumlichkeiten, darf nur dann vorgenommen werden, wenn gegründeter Verdacht vorliegt, daß sich darin eine, eines Verbrechens oder Vergehens verdächtige Person verborgen halte, oder daß sich daselbst Gegenstände befinden, deren Besitz oder Besichtigung für eine bestimmte Untersuchung von Bedeutung sein könne.

Gegen Personen, bei welchen eine hohe Wahrscheinlichkeit für den Besitz solcher Gegenstände spricht, oder welche eines Verbrechens oder Vergehens verdächtig oder sonst übel berüchtigt sind, kann auch die Durchsuchung der Person und ihrer Kleidung stattfinden.

§. 140. Eine Durchsuchung findet in der Regel nur nach vorausgegangener Vernehmung Desjenigen, bei oder an welchem sie vorgenommen werden soll, und nur insoferne statt, als durch die Vernehmung weder die freiwillige Herausgabe des Gesuchten, noch die Beseitigung der die Durchsuchung veranlassenden Gründe herbeigeführt wird.

Von dieser Vernehmung kann Umgang genommen werden bei übel berüchtigten Personen, sowie auch dann, wenn Gefahr am Verzuge ist, oder wenn die Durchsuchung von dem Publicum offen stehenden Räumlichkeiten vorgenommen wird.

In der Regel darf die Durchsuchung nur kraft eines mit Gründen versehenen richterlichen Befehles unternommen werden. Dieser Befehl ist dem Betheiligten sogleich oder doch innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden zuzustellen.

Von Hausdurchsuchungen wegen Verbrechen oder Vergehen, rücksichtlich welcher weitere polizeiliche Nachforschungen oder Vorkehrungen im Interesse der öffentlichen Sicherheit erforderlich sein können, ist, insoferne dieß ohne Verzögerung geschehen kann, die nächste Sicherheitsbehörde vorläufig in Kenntniß zu setzen, damit ein Abgeordneter derselben hiebei anwesend sein und, ohne auf den Untersuchungsact Einfluß zu nehmen, sich die nöthigen Kenntnisse zu den weiter erforderlichen Vorkehrungen verschaffen könne.

(428) Ist eine Hausdurchsuchung in einem militärischen oder von Militär (Landwehr) besetzten Gebäude vorzunehmen, so ist dieß dem Commandanten anzuzeigen und eine von ihm beigegebene Militär- (Landwehr-) Person beizuziehen.

§. 141. Zum Zwecke der Strafgerichtspflege kann bei Gefahr am Verzuge auch ohne richterlichen Befehl eine Hausdurchsuchung von Gerichtsbeamten oder Beamten der Sicherheitsbehörden angeordnet werden. Der zur Vornahme Abgeordnete ist mit einer schriftlichen Ermächtigung zu versehen, welche er dem Betheiligten vorzuweisen hat.

Zu demselben Zwecke kann eine Hausdurchsuchung auch durch die Sicherheitsorgane aus eigener Macht vorgenommen werden, wenn gegen Jemanden ein Vorführungs- oder Verhaftbefehl erlassen, oder wenn Jemand auf der That betreten, durch öffentliche Nacheile oder öffentlichen Ruf als einer strafbaren Handlung verdächtig bezeichnet oder im Besitze von Gegenständen betreten wird, welche auf die Betheiligung an einer solchen hinweisen.

In beiden Fällen ist dem Betheiligten auf sein Verlangen sogleich oder doch binnen der nächsten vierundzwanzig Stunden die Bescheinigung über die Vornahme der Hausdurchsuchung und deren Gründe zuzustellen.

§. 142. Haus- und Personsdurchsuchungen sind stets mit Vermeidung alles unnöthigen Aufsehens, jeder nicht unumgänglich nöthigen Belästigung oder Störung der Betheiligten, mit möglichster Schonung ihres Rufes und ihrer mit dem Gegenstande der Untersuchung nicht zusammenhängenden Privatgeheimnisse, sowie mit sorgfältigster Wahrung der Schicklichkeit und des Anstandes vorzunehmen.

Der Inhaber der Räumlichkeit, welche durchsucht werden soll, ist aufzufordern, der Durchsuchung beizuwohnen; ist er verhindert oder nicht anwesend, so muß die Aufforderung an ein erwachsenes Mitglied seiner Familie oder in dessen Ermanglung an einen Hausgenossen oder Nachbar ergehen.

Außerdem sind bei der Durchsuchung stets ein Protokollführer und zwei Gerichtszeugen beizuziehen.

Das über die Durchsuchung aufzunehmende Protokoll ist von allen Anwesenden zu unterfertigen. Ist nichts Verdächtiges ermittelt worden, so ist dem Betheiligten auf sein Verlangen eine Bestätigung hierüber zu ertheilen.

II. Beschlagnahme.

§. 143. Werden Gegenstände gefunden, welche für die Untersuchung von Bedeutung sein können, so sind dieselben in ein Verzeichniß zu bringen und in gerichtliche Verwahrung oder doch unter gerichtliche Obhut oder in Beschlag zu nehmen (§. 98).

Jedermann ist verpflichtet, solche Gegenstände, insbesondere auch Urkunden, auf Verlangen herauszugeben. Wird die Herausgabe eines Gegenstandes, dessen Innehabung zugestanden oder sonst erwiesen ist, verweigert, und läßt sich die Abnahme nicht mittelst Hausdurchsuchung bewirken, so kann der Besitzer, falls er nicht selbst der strafbaren Handlung verdächtig erscheint oder von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses gesetzlich befreit ist, durch Verhängung einer Geldstrafe bis zu fünfzig Gulden und bei fernerer Weigerung in wichtigeren Fällen durch Arrest bis zu sechs Wochen dazu angehalten werden.

§. 144. Werden bei einer Haus- oder Personsdurchsuchung Gegenstände gefunden, welche auf die Begehung einer anderen strafbaren Handlung, als derjenigen, wegen welcher die Durchsuchung vorgenommen wird, schließen lassen, so werden sie, wenn jene von Amtswegen zu verfolgen ist, zwar mit Beschlag belegt; es muß jedoch hierüber ein besonderes Protokoll aufgenommen und dieses sofort dem Staatsanwalte mitgetheilt werden. Beantragt dieser nicht die Einleitung des Strafverfahrens, so sind die in Beschlag genommenen Gegenstände unverzüglich zurückzugeben.

(429) III. Durchsuchung und Beschlagnahme von Papieren.

§. 145. Bei der Durchsuchung von Papieren ist dafür zu sorgen, daß deren Inhalt nicht zur Kenntniß unbefugter Personen gelange.

Will der Inhaber von Papieren deren Durchsuchung nicht gestatten, so sind dieselben versiegelt zu Gericht zu hinterlegen, und es ist sofort die Entscheidung der Rathskammer einzuholen, ob sie durchsucht oder zurückgegeben werden sollen.

Auch außerdem sind Papiere, welche in gerichtliche Verwahrung genommen wurden und welche nicht sofort verzeichnet werden können, in einen mit dem Gerichtssiegel zu verschließenden Umschlag zu bringen. Auch dem bei der Durchsuchung etwa anwesenden Betheiligten ist die Beidrückung seines Siegels zu gestatten. Wird eine Entsiegelung vorgenommen, so ist der Betheiligte aufzufordern, derselben beizuwohnen. Erscheint er auf eine solche Aufforderung nicht, oder kann ihm dieselbe wegen seiner Abwesenheit nicht zugestellt werden, so ist die Entsiegelung dennoch vorzunehmen.

IV. Beschlagnahme und Eröffnung von Briefen und anderen Sendungen.

§. 146. Befindet sich der Beschuldigte bereits wegen eines Verbrechens oder Vergehens in Haft, oder ist wegen eines solchen ein Vorführungs- oder Verhaftsbefehl gegen ihn erlassen, so kann der Untersuchungsrichter Telegramme, Briefe oder andere Sendungen, welche der Beschuldigte abschickt, oder welche an ihn gerichtet werden, in Beschlag nehmen und von den Post- oder Telegraphenämtern und sonstigen Beförderungsanstalten deren Auslieferung verlangen,

Diese sind ferner verpflichtet, auf Verlangen des Staatsanwaltes solche Sendungen bis zum Eintreffen einer gerichtlichen Verfügung zurückzuhalten; erfolgt jedoch eine solche Verfügung von Seite des Untersuchungsgerichtes nicht binnen drei Tagen, so dürfen sie die Beförderung nicht weiter verschieben.

§. 147. Die Eröffnung der mit Beschlag belegten Sendungen kann nur durch den Untersuchungsrichter, und zwar mit Zustimmung des Beschuldigten ohneweiters geschehen. Wenn der Beschuldigte nicht zustimmt, hat der Untersuchungsrichter, soferne nicht Gefahr am Verzuge haftet, vorläufig die Genehmigung der Rathskammer einzuholen.

Bei der Eröffnung, über welche ein Protokoll aufzunehmen ist, dürfen die Siegel nicht verletzt werden; Umschläge und Adressen sind aufzubewahren.

§. 148. Die Beschlagnahme von Sendungen ist dem Beschuldigten, oder, wenn er abwesend ist, einem seiner Angehörigen sogleich und längstens binnen vier und zwanzig Stunden bekannt zu machen. Ist die Eröffnung der Sendungen erfolgt, so sind Briefe und Telegramme, soferne von der Mittheilung ihres Inhaltes kein nachtheiliger Einfluß für die Untersuchung zu besorgen ist, dem Beschuldigten oder Demjenigen, an welchen sie gerichtet sind, in Urschrift oder Abschrift, ganz oder auszugsweise mitzutheilen. Ist der Beschuldigte abwesend, so geschieht die Mittheilung an einen seiner Angehörigen. Sind keine Angehörigen des Beschuldigten vorhanden, so ist der Brief, wenn der Richter es im Interesse des Absenders erachtet, diesem zurückzuschicken oder demselben, falls der Brief oder das Telegramm bei den Acten bleiben muß, die erfolgte Beschlagnahme anzuzeigen.

§. 149. In Beschlag genommene Sendungen, deren Eröffnung nicht für nöthig erachtet wurde, sind ohne Verzug Denjenigen, an welche sie gerichtet sind, auszufolgen oder der Beförderungsanstalt zurückzugeben.

(430) XIII. Hauptstück.

Von der Vernehmung der Zeugen.

§. 150. In der Regel ist Jeder, der als Zeuge vorgeladen wird, verpflichtet, der Vorladung Folge zu leisten und über dasjenige, was ihm von dem Gegenstande der Untersuchung bekannt ist, vor Gericht Zeugniß abzulegen.

§. 151. Als Zeugen dürfen, bei sonstiger Nichtigkeit ihrer Aussage, nicht vernommen werden:

1. Geistliche in Ansehung dessen, was ihnen in der Beichte oder sonst unter dem Siegel geistlicher Amtsverschwiegenheit anvertraut wurde;

2. Staatsbeamte, wenn sie durch ihr Zeugniß das ihnen obliegende Amtsgeheimniß

verletzen würden, insoferne sie dieser Pflicht nicht durch ihre Vorgesetzten entbunden sind;

3. Personen, die zur Zeit, in welcher sie das Zeugniß ablegen sollen, wegen ihrer Leibes- oder Gemüthsbeschaffenheit außer Stande sind, die Wahrheit anzugeben.

§. 152. Von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses sind befreit:

1. Die Verwandten und Verschwägerten des Beschuldigten in auf- und absteigender Linie, sein Ehegatte und dessen Geschwister, seine Geschwister und deren Ehegatten, die Geschwister seiner Eltern und Großeltern, seine Neffen, Nichten, Geschwisterkinder, Adoptiv- und Pflegeeltern, Adoptiv- und Pflegekinder, sein Vormund und Mündel;

2. Vertheidiger in Ansehung desjenigen, was ihnen in dieser Eigenschaft von dem Beschuldigten anvertraut worden ist.

Steht eine als Zeuge vorgeladene Person nur zu einem von mehreren Beschuldigten in einem der vorstehend erwähnten Verhältnisse, so kann sie sich des Zeugnisses hinsichtlich der anderen nur dann entschlagen, wenn eine Sonderung der Aussagen, welche die letzteren betreffen, nicht möglich ist.

Der Untersuchungsrichter hat die unter 1. bezeichneten Personen, wenn sie als Zeugen vorgerufen werden, vor ihrer Vernehmung oder doch, sobald ihm ihr Verhältniß zu dem Beschuldigten bekannt wird, über ihr Recht, sich des Zeugnisses zu entschlagen, zu belehren und ihre darüber erfolgte Erklärung in das Protokoll aufzunehmen. Hat der Zeuge auf sein Recht, sich des Zeugnisses zu entschlagen, nicht ausdrücklich verzichtet, so ist seine Aussage nichtig.

§. 153. Wenn die Ablegung des Zeugnisses oder die Beantwortung einer Frage für den Zeugen einen unmittelbaren und bedeutenden Vermögensnachtheil nach sich ziehen oder ihm selbst oder einem seiner Angehörigen (§. 152, Z.1) Schande bringen würde, und er deßhalb das Zeugniß verweigert, so soll er nur in besonderes wichtigen Fällen dazu verhalten werden.

§. 154. Personen, welche durch Krankheit oder Gebrechlichkeit vor Gericht zu erscheinen verhindert sind, können in ihrer Wohnung vernommen werden.

§. 155. Mitglieder des kaiserlichen Hauses werden als Zeugen durch den Obersthofmarschall oder außer Wien durch den Präsidenten des Gerichtshofes erster Instanz ihrer Aufenthaltsortes in ihrer Wohnung vernommen.

§. 156. Ist der Aufenthaltsort eines Zeugen außerhalb des Sprengels des am Sitze des Untersuchungsrichters befindlichen Bezirksgerichtes gelegen, so ist die Vernehmung in der Regel durch jenes Bezirksgericht, in dessen Bezirk sich der Zeuge befindet, zu veranlassen. Hält jedoch der Untersuchungsrichter es zur Erlangung einer erschöpfenden Aussage oder zur Beschleunigung der Sache für nothwendig, den Zeugen selbst zu vernehmen, so kann er denselben unmittelbar oder durch das Bezirksgericht, welchem der Zeuge untersteht, zum persönlichen Erscheinen vorladen. Ist die Stellung des Zeugen vor den Untersuchungsrichter mit zu großen Schwierigkeiten oder mit zu großen Kosten verbunden, so kann er ihn an dessen Aufenthaltsorte (431) auch selbst vernehmen, hat jedoch, wenn dieser nicht in dem Sprengel des Gerichtshofes liegt, welchem er angehört, den zuständigen Gerichtshof davon gleichzeitig zu benachrichtigen.

§. 157. Sind Zeugen zu vernehmen, die sich außer dem Gebiete der im Reichsrathe vertretenen Länder befinden, so ist in der Regel um deren Vernehmung der zuständige fremde Richter zu ersuchen. Demselben sind die Gegenstände und Fragen mitzutheilen, worüber die Vernehmung stattzufinden hat, und es ist zugleich das Ersuchen zu stellen, nach Beschaffenheit der Umstände die Vernehmung auch auf solche Fragepunkte auszudehnen, die sich aus dem Inhalte der von dem Zeugen abgelegten Aussage ergeben werden. Stellt sich aber das persönliche Erscheinen eines solchen Zeugen vor dem Strafgerichte als nothwendig dar, so ist, wenn der Zeuge sich nicht freiwillig einfindet, darüber dem Justizminister Bericht zu erstatten.

§. 158. Steht die zu vernehmende Person in einem öffentlichen Amte oder Dienste und muß zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit oder anderer öffentlicher Interessen eine Stellvertretung während ihrer Verhinderung eintreten, so ist der unmittelbare Vorgesetzte von deren Vorladung gleichzeitig zu benachrichtigen.

Diese Vorschrift hat auch dann zu gelten, wenn Angestellte von Eisenbahnen und Dampfschiffen, Berg-, Hütten-, Hammer- und Walzwerksarbeiter, im Staats- oder Gemeindedienste stehende Sanitätspersonen, im öffentlichen oder Privatforstdienste stehende Personen vorzuladen sind.

§. 159. Wenn ein Zeuge der ihm zugestellten Vorladung nicht Folge leistet, so geschieht seine neuerliche Vorladung unter Androhung einer Geldstrafe bis zu hundert Gulden für den Fall des Nichterscheinens und unter der ferneren Drohung, daß ein Vorführungsbefehl gegen ihn werde erlassen werden. Bleibt der Zeuge ohne giltige Entschuldigungsgründe dennoch aus, so hat der Untersuchungsrichter die Geldstrafe wider ihn zu verhängen und den Vorführungsbefehl auszufertigen. In dringenden Fällen kann der Untersuchungsrichter schon nach dem ersten nicht gerechtfertigten Ausbleiben gegen ihn einen Vorführungsbefehl erlassen. Die Kosten der Vorführung hat der Zeuge zu vergüten.

§. 160. Erscheint der Zeuge, verweigert er aber ohne gesetzlichen Grund ein Zeugniß abzulegen oder den Zeugeneid zu leisten, so kann ihn der Untersuchungsrichter durch eine Geldstrafe bis zu hundert Gulden, und bei fernerer Weigerung in wichtigeren Fällen durch Arrest bis zu sechs Wochen dazu anhalten, ohne daß deßhalb die Fortsetzung oder Beendigung der Voruntersuchung aufgehalten werden muß.

§. 161. Im Laufe der Voruntersuchung sind Zeugen, welche der Militär-Gerichtsbarkeit unterstehen, nach dem Ermessen des Untersuchungsrichters entweder gleich anderen Zeugen von diesem selbst oder durch dasjenige Militärgericht, welchem über sie die Gerichtsbarkeit zusteht, zu vernehmen. Der Untersuchungsrichter hat sich im ersteren Falle wegen Zustellung der Vorladung an das vorgesetzte Commando des Zeugen oder an das nächste Militär-Stationscommando zu wenden, im letzteren Falle aber das Militärgericht, dem der Zeuge untersteht, wegen dessen Vernehmung anzugehen.

Die Mitglieder der Gendarmerie, Militär-Polizeiwache und Sicherheitswache sind rücksichtlich ihrer Vernehmung als Zeugen immer wie Personen aus dem Civilstande zu behandeln. Die Vorladungen an dieselben sind jedoch nur den selbständigen Commandanten unmittelbar, den übrigen Mitgliedern dieser Körper aber immer durch ihre Vorgesetzten zuzustellen, welchen es obliegt, das Erscheinen des Vorgeladenen vor der Civilbehörde anzuordnen.

Sollte ein der Militär-Gerichtsbarkeit unterstehender Zeuge sich weigern, vor dem Untersuchungsrichter zu erscheinen oder die abgeforderte Aussage oder den Zeugeneid abzulegen, so hat sich der Untersuchungsrichter unmittelbar an den Vorgesetzten des Zeugen zu wenden, welchem es obliegt, denselben zur Befolgung des Gesetztes zu verhalten.

(432) §. 162. Jeder Zeuge wird von dem Untersuchungsrichter ohne Beisein des Anklägers, des Privatbetheiligten, Beschuldigten oder anderer Zeugen einzeln vernommen. Es ist ihm während seiner Vernehmung ein Sitz zu gestatten.

§. 163. Ist ein Zeuge der Gerichtssprache nicht kundig, so kann die Vernehmung desselben ohne Dolmetsch nur dann geschehen, wenn sowohl der Untersuchungsrichter, als der Protokollführer seiner Sprache zureichend kundig sind; nach Erforderniß ist den Acten eine beglaubigte Uebersetzung des Protokolles in der Gerichtssprache beizulegen.

Außer diesem Falle aber hat die Vernehmung mit Zuziehung eines beeidigten Dolmetsches stattzufinden und es muß das Verhör sowohl in der Sprache, in welcher der Zeuge vernommen wird, als auch in der Uebersetzung in die Gerichtssprache zu Protokoll gebracht werden. Der Dolmetsch kann auch zugleich als Protokollführer verwendet werden.

§. 164. Ist ein Zeuge taub, so werden ihm die Fragen schriftlich vorgelegt, und ist er stumm, so wird er aufgefordert, schriftlich zu antworten. Wenn die eine oder die andere Art der Vernehmung nicht möglich ist, so muß die Vernehmung des Zeugen unter Zuziehung einer oder mehrerer Personen geschehen, welche der Zeichensprache desselben kundig sind oder sonst die Geschicklichkeit besitzen, sich mit Taubstummen zu verständigen, und welche vorher als Dolmetsche zu beeidigen sind.

§. 165. Der Zeuge ist vor seiner Vernehmung zu ermahnen, daß er auf die an ihn zu richtenden Fragen nach seinem besten Wissen und Gewissen die reine Wahrheit anzugeben, nichts zu verschweigen und seine Aussage so abzulegen habe, daß er sie erforderlichenfalls eidlich bekräftigen könne.

§. 166. Sodann ist der Zeuge um Vor- und Zunamen, Alter, Geburtsort, Religion, Stand, Gewerbe oder Beschäftigung, Wohnort und erforderlichenfalls über andere persönliche Verhältnisse, insbesondere über sein Verhältniß zu dem Beschuldigten oder zu anderen bei der Untersuchung Betheiligten zu befragen.

Erscheint es dem Untersuchungsrichter nach den besonderen Umständen des Falles unumgänglich nothwendig, so kann der Zeuge auch darüber gefragt werden, ob er schon einmal in einer strafgerichtlichen Untersuchung gestanden und welches Ergebniß dieselbe hatte.

§. 167. Bei der Vernehmung über die Sache selbst ist der Zeuge zuvörderst zu einer zusammenhängenden Erzählung der den Gegenstand des Zeugnisses bildenden Thatsachen, sodann aber zur Ergänzung derselben und zur Hebung von Dunkelheiten oder Widersprüchen zu veranlassen. Der Zeuge ist insbesondere aufzufordern, den Grund seines Wissens anzugeben. Fragen, durch welche ihm Thatumstände vorgehalten werden, welche erst durch seine Antwort festgestellt werden sollen, sind möglichst zu vermeiden, und wenn sie gestellt werden müssen, im Protokolle ersichtlich zu machen.

§. 168. Wird es nothwendig, die Anerkennung von Personen oder Sachen durch den Zeugen zu erlangen, so ist die Vorstellung oder Vorlegung in angemessener Weise zu veranlassen; jedoch ist der Zeuge vorher zur genauen Beschreibung und Angabe der unterscheidenden Kennzeichen aufzufordern.

Stimmen Aussagen von Zeugen unter einander in erheblichen Umständen nicht überein, so kann der Untersuchungsrichter deren Gegenüberstellung veranlassen.

Die Gegenüberstellung soll in der Regel nicht zwischen mehr als zwei Personen zugleich geschehen. Die Gegenübergestellten sind über jeden einzelnen Umstand, in Beziehung auf welchen sie von einander abweichen, besonders zu vernehmen und die beiderseitigen Antworten zu Protokoll zu bringen.

§. 169. Die Beeidigung von Zeugen darf in der Voruntersuchung nur dann stattfinden, wenn bei einem Zeugen wegen Krankheit längere Abwesenheit, wegen des Mangels eines bestimmten

(433) Aufenthaltsortes oder aus anderen Gründen zu besorgen ist, daß er bei der Hauptverhandlung nicht werde gegenwärtig sein können, wenn der Ankläger oder der Beschuldigte die Beeidigung eines Zeugen aus wichtigen Gründen beantragt, oder wenn der Untersuchungsrichter nur durch die Forderung der eidlichen Bestätigung der Zeugenaussage die volle Wahrheit erfahren zu können glaubt.

§. 170. Folgende Personen dürfen bei sonstiger Nichtigkeit des Eides nicht beeidet werden:

1. Welche selbst überwiesen sind oder in Verdacht stehen, daß sie die strafbare Handlung, wegen welcher sie abgehört werden, begangen oder daran Theil genommen haben;

2. die sich wegen eines Verbrechens in Untersuchung befinden oder wegen eines solchen zu einer Freiheitsstrafe verurtheilt sind, welche sie noch abzubüßen haben;

3. diejenigen, welche schon einmal wegen falschen Zeugnisses oder falschen Eides verurtheilt worden sind;

4. die zur Zeit ihrer Abhörung das vierzehnte Lebensjahr noch nicht zurückgelegt haben;

5. welche an einer erheblichen Schwäche des Wahrnehmungs- oder Erinnerungsvermögens leiden;

6. die mit dem Beschuldigten, gegen welchen sie aussagen, in einer Feindschaft leben, welche nach Maßgabe der Persönlichkeiten und mit Rücksicht auf die Umstände geeignet ist, die volle Glaubwürdigkeit der Zeugen auszuschließen;

7. welche in ihrem Verhöre wesentliche Umstände angegeben haben, deren Unwahrheit bewiesen ist, und worüber sie nicht einen bloßen Irrthum nachweisen können.

§. 171. Vor dem Untersuchungsrichter erfolgt die Beeidigung des Zeugen erst nach der Abhörung desselben unter Beobachtung des Gesetzes vom 3. Mai 1868, R. G. Bl. Nr. 33.

§. 172. Der durch ein Verbrechen oder Vergehen in seinem Rechte Verletzte ist bei seiner Vernehmung als Zeuge insbesondere darüber zu befragen, ob er sich dem Strafverfahren anschließe.

Auch in diesem Falle, und wenn er als Ankläger auftritt, finden alle über die Zeugenvernehmung ertheilten Vorschriften auch auf ihn Anwendung.

XIV. Hauptstück.

Von der Vorladung, Vorführung, vorläufigen Verwahrung und Verhaftung des Beschuldigten.

I. Vorladung.

§. 173. Der Beschuldigte wird, wo das Gesetz nichts Anderes vorschreibt, zuerst nur zur Vernehmung vorgeladen.

Diese Vorladung geschieht durch Zustellung einer von dem Untersuchungsrichter unterzeichneten, an den Vorzuladenden gerichteten schriftlichen und verschlossenen Ladung. Diese muß den Namen des Gerichtes und des Vorgeladenen, die allgemeine Bezeichnung des Gegenstandes der Untersuchung, den Ort, den Tag und die Stunde des Erscheinens und den Beisatz enthalten, daß der Vorgeladene als Beschuldigter vernommen werden solle und im Falle seines Ausbleibens persönlich werde vor Gericht geführt werden.

II. Vorführung, vorläufige Verwahrung und ordentliche Untersuchungshaft.

§. 174. Erscheint der Vorgeladene nicht, ohne eine hinreichende Entschuldigungsursache angezeigt zu haben, so ist ein schriftlicher Vorführungsbefehl gegen ihn auszufertigen.

(434) §. 175. Der Untersuchungsrichter kann auch ohne vorgängige Vorladung die Vorführung und vorläufige Verwahrung des eines Verbrechens oder Vergehens Verdächtigen anordnen:

1. Wenn er auf frischer That betreten oder unmittelbar nach der That als des Verbrechens oder Vergehens verdächtig durch amtliche Nacheile oder öffentlichen Nachruf bezeichnet oder mit Waffen oder mit anderen Gegenständen, die von dem Verbrechen oder Vergehen herrühren oder sonst auf seine Theilnahme an demselben hinweisen, betreten wird.

2. Wenn er Anstalten zur Flucht gemacht hat oder wenn er wegen der Größe der ihm muthmaßlich bevorstehenden Strafe, wegen seines herumziehenden Lebenswandels, oder als in der Gegend unbekannt als ausweis- oder heimatlos, oder aus anderen triftigen Gründen der Flucht verdächtigt ist.

3. Wenn er auf eine die Ermittlung der Wahrheit hindernde Art auf Zeugen, Sachverständige oder Mitbeschuldigte einzuwirken oder sonst durch Vernichtung der Spuren des Verbrechens oder Vergehens die Untersuchung zu erschweren gesucht hat, oder wenn gegründete Besorgniß vorhanden ist, daß dieß geschehen könne.

4. Wenn besondere Umstände die Befürchtung rechtfertigen, daß der Beschuldigte die vollendete That wiederholen oder eine versuchte oder angedrohte That ausführen werde.

Wenn es sich aber um ein Verbrechen handelt, bei welchem nach dem Gesetze auf die Todesstrafe oder auf mindestens zehnjährige Kerkerstrafe zu erkennen ist, hat der Untersuchungsrichter gegen den eines solchen Verbrechens Verdächtigen sogleich einen Haftbefehl zu erlassen.

§. 176. Der Untersuchungsrichter hat in diesen Fällen (§. 175) einen mit Gründen versehenen schriftlichen Verhaftsbefehl zu erlassen, welcher dem Beschuldigten sogleich bei seiner Verhaftung oder doch innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden zuzustellen ist.

Wird eine der im §. 158 erwähnten Personen in Haft genommen, so ist deren unmittelbarer Vorgesetzter hievon unverzüglich und, soferne keine besonderen Bedenken entgegenstehen, noch vor dem Vollzuge des Verhaftsbefehles in Kenntniß zu setzten. Wird die Haft wieder aufgehoben, so ist auch dieß sofort mitzutheilen.

§. 177. Ausnahmsweise kann eine Verfolgung durch Nacheile und die vorläufige Verwahrung des eines Verbrechens oder Vergehens Verdächtigen zum Behufe der Vorführung vor den Untersuchungsrichter auch durch zur Untersuchung nicht zuständige Richter und durch Organe der Sicherheitsbehörden ohne schriftliche Anordnung vorgenommen werden:

1. im Falle des §. 175, Z. 1 und

2. in den Fällen des §. 175, Z. 2, 3 und 4, soferne die vorläufige Einholung des richterlichen Befehles wegen Gefahr am Verzuge nicht thunlich ist.

Der in Verwahrung Genommene ist durch den Richter oder die Polizeibehörde ungesäumt zu vernehmen, und wenn sich dabei ergibt, daß kein Grund zu seiner weiteren Verwahrung vorhanden sei,

sogleich freizulassen, sonst aber binnen achtundvierzig Stunden an den Untersuchungsrichter abzuliefern.

§. 178. Der für die Vorerhebungen zuständige Bezirksrichter (§. 89) kann, wenn der Beschuldigte nach seiner Vernehmung der ihm zur Last gelegten That verdächtig bleibt, und einer der im §. 175 erwähnten Fälle vorhanden ist, beschließen, daß der Beschuldigte bis auf weitere Weisung des Untersuchungsrichters in Verwahrung zu bleiben habe.

Dieser Beschluß sammt Gründen ist dem Beschuldigten mündlich zu eröffnen; diese Mittheilung ist im Protokolle zu bemerken. Verlangt jedoch der Beschuldigte vor den Untersuchungsrichter gestellt zu werden, so ist er längstens binnen achtundvierzig Stunden an ihn abzuliefern.

§. 179. Jeder dem Gerichte Eingelieferte oder auf Befehl des Untersuchungsrichters Vorgeführte ist durch den Untersuchungsrichter binnen vierundzwanzig Stunden zu vernehmen. Wäre

(435) dieß nicht möglich, so kann der Beschuldigte zwar einstweilen in Verwahrung behalten werden, es ist jedoch dessen Vernehmung sobald als möglich, und zwar längstens innerhalb drei Tagen einzuleiten und der Grund, warum dieselbe nicht früher stattfinden konnte, im Protokolle anzumerken.

Nach der Vernehmung hat der Untersuchungsrichter sofort zu beschließen, ob der Beschuldigte wieder auf freien Fuß gestellt oder wider ihn die ordentliche Untersuchungshaft verhängt werden solle.

§. 180. Die ordentliche Untersuchungshaft kann nur gegen einen Beschuldigten verhängt werden, welcher auch nach seiner Vernehmung durch den Untersuchungsrichter eines Verbrechens oder Vergehens verdächtig bleibt, und bei welchem einer der im §. 175, Z. 2, 3 und 4 bezeichneten Umstände eintritt.

Die Untersuchungshaft muß verhängt werden, wenn es sich um ein Verbrechen handelt, bei welchem nach dem Gesetze auf die Todesstrafe oder auf mindestens zehnjährige Kerkerstrafe zu erkennen ist.

Der Beschluß des Untersuchungsrichters auf Verhängung der Untersuchungshaft ist sammt der Begründung dem Beschuldigten mündlich zu eröffnen, die geschehene Eröffnung ist in dem Protokolle zu bemerken. Auf Verlangen ist dem Beschuldigten dieser Beschluß sammt Begründung binnen vierundzwanzig Stunden auch schriftlich mitzutheilen.

Militär-(Landwehr-)Personen, welche im Frieden zur Recruten-Ausbildung oder zu den Waffenübungen einberufen sind, dürfen während der Dauer der Einberufung von dem Civil-Strafgerichte nur dann in Untersuchungshaft genommen werden, wenn es sich um ein Verbrechen handelt, oder wenn einer der im §. 175, Z. 3, erwähnten Fälle eintritt. Ist eine Kriegserklärung erfolgt oder ein Krieg ausgebrochen, so findet die Untersuchungshaft gegen die genannten Personen, wenn sie zur Dienstleistung einberufen sind, nur dann statt, wenn es sich um ein mit der Todesstrafe oder mit mehr als fünfjähriger Kerkerstrafe bedrohtes Verbrechen handelt.

§. 181. Wenn es bei einem Aufstande oder Aufruhre, bei einer öffentlichen Gewaltthätigkeit oder bei einer anderen von einer großen Anzahl von Personen begangenen strafbaren Handlung nicht möglich ist, die Schuldigen sogleich auszumitteln, so können Alle, welche dem Vorgange beigewohnt haben und von dem Verdachte der Theilnahme nicht völlig frei sind, einstweilen festgenommen werden.

Sie müssen jedoch binnen längstens drei Tagen von dem zuständigen Richter vernommen und dürfen nicht länger in Gewahrsam behalten werden, Diejenigen ausgenommen, wider welche bereits die ordentliche Untersuchungshaft verhängt werden konnte.

§. 182. Begibt sich der Untersuchungsrichter gleich nach Verübung eines Verbrechens oder Vergehens an Ort und Stelle, um den Thatbestand zu erheben, so kann er Jedem, bei dem er es nothwendig findet, verbieten, während desselben oder auch noch während des folgenden Tages seinen Aufenthaltsort zu verlassen. Wer diesem Befehle zuwider handelt, kann von dem Untersuchungsrichter nach Umständen zu einer Geldstrafe bis zu fünfzig Gulden verurtheilt, und es kann gegen ihn ein Verhaftsbefehl erlassen werden.

III. Behandlung der Untersuchungsgefangenen.

§. 183. Die Untersuchungshaft, sowie die vorläufige Verwahrung eines Beschuldigten ist mit möglichster Schonung der Person und der Ehre desselben zu vollziehen. Der Gefangene soll nur jene Beschränkungen erleiden, welche erforderlich sind, um sich seiner Person zu versichern und für die Untersuchung nachtheilige Verabredungen zu hindern.

§. 184. Die Verhafteten sollen, so viel möglich, jeder allein verwahrt werden. Wo diese abgesonderte Verwahrung jedes Verhafteten nicht thunlich ist, hat das Gericht dafür zu sorgen, daß nicht Personen verschiedenen Geschlechtes, Theilnehmer an demselben Verbrechen und

(436) Vergehen, ungeübte oder jugendliche Verbrecher mit geübten oder erwachsenen zusammen in ein Gefängniß gebracht werden. Auch ist bei dieser Vertheilung der Untersuchungsgefangenen auf deren Bildungsstufe und auf die Art der ihnen zur Last liegenden Verbrechen oder Vergehen Rücksicht zu nehmen.

§. 185. Bequemlichkeiten und Beschäftigungen, die dem Stande und den Vermögensverhältnissen des Gefangenen entsprechen, darf er sich auf seine Kosten verschaffen, insoferne sie mit dem Zwecke der Haft vereinbar sind und weder die Ordnung des Hauses stören, noch die Sicherheit gefährden.

§. 186. Wenn der Gefangene den Besuch eines Arztes oder eines Geistlichen seiner Confession nach eigener Wahl verlangt, oder wenn ihn Verwandte oder Personen, die mit ihm in Geschäftsverhältnissen stehen oder mit welchen er sich zu berathen wünscht, besuchen wollen, so ist die Erlaubniß hiezu unter den durch die Hausordnung gebotenen Bedingungen nicht zu verweigern. Solche Besuche finden nur in Gegenwart einer Gerichtsperson statt und können, wenn nach den Umständen des Falles aus denselben Nachtheil für die Untersuchung zu besorgen ist, von dem Untersuchungsrichter gänzlich untersagt werden.

§. 187. Der Verhaftete darf nur mit Vorwissen des Untersuchungsrichters Telegramme, Briefe und ähnliche Sendungen empfangen oder an Andere absenden, und wenn Nachtheile für die Untersuchung zu besorgen sind, nur nachdem der Untersuchungsrichter dieselben gelesen und deren Absendung oder Aushändigung an den Verhafteten unbedenklich gefunden hat. Die Erlaubniß zur Absendung von Schreiben an höhere Justizbehörden darf dem Gefangenen nie verweigert werden.

§. 188. Die Fesselung eines Untersuchungs-Gefangenen darf nur bei einem besonders widerspänstigen,

gewaltthätigen oder Andere aufreizenden Benehmen, sowie wegen Versuchs oder Vorbereitung zur Flucht zeitweilig und nie durch längere Zeit, als das strengste Bedürfniß es erfordert, in Anwendung gebracht werden.

§. 189. Die Bezirksrichter, sowie die Vorsteher der Gerichtshöfe erster Instanz sind verpflichtet, wenigstens einmal in jeder Woche, unter Zuziehung einer Gerichtsperson, die ihnen unterstehenden Gefängnisse unvermuthet zu besuchen, die Verhafteten in Abwesenheit der Gefangenwärter über ihre Verpflegung und Behandlung zu befragen und wegen Abstellung der entdeckten Gebrechen das Nöthige zu verfügen.

IV. Sicherheitsleistung, Aufhebung der vorläufigen Verwahrung und der Untersuchungshaft.

§. 190. Die Untersuchungshaft, sowie die vorläufige Verwahrung sind sofort aufzuheben, sobald die Gründe derselben entfallen. Sämmtliche am Strafverfahren betheiligten Behörden sind verpflichtet, auf die möglichste Abkürzung dieser Haft hinzuwirken.

Ist der Beschuldigte blos aus dem im §. 175, Z. 3, erwähnten Grunde in Haft, so darf diese in der Regel nicht über zwei Monate ausgedehnt werden. Eine Ausnahme hievon, jedoch auch nur in der Ausdehnung bis auf höchstens drei Monate, vom Tage der Verhaftung angefangen, kann auf Antrag des Staatsanwaltes oder des Untersuchungsrichters von dem Gerichtshofe zweiter Instanz aus sehr wichtigen Gründen und bei besonders weitwendigen Untersuchungen bewilligt werden.

§. 191. Wird ein Beschuldigter entlassen und auf freien Fuß gesetzt, so kann ihm der Untersuchungsrichter das Gelöbniß abfordern, daß er sich bis zur rechtskräftigen Beendigung des Strafverfahrens ohne Genehmigung des Untersuchungsrichters von seinem Aufenthaltsorte nicht entfernen, noch sich verborgen halten, noch auch die Untersuchung zu vereiteln suchen werde. Der Bruch dieses Gelöbnisses zieht die Verhängung der Untersuchungshaft wider den Beschuldigten nach sich.

 

 

(427) VI. Verfahren bei Untersuchungen wegen Brandlegungen.

§. 137. Bei Brandlegungen ist insbesondere zu ermitteln, auf welche Weise der Brand gelegt, ob dazu ein Zündstoff und welcher verwendet worden; ferner der Ort, wo, und die Zeit zu erforschen, wann die Brandlegung, ob bei Tag oder Nacht, und ob sie unter solchen Umständen geschehen, daß daraus wirklich eine Feuersbrunst an fremdem Eigenthume bewirkt oder doch die Gefahr einer solchen herbeigeführt, oder das Leben eines Menschen einer Gefahr ausgesetzt worden sei, und ob das Feuer bei dem Ausbruche sich leicht hätte verbreiten können; endlich ist bei einem wirklich ausgebrochenen Brande die Größe des dadurch verursachten Schadens zu erheben.

VII. Verfahren bei Untersuchungen wegen anderer Beschädigungen.

§. 138. Bei Verbrechen oder Vergehen, durch welche auf andere, als die eben erwähnte Weise, ein Schade oder eine Gefahr für Leben oder Eigenthum herbeigeführt wurde, ist durch den Augenschein vorzüglich die Beschaffenheit der angewendeten Gewalt oder List, der gebrauchten Mittel oder Werkzeuge und die Größe des verursachten oder beabsichtigten Schadens und des entgangenen Gewinnes oder der Gefahr für das Leben, die Gesundheit, oder körperliche Sicherheit von Menschen und für fremdes Eigenthum zu erheben.

XII. Hauptstück.

Von der Haus- und Personsdurchsuchung und der Beschlagnahme.

I. Haus- und Personsdurchsuchung.

§. 139. Eine Hausdurchsuchung, das ist die Durchsuchung der Wohnung oder sonstiger zum Hauswesen gehörigen Räumlichkeiten, darf nur dann vorgenommen werden, wenn gegründeter Verdacht vorliegt, daß sich darin eine, eines Verbrechens oder Vergehens verdächtige Person verborgen halte, oder daß sich daselbst Gegenstände befinden, deren Besitz oder Besichtigung für eine bestimmte Untersuchung von Bedeutung sein könne.

Gegen Personen, bei welchen eine hohe Wahrscheinlichkeit für den Besitz solcher Gegenstände spricht, oder welche eines Verbrechens oder Vergehens verdächtig oder sonst übel berüchtigt sind, kann auch die Durchsuchung der Person und ihrer Kleidung stattfinden.

§. 140. Eine Durchsuchung findet in der Regel nur nach vorausgegangener Vernehmung Desjenigen, bei oder an welchem sie vorgenommen werden soll, und nur insoferne statt, als durch die Vernehmung weder die freiwillige Herausgabe des Gesuchten, noch die Beseitigung der die Durchsuchung veranlassenden Gründe herbeigeführt wird.

Von dieser Vernehmung kann Umgang genommen werden bei übel berüchtigten Personen, sowie auch dann, wenn Gefahr am Verzuge ist, oder wenn die Durchsuchung von dem Publicum offen stehenden Räumlichkeiten vorgenommen wird.

In der Regel darf die Durchsuchung nur kraft eines mit Gründen versehenen richterlichen Befehles unternommen werden. Dieser Befehl ist dem Betheiligten sogleich oder doch innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden zuzustellen.

Von Hausdurchsuchungen wegen Verbrechen oder Vergehen, rücksichtlich welcher weitere polizeiliche Nachforschungen oder Vorkehrungen im Interesse der öffentlichen Sicherheit erforderlich sein können, ist, insoferne dieß ohne Verzögerung geschehen kann, die nächste Sicherheitsbehörde vorläufig in Kenntniß zu setzen, damit ein Abgeordneter derselben hiebei anwesend sein und, ohne auf den Untersuchungsact Einfluß zu nehmen, sich die nöthigen Kenntnisse zu den weiter erforderlichen Vorkehrungen verschaffen könne.

(428) Ist eine Hausdurchsuchung in einem militärischen oder von Militär (Landwehr) besetzten Gebäude vorzunehmen, so ist dieß dem Commandanten anzuzeigen und eine von ihm beigegebene Militär- (Landwehr-) Person beizuziehen.

§. 141. Zum Zwecke der Strafgerichtspflege kann bei Gefahr am Verzuge auch ohne richterlichen Befehl eine Hausdurchsuchung von Gerichtsbeamten oder Beamten der Sicherheitsbehörden angeordnet werden. Der zur Vornahme Abgeordnete ist mit einer schriftlichen Ermächtigung zu versehen, welche er dem Betheiligten vorzuweisen hat.

Zu demselben Zwecke kann eine Hausdurchsuchung auch durch die Sicherheitsorgane aus eigener Macht vorgenommen werden, wenn gegen Jemanden ein Vorführungs- oder Verhaftbefehl erlassen, oder wenn Jemand auf der That betreten, durch öffentliche Nacheile oder öffentlichen Ruf als einer strafbaren Handlung verdächtig bezeichnet oder im Besitze von Gegenständen betreten wird, welche auf die Betheiligung an einer solchen hinweisen.

In beiden Fällen ist dem Betheiligten auf sein Verlangen sogleich oder doch binnen der nächsten vierundzwanzig Stunden die Bescheinigung über die Vornahme der Hausdurchsuchung und deren Gründe zuzustellen.

§. 142. Haus- und Personsdurchsuchungen sind stets mit Vermeidung alles unnöthigen Aufsehens, jeder nicht unumgänglich nöthigen Belästigung oder Störung der Betheiligten, mit möglichster Schonung ihres Rufes und ihrer mit dem Gegenstande der Untersuchung nicht zusammenhängenden Privatgeheimnisse, sowie mit sorgfältigster Wahrung der Schicklichkeit und des Anstandes vorzunehmen.

Der Inhaber der Räumlichkeit, welche durchsucht werden soll, ist aufzufordern, der Durchsuchung beizuwohnen; ist er verhindert oder nicht anwesend, so muß die Aufforderung an ein erwachsenes Mitglied seiner Familie oder in dessen Ermanglung an einen Hausgenossen oder Nachbar ergehen.

Außerdem sind bei der Durchsuchung stets ein Protokollführer und zwei Gerichtszeugen beizuziehen.

Das über die Durchsuchung aufzunehmende Protokoll ist von allen Anwesenden zu unterfertigen. Ist nichts Verdächtiges ermittelt worden, so ist dem Betheiligten auf sein Verlangen eine Bestätigung hierüber zu ertheilen.

II. Beschlagnahme.

§. 143. Werden Gegenstände gefunden, welche für die Untersuchung von Bedeutung sein können, so sind dieselben in ein Verzeichniß zu bringen und in gerichtliche Verwahrung oder doch unter gerichtliche Obhut oder in Beschlag zu nehmen (§. 98).

Jedermann ist verpflichtet, solche Gegenstände, insbesondere auch Urkunden, auf Verlangen herauszugeben. Wird die Herausgabe eines Gegenstandes, dessen Innehabung zugestanden oder sonst erwiesen ist, verweigert, und läßt sich die Abnahme nicht mittelst Hausdurchsuchung bewirken, so kann der Besitzer, falls er nicht selbst der strafbaren Handlung verdächtig erscheint oder von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses gesetzlich befreit ist, durch Verhängung einer Geldstrafe bis zu fünfzig Gulden und bei fernerer Weigerung in wichtigeren Fällen durch Arrest bis zu sechs Wochen dazu angehalten werden.

§. 144. Werden bei einer Haus- oder Personsdurchsuchung Gegenstände gefunden, welche auf die Begehung einer anderen strafbaren Handlung, als derjenigen, wegen welcher die Durchsuchung vorgenommen wird, schließen lassen, so werden sie, wenn jene von Amtswegen zu verfolgen ist, zwar mit Beschlag belegt; es muß jedoch hierüber ein besonderes Protokoll aufgenommen und dieses sofort dem Staatsanwalte mitgetheilt werden. Beantragt dieser nicht die Einleitung des Strafverfahrens, so sind die in Beschlag genommenen Gegenstände unverzüglich zurückzugeben.

(429) III. Durchsuchung und Beschlagnahme von Papieren.

§. 145. Bei der Durchsuchung von Papieren ist dafür zu sorgen, daß deren Inhalt nicht zur Kenntniß unbefugter Personen gelange.

Will der Inhaber von Papieren deren Durchsuchung nicht gestatten, so sind dieselben versiegelt zu Gericht zu hinterlegen, und es ist sofort die Entscheidung der Rathskammer einzuholen, ob sie durchsucht oder zurückgegeben werden sollen.

Auch außerdem sind Papiere, welche in gerichtliche Verwahrung genommen wurden und welche nicht sofort verzeichnet werden können, in einen mit dem Gerichtssiegel zu verschließenden Umschlag zu bringen. Auch dem bei der Durchsuchung etwa anwesenden Betheiligten ist die Beidrückung seines Siegels zu gestatten. Wird eine Entsiegelung vorgenommen, so ist der Betheiligte aufzufordern, derselben beizuwohnen. Erscheint er auf eine solche Aufforderung nicht, oder kann ihm dieselbe wegen seiner Abwesenheit nicht zugestellt werden, so ist die Entsiegelung dennoch vorzunehmen.

IV. Beschlagnahme und Eröffnung von Briefen und anderen Sendungen.

§. 146. Befindet sich der Beschuldigte bereits wegen eines Verbrechens oder Vergehens in Haft, oder ist wegen eines solchen ein Vorführungs- oder Verhaftsbefehl gegen ihn erlassen, so kann der Untersuchungsrichter Telegramme, Briefe oder andere Sendungen, welche der Beschuldigte abschickt, oder welche an ihn gerichtet werden, in Beschlag nehmen und von den Post- oder Telegraphenämtern und sonstigen Beförderungsanstalten deren Auslieferung verlangen,

Diese sind ferner verpflichtet, auf Verlangen des Staatsanwaltes solche Sendungen bis zum Eintreffen einer gerichtlichen Verfügung zurückzuhalten; erfolgt jedoch eine solche Verfügung von Seite des Untersuchungsgerichtes nicht binnen drei Tagen, so dürfen sie die Beförderung nicht weiter verschieben.

§. 147. Die Eröffnung der mit Beschlag belegten Sendungen kann nur durch den Untersuchungsrichter, und zwar mit Zustimmung des Beschuldigten ohneweiters geschehen. Wenn der Beschuldigte nicht zustimmt, hat der Untersuchungsrichter, soferne nicht Gefahr am Verzuge haftet, vorläufig die Genehmigung der Rathskammer einzuholen.

Bei der Eröffnung, über welche ein Protokoll aufzunehmen ist, dürfen die Siegel nicht verletzt werden; Umschläge und Adressen sind aufzubewahren.

§. 148. Die Beschlagnahme von Sendungen ist dem Beschuldigten, oder, wenn er abwesend ist, einem seiner Angehörigen sogleich und längstens binnen vier und zwanzig Stunden bekannt zu machen. Ist die Eröffnung der Sendungen erfolgt, so sind Briefe und Telegramme, soferne von der Mittheilung ihres Inhaltes kein nachtheiliger Einfluß für die Untersuchung zu besorgen ist, dem Beschuldigten oder Demjenigen, an welchen sie gerichtet sind, in Urschrift oder Abschrift, ganz oder auszugsweise mitzutheilen. Ist der Beschuldigte abwesend, so geschieht die Mittheilung an einen seiner Angehörigen. Sind keine Angehörigen des Beschuldigten vorhanden, so ist der Brief, wenn der Richter es im Interesse des Absenders erachtet, diesem zurückzuschicken oder demselben, falls der Brief oder das Telegramm bei den Acten bleiben muß, die erfolgte Beschlagnahme anzuzeigen.

§. 149. In Beschlag genommene Sendungen, deren Eröffnung nicht für nöthig erachtet wurde, sind ohne Verzug Denjenigen, an welche sie gerichtet sind, auszufolgen oder der Beförderungsanstalt zurückzugeben.

(430) XIII. Hauptstück.

Von der Vernehmung der Zeugen.

§. 150. In der Regel ist Jeder, der als Zeuge vorgeladen wird, verpflichtet, der Vorladung Folge zu leisten und über dasjenige, was ihm von dem Gegenstande der Untersuchung bekannt ist, vor Gericht Zeugniß abzulegen.

§. 151. Als Zeugen dürfen, bei sonstiger Nichtigkeit ihrer Aussage, nicht vernommen werden:

1. Geistliche in Ansehung dessen, was ihnen in der Beichte oder sonst unter dem Siegel geistlicher Amtsverschwiegenheit anvertraut wurde;

2. Staatsbeamte, wenn sie durch ihr Zeugniß das ihnen obliegende Amtsgeheimniß

verletzen würden, insoferne sie dieser Pflicht nicht durch ihre Vorgesetzten entbunden sind;

3. Personen, die zur Zeit, in welcher sie das Zeugniß ablegen sollen, wegen ihrer Leibes- oder Gemüthsbeschaffenheit außer Stande sind, die Wahrheit anzugeben.

§. 152. Von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses sind befreit:

1. Die Verwandten und Verschwägerten des Beschuldigten in auf- und absteigender Linie, sein Ehegatte und dessen Geschwister, seine Geschwister und deren Ehegatten, die Geschwister seiner Eltern und Großeltern, seine Neffen, Nichten, Geschwisterkinder, Adoptiv- und Pflegeeltern, Adoptiv- und Pflegekinder, sein Vormund und Mündel;

2. Vertheidiger in Ansehung desjenigen, was ihnen in dieser Eigenschaft von dem Beschuldigten anvertraut worden ist.

Steht eine als Zeuge vorgeladene Person nur zu einem von mehreren Beschuldigten in einem der vorstehend erwähnten Verhältnisse, so kann sie sich des Zeugnisses hinsichtlich der anderen nur dann entschlagen, wenn eine Sonderung der Aussagen, welche die letzteren betreffen, nicht möglich ist.

Der Untersuchungsrichter hat die unter 1. bezeichneten Personen, wenn sie als Zeugen vorgerufen werden, vor ihrer Vernehmung oder doch, sobald ihm ihr Verhältniß zu dem Beschuldigten bekannt wird, über ihr Recht, sich des Zeugnisses zu entschlagen, zu belehren und ihre darüber erfolgte Erklärung in das Protokoll aufzunehmen. Hat der Zeuge auf sein Recht, sich des Zeugnisses zu entschlagen, nicht ausdrücklich verzichtet, so ist seine Aussage nichtig.

§. 153. Wenn die Ablegung des Zeugnisses oder die Beantwortung einer Frage für den Zeugen einen unmittelbaren und bedeutenden Vermögensnachtheil nach sich ziehen oder ihm selbst oder einem seiner Angehörigen (§. 152, Z.1) Schande bringen würde, und er deßhalb das Zeugniß verweigert, so soll er nur in besonderes wichtigen Fällen dazu verhalten werden.

§. 154. Personen, welche durch Krankheit oder Gebrechlichkeit vor Gericht zu erscheinen verhindert sind, können in ihrer Wohnung vernommen werden.

§. 155. Mitglieder des kaiserlichen Hauses werden als Zeugen durch den Obersthofmarschall oder außer Wien durch den Präsidenten des Gerichtshofes erster Instanz ihrer Aufenthaltsortes in ihrer Wohnung vernommen.

§. 156. Ist der Aufenthaltsort eines Zeugen außerhalb des Sprengels des am Sitze des Untersuchungsrichters befindlichen Bezirksgerichtes gelegen, so ist die Vernehmung in der Regel durch jenes Bezirksgericht, in dessen Bezirk sich der Zeuge befindet, zu veranlassen. Hält jedoch der Untersuchungsrichter es zur Erlangung einer erschöpfenden Aussage oder zur Beschleunigung der Sache für nothwendig, den Zeugen selbst zu vernehmen, so kann er denselben unmittelbar oder durch das Bezirksgericht, welchem der Zeuge untersteht, zum persönlichen Erscheinen vorladen. Ist die Stellung des Zeugen vor den Untersuchungsrichter mit zu großen Schwierigkeiten oder mit zu großen Kosten verbunden, so kann er ihn an dessen Aufenthaltsorte (431) auch selbst vernehmen, hat jedoch, wenn dieser nicht in dem Sprengel des Gerichtshofes liegt, welchem er angehört, den zuständigen Gerichtshof davon gleichzeitig zu benachrichtigen.

§. 157. Sind Zeugen zu vernehmen, die sich außer dem Gebiete der im Reichsrathe vertretenen Länder befinden, so ist in der Regel um deren Vernehmung der zuständige fremde Richter zu ersuchen. Demselben sind die Gegenstände und Fragen mitzutheilen, worüber die Vernehmung stattzufinden hat, und es ist zugleich das Ersuchen zu stellen, nach Beschaffenheit der Umstände die Vernehmung auch auf solche Fragepunkte auszudehnen, die sich aus dem Inhalte der von dem Zeugen abgelegten Aussage ergeben werden. Stellt sich aber das persönliche Erscheinen eines solchen Zeugen vor dem Strafgerichte als nothwendig dar, so ist, wenn der Zeuge sich nicht freiwillig einfindet, darüber dem Justizminister Bericht zu erstatten.

§. 158. Steht die zu vernehmende Person in einem öffentlichen Amte oder Dienste und muß zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit oder anderer öffentlicher Interessen eine Stellvertretung während ihrer Verhinderung eintreten, so ist der unmittelbare Vorgesetzte von deren Vorladung gleichzeitig zu benachrichtigen.

Diese Vorschrift hat auch dann zu gelten, wenn Angestellte von Eisenbahnen und Dampfschiffen, Berg-, Hütten-, Hammer- und Walzwerksarbeiter, im Staats- oder Gemeindedienste stehende Sanitätspersonen, im öffentlichen oder Privatforstdienste stehende Personen vorzuladen sind.

§. 159. Wenn ein Zeuge der ihm zugestellten Vorladung nicht Folge leistet, so geschieht seine neuerliche Vorladung unter Androhung einer Geldstrafe bis zu hundert Gulden für den Fall des Nichterscheinens und unter der ferneren Drohung, daß ein Vorführungsbefehl gegen ihn werde erlassen werden. Bleibt der Zeuge ohne giltige Entschuldigungsgründe dennoch aus, so hat der Untersuchungsrichter die Geldstrafe wider ihn zu verhängen und den Vorführungsbefehl auszufertigen. In dringenden Fällen kann der Untersuchungsrichter schon nach dem ersten nicht gerechtfertigten Ausbleiben gegen ihn einen Vorführungsbefehl erlassen. Die Kosten der Vorführung hat der Zeuge zu vergüten.

§. 160. Erscheint der Zeuge, verweigert er aber ohne gesetzlichen Grund ein Zeugniß abzulegen oder den Zeugeneid zu leisten, so kann ihn der Untersuchungsrichter durch eine Geldstrafe bis zu hundert Gulden, und bei fernerer Weigerung in wichtigeren Fällen durch Arrest bis zu sechs Wochen dazu anhalten, ohne daß deßhalb die Fortsetzung oder Beendigung der Voruntersuchung aufgehalten werden muß.

§. 161. Im Laufe der Voruntersuchung sind Zeugen, welche der Militär-Gerichtsbarkeit unterstehen, nach dem Ermessen des Untersuchungsrichters entweder gleich anderen Zeugen von diesem selbst oder durch dasjenige Militärgericht, welchem über sie die Gerichtsbarkeit zusteht, zu vernehmen. Der Untersuchungsrichter hat sich im ersteren Falle wegen Zustellung der Vorladung an das vorgesetzte Commando des Zeugen oder an das nächste Militär-Stationscommando zu wenden, im letzteren Falle aber das Militärgericht, dem der Zeuge untersteht, wegen dessen Vernehmung anzugehen.

Die Mitglieder der Gendarmerie, Militär-Polizeiwache und Sicherheitswache sind rücksichtlich ihrer Vernehmung als Zeugen immer wie Personen aus dem Civilstande zu behandeln. Die Vorladungen an dieselben sind jedoch nur den selbständigen Commandanten unmittelbar, den übrigen Mitgliedern dieser Körper aber immer durch ihre Vorgesetzten zuzustellen, welchen es obliegt, das Erscheinen des Vorgeladenen vor der Civilbehörde anzuordnen.

Sollte ein der Militär-Gerichtsbarkeit unterstehender Zeuge sich weigern, vor dem Untersuchungsrichter zu erscheinen oder die abgeforderte Aussage oder den Zeugeneid abzulegen, so hat sich der Untersuchungsrichter unmittelbar an den Vorgesetzten des Zeugen zu wenden, welchem es obliegt, denselben zur Befolgung des Gesetztes zu verhalten.

(432) §. 162. Jeder Zeuge wird von dem Untersuchungsrichter ohne Beisein des Anklägers, des Privatbetheiligten, Beschuldigten oder anderer Zeugen einzeln vernommen. Es ist ihm während seiner Vernehmung ein Sitz zu gestatten.

§. 163. Ist ein Zeuge der Gerichtssprache nicht kundig, so kann die Vernehmung desselben ohne Dolmetsch nur dann geschehen, wenn sowohl der Untersuchungsrichter, als der Protokollführer seiner Sprache zureichend kundig sind; nach Erforderniß ist den Acten eine beglaubigte Uebersetzung des Protokolles in der Gerichtssprache beizulegen.

Außer diesem Falle aber hat die Vernehmung mit Zuziehung eines beeidigten Dolmetsches stattzufinden und es muß das Verhör sowohl in der Sprache, in welcher der Zeuge vernommen wird, als auch in der Uebersetzung in die Gerichtssprache zu Protokoll gebracht werden. Der Dolmetsch kann auch zugleich als Protokollführer verwendet werden.

§. 164. Ist ein Zeuge taub, so werden ihm die Fragen schriftlich vorgelegt, und ist er stumm, so wird er aufgefordert, schriftlich zu antworten. Wenn die eine oder die andere Art der Vernehmung nicht möglich ist, so muß die Vernehmung des Zeugen unter Zuziehung einer oder mehrerer Personen geschehen, welche der Zeichensprache desselben kundig sind oder sonst die Geschicklichkeit besitzen, sich mit Taubstummen zu verständigen, und welche vorher als Dolmetsche zu beeidigen sind.

§. 165. Der Zeuge ist vor seiner Vernehmung zu ermahnen, daß er auf die an ihn zu richtenden Fragen nach seinem besten Wissen und Gewissen die reine Wahrheit anzugeben, nichts zu verschweigen und seine Aussage so abzulegen habe, daß er sie erforderlichenfalls eidlich bekräftigen könne.

§. 166. Sodann ist der Zeuge um Vor- und Zunamen, Alter, Geburtsort, Religion, Stand, Gewerbe oder Beschäftigung, Wohnort und erforderlichenfalls über andere persönliche Verhältnisse, insbesondere über sein Verhältniß zu dem Beschuldigten oder zu anderen bei der Untersuchung Betheiligten zu befragen.

Erscheint es dem Untersuchungsrichter nach den besonderen Umständen des Falles unumgänglich nothwendig, so kann der Zeuge auch darüber gefragt werden, ob er schon einmal in einer strafgerichtlichen Untersuchung gestanden und welches Ergebniß dieselbe hatte.

§. 167. Bei der Vernehmung über die Sache selbst ist der Zeuge zuvörderst zu einer zusammenhängenden Erzählung der den Gegenstand des Zeugnisses bildenden Thatsachen, sodann aber zur Ergänzung derselben und zur Hebung von Dunkelheiten oder Widersprüchen zu veranlassen. Der Zeuge ist insbesondere aufzufordern, den Grund seines Wissens anzugeben. Fragen, durch welche ihm Thatumstände vorgehalten werden, welche erst durch seine Antwort festgestellt werden sollen, sind möglichst zu vermeiden, und wenn sie gestellt werden müssen, im Protokolle ersichtlich zu machen.

§. 168. Wird es nothwendig, die Anerkennung von Personen oder Sachen durch den Zeugen zu erlangen, so ist die Vorstellung oder Vorlegung in angemessener Weise zu veranlassen; jedoch ist der Zeuge vorher zur genauen Beschreibung und Angabe der unterscheidenden Kennzeichen aufzufordern.

Stimmen Aussagen von Zeugen unter einander in erheblichen Umständen nicht überein, so kann der Untersuchungsrichter deren Gegenüberstellung veranlassen.

Die Gegenüberstellung soll in der Regel nicht zwischen mehr als zwei Personen zugleich geschehen. Die Gegenübergestellten sind über jeden einzelnen Umstand, in Beziehung auf welchen sie von einander abweichen, besonders zu vernehmen und die beiderseitigen Antworten zu Protokoll zu bringen.

§. 169. Die Beeidigung von Zeugen darf in der Voruntersuchung nur dann stattfinden, wenn bei einem Zeugen wegen Krankheit längere Abwesenheit, wegen des Mangels eines bestimmten

(433) Aufenthaltsortes oder aus anderen Gründen zu besorgen ist, daß er bei der Hauptverhandlung nicht werde gegenwärtig sein können, wenn der Ankläger oder der Beschuldigte die Beeidigung eines Zeugen aus wichtigen Gründen beantragt, oder wenn der Untersuchungsrichter nur durch die Forderung der eidlichen Bestätigung der Zeugenaussage die volle Wahrheit erfahren zu können glaubt.

§. 170. Folgende Personen dürfen bei sonstiger Nichtigkeit des Eides nicht beeidet werden:

1. Welche selbst überwiesen sind oder in Verdacht stehen, daß sie die strafbare Handlung, wegen welcher sie abgehört werden, begangen oder daran Theil genommen haben;

2. die sich wegen eines Verbrechens in Untersuchung befinden oder wegen eines solchen zu einer Freiheitsstrafe verurtheilt sind, welche sie noch abzubüßen haben;

3. diejenigen, welche schon einmal wegen falschen Zeugnisses oder falschen Eides verurtheilt worden sind;

4. die zur Zeit ihrer Abhörung das vierzehnte Lebensjahr noch nicht zurückgelegt haben;

5. welche an einer erheblichen Schwäche des Wahrnehmungs- oder Erinnerungsvermögens leiden;

6. die mit dem Beschuldigten, gegen welchen sie aussagen, in einer Feindschaft leben, welche nach Maßgabe der Persönlichkeiten und mit Rücksicht auf die Umstände geeignet ist, die volle Glaubwürdigkeit der Zeugen auszuschließen;

7. welche in ihrem Verhöre wesentliche Umstände angegeben haben, deren Unwahrheit bewiesen ist, und worüber sie nicht einen bloßen Irrthum nachweisen können.

§. 171. Vor dem Untersuchungsrichter erfolgt die Beeidigung des Zeugen erst nach der Abhörung desselben unter Beobachtung des Gesetzes vom 3. Mai 1868, R. G. Bl. Nr. 33.

§. 172. Der durch ein Verbrechen oder Vergehen in seinem Rechte Verletzte ist bei seiner Vernehmung als Zeuge insbesondere darüber zu befragen, ob er sich dem Strafverfahren anschließe.

Auch in diesem Falle, und wenn er als Ankläger auftritt, finden alle über die Zeugenvernehmung ertheilten Vorschriften auch auf ihn Anwendung.

XIV. Hauptstück.

Von der Vorladung, Vorführung, vorläufigen Verwahrung und Verhaftung des Beschuldigten.

I. Vorladung.

§. 173. Der Beschuldigte wird, wo das Gesetz nichts Anderes vorschreibt, zuerst nur zur Vernehmung vorgeladen.

Diese Vorladung geschieht durch Zustellung einer von dem Untersuchungsrichter unterzeichneten, an den Vorzuladenden gerichteten schriftlichen und verschlossenen Ladung. Diese muß den Namen des Gerichtes und des Vorgeladenen, die allgemeine Bezeichnung des Gegenstandes der Untersuchung, den Ort, den Tag und die Stunde des Erscheinens und den Beisatz enthalten, daß der Vorgeladene als Beschuldigter vernommen werden solle und im Falle seines Ausbleibens persönlich werde vor Gericht geführt werden.

II. Vorführung, vorläufige Verwahrung und ordentliche Untersuchungshaft.

§. 174. Erscheint der Vorgeladene nicht, ohne eine hinreichende Entschuldigungsursache angezeigt zu haben, so ist ein schriftlicher Vorführungsbefehl gegen ihn auszufertigen.

(434) §. 175. Der Untersuchungsrichter kann auch ohne vorgängige Vorladung die Vorführung und vorläufige Verwahrung des eines Verbrechens oder Vergehens Verdächtigen anordnen:

1. Wenn er auf frischer That betreten oder unmittelbar nach der That als des Verbrechens oder Vergehens verdächtig durch amtliche Nacheile oder öffentlichen Nachruf bezeichnet oder mit Waffen oder mit anderen Gegenständen, die von dem Verbrechen oder Vergehen herrühren oder sonst auf seine Theilnahme an demselben hinweisen, betreten wird.

2. Wenn er Anstalten zur Flucht gemacht hat oder wenn er wegen der Größe der ihm muthmaßlich bevorstehenden Strafe, wegen seines herumziehenden Lebenswandels, oder als in der Gegend unbekannt als ausweis- oder heimatlos, oder aus anderen triftigen Gründen der Flucht verdächtigt ist.

3. Wenn er auf eine die Ermittlung der Wahrheit hindernde Art auf Zeugen, Sachverständige oder Mitbeschuldigte einzuwirken oder sonst durch Vernichtung der Spuren des Verbrechens oder Vergehens die Untersuchung zu erschweren gesucht hat, oder wenn gegründete Besorgniß vorhanden ist, daß dieß geschehen könne.

4. Wenn besondere Umstände die Befürchtung rechtfertigen, daß der Beschuldigte die vollendete That wiederholen oder eine versuchte oder angedrohte That ausführen werde.

Wenn es sich aber um ein Verbrechen handelt, bei welchem nach dem Gesetze auf die Todesstrafe oder auf mindestens zehnjährige Kerkerstrafe zu erkennen ist, hat der Untersuchungsrichter gegen den eines solchen Verbrechens Verdächtigen sogleich einen Haftbefehl zu erlassen.

§. 176. Der Untersuchungsrichter hat in diesen Fällen (§. 175) einen mit Gründen versehenen schriftlichen Verhaftsbefehl zu erlassen, welcher dem Beschuldigten sogleich bei seiner Verhaftung oder doch innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden zuzustellen ist.

Wird eine der im §. 158 erwähnten Personen in Haft genommen, so ist deren unmittelbarer Vorgesetzter hievon unverzüglich und, soferne keine besonderen Bedenken entgegenstehen, noch vor dem Vollzuge des Verhaftsbefehles in Kenntniß zu setzten. Wird die Haft wieder aufgehoben, so ist auch dieß sofort mitzutheilen.

§. 177. Ausnahmsweise kann eine Verfolgung durch Nacheile und die vorläufige Verwahrung des eines Verbrechens oder Vergehens Verdächtigen zum Behufe der Vorführung vor den Untersuchungsrichter auch durch zur Untersuchung nicht zuständige Richter und durch Organe der Sicherheitsbehörden ohne schriftliche Anordnung vorgenommen werden:

1. im Falle des §. 175, Z. 1 und

2. in den Fällen des §. 175, Z. 2, 3 und 4, soferne die vorläufige Einholung des richterlichen Befehles wegen Gefahr am Verzuge nicht thunlich ist.

Der in Verwahrung Genommene ist durch den Richter oder die Polizeibehörde ungesäumt zu vernehmen, und wenn sich dabei ergibt, daß kein Grund zu seiner weiteren Verwahrung vorhanden sei,

sogleich freizulassen, sonst aber binnen achtundvierzig Stunden an den Untersuchungsrichter abzuliefern.

§. 178. Der für die Vorerhebungen zuständige Bezirksrichter (§. 89) kann, wenn der Beschuldigte nach seiner Vernehmung der ihm zur Last gelegten That verdächtig bleibt, und einer der im §. 175 erwähnten Fälle vorhanden ist, beschließen, daß der Beschuldigte bis auf weitere Weisung des Untersuchungsrichters in Verwahrung zu bleiben habe.

Dieser Beschluß sammt Gründen ist dem Beschuldigten mündlich zu eröffnen; diese Mittheilung ist im Protokolle zu bemerken. Verlangt jedoch der Beschuldigte vor den Untersuchungsrichter gestellt zu werden, so ist er längstens binnen achtundvierzig Stunden an ihn abzuliefern.

§. 179. Jeder dem Gerichte Eingelieferte oder auf Befehl des Untersuchungsrichters Vorgeführte ist durch den Untersuchungsrichter binnen vierundzwanzig Stunden zu vernehmen. Wäre

(435) dieß nicht möglich, so kann der Beschuldigte zwar einstweilen in Verwahrung behalten werden, es ist jedoch dessen Vernehmung sobald als möglich, und zwar längstens innerhalb drei Tagen einzuleiten und der Grund, warum dieselbe nicht früher stattfinden konnte, im Protokolle anzumerken.

Nach der Vernehmung hat der Untersuchungsrichter sofort zu beschließen, ob der Beschuldigte wieder auf freien Fuß gestellt oder wider ihn die ordentliche Untersuchungshaft verhängt werden solle.

§. 180. Die ordentliche Untersuchungshaft kann nur gegen einen Beschuldigten verhängt werden, welcher auch nach seiner Vernehmung durch den Untersuchungsrichter eines Verbrechens oder Vergehens verdächtig bleibt, und bei welchem einer der im §. 175, Z. 2, 3 und 4 bezeichneten Umstände eintritt.

Die Untersuchungshaft muß verhängt werden, wenn es sich um ein Verbrechen handelt, bei welchem nach dem Gesetze auf die Todesstrafe oder auf mindestens zehnjährige Kerkerstrafe zu erkennen ist.

Der Beschluß des Untersuchungsrichters auf Verhängung der Untersuchungshaft ist sammt der Begründung dem Beschuldigten mündlich zu eröffnen, die geschehene Eröffnung ist in dem Protokolle zu bemerken. Auf Verlangen ist dem Beschuldigten dieser Beschluß sammt Begründung binnen vierundzwanzig Stunden auch schriftlich mitzutheilen.

Militär-(Landwehr-)Personen, welche im Frieden zur Recruten-Ausbildung oder zu den Waffenübungen einberufen sind, dürfen während der Dauer der Einberufung von dem Civil-Strafgerichte nur dann in Untersuchungshaft genommen werden, wenn es sich um ein Verbrechen handelt, oder wenn einer der im §. 175, Z. 3, erwähnten Fälle eintritt. Ist eine Kriegserklärung erfolgt oder ein Krieg ausgebrochen, so findet die Untersuchungshaft gegen die genannten Personen, wenn sie zur Dienstleistung einberufen sind, nur dann statt, wenn es sich um ein mit der Todesstrafe oder mit mehr als fünfjähriger Kerkerstrafe bedrohtes Verbrechen handelt.

§. 181. Wenn es bei einem Aufstande oder Aufruhre, bei einer öffentlichen Gewaltthätigkeit oder bei einer anderen von einer großen Anzahl von Personen begangenen strafbaren Handlung nicht möglich ist, die Schuldigen sogleich auszumitteln, so können Alle, welche dem Vorgange beigewohnt haben und von dem Verdachte der Theilnahme nicht völlig frei sind, einstweilen festgenommen werden.

Sie müssen jedoch binnen längstens drei Tagen von dem zuständigen Richter vernommen und dürfen nicht länger in Gewahrsam behalten werden, Diejenigen ausgenommen, wider welche bereits die ordentliche Untersuchungshaft verhängt werden konnte.

§. 182. Begibt sich der Untersuchungsrichter gleich nach Verübung eines Verbrechens oder Vergehens an Ort und Stelle, um den Thatbestand zu erheben, so kann er Jedem, bei dem er es nothwendig findet, verbieten, während desselben oder auch noch während des folgenden Tages seinen Aufenthaltsort zu verlassen. Wer diesem Befehle zuwider handelt, kann von dem Untersuchungsrichter nach Umständen zu einer Geldstrafe bis zu fünfzig Gulden verurtheilt, und es kann gegen ihn ein Verhaftsbefehl erlassen werden.

III. Behandlung der Untersuchungsgefangenen.

§. 183. Die Untersuchungshaft, sowie die vorläufige Verwahrung eines Beschuldigten ist mit möglichster Schonung der Person und der Ehre desselben zu vollziehen. Der Gefangene soll nur jene Beschränkungen erleiden, welche erforderlich sind, um sich seiner Person zu versichern und für die Untersuchung nachtheilige Verabredungen zu hindern.

§. 184. Die Verhafteten sollen, so viel möglich, jeder allein verwahrt werden. Wo diese abgesonderte Verwahrung jedes Verhafteten nicht thunlich ist, hat das Gericht dafür zu sorgen, daß nicht Personen verschiedenen Geschlechtes, Theilnehmer an demselben Verbrechen und

(436) Vergehen, ungeübte oder jugendliche Verbrecher mit geübten oder erwachsenen zusammen in ein Gefängniß gebracht werden. Auch ist bei dieser Vertheilung der Untersuchungsgefangenen auf deren Bildungsstufe und auf die Art der ihnen zur Last liegenden Verbrechen oder Vergehen Rücksicht zu nehmen.

§. 185. Bequemlichkeiten und Beschäftigungen, die dem Stande und den Vermögensverhältnissen des Gefangenen entsprechen, darf er sich auf seine Kosten verschaffen, insoferne sie mit dem Zwecke der Haft vereinbar sind und weder die Ordnung des Hauses stören, noch die Sicherheit gefährden.

§. 186. Wenn der Gefangene den Besuch eines Arztes oder eines Geistlichen seiner Confession nach eigener Wahl verlangt, oder wenn ihn Verwandte oder Personen, die mit ihm in Geschäftsverhältnissen stehen oder mit welchen er sich zu berathen wünscht, besuchen wollen, so ist die Erlaubniß hiezu unter den durch die Hausordnung gebotenen Bedingungen nicht zu verweigern. Solche Besuche finden nur in Gegenwart einer Gerichtsperson statt und können, wenn nach den Umständen des Falles aus denselben Nachtheil für die Untersuchung zu besorgen ist, von dem Untersuchungsrichter gänzlich untersagt werden.

§. 187. Der Verhaftete darf nur mit Vorwissen des Untersuchungsrichters Telegramme, Briefe und ähnliche Sendungen empfangen oder an Andere absenden, und wenn Nachtheile für die Untersuchung zu besorgen sind, nur nachdem der Untersuchungsrichter dieselben gelesen und deren Absendung oder Aushändigung an den Verhafteten unbedenklich gefunden hat. Die Erlaubniß zur Absendung von Schreiben an höhere Justizbehörden darf dem Gefangenen nie verweigert werden.

§. 188. Die Fesselung eines Untersuchungs-Gefangenen darf nur bei einem besonders widerspänstigen,

gewaltthätigen oder Andere aufreizenden Benehmen, sowie wegen Versuchs oder Vorbereitung zur Flucht zeitweilig und nie durch längere Zeit, als das strengste Bedürfniß es erfordert, in Anwendung gebracht werden.

§. 189. Die Bezirksrichter, sowie die Vorsteher der Gerichtshöfe erster Instanz sind verpflichtet, wenigstens einmal in jeder Woche, unter Zuziehung einer Gerichtsperson, die ihnen unterstehenden Gefängnisse unvermuthet zu besuchen, die Verhafteten in Abwesenheit der Gefangenwärter über ihre Verpflegung und Behandlung zu befragen und wegen Abstellung der entdeckten Gebrechen das Nöthige zu verfügen.

IV. Sicherheitsleistung, Aufhebung der vorläufigen Verwahrung und der Untersuchungshaft.

§. 190. Die Untersuchungshaft, sowie die vorläufige Verwahrung sind sofort aufzuheben, sobald die Gründe derselben entfallen. Sämmtliche am Strafverfahren betheiligten Behörden sind verpflichtet, auf die möglichste Abkürzung dieser Haft hinzuwirken.

Ist der Beschuldigte blos aus dem im §. 175, Z. 3, erwähnten Grunde in Haft, so darf diese in der Regel nicht über zwei Monate ausgedehnt werden. Eine Ausnahme hievon, jedoch auch nur in der Ausdehnung bis auf höchstens drei Monate, vom Tage der Verhaftung angefangen, kann auf Antrag des Staatsanwaltes oder des Untersuchungsrichters von dem Gerichtshofe zweiter Instanz aus sehr wichtigen Gründen und bei besonders weitwendigen Untersuchungen bewilligt werden.

§. 191. Wird ein Beschuldigter entlassen und auf freien Fuß gesetzt, so kann ihm der Untersuchungsrichter das Gelöbniß abfordern, daß er sich bis zur rechtskräftigen Beendigung des Strafverfahrens ohne Genehmigung des Untersuchungsrichters von seinem Aufenthaltsorte nicht entfernen, noch sich verborgen halten, noch auch die Untersuchung zu vereiteln suchen werde. Der Bruch dieses Gelöbnisses zieht die Verhängung der Untersuchungshaft wider den Beschuldigten nach sich.

 

 

(437) §. 192. Soferne es sich nicht um ein Verbrechen handelt, bei welchem nach dem Gesetze auf die Todesstrafe oder auf eine mindestens fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen ist, muß die wegen des Verdachtes der Flucht verhängte Haft gegen Caution oder Bürgschaft für eine von der Rathskammer mit Rücksicht auf die Folgen der strafbaren Handlung, die Verhältnisse der Person des Verhafteten und das Vermögen des Sicherheit Leistenden zu bestimmende Summe und gegen Ablegung des im §. 191 erwähnten Gelöbnisses auf Verlangen unterbleiben oder aufgehoben werden.

§. 193. Die Cautions- oder Bürgschaftssumme ist entweder in barem Gelde oder in solchen Werthpapieren, welche nach den bestehenden Gesetzen zur Anlegung der Gelder von Minderjährigen oder Pflegebefohlenen verwendet werden dürfen, nach dem Börsecourse des Erlagstages berechnet, gerichtlich zu hinterlegen oder durch Pfandbestellung auf unbewegliche Güter oder durch taugliche Bürgen (§. 1374 des allgemein bürgerlichen Gesetzbuches), welche sich zugleich als Zahler verpflichten, sicherzustellen.

Die Cautions- oder Bürgschaftssumme ist vom Gerichte für verfallen zu erklären, wenn sich der Beschuldigte ohne Erlaubniß von seinem Wohnorte entfernt oder über die an ihn ergangene Vorladung, welche im Falle seiner Nichtauffindung in seiner Wohnung anzuschlagen ist, binnen drei Tagen vor Gericht nicht erscheint.

Dieses Erkenntniß ist, sobald es rechtskräftig geworden, gleich jedem Urtheile executionsfähig. Die verfallenen Sicherheitsbeträge sind an die Staatscasse abzuführen; doch hat der durch die strafbare Handlung Beschädigte das Recht, zu verlangen, daß vor allem seine Entschädigungsansprüche daraus befriedigt werden.

§. 194. Der Gerichtshof zweiter Instanz kann unter Beobachtung der vorstehenden, die Cautions- und Bürgschaftsleistung betreffenden Vorschriften die Belassung des Beschuldigten auf freiem Fuße oder durch die Versetzung auf denselben auch bei einem Verbrechen bewilligen, bei welchem nach dem Gesetze auf mindestens fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen ist.

§. 195. Wenn der Beschuldigte nach gestatteter Freilassung Anstalten zur Flucht trifft, oder wenn neue Umstände vorkommen, die seine Verhaftung erfordern, so hat ungeachtet der Sicherheitsleistung die Verhaftung desselben einzutreten; ist die Verhaftung in diesen Fällen erfolgt, so wird die Cautions- und Bürgschaftssumme frei.

Dasselbe ist der Fall, sobald das Strafverfahren durch Einstellung oder durch Endurtheil rechtskräftig beendigt ist.

§. 196. Außer den Fällen der Sicherheitsleistung und des Ablaufes der im §. 190, Abs. 2, festgesetzten Frist wird die Aufhebung der Untersuchungshaft von den Untersuchungsrichter mit Zustimmung des Staatsanwaltes verfügt. Sind der Untersuchungsrichter und der Staatsanwalt hierüber verschiedener Meinung, so hat die Rathskammer zu entscheiden.

§. 197. Die Beschwerdeführung des Staatsanwaltes gegen den Beschluß der Rathskammer, wodurch die verhängte Untersuchungshaft gegen Sicherheitsleistung oder auch ohne dieselbe aufgehoben wird, hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn derselbe seine Beschwerde gleich bei Eröffnung jenes Beschlusses anmeldet und längstens binnen drei Tagen ausführt.

15. Hauptstück.

Von der Vernehmung des Beschuldigten.

§. 198. Der Beschuldigte ist in der Voruntersuchung, ohne Beisein des Anklägers oder anderer hiezu gesetzlich nicht berufenen Personen, von dem Untersuchungsrichter zu vernehmen.

(438) Diese Vernehmung muß mit Anstand und Gelassenheit vorgenommen werden. Sie findet in der Regel mündlich statt, doch kann der Untersuchungsrichter bei verwickelten Punkten auch eine schriftliche Beantwortung gestatten. Gerichtszeugen sind der Vernehmung des Beschuldigten nur dann beizuziehen, wenn der Untersuchungsrichter es für nöthig erachtet, oder der Beschuldigte es verlangt.

Ist ein Verhafteter mit Fesseln belegt worden, so müssen ihm dieselben vor seiner Vernehmung abgenommen werden, soferne dieß ohne Gefahr geschehen kann. Auch ist jedem Beschuldigten während seiner Vernehmung ein Sitz zu gestatten.

Ist der Beschuldigte der Gerichtssprache nicht kundig, oder ist er taub oder stumm, so sind die Vorschriften der §§. 163 und 164 zu beobachten.

§. 199. Der Untersuchungsrichter hat vor dem Beginne der Vernehmung den Beschuldigten zu ermahnen, daß er die ihm vorzulegenden Fragen bestimmt, deutlich und der Wahrheit gemäß beantworte.

Nach der Vernehmung der persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten hat ihm der Untersuchungsrichter das Verbrechen oder das Vergehen, dessen er beschuldigt ist, im Allgemeinen zu bezeichnen und ihn zu veranlassen, daß er sich über die den Gegenstand der Anschuldigung bildenden Thatsachen in einer zusammenhängenden, umständlichen Erzählung äußere. Die weiteren Fragen sind, mit Vermeidung aller unnöthigen Weitläufigkeit, auf die Ergänzung der Erzählung, auf die Entfernung von Dunkelheiten und Widersprüchen zu richten und insbesondere so zu stellen, daß der Beschuldigte alle gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe erfahre und vollständige Gelegenheit zu deren Beseitigung und zu seiner Rechtfertigung erhalte. Gibt er Thatsachen oder Beweismittel zu seiner Entlastung an, so müssen dieselben, soferne sie nicht offenbar nur zur Verzögerung angegeben wurden, erhoben werden.

§. 200. Die an den Beschuldigten zu richtenden Fragen dürfen nicht unbestimmt, dunkel, mehrdeutig oder verfänglich sein; sie müssen eine aus der andern natürlichen Ordnung fließen. Es ist daher insbesondere die Stellung solcher Fragen zu vermeiden, in welchen eine von dem Beschuldigten nicht zugestandene Thatsache als bereits zugestanden angenommen wird.

Fragen, wodurch dem Beschuldigten Thatumstände vorgehalten werden, die erst durch seine Antwort festgehalten werden sollen, oder wodurch ihm die zu erforschenden Mitbetheiligten durch Namen oder andere leicht kennbare Merkmale bezeichnet werden, dürfen erst dann gestellt werden, wenn der Beschuldigte nicht in anderer Weise zu einer Erklärung über dieselben geführt werden konnte. Die Fragen sind in solchen Fällen wörtlich an das Protokoll aufzunehmen.

§. 201. Gegenstände, die sich auf das Verbrechen oder Vergehen beziehen oder zur Ueberweisung des Beschuldigten dienen, sind ihm nach vorläufiger Beschreibung derselben zur Anerkennung vorzulegen und er ist, soferne eine Vorlegung derselben nicht möglich ist, zu diesen Gegenständen zum Behufe ihrer Anerkennung zu führen. Der Beschuldigte kann, wenn dieß zur Beseitigung von Zweifeln über die Echtheit eines ihm beigemessenen Schriftstückes dienlich scheint, veranlaßt werden, einige Worte oder Sätze vor Gericht niederzuschreiben, ohne daß jedoch deßhalb Zwangsmittel angewendet werden dürfen.

§. 202. Es dürfen weder Versprechungen oder Vorspiegelungen, noch Drohungen oder Zwangsmittel angewendet werden, um den Beschuldigten zu Geständnissen oder anderen bestimmten Angaben zu bewegen. Auch darf die Voruntersuchung durch das Bemühen, ein Geständniß zu erlangen, nicht verzögert werden.

§. 203. Verweigert der Beschuldigte die Antwort überhaupt oder auf bestimmte Fragen, oder stellt er sich taub, stumm, oder blödsinnig, und ist der Untersuchungsrichter in den letzteren Fällen entweder durch seine eigenen Wahrnehmungen oder durch Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen von der Verstellung überzeugt, so ist der Beschuldigte lediglich aufmerksam zu machen, daß sein Verhalten die Untersuchung nicht hemmen, und daß er sich dadurch seiner Vertheidigungsgründe berauben könne.

(439) §. 204. Weichen spätere Angaben des Beschuldigten von den früheren ab, widerruft er insbesondere frühere Geständnisse, so ist er über die Veranlassung zu jenen Abweichungen und die Gründe seines Widerrufes zu befragen.

§. 205. Wenn die Aussagen eines Beschuldigten in erheblichen Punkten von den Angaben eines wider ihn aussagenden Zeugen oder Mitbetheiligten abweichen, so sind ihm diese im Laufe der Voruntersuchung nur dann gegenüberzustellen, wenn es der Untersuchungsrichter zur Aufklärung der Sache für nothwendig hält. Bei solchen Gegenüberstellungen ist das in dem §. 168, Absatz 3, vorgeschriebene Verfahren zu beobachten.

Die im §. 152, Z. 1, aufgeführten Personen dürfen, wenn sie sich als Zeugen abhören lassen, die Gegenüberstellung mit dem Beschuldigten ablehnen, außer wenn sie dieser selbst verlangt.

§. 206. Geständnisse des Beschuldigten entbinden den Untersuchungsrichter nicht von der Pflicht, den Thatbestand soweit als möglich zu ermitteln. Ist das Geständniß umfassend und durch die übrigen Ergebnisse der Voruntersuchung unterstützt, so hängt die Vornahme weiterer Erhebungen von den besonderen Anträgen des Anklägers          ab.

16. Hauptstück.

Von der Versetzung in den Anklagestand.       

§. 207. Dem Ankläger liegt ob, die Versetzung in den Anklagestand durch Einbringung der Anklageschrift einzuleiten.

Die Anklageschrift muß enthalten:

1. den Namen des Beschuldigten;

2. die Angabe der ihm von dem Ankläger zur Last gelegten strafbaren Handlung oder Handlungen nach allen ihren gesetzlichen, die Anwendung eines bestimmten Strafsatzes bedingenden Merkmalen, wobei die besonderen Umstände des Orts, der Zeit, des Gegenstandes u.s.f. soweit hinzuzufügen sind, als dieß zur deutlichen Bezeichnung der That nothwendig ist;

3. die gesetzliche Benennung der strafbaren Handlung oder Handlungen, worauf die Anklage gerichtet ist, sowie die Anführung jener Stellen des Strafgesetzes, deren Anwendung beantragt wird, und die sonst zur Begründung der sachlichen Zuständigkeit erforderlichen Angaben;

4. die Angaben des Gerichtes, vor welchem die Hauptverhandlung stattfinden soll.

Der Anklageschrift ist eine kurze, aber erschöpfende Begründung beizufügen, in welcher der Sachverhalt, wie er sich aus der Anzeige oder aus den Acten der Vorerhebungen oder Voruntersuchung ergibt, zusammenhängend zu erzählen ist.

Außerdem ist das Verzeichniß der vorzuladenden Zeugen und Sachverständigen, sowie der anderen Beweismittel, deren sich der Ankläger in der Hauptverhandlung zu bedienen gedenkt, in die Anklageschrift aufzunehmen oder derselben beizulegen.

Der Ankläger kann in der Anklageschrift auch den Antrag auf Verhaftung des Beschuldigten stellen.

Die Anklageschrift ist in so vielen Anklageschriften zu überreichen, daß jedem der Angeklagten ein Exemplar zugestellt und eines bei dem Untersuchungsrichter zurückbehalten werden kann.

(440) §. 208. Die Anklageschrift ist bei jenem Richter, welcher die Voruntersuchung geführt hat, und falls eine Voruntersuchung nicht stattgefunden hat, bei dem Vorsitzenden der Rathskammer einzubringen.

Hat der Untersuchungsrichter (Vorsitzende der Rathskammer) Bedenken, dem Antrage auf Verhaftung des Beschuldigten stattzugeben, so holt er die Entscheidung der Rathskammer ein. Ist ein solches Bedenken nicht vorhanden, oder ist es durch die Entscheidung der Rathskammer beseitigt, so theilt der Untersuchungsrichter die Anklageschrift sammt Beilagen dem Beschuldigten mit und belehrt denselben darüber, dass er gegen die Anklageschrift Einspruch erheben und die Entscheidung des Gerichtshofes zweiter Instanz über die Zuständigkeit des in der Anklageschrift genanten Gerichtes und über die Zulässigkeit der Anklage begehren könne.

§. 209. Befindet sich der Beschuldigte bereits in Haft, so ist ihm die Anklageschrift längstens binnen vierundzwanzig Stunden, wird aber dessen Verhaftung auf Grund der Anklageschrift verfügt, so ist sie ihm zugleich mit dem Haftbefehle zuzustellen.

Zur Anmeldung des Einspruches steht dem Verhafteten eine Frist von vierundzwanzig Stunden offen, welche im letzteren Falle vom Zeitpunkte seiner Einlieferung zu laufen beginnt; die Ausführung derselben kann er bei dem Untersuchungsrichter zu Protokoll oder schriftlich binnen den nächsten acht Tagen anbringen.

Wird auf sein Verlangen die Anklageschrift seinem Vertheidiger zugestellt, so läuft die Frist zur Ausführung des angemeldeten Einspruches von der Zustellung an den Vertheidiger.

Bleibt der Beschuldigte auf freiem Fuße, so ist ihm die Anklageschrift mit der Belehrung zuzustellen, daß er den Einspruch dagegen binnen acht Tagen bei dem Untersuchungsrichter mündlich oder schriftlich anmelden und ausführen könne.

§. 210. Ist der Einspruch innerhalb der gesetzlichen Frist nicht angemeldet worden, oder hat der Beschuldigte ausdrücklich darauf verzichtet, so legt der Untersuchungsrichter die Acten dem Gerichtshofe erster Instanz vor, welcher sofort die Hauptverhandlung anzuordnen hat.

Im entgegengesetzten Falle sendet der Untersuchungsrichter nach Einbringung der Ausführung oder nach Ablauf der dafür offen stehenden Frist die Acten dem Gerichtshofe zweiter Instanz unter gleichzeitiger Benachrichtigung des Anklägers.

Der Gerichtshof zweiter Instanz entscheidet über den Einspruch nach Anhörung des Oberstaatsanwaltes in nicht öffentlicher Sitzung.

In gleicher Weise ist vorzugeben, wenn der Beschuldigte nur gegen die, sei es vom Untersuchungsrichter, sei es von der Rathskammer, gegen ihn verhängte Haft (§. 208) sich beschwert; auch in diesem Falle hat der Gerichtshof zweiter Instanz so vorzugehen, als würde gegen die Anklageschrift Einspruch erhoben.

§. 211. Der Gerichtshof zweiter Instanz weiset die Anklageschrift vorläufig zurück, wenn er dieß zur Beseitigung eines Formgebrechens oder zur besseren Aufklärung des Sachverhaltes für nothwendig erachtet.

Der Ankläger hat sohin binnen drei Tagen seine allfälligen Anträge an den Untersuchungsrichter zu stellen oder eine Anklageschrift neuerlich zu überreichen (§§. 27 und 46).

§. 212. Wenn der Gerichtshof zweiter Instanz dafür hält, daß zur Vornahme der Hauptverhandlung ein anderes Gericht seines Sprengels zuständig ist, so verweiset er dieselbe dahin und erkennt zugleich in der Sache selbst. Erachtet er dagegen die Zuständigkeit eines im Sprengel eines anderen Gerichtshofes zweiter Instanz liegenden Gerichtes als begründet, so spricht er seine eigene Nichtzuständigkeit aus und übersendet die Acten zur weiteren Entscheidung dem zuständigen Gerichtshofe zweiter Instanz.

(441) §. 213. Erachtet der Gerichtshof zweiter Instanz, daß der Anklage einer der folgenden Gründe entgegenstehe:

1. daß die dem Beschuldigten zur Haft gelegte That keine zur Zuständigkeit der Gerichte gehörige strafbare Handlung begründe;

2. daß es an genügenden Gründen fehle, um den Beschuldigten derselben für verdächtig zu halten;

3. daß Umstände vorliegen, vermöge welcher die Strafbarkeit der That aufgehoben oder die Verfolgung wegen derselben ausgeschlossen ist; endlich

4. daß das nach dem Gesetze erforderliche Verlangen oder die gesetzlich geforderte Zustimmung eines hiezu Berechtigten fehle - so entscheidet der Gerichtshof zweiter Instanz: es werde der Anklage seine Folge gegeben und das Verfahren eingestellt.

Betrifft dieser Ausspruch nicht alle Anklagepunkte, so verfügt der Gerichtshof zugleich, daß diejenigen, hinsichtlich welcher er ergangen ist, aus der Anklageschrift zu entfallen haben.

Kommt der Grund, dessentwegen der Anklage keine Folge gegeben wird, auch einem Mitangeklagten zu statten, der keinen Einspruch erhoben hat, so geht der Gerichtshof so vor, als wenn ein solcher Einspruch vorläge.

§. 214. Tritt keiner der in den §§. 211-213 erwähnten Fälle ein, so lautet die Entscheidung: Es werde der Anklage Folge gegeben.

In diesem Falle ist zugleich über all die Verbindung oder Trennung mehrerer Anklagen und die Vorladung von Zeugen und Sachverständigen betreffenden Anträge Beschluß zu fassen. Außerdem ist sowohl in diesem Falle, wie in dem der §§. 211-213 über die Haft des Beschuldigten, über die Ablieferung desselben an ein anderes Gericht oder über dessen Versetzung auf freien Fuß die nöthige Verfügung zu treffen.

§. 215. Diese Entscheidung (§§. 211-214) sind in der Art zu begründen, daß dadurch der Entscheidung des erkennenden Gerichtes über die Hauptsache nicht vorgegriffen werde:

In der Ausfertigung dieser Entscheidung sind die Namen der Richter, welche an der Verhandlung Theil genommen haben, anzugeben.

§. 216. Gegen die über den Einspruch ergangene Entscheidung steht nur die Nichtigkeitsbeschwerde an den obersten Gerichts- als Cassationshof, und nur aus einem der folgenden Gründe offen:

1. wenn bei Einbringung und Mittheilung der Anklageschrift die in den §§. 207-209 ertheilten Vorschriften nicht beobachten worden sind;

2. wenn der Gerichtshof zweiter Instanz nicht zuständig, oder bei der Entscheidung über den Einspruch nicht gehörig besetzt war, oder wenn daran ein nach dem Gesetze ausgeschlossener

oder mit dem Grund abgelehnter Richter Theil genommen hat.

§. 217. Die Nichtigkeitsbeschwerde kann sowohl vom Oberstaatsanwalte am Gerichtshofe zweiter Instanz und vom Privatankläger, als vom Beschuldigten ergriffen werden.

Sie ist vom Oberstaatsanwalte bei dem Gerichtshofe zweiter Instanz, vom Privatankläger und vom Beschuldigten bei dem Untersuchungsrichter (§. 208, Abs. 1) binnen drei Tagen nach der Zustellung des Erkenntnisses anzubringen. In der Beschwerde sind die Beschwerdepunkte genau zu bezeichnen.

Der oberste Gerichts- als Cassationshof entscheidet über dieselbe nach Anhörung des Generalprocurators in nicht öffentlicher Sitzung.

Liegt einer der im §. 216 erwähnten Nichtigkeitsgründe vor, so hebt der Cassationshof die Entscheidung des Gerichtshofes zweiter Instanz auf und verfügt die nöthige Verbesserung des Verfahrens.

(442) §. 218. Beschließt der Gerichtshof zweiter Instanz die Versetzung in Anklagestand, ohne daß ihm eine Anklageschrift vorliegt (§. 48, Z. 2, §. 114, Abs. 4), so wird sein Beschluß unter Beobachtung der im §. 214, letzter Absatz, und im §. 205 sowie unter sinngemäßer Anwendung der über den Inhalt der Anklageschrift im §. 207 ertheilten Vorschrift ausgefertigt und vertritt für das weitere Verfahren die Stelle der Anklageschrift.

Auch gegen solche Beschlüsse findet die Nichtigkeitsbeschwerde nach Maßgabe der §§. 216 und 217 statt.

§. 219. Ist der Beschuldigte rechtskräftig den Anklagestand versetzt (§§. 210, 214, 218), so kann die Zuständigkeit desjenigen Gerichtes, welches nach der Anklageschrift oder dem durch den Einspruch gegen dieselbe veranlaßten Erkenntnisse zur Hauptverhandlung berufen ist, nicht mehr angefochten und können die im §. 216 erwähnten Nichtigkeitsgründe nicht mehr geltend gemacht werden. Im Uebrigen bleibt die Unterlassung des Einspruches gegen die Anklageschrift oder die Unterlassung der Geltendmachung eines Nichtigkeitsgrundes ohne Einfluß auf das weitere Verfahren.

17. Hauptstück.

Von den Vorbereitungen zur Hauptverhandlung.

§. 220. Jeder verhaftete Angeklagte muß in der Regel (§. 221, Absatz 2) binnen drei Tagen, nachdem er rechtskräftig in den Anklagestand versetzt ist, in das Gefängniß des Gerichtshofes, bei welchem die Hauptverhandlung stattfindet, abgeführt werden. Nach seiner Ankunft in diesem Gefängnisse ist der Angeklagte, soferne die Anklage auf eines der dem Geschwornengerichte zur Aburtheilung zugewiesenen Verbrechen gerichtet ist, längstens binnen vierundzwanzig Stunden von dem Vorsitzenden des Schwurgerichtshofes oder von dessen Stellvertreter oder von dem Vorsteher des Gerichtshofes erster Instanz zu vernehmen, ob er seinen in der Voruntersuchung abgelegten Aussagen etwas beizusetzen oder daran abzuändern finde. Bei dieser Gelegenheit ist er, falls er noch seinen Vertheidiger hätte, zur Bestellung eines Vertheidigers aufzufordern und ihm, wenn er von dieser Befugniß keinen Gebrauch macht, ein solcher sofort von Amtswegen zu ernennen (§§. 41, 42).

Ist der Angeklagte nicht verhaftet, so kann ihn der Vorsitzende zu dieser Vernehmung entweder vorladen oder diese Vernehmung durch den Bezirksrichter, in dessen Sprengel jener sich befindet, veranlassen.

§. 221. Der Tag der Hauptverhandlung wird von dem Vorsitzenden in der Art bestimmt, daß dem Angeklagten, soferne dieser nicht selbst zu einer Abkürzung der Frist seine Zustimmung gibt, bei sonstiger Nichtigkeit von der Zustellung der Vorladung eine Frist von wenigstens drei Tagen, und falls es sich um ein dem Geschwornengerichte zur Aburtheilung zugewiesenes Verbrechen handelt, eine Frist von wenigstens acht Tagen zur Vorbereitung seiner Vertheidigung bleibe. Der Tag der Hauptverhandlung ist sowohl dem Angeklagten und dessen Vertheidiger, als auch dem Staatsanwalte, beziehungsweise dem Privatankläger und dem Privatbetheiligten, bekannt zu geben. Die Vorladung des Angeklagten hat die Androhung zu enthalten, daß er im Falle seines Ausbleibens zu gewärtigen hätte, daß je nach Umständen die Hauptverhandlung in seiner Abwesenheit vorgenommen oder er durch einen Vorführungsbefehl zu derselben gestellt, oder falls dieß zeitgerecht nicht ausführbar wäre, die Hauptverhandlung auf seine Kosten vertragt und er zu derselben vorgeführt werde. Auch die Zeugen und Sachverständigen sind hiezu in der Art vorzuladen, daß in der Regel zwischen der Zustellung der Vorladung und dem Tage, an welchem die Hauptverhandlung vorgenommen wird, ein Zeitraum von drei Tagen in der Mitte liegt.

(443) Der Regel nach findet die Hauptverhandlung am Sitze des Gerichtshofes erster Instanz statt; doch kann dessen Vorsteher, mit Ausnahme des im §. 297, Abs. 3, bezeichneten Falles, nach Anhörung des Anklägers, verfügen, daß die Hauptverhandlung am Sitze jenes Bezirksgerichtes abgehalten werde, in dessen Sprengel die That begangen wurde.

Ist zu erwarten, daß die Hauptverhandlung von längerer Dauer sein werde, so ist die Verfügung zu treffen, daß ein oder zwei Ersatzrichter der Verhandlung beiwohnen, um im Falle der Verhinderung eines Richters an dessen Stelle treten zu können.

§. 222. Will der Ankläger, der Privatbetheiligte oder der Angeklagte die Vorladung von Zeugen oder Sachverständigen beantragen, welche nicht bereits zufolge der Anklageschrift oder des über den Einspruch gegen dieselbe ergangenen Erkenntnisses vorzuladen sind, so hat er dieß dem Vorsitzenden unter Angabe der Thatsachen und Punkte, worüber der Vorzuladende vernommen werden soll, rechtzeitig anzuzeigen.

Die Liste der neu zu ladenden Zeugen und Sachverständigen ist dem Gegner längstens drei Tage vor der Hauptverhandlung mitzutheilen; außerdem können diese Personen nicht ohne seine Zustimmung vernommen werden, unbeschadet jedoch der dem Vorsitzenden in dieser Hinsicht eingeräumten Macht (§. 254).

§. 223. In Ansehung der Vorladung und Vernehmung von Zeugen, welche der Militärgerichtsbarkeit unterstehen, gelten im Allgemeinen die für Zeugen bestehenden Bestimmungen.

Die Vorladung eines der Militärgerichtsbarkeit unterstehenden Zeugen zur Hauptverhandlung hat das Gericht, wie in der Voruntersuchung, durch eines der im §. 161 benannten Militär-Commanden zu veranlassen.

§. 224. Sollte der Angeklagte oder dessen Vertheidiger darauf antragen, daß ein zur Vertheidigung dienender Umstand noch näher erforscht werde, so hat der Vorsitzende, wenn er das Begehren begründet findet, die Erhebung ohne Zeitverlust zu veranstalten, und nachdem sie geschehen ist, dem Ankläger und dem Angeklagten oder dessen Vertheidiger zum Zwecke allfälliger Einsichtnahme und weiterer Antragstellung davon Kenntniß zu geben. Eine gleiche Vervollständigung der Voruntersuchung ist auch auf Antrag des Anklägers oder des Privatbetheiligten zulässig.

Die Erörterung der Ergebnisse solcher nachträglichen Erhebungen bleibt in der Regel (§. 227) der Hauptverhandlung vorbehalten.

§. 225. Glaubt der Vorsitzende, daß einem auf Grund der §§. 222 und 224 gestellten Antrage nicht stattzugeben sei, so entscheidet hierüber die Rathskammer. In gleicher Weise hat er die Entscheidung der Rathskammer einzuholen, wenn er in Fällen, wo ein Einspruch gegen die Anklageschrift nicht erhoben wurde, Bedenken trägt, alle in derselben namhaft gemachte Zeugen und Sachverständigen vorzuladen.

Gegen diese Entscheidung findet kein Rechtsmittel statt; jedoch kann der Antrag in der Hauptverhandlung erneuert werden.

§. 226. Weiset der Angeklagte nach, daß er wegen Krankheit oder einer sonstigen unabwendbaren Verhinderung bei der Hauptverhandlung nicht erscheinen kann, oder trägt der Ankläger oder der Angeklagte aus anderen erheblichen Gründen darauf an, daß die Hauptverhandlung vertragt werde, so entscheidet hierüber die Rathskammer. Wegen einer Verhinderung des Vertheidigers findet eine Vertagung nur dann statt, wenn das Hinderniß dem Angeklagten oder dem Gerichte so spät bekannt wurde, daß ein anderer Vertheidiger nicht mehr aufgestellt werden konnte.

§. 227. Tritt der Ankläger vor Beginn der Hauptverhandlung von der Anklage zurück, so hat die Rathskammer den Einstellungsbeschluß mit dem beifügen zu fassen, daß es von der allenfalls schon angeordneten Hauptverhandlung abzukommen habe.

(444) Haben nach der Versetzung in den Anklagestand noch gerichtliche Erhebungen stattgefunden, so hat der Ankläger das Recht, vor Beginn der Hauptverhandlung die von ihm eingebrachte Anklageschrift unter gleichzeitiger Einbringung einer neuen zurückzuziehen. Mit der letzteren sodann nach Vorschrift des 16. Hauptstückes vorzugehen; hinsichtlich der Haft des Angeklagten ist aber von der Rathskammer sogleich die nöthige Verfügung zu treffen.

18. Hauptstück.

Von der Hauptverhandlung vor den Gerichtshöfen erster Instanz und von den Rechtsmitteln gegen deren Urtheile.

1. Hauptverhandlung und Urtheil.

1. Oeffentlichkeit der Hauptverhandlung.

§. 228. Die Hauptverhandlung ist öffentlich bei sonstiger Nichtigkeit. Es ist nur erwachsenen und unbewaffneten Personen gestattet, als Zuhörer bei derselben zu erscheinen. Doch darf Personen, welche vermöge ihres öffentlichen Dienstes zum Fragen einer Waffe verpflichtet sind, der Zutritt nicht verweigert werden.

§. 229. Die Oeffentlichkeit einer Hauptverhandlung darf nur aus Gründen der Sittlichkeit oder der öffentlichen Ordnung ausgeschlossen werden. Der Gerichtshof verfügt diese Ausschließung von Amtswegen oder auf den Antrag des Anklägers oder des Angeklagten nach darüber gepflogener geheimer Verhandlung und Berathung durch ein schriftlich abzufassendes, mit Gründen versehenes Erkenntniß, gegen welches kein Rechtsmittel zulässig ist.

§. 230. Nach der öffentlichen Verlesung dieses Erkenntnisses müssen sich alle Zuhörer entfernen.

Nur die durch strafbare Handlung in ihren rechten Verletzten, wirklich angestellte Richter, die Conceptsbeamten der Staatsanwaltschaft und des Justizministeriums und die in die Vertheidigerliste eingetragenen Personen dürfen niemals ausgeschlossen werden. Sowohl der Angeklagte als der Privatbetheiligte kann verlangen, daß der Zutritt drei Personen seines Vertrauens gestattet werde.

§. 231. Die Anordnung einer geheimen Sitzung auf Grund des §. 229 kann nach erfolgtem Aufrufe der Sache in jedem Momente der Verhandlung begehrt werden. Die Ausschließung der Oeffentlichkeit kann für einen Theil des Verfahrens oder für die ganze Verhandlung stattfinden. Die Verkündung des Urtheiles aber muß jederzeit öffentlich geschehen.

2. Amtsverrichtungen des Vorsitzenden und des Gerichtshofes während der Hauptverhandlung.

§. 232. Der Vorsitzende leitet die Verhandlung.

Er ist verpflichtet, die Ermittlung der Wahrheit zu befördern, und hat dafür zu sorgen, daß Erörterungen, welche die Hauptverhandlung ohne Nutzen für die Aufklärung der Sache verzögern wurden, unterbleiben.

Er vernimmt den Angeklagten und die Zeugen und bestimmt die Reihenfolge, in welcher diejenigen, welche das Wort verlangen, zu sprechen haben.

Wenn mehrere Anklagepunkte vorliegen, kann er verfügen, daß über jeden oder über einzelne derselben abgesondert zu verhandeln sei.

§. 233. Dem Vorsitzenden liegt die Erhaltung der Ruhe und Ordnung und des der Würde des Gerichtes entsprechenden Anstandes in dem Gerichtssaale ob.

(445) Wer vor Gericht vernommen wird oder das Gericht anredet, hat stehend zu sprechen; doch kann der Vorsitzende wegen der Körperbeschaffenheit des Sprechenden oder wegen der längeren Dauer der Vernehmung eine Ausnahme gestatten.

Zeichen des Beifalles oder der Mißbilligung sind untersagt. Der Vorsitzende ist berechtigt, Personen, welche die Sitzung durch solche Zeichen oder auf eine andere Weise stören, zur Ordnung zu ermahnen und nöthigenfalls einzelne oder alle Zuhörer aus dem Sitzungssaale entfernen zu lassen. Widersetzt sich Jemand seinen Befehlen, oder werden die Störungen wiederholt, so kann der Vorsitzende die Widersetzlichen auch verhaften lassen und nach Umständen zu einer Arreststrafe bis zu acht Tagen verurtheilen. Untersteht der die Verhandlung Störende der Militärgerichtsbarkeit, so kann der Vorsitzende dessen Entfernung veranlassen und beziehungsweise dessen Bestrafung bei der nächsten Militärbehörde begehren.

§. 234. Wenn der Angeklagte die Ordnung der Verhandlung durch ein ungeziemendes Benehmen stört, und ungeachtet der Ermahnung des Vorsitzenden und der Androhung, daß er aus der Sitzung werde entfernt werden, nicht davon absteht, so kann er durch Beschluß des Gerichtshofes auf einige Zeit oder für die ganze Dauer der Verhandlung von derselben entfernt, die Sitzung in seiner Abwesenheit fortgesetzt und ihm das Urtheil durch ein Mitglied des Gerichtshofes in Gegenwart des Schriftführers verkündet werden.

§. 235. Der Vorsitzende hat darüber zu wachen, daß gegen Niemand Beschimpfungen oder offenbar ungegründete oder zur Sache nicht gehörige Beschuldigungen vorgebracht werden. Hat sich der Angeklagte, oder Privatankläger, der Privatbetheiligte, ein Zeuge oder ein Sachverständiger solche Aeußerungen erlaubt, so kann der Gerichtshof wider denselben auf Antrag des Beleidigten oder des Staatsanwaltes oder von Amtswegen Geldstrafe bis fünfzig Gulden, oder Arreststrafe bis zu acht Tagen, gegen einen Verhafteten aber eine angemessene Disciplinarstrafe (§. 108) verhängen.

§. 236. Macht sich der Vertheidiger oder der Vertreter des Privatanklägers oder Privatbetheiligten einer solchen Uebertretung schuldig, oder verletzt er die dem Gerichte gebührende Achtung, so kann er vom Gerichtshofe mit einem Verweise oder einer Geldstrafe bis zum Betrage von Einhundert Gulden belegt werden.

Setzt er sein ungebührliches Benehmen fort, so kann ihm der Vorsitzende das Wort entziehen und die Partei zur Wahl eines anderen Vertreters auffordern, nöthigerfalls auch von Amtswegen dem Angeklagten einen Vertheidiger ernennen.

Bei erschwerenden Umständen kann auf Antrag des Gerichtshofes der Gerichtshof zweiter Instanz dem Schuldigen, wenn er nicht Advocat ist, auch die Befugniß, als Vertreter in Strafsachen vor Gericht zu erscheinen, für die Dauer von einem bis zu sechs Monaten entziehen. Ist er Advocat, so hat der Gerichtshof die Angelegenheit an die Disciplinarbehörde des Schuldigen zu leiten, welche diesem auch das Recht zur Vertheidigung in Strafsachen für die Dauer von einem bis zu sechs Monaten entziehen kann.

§. 237. Die auf Grund der §§. 233-235 und 236, Absatz 1 und 2, ergehenden Beschlüsse und Erkenntnisse sind sofort zu vollstrecken. Ein Rechtsmittel steht gegen dieselben nicht offen.

 

Begründet das in den gedachten Paragraphen erwähnte Benehmen eine im allgemeinen Strafgesetze vorgesehene strafbare Handlung, so sind die Bestimmungen des §. 278 in Anwendung zu bringen.

Die Erklärung des Beleidigten oder Verletzten, daß er sich das Klagerecht wegen der gegen ihn begangenen strafbaren Handlung vorbehalte, oder daß er auf dasselbe verzichte, steht der Anwendung der in den §§. 233-236 enthaltenen Strafbestimmungen nicht entgegen.

(446) §. 238. Wenn im Laufe einer Hauptverhandlung über einzelne Punkte des Verfahrens von den Parteien entgegengesetzte Anträge gestellt werden, oder wenn der Vorsitzende dem unbestrittenen Antrage einer Partei nicht stattzugeben findet, so entscheidet über solche Zwischenfragen der Gerichtshof sofort, ohne daß ein selbstständiges, die weitere Verhandlung hemmendes Rechtsmittel dagegen zulässig ist.

Die Entscheidungsgründe müssen jederzeit verkündet und im Protokolle ersichtlich gemacht werden.

3. Beginn der Hauptverhandlung.

§. 239. Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Anrufe der Sache durch den Schriftführer. Der Angeklagte erscheint ungefesselt, jedoch wenn er in Untersuchungshaft ist, in Begleitung einer Wache. Die zur Beweisführung etwa erforderlichen Gegenstände, welche dem Angeklagten oder den Zeugen zur Anerkennung vorzulegen sind, müssen vor dem Beginne der Verhandlung in den Gerichtssaal gebracht werden.

§. 240. Der Vorsitzende befragt hierauf den Angeklagten um Vor- und Zunamen, Alter, Geburtsort, Zuständigkeitsgemeinde, Religion, Stand; Gewerbe oder Beschäftigung und Wohnort und ermahnt ihn zur Aufmerksamkeit auf die vorzutragende Anklage und auf den Gang der Verhandlung.

§. 241. Hierauf werden die vorgeladenen Zeugen und Sachverständigen aufgerufen und der Vorsitzende weiset sie an, nachdem er sie an die Heiligkeit des von ihnen abzulegenden Eides erinnert hat, sich in das für sie bestimmte Zimmer zu begeben. Nach Umständen kann auch der Privatankläger oder Privatbetheiligte, wenn er als Zeuge zu vernehmen ist, unbeschadet seines Rechtes, sich durch einen Anderen bei der Verhandlung vertreten zu lassen, zur Entfernung aus dem Sitzungssaale angewiesen werden. Der Vorsitzende ordnet auch nach Befinden Maßregeln an, um Verabredungen oder Versprechungen der Zeugen zu verhindern.

Rücksichtlich der Sachverständigen kann der Vorsitzende in allen Fällen, in welchen er es für die Erforschung der Wahrheit zweckdienlich findet, verfügen, daß dieselben sowohl während der Vernehmung des Angeklagten als der Zeugen im Sitzungssaale bleiben.

§. 242. Wenn Zeugen oder Sachverständige, der an die ergangenen Vorladung ungeachtet, bei der Hauptverhandlung nicht erscheinen, so kann der Gerichtshof deren ungesäumte Vorführung verfügen.

Ist diese nicht möglich, so entscheidet der Gerichtshof nach Anhörung des Anklägers und des Angeklagten oder seines Vertheidigers, ob die Hauptverhandlung vertragt oder fortgesetzt werden und statt der mündlichen Abhörung jener Zeugen oder Sachverständigen die Verlesung der in der Voruntersuchung abgelegten Aussagen derselben erfolgen soll.

Der Ausgebliebene ist zu einer Geldstrafe von fünf bis fünfzig Gulden zu verurtheilen. Ist die Hauptverhandlung vertragt worden, so hat er überdieß die Kosten der durch sein Ausbleiben vereitelten Sitzung zu tragen. Auch kann, um sein Erscheinen bei der neu angeordneten Sitzung zu sichern, ein Vorführungsbefehl wider ihn erlassen werden.

§. 243. Gegen die in Gemäßheit des vorstehenden Paragraphen ausgesprochene Verurtheilung kann der Zeuge oder Sachverständige binnen acht Tagen nach Zustellung des gegen ihn ergangenen Erkenntnisses bei dem erkennenden Gerichtshofe Einspruch erheben.

Wenn er nachzuweisen vermag, daß ihm die Vorladung nicht gehörig zugestellt worden, oder daß ihm ein unvorhergesehenes und unabwendbares Hinderniß vom Erscheinen abgehalten habe, wird er von der wider ihn ausgesprochenen Strafe losgezählt.

Eine Minderung der verhängten Strafe oder des ihm auferlegten Kostenbetrages kann ausgesprochen werden, wenn er darzuthun im Stande ist, daß diese Strafe oder Kostenverurtheilung

(447) nicht im richtigen Verhältnisse zu seinem Verschulden oder zu den Folgen seines Ausbleibens steht.

Wird der Einspruch erst nach dem Schlusse der Hauptverhandlung erhoben, so entscheidet darüber der Gerichtshof erster Instanz in nicht öffentlicher Sitzung, in einer Versammlung von drei Richtern, von denen einer den Vorsitz führt.

Gegen das über den Einspruch ergehende Erkenntniß ist kein Rechtsmittel zulässig.

§. 244. Nachdem die Zeugen abgetreten sind, läßt der Vorsitzende bei sonstiger Nichtigkeit die Anklageschrift, und falls ein Erkenntniß vorliegt, vermöge dessen ein Anklagepunkt zu entfallen hat, auch dieses verlesen.

4) Vernehmung des Angeklagten.

§. 245. Hierauf wird der Angeklagte vom Vorsitzenden über den Inhalt der Anklage vernommen. Beantwortet der Angeklagte die Anklage mit der Erklärung, er sei nicht schuldig, so hat ihm der Vorsitzende zu eröffnen, daß er berechtigt sei, der Anklage eine zusammenhängende Erklärung des Sachverhaltes entgegenzustellen und nach Anführung jedes einzelnen Beweismittels seine Bemerkungen darüber vorzubringen. Weicht der Angeklagte von seinen früheren Aussagen ab, so ist er um die Gründe dieser Abweichung zu befragen. Der Vorsitzende kann in diesem Falle, sowie dann, wenn der Angeklagte eine Antwort verweigert, das über die früheren Aussagen aufgenommene Protokoll ganz oder theilweise vorlesen lassen.

Der Angeklagte kann zur Beantwortung der an ihn gerichteten Fragen nicht verhalten werden.

Es ist dem Angeklagten unbenommen, sich auch während der Hauptverhandlung mit seinem Vertheidiger zu besprechen; es ist ihm jedoch nicht gestattet, sich mit demselben unmittelbar über die Beantwortung der einzelnen an ihn gestellten Fragen zu berathen.

5) Beweisverfahren.

§. 246. Nach der Vernehmung des Angeklagten sind die Beweise in der vom Vorsitzenden bestimmten Ordnung vorzuführen und in der Regel die vom Ankläger vorgebrachten Beweise zuerst aufzunehmen.

Der Ankläger und der Angeklagte können im Laufe der Hauptverhandlung Beweismittel fallen lassen, jedoch nur wenn der Gegner zustimmt.

§. 247. Zeugen und Sachverständige werden einzeln vorgerufen und in Anwesenheit des Angeklagten abgehört. Sie sind vor ihrer Vernehmung zur Angabe der Wahrheit zu ermahnen. Sachverständige, welche den Eid bereits abgelegt haben, und Zeugen, welche im Vorverfahren beeidigt wurden, sind an die Heiligkeit des abgelegten Eides zu erinnern.

Außer diesem Falle ist jeder derselben, bei sonstiger Nichtigkeit, nach Beantwortung der allgemeinen Fragen und vor seiner weiteren Vernehmung und Beobachtung des Gesetzes vom 3. Mai 1868, R. G. Bl. Nr. 33, zu beeidigen, soferne nicht einer der im §. 170 unter 1 bis 6 bezeichneten Gründe entgegensteht.

Die Beeidigung kann unterbleiben oder bis nach erfolgter Abhörung des Zeugen ausgesetzt werden, wenn Ankläger und Angeklagter darüber einverstanden sind.

§. 248. Der Vorsitzende hat bei der Abhörung der Zeugen und Sachverständigen die für den Untersuchungsrichter in der Voruntersuchung ertheilten Vorschriften, soweit dieselben nicht ihrer Natur nach als in der Hauptverhandlung unausführbar erscheinen, zu beobachten. Er hat dafür zu sorgen, daß ein noch nicht vernommener Zeuge nicht bei der Beweisaufnahme überhaupt, ein nicht vernommener Sachverständiger nicht bei der Vernehmung anderer Sachverständigen über denselben Gegenstand zugegen sei.

(448) Zeugen, deren Aussagen von einander abweichen, kann der Vorsitzende einander gegenüberstellen.

Zeugen und Sachverständige haben nach ihrer Vernehmung solange in der Sitzung anwesend zu bleiben, als der Vorsitzende sie nicht entläßt oder ihr Abtreten verordnet. Die einzelnen Zeugen dürfen einander über ihre Aussagen nicht zu Rede stellen.

Der Angeklagte muß nach der Abhörung eines jeden Zeugen, Sachverständigen oder Mitangeklagten befragt werden, ob er auf die eben vorgenommene Aussage etwas zu entgegnen habe.

§. 249. Außer dem Vorsitzenden sind auch die übrigen Mitglieder des Gerichtshofes, der Ankläger, der Angeklagte und der Privatbetheiligte, sowie deren Vertreter befugt, an jede zu vernehmende Person, nachdem sie das Wort hiezu von dem Vorsitzenden erhalten haben, Fragen zu stellen. Der Vorsitzende ist berechtigt, Fragen, die ihm unangemessen erscheinen, zurückzuweisen.

§. 250. Der Vorsitzende ist befugt, ausnahmsweise den Angeklagten während der Abhörung eines Zeugen oder eines Mitangeklagten aus dem Sitzungssaale abtreten zu lassen. Er muß ihn aber, sobald er ihn nach seiner Wiedereinführung über den in seiner Abwesenheit verhandelten Gegenstand vernommen hat, von Allem in Kenntniß setzen, was in seiner Abwesenheit vorgenommen wurde, insbesondere von den Aussagen, welche inzwischen gemacht worden sind.

Ist diese Mittheilung unterblieben, so muß sie jedenfalls bei sonstiger Nichtigkeit vor Schluß des Beweisverfahrens nachgetragen werden.

§. 251. Sowohl der Angeklagte als der Ankläger können verlangen, daß sich Zeugen nach ihrer Abhörung aus dem Gerichtssaale entfernen und später wieder hereingerufen und entweder allein oder in Gegenwart anderer Zeugen nochmals vernommen werden. Der Vorsitzende kann dieß auch von Amtswegen anordnen.

§. 252. Protokolle über die Vernehmung von Mitbeschuldigten und Zeugen, dann die Gutachten der Sachverständigen dürfen nur in folgenden Fällen vorgelesen werden:

1) wenn die Vernommenen in der Zwischenzeit gestorben sind; wenn ihr Aufenthalt unbekannt oder ihr persönliches Erscheinen wegen ihres Alters, wegen Krankheit oder Gebrechlichkeit oder wegen entfernten Aufenthaltes oder aus anderen erheblichen Gründen füglich nicht bewerkstelligt werden konnte;

2) wenn die in der Hauptverhandlung Vernommenen in wesentlichen Punkten von ihren früher abgelegten Aussagen abweichen;

3) wenn Zeugen, ohne dazu berechtigt zu sein, oder wenn Mitschuldige die Aussage verweigern; endlich

4) wenn über die Vorlesung Ankläger und Angeklagter einverstanden sind.

Augenscheins- und Befundaufnahmen, gegen den Angeklagten früher ergangene Straferkenntnisse, sowie Urkunden und Schriftstücke anderer Art, welche für die Sache von Bedeutung sind, müssen vorgelesen werden, wenn nicht beide Theile darauf verzichten.

Nach jeder Vorlesung ist der Angeklagte zu befragen, ob er darüber etwas zu bemerken habe.

§. 253. Im Laufe oder am Schlusse des Beweisverfahrens läßt der Vorsitzende dem Angeklagten und soweit es nöthig ist, den Zeugen und Sachverständigen diejenigen Gegenstände, welche zur Aufklärung des Sachverhaltes dienen können, vorlegen, und fordert sie auf, sich zu erklären, ob sie dieselben anerkennen.

§. 254. Der Vorsitzende ist ermächtigt, ohne Antrag des Anklägers oder Angeklagten Zeugen und Sachverständige, von welchen nach dem Gange der Verhandlung Aufklärung

(449) über erhebliche Thatsachen zu erwarten ist, im Laufe des Verfahrens vorladen und nöthigenfalls vorführen zu lassen und zu vernehmen.

Ob eine Beeidigung solcher neuen Zeugen oder Sachverständigen stattfinde, darüber hat nach deren Abhörung und nach Vernehmung der Parteien der Gerichtshof zu entscheiden.

Der Vorsitzende kann auch neue Gutachten abfordern oder andere Beweismittel herbeischaffen lassen, mit dem Gerichte einen Augenschein vornehmen oder hiezu ein Mitglied des Gerichtes abordnen, welches darüber Bericht zu erstatten hat.

6) Vorträge der Parteien.

§. 255. Nachdem der Vorsitzende das Beweisverfahren für geschlossen erklärt hat, erhält zuerst der Ankläger das Wort, um die Ergebnisse der Beweisführung zusammenzufassen und seine Anträge sowohl rücksichtlich der Schuld des Angeklagten, als auch in Betreff der gegen ihn anzuwendenden Strafbestimmungen zu stellen und zu begründen. Einen bestimmten Antrag über die Bemessung der Strafe innerhalb des gesetzlichen Strafsatzes hat der Ankläger nicht zu stellen.

Der Privatbetheiligte erhält zunächst nach dem Staatsanwalte das Wort.

Dem Angeklagten und seinem Vertheidiger steht das Recht zu, darauf zu antworten.

Findet der Staatsanwalt der Privatankläger oder der Privatbetheiligte hierauf etwas zu erwidern, so gebührt dem Angeklagten und seinem Vertheidiger jedenfalls die Schlußrede.

§. 256. In der Regel ist in den Schlußvoträgen über alle im Urtheile zu entscheidenden Fragen ungetrennt zu verhandeln.

Doch steht es dem Vorsitzenden oder dem Gerichtshofe (§. 238) frei, zu verfügen, daß die Schlußvorträge über die Schuldfrage von jenen über die Strafbestimmungen, über die privatrechtlichen Ansprüche und über die Proceßkosten zu trennen seien. In diesen Fällen werden, nachdem der Gerichtshof über die Schuld des Angeklagten entschieden und seinen Ausspruch verkündet hat, neuerliche Schlußvorträge gehalten, welche jedoch auf die noch zu entscheidenden Fragen einzuschränken sind.

7) Urtheil des Gerichtshofes.

§. 257. Nachdem der Vorsitzende die Verhandlung für geschlossen erklärt hat, zieht sich der Gerichtshof zur Urtheilsfällung in das Berathungszimmer zurück. Der Angeklagte wird, wenn er verhaftet war, einstweilen aus dem Sitzungssaale abgeführt.

§. 258. Das Gericht hat bei der Urtheilsfällung nur auf dasjenige Rücksicht zu nehmen, was in der Hauptverhandlung vorgekommen ist. Actenstücke können nur insoweit als Beweismittel dienen, als sie bei der Hauptverhandlung vorgelesen worden sind.

Das Gericht hat die Beweismittel in Ansehung ihrer Glaubwürdigkeit und Beweiskraft sowohl einzeln, als auch in ihrem inneren Zusammenhange sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen. Ueber die Frage, ob eine Thatsache als erwiesen anzunehmen sei, entscheiden die Richter nicht nach gesetzlichen Beweisregeln, sondern nur nach ihrer freien, aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnenen Ueberzeugung.

§. 259. Der Angeklagte wird durch Urtheil des Gerichtshofes von der Anklage freigesprochen:

1) wenn sich zeigt, daß das Strafverfahren ohne den Antrag eines gesetzlich berechtigten Anklägers eingeleitet oder gegen dessen Willen fortgesetzt worden sei;

2) wenn der Ankläger nach Eröffnung der Hauptverhandlung und ehe der Gerichtshof sich zur Schöpfung des Urtheiles zurückzieht, von der Anklage zurücktritt;

3) wenn der Gerichtshof erkennt, daß die der Anklage zu Grunde liegende That vom Gesetze nicht mit Strafe bedroht, oder der Thatbestand nicht hergestellt, oder nicht erwiesen sei,

(450) daß der Angeklagte die ihm zur Last gelegte That begangen habe, oder daß Umstände vorliegen, vermöge welcher die Strafbarkeit aufgehoben oder die Verfolgung aus anderen als den unter Z. 1 und 2 angegebenen Gründen ausgeschlossen ist.

§. 260. Wird der Angeklagte schuldig befunden so muß das Strafurtheil aussprechen:

1) welcher That der Angeklagte schuldig befunden worden, und zwar unter ausdrücklicher Bezeichnung der einen bestimmten Strafsatz bedingenden Thatumstände;

2) welche strafbare Handlung durch die als erwiesen angenommenen Thatsachen, deren der Angeklagte schuldig befunden worden, begründet wird;

3) zu welcher Strafe der Angeklagte verurtheilt werde; - und zwar diese drei Punkte bei sonstiger Nichtigkeit; außerdem ist noch beizufügen:

4) welche strafgesetzliche Bestimmungen auf ihn angewendet wurden;

5) die Entscheidung über die geltend gemachten Entschädigungsansprüche und über die Proceßkosten.

§. 261. Erachtet der Gerichtshof, daß die Thatsachen, welche der Anklage zu Grunde liegen, an sich oder in Verbindung mit den in der Hauptverhandlung hervortretenden Umständen ein zur Zuständigkeit des Geschwornengerichtes gehöriges Verbrechen oder Vergehen begründen, so spricht er seine Nichtzuständigkeit aus.

Sobald dieser Ausspruch in Rechtskraft erwachsen ist, hat der Ankläger längstens binnen drei Tagen (§§. 27 und 46) seine Anträge wegen Einleitung oder Wiedereröffnung der Voruntersuchung, oder – falls eine solche nicht nothwendig ist – wegen Anordnung der Hauptverhandlung vor dem Geschwornengerichte anzubringen. Im ersteren Falle muß eine neue Anklageschrift eingebracht werden; außer diesem Falle ist aber bei der neuen Hauptverhandlung die ursprüngliche Anklageschrift und der nach gegenwärtigem Paragraphe gefällte Ausspruch des Gerichtshofes zu verlesen.

§. 262. Erachtet der Gerichtshof, daß die der Anklage zu Grunde liegenden Thatsachen an sich oder in Verbindung mit den erst in der Hauptverhandlung hervortretenden Umständen eine andere als die in der Anklage bezeichnete, jedoch nicht zur Zuständigkeit des Geschwornengerichtes gehörige strafbare Handlung begründen, so schöpft er, nachdem er die Parteien darüber gehört und über einen allfälligen Vertagungsantrag entschieden hat, das Urtheil nach seiner rechtlichen Ueberzeugung, ohne an die in der Anklageschrift enthaltene Bezeichnung der That gebunden zu sein.

§. 263. Wird der Angeklagte bei der Hauptverhandlung noch einer anderen That beschuldigt, als wegen welcher er angeklagt war, so kann der Gerichtshof, wenn dieselbe von Amtswegen zu verfolgen ist, auf Antrag des Staatsanwaltes oder des durch diese That Verletzten, in anderen Fällen aber nur auf Begehren des zur Privatanklage Berechtigten die Verhandlung und das Urtheil auch auf diese That ausdehnen. Die Zustimmung des Angeklagten ist nur dann erforderlich, wenn derselbe bei seiner Verurtheilung wegen dieser That unter ein Strafgesetz fiele, welches strenger ist als dasjenige, welches auf die in der Anklageschrift angeführte strafbare Handlung anzuwenden wäre.

Verweigert in einem solchen Falle der Angeklagte seine Zustimmung zu sofortigen Aburtheilung, oder kann dieselbe nicht erfolgen, weil eine sorgfältigere Vorbereitung nöthig erscheint, oder weil der Gerichtshof zur Aburtheilung über die hinzugekommene strafbare Handlung nicht zuständig ist, so hat sich das Urtheil auf den Gegenstand der Anklage zu beschränken und dem Ankläger – auf sein Verlangen – die selbständige Verfolgung wegen der hinzugekommenen That vorzubehalten, außer welchem Falle wegen dieser letzteren eine Verfolgung nicht mehr stattfindet.

Nach Umständen kann der Gerichtshof auch, wenn er über die hinzugekommene That nicht sofort aburtheilt, die Hauptverhandlung abbrechen und die Entscheidung über alle dem

(451) Angeklagten zur Last fallenden strafbaren Handlungen einer neuen Hauptverhandlung vorbehalten.

In beiden Fällen muß der Ankläger binnen drei Tagen (§§. 27 und 46) seine Anträge wegen Einleitung des gesetzlichen Verfahrens anbringen.

§. 264. Wird gegen den Angeklagten ein Strafurtheil gefällt, so steht der Vollstreckung desselben der Umstand nicht entgegen, daß die Verfolgung wegen einer anderen strafbaren Handlung noch vorbehalten ist. Nur wenn die letztere mit der Todesstrafe bedroht ist, muß bis zur Entscheidung über dieselbe mit der Vollstreckung des nach §. 263 ergehenden Urtheils innegehalten werden.

Macht der Ankläger von dem im §. 263 erwähnten Vorbehalte Gebrauch, so kann der Gerichtshof anordnen, daß die Vollstreckung des unter diesem Vorbehalte erlassenen Urtheils bis zur Entscheidung über die neue Anklage auf sich beruhen habe. In diesem Falle sind beide Urtheile hinsichtlich der Rechtsmittel so zu behandeln, als wären sie gleichzeitig gefällt.

§. 265. Wird ein Angeklagter, gegen welchen bereits ein Strafurtheil ergangen ist, einer anderen vor der Fällung jenes Strafurtheiles begangenen strafbaren Handlung schuldig befunden, so ist bei Bemessung der Strafe für die neu hervorgekommene strafbare Handlung auf die dem Schuldigen durch das frühere Erkenntniß zuerkannte Strafe angemessene Rücksicht zu nehmen, so daß die im Gesetze für die schwerer strafbare Handlung bestimmte höchste Strafe nie überschritten werden darf.

§. 266. Wird auf eine Geldstrafe erkannt, so ist zugleich die für den Fall der Uneinbringlichkeit an die Stelle tretende Arreststrafe zu bestimmen.

§. 267. An die Anträge des Anklägers ist der Gerichtshof nur insoweit gebunden, daß er den Angeklagten nicht einer That schuldig erklären kann, auf welche die Anklage weder ursprünglich gerichtet, noch während der Hauptverhandlung ausgedehnt wurde.

8) Verkündung und Ausfertigung des Urtheils.

§. 268. Unmittelbar nach dem Beschlusse des Gerichtshofes ist der Angeklagte wieder vorzuführen oder vorzurufen, und es ist in öffentlicher Sitzung durch den Vorsitzenden das Urtheil sammt den wesentlichen Gründen desselben unter Verlesung der angewendeten Gesetzesbestimmungen zu verkünden. Zugleich belehrt der Vorsitzende den Angeklagten über die ihm zustehenden Rechtsmittel.

§. 269. Hat sich der Angeklagte zur Urtheilsverkündung nicht eingefunden, so kann der Vorsitzende ihn zu diesem Behufe vorführen lassen oder anordnen, daß ihm das Urtheil entweder durch einen hiezu abgeordneten Richter mündlich eröffnet oder ihm in Abschrift zugestellt werde.

§. 270. Jedes Urtheil muß binnen drei Tagen vom Tage der Verkündung schriftlich ausgefertigt und von dem Vorsitzenden, sowie vom Schriftführer unterschrieben werden.

Die Urtheilsausfertigung muß enthalten:

1) die Bezeichnung des Gerichtes und die Namen der anwesenden Mitglieder des Gerichtshofes, sowie den des Staatsanwaltes (Privatanklägers) und des Privatbetheiligten;

2) den Vor- und Zunamen, sowie denjenigen Namen, unter welchem der Angeklagte allenfalls sonst noch bekannt ist, sein Alter, Stand, Gewerbe oder seine Beschäftigung; ferner den Namen seines Vertheidigers;

3) den Tag der die Hauptverhandlung anordnenden Verfügung und den wesentlichen Inhalt der Anklageschrift;

4) den Tag der Hauptverhandlung und des ergehenden Urtheiles;

5) die Schlußanträge des Anklägers und des Privatbetheiligten;

(452) 6) das Erkenntniß des Gerichtshofes über die Schuldfrage, und zwar im Falle eines Strafurtheiles mit allen im §. 260 aufgeführten Punkten; endlich

7) die Entscheidungsgründe. In denselben muß in gedrängter Darstellung, aber mit voller Bestimmtheit angegeben sein, welche Thatsachen und aus welchen Gründen der Gerichtshof dieselben als erwiesen oder als nicht erwiesen angenommen, von welchen Erwägungen er bei der Entscheidung der Rechtsfragen und bei Beseitigung der vorgebrachten Einwendungen geleitet wurde, und im Falle einer Verurtheilung, welche Erschwerungs- und Milderungsumstände er gefunden habe. Bei einem freisprechenden Urtheile haben die Entscheidungsgründe insbesondere deutlich anzugeben, aus welchem der im §. 259 angegebenen Gründe sich der Gerichtshof zur Freisprechung bestimmt gefunden habe.

Schreib- und Rechnungsfehler, ferner solche Formgebrechen und Auslassungen, welche nicht die im §. 260, Z. 1 bis 3, erwähnten Punkte betreffen, hat der Gerichtshof jederzeit, allenfalls nach Anhörung der Parteien, zu berichtigen. Gegen die Zurückweisung eines darauf abzielenden Antrages ist kein Rechtsmittel zulässig. Die beschlossene Verbesserung ist am Rande des Urtheils beizusetzen, und muß allen Ausfertigungen beigefügt werden.

9) Protokollführung.

§. 271. Ueber die Hauptverhandlung ist bei sonstiger Nichtigkeit ein von dem Vorsitzenden und dem Schriftführer zu unterschreibendes Protokoll aufzunehmen. Dasselbe soll die Namen der anwesenden Mitglieder des Gerichtshofes, der Parteien und ihrer Vertreter enthalten, alle wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens beurkunden, insbesondere anführen, welche Zeugen und Sachverständigen vernommen, und welche Actenstücke vorgelesen wurden, ob die Zeugen und Sachverständigen beeidigt wurden, oder aus welchen Gründen die Beeidigung unterblieb; endlich alle Anträge der Parteien und die von dem Vorsitzenden oder dem Gerichte darüber erfolgten Entscheidungen bemerken. Den Parteien steht es frei, die Feststellung einzelner Punkte im Protokolle zur Wahrung ihrer Rechte zu verlangen.

Der Vorsitzende hat, wo es auf Feststellung der wörtlichen Fassung ankommt, auf Verlangen einer Partei sofort die Verlesung einzelner Stellen anzuordnen.

Der Antworten des Angeklagten und der Aussagen der Zeugen oder Sachverständigen geschieht nur dann eine Erwähnung, wenn sie Abweichungen, Veränderungen oder Zusätze der in den Acten niedergelegten Angaben enthalten, oder wenn die Zeugen oder Sachverständigen in der öffentlichen Sitzung das erste Mal vernommen werden.

Wenn der Vorsitzende oder der Gerichtshof es angemessen findet, kann er die stenographische Aufzeichnung aller Aussagen und Vorträge anordnen; auf rechtzeitiges Verlangen einer Partei und gegen vorläufigen Erlag der Kosten, ist dieselbe stets zu verfügen. Die stenographischen Aufzeichnungen sind jedoch binnen achtundvierzig Stunden in gewöhnliche Schrift zu übertragen, dem Vorsitzenden oder einem von ihm hiemit betrauten Richter zur Prüfung vorzulegen und dem Protokolle beizuschließen.

Es steht übrigens den Parteien frei, von dem abgeschlossenen Protokolle und dessen Beilagen Einsicht und Abschrift zu nehmen.

§. 272. Ueber die Berathungen und Abstimmungen während und am Schlusse der Hauptverhandlung ist in den Fällen, wo sich das Gericht zur Beschlußfassung in das Berathungszimmer zurückgezogen hat, ein abgesondertes Protokoll zu führen.

10) Vertagung der Hauptverhandlung.

§. 273. Die Hauptverhandlung darf, wenn sie begonnen hat, nur soweit unterbrochen werden, als es der Vorsitzende zur nöthigen Erholung der dabei betheiligten Personen oder zur unverzüglichen Herbeischaffung von Beweismitteln erforderlich findet; sie kann nach dem Ermessen des Gerichtshofes in dringenden Fällen auch an einem Sonn- oder Feiertage fortgesetzt werden.

(453) §. 274. Ist der Vertheidiger, ungeachtet gehöriger Ladung bei der Hauptverhandlung nicht erschienen, oder hat er sich vor dem Schlusse derselben entfernt, oder tritt der im §. 236, Absatz 2, vorgesehene Fall ein, und kann ein anderer Vertheidiger überhaupt nicht, oder doch nicht ohne Beeinträchtigung der Vertheidigung des Angeklagten bestellt werden, so ist die Verhandlung zu vertagen. Die Kosten der Bestellung eines anderen Vertreters und der Vertagung hat der schuldige Vertheidiger zu tragen.

§. 275. Erkrankt der Angeklagte während der Hauptverhandlung in dem Maße, daß er derselben nicht weiter beiwohnen kann, und willigt er nicht selbst ein, daß eine Verhandlung in seiner Abwesenheit fortgesetzt und seine in der Voruntersuchung abgegebene Erklärung vorgelesen werde, so ist die Verhandlung zu vertagen.

§. 276. Eine Vertagung der Hauptverhandlung kann nach Ermessen des Gerichtes auch dann beschlossen werden, wenn der Gerichtshof aus irgend einem Anlasse vorläufig noch neue Erhebungen oder Untersuchungshandlungen oder die Herbeischaffung neuer Beweismittel anzuordnen findet, oder wenn wegen äußerer Hindernisse eine zeitweilige Aufschiebung der Verhandlung sich als nothwendig oder zweckmäßig darstellt.

11) Zwischenfälle.

§. 277. Ergibt sich aus der Hauptverhandlung mit Wahrscheinlichkeit, daß ein Zeuge wissentlich falsch ausgesagt habe, so kann der Vorsitzende über dessen Aussage ein Protokoll aufnehmen und nach geschehener Vorlesung und Genehmigung von dem Zeugen unterfertigen lassen; er kann auch den Zeugen verhaften und dem Untersuchungsrichter vorführen lassen.

§. 278. Wird während der Hauptverhandlung in dem Sitzungssaale eine strafbare Handlung verübt, und dabei der Thäter auf frischer That betreten, so kann darüber mit Unterbrechung der Hauptverhandlung oder am Schlusse derselben, auf Antrag des dazu berechtigten Anklägers, sowie nach Vernehmung des Beschuldigten und der vorhandenen Zeugen von dem versammelten Gerichte sogleich abgeurtheilt werden. Rechtsmittel gegen ein solches Urtheil haben keine aufschiebende Wirkung.

Ist die sofortige Aburtheilung nicht thunlich, oder begründet die That ein vor das Geschwornengericht gehöriges Verbrechen oder Vergehen, so läßt der Vorsitzende den Thäter dem Untersuchungsrichter vorführen.

Ueber einen solchen Vorgang ist ein besonderes Protokoll aufzunehmen.

§. 279. Hat der Angeklagte während der Hauptverhandlung eine strafbare Handlung begangen, so finden die Bestimmungen des §. 263 ihre volle Anwendung.

II. Rechtsmittel gegen das Urtheil.

§. 280. Gegen die Urtheile der Gerichtshöfe erster Instanz stehen nur die Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung offen. Die erstere geht an den obersten Gerichtshof als Cassationshof, die letztere an den Gerichtshof zweiter Instanz.

§. 281. Die Nichtigkeitsbeschwerde kann gegen ein freisprechendes Urtheil nur zum Nachtheile, gegen ein verurtheilendes sowohl zum Vortheile als zum Nachtheile des Angeklagten ergriffen werden, stets jedoch nur wegen eines der folgenden Nichtigkeitsgründe:

1) wenn der Gerichtshof nicht gehörig besetzt war; wenn nicht alle Richter der ganzen Verhandlung beiwohnten, oder wenn sich ein ausgeschlossener Richter (§§. 67 und 68) an der Entscheidung betheiligte; es wäre denn, daß der die Nichtigkeit begründende Thatumstand dem Beschwerdeführer noch vor oder während der Hauptverhandlung bekannt und von ihm nicht gleich beim Beginne der Hauptverhandlung oder sofort, nachdem er in die Kenntniß desselben gelangte, geltend gemacht wurde;

(454) 2) wenn trotz der Verwahrung des Beschwerdeführers ein Schriftstück über einen nach dem Gesetze nichtigen Vorerhebungs- oder Voruntersuchungsact bei der Hauptverhandlung verlesen wurde;

3) wenn bei der Hauptverhandlung eine Vorschrift verletzt oder vernachlässigt worden ist, deren Beobachtung das Gesetz ausdrücklich bei sonstiger Nichtigkeit vorschreibt (§§. 120, 151, 152, 170, 221, 228, 244, 247, 250, 260, 271 und 427);

4) wenn während der Hauptverhandlung über einen Antrag des Beschwerdeführers nicht erkannt worden ist, oder wenn durch ein gegen seinen Antrag oder Widerspruch gefälltes Zwischenerkenntniß Gesetze oder Grundsätze des Verfahrens hintangesetzt oder unrichtig angewendet worden sind, deren Beobachtung durch das Wesen eines die Strafverfolgung und die Vertheidigung sichernden Verfahrens geboten ist;

5) wenn der Ausspruch des Gerichtshofes über entscheidende Thatsachen (§. 270, Z. 6 und 7) undeutlich, unvollständig oder mit sich selbst im Widerspruche ist; wenn für diesen Ausspruch keine Gründe angegeben sind oder wenn zwischen den Angaben der Entscheidungsgründe über den Inhalt von bei den Acten befindlichen Urkunden oder über gerichtliche Aussagen und den Urkunden oder Vernehmungs- und Sitzungsprotokollen selbst ein erheblicher Widerspruch besteht;

6) wenn der Gerichtshof mit Unrecht seine Nichtzuständigkeit (§. 261) ausgesprochen hat;

7) wenn das ergangene Endurtheil die Anklage nicht erledigt, oder

8) dieselbe gegen die Vorschrift der §§. 262, 263 und 267 überschritten hat;

9) wenn durch den ergangenen Ausspruch über die Frage:

a) ob die dem Angeklagten zur Last fallende That ein Verbrechen, ein Vergehen oder eine andere zur Zuständigkeit der Gerichte gehörige strafbare Handlung begründe,

b) ob Umstände vorhanden seien, vermöge welcher die Strafbarkeit der That aufgehoben, oder die Verfolgung wegen derselben ausgeschlossen ist, endlich

c) ob die nach dem Gesetze erforderliche Anklage fehle,

ein Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet wurde;

10) wenn die der Entscheidung zu Grunde liegende That durch unrichtige Gesetzesauslegung einem Strafgesetze unterzogen wurde, welches darauf keine Anwendung findet;

11) wenn der Gerichtshof bei Ausmessung der Strafe seine Strafbefugnis oder die Gränzen des gesetzlichen Strafsatzes, soweit derselbe durch namentlich im Gesetze angeführte Erschwerungs- oder Milderungsumstände begründet wird, oder wenn er die Gränzen des ihm zustehenden Strafumwandlungs- oder Milderungsrechtes überschritten, oder die Bestimmungen des §. 293, Absatz 3, und §. 359, Absatz 4, verletzt oder unrichtig angewendet hat.

Die unter 2, 3 und 4 erwähnten Nichtigkeitsgründe können zum Vortheile des Angeklagten nicht geltend gemacht werden, wenn unzweifelhaft erkennbar ist, daß die Formverletzung auf die Entscheidung keinen dem Angeklagten nachtheiligen Einfluß üben konnte. Zum Nachtheile des Angeklagten können sie nur geltend gemacht werden, wenn erkennbar ist, daß die Formverletzung einen die Anklage beeinträchtigenden Einfluß auf die Entscheidung zu üben vermochte, und wenn außerdem der Ankläger sich derselben widersetzt, die Entscheidung des Gerichtshofes begehrt und sofort nach der Verweigerung oder Verkündung dieser Entscheidung die Nichtigkeitsbeschwerde sich vorbehalten hat.

§. 282. Zu Gunsten des Angeklagten kann die Nichtigkeitsbeschwerde sowohl von ihm selbst, als auch von seinem Ehegatten, seinen Verwandten in auf- und absteigender Linie und seinem Vormunde und von dem Staatsanwalte, gegen seinen Willen aber nur im Falle der Minderjährigkeit von den Eltern und vom Vormunde ergriffen werden. Soweit es sich um die Beurtheilung der geltend gemachten Nichtigkeitsgründe handelt, ist die zu Gunsten des Angeklagten von Anderen ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde, als von ihm selbst eingelegt, anzusehen.

(455) Zum Nachtheile des Angeklagten kann die Nichtigkeitsbeschwerde nur vom Staatsanwalte oder vom Privatankläger ergriffen werden.

§. 283. Die Berufung kann nur gegen den Ausspruch über die Strafe, soweit nicht der im §. 281, Z. 11, erwähnte Nichtigkeitsgrund vorliegt, und gegen den über die privatrechtlichen Ansprüche ergriffen werden. Wegen des Ausspruches über die Strafe kann die Berufung von allen zur Ergreifung der Nichtigkeitsbeschwerde Berechtigten, und zwar zum Nachtheile des Angeklagten nur dann ergriffen werden, wenn eine außerordentliche Strafmilderung oder eine Strafumwandlung erfolgt ist; zu Gunsten des Angeklagten aber nur dann, wenn der Gerichtshof von diesem ihm zustehenden Rechte nicht ohnehin schon Gebrauch gemacht hat.

Gegen den Inhalt der über die privatrechtlichen Ansprüche gefällten Entscheidung können nur der Angeklagte und dessen gesetzliche Vertreter und Erben Berufung einlegen.

1) Verfahren bei Nichtigkeitsbeschwerden.

§. 284. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist binnen drei Tagen nach Verkündung des Urtheils bei dem Gerichtshofe erster Instanz anzumelden. War der Angeklagte bei der Verkündung des Urtheiles nicht gegenwärtig (§. 234), so ist sie binnen drei Tagen, nachdem er von demselben verständigt wurde (§. 269), anzumelden.

Für die im §. 282 erwähnten Angehörigen des Angeklagten läuft die Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde von demselben Tage, von welchem sie für den Angeklagten beginnt.

Die Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde hat aufschiebende Wirkung. Die Entlassung eines freigesprochenen Angeklagten aus der Haft wird jedoch nur wegen einer Nichtigkeitsbeschwerde des Staatsanwaltes, und zwar nur dann aufgeschoben, wenn diese sogleich bei Verkündung des Urtheils angemeldet wurde.

§. 285. Der Beschwerdeführer ist berechtigt, binnen längstens acht Tagen, von Zustellung des Urtheils an, eine Ausführung seiner Beschwerdegründe bei dem Gerichte zu überreichen. Er muß entweder in dieser Schrift oder bei Anmeldung seiner Beschwerde die Nichtigkeitsgründe einzeln und bestimmt bezeichnen, widrigens auf seine Beschwerde von dem Cassationshofe keine Rücksicht zu nehmen ist. Hat er eine Beschwerdeschrift innerhalb der gesetzlichen Frist überreicht, so ist dieselbe seinem Gegner mit dem Bedeuten mitzutheilen, daß er binnen acht Tagen seine Gegenausführung überreichen könne.

Nach Ueberreichung dieser Gegenausführung oder nach Ablauf der hiezu bestimmten Frist sind alle Acten an den Cassationshof einzusenden, welcher darüber zu entscheiden hat.

§. 286. Der Cassationshof hat zuerst in nicht öffentlicher Sitzung nach Anhörung des Generalprocurators über die Nichtigkeitsbeschwerde zu berathen. Ist dieselbe zu spät angemeldet oder sind die Nichtigkeitsgründe nicht einzeln und bestimmt bezeichnet, oder sind dieselben bereits durch eine in derselben Sache ergangene frühere Entscheidung des Cassationshofes beseitigt, oder ist die Beschwerde nicht auf einen der im §. 281 aufgeführten Nichtigkeitsgründe gestützt oder nicht von einem hiezu Berechtigten erhoben worden, so ist dieselbe sofort zu verwerfen. Dasselbe geschieht, wenn es sich lediglich um eine auf §. 281, Z. 5, gestützte Nichtigkeitsbeschwerde handelt und der Cassationshof diese nicht gegründet findet. Außerdem ist entweder sofort oder nach Einholung der etwa nöthig befundenen thatsächlichen Aufklärungen über eine behauptete Formverletzung (§. 281, Z. 1-4) ein Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung der Sache anzuberaumen und die Vorladung des Angeklagten, sowie des allenfalls einschreitenden Privatanklägers in der Art vorzunehmen, daß sie dieselbe wenigstens acht Tage vor dem Gerichtstage erhalten. Dabei ist ihnen zu bedeuten, daß im Falle ihres Ausbleibens ihre Beschwerden und Ausführungen vorgetragen und der Entscheidung zu Grunde gelegt werden würden.

(456) Ist der Angeklagte verhaftet, so wird er von dem Gerichtstage mit dem Beisatze in Kenntniß gesetzt, daß er nur durch einen Vertheidiger erscheinen könne.

Hat er einen Vertheidiger bereits namhaft gemacht oder um die Bestellung eines solchen gebeten, so ist die Vorladung nur an den Vertheidiger zu richten.

§. 287. Die Verhandlung der Sache vor dem Cassationshofe an dem angesetzten Gerichtstage ist öffentlich nach den Vorschriften der §§. 228-231.

Zuerst trägt ein von dem Präsidenten des Cassationshofes bestimmtes Mitglied desselben als Berichterstatter eine Darstellung des bisherigen Ganges des Strafverfahrens vor und bezeichnet die von dem Beschwerdeführer angestellten Nichtigkeitsgründe und die sich daraus ergebenden Streitpunkte, ohne eine Ansicht über die zu fällende Entscheidung zu äußern.

Hierauf erhält der Beschwerdeführer das Wort zur Begründung seiner Beschwerde und sodann sein Gegner zur Erwiderung. Dem Angeklagten oder seinem Vertheidiger gebührt jedenfalls das Recht der letzten Aeußerung. Ist ein Theil nicht erschienen, so wird dessen Beschwerdeschrift oder Gegenausführung vorgelesen. Hierauf zieht sich der Gerichtshof in sein Berathungszimmer zurück.

§. 288. Findet der Cassationshof die Nichtigkeitsbeschwerde ungegründet, so hat der dieselbe zu verwerfen, und wenn sie offenbar muthwillig oder nur zur Verzögerung der Sache angebracht wurde, gegen den Beschwerdeführer oder nach Umständen gegen dessen Vertreter auf eine Geldstrafe von zehn bis hundert Gulden zu erkennen.

Ist die Nichtigkeitsbeschwerde begründet, so ist das Urtheil, soweit es angefochten und durch den Nichtigkeitsgrund berührt ist, aufzuheben und nach Verschiedenheit der Nichtigkeitsgründe in Gemäßheit der folgenden Vorschriften zu erkennen und weiter zu verfahren:

1. Liegt einer der im §. 281 unter Z. 1-5 angeführten Nichtigkeitsgründe vor, so ordnet der Cassationshof eine neuerliche Hauptverhandlung an und verweist die Sache nach seinem Ermessen entweder an denselben oder an einen anderen Gerichtshof erster Instanz.

2. Hat der Gerichtshof mit Unrecht seine Nichtzuständigkeit ausgesprochen oder die Anklage nicht erledigt (§. 281, Z. 6 und 7), so trägt ihm der Cassationshof auf, sich der Verhandlung und Urtheilsfällung zu unterziehen, welche sich im letzteren Falle auf die unerledigt gebliebenen Anklagepunkte zu beschränken hat.

3. In allen anderen Fällen erkennt der Cassationshof in der Sache selbst, indem er seiner Entscheidung jene Thatsachen zu Grunde legt, welche der Gerichtshof erster Instanz ohne Ueberschreitung der Anklage (§. 281, Z. 8) festgestellt hat. Findet der Cassationshof jedoch in dem Urtheile und dessen Entscheidungsgründen jene Thatsachen nicht festgestellt, welche bei richtiger Anwendung des Gesetzes dem Erkenntnisse zu Grunde zu legen wären, so verweist er die Sache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an denselben oder an einen anderen Gerichtshof erster Instanz, geeigneten Falls auch an das zuständige Bezirksgericht.

§. 289. War die Nichtigkeitsbeschwerde nur gegen einzelne in dem Urtheile enthaltene Verfügungen gerichtet, und findet der Cassationshof, daß diese von dem Inhalte des ganzen Urtheiles trennbar seien, so steht ihm auch frei, das angefochtene Urtheil nur theilweise aufzuheben. Eben dies ist der Fall, wenn dem angefochtenen Urtheile mehrere strafbare Handlungen zu Grunde liegen, und die Nichtigkeitsbeschwerde sich nur auf das Verfahren oder die Beurtheilung hinsichtlich einzelner derselben beschränkt, zugleich aber die erforderliche theilweise Wiederholung des Verfahrens oder auch ohne dieselbe ein neuerlicher Ausspruch rücksichtlich dieser einzelnen strafbaren Handlung ausführbar erscheint.

§. 290. Der Cassationshof hat sich auf die vom Beschwerdeführer ausdrücklich oder doch durch deutliche Hinweisung geltend gemachten Nichtigkeitsgründe zu beschränken. Ueberzeugt er sich jedoch aus Anlaß einer von wem immer ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde, daß

 

 

(457) zum Nachtheile des Angeklagten das Strafgesetz unrichtig angewendet worden sei (§. 281, Z. 9-11), oder daß dieselben Gründe, auf welchen seine Verfügung zu Gunsten eines Angeklagten beruht, auch einem Mitangeklagten zu statten kommen, welcher die Nichtigkeitsbeschwerde nicht ergriffen hat, so hat er von Amtswegen so vorzugehen, als wäre der in Frage kommende Nichtigkeitsgrund geltend gemacht worden.

Ist die Nichtigkeitsbeschwerde lediglich zu Gunsten des Angeklagten ergriffen worden, so kann der Cassationshof keine strengere Strafe gegen den Angeklagten verhängen, als welche das angefochtene Urtheil ausgesprochen hatte.

§. 291. Das Urtheil des Cassationshofes ist, nachdem sich derselbe in den Gerichtssaal zurückbegeben hat, sammt den Entscheidungsgründen mündlich zu verkünden; hat der Angeklagte der Verhandlung bei dem Cassationshofe nicht beigewohnt, so ist ihm ohne Verzug eine amtlich beglaubigte Abschrift des Urtheils durch den Gerichtshof erster Instanz zuzustellen. Rücksichtlich der Ausfertigung des Urtheils und der Führung des Protokolles bei den Verhandlungen des Cassationshofes sind die den §§. 260, 268 bis 271 enthaltenen Vorschriften zu beobachten.

§. 292. Die Verhandlung über die zur Wahrung des Gesetzes ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde richtet sich im Allgemeinen nach den in den §§. 287-291 ertheilten Vorschriften, jedoch mit der Abweichung, daß sich der Angeklagte dabei nicht zu betheiligen und daß der Cassationshof die Entscheidung darüber in einer Versammlung von elf Richtern zu fällten hat. Findet der Cassationshof die zur Wahrung des Gesetzes erhobene Beschwerde gegründet, so hat er zu erkennen, daß in der fraglichen Strafsache durch den angefochtenen Beschluß oder Vorgang, durch das gepflogene Verfahren oder durch das erlassene Urtheil das Gesetz verletzt worden sei. Dieser Ausspruch ist in der Regel ohne Wirkung auf den Angeklagten. Ist jedoch der Angeklagte durch ein solches nichtiges Urtheil zu einer Strafe verurtheilt worden, so steht es dem Cassationshofe frei, nach seinem Ermessen entweder den Angeklagten freizusprechen, oder einen milderen Strafsatz anzuwenden, oder nach Umständen eine Erneuerung des gegen denselben gepflogenen Verfahrens anzuordnen.

§. 293. Das Gericht, an welches die Sache nach den §§. 288 und 292 zu neuerlicher Verhandlung verwiesen wird, hat dabei die ursprüngliche Anklage zu Grunde zu legen, soferne nicht der Cassationshof eine Abweichung angeordnet hat.

Es ist an die Rechtsansicht, von welcher der Cassationshof bei seiner Entscheidung ausgegangen, gebunden.

Die Bestimmung des §. 290, Absatz 2, ist auch für das auf Grund der neuerlichen Hauptverhandlung ergebende Urtheil maßgebend.

Gegen dieses letztere kann die Nichtigkeitsbeschwerde aus allen im §. 281 erwähnten Gründen, soweit dieselben nicht bereits durch eine in derselben Sache ergangene Entscheidung des Cassationshofes beseitigt sind, ergriffen werden.

2. Verfahren bei Berufungen.

§. 294. Die Berufung ist innerhalb der im §. 284 bezeichneten Frist beim Gerichtshofe erster Instanz anzumelden. Sie hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn sie gegen die Strafart gerichtet ist, oder wenn der Angeklagte, insoferne sie gegen das Strafmaß gerichtet ist, nicht selbst die Strafe einstweilen antreten zu wollen erklärt.

Der Beschwerdeführer hat die Berufungsausführung binnen acht Tagen nach der Anmeldung einzubringen.

Nach Ueberreichung der Ausführung oder nach Ablauf der hiezu bestimmten Frist sind alle Acten dem Gerichtshofe zweiter Instanz vorzulegen, welcher über die Berufung in nicht öffentlicher Sitzung nach Anhörung des Oberstaatsanwaltes entscheidet.

(458) §. 295. Der Gerichtshof zweiter Instanz hat sich bei seiner Entscheidung auf die der Berufung unterzogenen Punkte zu beschränken und dabei den Ausspruch des Gerichtes über die Schuld des Angeklagten und über das anzuwendende Strafgesetz zu Grunde zu legen. Setzt er die Strafe zu Gunsten eines oder mehrerer Mitschuldigen aus Gründen herab, welche auch anderen zu statten kommen, so hat er von Amtswegen so vorzugehen, als hätten auch diese Mitschuldigen die Berufung ergriffen.

Ist die Berufung lediglich zu Gunsten des Angeklagten ergriffen worden, so kann der Gerichtshof zweiter Instanz keine strengere Strafe gegen den Angeklagten verhängen, als welche das erste Urtheil ausgesprochen hatte.

Gegen seine Entscheidung ist kein Rechtsmittel zulässig.

§. 296. Ist außer der Berufung auch eine Nichtigkeitsbeschwerde von der einen oder der anderen Seite ergriffen worden, so sind bei Vorlegung der Acten an den Cassationshof auch jene Actenstücke beizulegen, welche die Berufung betreffen. In diesem Falle entscheidet der Cassationshof nach oder bei Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde auch über die Berufung, und zwar stets in nicht öffentlicher Sitzung nach Anhörung des Generalprocurators.

XIX. Hauptstück.

Von den Geschwornengerichten.

I. Vom Geschwornengerichte überhaupt.

§. 297. An dem Sitze jedes Gerichtshofes erster Instanz werden alle drei Monate die ordentlichen Schwurgerichtssitzungen abgehalten, und zwar bei den unter demselben Gerichtshofe zweiter Instanz stehenden Gerichten nach einer von dem ersteren zu bestimmenden Reihenfolge. In Wien finden die ordentlichen Schwurgerichtssitzungen alle Monate, in anderen Städten, für welche der Präsident des Gerichtshofes zweiter Instanz es anzuordnen nothwendig findet, alle zwei Monate statt.

Wenn die Zahl oder Wichtigkeit der vorliegenden Anklagen es erfordert, kann derselbe auch die Abhaltung einer außerordentlichen Schwurgerichtssitzung anordnen.

Der Gerichtshof zweiter Instanz kann aus besonders wichtigen Gründen beschließen, daß eine Sitzung des Geschwornengerichtes statt am Sitze des Gerichtshofes erster Instanz an einem andern Orte abzuhalten sei.

§. 298. Eine ordentliche Schwurgerichtssitzung darf nicht eher geschlossen werden, als bis über alle Strafsachen entschieden ist, rücksichtlich deren die Versetzung in den Anklagestand bei Eröffnung der Sitzung bereits rechtskräftig war. Ueber Fälle, in welchen dieß bei Eröffnung der Schwurgerichtssitzung noch nicht eingetreten war, kann die Hauptverhandlung während derselben Sitzung mit Genehmigung des Vorsitzenden des Schwurgerichtshofes nur dann erfolgen, wenn der Ankläger oder der Angeklagte darauf anträgt und der Gegentheil diesem Begehren zustimmt.

Der Angeklagte hat jedoch in beiden Fällen auf den ihm zustehenden Einspruch gegen die Versetzung in Anklagestand, auf die Nichtigkeitsbeschwerde gegen das denselben zurückweisende Erkenntniß und auf die im §. 221 zugestandene Frist ausdrücklich zu verzichten.

§. 299. Hat der Ankläger oder der Angeklagte erhebliche Gründe, zu beantragen, daß eine Sache bei der nächsten Schwurgerichtssitzung nicht vorgenommen werde, so hat der Schwurgerichtshof, oder wenn dieser noch nicht versammelt wäre, die Rathskammer (§. 225) darüber zu entscheiden, ob dem Begehren statt zu geben sei.

Gegen diese Entscheidung findet kein Rechtsmittel statt.

(459) §. 300. Jedes Geschwornengericht besteht aus einem Gerichtshofe und zwölf Geschwornen (Geschwornenbank).

§. 301. Der Gerichtshof des Geschwornengerichtes besteht aus drei Richtern, von denen einer den Vorsitz führt, und dem Schriftführer. Zum Vorsitzenden ernennt der Präsident des Gerichtshofes zweiter Instanz in der Regel den Präsidenten des Gerichtshofes erster Instanz, bei welchem das Schwurgericht gehalten werden soll; doch kann er zu diesem Amte auch ein Mitglied dieses Gerichtshofes oder des Gerichtshofes zweiter Instanz berufen. Jedenfalls hat er auch ein Mitglied des Gerichtshofes erster Instanz als Stellvertreter des Vorsitzenden zu bezeichnen. Diese Ernennungen sind in der Regel sechs Wochen vor dem Beginne der Schwurgerichtssitzung, bei außerordentlichen Sitzungen aber wenigstens vierzehn Tage vor dem Beginne derselben vorzunehmen und sammt dem Tage und der Stunde der Eröffnung der Sitzung durch die öffentlichen Blätter und durch Anschlag an dem Gerichtshause kundzumachen.

Die übrigen Mitglieder des Schwurgerichtshofes und zwei Ergänzungsrichter werden von dem Vorsteher des Gerichtshofes erster Instanz aus dessen Mitgliedern oder aus der Zahl der Bezirksrichter vor Eröffnung der Schwurgerichtssitzung ernannt.

§. 302. Für jede Schwurgerichtssitzung werden sechsunddreißig Geschworne und neun Ergänzungsgeschworne einberufen, aus deren Zahl die zur Besetzung der Geschwornenbank für jede einzelne Verhandlung bestimmten zwölf Geschwornen hervorgehen.

Die Bildung der Geschwornenlisten wird durch ein besonderes Gesetz geregelt.

§. 303. Die Namen der zum Geschwornengerichte berufenen Mitglieder des Gerichtshofes und das Verzeichniß der Haupt- und Ergänzungsgeschwornen sind jedem Angeklagten bei sonstiger Nichtigkeit spätestens am dritten Tage vor demjenigen, an welchem die Hauptverhandlung beginnen soll, durch den Gerichtshof erster Instanz mitzutheilen.

II. Bildung der Geschwornenbank.

§. 304. Unmittelbar vor dem Beginne der Hauptverhandlung wird für jeden einzelnen Straffall, in nicht öffentlicher Sitzung des Schwurgerichtshofes und in Gegenwart des Anklägers, des Privatbetheiligten, des Angeklagten und seines Vertheidigers, sowie der vorgeladenen Geschwornen zur Bildung der Geschwornenbank geschritten. Dieselbe beginnt mit dem Aufrufe der sechsunddreißig Hauptgeschwornen durch den Schriftführer.

§. 305. Sind weniger als dreißig Hauptgeschworne erschienen, so sind die fehlenden aus den neun Ergänzungsgeschwornen in der durch das Los zu bestimmenden Reihenfolge zu ersetzen.

§. 306. Sobald die Zahl von wenigstens dreißig Geschwornen vollständig ist, richtet der Vorsitzende bei sonstiger Nichtigkeit an den Ankläger, an den Privatbetheiligten, an den Angeklagten und an die Geschwornen die Frage, ob bei einem der letzteren ein Grund vorhanden sei, der ihn von der Theilnahme an der vorliegenden Verhandlung ausschließe. Diese Gründe sind:

1) Wenn der Geschworne zu den Parteien oder deren Vertretern in einem solchen Verhältnisse steht, welches in Gemäßheit des §. 67 einen Richter von der Ausübung des Richteramtes ausschließen würde;

2) wenn er aus der Freisprechung oder Verurtheilung des Angeklagten einen Nutzen oder Schaden zu erwarten hat;

3) wenn er in der vorliegenden Sache als Gerichtszeuge verwendet wurde, wenn er als Anzeiger, Vertheidiger oder Vertreter des Privatbetheiligten aufgetreten ist, oder als Zeuge oder Sachverständiger abgehört wurde oder abgehört werden soll;

(460) 4) wenn er bei einer früheren Hauptverhandlung über dieselbe Strafsache, welche nunmehr zur neuerlichen Hauptverhandlung gelangt (§§. 332, 348, 350, Absatz 2), sich als Geschworner betheiligt hat.

Ueber die vorgebrachten Gründe der Ausschließung entscheidet der Gerichtshof; eine etwa erforderliche Ergänzung der Zahl der Geschwornen wird auf die im vorhergehenden Paragraphe bestimmte Weise bewirkt.

§. 307. Zur Bildung der Geschwornenbank darf bei sonstiger Nichtigkeit nur dann geschritten werden, wenn wenigstens vierundzwanzig Geschworne, die nicht in Gemäßheit des vorhergehenden Paragraphes ausgeschlossen wurden, zugegen sind. Nur wenn alle zur Ablehnung von Geschwornen Berechtigten sich ausdrücklich damit einverstanden erklären, darf mit der Bildung der Geschwornenbank auch bei Anwesenheit einer geringeren Zahl von Geschwornen vorgegangen werden.

§. 308. Von der Zahl der Geschwornen, soweit sie zwölf übersteigt, kann der Ankläger die eine, der Angeklagte die andere Hälfte ablehnen. Ist die Zahl der Geschwornen eine ungerade, so hat der Angeklagte das Recht, einen mehr abzulehnen. Sind mehrere Ankläger oder mehrere Angeklagte vorhanden, so üben erstere das dem Ankläger, letztere das dem Angeklagten zukommende Ablehnungsrecht gemeinschaftlich aus. Kommen sie über die Art der gemeinschaftlichen Ausübung nicht überein, so entscheidet das Los über die Reihenfolge, in welcher sie jedesmal das Recht der Ablehnung auszuüben haben. Die Ablehnung durch einen Mitberechtigten gilt und zählt dann für Alle.

§. 309. Die Namen der Geschwornen werden in eine Urne gelegt. Der Vorsitzende gibt die jedem Betheiligten zukommende Anzahl von Ablehnungen bekannt und stellt nöthigenfalls die Art der Ausübung des Ablehnungsrechtes fest. Hieraus zieht er die Namen einzeln aus der Urne und verliest sie.

Nach Ziehung und Verlesung jedes einzelnen Namens haben die Ablehnungsberechtigten, solange deren Recht nicht erschöpft ist, und zwar der Ankläger zuerst zu erklären, ob der Geschworne angenommen oder abgelehnt werde. Erfolgt nicht eine Erklärung, ehe ein weiterer Name aus der Urne gezogen ist, so gilt dieß als Annahme. Gründe der Annahme oder Ablehnung dürfen nicht angegeben werden.

Sobald zwölf nicht abgelehnte Geschworne gezogen oder nur noch so viele Namen in der Urne übrig sind, als zur Ergänzung der Zahl der Geschwornen bis auf zwölf erfordert werden, ist die Geschwornenbank, vor welcher die Hauptverhandlung vorzunehmen ist, gebildet.

§. 310. Läßt sich voraussehen, daß eine Hauptverhandlung einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen werde, so kann der Vorsitzende verfügen, daß ein oder zwei Ersatzmänner zugezogen, und daß daher statt der zwölf Geschwornen deren dreizehn oder vierzehn ausgelost werden, von welchen die ersten zwölf Hauptgeschworne, die anderen Ersatzgeschworne sind. Die Zahl der erlaubten Ablehnungen vermindert sich in diesem Falle verhältnißmäßig. Die Ersatzgeschwornen müssen der ganzen Verhandlung ohne Unterbrechung beiwohnen, und treten, falls einer oder der andere der Hauptgeschwornen verhindert sein sollte, der ganzen Verhandlung bis zum Ausspruche der Geschwornen beizuwohnen, in der Reihenfolge, in welcher ihre Namen gezogen wurden, an deren Stelle.

III. Hauptverhandlung vor dem Geschwornengerichte.

§. 311. Die Hauptverhandlung vor dem Geschwornengerichte richtet sich, soweit in diesem Hauptstücke nicht etwas Anderes verfügt ist, nach den im XVIII. Hauptstücke enthaltenen Anordnungen. Alles, was bezüglich des Gerichtshofes und des Vorsitzenden verfügt ist, gilt vom Schwurgerichtshofe und dessen Vorsitzenden.

(461) Der Vorsitzende des Schwurgerichtshofes hat insbesondere die Pflicht, den Geschwornen in Beziehung auf die Ausübung ihres Amtes die erforderliche Anleitung zu geben, ihnen die Sache, über welche sie zu berathen haben, auseinander zu setzen und sie nöthigenfalls an ihre Pflichten zu erinnern.

1. Beginn der Hauptverhandlung und Beeidigung der Geschwornen.

§. 312. Sobald die Geschwornenbank gebildet ist und die Geschwornen ihre Sitze in der Reihenfolge, in welcher ihre Namen aus der Urne gezogen wurden, eingenommen haben, beginnt die Hauptverhandlung mit dem Aufrufe der Sache durch den Schriftführer. Der Vorsitzende stellt an den Angeklagten die im §. 240 vorgeschriebenen allgemeinen Fragen, und richtet an ihn die in demselben Paragraphe angeordnete Ermahnung.

§. 313. Hierauf wird von dem Vorsitzenden bei sonstiger Nichtigkeit die Beeidigung der Geschwornen vorgenommen. Der Vorsitzende hält zu diesem Behufe an die Geschwornen, welche sich von ihren Sitzen erheben, folgende Anrede:

„Sie schwören und geloben vor Gott, die Beweise, welche gegen und für den Angeklagten werden vorgebracht werden, mit der gewissenhaftesten Aufmerksamkeit zu prüfen, nichts unerwogen zu lassen, was zum Vortheile oder zum Nachtheile des Angeklagten gereichen kann, das Gesetz, dem Sie Geltung verschaffen sollen, treu zu beobachten, vor Ihrem Ausspruche über den Gegenstand der Verhandlung mit Niemand, außer mit Ihren Mitgeschwornen, Rücksprache zu nehmen, der Stimme der Zu- oder Abneigung, der Furcht oder der Schadenfreude kein Gehör zu geben, sondern sich mit der Unparteilichkeit und Festigkeit eines redlichen und freien Mannes nur nach den für und wider den Angeklagten vorgeführten Beweismitteln und Ihrer darauf gegründeten Ueberzeugung so zu entscheiden, wie Sie es vor Gott und Ihrem Gewissen verantworten können.“

Sodann wird jeder Geschworne einzeln von dem Vorsitzenden aufgerufen und antwortet: „Ich schwöre, so wahr mir Gott helfe!“ Das Religionsbekenntniß der Geschwornen macht hiebei keinen Unterschied. Nur solche, deren Bekenntniß die Eidesleistung untersagt, werden durch Handschlag verpflichtet.

2. Beweisverfahren.

§. 314. Nach der Beeidigung der Geschwornen läßt der Vorsitzende durch den Schriftführer die Zeugen und Sachverständigen aufrufen.

Hiebei, sowie in Betreff der vorläufigen Entfernung derselben aus dem Gerichtssaale und des Verfahrens gegen ungehorsame Zeugen und Sachverständige, sind die Vorschriften der §§. 241-243 zu beobachten.

Sodann läßt der Vorsitzende bei sonstiger Nichtigkeit die Anklageschrift, und falls ein Erkenntniß vorliegt, vermöge dessen ein Anklagepunkt zu entfallen hat, auch dieses vorlesen.

§. 315. Der Vorsitzende vernimmt hierauf den Angeklagten und leitet die Vorführung der Beweismittel unter Beobachtung der in den §§. 245-254 enthaltenen Anordnungen. Das im §. 249 erwähnte Recht der Fragestellung steht auch den Geschwornen mit Einschluß der Ersatzgeschwornen zu. Dieselben können auch Beweisaufnahmen zur Aufklärung von erheblichen Thatsachen beantragen.

Die Würdigung dieser Anträge bleibt dem Gerichtshofe vorbehalten.

3. Fragestellung an die Geschwornen.

§. 316. Nach Schluß des Beweisverfahrens stellt der Vorsitzende nach vorläufiger Berathung mit dem Gerichtshofe die an die Geschwornen zu richtenden Fragen fest. Sie sind bei sonstiger Nichtigkeit, nachdem sie von dem Vorsitzenden unterfertigt worden, zu

(462) verlesen und sowohl dem Ankläger als dem Vertheidiger auf Verlangen schriftlich vorzulegen. Die Parteien sind berechtigt, Abänderung der Fragen und Hinzufügung anderer Fragen zu beantragen, worüber der Gerichtshof sogleich entscheidet. Wird die Fragestellung abgeändert, so müssen die Fragen nochmals verlesen werden.

§. 317. Die Fragestellung an die Geschwornen entfällt, wenn der Gerichtshof nach Anhörung der Parteien erkennt, daß der Angeklagte freizusprechen sei, weil einer der im §. 259, Z. 1 und 2, erwähnten Fälle eingetreten ist, oder weil die Strafbarkeit der dem Angeklagten zur Last gelegten That durch Verjährung oder Begnadigung aufgehoben oder die Verfolgung aus Gründen des Proceßrechtes ausgeschlossen ist.

§. 318. Die Hauptfrage ist darauf gerichtet: Ob der Angeklagte schuldig sei, die der Anklage zu Grunde liegenden Handlung begangen zu haben? Hiebei sind alle gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung in die Frage aufzunehmen und die besonderen Umstände der That nach Ort, Zeit, Gegenstand u. s. w., soweit beizufügen, als dieß zur deutlichen Bezeichnung der That oder für die Entscheidung über die Entschädigungsansprüche nothwendig ist.

§. 319. Ist behauptet worden, daß ein Zustand vorhanden gewesen oder eine Thatsache eingetreten sei, welche die Strafbarkeit ausschließen oder aufheben würden, so ist, sofern es sich nicht um einen der im §. 317 erwähnten Fälle handelt, eine dieser Behauptung entsprechende Frage zu stellen.

§. 320. Sind Thatsachen behauptet worden, vermöge welcher, ihre Wahrheit vorausgesetzt, ein des vollendeten Verbrechens oder Vergehens Angeklagter nur des Versuches schuldig wäre, oder ein als Thäter Angeklagter nur als Mitschuldiger oder Theilnehmer anzusehen wäre, oder wornach die dem Angeklagten zur Last gelegte That unter ein anderes Strafgesetz fiele, welches nicht strenger ist, als das in der Anklageschrift angeführte, so sind entsprechende Fragen an die Geschwornen zu stellen.

Eine Frage dagegen, vermöge welcher die dem Angeklagten zur Last gelegte That unter den Begriff einer schwerer verpönten strafbaren Handlung gebracht wird, kann nur mit Zustimmung des Angeklagten gestellt werden. Verweigert er diese Zustimmung, oder findet es sonst der Gerichtshof zur gründlicheren Vorbereitung der Verhandlung nothwendig, so kann er dem Ankläger auf dessen spätestens vor Beginn der Berathung der Geschwornen zu stellenden Antrag die Verfolgung wegen der betreffenden Thatsachen vorbehalten (§. 263, Abs. 4, §. 264).

§. 321. Wird der Angeklagte bei der Hauptverhandlung noch einer anderen That beschuldigt, als wegen welcher er angeklagt war, so können auch darauf besondere Fragen gestellt werden.

Die Stellung solcher Fragen unterbleibt jedoch, wenn sich eine bessere Vorbereitung der Anklage oder Vertheidigung als nothwendig darstellt, oder wenn der Angeklagte im Falle der Bejahung derselben unter ein Strafgesetz fiele, welches strenger ist, als das in der Anklageschrift angeführte, und er seine Zustimmung zur sofortigen Entscheidung versagt.

Indeß ist in beiden Fällen dem Ankläger auf seinen Antrag die Verfolgung wegen der betreffenden Thatsachen vorzubehalten (§§. 263 und 264).

§. 322. Erschwerungs- und Milderungsumstände sind nur dann Gegenstand der Fragestellung an die Geschwornen, wenn das Vorhandensein eines solchen Umstandes nach dem Gesetze eine Aenderung des Strafsatzes oder der Strafart begründet.

§. 323. Die an die Geschwornen zu richtenden Fragen sind so zu stellen, daß die sich mit „Ja!“ oder „Nein!“ beantworten lassen.

(463) Welche Thatsachen in einer Frage zusammenzufassen oder zum Gegenstande besonderer Fragen zu machen seien, bleibt ebenso wie die Reihenfolge der Fragen der Beurtheilung in jedem einzelnen Falle überlassen.

Fragen, welche nur für den Fall der Bejahung (Zusatzfragen) oder für den der Verneinung einer anderen Frage gestellt werden (Eventualfragen), sind als solche ausdrücklich zu bezeichnen. Für den Fall der Bejahung einer Frage kann die Stellung von Zusatzfragen zu dem Zwecke verlangt werden, um ein in die Frage aufgenommenes gesetzliches Merkmal auf das ihm entsprechende thatsächliche Verhältniß zurückzuführen.

4. Vorträge der Parteien und des Vorsitzenden.

§. 324. Nach Verletzung der Fragen, nach welcher ein Rücktritt von der Anklage nicht mehr zulässig ist, werden der Ankläger und der Privatbetheiligte, der Angeklagte und dessen Vertheidiger in der in dem §. 255 bestimmten Reihenfolge gehört. Ihre Ausführungen haben sich hier auf jene Ergebnisse der Hauptverhandlung, welche dem Ausspruche der Geschwornen zum Grunde zu legen sind, zu beschränken. Erörterungen jener Ergebnisse der Hauptverhandlung, welche der Entscheidung des Gerichtshofes unterliegen, sind einem späteren Zeitpunkte (§. 335) vorzubehalten.

§. 325. Hierauf erklärt der Vorsitzende die Verhandlung für geschlossen; er faßt die wesentlichen Ergebnisse der Hauptverhandlung in einer gedrängten Darstellung zusammen, führt in möglichster Kürze die für und wider den Angeklagten sprechenden Beweise auf, ohne jedoch seine eigene Ansicht darüber kundzugeben. Er erklärt den Geschwornen die gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung und die Bedeutung der in den Fragen vorkommenden gesetzlichen Ausdrücke, und macht sie auf ihre Pflichten im Allgemeinen und insbesondere auf die Vorschriften über ihre Berathung und Abstimmung aufmerksam. Der Vortrag des Vorsitzenden darf von Niemand unterbrochen oder einer Erörterung unterzogen werden; dagegen steht es jeder Partei frei zu verlangen, daß die den Geschwornen vom Vorsitzenden ertheilte Rechtsbelehrung im Protokolle ersichtlich gemacht werde.

Der Vorsitzende übergibt die niedergeschriebenen Fragen den Geschwornen, welche sich sofort in ihre Berathungszimmer zurückziehen. Es werden ihnen die Anklageschrift, das vorgelesene Erkenntniß (§. 314), die Beweisgegenstände, die Augenscheinprotokolle (!), sowie die übrigen Proceßacten mit Ausnahme der in der Hauptverhandlung nicht verlesenen Vernehmungsprotokolle mitgegeben. Zugleich verfügt der Vorsitzende die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaale.

5. Berathung und Schlußfassung der Geschwornen.

§. 326. Die Geschwornen wählen einen Obmann aus ihrer Mitte mit einfache Stimmenmehrheit. Vor der Berathung hat der Obmann den Geschwornen folgende Belehrung vorzulesen:

„Das Gesetz fordert von den Geschwornen keine Rechenschaft über die Gründe ihrer Ueberzeugung; es schreibt ihnen keine bestimmten Regeln vor, nach welchen die Vollständigkeit und Hinlänglichkeit eines Beweises zu beurtheilen wäre. Es fordert sie nur auf, alle für und wider den Angeklagten vorgebrachten Beweismittel sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen und sich dann selbst zu fragen, welchen Eindruck die in der Hauptverhandlung wider den Angeklagten vorgeführten Beweise und die Gründe seiner Vertheidigung auf sie gemacht haben.

„Nach der durch die Prüfung der Beweismittel gewonnen Ueberzeugung allein haben sie ihren Ausspruch über Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten zu fällen.

„Sie müssen sich dabei beständig vor Augen halten, daß ihre Berathschlagung sich nur auf die ihnen vorgelegten Fragen, über die der Anklage zu Grunde liegenden oder damit in Verbindung stehenden Thatsachen zu beschränken hat. Nicht sie, sondern nur die Richter sind

(464) berufen, die gesetzlichen Folgen auszusprechen, welche den Angeklagten im Falle seiner Schuldigerklärung treffen. Die Geschwornen haben daher ihre Erklärung, ohne Rücksicht auf die gesetzlichen Folgen ihres Ausspruches, abzugeben.“

Die Belehrung, sowie die §§. 327-330 dieses Gesetzes sollen in dem Berathungszimmer der Geschwornen in mehreren Exemplaren angeschlagen sein.

§. 327. Die Geschwornen dürfen das Berathungszimmer nicht verlassen, bevor sie ihren Ausspruch gefällt haben. Niemand darf während der Dauer ihrer Berathung ohne schriftliche Bewilligung des Vorsitzenden in ihr Berathungszimmer eintreten; auch ist ihnen während dieser Zeit jeder Verkehr mit dritten Personen untersagt. Der Gerichtshof verurtheilt den Geschwornen, der diesem Verbote zuwiderhandelt, zu einer Geldstrafe von zehn bis hundert Gulden, dritte Personen aber, welche diese Vorschrift übertreten, zu vierundzwanzigstündigem Arrest.

Entstehen bei den Geschwornen Zweifel über das von ihnen zu beobachtende Verfahren oder über den Sinn der gestellten Fragen, oder über die Fassung einer Antwort, so begibt sich auf schriftliches Ansuchen des Obmannes der Vorsitzende unter Zuziehung des Protokollführers, dann des Anklägers und des Vertheidigers, wenn diese im Gerichtshause anwesend sind, zu den Geschwornen.

Die von dem Vorsitzenden hiebei ertheilte Belehrung ist auf Verlangen zu Protokoll zu nehmen.

Aeußern die Geschwornen den Wunsch nach Abänderung oder Ergänzung der an sie gerichteten Fragen, so ist darüber in wieder eröffneter Sitzung zu verhandeln und Beschluß zu fassen.

Der Abstimmung der Geschwornen darf bei sonstiger Nichtigkeit Niemand beiwohnen.

§. 328. Nach abgehaltener Berathung läßt der Obmann die Geschwornen über die einzelnen Fragen nach der Reihenfolge, in der sie von dem Vorsitzenden gestellt wurden, mündlich abstimmen, indem er jeden Geschwornen einzeln um seine Erklärung befragt; der Obmann gibt seine Stimme zuletzt ab. Die Geschwornen stimmen über jede Frage mit „Ja“ oder „Nein“ ab; doch ist ihnen auch gestattet, eine Frage nur theilweise zu bejahen oder zu verneinen.

Bei theilweiser Bejahung einer Frage ist die Beschränkung kurz beizufügen. Ihre Antwort ist dann: „Ja, aber nicht mit diesen oder jenen in der Frage enthaltenen Umständen.“

§. 329. Zur Bejahung der Schuldfrage, sowie zur Bejahung der in Betreff erschwerender Umstände gestellten Fragen ist eine Mehrheit von wenigstens zwei Drittheilen der Stimmen erforderlich. In allen anderen Fällen entscheidet die einfache Stimmenmehrheit; bei Stimmengleichheit gibt die dem Angeklagten günstigere Meinung den Ausschlag. Ist eine Hauptfrage zu Ungunsten des Angeklagten bejaht worden, so können sich die überstimmten Geschwornen der Abstimmung über die für diesen Fall gestellte Zusatzfrage enthalten; ihre Stimmen werden dann den dem Angeklagten günstigsten beigezählt.

Der Obmann zählt die Stimmen und schreibt neben jede Frage, je nachdem sie durch die Geschwornen beantwortet ist, Ja oder Nein, mit den allfälligen Beschränkungen, unter Angabe des Stimmenverhältnisses.

In der Aufzeichnung des Ausspruches der Geschwornen, welcher von dem Obmanne zu unterschreiben ist, darf keine Radirung vorkommen; Ausstreichungen, Randbemerkungen oder Einschaltungen müssen von dem Obmanne durch eine von ihm unterschriebene ausdrückliche Bemerkung genehmigt sein.

(465) §. 330. Nach beendigter Abstimmung kehren die Geschwornen in den Sitzungssaal zurück und nehmen wieder ihre Plätze ein. Der Vorsitzende fordert sie auf, das Ergebniß ihrer Berathung mitzutheilen. Hierauf erhebt sich der Obmann der Geschwornen und spricht: „Die Geschwornen haben nach Eid und Gewissen die an sie gestellten Fragen beantwortet, wie folgt:“

Sodann verliest er, und zwar bei sonstiger Nichtigkeit, in Gegenwart aller Geschwornen die an sie gerichteten Fragen und unmittelbar nach jeder den beigefügten Ausspruch der Geschwornen. Hierauf übergibt er den von ihm unterzeichneten Fragenbogen dem Vorsitzenden, welcher denselben unterschreibt und von dem Schriftführer mitfertigen läßt.

Sobald die Geschwornen das Berathungszimmer verlassen haben, kann keiner derselben von seiner früheren Meinung abgehen; eine neue Berathung kann nur dann zugelassen werden, wenn es sich um die Beseitigung einer durch bloßes Mißverständniß in den Wahrspruch gelangten irrigen Angabe handelt.

§. 331. Ist der Ausspruch der Geschwornen undeutlich, unvollständig oder in sich widersprechend, so hat der Gerichtshof darüber sogleich ein Erkenntniß zu fällen und den Geschwornen die Fragen und Antworten mit der Aufforderung zurückzustellen, daß sie sich in ihre Berathungszimmer zurückziehen und nach neuerlicher Berathung ihren Wahrspruch verbessern. Es steht in solchem Falle dem Gerichtshofe frei, nach Anhörung der Parteien die sich als wünschenswerth darstellenden Aenderungen und Ergänzungen der Fragen zu beschließen. Der Vorsitzende eröffnet den Geschwornen, daß sie nur zur Abänderung der beanständeten (!) Antworten und zur Beantwortung der neu oder in geänderter Fassung vorgelegten Fragen berechtigt sind.

§. 332. Wurde der Angeklagte für schuldig erklärt, und ist der Gerichtshof einstimmig der Ansicht, daß sich die Geschwornen bei ihrem Ausspruche in der Hauptfrage geirrt haben, so erkennt der Gerichtshof, ohne daß ein Parteiantrag darauf gestellt werden kann, daß die Entscheidung bis zur nächsten Schwurgerichtssitzung auszusetzen, und die Sache vor ein anderes Geschwornengericht zu verweisen sei. Findet der Gerichtshof, daß sich die Geschwornen bei ihrem Ausspruch über eine gegen Mehrere gerichtet Anklage nur rücksichtlich Eines Angeklagten oder bei mehreren Angeklagten nur rücksichtlich eines derselben geirrt haben, so hat sich diese Verweisung auf diesen Angeklagten oder diesen Anklagepunkt zu beschränken, und sie bleibt ohne Einfluß auf die übrigen. Bei der wiederholten Verhandlung darf keiner der Richter den Vorsitz führen und keiner der Geschwornen zugelassen werden, welche an der ersten Verhandlung theilgenommen. Stimmt der Ausspruch des zweiten Geschwornengerichtes mit jenem des ersten überein, so muß der Gerichtshof denselben seinem Urtheile zu Grunde legen.

7. Weiteres Verfahren und Urtheil des Gerichtshofes.

§. 333. Der Vorsitzende läßt hierauf den Angeklagten in den Sitzungssaal wieder eintreten und in dessen Gegenwart den Wahrspruch der Geschwornen, oder das in Gemäßheit des vorstehenden §. 332 gefällte Erkenntniß durch den Schriftführer vorlesen.

§. 334. Lautet der Wahrspruch der Geschwornen auf „nicht schuldig“, so fällt der Schwurgerichtshof sofort das die Freisprechung des Angeklagten enthaltende Urtheil, welches dem letzteren unverzüglich auszufertigen ist.

§. 335. Ist der Angeklagte für schuldig erklärt worden, so erhält zunächst der Ankläger das Wort, um seine Anträge wegen der anzuwendenden Strafbestimmung, sowie der zu berücksichtigenden Erschwerungs- und Milderungsumstände zu stellen. Nach ihm werden der

(466) Privatbetheiligte, der Angeklagte und sein Vertheidiger gehört, wobei die Vorschriften des §. 255 zu beobachten sind. Die Ausführungen dürfen nicht darauf abzielen, das durch den Ausspruch der Geschwornen Festgestellte in Frage zu stellen, sondern haben sich auf die Strafanwendung und die allfälligen Entschädigungsansprüche zu beschränken.

§. 336. Hierauf zieht sich der Gerichtshof, wenn er es für nöthig erachtet, in sein Berathungszimmer zurück. Der Angeklagte wird in diesem Falle nach Ermessen des Vorsitzenden abgeführt. Der Vorsitzende leitet die Abstimmung nach den in den §§. 19 u. folg. enthaltenen Vorschriften.

§. 337. Ist der Gerichtshof der Ansicht, daß die That, welche der Angeklagte nach dem Ausspruche der Geschwornen begangen hat, vom Gesetze nicht mit Strafe bedroht sei, so erkennt er auf Freisprechung des Angeklagten.

§. 338. In anderen Fällen erkennt der Gerichtshof, nach gewissenhafter Prüfung der erschwerenden und mildernden Umstände, auf die entsprechende Strafe, und zwar auch dann, wenn der Fall nach dem Ausspruche der Geschwornen nicht mehr zur Competenz des Schwurgerichtshofes gehören würde.

Er ist befugt, die Strafe, welche nach dem Gesetz zwischen zehn und zwanzig Jahren oder auf Lebenszeit zu bemessen wäre, wegen des Zusammentreffens sehr wichtiger und überwiegender Milderungsumstände, zwar nicht in der Art, aber in der Dauer herabzusetzen, jedoch nicht unter drei Jahre.

In Fällen, für welche die Strafe im Gesetz zwischen fünf und zehn Jahren bestimmt ist, darf der Gerichtshof wegen solcher mildernder Umstände sowohl auf eine gelindere Art der Kerkerstrafe erkennen, als auch dieselbe in der Dauer, jedoch nie unter ein Jahr herabsetzten.

§. 339. Wird gegen mehrere Personen auf Todesstrafe erkannt, so ist in dem Urtheile auch die Ordnung festzusetzen, in welcher die Verurtheilten hingerichtet werden sollen.

§. 340. Unmittelbar nach Fällung des Straferkenntnisses ist dasselbe von dem Vorsitzenden in der öffentlichen Gerichtssitzung, und zwar in Gegenwart des Anklägers, des Angeklagten (§. 234) und des Vertheidigers zu verkünden.

Der Vorsitzende muß zugleich die wesentlichen Gründe der Strafzumessung unter Vorlesung der Gesetzesstellen, worauf das Erkenntniß gegründet ist, angeben und den Angeklagten über die ihm zustehenden Rechtsmittel belehren.

Die Ausfertigung des Urtheiles muß in der in den §§. 260 und 270 vorgeschriebenen Weise erfolgen, und auch die an die Geschwornen gestellten Fragen und deren Beantwortung enthalten.

§. 341. Hat der Schwurgerichtshof ein Todesurtheil gefällt, so nimmt er unmittelbar nach dessen Verkündung mit Zuziehung des Staatsanwaltes in Berathung, ob der Verurtheilte einer Begnadigung würdig erscheine oder nicht, und welche Strafe im Falle der Begnadigung anstatt der Todesstrafe angemessen wäre. Das hierüber aufgenommene Protokoll ist den Acten beizuschließen, welche auch dann, wenn sie nicht durch Ergreifung einer Nichtigkeitsbeschwerde an den Cassationshof gelangen, diesem von dem Schwurgerichtshofe oder dem Gerichtshofe erster Instanz vorzulegen sind. Der Cassationshof übermittelt dieselben, wenn das Urtheil in Rechtkraft erwachsen ist, unter Beifügung seines in nicht öffentlicher Sitzung nach Anhörung des Generalprocurators abzufassenden Gutachtens dem Justizminister.

§. 342. Ueber die Führung des Protokolles bei der Hauptverhandlung vor den Geschwornengerichten gelten die in den §§. 271 und 272 ertheilten Vorschriften. Das Protokoll

(467) muß überdieß die Namen der Geschwornen, die Vorgänge bei Bildung der Geschwornenbank und die Beendigung der Geschwornen enthalten. Der Fragenbogen ist dem Protokolle beizuheften.

IV. Rechtsmittel gegen Urtheile der Geschwornengerichte.

§. 343. Gegen die Urtheile der Geschwornengerichte stehen die Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung offen (§. 280).

§. 344. Eine Nichtigkeitsbeschwerde kann nur dann ergriffen werden, wenn einer der folgenden Fälle vorliegt:

1. wenn der Schwurgerichtshof nicht gehörig besetzt oder die Geschwornenbank nicht vollzählig war, wenn nicht alle Richter und Geschwornen der ganzen dem Wahrspruche vorausgehenden Verhandlung beigewohnt haben, oder wenn sich ein ausgeschlossener Richter (§§. 67 und 68) oder Geschworner (§. 306) an der Entscheidung betheiligte; es wäre denn, daß der die Nichtigkeit begründende Thatumstand dem Beschwerdeführer noch vor oder während der Hauptverhandlung bekannt wurde und von ihm nicht gleich beim Beginne der Hauptverhandlung oder sofort, nachdem er in die Kenntniß desselben gelangt, geltend gemacht wurde;

2. wenn die Hauptverhandlung ohne Beiziehung eines Vertheidigers geführt wurde;

3. wenn ungeachtet der Verwahrung der Beschwerdeführers ein Schriftstück über einen nach dem Gesetze nichtigen Vorerhebungs- oder Voruntersuchungsact bei der Hauptversammlung verlesen wurde;

4. wenn bei einer Hauptverhandlung eine Vorschrift verletzt oder vernachlässigt worden ist, deren Beobachtung das Gesetz ausdrücklich bei sonstiger Nichtigkeit vorschreibt (§§. 120, 151, 152, 170, 201, 228, 244, 247, 250, 260, 271, 303, 306, 307, 313, 314, 316, 327, 330 und 427);

5. wenn während der Hauptverhandlung über einen Antrag des Beschwerdeführers nicht erkannt worden ist, oder wenn durch ein gegen seinen Antrag oder Widerspruch gefälltes Zwischenerkenntniß Gesetze oder Grundsätze des Verfahrens hintangesetzt oder unrichtig angewendet worden sind, deren Beobachtung durch das Wesen eines die Strafverfolgung und die Vertheidigung sichernden Verfahrens geboten ist.

6. wenn eine Verletzung der in den §§. 318 bis 323 enthaltenen Vorschriften stattgefunden hat;

7. wenn an die Geschwornen eine Frage mit Verletzung der in §. 267 ertheilten Vorschrift gestellt und diese Frage bejaht wurde;

8. wenn der Vorsitzende den Geschwornen eine unrichtige Rechtsbelehrung ertheilt hat (§§. 325 und 327);

9. wenn die Antwort der Geschwornen undeutlich, unvollständig oder in sich widersprechend ist;

10. wenn durch die Entscheidung des Gerichtshofes über die Frage

a) ob die dem Angeklagten zur Last fallenden That eine zur Zuständigkeit der Gerichte gehörige strafbare Handlung begründe,

b) ob Umstände vorhanden seien, vermöge welcher die Strafbarkeit der That aufgehoben oder die Verfolgung wegen derselben ausgeschlossen ist; endlich

c) ob die nach dem Gesetze erforderliche Anklage fehle,

ein Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet wurde;

11. wenn die der Entscheidung zu Grunde gelegte That durch unrichtige Gesetzauslegung einem Strafgesetze unterzogen wurde, welches darauf seine Anwendung findet;

(468) 12. wenn der Gerichtshof bei Ausmessung der Strafe die Gränzen des gesetzlichen Strafsatzes, soweit derselbe durch namentlich im Gesetze angeführte Erschwerungs- oder Milderungsumstände begründet wird, oder wenn er die Gränzen des ihm zustehenden Strafumwandlungs- oder Milderungsrechtes überschritten, oder die Bestimmungen des §. 293, Abs. 3, oder des §. 359, Abs. 4, verletzt oder unrichtig angewendet hat.

Die unter 3 – 6 erwähnten Nichtigkeitsgründe können zum Vortheile des Angeklagten nicht geltend gemacht werden, wenn unzweifelhaft erkennbar ist, daß die eingetretene Formverletzung auf die Entscheidung keinem dem Angeklagten nachtheiligen Einfluß üben konnte.

Zum Nachtheile des Angeklagten können die unter Zahl 2 und 7 erwähnten Nichtigkeitsgründe niemals, die unter Zahl 3 – 6 erwähnten aber nur dann geltend gemacht werden, wenn erkennbar ist, daß die Formverletzung einen die Anklage beeinträchtigenden Einfluß auf die Entscheidung zu üben vermochte, wenn außerdem der Ankläger sich derselben widersetzt, die Entscheidung der Gerichtshofes begehrt und sofort nach der Verweigerung oder Verkündung dieser Entscheidung die Nichtigkeitsbeschwerde sich vorbehalten hat.

§. 345. Die Berufung kann unter den im §. 283 bezeichneten Beschränkungen nur wegen des Ausspruches über die Strafe und wegen der Entscheidung über privatrechtliche Ansprüche ergriffen werden.

§. 346. Das Recht zur Ergreifung der Berufung und der Nichtigkeitsbeschwerde, welche übrigens miteinander verbunden werden können, das Verfahren bei der Anmeldung und Ausführung, bei der Einbringung der Gegenausführung, sowie bei der Verhandlung und Entscheidung, richtet sich nach den in den §§. 282 bis 291 enthaltenen Bestimmungen.

Die Anmeldung kann noch in der Sitzung des Schwurgerichtshofes erfolgen; später ist sie beim Gerichtshofe erster Instanz anzubringen, welchem auch das weitere Verfahren und die Vorlegung der Acten an den Cassationshof, beziehungsweise Gerichtshof zweiter Instanz zusteht.

§. 347. Hat der Angeklagte nicht selbst erklärt, daß er auf seine Kosten einen Vertheidiger zu dem beim Cassationshofe stattfindenden Gerichtstage absenden wolle, so ist ihm ein solcher vom Cassationshofe aus der Zahl der am Sitze desselben wohnhaften Verteidiger zu bestellen.

§. 348. Liegt einer der im §. 344, Zahl 1 bis 9, erwähnten Fälle vor, so hebt der Cassationshof den Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urtheil auf und verweist, soferne er nicht aus dem im §. 344, Zahl 7, angeführten Grunde den Angeklagten freispricht, die Sache in die nächste Schwurgerichtssitzung des von ihm zu bezeichnenden Gerichtshofes zur nochmaligen Behandlung und Entscheidung.

Werden nicht alle Theile des Wahrspruches von dem geltend gemachten Nichtigkeitsgrunde betroffen, und ist die Sonderung möglich, so läßt der Cassationshof die nicht betroffenen Theile des Wahrspruches und des Urtheiles von dieser Verfügung unberührt und trägt dem Schwurgerichtshofe, an welchen die Sache verwiesen wird, auf, dieselben seiner Entscheidung mit zu Grunde zu legen.

§. 349. Liegt der im §. 260 erwähnte Nichtigkeitsgrund vor, so verweist der Cassationshof die Sache an den Gerichtshof, bei dem die Schwurgerichtssitzung abgehalten wurde, und trägt demselben auf, in einer nach Thunlichkeit aus denselben Mitgliedern, welche den Gerichtshof der Schwurgerichtssitzung bildeten, zusammenzusetzenden Versammlung von drei Richtern ein neues Urtheil auf Grund des früheren Ausspruches der Geschwornen zu fällen.

§. 350. Findet der Cassationshof, daß das Urtheil des Schwurgerichtshofes ein Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet habe (§. 344, Zahl 10 – 12), so hat er in der Regel sofort in der Hauptsache zu entscheiden.

(469) Sind jedoch jene Thatsachen, welche er seiner Entscheidung zu Grunde zu legen hätte, durch den Wahrspruch nicht festgestellt, so verweist er die Sache in die nächste Schwurgerichtssitzung des von ihm bezeichnenden Sprengels, oder wenn die strafbare Handlung bei richtiger Anwendung des Gesetzes nicht mehr vor das Geschwornengericht gehört, vor das zuständige Gericht zu nochmaliger Verhandlung.

§. 351. Die der Entscheidung des Cassationshofes zu Grunde liegende Rechtsansicht ist für die unteren Gerichte bei der angeordneten Wiederholung der Hauptverhandlung bindend.

Gegen dieses Urtheil stehen dieselben Rechtsmittel offen, wie gegen ein erstes Erkenntniß.

XX. Hauptstück.

Von der Wiederaufnahme des Strafverfahrens und der Wiedereinsetzung gegen den Ablauf von Fristen.

I. Wiederaufnahme des Verfahrens.

§. 352. Ist das Strafverfahren wider eine bestimmte Person durch Einstellung, Zurückweisung der Anklage oder Rücktritt von derselben vor der Hauptversammlung beendigt worden, so kann dem Antrage des Staatsanwaltes oder Privatanklägers auf Wiederaufnahme desselben nur dann stattgegeben werden, wenn die Strafbarkeit der That noch nicht durch Verjährung erloschen ist, und wenn neue Beweismittel beigebracht werden, welche geeignet erscheinen, die Ueberführung des Beschuldigten zu begründen.

Ueber die Zulassung dieses Antrages entscheidet, nachdem die nöthig befundenen Vorerhebungen gepflogen worden sind, die Rathskammer; gegen die Entscheidung kann beim Gerichtshofe zweiter Instanz Beschwerde geführt werden. Die Beschwerde ist innerhalb drei Tagen nach Eröffnung des Beschlusses bei dem Gerichtshofe erster Instanz anzubringen.

Dem Privatankläger, welcher seine Klage zurückgenommen hat, kann die Wiederaufnahme des Strafverfahrens nie bewilligt werden.

§. 353. Der rechtskräftig Verurtheilte kann die Wiederaufnahme des Strafverfahrens selbst nach vollzogener Strafe verlangen:

1. wenn dargethan ist, dass seine Verurtheilung durch Fälschung einer Urkunde oder durch falsches Zeugniß oder Bestechung oder eine sonstige strafbare Handlung einer dritten Person veranlasst worden ist;

2. wenn er neue Thatsachen oder Beweismittel beibringt, welche allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweise geeignet erscheinen, seine Freisprechung oder die Verurtheilung wegen einer unter ein milderes Strafgesetz fallenden Handlung zu begründen, oder wenn

3. wegen derselben That zwei oder mehrere Personen durch verschiedene Erkenntnisse verurtheilt worden sind, und bei der Vergleichung dieser Erkenntnisse, sowie der ihnen zu Grunde liegenden Thatsachen, die Nichtschuld einer oder mehrerer dieser Personen nothwendig anzunehmen ist.

§. 354. Den Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu Gunsten des Angeklagten können, und zwar auch nach dessen Tode, alle jene Personen stellen, welche berechtigt wären, zu seinen Gunsten die Nichtigkeitsbeschwerde oder Berufung zu ergreifen. Gelangt der Staatsanwalt in die Kenntniß eines Umstandes, welcher einen Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu Gunsten des Angeklagten begründen kann (§. 353) so

(470) ist er verpflichtet, hievon den Angeklagten oder sonst eine zur Stellung dieses Antrages berechtigte Person in Kenntniß zu setzen oder selbst den Antrag zu stellen.

§. 355. Der Staatsanwalt oder Privatankläger kann die Wiederaufnahme der Strafverfahrens wegen einer Handlung, hinsichtlich deren der Angeklagte durch rechtskräftiges Urtheil freigesprochen worden ist, nur insoferne beantragen, als die Strafbarkeit der That noch nicht durch Verjährung erloschen worden ist, und als entweder,

1. das Erkenntniß durch Fälschung einer Urkunde oder durch falsches Zeugniß, Bestechung oder eine sonstige strafbare Handlung des Angeklagten oder einer dritten Person herbeigeführt worden ist, oder

2. der Angeklagte später gerichtlich oder außergerichtlich ein Geständniß der ihm beigemessenen That ablegt, oder andere neue Thatsachen oder Beweismittel sich ergeben, welche allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen geeignet erscheinen, die Ueberführung des Angeklagten zu begründen.

§. 356. Der Staatsanwalt kann die Wiederaufnahme des Verfahrens, um zu bewirken, daß eine Handlung, wegen welcher der Angeklagte verurtheilt worden ist, nach einem strengeren Strafgesetze verurtheilt werde, nur unter den im §. 355 erwähnten Voraussetzungen und überdieß nur dann beantragen, wenn

1. das wirklich verübte Verbrechen mit Todes- oder lebenslanger Kerkerstrafe bedroht ist, während nach dem dem Urtheile zu Grunde gelegten Strafsatze nur auf eine zeitliche Kerkerstrafe erkannt werden konnte, oder wenn

2. wenigstens zehnjährige Kerkerstrafe zu verhängen wäre, während die Bemessung der Strafe nach einem Strafsatze in der Dauer von höchstens fünf Jahren vorgenommen wurde, oder wenn

3. eine That sich als Verbrechen darstellt, während der Angeklagte nur wegen eines Vergehens oder einer der dem Bezirksgerichte zur Aburtheilung zugewiesenen strafbaren Handlungen verurtheilt wurde.

§. 357. Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens ist bei dem Gerichtshofe erster Instanz, bei welchem dasselbe anhängig war, zu beantragen. Ist über eine That, welche sich als Verbrechen darstellt, von einem Bezirksgerichte abgeurtheilt worden, so ist der Antrag bei dem Gerichtshofe erster Instanz, zu dessen Sprengel jenes Bezirksgericht gehört, anzubringen. Der Untersuchungsrichter hat die Thatsachen, durch welche der Antrag begründet wird, zu erheben. Sodann ist im Falle des §. 353 der Staatsanwalt oder der Privatankläger, in den Fällen der §§. 355 und 356 aber der Beschuldigte zu vernehmen und vor dem Gerichtshofe erster Instanz in einer Versammlung von vier Richtern, wovon einer den Vorsitz zu führen hat, über die Statthaftigkeit in nicht öffentlicher Sitzung zu entscheiden.

Gegen diesen Beschluß steht nur die Beschwerde an den Gerichtshofe zweiter Instanz offen. Dieselbe ist binnen drei Tagen bei dem Gerichtshofe erster Instanz anzubringen.

Beschließt der Gerichtshof zweiter Instanz die Wiederaufnahme des Verfahrens, so ist er auch berechtigt, einen anderen Gerichtshof zur Führung der Untersuchung zu bestellen.

§. 358. Durch den Beschluß, welcher der Wiederaufnahme des Strafverfahrens stattgibt, wird das frühere Urtheil insoweit für aufgehoben erklärt, als es diejenige strafbare Handlung, hinsichtlich welcher die Wiederaufnahme bewilligt wird, betrifft. Die gesetzlichen Folgen der in dem ersten Erkenntnisse ausgesprochenen Verurtheilung dauern einstweilen fort und sind nur dann und insoweit als aufgehoben anzusehen, als sie nicht auch vermöge des Erkenntnisses einzutreten haben.

(471) Die Vollstreckung der im früheren Urtheile enthaltenen Entscheidung über die privatrechtlichen Ansprüche ist während der Dauer des wieder aufgenommenen Verfahrens nur bis zur Sicherstellung zulässig.

§. 359. Die Sache tritt durch die Wiederaufnahme in der Regel (§. 360) in den Stand der Voruntersuchung. Diese ist nach Maßgabe der die Wideraufnahme bewilligenden Entscheidung und der neuen Beweise zu führen oder zu ergänzen. Die hinsichtlich der Einstellung der Voruntersuchung und der Versetzung in den Anklagestand geltenden Vorschriften finden auch hier Anwendung. Wird in Folge dessen das Verfahren ohne Vornahme einer Hauptverhandlung beendigt, so hat der Beschuldigte das Recht, die öffentliche Bekanntmachung der Einstellung oder des Erkenntnisses, wodurch die Anklage endgiltig zurückgewiesen wurde, zu verlangen. Diese Entscheidungen haben gleiche Wirkung mit dem Erkenntnisse, wodurch der Angeschuldigte freigesprochen wird.

Kommt es zur neuerlichen Hauptverhandlung, so ist von derselben auch der Privatbeteiligte in Kenntniß zu setzen; es sind die Aussagen jener Zeugen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten, welche nicht mehr vernommen werden können, aus den Acten abzulesen, und schließlich ist ein neues Urtheil zu schöpfen.

Wird durch dieses Erkenntniß der Angeklagte verurtheilt, so ist bei Bemessung der Strafe auf die bereits erlittene Strafe Rücksicht zu nehmen (§§. 265 und 339).

Ist die Wiederaufnahme nur zu Gunsten des Angeklagten bewilligt worden, so kann das neue Urtheil keine schwerere Strafe gegen ihn verhängen, als welche ihm das erste Erkenntniß auferlegte.

Gegen das neue Erkenntniß stehen dieselben Rechtsmittel offen, wie gegen jedes andere Urtheil.

§. 360. Das Gericht, welches die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu Gunsten des Beschuldigten für zulässig erklärt, kann, soferne der Ankläger damit einverstanden ist, sofort ein Urtheil zu fällen, wodurch der Beschuldigte freigesprochen oder seinem Antrage auf Anwendung eines milderen Strafsatzes stattgegeben wird.

Gegen ein solches Erkenntniß ist kein Rechtsmittel zulässig.

Der Freigesprochene kann die Veröffentlichung desselben verlangen.

§. 361. Das Gesuch eines Verurtheilten um Wiederaufnahme des Verfahrens hemmt den Vollzug der Strafe der Strafe nicht; es wäre denn, daß der über die Wiederaufnahme entscheidende Gerichtshof nach der Anhörung des Anklägers die Hemmung des Strafvollzuges nach den Umständen des Falles für angemessen erachtet.

Wird die Statthaftigkeit der Wiederaufnahme rechtskräftig ausgesprochen, so ist der Vollzug der Strafe unverzüglich einzustellen (§. 358) und über die Haft des Beschuldigten nach den im XIV. Hauptstücke enthaltenen Bestimmungen zu entscheiden.

§. 362. Der Cassationshof ist berechtigt, nach Anhörung des Generalprocurators im außerordentlichen Wege und ohne an die im §. 353 vorgezeichneten Bedingungen gebunden zu sein, die Wiederaufnahme des Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu Gunsten des wegen eines Verbrechens oder Vergehens Verurtheilten zu verfüge, wenn sich ihm

1. bei der vorläufigen Berathung über eine Nichtigkeitsbeschwerde, oder nach der öffentlichen Verhandlung über dieselbe, oder

2. bei der Berathung über einen nach §. 341 erstatteten Bericht, oder endlich

3. bei einer auf besonderen Antrag des Generalprocurators vorgenommenen Prüfung der Acten erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Urtheile zu Grunde gelegten Thatsachen ergeben, welche auch nicht durch einzelne, vom Cassationshof etwa angeordnete Erhebungen beseitigt werden.

(472) Der Cassationshof kann in solchen Fällen auch sofort ein neues Urtheil schöpfen, wodurch der Beschuldigte freigesprochen oder ein milderer Strafsatz auf denselben angewendet wird (§. 360, Absatz 3); hiezu ist jedoch Einstimmigkeit und die Zustimmung des Generalprocurators erforderlich.

Anträge von Privaten, welche auf Herbeiführung eines der vorstehend erwähnten Beschlüsse des Cassationshofes abzielen, sind von den Gerichten, bei denen sie einlaufen, abzuweisen; auch dürfen sie niemals zum Gegenstande der Erörterung in der mündlichen Verhandlung gemacht werden.

Auf die vom Cassationshofe verfügte Wiederaufnahme des Strafverfahrens finden die §§. 358 und 359 Anwendung.

Die Entscheidung über die Hemmung des Strafvollzuges und über die Verweisung des weiteren Verfahrens an das Gericht eines anderen Sprengels steht nur dem Cassationshof zu.

§. 363. Das Strafverfahren kann unabhängig von den Bedingungen und Förmlichkeiten der Wiederaufnahme nach den allgemeinen Vorschriften, und zwar durch das nach denselben zuständige Gericht eingeleitet oder fortgesetzt werden:

1. wenn die Vorerhebungen eingestellt worden sind, ehe eine bestimmte Person als Beschuldigter behandelt wurde;

2. wenn der zur Klage noch berechtigte Privatankläger dieselbe anbringt, während in dem früheren Verfahren die Einstellung oder ein freisprechendes Urtheil lediglich wegen Mangels des nach dem Gesetze erforderlichen Antrages eines Betheiligten erfolgt ist;

3. wenn dem Ankläger bei der Beendigung des Strafverfahrens wegen eines Verbrechens oder Vergehens die Verfolgung wegen anderer strafbarer Handlungen vorbehalten wurde, oder wenn sich erst nachher Verdachtsgründe einer anderen früher begangenen strafbaren Handlung ergaben;

4. wenn eine That, welche ein Verbrechen begründet, von einem Bezirksgerichte durch unrichtige Anwendung des Gesetzes als ihm zur Aburtheilung zukommend behandelt wurde, vorausgesetzt, daß seit der Entscheidung des Bezirksgerichtes noch nicht mehr als sechs Monate, und wenn es sich um eines der den Geschwornengerichten zur Aburtheilung zugewiesenen Verbrechen handelt, noch nicht mehr als zwölf Monate verflossen sind.

II. Wiedereinsetzung gegen den Ablauf von Fristen.

§. 364. Wider die Versäumung der Frist zur Anmeldung eines Rechtsmittels gegen ein Urtheil kann das zur Entscheidung über das Rechtsmittel berufene Gericht dem Beschuldigten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ertheilen, sofern er:

1. nachzuweisen vermag, daß es ihm durch unabwendbare Umstände ohne sein oder seines Vertreters Verschulden unmöglich gemacht wurde, die Frist einzuhalten;

2. die Wiedereinsetzung innerhalb drei Tagen nach dem Aufhören des Hindernisses nachsucht und

3. die Anmeldung zugleich anbringt.

Das Gesuch ist bei jenem Gerichte anzubringen, bei welchem das Rechtsmittel anzumelden war. Dieses Gericht theilt dasselbe sammt der Anmeldung dem Ankläger zur Erstattung seiner Aeußerung und allfälligen Gegenausführung mit und legt nach Ablauf der für letztere offen stehenden Frist die Acten dem zur Entscheidung über das Rechtsmittel berufenen Gericht vor, welches, falls es die Wiedereinsetzung bewilligt, sofort in der Hauptsache erkennt.

Gegen die Verweigerung der Wiedereinsetzung findet kein Rechtsmittel statt.

(473) Das Gericht hemmt, solange die Wiedereinsetzung nicht bewilligt ist, die Vollstreckung nicht; es wäre denn, daß das Gericht, bei welchem es angebracht wird, nach den Umständen des Falles für angemessen erachtet, die Aussetzung der Vollstreckung zu verfügen.

XXI. Hauptstück.

Von den Erkenntnissen und Verfügungen des Strafgerichtes hinsichtlich der privatrechtliche Ansprüche.

§. 365. Der aus der strafbaren Handlung entstandene Schade und die sonstigen hinsichtlich der privatrechtlichen Folgen wichtigen Nebenumstände sind von Amtswegen zu berücksichtigen. Dem Beschädigten ist, wenn es zweifelhaft ist, ob er von dem stattfindenden strafrechtlichen Verfahren Kenntniß habe, hievon Mittheilung zu machen, damit er von seinem Rechte, sich dem Strafverfahren anzuschließen, Gebrauch machen könne.

Im Falle des Anschlusses bleibt es dem Privatbetheiligten, oder falls dieser sich selbst zu vertreten nicht berechtigt wäre, dessen gesetzlichem Vertreter überlassen, seine Ansprüche auszuführen und genügend darzuthun. Der Beschuldigte ist darüber zu vernehmen, und es sind die zur Erforschung des Schadens nöthigen Erhebungen zu pflegen. Der Privatbetheiligte kann die Verfolgung seiner Ansprüche zu jeder Zeit, selbst während der Hauptverhandlung, wieder aufgeben.

§. 366. Wird der Beschuldigte nicht verurtheilt, so ist der Privatbetheiligte mit seinen Entschädigungsansprüchen jederzeit auf den Civilrechtsweg zu verweisen.

Erfolgt die Verurtheilung des Beschuldigten, so hat in der Regel der Gerichtshof zugleich über die privatrechtlichen Ansprüche des Beschädigten zu entscheiden. Erachtet das Strafgericht, daß die Ergebnisse des Strafverfahrens nicht ausreichen, um auf Grund derselben über die Ersatzansprüche verläßlich urtheilen zu können, so verweist es den Privatbetheiligten auf den Civilrechtsweg. Gegen diese Verweisung steht kein Rechtsmittel offen.

§. 367. Ist eine Sache, bezüglich welcher das Gericht sich überzeugt, daß sie dem Privatbetheiligten gehöre, unter den Habseligkeiten des Angeklagten, eines Mitschuldigen oder eines Theilnehmers an der strafbaren Handlung oder an einem solchen Orte gefunden worden, wohin sie von diesen Personen nur zur Aufbewahrung gelegt oder gegeben wurde, so verordnet der Gerichtshof, daß die Zurückstellung nach eingetretener Rechtskraft des Urtheils erfolge. Mit ausdrücklicher Zustimmung des Beschuldigten kann jedoch die Ausfolgung auch sogleich geschehen.

Diese Zurückstellung der dem Beschuldigten entzogenen Gegenstände kann auch vor der Hauptverhandlung durch den Untersuchungsrichter erfolgen, wenn deren Aufbewahrung nicht zur Ueberweisung des Beschuldigten, eines Mitschuldigen oder eines Theilnehmers nöthig ist, und wenn der Beschuldigte und der Ankläger damit einverstanden sind.

§. 368. Ist das entzogene Gut bereits in die Hände eines Dritten, der sich an der strafbaren Handlung nicht betheiligt hat, auf eine zur Uebertragung des Eigenthums giltige Art oder als Pfand gerathen, oder ist das Eigenthum des entzogenen Gegenstandes unter mehreren Beschädigten streitig, oder kann der Beschädigte sein Recht nicht sogleich genügend nachweisen, so ist das auf Zurückstellung des Gutes gerichtete Begehren auf den ordentlichen Civilrechtsweg zu verweisen.

§. 369. Wenn das dem Beschädigten entzogene Gut nicht mehr zurückgestellt werden kann, sowie in allen Fällen, wo es sich nicht um die Rückstellung eines entzogenen Gegenstandes, sondern um den Ersatz eines erlittenen Schadens oder entgangenen Gewinnes, oder

(474) um Tilgung einer verursachten Beleidigung handelt (§. 1323 des allgemein bürgerlichen Gesetzbuches), ist in dem Strafurtheile die Schadloshaltung oder Genugthuung zuzuerkennen, insoferne sowohl der Betrag derselben, als auch die Person, welcher dieselbe gebührt, mit Zuverlässigkeit bestimmt werden kann.

Ergeben sich aus den gepflogenen Erhebungen Gründe, zu vermuthen, daß der Beschädigte seinen Schaden zu hoch angebe, so kann ihn das Gericht, nach Erwägung aller Umstände, allenfalls nach vorgenommener Schätzung durch Sachverständige mäßigen.

§. 370. Insbesondere hat das Strafgericht in den Fällen, wo jemand des Verbrechens des Hochverrathes, des Aufstandes oder Aufruhrs schuldig erklärt wird, auch über die von Seite des Staates oder von Privatpersonen gegen den Verurtheilten geltend gemachten Ansprüche auf Schadensersatz zu erkennen.

Zu dem aus diesen Verbrechen entstandenen Schaden sind aber nicht nur alle unmittelbar oder mittelbar durch dasselbe herbeigeführten Beschädigungen, sondern auch alle zur Unterdrückung der verbrecherischen Unternehmung oder zur Wiederherstellung der Ordnung und Sicherheit aufgewendeten Kosten zu rechnen.

§. 371. Ergibt sich aus der Schuld des Angeklagten die gänzliche oder theilweise Ungiltigkeit eines mit demselben eingegangenen Rechtsgeschäftes oder eines Rechtsverhältnisses, so ist in dem Strafurtheile auch hierüber und über die daraus entspringenden Rechtsfolgen zu erkennen.

Nur wenn es sich um die Ungiltigkeit einer Ehe handelt, bleibt die Entscheidung hierüber dem zuständigen Civilgerichte vorbehalten (§. 5).

§. 372. Dem Privatbetheiligten steht es frei, den Civilrechtsweg zu betreten, wenn er sich mit der vom Strafgerichte ihm zuerkannten Entschädigung nicht begnügen will.

§. 373. Ist das über die privatrechtlichen Ansprüche ergangene strafgerichtliche Erkenntniß in Rechtskraft erwachsen, so ist jeder Betheiligte berechtigt, von dem Gerichte, welches in erster Instanz erkannt hat, die Anmerkung der Rechtskräftigkeit desselben auf dem Urtheile zu begehren, und ein solches Erkenntniß hat dann die Wirkung, daß die Execution desselben unmittelbar bei dem Zivilgerichte angesucht werden kann.

§. 374. Die Abänderung des rechtskräftigen strafgerichtlichen Ausspruches über privatrechtliche Ansprüche wegen neu aufgefundener Beweismittel, sowie die Aufhebung der Vollstreckung desselben wegen eines nachgefolgten Thatumstandes, kann außer dem Falle einer aus anderen Gründen stattfindenden Wiederaufnahme des Strafverfahrens, von dem Verurtheilten und dessen Rechtsnachfolgern nur vor dem Civilrichter aufgesucht werden.

§. 375. Wenn bei einem Beschuldigten ein nach allem Anscheine fremdes Gut gefunden wird, dessen Eigenthümer er nicht angeben kann oder will, und wenn sich binnen einer angemessenen Frist Niemand mit einem Eigenthumsanspruche gemeldet hat, ist von dem Untersuchungsrichter die Beschreibung eines solchen Gutes so abzufassen, daß dasselbe zwar von dem Eigenthümer erkannt werden könne, daß jedoch einige wesentliche Unterscheidungszeichen verschwiegen werden, um die Bezeichnung desselben dem Eigenthümer als Beweis seines Rechtes vorzubehalten.

§. 376. Eine solche Beschreibung ist an denjenigen Orten, wo sich der Beschuldigte aufgehalten hat, oder wo die ihm zur Haft gelegten strafbaren Handlungen begangen wurden, durch Edict öffentlich bekannt zu machen. In diesem Edicte ist der Eigenthümer aufzufordern, daß er sich binnen Jahresfrist vom Tage der dritten Einschaltung des Edictes melde und sein Eigenthumsrecht nachweise.

(475) Die Auffindung von Gegenständen, deren Werth fünfundzwanzig Gulden nicht erreicht und hinsichtlich welcher eine unverzügliche abgesonderte Bekanntmachen nicht aus anderen Gründen nothwendig erscheint, kann von Zeit zu Zeit in gemeinsamen Edicten bekannt gemacht werden.

§. 377. Ist das fremde Gut von solcher Beschaffenheit, daß es sich ohne Gefahr des Verderbnisses nicht durch ein Jahr aufbewahren läßt, oder wäre die Aufbewahrung mit Kosten verbunden, so hat der Staatsanwalt die Veräußerung desselben durch öffentliche Versteigerung einzuleiten. Der Kaufpreis ist bei dem Strafgerichte zu erlegen. Zugleich ist eine umständliche Beschreibung jedes verkauften Stückes unter Bemerkung des Käufers und des Kaufschillings den Acten beizulegen.

§. 378. Wenn binnen der Edictalfrist Niemand ein Recht auf die beschriebenen Gegenstände darthut, so sind dieselben, oder es ist deren Erlös, wenn sie der Dringlichkeit wegen verkauft worden, dem Beschuldigten auf sein Verlangen auszufolgen, soferne nicht durch einen Beschluß des zur Entscheidung in erster Instanz berufenen Gerichtes ausgesprochen ist, daß die Rechtmäßigkeit des Besitzes des Beschuldigten nicht glaubwürdig sei. Gegen diese Beschlüsse findet kein Rechtsmittel statt.

§. 379. Gegenstände, welche dem Beschuldigten nicht ausgefolgt werden, sind auf die im §. 377 angeordnete Weise zu veräußern und es ist der Kaufpreis an die Staatscasse abzugeben. Dem Berechtigten steht jedoch frei, seine Ansprüche auf den Kaufpreis gegen den Staatsschatz binnen dreißig Jahren vom Tage der dritten Einschaltung des Edictes im Zivilrechtswege geltend zu machen.

XXII. Hauptstück.

Von den Kosten des Strafverfahrens.

§. 380. Alle Verhandlungen in Strafsachen, sie mögen von was immer für einer Behörde vorgenommen werden, und alle darauf bezüglichen Eingaben der Parteien sind gebühren und portofrei. Vorspannsfuhren sind bei solchen Anlässen für die Hin- und Rückfahrt von der Weg- und Brückenmauth befreit.

Werden Beschuldigte zu Wagen befördert, so haben die Gemeinden die nöthige Vorspann beizuschaffen und dafür die Vergütung nach den für die Vorspann bestehenden Vorschriften anzusprechen.

§. 381. Zu denjenigen Kosten des Strafverfahrens, rücksichtlich welcher eine Vergütung von Seite des Beschuldigten stattfinden kann, gehören:

1. die Auslagen für Zustellungen, Vorladungen und Botengänge;

2. die Kosten für die Vorführung, Wachebegleitung, und Transportirung des Beschuldigten oder anderer Personen;

3. die Gebühren der Zeugen, der Sachverständigen und Dolmetsche;

4. die Gebühren der Vertheidiger und anderer Parteienvertreter;

5. die Kosten für die Verpflegung des Beschuldigten während der Untersuchungshaft;

6. die Reisekosten und Diäten der Gerichtspersonen und Staatsanwälte, sowie die Reisekosten der Geschwornen, endlich

7. die Kosten für die Vollstreckung eines Strafurtheils.

Diese Kosten werden, mit Ausnahme der unter Z. 4 bezeichneten Gebühren, von dem Staate vorgeschossen, vorbehaltlich des Rückersatzes nach den Bestimmungen der §§. 389 – 391.

(476) §. 382. Die Gebühren der Amtsdiener und ihrer Gehilfen für Zustellungen, Vorladungen, Botengänge, für die Vorführung, Wachebegleitung oder Transportirung des Beschuldigten oder anderer Personen, ferner die Taggelder der Gendarmen, welche zur Vorführung oder Escortirung aufgeboten werden, werden durch besondere Verordnungen geregelt.

§. 383. Solchen Zeugen, die vom Tag- oder Wochenlohne leben, und welchen daher eine Entziehung auch nur von wenigen Stunden einen Entgang an ihrem Erwerbe bringen würde, hat das sie vernehmende Gericht auf ihr Verlangen nicht blos eine Schadloshaltung für die nothwendigen Kosten des Hin- und Rückweges, sofern auch den Ersatz des entgangenen Erwerbes und der allenfalls nöthigen höheren Kosten des Aufenthaltes am Orte der Vernehmung mit billiger Erwägung aller Verhältnisse aller Verhältnisse zu bestimmen. Anderen Zeugen darf auf ihr Verlangen nur in dem Falle, wenn der Ort ihrer Vernehmung von ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsorte mehr als zwei Meilen (vier Stunden) entfernt ist, eine angemessene Vergütung der nothwendigen Auslagen für die Reise und für den Aufenthalt am Orte der Vernehmung bewilligt werden. Die zuerkannten Gebühren sind sogleich nach der Vernehmung auszuzahlen, oder wenn dies ohne Verschulden des Zeugen nicht sogleich geschehen kann, ihm doch in kürzester Frist und jedenfalls kostenfrei zuzumitteln.

In der Vorladung sind die Zeugen aufmerksam zu machen, daß sie die ihnen gebührende Vergütung, bei Verlust derselben, längstens binnen vierundzwanzig Stunden nach ihrer Vernehmung anzusprechen haben.

Der Privatankläger hat auf Zeugengebühren keinen Anspruch; andere Beschädigte haben ihn nur dann, wenn sie vorgeladen werden, um als Zeugen vernommen zu werden.

Die Gebühren der in activer Dienstleistung stehenden Militär- (Landwehr-) Personen, welche vor einem außer ihrem Standorte befindlichen Strafgerichte als Zeugen erscheinen, werden durch besondere Vorschriften bestimmt.

§. 384. Sachverständige, welche bei einem Gerichte bleibend als solche bestellt sind und dafür eine Entlohnung beziehen, haben nur den Ersatz der zur Erstattung eines Gutachtens nöthig gewesenen und gehörig nachgewiesenen Vorauslagen anzusprechen. Andere Sachverständige erhalten außerdem eine von dem Gerichte mit Erwägung aller Umstände zu bemessende Gebühr. Soweit hierüber in den bestehenden Vorschriften nichts Besonderes bestimmt ist, wird die Gebühr zwischen einem und fünf Gulden, und in dem Falle, wenn zu dem Gutachten besondere wissenschaftliche, technische oder künstlerische Kenntnisse oder Fertigkeiten erforderlich sind, zwischen zwei Gulden und zwanzig Gulden bemessen. Zur Bewilligung einer diesen Betrag übersteigenden Entlohnung ist die Genehmigung des Gerichtshofes zweiter Instanz einzuholen.

§. 385. Einem Dolmetsch gebühren für die mündliche Uebersetzung einer in einer fremden Sprache abgefassten Urkunde fünfzig Kreuzer, für eine schriftliche Uebersetzung aber 2 Gulden für jeden Bogen.

Ausnahmsweise können diese Gebühren, wenn die Uebersetzung mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, von dem Gerichte um die Hälfte des Betrages erhöht werden. Dem Dolmetsch, welcher einer gerichtlichen Vernehmung beigezogen wird, gebühren für jeden halben Tag zwei Gulden, und wenn er das Protokoll selbst schreiben muß, drei Gulden. Werden die bei dem Gerichte angestellten Beamten oder für beständig und entgeltlich angestellte beeidete Dolmetsche zu solchen Verrichtungen berufen, so haben sie diese Arbeiten unentgeltlich zu verrichten.

 

 

(477) §. 386. Dagegen haben Sachverständige und Dolmetsche, wenn sie die vorstehenden Amtshandlungen außer dem Orte ihres gewöhnlichen Aufenthaltes zu verrichten haben, auch Reise- und Zehrungskosten, und zwar die in öffentlichen Diensten angestellten nach Vorschrift der hiefür bestehenden allgemeinen Verordnungen, die übrigen aber nach Maßgabe der im §. 383 gegebenen Bestimmungen, jedoch allerdings auch bei einer geringeren als der dort angegebenen Entfernung anzusprechen.

Alle vorerwähnten Gebühren sind übrigens den Sachverständigen und Dolmetschen, womöglich sogleich nach ihrer Verwendung auszuzahlen oder kostenfrei zuzumitteln.

In der schriftlichen Vorladung ist ihnen zu bedeuten, daß sie ihre Forderung bei Verlust des Anspruches längstens binnen vierzehn Tagen nach Abgabe ihres Gutachtens anzubringen haben.

§. 387. Die Kosten für die Verpflegung des Beschuldigten während der Untersuchungshaft schließen die Auslagen für Kost, Lagerstätte, Beheizung, Licht, die etwa nöthige Beischaffung, sowie die Reinigung der Wäsche und Kleidung und allenfällige (!) Krankheits- und Entbindungskosten in sich.

Hinsichtlich der Krankheits- und Entbindungskosten werden den einzelnen Verhafteten die für sie wirklich aufgelaufenen Auslagen angerechnet; hinsichtlich aller übrigen Verpflegungskosten ist für den Sprengel eines jeden Gerichtshofes zweiter Instanz von diesem alljährlich und bei sehr bedeutenden Preisänderungen auch öfters der für jeden Verhafteten auf einen Tag entfallende Betrag festzusetzen, in welchem die Vergütung dieser Verpflegskosten (!) zu geschehen hat, insoweit nicht etwa ein Verhafteter sich die Verpflegung aus eigenem Vermögen beigeschafft hat.

Denn an den verschiedenen Orten, wo sich Strafgerichte befinden, sehr große Preisunterschiede hinsichtlich der Lebensmittel bestehen, so kann der Betrag dieser Verpflegungskosten für verschiedene Gerichte im Sprengel desselben Gerichtshofes zweiter Instanz verschieden festgesetzt werden.

§. 388. Die von einem Verurtheilten zu ersetzenden Kosten für die Vollstreckung des Strafurtheils umfassen bei Freiheitsstrafen nicht blos die bestrittenen Auslagen für Verpflegung (§. 387), sondern auch jenen Antheil an den Kosten der Bewachung und Verwaltung des Strafortes, welcher auf jeden Sträfling in der Strafhaft entfällt. Die Bemessung dieser Kosten wird durch besondere Verordnungen geregelt.

Die Kosten der Vollstreckung einer anderen Strafe werden von Fall zu Fall festgestellt.

§. 389. Wird der Angeklagte durch ein Strafurtheil einer strafbaren Handlung schuldig erkannt, so ist in dem Urtheile zugleich auszudrücken, daß er auch die Kosten des Strafverfahrens zu ersetzen habe.

Doch hat der Gerichtshof in dem Falle, wenn sich das Verfahren auf mehrere strafbare Handlungen bezog, die Kosten hinsichtlich derjenigen Handlungen, deren der Angeklagte nicht für schuldig erkannt wird, soweit es thunlich ist, von dem Ersatze auszuscheiden.

Die Verpflichtung zum Ersatze der Kosten trifft jedoch den rechtskräftig Verurtheilten nur für seine Person, und insoferne er nach eingetretener Rechtskraft des Urtheils gestorben ist, seinen Nachlaß; keineswegs aber dritte Personen, welche nach dem Gesetze oder aus übernommener Pflicht für dessen Unterhalt zu sorgen haben. Von mehreren Mitbetheiligten ist jeder Einzelne zur Tragung derjenigen Kosten zu verurtheilen, welche durch seine Verpflegung in der Untersuchungshaft, seine Vertheidigung, den Strafvollzug oder durch besondere, nur bei ihm eingetretene Ereignisse oder durch sein besonderes Verschulden entstanden sind. Zur Bezahlung aller anderen Kosten des Strafverfahrens sind sämmtliche Mitschuldige und Theilnehmer zur ungetheilten Hand zu verurtheilen, soferne der Gerichtshof nicht besondere Gründe findet, eine Beschränkung dieser Haftung eintreten zu lassen.

(478) §. 390. Wird das Strafverfahren auf andere Weise als durch ein verurtheilendes Erkenntniß beendigt, so sind die Kosten in der Regel von dem Staate zu tragen. Insoweit aber das Strafverfahren auf Begehren eines Privatanklägers oder in Gemäßheit des §. 48 lediglich auf Antrag des Privatbetheiligten stattgefunden hat, ist diesen der Ersatz aller in Folge ihres

Einschreitens aufgelaufenen Kosten durch Beschluß des Gerichtes aufzutragen.

Für diejenigen besonderen Kosten, welche durch Ergreifung eines ordentlichen Rechtsmittels oder durch das Begehren um Wiederaufnahme des Verfahrens herbeigeführt werden, haftet Derjenige, welcher das Rechtsmittel ergriffen oder das erwähnte Begehren gestellt hat, insoferne das erstere ganz erfolglos geblieben oder das letztere abgewiesen worden ist.

Die Staatsanwaltschaft kann nie zum Ersatze der Kosten verurtheilt werden.

Wurde endlich das Strafverfahren durch wissentlich falsche Anzeige veranlaßt, so hat die Kosten der Anzeiger zu ersetzen.

§. 391. Die Kosten des Strafverfahrens sind jedoch von dem Verurtheilten nun insoweit einzutreiben, als er dadurch nach dem Ermessen des Gerichts weder an seinem Nahrungsstande gefährdet, noch an der Erfüllung derjenigen Pflichten gehindert wird, welche ihm zur Leistung einer aus der strafbaren Handlung entspringenden Entschädigung oder zur Ernährung seiner Angehörigen obliegen.

Personen, für welche während ihrer Verhaftung Alimentationsbeträge angewiesen werden, haben aus denselben die für sie aufgewendeten Verpflegungskosten zu vergüten.

Die Entscheidung über die Einbringlichkeit der Kosten soll, soweit thunlich, gleich bei Schöpfung des Erkenntnisses erfolgen.

§. 392. In jenen Fällen, wo die Beschwerde über den Kostenpunkt nicht ohnehin mit dem wider das Urtheil offenstehenden Rechtsmittel angebracht werden kann, steht Jedem, der sich durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Gerichtes in Ansehung der Kosten gekränkt erachtet, frei, sich darüber insbesondere bei dem Gerichtshofe zweiter Instanz zu beschweren. Die Beschwerden sind bei dem Gerichte, welches in erster Instanz entschieden hat, längstens binnen vierzehn Tagen zu überreichen und von diesem an den Gerichtshof zweiter Instanz einzubegleiten, welcher darüber endgiltig entscheidet.

§. 393. Wer sich im Strafverfahren eines Vertreters bedient, hat in der Regel auch die für diese Vertretung auflaufenden Kosten, und zwar selbst in dem Falle zu zahlen, wenn ihm ein solcher Vertreter von Amtswegen bestellt wird.

Wurde dem Angeklagten ein Armenvertreter beigegeben, so sind demselben auf sein Verlangen die nöthig gewesen und wirklich bestrittenen baren Auslagen und zwar aus dem Staatsschatze zu vergüten.

In jenen Fällen, in welchen dem Beschuldigten, dem Privatankläger, dem Privatbetheiligten (§. 48) oder Demjenigen, der eine wissentliche falsche Anzeige gemacht, der Ersatz der Proceßkosten überhaupt zur Last fällt, haben diese Personen auch alle Kosten der Vertheidigung und der Vertretung zu ersetzen.

§. 394. Gebührt dem Vertreter einer Partei eine Belohnung, so ist die Bestimmung derselben sowohl in dem Falle, wenn sich der Beschuldigte, der Privatankläger oder der Privatbetheiligte selbst einen solchen wählte, als auch dann, wenn dem Angeklagten ein Vertheidiger vom Gerichte bestellt wurde, dem freien Uebereinkommen zwischen dem Vertreter und dem Zahlungspflichtigen überlassen.

§. 395. Im Falle zwischen einer Partei und ihrem Vertreter über die Gebühren für die geleistete Vertretung sein Uebereinkommen zu Stande kommt, steht jedem Theile frei, bei demjeningen Gerichte, welches zur Entscheidung erster Instanz berufen war, um die Bestimmung dieser Gebühren anzusuchen, es möge sich die Vertretung auf das Vorverfahren, auf die Hauptverhandlung

(479) oder auf die Verfassung von Schriften bezogen haben. Ueber ein solches Gesuch hat das Gericht die Gegenpartei zu vernehmen.

Bei Bemessung dieser Gebühren sind die Gerichtshöfe an seinen bestimmten Betrag gebunden, sondern sie haben hiebei das wesentliche Verdienst des Vertreters zu würdigen, daher insbesondere die auf die Herbeischaffung von Beweismitteln und auf die Vertretung selbst verwendete Zeit, Mühe und bare Auslagen zu berücksichtigen.

Gegen die von dem Gerichte erster Instanz ausgesprochene Gebührenbestimmung steht beiden Theilen binnen vierzehn Tagen, vom Tage der Zustellung des Beschlusses, die Beschwerde an den Gerichtshof zweiter Instanz zu, welcher darüber endgiltig entscheidet.

In gleicher Weise ist vorzugehen, wenn über die Höhe der nach §. 393, Absatz 3, zu ersetzenden Kosten ein Uebereinkommen nicht erzielt wird.

XXIII. Hauptstück.

Von der Vollstreckung der Urtheile.

§. 396. Jeder durch ein Urtheil freigesprochene Angeklagte ist, wenn er verhaftet war, sogleich nach der Verkündung des Urtheils in Freiheit zu setzen; es wäre denn, daß die Ergreifung eines Rechtsmittels mit aufschiebender Wirkung oder andere gesetzliche Gründe seine Verwahrung nöthig machten.

§. 397. Jedes Strafurtheil ist ungesäumt in Vollzug zu setzen, sobald feststeht, daß der Vollstreckung nicht ein gesetzliches Hinderniß und insbesondere nicht rechtzeitig und von einem hiezu Berechtigten ergriffenes Rechtsmittel, dem das Gesetz aufschiebende Wirkung beimisst (§. 284, Absatz 3, §. 294, Absatz 1, §. 346) entgegensteht. Ist ein Rechtsmittel zu Gunsten des verhafteten Angeklagten von solchen Personen ergriffen worden, welche hiezu gegen seinen Willen nicht berechtigt sind, so ist der Angeklagte hievon in Kenntniß zu setzen und über den dadurch herbeigeführten Aufschub der Strafvollstreckung zu belehren. Dasselbe hat zu geschehen, wenn es zweifelhaft ist, ob der verhaftete Angeklagte der Einlegung des Rechtsmittels durch seinen Vertheidiger zugestimmt habe. Die Vollstreckung des Strafurtheiles wird, soweit nicht in diesem Gesetze etwas anderes bestimmt ist (§§. 402, 405, Absatz 2, 407-409) von dem Vorsteher jenes Gerichtes, welches in der Sache in erster Instanz erkannt hat, angeordnet.

§. 398. Wenn der zum Tode oder zu einer Freiheitsstrafe Verurtheilte zur Zeit, wo das Strafurtheil in Vollzug gesetzt werden soll, geisteskrank oder körperlich schwer krank, oder die Verurtheilte schwanger ist, hat die Vollziehung solange zu unterbleiben, bis dieser Zustand aufgehört hat. Nur dann kann der Vollzug einer Freiheitsstrafe auch gegen eine Schwangere eingeleitet werden, wenn die bis zu ihrer Entbindung fortdauernde Haft für sie härter sein würde, als die zuerkannte Strafe.

§. 399. Ein Strafurtheil gegen eine Person, welche ein öffentliches Amt oder eine öffentliche Würde bekleidet, ist, sobald es rechtskräftig wurde, dem unmittelbaren Vorgesetzten derselben bekannt zu geben.

§. 400. Die Zeit, welche der zu einer Freiheitsstrafe Verurtheilte seit der Verkündung des Urtheils erster Instanz in Haft zubrachte, ist insoweit die Strafzeit einzurechnen, als der Eintritt der Strafe durch von dem Willen des Verurtheilten unabhängige Umstände, insbesondere auch durch Ergreifung eines Rechtsmittels von Seite solcher Personen verzögert wurde, die hiezu auch gegen seinen Willen berechtigt waren. Die Einrechnung findet außerdem

(480) dann statt, wenn ein zu Gunsten des Verurtheilten ergriffenes Rechtsmittel auch nur theilweise Erfolg hatte.

§. 401. Der Beginn des Vollzugs einer Freiheitsstrafe, welche nicht sechs Monate übersteigt, kann auf kurze Zeit aufgeschoben werden, wenn durch deren unverzügliche Vollstreckung der Erwerb des Verurtheilten oder der Unterhalt seiner schuldlosen Familie gefährdet würde, und eine Entweichung desselben nicht zu besorgen ist. Diesen Aufschub kann der Gerichtshof erster Instanz in einer Versammlung von vier Richtern, wovon einer den Vorsitz führt, nach Vernehmung des Staatsanwaltes für eine Zeit von höchstens sechs Wochen bewilligen. Ein längerer Aufschub kann nur auf Antrag des Gerichtes erster Instanz von Gerichtshofe zweiter Instanz aus besonders wichtigen Gründen bewilliget werden. Das Ansuchen um eine solchen Strafaufschub ist bei dem Gerichte erster Instanz anzubringen, welches dasselbe zurückzuweisen hat, wenn es nicht auf Bewilligung anzutragen erachtet. Gegen die bezüglichen Entscheidungen findet kein Rechtsmittel statt.

Der Vollzug der gegen eine Militär- (Landwehr-) Person verhängten Freiheitsstrafe, welche nicht sechs Monate übersteigt, ist auf Verlangen der zuständigen Militär-(Landwehr-)Behörde zu verschieben, wenn der Verurtheilte zur Dienstleistung einberufen wird.

Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe darf nicht unterbrochen werden.

§. 402. Zieht eine Verurtheilung nach dem Gesetze für den Verurtheilten den Verlust des Adels, der Mitgliedschaft bei Gemeindevertretungen oder bei anderen zu Besorgung öffentlicher Angelegenheiten berufenen Vertretungen oder den Verlust von Aemtern, Diensten, Titeln, Würden und Orden, den zeitigen Verlust des Wahlrechtes oder der Wählbarkeit zu den erwähnten Vertretungen oder den Verlust von anderen Rechten und Befugnissen oder von Bezügen aus öffentlichen Cassen nach sich, so ist eine Abschrift des rechtskräftigen Urtheils von dem Strafgerichte auch derjenigen Behörde mitzutheilen, welcher die deßhalb erforderlichen Vorkehrungen zustehen.

Muß in Folge eines Strafurtheiles eine der im §. 158 erwähnten Personen verhaftet werden, so ist deren unmittelbarem Vorgesetzten eine Abschrift des in Rechtskraft erwachsenen Erkenntnisses ungesäumt zuzustellen (§. 83).

Für die Beobachtung der hinsichtlich der Anzeigen über erfolgte Verurtheilungen bestehenden Vorschriften hat der Staatsanwalt zu sorgen.

§. 403. Die Vollstreckung von Todesurtheilen geschieht am nächsten Morgen nach dem Tage, an welchen dem Verurtheilten eröffnet worden ist, daß die Strafe wegen nicht eingetretener Begnadigung an ihm werde vollzogen werden. Diese Eröffnung geschieht im Gerichtshause in Gegenwart eines Vorsitzenden, zweier Richter und des Staatsanwaltes. Das Strafgericht hat darauf zu sehen, daß die Vollziehung weder auf einen Sonn- oder Feiertag, noch auf einen solchen Tag falle, welcher nach dem Religionsbekenntnisse des Verurtheilten ein Festtag ist, und daß der Vollstreckung an dem bestimmten Tage überhaupt kein Hinderniß im Wege stehe.

Nach dieser Verkündung hat das Strafgericht dem Verurtheilten einen Seelsorger seines Religionsbekenntnisses beizugeben, insoferne er sich nicht selbst einen solchen wählt, und ihm nöthigen Falles zu bedeuten, daß weder seine Ablehnung der Vorbereitung zum Tode, noch ein von wem immer überreichtes Begnadigungsgesuch die Vollstreckung der Todesstrafe hemmen könne.

Der Zutritt zu dem Verurtheilten ist außer den durch ihre amtliche Stellung hiezu Berufenen nur seinen Angehörigen und denjenigen Personen zu gestatten, die er selbst zu sehen oder zu sprechen wünscht.

§. 404. Die Vollstreckung der Todesstrafe erfolgt innerhalb der Mauern des Gefangenhauses oder in einem anderen umschlossenen Raume in Gegenwart einer Gerichtscommission,

(481) welche wenigstens aus drei Mitgliedern des Gerichtes und einem Protokollführer bestehen muß, dann des Staatsanwaltes, eines Gerichtsarztes und des den Verurtheilten begleitenden Seelsorgers. Der Vertheidiger, der Vorstand und die Vertretung der Gemeinde, in deren Gebiet die Vollstreckung stattfindet, sind von dem Orte und der Stunde der Vollstreckung, um derselben beiwohnen zu können, in Kenntniß zu setzen.

Den Beamten des Gerichtes, der Staatsanwaltschaft und den Sicherheitsbehörden, ferner den nächsten Verwandten des Verurtheilten ist gestattet, der Hinrichtung beizuwohnen. Soweit es der Raum zuläßt, kann dies auch außerdem achtbaren Männern gestattet werden.

Ist das Todesurtheil an Mehreren zu vollstrecken, so ist die Veranstaltung zu treffen, daß Keiner die Hinrichtung des Anderen sehen könne.

Das Strafurtheil sammt einer kurzen Darstellung der That ist in Druck zu legen und nach der Hinrichtung zu vertheilen.

Der Körper des Hingerichteten ist bei Nacht mit Vermeidung alles Aufsehens an einem besonders dazu bestimmten Platze zu begraben; derselbe kann aber seiner Familie auf deren Begehren zur Beerdigung ausgefolgt werden, wenn sein Bedenken dagegen obwaltet. Auch in diesem Falle darf die Beerdigung nur im Stillen und ohne alles Gepränge stattfinden. Solange die Leiche nicht weggebracht ist, ist außer den oben erwähnten Personen Niemand zu dem Orte der Hinrichtung zuzulassen.

§. 405. Sträflinge, welche wegen eines Verbrechens zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe verurtheilt sind, haben die Strafen an denjenigen Orten zu bestehen, welche durch besondere Vorschriften hiezu angewiesen werden. Andere Freiheitsstrafen sind in der Regel bei dem Strafgerichte, welches das Urtheil in erster Instanz erlassen hat, zu vollziehen. Der Staatsanwalt veranlaßt die Ablieferung des Verurtheilten in die Strafanstalt und theilt derselben eine genaue Auskunftstabelle über die Verhältnisse des Verurtheilten mit.

§. 406. Bei Freiheitsstrafen, welche bei dem erkennenden Gerichte zu vollziehen wären, kann der Gerichtshof zweiter Instanz wegen Ueberfüllung der Gefängnisse, zur Ersparung unverhältnißmäßiger Reise- oder Transportauslagen oder aus anderen wichtigen Gründen die Vollstreckung bei einem anderen Gerichtshofe seines Sprengels bewilligen. Soll diese Vollstreckung außerhalb des Sprengels des Gerichtshofes zweiter Instanz erfolgen, so ist die Entscheidung des Justizministers einzuholen.

§. 407. Ist durch ein Strafurtheil die Landesverweisung des Verurtheilten nach ausgestandener Strafe oder dessen Abschaffung aus einem der im Rechtsrathe vertretenen Länder oder aus allen ausgesprochen, so ist von der Staatsanwaltschaft die Anzeige hievon an den Landeschef desjenigen Landes, in dem das Strafgericht gelegen ist, zu erstatten.

Bezieht sich die Abschaffung nur auf einen einzigen Ort oder Bezirk, so sind die unterste politische und die Sicherheitsbehörde hievon zu verständigen.

§. 408. Zieht ein Strafurtheil den Verfall von Waaren, Feilschaften, oder Geräthen, die Vernichtung oder Zerstörung von Geräthschaften oder anderen Gegenständen, den Verlust eines Gewerbes oder anderer Rechte und Befugnisse nach sich, so hat der Staatsanwalt mit denjenigen Behörden in das Einvernehmen zu setzen, in deren Wirkungskreis die Vorkehrung der hiezu erforderlichen Maßregeln einschlägt.

§. 409. Die Einbringung der Kosten des Strafverfahrens (§. 381) und der Geldstrafen erfolgt nach den dafür bestehenden Vorschriften.

§. 410. Wenn nach eingetretener Rechtskraft eines Strafurtheils Milderungsgründe hervorkommen, welche zur Zeit der Urtheilsfällung noch nicht vorhanden oder doch nicht bekannt waren, und welche zwar nicht die Anwendung eines anderen Strafsatzes, aber doch

(482) offenbar eine mildere Bemessung der Strafe herbeigeführt haben würden, so hat der Gerichtshof erster Instanz (§. 401), sobald er sich von dem Vorhandensein dieser Milderungsgründe überzeugt, einen Antrag auf angemessene Milderung der Strafe an den Gerichtshof zweiter Instanz zu stellen, welcher über den Antrag nach Anhörung des Oberstaatsanwaltes entscheidet.

Gegen die Ablehnung eines auf Strafmilderung gerichteten Gesuches oder Antrages findet kein Rechtsmittel statt.

Tritt der Gerichtshof zweiter Instanz dem Antrage auf Milderung einer vom Cassationshofe bemessenen Strafe bei, so hat er diesen Antrag dem Cassationshofe vorzulegen, welcher darüber nach Anhörung des Generalprocurators endgiltig entscheidet.

§. 411. Eine in dem Gesetze nicht vorbedachte Nachsicht oder Milderung der Strafe steht nur dem Kaiser zu. Gnadengesuche haben keine aufschiebende Wirkung. Sie sind, soferne nicht einzelnen Fällen besondere höhere Aufträge ergehen, nach dem folgenden Bestimmungen zu behandeln: Bringt ein Verurtheilter nach Antritt der Strafe bei dem Vorsteher der Strafe der Strafanstalt oder bei dem zur Visitation derselben abgesandten Beamten ein Gnadengesuch an, so ist dasselbe mit der Aeußerung des Vorstehers über das Betragen und den Gesundheitszustand des Sträflings dem Gerichte, welches in erster Instanz erkannt hat (§. 401), zu übermitteln.

Dieses Gericht, an welches auch alle anderen Gnadengesuche zu leiten sind, hat das Gesuch zu prüfen und dasselbe zurückzuweisen, wenn es nicht findet, daß wichtige Gründe für die Milderung oder Nachsicht der Strafe sprechen. Im entgegengesetzten Falle legt es dasselbe mit seinem Antrage dem Gerichtshofe zweiter Instanz vor, welcher darüber nach Anhörung des Oberstaatsanwaltes Beschluß faßt und das Gesuch entweder zurückweist oder dasselbe mit seinem Antrage dem Justizminister vorlegt. Hat über das Urtheil der Cassationshof auf Grund des §. 288, Z. 3 oder des §. 350, Abs.1, entschieden, so ist der das Gnadengesuch befürwortende Antrag des Gerichtshofes zweiter Instanz an den Cassationshof zu richten, welcher nach Anhörung des Generalprocurators entscheidet, ob das Gesuch zurückzuweisen oder bei dem Justizminister zu befürworten sei.

Gegen die Zurückweisung eines Gnadengesuches durch eines der genannten Gerichte findet keine Beschwerde statt.

XXIV. Hauptstück.

Von dem Verfahren wider Unbekannte, Abwesende und Flüchtige.

I. Verfahren gegen Unbekannte, Abwesende oder Flüchtige während der Voruntersuchung.

§. 412. Wenn der Thäter eines Verbrechens oder Vergehens nicht bekannt ist oder nicht vor Gericht gestellt werden kann, so muß doch die Erhebung der Beschaffenheit der That auf Antrag des Staatsanwaltes mit der vorschriftsmäßigen Sorgfalt und Genauigkeit gepflogen werden. Das Verfahren ist in solchen Fällen erst, wenn keine Anhaltspunkte zu weiteren Nachforschungen mehr vorhanden sind, bis zur künftigen Entdeckung oder Auffindung des Thäters einzustellen.

§. 413. Wenn ein Abwesender, von dem es jedoch nicht wahrscheinlich ist, dass er flüchtig geworden sei, eines Verbrechens oder Vergehens beschuldigt erscheint, und die Bedingungen zu einem Haftbefehle nach §. 175 nicht vorhanden sind, so ist nur die Erforschung seines Aufenthaltes einzuleiten und erst, wenn er nach dessen Ermittlung auf die an ihn ergangene Vorladung nicht erscheint, ist ein Vorführungsbefehl gegen ihn zu erlassen, oder sind nach Beschaffenheit

(483) der Umstände die in dem folgenden Paragraphe bezeichneten Maßregeln wider ihn anzuwenden.

§. 414. Ist von dem Beschuldigten den Umständen nach anzunehmen, daß er die Flucht ergriffen habe, oder wird ein Abwesender eines Verbrechens oder Vergehens unter Umständen beschuldigt, welche nach §. 175 dessen Verhaftung rechtfertigen würden, so haben sich die mit der Erforschung und Verfolgung der Verbrechen und Vergehen beauftragten Behörden zur Habhaftwerdung des Beschuldigten nach Umständen der Hausdurchsuchung, der Ersuchschreiben an andere Behörden, in deren Bereich er anzutreffen sein dürfte, der gerichtlichen Nacheile oder Steckbriefe zu bedienen.

§. 415. Läßt sich hoffen, einen flüchtig gewordenen Verdächtigen durch Nacheile zu erreichen, so sind der Untersuchungsrichter und in dringenden Fällen die Bezirksgerichte und Sicherheitsbehörden verpflichtet, denselben durch hiezu bestellte Personen, welche mit offenen Beglaubigungsschreiben zu versehen sind, verfolgen zu lassen. Sie sind dabei nicht auf ihren Bezirk beschränkt, sondern können diese Verfolgung bis an die Gränzen der im Reichsrathe vertretenen Länder ausdehnen. Alle Gerichte und Sicherheitsbehörden sind den Nacheilenden beizustehen verpflichtet.

§. 416. Steckbriefe dürfen gegen Flüchtige und gegen solche Abwesende, deren Aufenthaltsort unbekannt ist, nur dann erlassen werden, wenn dieselben eines Verbrechens dringend verdächtig erscheinen. In der Regel steht die Ausfertigung von Steckbriefen der Rathskammer, in dringenden Fällen aber der Untersuchungsrichter allein zu.

Ein Steckbrief ist auch auszufertigen, wenn ein wegen eines Verbrechens Verhafteter aus dem Untersuchungs- oder Strafgefängnisse entweicht.

Gegen die nur eines Vergehens Beschuldigten kann kein Steckbrief erlassen, wenn jedoch an deren Habhaftwerdung sehr gelegen ist, kann den Behörden eine Beschreibung ihrer Person mit der Aufforderung mitgetheilt werden, in Fällen der Auffindung an das Strafgericht, welches die Personenbeschreibung erlassen hat, die Mittheilung zu machen.

§. 417. In jedem Steckbriefe ist das Verbrechen, dessen der Beschuldigte verdächtig geworden ist, zu benennen, seine Personen so genau als möglich zu beschreiben und das an alle Gerichte und Sicherheitsbehörden gerichtete Ersuchen um vorläufige Festnehmung und Einlieferung desselben beizufügen. Die Steckbriefe sind nach den bestehenden Vorschriften

zu verbreiten und insbesondere auf das schleunigste allen Bezirksgerichten, Sicherheitsbehörden und Aufsichtsorganen der Umgebung mitzutheilen. Nach Erforderniß ist auch eine weitere Verbreitung der Steckbriefe und nach Umständen deren Kundmachung durch die öffentlichen Blätter zu veranlassen.

Wie mit Steckbriefen, so ist auch mit der Beschreibung und Kundmachung von gestohlenen oder geraubten Sachen, von Gegenständen eines verübten Betruges, einer unternommenen Verfälschung öffentlicher Creditpapiere oder Münzen vorzugehen. Wenn eine solche Beschreibung Gegenstände von größerem Werthe oder von solcher Beschaffenheit betrifft, daß Hoffnung vorhanden ist, durch ihre Bekanntmachung den Thäter selbst zu entdecken, oder noch ferneres Uebel zu verhindern, oder demjenigen, der Schaden leidet, Entschädigung zu verschaffen, so kann die Bekanntmachung sogleich vorgenommen werden. Bei Beschreibung verfälschter öffentlicher Creditpapiere oder Münzen aber muß vorläufig die Anzeige an den Gerichtshof zweiter Instanz gemacht und dessen Weisung abgewartet werden.

Jedermann ist verpflichtet, dasjenige, was er von den beschriebenen Gegenständen erfährt, sogleich der Obrigkeit anzuzeigen.

§. 418. Sobald die Gründe, welche den Steckbrief oder die Beschreibung veranlaßt haben, entfallen, ist der Widerruf unverzüglich zu veranlassen.

(484) §. 419. Einem abwesenden oder flüchtigen Beschuldigten, welcher sich gegen sicheres Geleit vor dem Gerichte stellen zu wollen bereit erklärt, kann dieses Geleit von dem Justizminister nach eingeholtem Gutachten des Oberstaatsanwaltes an dem Gerichtshofe zweiter Instanz, in dessen Sprengel das untersuchende Gericht sich befindet, allenfalls gegen Sicherheitsleistung mit der Wirkung ertheilt werden, daß der Beschuldigte bis zu der Urtheilsfällung in erster Instanz von der Haft befreit bleiben soll.

§. 420. Das sichere Geleit äußert seine Wirkung nur in Bezeichnung auf das Verbrechen oder Vergehen, in Ansehung dessen es ertheilt ist. Es verliert seine Wirkung, wenn der Beschuldigte auf eine an ihn ergangene Vorladung ohne genügende Rechtfertigung ausbleibt, wenn er Anstalten zur Flucht macht, wenn er sich der Fortsetzung der Untersuchung durch die Flucht oder durch Verbergen seines Aufenthaltes entzieht oder wenn er eine der Bedingungen nicht erfüllt, unter welchen ihm das sichere Geleit ertheilt worden ist.

II. Verfahren gegen Abwesende und Flüchtige nach dem Schlusse der Voruntersuchung.

§. 421. Erhebt am Schlusse der Voruntersuchung der Ankläger die Anklage wegen eines Verbrechens oder Vergehens gegen einen Beschuldigten, dessen Aufenthaltsort unbekannt ist oder nicht in einem der im Reichsrathe vertretenen Länder liegt, so ist die Anklageschrift dem hiefür zu bestellenden Vertheidiger zuzustellen, welcher berechtigt ist, binnen acht Tagen nach dieser Zustellung den Einspruch anzumelden und auszuführen. Im Uebrigen finden die Bestimmungen des XVI. Hauptstückes auch in diesem Falle Anwendung.

Die rechtskräftig gewordene Versetzung in den Anklagestand ist zu veröffentlichen und zwar, wenn es sich um ein Verbrechen handelt, in Form eines Steckbriefes.

Ist Aussicht vorhanden, daß die Auslieferung des im Auslande befindlichen Beschuldigten in Gemäßheit der bestehenden Staatsverträge erwirkt werden könnte, so hat sich das Gericht nach Anhörung des Staatsanwaltes im vorgeschriebenen Wege an die ausländische Strafgerichtsbehörde, in deren Bezirk sich der Angeklagte befindet, zu wenden. Sollten der Auslieferung Schwierigkeiten entgegengesetzt werden, so ist wegen deren Behebung durch den Gerichtshof zweiter Instanz an den Justizminister zu berichten.

Dasselbe hat zu geschehen, wenn die Auslieferung eines Beschuldigten, welcher sich in einem zur ungarischen Krone gehörigen Lande befindet, von den dortigen Behörden verweigert wird.

Wenn der Angeklagte später sich stellt oder ergriffen wird, so ist ihm die Anklageschrift und das über den Einspruch ergangene Erkenntniß mitzutheilen. Ist die Versetzung in den Anklagestand bereits rechtskräftig geworden und gibt der Angeklagte zu seiner Vertheidigung Umstände an, deren Erhebung er verlangt, so ist nach Vorschrift des §. 224 vorzugehen.

III. Ungehorsamverfahren gegen Abwesende und Flüchtige.

§. 422. Nach erfolgter Versetzung in den Anklagestand hat das Strafverfahren gegen Solche, welchen die Vorladung zur Hauptverhandlung wegen ihrer Abwesenheit nicht zugestellt werden kann, bis zu ihrer Vertretung auf sich beruhen.

Nur wenn der Ankläger die Einleitung des Ungehorsamverfahrens ausdrücklich begehrt, hat der zur Abgabe des Straferkenntnisses zuständige Gerichtshof dieses Verfahren mittelst öffentlicher Vorladung einzuleiten.

§. 423. Die öffentliche Vorladung muß erhalten:

1. den Vor- und Zunamen, das Alter, den Geburtsort, Stand oder das Gewerbe und den Wohnort des Angeklagten, soweit dieß Alles bekannt ist;

2. die Bezeichnung des Verbrechens mit den den Strafsatz bedingenden Umständen;

(485) 3. die Aufforderung an den Angeklagten, binnen einer angemessenen Frist, welche auf wenigstens einen Monat festzusetzen ist, bei dem Gerichte zu erscheinen und sich wegen der ihm zur Last gelegten That zu verantworten, widrigens gegen ihn als einen Ungehorsamen nach dem Gesetze verfahren und ihm die Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte werde untersagt werden.

§. 424. Diese öffentliche Vorladung ist an dem Orte, wo das Verbrechen begangen wurde, an dem Sitze des Gerichtshofes erster Instanz, sowie an dem Wohnorte oder letzten Aufenthaltsorte des Angeklagten anzuschlagen und in dem Amtsblatte des Landes in angemessenen Zwischenräumen dreimal einzuschalten. Nach Umständen kann auch deren Einschaltung in andere in- und ausländische Blätter verfügt werden. Außerdem ist diese Vorladung dem etwa bekannten Bevollmächtigen des Angeklagten, seinem Vormunde oder Ehegatten oder einem seiner nahen Verwandten besonders zu eröffnen. Die Veröffentlichung dieser Vorladung besorgt der Ankläger.

§. 425. Stellt sich der Angeklagte nicht während der in der Vorladung festgesetzten Frist (§. 423), so erkennt auf Antrag des Anklägers die Rathskammer, dass dem Angeklagten während seiner Abwesenheit die Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte untersagt sei. Der Einleitung oder Fortsetzung eines Civilprocesses gegen den Angeklagten steht der Umstand, daß über die gegen ihn erhobene Anklage die strafgerichtliche Entscheidung noch nicht erfolgt ist, fortan nicht im Wege.

§. 426. Wenn der Angeklagte sich stellt oder in der Folge betreten wird, so ist auf Antrag des Anklägers nach Vorschrift des XVIII. Hauptstückes weiter zu verfahren.

§. 427. Ist der Angeklagte bei der Hauptverhandlung nicht erschienen, so kann in seiner Abwesenheit die Hauptverhandlung vorgenommen und das Urtheil gefällt werden, jedoch bei sonstiger Nichtigkeit nur dann, wenn es sich um ein höchstens mit fünfjähriger Freiheitsstrafe bedrohtes Verbrechen oder um einen Vergehen handelt, der Angeklagte bereits in der Voruntersuchung vernommen und ihm die Vorladung zur Hauptverhandlung noch persönlich zugestellt wurde. In diesem Falle wird dem Angeklagten das Urtheil durch einen hiezu bestimmten Richter eröffnet oder in Abschrift zugestellt. Ist dieß wegen seiner Abwesenheit nicht möglich, so ist das Urtheil auf die im §. 424 angegebene Art zu veröffentlichen.

Kann jedoch die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten nicht vorgenommen oder fortgesetzt werden, weil den vorstehend bezeichneten Bedingungen nicht entsprochen ist, oder weil der Gerichtshof erachtet, daß in Abwesenheit des Angeklagten eine vollkommen beruhigende Aufklärung des Sachverhalts nicht zu erwarten sei, so ist nach §. 221 vorzugehen. Kann die Vorführung des Angeklagten nicht bewerkstelligt werden, so steht es dem Ankläger frei, auf Einleitung des in den §§. 423-426 bezeichneten Verfahrens anzutragen; die im §. 423 unter 3 erwähnte Frist kann in diesem Falle auf vierzehn Tage abgekürzt werden.

Gegen das in Abwesenheit des Angeklagten gefällte Urtheil kann dieser beim Gerichtshof erster Instanz innerhalb der zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde bestimmten Frist Einspruch erheben. Diesem Einspruch ist stattzugeben, wenn nachgewiesen wird, daß der Angeklagte durch ein unabweisbares Hinderniß abgehalten wurde, in der

Hauptverhandlung zu erscheinen. In diesem Falle ist eine neuerliche Hauptverhandlung anzuordnen. Bleibt der Angeklagte auch bei dieser aus, so ist das durch Einspruch angefochtene Urtheil ihm gegenüber als rechtskräftig anzusehen. Ueber den Einspruch entscheidet der Gerichtshof zweiter Instanz nach Anhörung des Oberstaatsanwaltes in nicht öffentlicher Sitzung. Weist er den Einspruch zurück, so steht dem Angeklagten gegen das Urtheil ein Rechtsmittel nicht mehr offen. Hat der Verurtheilte zugleich mit dem Einspruche die Nichtigkeitsbeschwerde oder die Berufung ergriffen, oder liegt eine von anderer Seite ergriffene Berufung oder Nichtigkeitsbeschwerde vor, so ist von jenem Gerichte, welchem die Acten nach Vorschrift der §§. 285

(486) und 294 vorgelegt werden, vorerst über den Einspruch in nicht öffentlicher Sitzung nach Anhörung der Staatsanwaltschaft zu entscheiden, und nur wenn derselbe zurückgewiesen wird, in die Prüfung der Berufung oder Nichtigkeitsbeschwerde einzugehen.

§. 428. Durch das Nichterscheinen eines Angeklagten und das dadurch veranlaßte Ungehorsamverfahren darf das Verfahren gegen die abwesenden Mitangeklagten nicht verzögert werden. Werden in solchen Fällen Gegenstände, die zur Ueberweisung der Angeklagten dienen können, an die Eigenthümer zurückgestellt, so kann diesen die Verpflichtung auferlegt werden, die Beweisstücke auf Begehren wieder beizubringen. Zugleich ist eine genaue Beschreibung der zurückgestellten Gegenstände zu den Acten zu bringen.

XXV. Hauptstück.

Von den standrechtlichen Verfahren.

I. Einleitung des standrechtlichen Verfahrens.

§. 429. Das standrechtliche Verfahren kann in der Regel nur in den Fällen des Aufruhrs stattfinden, wenn die übrigen gesetzlichen Mittel zu dessen Unterdrückung nicht ausreichen. Die Erklärung, daß die Nothwendigkeit des Standrechts vorhanden sei, steht dem Landeschef im Einverständnisse mit dem Präsidenten des Gerichtshofes zweiter Instanz und mit dem Oberstaatsanwalte zu. Wenn jedoch Gefahr auf dem Verzuge haftet, ist auch der Vorsteher der politischen Bezirksbehörde berechtigt, diese Erklärung im Einverständnisse mit dem Präsidenten des Gerichtshofes erster Instanz und dem Staatsanwalte zu erlassen.

§. 430. Außerdem kann das standrechtliche Verfahren auch dann angeordnet werden, wenn in einzelnen oder mehreren Bezirken Mord, Raub, Brandlegung oder das im §. 85 des Strafgesetzes vorgesehene Verbrechen der öffentlichen Gewaltthätigkeit in besonders gefahrdrohender Weise um sich greifen. Das Erkenntniß über die Nothwendigkeit der Anwendung des Standrechtes steht in solchen Fällen dem Minister des Inneren im Einverständisse mit dem Justizminister zu.

§. 431. Die Erklärung, daß das standrechtliche Verfahren einzutreten habe, ist in denjenigen Gemeinden, für welche es angeordnet wurde, bei Trommelschlag oder Trompetenschall zu verkünden und außerdem durch Mittheilung an die Gemeindebehörden, durch Anschlag an öffentlichen Plätzen, durch öffentliche Blätter und nach Umständen durch Verkündung von der Kanzel ohne Verzug zur allgemeinen Kenntniß zu bringen, und auch dem General- oder Militär- und Landwehrcommando des Kronlandes zur Verständigung der unterstehenden Truppen- (Landwehr-) Körper bekannt zu geben.

§. 432. Die Bekanntmachung des standrechtlichen Verfahrens ist im Falle des Aufruhrs mit dem Befehle zu verbinden, daß sich Jedermann von allen aufrührerischen Zusammenrottungen, allen Aufreizungen hiezu und aller Theilnahme daran zu enthalten und den zur Unterdrückung dieser Verbrechen ergehenden Anordnungen der Obrigkeit zu fügen habe, widrigens Jeder, der sich nach der Kundmachung derselben dieses Verbrechens schuldig macht, standrechtlich gerichtet und mit dem Tode bestraft würde.

§. 433. Auf die im vorausgehenden Paragraphe angegebene Art ist auch bei Bekanntmachung des Standrechts wegen eines der im §. 430 bezeichneten Verbrechen vorzugehen. Nach Umständen kann das Standrecht auch nur gegen Diejenigen bekannt gemacht werden, welche eines dieser Verbrechen auf eine bestimmt bezeichnete, besondere Art begehen sollten.

 

 

(487) In jedem dieser Fälle ist die Begehung des Verbrechens überhaupt oder in der bezeichneten besonderen Art mit der Strafe des Todes zu bedrohen.

§. 434. Mit der Kundmachung des standrechtlichen Verfahrens wird der Gerichtshof erster Instanz, in dessen Sprengel die Verkündung erfolgte, für alle in seinem Bezirke verübten Verbrechen, auf welche sich das standrechtliche Verfahren nach den Bestimmungen der §§. 432 und 433 zu erstrecken hat, sowie für die Mitschuld und jede strafbare Betheiligung an denselben ausschließend zuständig, und zwar ohne Rücksicht auf die gegen den Beschuldigten bei einem ordentlichen Gerichte etwa anhängigen Untersuchungen.

Hat der Beschuldigte mehrere strafbare Handlungen in verschiedenen Bezirken begangen, und ist dadurch die Zuständigkeit mehrerer Standgerichte begründet, so ist dasjenige Standgericht, vor welches er bereits gestellt wurde oder an welches er zuerst abgeliefert werden kann, ausschließlich zuständig.

§. 435. Der Gerichtshof erster Instanz erkennt als Standgericht in Versammlungen von vier Richtern, von denen einer den Vorsitz führt, mit Beiziehung eines Protokollführers. Dasselbe kann nach dem Ermessen des Präsidenten an jedem Orte des Bezirkes, für welchen das Standrecht verkündet wurde, seinen Sitz aufschlagen, wovon die Verwaltungsbehörde unverweilt zu benachrichtigen ist.

§. 436. Sobald das standrechtliche Verfahren angeordnet ist, hat die Verwaltungsbehörde mit der größten Beschleunigung Sorge zu tragen, daß von dem nächsten Militärcommando die zur Sicherheit des Standrechtes nöthige Mannschaft abgeordnet werde, daß an dem zur Abhaltung des Standrechtes bestimmten Orte die nöthigen Amtsgeräthschaften bereit und ein Seelsorger, ein Gerichtsarzt, ferner der Scharfrichter und dessen Gehilfen gegenwärtig seien, und daß der Vollziehung der Todesstrafe, falls dieselbe verhängt werden sollte, kein Hinderniß entgegenstehe.

II. Verfahren vor dem Standgerichte.

§. 437. Dem Staatsanwalte bei dem Gerichtshofe erster Instanz oder dem für das Standgericht besonders abgeordneten Mitgliede der Staatsanwaltschaft liegt ob, die Einleitung des standrechtlichen Verfahrens gegen die Beschuldigten zu veranlassen. Es ist dabei als Regel zu beobachten, daß nur solche Personen vor das Standgericht gestellt werden, welche entweder auf der That ergriffen worden sind, oder hinsichtlich welcher sich mit Grund erwarten läßt, es werde der Beweis der Schuld gegen sie ohne Verzug hergestellt werden können.

Schwer Erkrankte und Schwangere dürfen nicht vor das Standgericht gestellt werden.

§. 438. Das Standgericht ist auch zur Aburtheilung von Personen, die der Militärgerichtsbarkeit unterstehen, zuständig, und es haben die Militärbehörden dieselben über Verlangen des Standgerichtes auszuliefern. Werden solche Militärpersonen bei einer Civilbehörde eingebracht, so ist hievon dem nächsten Militärcommando unter Anführung des Namens, des Geburtsortes, der Zuständigkeitsgemeinde und des Militärcharakters des Beschuldigten Mittheilung zu machen.

§. 439. Das ganze Verfahren gegen einzelne Beschuldigte ist vom Anfange bis zum Ende vor dem versammelten Gerichte und, so viel als möglich, ohne Unterbrechung zu pflegen. Der Beschuldigte ist sogleich nach seiner Ergreifung vor das Standgericht zu stellen, wenn nicht der Staatsanwalt das ordentliche Verfahren anhängig zu machen findet, in welchem Falle aber eine Ablieferung an das Standgericht nicht mehr zulässig ist. Die längste Dauer des Verfahrens gegen den einzelnen Beschuldigten wird auf drei Tage festgesetzt, und ist diese Frist von dem Zeitpunkte, da der Beschuldigte vor das Standgericht gestellt wurde (§. 441) zu rechnen.

(488) §. 440. Das Verfahren vor dem Standgerichte ist mündlich und öffentlich. Der Beschuldigte kann sich selbst den Vertheidiger wählen; macht er von diesem Rechte keinen Gebrauch, so hat das Gericht den Vertheidiger von Amtswegen zu ernennen.

§. 441. Der Staatsanwalt beginnt die Verhandlung mit einer Darstellung der dem Beschuldigten zur Last liegenden Thatsachen. Bei dem Verhöre und bei Vorführung der Beweismittel sind im Allgemeinen die Vorschriften der §§. 245-254 zu beobachten.

Das Verfahren hat sich in der Regel auf den Beweis der That zu beschränken, wegen welcher das standrechtliche Verfahren eingeleitet worden ist. Es ist daher auf andere strafbare Handlungen des Ergriffenen keine Rücksicht zu nehmen. Werden diese im Wege des ordentlichen Strafverfahrens verfolgt, so hat das Gericht bei Ausmessung der Strafe auf die vom Standgerichte ausgesprochene Freiheitsstrafe (§. 442, Absatz 2) Rücksicht zu nehmen.

Das Verfahren darf durch Erhebungen über die Entschädigung nicht aufgehalten werden. Ebenso ist die Ausforschung der Mitschuldigen zwar nicht außer Acht zu lassen, jedoch soll deßhalb die Schöpfung und Vollziehung des Erkenntnisses gegen den Ergriffenen nicht aufgeschoben werden.

Nach geschlossenem Beweisverfahren hat der Staatsanwalt die Ergebnisse desselben zu entwickeln und seinen Antrag zu stellen. Der Beschuldigte und sein Vertheidiger haben darauf zu antworten, und wenn der Staatsanwalt hierauf noch etwas zu erwidern findet, gebührt dem Beschuldigten und seinem Vertheidiger jederzeit das Recht der letzten Aeußerung.

§. 442. Hierauf wird von dem Gerichte das Urtheil in nichtöffentlicher Berathung unter Beobachtung der Vorschriften der §§. 17, 19 bis 22, 258 und 267 gefällt und unmittelbar darauf dem Beschuldigten in öffentlicher Sitzung verkündigt. Wird der Beschuldigte einstimmig für schuldig erklärt, so hat das Standgericht zugleich auf die Todesstrafe zu erkennen.

Nur wenn bereits durch Vollziehung der Todesstrafe an Einem oder Mehreren der Strafwürdigsten das zur Herstellung der Ruhe nöthige abschreckende Beispiel gegeben ist, kann das Standgericht aus wichtigen Milderungsgründen gegen minder Betheiligte auf schweren Kerker von fünf bis zwanzig Jahren erkennen. Dieselbe Strafe ist gegen Diejenigen auszusprechen, welche zur Zeit des verübten Verbrechens das Alter von zwanzig Jahren noch nicht zurückgelegt haben.

§. 443. Wenn die im §. 259 vorgesehenen Bedingungen eintreten, hat das Standgericht auf Freisprechung des Beschuldigten zu erkennen und sofort dessen Freilassung zu verfügen. Wenn das Standgericht sich nicht für zuständig erachtet, wenn ein Todesurtheil nur wegen Mangels der Einstimmigkeit der Richter nicht gefällt wird (§. 442, Absatz 1), oder wenn zwar die Herstellung des Beweises der Schuld des Beschuldigten innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Tagen nicht möglich ist, wider denselben aber dringende Verdachtsgründe vorliegen, daß er die ihm zur Last gelegte oder eine andere strafbare Handlung verübt habe, so erkennt das Standgericht auf Ueberweisung des Beschuldigten an den ordentlichen Richter, und hat in diesem Falle zugleich zu beschließen, ob die Haft des Beschuldigten fortzudauern habe oder aufzuheben sei.

§. 444. Ueber die Verhandlung vor dem Standgerichte ist ein Protokoll nach Vorschrift der §§. 271 und 272 aufzunehmen. Dasselbe ist von sämmtlichen Richtern und dem Schriftführer zu unterzeichnen.

§. 445. Gegen die Urtheile des Standgerichtes findet kein Rechtsmittel statt, und ein dagegen von wem immer eingebrachtes Gnadengesuch hat nie eine aufschiebende Wirkung.

Die Todesstrafe ist in der Regel zwei Stunden nach der Verkündung des Urtheiles zu vollziehen; nur auf ausdrückliches Bitten des Verurtheilten kann demselben noch eine dritte Stunde zu seiner Vorbereitung auf den Tod gestattet werden.

(489) III. Aufhebung des standrechtlichen Verfahrens.

§. 446. Die Aufhebung des standrechtlichen Verfahrens steht den in den §§. 429 und 430 bezeichneten Personen zu. Dieselbe ist, wenn der Grund, der die Einleitung des Standrechtes veranlaßte, weggefallen ist, sogleich auszusprechen und jederzeit durch die öffentlichen Blätter kundzumachen.

Sobald die Aufhebung des standrechtlichen Verfahrens dem Standgerichte mitgetheilt ist, hört dessen Wirksamkeit auf. Alle noch anhängigen Untersuchungen, sowie diejenigen, über welche Todesurtheile ergangen, aber noch nicht vollzogen sind, müssen an die ordentlichen Gerichte abgegeben und von diesen als Voruntersuchungen behandelt werden. Es ist darüber nach den allgemeinen Vorschriften dieser Strafproceßordnung weiter zu verfahren. Alle von dem Standgerichte erlassenen Urtheile sammt den Verhandlungsacten sind binnen vierzehn Tagen nach Aufhebung des Standrechtes dem Oberstaatsanwalte vorzulegen, welcher die ihm geeignet scheinenden Anträge zu stellen hat.

Ergeben sich später Gründe zur Wiederaufnahme des Verfahrens, so ist darüber vor den ordentlichen Gerichten nach Vorschrift des XX. Hauptstückes zu verhandeln.

XXVI. Hauptstück.

Von dem Verfahren in Uebertretungsfällen.

§. 447. Das Verfahren wegen jener strafbaren Handlungen, welche den Bezirksgerichten zur Untersuchung und Bestrafung zugewiesen sind, richtet sich zunächst nach den in dem gegenwärtigen Hauptstücke enthaltenen Vorschriften. In allen jenen Punkten aber, worüber hier keine besondere Vorschrift ertheilt ist, sind jene Bestimmungen in Anwendung zu bringen, welche für das Verfahren bei Verbrechen und Vergehen gelten.

I. Anklage.

§. 448. Die Verrichtungen der Staatsanwaltschaft werden durch die hiefür auf dem Verordnungswege zu bezeichnenden Organe ausgeübt. Diese sind dabei dem Staatsanwalte am Gerichtshofe erster Instanz, in dessen Sprengel sie sich befinden, untergeordnet, haben dessen Weisungen zu befolgen und demselben alle Monate einen Ausweis über die von ihnen verfolgten strafbaren Handlungen und den Erfolg der getroffenen Einleitungen vorzulegen (§. 31).

§. 449. Dem durch eine von Amtswegen zu verfolgende strafbare Handlung in seinen Rechten Verletzten steht es frei, sich dem Strafverfahren anzuschließen. Verweigert der zu den Verrichtungen der Staatsanwaltschaft berufene Beamte die Verfolgung, so kann der Privatbetheiligte den Antrag auf gesetzliche Bestrafung stellen (§§. 451 und 457).

II. Ordentliches Verfahren vor den Bezirksgerichten.

§. 450. Hält das Bezirksgericht dafür, daß es nicht zuständig sei, weil ein Verbrechen oder Vergehen vorliegt, so hat es dieß dem Staatsanwalte am Gerichtshofe erster Instanz oder dem Privatankläger (§§. 46, 449) bekannt zu geben. Verweiset aber der Gerichtshof erster Instanz oder ein höheres Gericht die Sache wieder an das Bezirksgericht zurück, so kann letzteres sie nicht weiter wegen Nichtzuständigkeit von sich abweisen.

(490) §. 451. Es findet weder eine förmliche Voruntersuchung noch eine abgesonderte Verhandlung über die Versetzung in Anklagestand statt. Es genügt ein allgemeiner schriftlich oder mündlich angebrachter Antrag auf gesetzliche Bestrafung.

Wird dem Richter zugleich der Beschuldigte vorgeführt und gesteht derselbe die ihm zur Last gelegte That, oder erscheinen der Ankläger und der Beschuldigte zugleich vor dem Richter, und sind alle Beweismittel für die Anklage und Vertheidigung zur Hand, so kann der Richter mit Zustimmung des Beschuldigten sogleich die Verhandlung vornehmen (§. 456) und das Urtheil fällen.

Außer diesem Falle aber ist nach Vornahme der etwa nöthig befundenen Vorerhebungen ein Tag zur Hauptverhandlung festzusetzen.

§. 452. Bei allen Vorerhebungen hat der Bezirksrichter im Allgemeinen die für die Untersuchungsrichter ertheilten Vorschriften zu beobachten, jedoch unter nachstehenden Beschränkungen:

1. Die vorläufige Festnehmung des Beschuldigten zum Behufe der Vorführung kann außer den im §. 175, Z. 2 und 3, erwähnten Fällen nur dann stattfinden, wenn der ausdrücklich zum persönlichen Erscheinen aufgeforderte Beschuldigte dieser Aufforderung nicht nachkommt. Reisenden ist die Fortsetzung der Reise zu gestatten, insoferne nicht zu besorgen ist, daß dadurch die Untersuchung oder die Vollstreckung des Urtheils vereitelt werde.

2. Kann dem Beschuldigten die Vorladung nicht zugestellt werden, so hat das weitere Verfahren bis zu seiner Betretung auf sich zu beruhen. Die Ausfertigung von Steckbriefen ist unzulässig; dagegen kann in wichtigeren Fällen den Behörden eine Beschreibung der Person des Beschuldigten mitgetheilt werden. (§. 416).

3. Die Untersuchungshaft kann nur in den Fällen des §. 175, Z. 2 und 3, verhängt werden. Die Verhafteten dürfen nicht in dasselbe Gefängnisß mit Personen, welche sich wegen eines Verbrechens in Untersuchung oder Strafe befinden, gebracht werden. Sie können sich ihre Nahrung außer dem Hause bereiten lassen, soferne dadurch die Ordnung des Hauses nicht gestört wird.

4. Die Durchsuchung von Papieren dritter Personen und die Beschlagnahme oder Eröffnung von Briefen ist nicht gestattet.

5. Gerichtszeugen sind bei keiner Untersuchungshandlung erforderlich.

6. Bei einem Augenscheine, sowie bei Einholung eines Gutachtens genügt die Beiziehung eines Sachverständigen.

7. Die Führung eines Protokolles ist nur bei solchen Erhebungen erforderlich, welche zum Beweise bei der Hauptverhandlung gebraucht und in derselben nicht wiederholt werden sollen; in anderen Fällen genügt die kurze Aufzeichnung des wesentlichen Inhaltes der von den vernommenen Personen gemachten Aussagen durch den Protokollführer oder auch durch den vernehmenden Richter selbst.

8. Die Beigebung eines Vertheidigers von Amtswegen findet nicht statt.

§. 453. Die Beeidigung der Zeugen findet in der Regel nicht statt, sondern der Richter kann sich statt des Eides der Zeugen mit einem Handschlage derselben begnügen.

Handelt es sich aber um die Ueberweisung eines leugnenden Beschuldigten durch die Aussage von Zeugen, so müssen dieselben, wenn der Beschuldigte deren Beeidigung insbesondere verlangt, oder wenn es sich um eine Gesetzesübertretung handelt, welche eine Arreststrafe von wenigstens einem Monate, oder eine Geldstrafe von wenigstens hundert Gulden, oder den Verlust des Gewerbes oder anderer Rechte und Befugnisse nach sich zieht, vorschriftmäßig beeidet werden, soferne ihrer Beeidigung kein gesetzliches Hinderniß entgegensteht.

(491) Beamte und beeidete Diener der öffentlichen Gewalt, welche eine Aussage über Thatsachen oder Umstände ablegen, die sie in Ausübung ihres Amtes wahrgenommen haben, sind, wenn ihre Aussagen Gegenstände betreffen, auf welche sich ihre Amtshandlung bezog, nur unter Erinnerung an ihren Diensteid als Zeugen zu vernehmen.

§. 454. Kann die Verhandlung nicht nach §. 451 sogleich nach Anbringung der Anklage stattfinden, so ist der Beschuldigte, falls er nicht verhaftet ist, zur Hauptverhandlung durch einen schriftlichen Befehl vorzuladen, welcher die wesentlichen Thatsachen der ihm zur Last gelegten strafbaren Handlung und die Aufforderung enthalten muß, zur festgesetzten Stunde zu erscheinen und die zu seiner Vertheidigung dienenden Beweismittel mitzubringen oder dem Richter so zeitlich anzuzeigen, daß sie zur Hauptverhandlung noch herbeigeschafft werden können. Zugleich ist die Warnung beizufügen, daß im Falle seines Ausbleibens dennoch mit der Verhandlung und Urtheilsfällung vorgegangen werden würde.

§. 455. Die Vorladung ist in der Regel so einzurichten, daß dem Beschuldigten von der Zustellung derselben nach Abrechnung der Zeit; die er benöthigt, um sich an den Ort des Gerichtes zu verfügen, bis zur Hauptverhandlung ein Zeitraum von wenigstens vierundzwanzig Stunden frei bleibt. In dringenden Fällen aber, bei unbedeutenden Gesetzesübertretungen, und wenn sich der Beschuldigte an dem Orte des Gerichtes befindet, kann diese Frist auch abgekürzt werden. Nur auf Grund bescheinigter erheblicher Hindernisse kann dem Antrage des Beschuldigten auf Vertagung der Verhandlung stattgegeben werden.

Es steht dem Beschuldigten unter den in den §§. 39 und 40 erwähnten Beschränkungen, welche der Beurtheilung des Richters unterliegen, frei, sich eines Vertheidigers zu bedienen.

Ist der Beschuldigte nicht verhaftet, so kann er sich, wenn er nicht persönlich erscheinen will, bei der Verhandlung durch einen Machthaber, der sich mit einer besonderen Vollmacht auszuweisen hat, vertreten lassen; doch steht es dem Gerichte zu, in allen Fällen, wo es im Interesse der Erforschung der Wahrheit nöthig befunden wird, sein persönliches Erscheinen zu veranlassen. Personen, welche, ohne in die Vertheidigerliste eingetragen zu sein, aus solchen Vertretungen ein Gewerbe machen, sind als Machthaber nicht zuzulassen.

§ 456. Die Hauptverhandlung vor dem Bezirksgerichte (§. 9) ist öffentlich bei sonstiger Nichtigkeit jedoch unter den in den §§. 228-231 enthaltenen Beschränkungen. Schreitet ein Privatankläger ein, so wird die Oeffentlichkeit ausgeschlossen, wenn beide Theile übereinstimmend darauf antragen.

§. 457. Die Verhandlung beginnt mit dem Vortrage der Anklage. Hierauf wird der Beschuldigte oder dessen Machthaber darüber vernommen, und die Beweise werden vorgeführt. Sodann werden der Ankläger und der Privatbetheiligte mit ihren Anträgen und der Beschuldigte und dessen Vertheidiger mit ihrer Antwort gehört. Der Ankläger kann sich darauf beschränken, im Allgemeinen den Antrag auf Anwendung des Gesetzes zu stellen.

§ 458. Nach geschlossener Verhandlung wird sofort das Urtheil gefällt, sammt dessen wesentlichen Gründen vom Richter verkündet und bei sonstiger Nichtigkeit dem Protokolle einverleibt und beigelegt. Der Richter ist befugt, nach geschlossener Verhandlung die Fällung des Urtheiles bis auf den darauf folgenden Tag auszusetzen. Im Uebrigen haben die im XVIII. Hauptstücke für die Hauptverhandlung ertheilten Vorschriften auch für die Verhandlung vor dem Bezirksgerichte zu gelten.

§. 459. Wenn der Beschuldigte der gehörig erfolgten Vorladung ungeachtet zur bestimmten Stunde nicht erscheint, so kann der Richter, wenn er die Vernehmung des Beschuldigten nöthig findet, ihn zum persönlichen Erscheinen auffordern, oder, wenn das bereits geschehen, vorführen lassen. Außerdem wird sofort das Verfahren begonnen, die Beweise werden aufgenommen

(492) und es wird hierauf nach Anhörung des Anklägers das Urtheil gefällt und verkündet. Dem ausgebliebenen Beschuldigten ist eine amtliche Abschrift des Urtheiles zuzustellen.

III. Mandatsverfahren.

§. 460. Wenn von einer öffentlichen Behörde oder einer der im §. 68 des Strafgesetzes erwähnten Personen gegen einen auf freiem Fuße befindlichen Beschuldigten auf Grund ihrer eigenen dienstlichen Wahrnehmung eine Gesetzesübertretung angezeigt wird, welche im Gesetze nur mit Arrest von höchstens einem Monate oder nur mit einer Geldstrafe bedroht ist, so kann der Richter, insoferne er Arrest von höchstens drei Tagen oder eine Geldstrafe von höchstens fünfzehn Gulden zu verhängen findet, auf Antrag des mit den staatsanwaltschaftlichen Verrichtungen betrauten Beamten die verwirkte Strafe ohne vorausgehendes Verfahren durch eine Strafverfügung festsetzen.

§. 461. In der Strafverfügung muß angegeben sein:

1. Die Beschaffenheit der strafbaren Handlung, sowie die Zeit und der Ort ihrer Begehung;

2. der Name der Person oder Behörde, welche die Anzeige gemacht hat;

3. die Straffestsetzung unter Anführung der Strafbestimmung, auf welche dieselbe sich gründet;

4. daß es dem Beschuldigten freistehe, wenn er sich durch die Strafverfügung beschwert finden sollte, innerhalb einer achttägigen Frist, von der Zustellung der Verfügung an gerechnet, seinen Einspruch dagegen bei dem Bezirksgerichte (§. 81) schriftlich oder zu Protokoll anzumelden und zugleich die zu seiner Vertheidigung dienenden Beweismittel anzuzeigen, daß aber, falls in dieser Frist ein Einspruch nicht erfolgt, die Strafverfügung in Rechtskraft übergehen und gegen ihn vollstreckt werden würde.

§. 462. Wird in der achttägigen Frist der Einspruch erhoben, so tritt das ordentliche Verfahren ein; im entgegengesetzten Falle findet gegen die Strafverfügung ein Rechtsmittel nicht statt, jedoch kann, soferne die Voraussetzungen des. § 364, Z. 1 und 2, eintreten, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ertheilt werden.

IV. Rechtsmittel gegen Urtheile der Bezirksgerichte.

§. 463. Gegen Urtheile der Bezirksgerichte, welche gegen einen Anwesenden ergangen sind, findet nur das Rechtsmittel der Berufung statt, und zwar an den Gerichtshof erster Instanz, in dessen Sprengel das Bezirksgericht liegt.

§. 464. Die Berufung kann ergriffen werden:

1. Wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe;

2. wegen des Ausspruches über die Schuld und Strafe, wegen des letzteren jedoch nur unter den im §. 283 bezeichneten Voraussetzungen;

3. wegen der Entscheidung über die privatrechtlichen Ansprüche.

§. 465. Zu Gunsten des Angeklagten kann die Berufung sowohl von ihm selbst, als auch von seinem Ehegatten, seinen Verwandten in auf- und absteigender Linie, seinem Vormunde und im Falle der Minderjährigkeit des Angeklagten von dessen Eltern und Vormunde auch gegen dessen Willen ergriffen werden.

Erben des Angeklagten, welche nicht in einem der erwähnten Verhältnisse zu dem Angeklagten standen, können die Berufung nur wegen der in dem Urtheile allenfalls enthaltenen Entscheidung über privatrechtliche Ansprüche ergreifen oder fortsetzen.

(493) Zum Nachtheile des Angeklagten kann die Berufung nur vom Ankläger und vom Privatbetheiligten, vom letzteren aber nur wegen seiner privatrechtlichen Ansprüche ergriffen werden.

§. 466. Die Berufung ist binnen drei Tagen nach Verkündung des Urtheils beim Bezirksgerichte anzumelden.

War der Angeklagte bei der Verkündung des Urtheiles nicht anwesend, so ist die Berufung binnen drei Tagen, nachdem er von demselben verständigt wurde, anzumelden.

Für die im §. 465 erwähnten Angehörigen des Angeklagten läuft die Frist zur Anmeldung der Berufung von demselben Tage, von welchem an sie für den Angeklagten beginnt.

Die Anmeldung der Berufung hat aufschiebende Wirkung.

Die Entlassung eines freigesprochenen Angeklagten aus der Haft wird jedoch wegen der Berufung des Staatsanwaltes nur dann aufgeschoben, wenn diese sogleich bei Verkündung des Urtheils angemeldet wurde.

Wenn der zu einer Freiheitsstrafe Verurtheilte sich weder durch den Ausspruch über die Schuld, noch durch den über die Strafart, sondern nur durch das Strafmaß beschwert erachtet, so kann er die Strafe einstweilen antreten. Eben dieß gilt auch dann, wenn der Verurtheilte keine Berufung ergriffen hat und der Ankläger seine Berufung nur gegen das Strafmaß richtet.

§. 467. Der Beschwerdeführer hat das Recht, innerhalb acht Tagen nach der Anmeldung der Berufung, und soferne er vor oder bei derselben eine Abschrift des Urtheils verlangt hat, nach der Zustellung, eine Ausführung der Gründe seiner Berufung bei dem Bezirksgerichte zu überreichen und allenfalls neue Thatsachen oder Beweismittel unter genauer Angabe aller zur Beurtheilung ihrer Erheblichkeit dienenden Umstände anzuzeigen.

Er hat entweder bei der Anmeldung der Berufung oder in der Berufungsschrift ausdrücklich zu erklären, durch welche Punkte des Erkenntnisses (§. 464) er sich beschwert finde und welche Nichtigkeitsgründe er geltend machen wolle, widrigens auf die Berufung, beziehungsweise auf Nichtigkeitsgründe von dem Gerichtshofe erster Instanz keine Rücksicht zu nehmen ist.

Die zu Gunsten des Angeklagten ergriffene Berufung gegen den Ausspruch über die Schuld enthält auch die Berufung gegen die Strafbemessung.

Geschieht die Anmeldung der Berufung mündlich, so hat der Richter, welcher das Protokoll hierüber aufnimmt, den Beschwerdeführer zur genauen Angabe der Beschwerdepunkte besonders aufzufordern und über die Rechtsfolgen der Unterlassung dieser Angabe zu belehren.

Eine verspätete Berufung oder Berufungsausführung ist vom Bezirksgerichte zurückzuweisen.

§. 468. Wegen Nichtigkeit kann die Berufung gegen Urtheile der Bezirksgerichte nur aus einem der folgenden Gründe ergriffen werden:

1. wenn das Bezirksgericht nicht zuständig, oder nicht gehörig besetzt war, oder wenn ein gesetzlich ausgeschlossener Richter (§. 67 und 68) das Urtheil gefällt hat;

2. wenn eine Vorschrift verletzt oder vernachlässigt worden ist, deren Beobachtung das Gesetz bei sonstiger Nichtigkeit vorschreibt (§§. 120, 151, 152, 170, 271, 456 und 458) oder wenn einer der im §. 281, Z. 4 und 5, erwähnten Nichtigkeitsgründe vorliegt;

3. aus den im §. 281, Z. 6-11 angegebenen Gründen.

Die unter 1 und 2 erwähnten Nichtigkeitsgründe können nur unter den im §. 281 bezeichneten Bedingungen geltend gemacht werden; doch wird auch der Ankläger der Geltendmachung eines Nichtigkeitsgrundes deßhalb nicht verlustig, weil er hinsichtlich eines Formgebrechens

(494) die Entscheidung des Bezirksrichters nicht begehrt und die Beschwerde nicht sofort nach Verweigerung oder Verkündung der Entscheidung sich vorbehalten hat.

§. 469. Der Gerichtshof erster Instanz hat über jede Berufung zuerst in nicht öffentlicher Sitzung nach Anhörung des Staatsanwaltes zu berathen und die Berufung sofort zu verwerfen, wenn sie von einer Person ergriffen wurde, welcher das Berufungsrecht überhaupt nicht oder nicht in der Richtung, in welcher es in Anspruch genommen wird, zusteht, oder welche auf dasselbe giltig Verzicht geleistet hat, wenn sie zu spät angemeldet ist, wenn die Punkte, gegen welche sie gerichtet ist, oder wenn die Nichtigkeitsgründe, wegen welcher allein sie ergriffen wurde, nicht einzeln und bestimmt bezeichnet sind. Ist die Berufung lediglich gegen den Ausspruch über die Strafe oder die privatrechtlichen Ansprüche gerichtet, so entscheidet der Gerichtshof sofort auch in der Sache selbst.

§. 470. Bei dieser nicht öffentlichen Berathung hat der Gerichtshof erster Instanz auch zu prüfen, ob die nach §. 467 angezeigten neuen Thatsachen und Beweismittel erheblich seien. Die Vernehmung neuer Zeugen und Sachverständigen ist nur dann zulässig, wenn dieselbe geeignet erscheint, die vom ersten Richter als erwiesen angenommenen erheblichen Thatsachen als unrichtig darzustellen. Der Gerichtshof kann die neuen Beweise, sowie die Thatsachen, woraus ein Nichtigkeitsgrund abgeleitet wird, nach Umständen auch durch einen dazu abgeordneten Richter erheben lassen.

Die nochmalige Anhörung solcher Zeugen und Sachverständigen, welche bereits in der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgerichte vernommen worden sind, findet nur dann statt, wenn der Gerichtshof dieselbe wegen wesentlicher Bedenken gegen die Richtigkeit der im Urtheile erster Instanz enthaltenen Feststellung der Thatsachen erforderlich findet. Außer diesem Falle hat der Gerichtshof die in erster Instanz aufgenommenen Protokolle seiner Entscheidung zu Grunde zu legen.

Zeigt sich schon bei der nichtöffentlichen Vorberathung die Nothwendigkeit einer Wiederholung der Hauptverhandlung in erster Instanz, so hat der Gerichtshof sofort darauf zu erkennen.

§. 471. Liegt keiner der im §. 469 und §. 470, Absatz 3, erwähnten Fälle vor, so ist ein Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über die Berufung, und zwar auch soweit sie gegen den Ausspruch über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche gerichtet ist, anzuordnen, und es sind dazu der Ankläger, der Angeklagte und jene Zeugen und Sachverständigen, deren Vorladung nach §. 470 beschlossen wurde, rechtzeitig vorzuladen.

Dem Angeklagten müssen mit Rücksicht auf seine Entfernung vom Sitze der Berufungsbehörde wenigstens drei Tage zur Vorbereitung seiner Vertheidigung frei bleiben.

Ist er Angeklagte verhaftet, so kann er, falls der Gerichtshof nicht seine Vorführung zur Erforschung der Wahrheit nothwendig findet, sich durch einen Vertheidiger vertreten lassen.

Sowohl dem Angeklagten, als dem Privatankläger ist in der Vorladung zu bemerken, daß auch im Falle ihres Ausbleibens, mit Berücksichtigung des in der Berufungsausführung Vorgebrachten über die Berufung dem Gesetze gemäß erkannt werden würde.

Der Privatbetheiligte ist von dem angesetzten Gerichtstage mit der Bemerkung in Kenntniß zu setzten, daß es ihm frei stehe, bei demselben zu erscheinen.

Haben diese Personen einen Vertheidiger oder Vertreter namhaft gemacht, so ist die Vorladung an diesen zu richten.

§. 472. Die Verhandlung vor der Berufungsbehörde ist öffentlich nach den Vorschriften der §§. 228-231.

Sie beginnt mit einem schriftlichen Vortrage eines Mitgliedes der Berufungsbehörde, welcher weder Gutachten noch Anträge enthalten, sondern nur das Thatsächliche des Falles,

(495) den bisherigen Verlauf der Sache, soweit es zur Beurtheilung der angebrachten Beschwerde erforderlich ist, das Wesentliche der Berufungsschrift und die daraus sich ergebenden Streitpunkte umfassen soll.

Der auf die Berufungspunkte sich beziehende Theil des Erkenntnisses erster Instanz sammt den Entscheidungsgründen ist jederzeit und, wenn es der Vorsitzende für zweckdienlich erachtet, auch das über die Hauptverhandlung erster Instanz aufgenommene Protokoll vorzulesen.

§. 473. Hierauf sind die etwa vorgeladenen Zeugen und Sachverständigen und der Angeklagte, wenn er persönlich anwesend ist, zu vernehmen, wobei die für die Hauptverhandlung vor den Gerichtshöfen erster Instanz gegebenen Vorschriften zu beobachten sind.

Sodann wird Derjenige, welcher die Berufung einlegte, zur Begründung derselben und sohin der Gegner zur Erwiderung aufgefordert.

Dem Angeklagten oder seinem Vertheidiger gebührt jedenfalls das Recht der letzten Aeußerung.

Hierauf zieht sich der Gerichtshof zur Berathung und Schlußfassung zurück.

§. 474. Der Gerichtshof erkennt, wenn er die Berufung nicht als unzulässig oder ungegründet zurückzuweisen oder seine eigene Nichtzuständigkeit auszusprechen findet, in der Sache selbst nach den für die Urtheilsfällung der Gerichtshöfe erster Instanz geltenden Vorschriften, insoferne nicht in den nächstfolgenden Paragraphen etwas Anderes angeordnet ist.

§. 475. Wird das Urtheil des Bezirksgerichtes wegen eines der im §. 468 unter 1 und 2 angeführten Nichtigkeitsgründe aufgehoben, so verweist der Gerichtshof die Sache zur neuerlichen Verhandlung an ein anderes Bezirksgericht seines Sprengels.

Hat das Bezirksgericht über eine That geurtheilt, welche ein Verbrechen oder ein Vergehen begründet, so ist auf Antrag des Staatsanwaltes das Urtheil des Bezirksgerichtes aufzuheben und die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens zu veranlassen.

Hat das Bezirksgericht bezüglich einer Thatsache, auf welche sich die Anklage bezieht, mit Unrecht seine Nichtzuständigkeit ausgesprochen, oder die Anklage nicht vollständig erledigt (§. 281, Z. 6 und 7), so trägt ihm der Gerichtshof auf, sich der Verhandlung und Urtheilsfällung zu unterziehen, welche sich in letztem Falle auf die unerledigt gebliebenen Anklagepunkte zu beschränken hat.

§. 476. In den im §. 475, Absatz 1 und 3, erwähnten Fällen steht es jedoch der Berufungsbehörde frei, sofort oder in einer späteren Sitzung nöthigenfalls unter Wiederholung oder Ergänzung der in erster Instanz gepflogenen Verhandlung und unter Verbesserung der mangelhaft befundenen Proceßhandlung, in der Sache selbst zu erkennen.

§. 477. Der Gerichtshof hat sich auf die in Beschwerde bezogenen Punkte zu beschränken, und er darf nur jene Theile des erstrichterlichen Erkenntnisses abändern, gegen welche die Berufung gerichtet ist. Ueberzeugt er sich jedoch aus Anlaß einer von wem immer ergriffenen Berufung, daß zum Nachtheile des Angeklagten das Strafgesetz unrichtig angewendet wurde (§. 281, Z. 9-11), oder daß dieselben Gründe, auf welchen seine Verfügung zu Gunsten eines Angeklagten beruht, auch einem Mitangeklagten zu statten kommen, welcher die Berufung nicht, oder nicht in der in Frage kommenden Richtung ergriffen hat, so hat der Gerichtshof so vorzugehen, als wäre eine solche Berufung eingelegt.

Ist die Berufung lediglich zu Gunsten des Angeklagten ergriffen worden, so kann der Gerichtshof keine strengere Strafe gegen den Angeklagten verhängen, als welche das erste Urtheil ausgesprochen hat.

§. 478. Gegen ein Urtheil des Bezirksgerichtes, welches in Gemäßheit des §. 459 über Ausbleiben des Angeklagten erlassen wurde, kann dieser binnen acht Tagen von Zustellung

(496) des Urtheils bei dem erkennenden Bezirksgerichte Einspruch erheben, wenn ihm die Vorladung nicht gehörig zugestellt worden ist, oder er nachweisen kann, daß er durch ein unabwendbares Hinderniß angehalten worden sei.

Ueber diesen Einspruch hat der Bezirksrichter nach vorläufiger Vernehmung des Anklägers zu erkennen. Verwirft er denselben, so steht dem Angeklagten das Rechtsmittel der Beschwerde an den Gerichtshof erster Instanz binnen drei Tagen zu. Der Angeklagte ist in diesem Falle berechtigt, mit diesem Rechtsmittel für den Fall der Verwerfung desselben die Berufung zu verhindern, rücksichtlich welcher nach den Bestimmungen der §§. 469-472 zu verfahren ist.

Findet der Bezirksrichter oder in Folge der Beschwerde der Gerichtshof den Einspruch gegründet, so ist eine neuerliche Verhandlung vor dem Bezirksgerichte anzuordnen, bei welcher, wenn der Angeklagte erscheint, die Sache so verhandelt wird, wie im §. 457 vorgeschrieben ist. Erscheint der Angeklagte bei dieser zweiten Verhandlung abermals nicht, so ist der Einspruch nicht erfolgt und das angefochtene Urtheil als rechtskräftig anzusehen.

§. 479. Gegen die Urtheile der Gerichtshöfe erster Instanz über eine in Gemäßheit der §§. 463, 464 und 478 an dieselben gelangte Berufung findet nur die Nichtigkeitsbeschwerde an den Cassationshof zur Wahrung des Gesetzes (§§. 33 und 292) statt.

§. 480. Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens richtet sich nach den im XX. Hauptstücke aufgestellten Grundsätzen. Ueber die Zulassung der Wiederaufnahme entscheidet der Bezirksrichter. Gegen die Verweigerung derselben steht nur die Beschwerde an den Gerichtshof erster Instanz offen, welche binnen drei Tagen beim Bezirksgerichte anzubringen ist.

Die im §. 362 dem Cassationshofe eingeräumte Befugniß steht demselben in Uebertretungsfällen nicht zu.

§. 481. Gegen Entscheidungen der Bezirksrichter, insoferne dieselben der Berufung nicht unterliegen, steht den Betheiligten das Rechtsmittel der Beschwerde an den Gerichtshof erster Instanz binnen drei Tagen zu.

V. Vollstreckung der Strafe.

§. 482. Die Vollstreckung von Freiheitsstrafen hat in der Regeln, insoferne nicht von dem Gerichtshofe erster Instanz in einzelnen Fällen eine andere Verfügung getroffen wird, bei demjenigen Bezirksgerichte stattzufinden, welches das Erkenntniß in erster Instanz gefällt hat.

Wenn ein Gesuch um Milderung oder Nachsicht der Strafe (§§. 410 und 411) noch vor Antritt der Strafe eingebracht wurde, und sich auf solche rücksichtswürdige Umstände stützt, welche erst nach dem ergangenen Urtheile hervorgetreten sind, kann mit der Vollstreckung der Strafe innegehalten werden, insoferne sonst der Zweck des Gesuches ganz oder zum Theile vereitelt würde.

XXVII. Hauptstück.

Von dem Strafverfahren in Preßsachen.

§. 483. Für das Verfahren in Preßstrafsachen gelten alle Vorschriften dieser Strafproceßordnung, soweit nicht in den folgenden Paragraphen etwas Abweichendes bestimmt ist.

§. 484. Das Strafrichteramt in Preßsachen steht ausschließlich den Gerichten zu. Zur Verhandlung und Entscheidung sind, wenn es ich um Uebertretungen handelt, die Bezirksgerichte,

(497) in Ansehuung der durch den Inhalt eines Druckwerkes begangenen Verbrechen und Vergehen aber die Geschworenengerichte berufen.

§. 485. Zuständig ist derjenige Gerichtshof erster Instanz, in dessen Sprengel das Verbrechen oder Vergehen begangen wurde, und dasjenige Bezirksgericht, welches am Sitze des Gerichtshofes erster Instanz besteht, in dessen Sprengel die Uebertretung begangen wurde; falls daselbst mehrere Bezirksgerichte bestehen, dasjenige, welches durch besondere Verordnung mit der Strafrechtspflege überhaupt betraut wird.

§. 486. Wird die strafbare Handlung durch den Inhalt einer Druckschrift begangen, so ist, wenn der Druckort bekannt und in dem Gebiete gelegen ist, für welches diese Strafproceßordnung Wirksamkeit hat, stets der Druckort; wenn dieser aber unbekannt oder außerhalb jenes Gebietes gelegen ist, der Ort der Verbreitung in dem letzteren als Thatort anzusehen.

Erscheinen im letzteren Falle mehrere Gerichte für dieselbe Untersuchung zuständig, so entscheidet unter ihnen das Zuvorkommen.

§. 487. Druckschriften, welche gegen die Vorschriften des Preßgesetzes ausgegeben oder verbreitet werden, oder welche ihres Inhaltes wegen im öffentlichen Interesse zu verfolgen sind, können von der Sicherheitsbehörde unmittelbar oder auf Veranlassung des Staatsanwaltes mit Beschlag belegt werden.

In allen anderen Fällen kann der Beschlag nur von dem Gerichte über eine Klage und den darin gestellten Antrag des Privatanklägers angeordnet werden.

Gegen die Verfügung einer vorläufigen Beschlagnahme findet keine abgesonderte Beschwerde statt.

Die von der Sicherheitsbehörde unmittelbar oder auf Veranlassung des Staatsanwaltes vorgenommene Beschlagnahme ist dem Staatsanwalte desjenigen Ortes, wo das zum Strafrichteramte berufene Gericht seinen Sitz hat, binnen vierundzwanzig Stunden unter Anschluß eines Exemplares der Druckschrift anzuzeigen.

§. 488. Hat der Staatsanwalt die Beschlagnahme einer Druckschrift veranlaßt, so hat er binnen drei Tagen, vom Zeitpunkte des ihm angezeigten Vollzuges, bei dem Gerichtshofe erster Instanz, beziehungsweise bei dem Bezirksgerichte (§. 485) um die Bestätigung der Beschlagnahme einzuschreiten.

In jenen Fällen, in welchen die Sicherheitsbehörde die Beschlagnahme unmittelbar verfügt, hat der Staatsanwalt binnen drei Tagen, vom Tage der erhaltenen Anzeige, entweder die Aufhebung der Beschlagnahme durch die Sicherheitsbehörde oder die Bestätigung derselben, wie im vorhergehenden Falle, zu veranlassen.

§. 489. Das Gericht hat binnen drei Tagen die Bestätigung oder Aufhebung der Beschlagnahme auszusprechen. Erfolgt die Bestätigung derselben binnen acht Tagen nach deren Vornahme nicht, so ist, wenn nicht eine von dem Staatsanwalte gegen die Verweigerung der Bestätigung eingebrachte Beschwerde sich im Zuge befindet, die Beschlagnahme erloschen und auf Verlangen der Partei von der Sicherheitsbehörde die Aufhebung derselben sogleich zu verfügen.

Die bestätigte Beschlagnahme bleibt bis zur endgiltigen Entscheidung in der Hauptsache wirksam (§. 490).

Die Nichtbefolgung der Vorschriften des §. 488 oder die Aufhebung der Beschlagnahme hindert jedoch nicht die weitere strafgerichtliche Verfolgung.

§. 490. Innerhalb acht Tagen nach erfolgter Bestätigung der Beschlagnahme hat der Staatsanwalt, insoferne dieß nicht schon geschehen ist, entweder den Antrag auf Führung einer gerichtlichen Voruntersuchung zu stellen oder seine Anklageschrift zu überreichen (§. 91), widrigenfalls die Beschlagnahme erloschen und auf Verlangen der Partei aufzuheben ist.

(498) §. 491. Im Falle der Erlöschung oder Aufhebung einer von der Sicherheitsbehörde unmittelbar oder auf Veranlassung des Staatsanwaltes vorgenommen Beschlagnahme gebührt dem durch diese Beschlagnahme Beschädigten der Ersatz des erweislichen Schadens aus der Staatscasse, jedoch im Falle der ausdrücklichen Aufhebung nur dann, wenn hiebei die Beschlagnahme als weder durch den Inhalt der Druckschrift, noch durch eine Außerachtlassung der in dem Preßgesetze enthaltenen Vorschriften gerechtfertigt erkannt wird. Dieser Ersatzanspruch ist bei sonstigem Verluste innerhalb der nächsten vierzehn Tage bei dem Gerichte nachzuweisen.

Das Gericht hat hierüber nach vorläufiger Vernehmung des Staatsanwaltes unter Vorbehalt der binnen acht Tagen zu überreichenden Beschwerde zu entscheiden.

§. 492. Wird in dem Inhalte einer Druckschrift zwar der Thatbestand einer strafbaren Handlung befunden, jedoch auf Einstellung der Voruntersuchung oder auf Freisprechung des Angeklagten erkannt, so hat das Gericht doch nach Maßgabe der Gesetze die gänzliche oder theilweise Vernichtung der für strafbar erklärten Druckschriften zu verfügen und das Verbot der weiteren Verbreitung derselben auszusprechen.

§. 493. Der Staatsanwalt kann, auch wenn er gegen keine bestimmte Person eine Anklage erhebt, im öffentlichen Interesse begehren, daß das Gericht darüber erkenne, ob der Inhalt einer Druckschrift eine strafbare Handlung begründe, und daß es in diesem Falle das Verbot der weiteren Verbreitung der Druckschrift ausspreche. Hierüber erkennt der Gerichtshof erster Instanz, und wenn es sich um eine Uebertretung handelt, das zuständige Bezirksgericht nach Anhörung des Staatsanwaltes in nicht öffentlicher Sitzung, ohne daß durch ein solches Erkenntniß dem etwa später gegen eine bestimmte Person einzuleitenden Strafverfahren vorgegriffen wird.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes, welche im Falle der Erlassung des Verbotes am Sitze des Gerichtes öffentlich anzuschlagen und durch die amtliche Zeitung kundzumachen ist, kann von jedem Betheiligten binnen acht Tagen nach der Kundmachung der Einspruch erhoben werden, über welchen das Gericht in öffentlicher Sitzung nach Anhörung des Staatsanwaltes und des den Einspruch Erhebenden zu entscheiden hat.

§. 494. Die Beschwerde gegen die nach den §§. 487, 489, 491 und 493 ergehenden Entscheidungen geht, je nachdem sie von den Bezirksgerichten oder den Gerichtshöfen erster Instanz geschöpft wurden, im ersten Falle an den Gerichtshof erster, im zweiten an den Gerichtshof zweiter Instanz. Ein weiterer Rechtszug steht nicht offen.

(499) Inhalts-Verzeichniß

Einführungsgesetz 397

I. Hauptstück.

Allgemeine Bestimmungen 400

II. Hauptstück.

Von den Gerichten 401

I. Bezirksgerichte 401

II. Gerichtshöfe 1. Instanz 401

III. Geschwornengerichte 402

IV. Gerichtshöfe 2. Instanz 402

V. Oberster Gerichtshof als Cassationshof 402

VI. Zusammensetzung und Abstimmung der Richtercollegien 402

VII. Nebenpersonen bei den Gerichten 403

VIII. Verhältniß der Strafgerichte zu anderen Behörden 403

III. Hauptstück.

Von der Staatsanwaltschaft 404

IV. Hauptstück.

Von dem Beschuldigten und seiner Vertheidigung 406

V. Hauptstück.

Von dem Privatankläger und dem Privatbetheiligten 408

VI. Hauptstück.

Von der Zuständigkeit der Strafgerichte und von der Verbindung mehrerer Strafsachen 410

I. Einzelne Gerichtsstände 410

II. Besondere Gerichtsstände 412

III. Befugniß zur Delegirung 412

IV. Streitigkeiten über die Zuständigkeit von Gerichten 412

V. Amtshandlungen nicht zuständiger Gerichte 413

VII. Hauptstück.

Von der Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen und Staatsanwälten 413

I. Ausschließung der Gerichtspersonen 413

II. Ablehnung der Gerichtspersonen 414

III. Ausschließung von Staatsanwälten 414

VIII. Hauptstück.

Von der Bekanntmachung der gerichtlichen Verfügungen und von der Gestattung der Acteneinsicht 415

IX. Hauptstück.

Von der Erforschung strafbarer Handlungen und von den Vorerhebungen über Verbrechen und Vergehen 416

X. Hauptstück.

Von der Voruntersuchung über Verbrechen und Vergehen im Allgemeinen 418

I. Einleitung der Voruntersuchung und Stellung des Untersuchungsrichters in derselben 418

II. Geschäftsgang in der Voruntersuchung 419

III. Einstellung oder Schließung der Voruntersuchung 421

IV: Rechtsmittel gegen Verfügungen des Untersuchungsrichters und der Rathskammer 422

(500) XI. Hauptstück.

Von dem Augenscheine und den Sachverständigen 423

I. Von dem Augenscheine und der Zuziehung von Sachverständigen überhaupt 423

II. Verfahren bei Untersuchungen wegen Tödtungen und Körperverletzungen insbesondere 424

III. Verfahren bei Zweifeln über Geistesstörungen oder über Zurechnungsfähigkeit 426

IV. Prüfung von Handschriften 426

V. Verfahren bei Untersuchungen wegen Verfälschung oder Nachmachung öffentlicher Creditpapiere und bei Münzverfälschungen 426

VI. Verfahren bei Untersuchungen wegen Brandlegungen 427

VII. Verfahren bei Untersuchungen wegen anderer Beschädigungen 427

XII. Hauptstück.

Von der Haus- und Personsdurchsuchung und der Beschlagnahme 427

I. Haus- und Personsdurchsuchung 427

II. Beschlagnahme 428

III. Durchsuchung und Beschlagnahme von Papieren 429

IV. Beschlagnahme und Eröffnung von Briefen und anderen Sendungen 429

XIII. Hauptstück.

Von der Vernehmung der Zeugen 430

XIV. Hauptstück.

Von der Vorladung, Vorführung, vorläufigen Verwahrung und Verhaftung des Beschuldigten 433

I. Vorladung 433

II. Vorführung, vorläufige Verwahrung und ordentliche Untersuchungshaft 433

III. Behandlung der Untersuchungsgefangenen 435

IV. Sicherheitsleistung, Aufhebung der vorläufigen Verwahrung und der Untersuchungshaft 436

XV. Hauptstück.

Von der Vernehmung des Beschuldigten 437

XVI. Hauptstück.

Von der Versetzung in den Anklagestand 439

XVII. Hauptstück.

Von den Vorbereitungen zur Hauptverhandlung 442

XVIII. Hauptstück.

Von der Hauptverhandlung vor den Gerichtshöfen 1. Instanz und von den Rechtsmitteln gegen deren Urtheile 444

I. Hauptverhandlung und Urtheil 444

1. Oeffentlichkeit der Hauptverhandlung 444

2. Amtsverrichtungen des Vorsitzenden und des Gerichtshofes während der Hauptverhandlung 444

3. Beginn der Hauptverhandlung 446

4. Vernehmung des Angeklagten 447

5. Beweisverfahren 447

6. Vorträge der Parteien 449

7. Urtheil des Gerichtshofes 449

8. Verkündung und Ausfertigung des Urtheils 451

9. Protokollführung 452

10. Vertagung der Hauptverhandlung 452

11. Zwischenfälle 453

II. Rechtsmittel gegen das Urtheil 453

1. Verfahren bei Nichtigkeitsbeschwerden 455

2. Verfahren bei Berufungen 457

(501) XIX. Hauptstück.

Von den Geschwornengerichten 458

I. Vom Geschworenengerichte überhaupt 458

II. Bildung der Geschwornenbank 459

III. Hauptverhandlung vor dem Geschwornengerichte 460

1. Beginn der Hauptverhandlung und Beeidigung der Geschwornen 461

2. Beweisverfahren 461

3. Fragestellung an die Geschwornen 461

4. Vorträge der Parteien und des Vorsitzenden 463

5. Berathung und Schlußfassung der Geschwornen 463

6. Ausspruch der Geschwornen 465

7. Weiteres Verfahren und Urtheil des Gerichtshofes 465

IV. Rechtsmittel gegen Urtheile der Geschworenengerichte 467

XX. Hauptstück.

Von der Wiederaufnahme des Strafverfahrens und der Wiedereinsetzung gegen den Ablauf von Fristen 469

I. Wiederaufnahme des Verfahrens 469

II. Wiedereinsetzung gegen den Ablauf von Fristen 472

XXI. Hauptstück.

Von den Erkenntnissen und Verfügungen des Strafgerichtes hinsichtlich der privatrechtlichen Ansprüche 473

XXII. Hauptstück.

Von den Kosten des Strafverfahrens 475

XXIII. Hauptstück.

Von der Vollstreckung der Urtheile 479

XXIV. Hauptstück.

Von dem Verfahren wider Unbekannte, Abwesende und Flüchtige 482

I.. Verfahren gegen Unbekannte, Abwesende oder Flüchtige während der Voruntersuchung 482

II: Verfahren gegen Abwesende und Flüchtige nach dem Schlusse der Voruntersuchung 484

III. Ungehorsamverfahren gegen Abwesende und Flüchtige 484

XXV. Hauptstück.

Von dem standrechtlichen Verfahren 486

I. Einleitung des standrechtlichen Verfahrens 486

II. Verfahren vor dem Standgerichte 487

III. Aufhebung des standrechtlichen Verfahrens 489

XXVI. Hauptstück.

Von dem Verfahren in den Uebertretungsfällen 489

I. Anklage 489

II. Ordentliches Verfahren vor den Bezirksgerichten 489

III. Mandatsverfahren 492

IV. Rechtsmittel gegen Urtheile der Bezirksgerichte 492

V. Vollstreckung der Strafe 496

XXVII. Hauptstück.

Von dem Strafverfahren in Preßsachen 496