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|0007 : [I]|

Syſtem

des

heutigen Römiſchen Rechts

von

Friedrich Carl von Savigny.

Fünfter Band.

Mit K. Bairiſchen und K. Würtembergiſchen Privilegien.

 Berlin.

Bei Veit und Comp.

1841.

 

|0008 : [II]|

|0009 : [III]|

Inhalt des fünften Bandes.

Zweytes Buch. Die Rechtsverhältniſſe.

Viertes Kapitel. Verletzung der Rechte.

§. 204. Einleitung 1

§. 205. Klage 4

§. 206. Arten der Klagen. In personam, in rem 11

§. 207. Arten der Klagen. In personam, in rem. (Fortſ.) 17

§. 208. Arten der Klagen. In personam, in rem. (Fortſ.) 23

§. 209. Arten der Klagen. In personam, in rem. (Fortſ.) 28

§. 210. Arten der Klagen. Pönalklagen 37

§. 211. Arten der Klagen. Pönalklagen. (Fortſetzung.) 44

§. 212. Arten der Klagen. Pönalklagen. (Fortſetzung.) 55

§. 213. Arten d. K. Civiles, honor, Ordinariae, extraord. 61

§. 214. Arten der Klagen. Beſtandtheile der formula 67

§. 215. Arten der K. Directae, utiles. Certa, incerta form. 70

§. 216. Arten der Klagen. In jus, in factum conceptae 78

|0010 : IV|

Inhalt des fünften Bandes.

§. 217. Arten d. K. In jus, in factum conceptae, (Fortſ.) 91

§. 218. Arten der Klagen. Iudicia, arbitria. Stricti juris,

bonae fidei 101

§. 219. Arten der Klagen. Stricti juris (Condictiones),

bonae fidei 107

§. 220. Arten der Klagen. Stricti juris (Condictiones),

bonae fidei. (Fortſ.) 114

§. 221. Arten der Klagen. Arbitrariae actiones 119

§. 222. Arten der Klagen. Arbitrariae actiones. (Fortſ.) 125

§. 223. Arten der Klagen. Arbitrariae actiones. (Fortſ.) 130

§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung 136

§. 225. Vertheidigung d. Beklagten. Einleitung. Duplexactio. 150

§. 226. Exceptionen. Form. Geſchichte 160

§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten 169

§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten 179

§. 229. Replicationen, Duplicationen u. ſ. w. 189

§. 230. Aufhebung des Klagrechts. Überſicht. I. Tod 196

§. 231. Aufhebung des Klagrechts. II. Concurrenz. Einlei-

tung. Terminologie 204

§. 232. Aufhebung. II. Concurrenz. Erſte Klaſſe. Vollſtän-

dige Concurrenz 214

§. 233. Aufhebung. II. Concurrenz. Zweyte Klaſſe. Par-

tielle Concurrenz 222

§. 234. Aufhebung. II. Concurrenz. Dritte Klaſſe. Keine

Concurrenz 232

|0011 : V|

Inhalt des fünften Bandes.

§. 235. Aufhebung. II. Concurrenz. Gemeinſame Betrach-

tungen 252

§. 236. Aufhebung. II. Concurrenz. Gemeinſame Betrach-

tungen. (Fortſ.) 259

§. 237. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Ein-

leitung 265

§. 238. Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Ge-

ſchichte 273

§. 239. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. a. Actio

nata 280

§. 240. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. a. Actio

nata. (Fortſ.) 289

§. 241. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. a. Actio

nata. (Fortſ.) 299

§. 242. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. b. Un-

unterbrochene Verſäumniß 312

§. 243. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. b. Un-

unterbrochene Verſäumniß. (Fortſ.) 319

§. 244. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. c. Bona

fides 326

§. 245. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. c. Bona

fides. (Fortſ.) 335

§. 246. Aufhebung. III. Verjährung. Bedingungen. c. Bona

fides. (Fortſ.) 342

§. 247. Aufhebung. III. Verjähr. Bedingungen. d. Zeitablauf. 352

|0012 : VI|

Inhalt des fünften Bandes.

§. 248. Aufhebung. III. Verjährung. Wirkung 366

§. 249. Aufhebung. III. Verjährung. Wirkung. (Fortſ.) 374

§. 250. Aufhebung. III. Verjährung. Wirkung. (Fortſ.) 384

§. 251. Aufhebung. III. Verjährung. Wirkung. (Fortſ.) 397

§. 252. Aufhebung. III. Verjährung. Ausnahmen 408

§. 253. Aufhebung. III. Verjährung. Anwendung auf Ex-

ceptionen 413

§. 254. Aufhebung. III. Verjährung. Anwendung auf Ex-

ceptionen. (Fortſ.) 419

§. 255. Aufhebung. III. Verjährung. Anwendung auf Ex-

ceptionen. (Fortſ.) 429

Beylage XII. Quanti res est 441

Beylage XIII. Stricti juris, bonae fidei actiones 461

Beylage XIV. Die Condictionen 503

Nachtrag zu § 218 643

|0013|

|0014|

|0015 : [1]|

Viertes Kapitel.

Verletzung der Rechte.

§. 204.

Einleitung.

Bisher wurden die Rechte an ſich betrachtet, als die

nothwendigen Bedingungen des Zuſammenlebens freyer

Weſen (§ 52). In dem durch die Rechtsregeln beherrſch-

ten Leben beſteht die Rechtsordnung, welche mithin durch

Freyheit hervorgebracht und erhalten wird. Indem wir

aber das Weſen derſelben in die Freyheit ſetzen, müſſen

wir zugleich die Möglichkeit einer freyen Gegenwirkung

hinzu denken, alſo einer Rechtsverletzung, welche die Stö-

rung jener Rechtsordnung iſt.

 

Aus dieſer Möglichkeit der Rechtsverletzung entwickelt

ſich das Bedürfniß folgender Reihe neuer Rechtsinſtitute,

die wir mit einem gemeinſchaftlichen Namen als Schutz-

anſtalten für die Rechtsordnung bezeichnen können:

 

1) Die Gerichtsbarkeit, als Beſtandtheil des Staats-

rechts.

2) Die Strafe, als Inhalt des Criminalrechts.

V. 1

|0016 : 2|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

3) Die auf die Herſtellung des geſtörten Rechtszuſtan-

des abzweckenden Formen, als Inhalt des Prozeßrechts.

Alle dieſe aus der Rückſicht auf die Verletzung hervor-

gehende Rechtsinſtitute liegen außer dem Kreiſe unſrer

gegenwärtigen Betrachtung (a). Dagegen gehört zu den-

ſelben eine andere Klaſſe von Rechtsinſtituten, die gleich-

falls in der Rechtsverletzung ihre Entſtehung haben. In-

dem wir ein Recht in der beſonderen Beziehung auf die

Verletzung deſſelben betrachten, erſcheint es uns in einer

neuen Geſtalt, im Zuſtand der Vertheidigung. Theils die

Verletzung, theils die zur Bekämpfung derſelben beſtimmten

Anſtalten, äußern eine Rückwirkung auf den Inhalt und

das Daſeyn des Rechts ſelbſt, und die Reihe von Verän-

derungen, die auf dieſe Weiſe in ihm entſteht, faſſe ich

zuſammen unter dem Namen des Actionenrechts.

 

Die erwähnten Veränderungen werden bei jedem ein-

zelnen Rechtsinſtitut auf eine ihm eigenthümliche Weiſe

erſcheinen; ihnen allen aber muß etwas Gemeinſames zum

Grunde liegen, ohne welches jene eigenthümliche Erſchei-

nungen nicht verſtanden werden können. Aus dieſer Be-

trachtung ergiebt ſich die natürliche Unterſcheidung eines

 

(a) Vgl. oben § 1. — Indem

hier dieſe Abſonderung im Allge-

meinen geltend gemacht wird, ſoll

damit keinesweges das abſolute

Daſeyn einer ſcharfen Gränze und

die Nothwendigkeit ihrer ſtrengen

Beobachtung behauptet werden.

Der Prozeß insbeſondere, und das

hier abzuhandelnde Actionenrecht,

ſtehen in ſo enger Verbindung, daß

es dem Urtheil eines jeden Bear-

beiters der einen oder andern Diſ-

ciplin überlaſſen bleiben muß, wie

viel er von dieſem Gränzgebiet zur

vollſtändigen Entwicklung ſeiner

Gedanken in Beſitz zu nehmen nö-

thig findet.

|0017 : 3|

§. 204. Einleitung.

allgemeinen und eines beſonderen Actionenrechts. So zum

Beyſpiel iſt die hypothecaria actio die beſondere Geſtalt,

worin das Pfandrecht in Folge einer Verletzung erſcheint,

und es gehört dazu namentlich eine ſehr eigenthümlich be-

ſtimmte Klagverjährung; es iſt aber nicht möglich, dieſe

beſondere Lehre zu verſtehen, wenn nicht die allgemeine

Natur der Klage und der Klagverjährung zuvor erkannt

worden iſt. Das, was ich hier als das beſondere Actio-

nenrecht bezeichnet habe, kann nur ſtückweiſe, in Verbindung

mit den einzelnen Rechtsinſtituten worauf es ſich jedesmal

bezieht, zweckmäßig mitgetheilt werden; die Darſtellung des

allgemeinen Actionenrechts iſt die Aufgabe des gegenwär-

tigen Kapitels.

Manche haben die Klagenrechte als eine ſelbſtſtändige

Klaſſe von Rechten, auf gleicher Linie ſtehend mit den

Rechten der Familie, dem Eigenthum u. ſ. w., anſehen

wollen, und es muß hier an den Widerſpruch erinnert

werden, der ſchon oben (§ 59) gegen dieſe Auffaſſung er-

hoben worden iſt. Es gehören vielmehr dieſe Rechte nur

zu dem Entwicklungsprozeß oder der Metamorphoſe, die

in jedem ſelbſtſtändigen Rechte eintreten kann, und ſie ſte-

hen daher auf gleicher Linie mit der Entſtehung und dem

Untergang der Rechte, welche gleichfalls nur als einzelne

Momente in dem Lebensprozeß der Rechte, nicht als Rechte

für ſich, aufgefaßt werden dürfen.

 

Die Veränderungen der Rechte, welche nunmehr dar-

geſtellt werden ſollen, zerfallen in zwey Klaſſen.

 

1*

|0018 : 4|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Einige derſelben entſtehen aus der bloßen Thatſache

der Verletzung ſelbſt; dahin gehört die Lehre von den Kla-

gen, den Exceptionen, und den weiteren Entwicklungen der

hierin enthaltenen Gegenſätze.

 

Andere entſtehen erſt durch die in den Rechtsſtreit ein-

greifenden, zur Abwendung der Verletzung beſtimmten Hand-

lungen. Die Litisconteſtation und das Urtheil ſind die ein-

flußreichſten unter dieſen Handlungen.

 

Die erſte Klaſſe macht den Inhalt des gegenwärtigen

Bandes aus, die zweyte wird in dem folgenden Band be-

handelt werden.

 

§. 205.

Klage (a).

Die beſondere Geſtalt, welche jedes Recht in Folge

einer Verletzung annimmt, zeigt ſich zunächſt in folgender

Weiſe. Unſere Rechte überhaupt beziehen ſich theils auf

alle uns gegenüber ſtehende Menſchen, theils auf beſtimmte

 

(a) Ich will hier gleich im Ein-

gang einige Schriften über dieſen

Gegenſtand namhaft machen, um

ſie im Lauf dieſer Unterſuchung be-

quemer anführen zu können. Du-

roi spec. observ. de j. in re

Heidelb. 1812. 8. Düroi Be-

merkungen über actio in rem und

a. in personam, Archiv B. 6.

S. 252—310, 386—440 (1823).

Gans über Römiſches Obliga-

tionenrecht Heidelberg 1819. 8.

Haſſe (der jüngere) über das

Weſen der actio, Rhein. Muſeum

B. 5 S. 1—86. 154—205 (1833).

Huschke progr. de actionum

formulis quae in lege Rubria

exstant. Vratislav. 1832. 4. —

Es muß dabey bemerkt werden, daß

bey Erſcheinung der erſten Schrift

von Düroi, ſo wie der Schrift

von Gans, Gajus noch nicht her-

ausgegeben war, weshalb das Gute

in dieſen Schriften verdienſtlicher,

das Irrige ſchuldloſer iſt.

|0019 : 5|

§. 205. Klage.

Individuen (§ 58), und dieſen letzten Character tragen am

Entſchiedenſten die Obligationen an ſich. Die Verletzung

unſrer Rechte aber iſt nur denkbar als Thätigkeit eines

beſtimmten Verletzers, zu welchem wir dadurch in ein ei-

genes, neues Rechtsverhältniß treten; der Inhalt dieſes

Verhältniſſes läßt ſich im Allgemeinen dahin beſtimmen, daß

wir von dieſem Gegner die Aufhebung der Verletzung for-

dern. Dieſer Anſpruch gegen eine beſtimmte Perſon und

auf eine beſtimmte Handlung hat demnach eine den Obli-

gationen ähnliche Natur (§ 56); der Verletzte und der Ver-

letzer, oder der Kläger und der Beklagte, ſtehen einander

gegenüber wie ein Glaubiger und ein Schuldner. So lange

jedoch dieſes neue Verhältniß in den Gränzen einer bloßen

Möglichkeit bleibt, und noch nicht zu einer beſtimmten

Thätigkeit des Verletzten geführt hat, können wir es nicht

als eine wahre, vollendete Obligation anſehen; es iſt viel-

mehr erſt der Keim einer ſolchen, der jedoch auf dem Wege

natürlicher Entwicklung in eine wahre Obligation übergeht.

Das hier beſchriebene, aus der Rechtsverletzung ent-

ſpringende Verhältniß heißt Klagrecht oder auch Klage,

wenn man dieſen Ausdruck auf die bloße Befugniß des

Verletzten bezieht; denn allerdings wird derſelbe auch ge-

braucht, um die in beſtimmter Form erſcheinende wirkliche

Thaͤtigkeit des Verletzten zu bezeichnen, in welchem Sinn

der Ausdruck die Klaghandlung bezeichnet, alſo (unter Vor-

ausſetzung des ſchriftlichen Prozeſſes) mit Klagſchrift oder

Klaglibell gleichbedeutend iſt. Hier kann blos von der

 

|0020 : 6|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Klage in jener erſten (materiellen) Bedeutung die Rede

ſeyn, alſo von dem Klagrecht; die Klage in der zweyten

(formellen) Bedeutung, oder die Klaghandlung, mit ihren

Bedingungen und Formen, gehört in die Lehre vom Prozeß.

Von dieſem allgemeinen Standpunkt aus laſſen ſich

zwey Bedingungen angeben, die bey jeder Klage voraus-

geſetzt werden: ein Recht an ſich, und eine Verletzung deſ-

ſelben. Fehlt das erſte, ſo iſt eine Rechtsverletzung un-

denkbar; fehlt die zweyte, ſo kann das Recht nicht die

beſondere Geſtalt einer Klage annehmen: es iſt nicht actio

nata, nach dem von neueren Juriſten eingeführten, richtig

bezeichnenden Ausdruck. Die Rechtsverletzung aber kann

wiederum in verſchiedenen Geſtalten erſcheinen, welche in

der Wirklichkeit oft in einander greifen oder auch unent-

ſchieden bleiben mögen. Es kann nämlich bald das Daſeyn

des Rechts oder der Verletzung von dem Gegner verneint,

bald auch ein blos factiſcher Eingriff in das unbeſtrittene

Recht eines Andern verſucht werden.

 

In dieſer ganzen Unterſuchung iſt eine genaue Feſt-

ſtellung des Römiſchen Sprachgebrauchs unentbehrlich.

Manche werden glauben, daß darauf hier zu großes Ge-

wicht gelegt ſey; wer aber unbefangen erwägt, wie viel

Unklarheit und Irrthum bey vielen Schriftſtellern lediglich

aus der Verſäumniß dieſer Grundlage entſprungen iſt, der

wird die hierauf verwendete Arbeit nicht fruchtlos finden.

 

In Beziehung auf die Klagen und ihre Bezeichnung müſ-

ſen wir im Römiſchen Recht drey Zeiträume unterſcheiden.

 

|0021 : 7|

§. 205. Klage.

In der älteſten Zeit iſt allein von der Legis actio die

Rede, und dieſer Ausdruck hat eine überwiegend formelle

Bedeutung. Er bezeichnet die zur Abwehr der Verletzung

anzuwendende Thätigkeit, welche theils in ſymboliſchen

Handlungen, theils in beſtimmt vorgeſchriebenen wörtlichen

Formeln beſtand.

 

Nachdem die Legis actiones (mit geringen Ausnahmen)

abgeſchafft waren, wurden die formulae Grundlage der

ganzen Rechtsverfolgung (b). Dieſer Zuſtand dauerte ſo

lange als der ordo judiciorum privatorum, beſtand alſo

namentlich zu der Zeit, worin die juriſtiſchen Schriftſteller

lebten. Hier wurde vorzugsweiſe actio für die materielle

Bedeutung der Klage, formula für die formelle gebraucht (c),

jedoch ſo daß die Ausdrücke nicht immer ſtreng aus ein-

ander gehalten wurden.

 

Seit der Aufhebung des ordo judiciorum, das heißt

 

(b) Gajus IV. § 30 „ .. per

legem Aebutiam et duas Julias

sublatae sunt istae legis actio-

nes, effectumque est, ut per

concepta verba, id est per for-

mulas, litigaremus.” — Es würde

ein großer Irrthum ſeyn, wenn

man glauben wollte, zur Zeit der

Legis actiones ſeyen keine feyer-

liche verba, alſo keine formulae,

gebraucht worden; davon ſagt Ga-

jus II. § 24. IV. § 16. 21. 24

gerade das Gegentheil. Der Un-

terſchied war der, daß man früher

ſymboliſche Handlungen vermiſcht

mit verba gebrauchte, ſpäter ſolche

verba allein, und zwar in neuer,

zeitgemäßer Abfaſſung; dieſe neuen,

allein ſtehenden, verba werden nun-

mehr ausſchließend mit dem Namen

formulae belegt, weil man keinen

ſpecielleren Namen dafür hatte.

Zugleich führt nun dieſer Ausdruck

noch den Nebenbegriff einer vom

Prätor an den Judex gerichteten,

und zwar ſchriftlich von ihm ab-

gefaßten, Anweiſung (concepta

verba) mit ſich, wodurch er in

einen noch ſchärferen Gegenſatz ge-

gen die alten, in den Legis actio-

nes enthaltenen, Formulare trat.

(c) Dieſes iſt der im vierten Buch

des Gajus herrſchende Sprachge-

brauch.

|0022 : 8|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

etwa von Conſtantin an, hat die formula mit ihren ein-

zelnen Theilen keine Bedeutung mehr, während die actiones

eben ſo wie früher vorkommen. In dieſem Sinn ſind die

Auszüge aus den früheren juriſtiſchen Schriftſtellern ge-

macht worden, aus welchen Juſtinians Digeſten beſtehen (d),

und dieſelbe Umarbeitung der Inſtitutionen des Gajus fin-

det ſich in Juſtinians Inſtitutionen.

Was nun das Wort actio betrifft, ſo war der Sprach-

gebrauch ſchon bey den alten Juriſten ſchwankend. Nach

Papinian heißt actio nur die Klage in personam, die in

rem heißt petitio, beide zuſammen persecutio (e). Aus

derſelben engeren Bedeutung iſt es zu erklären, daß die

Klage aus dem Erbrecht petitio hereditatis (nicht actio)

heißt. Ulpian dagegen unterſcheidet wörtlich eine ſpecielle

und eine generelle Bedeutung des Ausdrucks; die ſpecielle

iſt ihm dieſelbe wie bey Papinian, die generelle umfaßt

auch die in rem: persecutio nennt er die extraordinaria

cognitio, die ohne Judex durchgeführt wurde (f). In an-

 

(d) Wir haben alſo durchaus

keinen Grund, die unzähligen Di-

geſtenſtellen, welche von actiones

im Allgemeinen, oder von einzelnen

actiones, reden, für interpolirt zu

halten; dagegen ſind diejenigen

Stellen der alten Juriſten, welche

von der formula, intentio, con-

demnatio u. ſ. w. redeten, bis

auf wenige Spuren, bey der Ab-

faſſung der Digeſten weggelaſſen

worden.

(e) L. 28 de O. et A. (44. 7.).

(f) L. 178 § 2. 3 de V. S.

(50. 16.) (der § 3 freylich rechnet

auch die persecutio unter die

actiones). Dieſe Stelle hängt

durch die Inſcription zuſammen

mit L. 2 de hered. vel act.

vend. (18. 4.), worin die Frage

abgehandelt wird, welche Rechte,

und namentlich welche Klagen, der

Verkäufer einer Erbſchaft auf den

Käufer übertragen müſſe. Aus

dieſer größeren Stelle wurden die-

jenigen Stücke ausgehoben, welche

|0023 : 9|

§. 205. Klage.

deren Stellen nimmt er den Ausdruck bald in der engeren

Bedeutung (g), bald in der weiteren (h). Paulus dehnt

den Ausdruck auch auf die persecutio aus (i). Ganz un-

richtig nun würde es ſeyn, dieſe Ausdehnung des Sprach-

gebrauchs erſt nach Papinian annehmen zu wollen. Viel-

mehr zerlegt ſchon Gajus den Gattungsbegriff actio in

zwey Arten, in personam und in rem actio (k), bey wel-

cher Eintheilung offenbar ſchon der ausgedehntere Sprach-

gebrauch zum Grunde liegt. Hieraus iſt es einleuchtend,

daß der Sprachgebrauch lange Zeit hindurch geſchwankt

hat; jedoch darf dieſes nicht durchaus als Erzeugniß blo-

ßer Willkühr und gänzlicher Gleichgültigkeit gegen feſten

Sprachgebrauch angeſehen werden. Könnten wir die an-

geführten Stellen in ihrem urſprünglichen Zuſammenhang

als Worterklärungen dienen konn-

ten, und in den Titel de verbo-

rum significatione geſetzt. Dem

Inhalt nach hängen die angeführ-

ten §§ 2. und 3 zuſammen mit

L. 2 § 8 cit., ſo wie L. 178 § 1

cit. mit L. 2 § 1. 3. 9 cit. Auch

in L. 2 § 3 cit. wird die perse-

cutio von den actiones wörtlich

unterſchieden. — Übereinſtimmend

mit dem engeren Sprachgebrauch,

welchen Ulpian in L. 178 § 2 cit.

bezeichnet, iſt eine andere Stelle

deſſelben Juriſten, L. 49 eod.

(g) L. 35 § 2 L. 39 pr. de

proc. (3. 3.), worin er die actio

entgegenſetzt den Präjudicien, In-

terdicten, und prätoriſchen Stipu-

lationen. Eben ſo L. 68 de R.

V. (6, 1.), wo er die Interdicte

den Actionen entgegenſetzt.

(h) L. 37 pr. de O. et A.

(44. 7.). Hier ſagt er, unter dem

Namen actio ſeyen begriffen die

in rem, in personam, directae,

utiles, ferner die Präjudicien, In-

terdicte, und prätoriſchen Stipula-

tionen. Eben ſo in L. 25 pr. eod.

und in den weiter unten in § 206.

c. angeführten Stellen, worin über-

all von in rem actiones die

Rede iſt.

(i) L. 34 de V. S. (50. 16.).

— In L. 14 § 2 de exc. rei jud.

(44. 2.). ſpricht er von in rem

actiones.

(k) Gajus IV. § 1. vgl. IV.

§ 100. 106. 107.

|0024 : 10|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

leſen, ſo würde es daraus vielleicht klar werden, warum

die Verfaſſer derſelben den Ausdruck bald enger, bald wei-

ter gebraucht haben.

Die Definition der actio, die der Juriſt Celſus auf-

ſtellt (l), und die mit geringer Abänderung in Juſtinians

Inſtitutionen übergegangen iſt (m), beſtimmt den Ausdruck

in der engeren Bedeutung, ſo daß er blos die perſönlichen

Klagen bezeichnet. Es würde aber, nach den angeführten

Gründen, unrichtig ſeyn, hieraus ſchließen zu wollen, daß

zur Zeit des Celſus dieſer engere Sprachgebrauch aus-

ſchließend angewendet worden wäre. Noch irriger jedoch

wäre es, die Aufnahme dieſer Stelle in die Inſtitutionen

ſo aufzufaſſen, als wollte dadurch Juſtinian die engere

Bedeutung für die wahre und richtige erklären; dieſer

Annahme würde ſchon die unmittelbar nachher folgende,

mit Gajus übereinſtimmende, Eintheilung (in rem, in per-

sonam) widerſprechen. Man kann es nicht einmal einen

Fehler nennen, daß dieſe Definition an die Spitze des

Inſtitutionentitels geſetzt worden iſt, da die außerdem ver-

änderte Bedeutung der darin vorkommenden Worte jedem

 

(l) L 51 de O. et A. (44. 7.)

„Nihil aliud est actio, quam

jus, quod sibi debeatur, judieio

persequendi.” Das deberi, im

ſtrengen Sinn der alten Juriſten,

bezeichnet die obligatio als Grund

der Klage, und ſchließt alſo die

Klage in rem aus. Judicio aber

bezeichnet den Prozeß vor einem

Judex, alſo den Gegenſatz der

extraordinariae cognitiones.

(m) pr. J. de act. (4. 6.)

„Actio autem nihil aliud est,

quam jus persequendi judicio,

quod sibi debetur.” Die häufig

vorkommende Variante in judicio

können wir hier auf ſich beruhen

laſſen, da ſie den Sinn gar nicht

ändert.

|0025 : 11|

§. 206. In personam, in rem actiones.

an ſich möglichen Mißverſtändniß vorbeugt. Denn judi-

cium heißt im Juſtinianiſchen Recht nicht mehr der Pro-

zeß vor einem Judex, ſondern jedes Gericht und jeder

Rechtsſtreit überhaupt; und auch der Ausdruck quod sibi

debetur kann in dieſem Zuſammenhang füglich von Allem,

was man zu erwarten und zu verlangen hat, verſtanden

werden, ohne ausſchließende Beziehung auf eine Obligation

als Grund des Verlangens.

Bisher iſt der verſchiedene Sprachgebrauch als bloße

Thatſache nachgewieſen worden. Der Grund deſſelben liegt

darin, daß lange Zeit überhaupt keine andere Klagen vor-

kamen, als in personam, in welcher Zeit auch der Name

actio mit dieſen identiſch ſeyn mußte. Als ſpäterhin auch

eigene Klagen in rem eingeführt wurden, gebrauchte man

für dieſe zuerſt den unterſcheidenden Namen petitio, bis

man es gerathener fand, den Ausdruck actio ſo auszudeh-

nen, daß beiderley Klagen als Arten unter einen gemein-

ſchaftlichen Gattungsbegriff zuſammen gefaßt werden konn-

ten. Dieſer hiſtoriſche Zuſammenhang kann erſt in Ver-

bindung mit der nun folgenden Eintheilung der Klagen

nachgewieſen werden.

 

§. 206.

Arten der Klagen. In personam, in rem.

Die Arten der Klagen, deren genaue Unterſcheidung

allein im Stande iſt, der in dieſer Lehre häufig wahrzu-

nehmenden Verworrenheit abzuhelfen, haben eine verſchie-

 

|0026 : 12|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

dene Natur, je nach den Eintheilungsgründen, worauf der

Gegenſatz derſelben beruht. Einige beziehen ſich auf das

innere Weſen der Klagen ſelbſt, das heißt auf ihre Ver-

bindung mit den dadurch zu ſchützenden Rechten: dieſe ſind

nicht nur für das Verſtändniß der Rechtsquellen, ſondern

auch für die Einſicht in das heutige Rechtsſyſtem wichtig.

Andere beziehen ſich auf die Römiſche Prozeßform, und

haben deshalb eine mehr hiſtoriſche Natur; in dem heuti-

gen Rechtsſyſtem haben ſie kein lebendiges Daſeyn, ohne

ihre Kenntniß, ſind aber unſre Rechtsquellen nicht zu ver-

ſtehen, und es iſt aus dieſem Grunde räthlich, bei mehre-

ren dieſer Eintheilungen auch die auf ſie bezüglichen Kunſt-

ausdrücke fortwährend in Uebung zu erhalten (§ 224). Es

darf jedoch dieſer Unterſchied nicht zu abſolut aufgefaßt

werden, indem es in der erſten Klaſſe von Eintheilungen an

hiſtoriſchen Beziehungen, in der zweiten an praktiſchen,

nicht gänzlich fehlt, ſo daß der Unterſchied dieſer Klaſſen

ſelbſt nur auf dem in jeder derſelben überwiegenden Ele-

ment beruht.

Die wichtigſte Eintheilung der Klagen nach ihrem in-

neren Weſen iſt die: in personam, in rem actio. Dieſe

Eintheilung wird in der ausführlichſten Stelle, die wir

darüber beſitzen, in folgenden Worten vorgetragen (a).

 

(a) Dieſe Stelle iſt nicht aus

den Inſtitutionen des Gajus ge-

nommen, wir kennen auch keine

andere Stelle eines alten Juriſten,

woraus ſie herſtammt. Dennoch

würde es ganz irrig ſeyn, ihre Ab-

faſſung deshalb den Compilatoren

zuzuſchreiben. Daß ſie in der That

von einem alten Juriſten herrührt,

iſt nach mehreren Ausdrücken un-

|0027 : 13|

§. 206. In personam, in rem actiones.

§ 1 I. de actionibus. (4. 6.)

Omnium actionum, quibus inter aliquos apud judi-

ces arbitrosve de quacunque re quaeritur, summa

divisio in duo genera deducitur: aut enim in rem

sunt, aut in personam. Namque agit unusquisque

aut cum eo qui ei obligatus est, vel ex contractu

vel ex maleficio, quo casu proditae sunt actiones in

personam, per quas intendit adversarium ei dare aut

facere oportere et aliis quibusdam modis: aut cum

eo agit qui nullo jure ei obligatus est, movet tamen

alicui de aliqua re controversiam: quo casu proditae

actiones in rem sunt, veluti si rem corporalem pos-

sideat quis, quam Titius suam esse affirmet, et pos-

sessor dominum se esse dicat: nam si Titius suam

esse intendat, in rem actio est.

In dieſer merkwürdigen Stelle ſind folgende einzelne

Sätze enthalten. Zuerſt wird die Eintheilung für eine all-

gemeine, alle Klagen umfaſſende (omnium actionum summa

divisio) erklärt, ſo daß alſo keine Klage anzunehmen iſt,

die nicht entweder der einen oder der andern Art zuzurech-

nen wäre. Ferner bezeichnen dieſe Ausdrücke gleichmäßig

 

verkennbar. Denn wie hätten Ju-

ſtinians Juriſten darauf kommen

ſollen, in einer neu verfaßten Stelle

zu ſagen: apud judices arbi-

trosve, oder die intentio: dare

facere oportere, und suam rem

esse zu erwähnen, in einer Zeit

worin die Obrigkeit keine judices

mehr ernannte und alſo auch keine

formula mit einer intentio mehr

vorkam. Daß ſolche Ausdrücke aus

einem alten Juriſten mit abge-

ſchrieben wurden, erſchien hier den

Compilatoren ſo wenig anſtößig,

wie in unzähligen anderen Stellen.

|0028 : 14|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

generiſche, alſo unter einander gleichartige Begriffe, ſo

daß nicht blos ſcheinbar, in Folge einer zufälligen, unge-

nauen Ausdrucksweiſe, ſondern in der That, von zwei Ar-

ten derſelben Gattung die Rede iſt. Endlich wird der Ge-

genſatz beider Arten dahin beſtimmt: in personam heißt die

zum Schutz einer obligatio, in rem die zum Schutz irgend

eines anderen, außer den Gränzen der obligationes liegen-

den, Rechts eingeführte Klage.

Mit dieſer Erklärung ſtimmt nun im Weſentlichen über-

ein die, allerdings viel kürzere, Stelle des Gajus.

 

Gajus IV § 1. 2. 3. (Si quaeramus) quot genera ac-

tionum sint, verius videtur duo esse, in rem et in

personam. .... In personam actio est, quotiens

cum aliquo agimus, qui nobis vel ex contractu, vel

ex delicto obligatus est, id est cum intendimus dare,

facere, praestare oportere. In rem actio est, cum aut

corporalem rem intendimus nostram esse, aut jus

aliquod nobis competere …

Auch hier wird die Eintheilung als eine allgemeine

vorgetragen, weshalb noch beſonders im § 1 dagegen ge-

warnt wird, dieſe genera actionum nicht mit einzelnen

speeies zu verwechſeln. Beide Ausdrücke bezeichnen auch

hier wahrhaft generiſche Begriffe, eigentliche Eintheilungs-

glieder, womit noch mehrere andere Stellen des Gajus

übereinſtimmen (b). Endlich wird die Gränze beider Ar-

ten völlig eben ſo, wie bei Juſtinian, beſtimmt.

 

(b) Gajus IV § 17. 100. 106. 107.

|0029 : 15|

§. 206. In personam, in rem actiones.

Ganz auf ähnliche Weiſe redet Ulpian.

 

L. 25 pr. de O. et A. (44. 7.).

Actionum genera sunt duo: in rem, quae dicitur

vindicatio, et in personam, quae condictio appellatur.

Außerdem aber wird dieſelbe Eintheilung der Klagen in

vielen anderen Stellen des Ulpian und des Paulus als

bekannt vorausgeſetzt und auf vielfache Weiſe angewendet (c).

 

Man könnte glauben, dieſe Natur der vorgetragenen

Eintheilung ſei hier mit überflüſſiger Sorgfalt zu bewei-

ſen geſucht worden, da dieſelbe ohnehin nicht bezweifelt

werde; es iſt aber gerade deshalb geſchehen, weil ſie neu-

erlich mit großem Aufwand von Scharfſinn beſtritten wor-

den iſt (d). Im geraden Widerſpruch mit der gewöhnli-

chen, auch von mir vorgetragenen, Lehre iſt nämlich fol-

gende Anſicht aufgeſtellt worden. Urſprünglich ſollen die

Ausdrücke in rem, in personam actio zwei ganz hetero-

gene Begriffe bezeichnet haben: in rem eine einzelne Klage

(die Eigenthumsklage), die nur auf einige andere einzelne

Fälle nach und nach ausgedehnt worden ſey: in personam

gleich Anfangs eine ganze Klaſſe von Klagen. Erſt Ju-

ſtinian habe den Ausdrücken die Bedeutung von zwey ho-

mogenen Klaſſen der Klagen, Eintheilungsgliedern des all-

gemeinen Begriffs der Klage, untergelegt, und ſo ſey die

ganze Eintheilung eigentlich erſt als ſein Werk anzuſehen.

 

(c) Ulpian: L. 68 de R. V.

(6. 1.), L. 6 § 5 de aqua pluv.

(39. 3), L. 37 pr. de O. et A.

(44. 7), L. 36 de V. S. (50. 16.).

— Paulus: L. 14 § 2 de except.

rei jud. (44. 2.).

(d) Duroi Bemerkungen S. 407.

409. 412. 423.

|0030 : 16|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

— Dieſe Behauptung wird widerlegt durch den eben ge-

führten Beweis, daß die entſcheidende Stelle der Inſtitu-

tionen aus einem alten Juriſten herrührt (Note a), und

daß Gajus, Ulpian und Panlus die Begriffe ganz auf

dieſelbe Weiſe auffaſſen, wie es in Juſtinians Inſtitutio-

nen geſchieht. Erſt weiter unten aber wird es möglich

ſeyn, das wahre Element in dieſer irrigen Meynung nach-

zuweiſen, und dadurch den beygemiſchten Irrthum voll-

ſtändiger zur Anſchauung zu bringen.

Als gleichbedeutender Ausdruck für in rem actio kommt

vindicatio vor, bey Gajus, Ulpian, Juſtinian (e). Für

in personam actio bey Ulpian und Juſtinian condictio (f),

bey Ulpian personalis actio (g).

 

Beide Begriffe ſind nun noch genauer auf folgende

Weiſe zu beſtimmen. Es kommt darauf an, ob vor dem

vollſtändig eingeleiteten Rechtsſtreit (vor der Litiscon-

teſtation) eine eigentliche Obligation wahrgenommen

wird oder nicht; im erſten Fall iſt die Klage in personam,

im zweyten in rem. Das Daſeyn oder Nichtdaſeyn einer

Obligation vor der Verletzung iſt alſo nicht das ſtreng

unterſcheidende Moment. So iſt zwar bey den Contracts-

 

(e) Gajus IV § 5, L. 25 pr.

de O. et A. (44. 7.), § 15 J. de

act. (4. 6.).

(f) L. 25 pr. de O. et A.

(44. 7.), § 15 J. de act. (4. 6.).

Daß Gajus condictio mit in

personam actio nicht gleichbedeu-

tend nimmt, ſondern jenem Aus-

druck eine weit engere Bedeutung

beylegt, kann erſt weiter unten ge-

zeigt werden. Vgl. Beylage XIV.

Num. XXV.

(g) L. 3 § 3 ad exhib. (10. 4),

L. 6 § 5 de aqua pluv. (39. 3),

L. 178 § 2 de V. S. (50. 16.) —

Realis dagegen kommt nirgend vor,

weder bey Juriſten, noch bey an-

deren alten Schriftſtellern.

|0031 : 17|

§. 207. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)

klagen eine Obligation nicht nur vor der Litisconteſtation,

ſondern ſelbſt vor der Verletzung, vorhanden, dagegen bey

den Delictsklagen vor der Verletzung noch nicht, weil hier

die Verletzung mit der Entſtehung der Obligation zuſam-

menfällt: und doch ſind dieſe beide Arten von Klagen

personales. Bey dem Eigenthum dagegen erzeugt die bloße

Verletzung an ſich ſchon ein obligationähnliches Verhältniß,

aber keine wahre, eigentliche Obligation (§ 205), welche

vielmehr erſt durch die Litisconteſtation entſteht: daher iſt

die Eigenthumsklage in rem.

§. 207.

Arten der Klagen. In personam, in rem. (Fortſetzung.)

Um aber die umfaſſende Natur jener Eintheilung ge-

gen jeden Widerſpruch ſicher zu ſtellen, iſt es nöthig, die-

ſelbe auf die einzelnen Klaſſen von Rechten anzuwenden,

indem die Klagen ſelbſt bereits als Modificationen der

ihnen zum Grund liegenden Rechte dargeſtellt worden ſind.

 

Bey den Klagen in personam macht dieſe Anwendung

am Wenigſten Schwierigkeit. Niemand zweifelt, daß dar-

unter alle Klagen zum Schutz der Obligationen, und nur

dieſe, zu verſtehen ſind.

 

Demnach müſſen die Klagen in rem, wenn überhaupt

die Eintheilung erſchöpfend ſeyn ſoll, angewendet werden

zum Schutz der Verhältniſſe des Sachenrechts, Erbrechts,

Familienrechts (a).

 

(a) Ich ſage: des Familienrechts. Die Römer ſprechen von

V. 2

|0032 : 18|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die Anwendung auf das Sachenrecht, alſo auf Eigen-

thum und jura in re, erregt kein Bedenken; gerade von

ſolchen Fällen ſind in den oben angeführten Stellen der

Inſtitutionen und des Gajus die Beyſpiele der in rem

actiones hergenommen. Dieſe Klagen werden auch als

speciales in rem actiones bezeichnet.

 

Auch die Anwendung auf die Erbrechtsklage läßt kei-

nem Zweifel Raum, da dieſelbe ausdrücklich als in rem

actio bezeichnet wird (b).

 

Dagegen wird den Klagen aus dem Familienrecht die

Eigenſchaft von in rem actiones ſtreitig gemacht, und

wenn ſie ihnen wirklich nicht zukäme, ſo würden wir ge-

nöthigt ſeyn, die ganze Eintheilung für eine nicht völlig

erſchöpfende zu halten.

 

Zwar nach der herrſchenden Meynung ſind auch die

 

quaestio de statu, und verſtehen

darunter zwey mögliche Arten eines

Rechtsſtreits: 1) über den ſtaats-

rechtlichen Status, Freyheit und In-

genuität 2) über den privatrechtli-

chen, das heißt die Familie. Da

wir aber im heutigen Recht jenen

erſten nicht kennen, ſo iſt für uns,

das heißt in dem Theil des R. R.

den wir noch übrig haben, die sta-

tus quaestio mit dem Streit über

Familienverhältniſſe völlig identiſch,

welches ich zur Rechtfertigung der

in dieſem §. angewendeten Termi-

nologie bemerke. Vgl. Band 2.

Beyl. VI. Num. VI. und IX.

(b) L. 27 § 3 de R. V. (6. 1)

„ .. in hereditatis petitione,

quae et ipsa in rem est“ …

L. 25 § 18 de her. pet. (5. 3)

„Petitio hereditatis, etsi in rem

actio sit“ … L. 49 eod. — Der

einzige Zweifel könnte hergenom-

men werden aus der beſchränkten

Natur des Beklagten. Davon wird

noch weiter die Rede ſeyn. — Übri-

gens bezieht ſich dieſes nur auf

die Klage aus dem Erbrecht ſelbſt;

die daraus entſpringenden ſecundä-

ren Rechtsverhältniſſe, wie Legate

u. ſ. w., laſſen ſich ſtets auf ding-

liche Rechte und Obligationen zu-

rück führen, und werden durch die

Klagen dieſer Rechtsverhältniſſe ge-

ſchützt. — Vgl. auch Beylage XIII.

Num. IX.

|0033 : 19|

§. 207. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)

Klagen aus Familienverhältniſſen in rem, und dieſe Mey-

nung wurde früherhin durch folgende Stelle als völlig

begründet angeſehen.

§. 13. J. de act. (4. 6.)

Praejudiciales actiones in rem esse videntur, quales

sunt, per quas quaeritur, an aliquis liber, vel liber-

tus sit, vel de partu agnoscendo.

Praejudicialis actio, ſagte man, heißt, nach dem Zeug-

niß dieſer Stelle ſelbſt, jede Klage über den Status, wo-

hin unter andern auch alle Klagen aus dem Familienrecht

gehören. Dieſe alle nun ſind, wie dieſelbe Stelle aus-

drücklich ſagt, in rem. — Was dagegen früher eingewen-

det wurde, daß nicht geſagt werde sunt, ſondern esse vi-

dentur, daß es alſo nur ſo ſcheine, daß den Präjudi-

cialklagen nur einige Ähnlichkeit mit in rem actiones

hier zugeſchrieben werde (c) — dieſe Einwendung war

ohne Grund, da der Ausdruck videtur regelmäßig nicht

blos auf Schein oder Ähnlichkeit, ſondern auf poſitive

Wirklichkeit geht (d). — Wichtiger iſt allerdings der Um-

ſtand, daß die urſprüngliche Bedeutung von praejudicium

gar nicht auf den Gegenſtand der Klage, ſondern auf ihre

prozeſſualiſche Faſſung zu beziehen iſt: es war eine for-

mula mit bloßer intentio, ohne condemnatio, oft alſo eine

blos proviſoriſche Maaßregel, um vorläufig das Daſeyn

eines Rechtsverhältniſſes feſtzuſtellen, von welchem man

 

(c) Duroi observ. p. 21.

(d) Vgl. die Stellen bei Dirksen manuale latinitatis p. 1000.

2*

|0034 : 20|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

in einem ſpäteren Rechtsſtreit Gebrauch machen wollte (e).

Dieſe Prozeßform wurde nun allerdings in allen Prozeſ-

ſen über den Status angewendet, aber auch in manchen

anderen Prozeſſen, und namentlich in ſolchen, deren Ge-

genſtand Obligationen waren (f). Aus dieſer Entdeckung

hat man nun neuerlich ſchließen wollen, die angeführte

Stelle der Inſtitutionen ſey eine Erfindung der Juriſten

Juſtinians, und dem Römiſchen Recht eigentlich fremd (g);

beide Stücke dieſer Behauptung aber können nicht zuge-

geben werden. Zuvörderſt nämlich iſt es im Sinn des

Juſtinianiſchen Rechts völlig richtig zu ſagen, Präjudi-

cialklagen ſind Klagen aus dem Status, da von den übri-

gen Präjudicialklagen des älteren Rechts (quanta dos

sit, an praedictum sit u. ſ. w.) keine einzige mehr vor-

kommt (h); wenigſtens im Sinn des Juſtinianiſchen Rechts

alſo wäre die gewöhnliche Erklärung jener Stelle der In-

(e) Dieſes ſagt ſchon Theophi-

lus in § 13 J. de act., allein es

war eine unfruchtbare Notiz, ſo-

lange wir die Beſtandtheile der

formula und deren Zuſammenhang

nicht kannten. Bey Gajus IV.

§ 44. 48 findet ſich nun nicht nur

eine vollgültigere Beſtätigung, ſon-

dern es iſt vorzüglich die Bedeu-

tung jener Eigenthümlichkeit man-

cher Klagen erſt klar geworden.

(f) Gajus III. § 123. IV. § 44.

Paulus V. 9. § 1. L. 30 de reb.

auct. jud. (42. 5.). — Nicht da-

hin gehört Gajus IV. § 94, denn

dieſe sponsio hatte allerdings eine

condemnatio, die aber nur eine

bloße Formalität war „nec tamen

haec summa sponsionis exigi-

tur.” Es war alſo kein praeju-

dicium, kam aber im Zweck und

Erfolg mit einem ſolchen überein,

und daher nennt es Gajus eine

sponsio praejudicialis.

(g) Düroi Bemerkungen S. 406

— 410, beſonders S. 409.

(h) Daß einmal in den Dige-

ſten ein ſolcher Fall genannt wird,

(Note f), muß als eine blos an-

tiquariſche Notiz betrachtet werden;

denn Niemand wird behaupten, daß

in unſrem Recht ein ſolcher Fall

anders als jeder gewöhnliche Rechts-

ſtreit behandelt werden dürfe.

|0035 : 21|

§. 207. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)

ſtitutionen richtig, und zugleich die Stelle ſelbſt tadellos:

ſie enthielte nicht eine Entſtellung des älteren Rechts, ſon-

dern eine angemeſſene Reduction deſſelben auf den im All-

gemeinen veränderten Rechtszuſtand. Ich gehe aber noch

weiter, und behaupte, daß ſelbſt im Sinn des älteren

Rechts alle Präjudicien ohne Unterſchied in rem genannt

werden konnten. In dieſer Allgemeinheit läßt ſich der

Satz erſt weiter unten beweiſen (§. 209); allein in der

beſonderen Anwendung auf die den Status betreffenden

Präjudicien, auf welche allein es hier ankommt, fehlt es

nicht an unmittelbaren Zeugniſſen, die ſchon hier meine

Behauptung außer Zweifel ſetzen. Der Streit über Frey-

heit wurde durch vindicatio in libertatem oder in servitu-

tem geführt. Auf dem bloßen Schein einer ſolchen in li-

bertatem vindicatio beruhte die ganze Freylaſſung per

vindictam (i). Eben ſo konnte die legitima tutela über

Frauen durch in jure cessio übertragen werden (k); da

nun die in jure cessio überhaupt eine ſymboliſche Vindi-

cation war (l), ſo iſt dadurch die Vindicationsform auch

für jene Art der Tutel erwieſen. Ja ſelbſt der Rechts-

ſtreit über das Daſeyn einer väterlichen Gewalt konnte in

der feyerlichen Form einer vindicatio ex jure quiritium

geführt werden (m). Und eben ſo beruhte die feyerliche

(i) Livius XLI. 9.

(k) Gajus I. § 168. Ulpian.

XI. § 6 — 8. XIX. § 11.

(l) Gajus II. § 24. Ulpian.

XIX. § 9. 10.

(m) L. 1 § 2 de R. V. (6. 1.).

Ich verſtehe die ſchwierige Stelle

ſo, daß bey dem Streit über Pa-

ternität das praejudicium, wel-

ches nach meiner Anſicht ſtets in

rem war, in verſchiedenen Formen

gebraucht werden konnte, ähnlich

|0036 : 22|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Form der Adoption unter andern auf einer in jure cessio,

wobey der Adoptivvater die väterliche Gewalt als ſchon

vorhanden durch Vindication in Anſpruch nahm (n).

Sind nun, wie hier dargethan worden iſt, in rem

alle Klagen aus dem Sachenrecht, Erbrecht, Familien-

recht, ſo iſt der früher ſehr verbreitete Sprachgebrauch zu

verwerfen, welcher jene Benennung auf die Klagen aus

dem Sachenrecht beſchränkt, durch welche Beſchränkung

wiederum die ganze Eintheilung aufhören würde, eine all-

gemeine, alle Klagen umfaſſende, zu ſeyn. Jener irrige

Sprachgebrauch wurde begünſtigt durch eine täuſchende

Übereinſtimmung von Kunſtausdrücken, die man aber frey-

lich theilweiſe erſt ſelbſt geſchaffen hatte, unbekümmert um

den aus den Rechtsquellen zu erweiſenden Sprachgebrauch.

 

den verſchiedenen Formen der Eigen-

thumsklage (Gajus IV. § 91—95.).

Wählte man die feyerlichere Form

einer vindicatio ex jure quiri-

tium, ſo erhielt dann die Klage

eine wörtliche Gleichheit mit der

Eigenthumsklage, und darauf geht

der Ausdruck: „per hanc autem

actionem liberae personae …

non petuntur … nisi forte ..

adjecta causa quis vindicet.”

Dieſe feyerlichere Form wurde viel-

leicht angewendet, wenn man es

vorzog, vor den Centumvirn zu kla-

gen. Doch wäre es auch möglich,

daß die hier erwähnte vindicatio

des Sohnes nicht von der feyer-

licheren Form des ernſtlichen Rechts-

ſtreits, ſondern vielmehr von der

ſymboliſchen Anwendung deſſelben

bey der Adoption (Note n) ver-

ſtanden werden ſollte. Uebrigens

iſt es wahrſcheinlich, daß dieſe Stelle

hauptſächlich durch Interpolationen

und Weglaſſungen ſo ſchwierig iſt;

aber die vindicatio ex lege qui-

ritium iſt gewiß nicht von den

Compilatoren erfunden, wiewohl

ſie lege anſtatt jure geſetzt haben

mögen, ſo wie vorher jure Roma-

no anſtatt jure quiritium, viel-

leicht nur in der Abſicht, um das

Andenken an die proſcribirte For-

mel ex jure quiritium überall

auszutilgen.

(n) Gajus I. § 134 „is qui

adoptat vindicat apud Praeto-

rem filium suum esse.“

|0037 : 23|

§. 208. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)

Man nannte nämlich das Sachenrecht (als Theil der

Rechtswiſſenſchaft) jus in rem, und belegte zugleich jedes

einzelne dingliche Recht mit demſelben Namen. Eben ſo

nannte man das Obligationenrecht im Ganzen, desgleichen

jede einzelne Forderung, jus in personam. Indem man

nun dieſe erfundenen Kunſtausdrücke mit den quellenmäßi-

gen willkührlich in Verbindung ſetzte, lag es allerdings

ſehr nahe, den ganzen Zuſammenhang ſo zu faſſen: dem

jus in rem entſpricht die actio in rem, dem jus in perso-

nam die actio in personam. Es zeigt ſich alſo auch hier

die mit der willkührlichen Wortbildung verknüpfte Gefahr

recht augenſcheinlich (o).

§. 208.

Arten der Klagen. In personam, in rem. (Fortſetzung.)

Mit der hier erklärten Eintheilung der Klagen, ſo wie

mit der Bezeichnung derſelben, ſteht in der Regel auch

noch der Umſtand in Verbindung, daß die perſönliche Klage

nur gegen einen beſtimmten und bekannten Gegner, die

Klage in rem gegen einen unbeſtimmten, unbekannten ge-

richtet iſt. (§ 56. f.). Der Sinn dieſer Unterſcheidung aber

 

(o) Vgl. Band 1. S. XLIII.

der Vorrede. — Aus den hier an-

gegebenen Gründen iſt es denn

auch räthlich, den von Manchen

gebrauchten Ausdruck dingliche

Klage (für in rem actio) zu

vermeiden, da er ſehr natürlich

dahin führt, einer ſo bezeichneten

Klage denſelben beſchränkten Um-

fang wie den dinglichen Rechten

(Eigenthum und jura in re) an-

zuweiſen. Der Ausdruck perſön-

liche Klage iſt tadellos, da er

dem Römiſchen Namen personalis

actio vollkommen entſpricht, und

in der Sache keinem Misverſtänd-

niß Raum giebt.

|0038 : 24|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

geht dahin, daß bey der erſten Klaſſe von Klagen ſchon

vor der Verletzung die Perſon des allein möglichen Ver-

letzers und Beklagten, nämlich des Schuldners, beſtimmt

und bekannt iſt, anſtatt daß bey den Klagen in rem ur-

ſprünglich jeder Menſch der Verletzung, die eine ſolche

Klage veranlaſſen kann, fähig iſt, ſo daß dieſe Unbeſtimmt-

heit in der Perſon des Beklagten erſt durch die wirklich

eingetretene Verletzung aufgehoben wird. Auch in ande-

ren Anwendungen, als bey den Klagen, werden die Aus-

drücke in personam und in rem gebraucht, um die Rich-

tung eines Rechtsgeſchäfts oder einer Rede auf eine be-

ſtimmte Perſon auszudrücken oder zu verneinen (a).

Allein das Zuſammentreffen dieſes Gegenſatzes mit dem

der beiden Arten von Klagen iſt keinesweges allgemein,

und es darf davon nur mit Vorſicht Anwendung gemacht

werden. So giebt es auf der einen Seite mehrere per-

ſönliche Klagen, die dennoch gegen einen unbeſtimmten

Gegner, namentlich gegen jeden Beſitzer einer Sache, ge-

 

(a) Pactum in rem. L. 7 § 8

L. 57 § 1 de pactis (2. 14.). —

Nunciatio in rem fit. L. 10 de

O. n. n. (39. 1.). — Praetor in

rem loquitur, edictum in rem

scriptum est. L. 9 § 1 quod

metus (4. 2), L. 5 § 3 quibus

ex causis (42. 4.). Der Aus-

druck in rem bezeichnet alſo das

Unperſönliche. — So kann man

auch von einer intentio in rem

oder in personam concepta ſpre-

chen, je nachdem darin die Perſon

des Gegners ausgedrückt iſt oder

nicht; man muß dann ſagen, jede

in rem actio habe eine in rem

concepta intentio, aber eine in

personam actio könne nach Um-

ſtänden bald in personam, bald

in rem concepta intentio haben.

Jedoch gilt Dieſes nur von den

prätoriſchen Klagen. L. 1 § 3

de interd. (43. 1), L. 5 § 13

quod vi (43. 24.). Bey den Ci-

vilklagen war die Natur der Klage

ſtets aus der Faſſung der Formel

unmittelbar zu erkennen. Vgl. un-

ten § 216. w.

|0039 : 25|

§. 208. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)

richtet werden können, ganz wie es in der Regel nur bey

den in rem actiones der Fall iſt. Dahin gehört die aus

einem erzwungenen Rechtsgeſchäft entſpringende Forderung

des Gezwungenen auf Herſtellung ſeines früheren Zuſtan-

des; ſowohl die Klage, als die Exception zu dieſem Zweck

wirkt gegen jeden Beſitzer, und es wird zuweilen dieſe

Eigenthümlichkeit durch den Ausdruck actio und exceptio

in rem scripta bezeichnet (b), welches der oben erwähnten

Ausdrucksweiſe ganz entſpricht (Note a); dennoch iſt die

Klage ſelbſt durchaus in personam (c). — Eine gleiche

Natur hat die actio ad exhibendum, anwendbar gegen

Jeden, der zufällig in der Lage iſt, die Sache exhibiren

zu können, obgleich auch ſie ausdrücklich als perſönliche

Klage bezeichnet wird (d). — Eben ſo iſt die actio aquae

pluviae perſönlich, und geht dennoch (mit einiger Beſchrän-

kung) gegen jeden Beſitzer; auf dieſelbe Weiſe auch das

Interdict quod vi (e). — Die Noxalklagen entſpringen

aus Delicten, alſo aus Obligationen, und können dennoch

gegen Jeden angeſtellt werden, der irgend einmal das

(b) L. 9 § 8 quod metus

(4. 2), L. 4 § 33 de doli exc.

(44. 2.). Es iſt nicht richtig, den

Ausdruck in rem scripta actio

als eigentlichen, durchgehenden

Kunſtausdruck zu betrachten. Vgl.

Düroi Bemerkungen S.410—412.

(c) Wenn es der Beſchädigte

bedarf, ſo kann er durch prätori-

ſche Reſtitution auch das verlorne

Eigenthum unmittelbar wieder er-

halten, alſo eine wahre in rem

actio; dieſe wird aber von der

außerdem geltenden actio quod

metus genau unterſchieden, wo-

durch eben die perſönliche Natur

dieſer lezten ganz außer Zweifel

geſezt wird. L. 9 § 4. 6 quod me-

tus (4. 2), L. 3 C. eod. (2. 20.).

(d) L. 3 § 3. 15 ad exhib.

(10. 4.).

(e) L. 6 § 5 L. 12 de aqua

pluv. (39 3.) — L. 5 § 13 L. 7

pr. § 1 quod vi (43. 24.).

|0040 : 26|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Eigenthum des Sklaven erwirbt, nach der Regel: noxa

caput sequitur (f). Eben ſo auch die Klage aus den von

Thieren zugefügten Beſchädigungen (g). — Das Interdict

quod legatorum iſt perſönlich, wie alle Interdicte, und

geht dennoch gegen jeden Beſitzer der Sache, die der Le-

gatar eigenmächtig in Beſitz genommen hat (h). — Auch

die Klage auf Steuerreſte geht gegen jeden ſpäteren Be-

ſitzer des ſteuerpflichtigen Grundſtücks (i).

Auf der andern Seite aber giebt es auch einige in

rem actiones, die nur gegen beſtimmte, einzelne Perſonen

angeſtellt werden können. Dahin gehört vor Allem die

hereditatis petitio, die nicht ſo, wie die Eigenthumsklage,

gegen jeden Beſitzer, ſondern nur gegen Denjenigen ange-

ſtellt werden kann, der entweder pro herede oder pro pos-

sessore beſitzt (k). — Wenn ein inſolventer Schuldner

ſeine Glaubiger durch unredliche Veräußerungen in Nach-

theil bringt, ſo geht gegen den Erwerber der ſo veräußer-

ten Sachen die Pauliana actio nur dann, wenn er ent-

weder an jener Unredlichkeit Antheil genommen, oder

durch Schenkung erworben hat (l). Dieſe Klage iſt per-

ſönlich (m), ſie kann aber nach Bedürfniß, eben ſo wie

die aus dem Zwang entſpringende Klage (Note c), durch

 

(f) § 5 J. de noxal. act.

(4. 8.).

(g) L. 1 § 12 si quadr. (9. 1.).

(h) L. 1 § 13 quod leg. (43. 3),

verglichen mit L. 1 § 3 de interd.

(43. 1.).

(i) L. 7 pr. de publicanis

(39. 4.).

(k) L. 9. 10. 11 de her. pet.

(5. 3.).

(l) L. 6 § 8. 11 L. 10 pr. § 2

quae in fraud. (42. 8.).

(m) L. 38 pr. § 4 de usuris

(22. 1.).

|0041 : 27|

§. 208. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)

Reſtitution zu einer in rem actio erhoben werden (n). Da

ſie jedoch auch in dieſem Fall nur gegen die erwähnten

beſtimmten Perſonen angeſtellt werden kann, ſo iſt auch

darin eine auf einen individuellen Beklagten eingeſchränkte

Klage in rem enthalten (o). — Die Ehefrau hat auf Rück-

forderung der Dos, nach Juſtinians Vorſchrift, eine Vin-

dication, welche jedoch, der richtigeren Meynung nach,

nur gegen den Mann ſelbſt, nicht gegen einen dritten Er-

werber angeſtellt werden kann (p).

Es iſt indeſſen nicht zu verkennen, daß ſowohl die Be-

ziehung der perſönlichen Klagen auf unbeſtimmte, als die

 

(n) L. 10 § 22 quae in fraud.

(42. 8.). Hieraus iſt zu erklären

der § 6 J. de act. (4. 6), durch

deſſen zu allgemeinen Ausdruck man

verleitet werden könnte, die Pau-

liana in allen Fällen für eine Klage

in rem zu halten, und wohl gar

die Beſchränkung in der Perſon

des Beklagten zu negiren, im Wi-

derſpruch mit den in den Noten l

und m angeführten Stellen. Die

Einſchränkung der Stelle auf den

beſonderen Fall einer Reſtitution

wird außerdem gerechtfertigt theils

durch die Worte rescissa tradi-

tione, theils durch den Rückblick

auf den unmittelbar vorhergehen-

den § 5, der gleichfalls eine auf

Reſtitution gegründete in rem

actio erwähnt, und dabey auch

den Ausdruck rescissa usucapio-

ne gebraucht. Vgl. Vinnius ad

§ 6 cit., ibique Heineccius. Das

Intereſſe des Klägers bey der in

rem actio, in Vergleichung mit

der in personam, kann darin be-

ſtehen, daß der Erwerber, der durch

ſeinen Dolus oder durch den

Schenkungstitel der Pauliana un-

terworfen iſt, ſelbſt wieder in Con-

curs gerathen ſeyn kann, in wel-

chem Fall vielleicht die perſönliche

Klage gegen ihn fruchtlos ſeyn

würde.

(o) Man könnte eine Klage

ſolcher Art: in rem actio in

personam scripta nennen, was

ich jedoch nicht ſage, um dieſen

nicht quellenmäßigen, auch ganz

entbehrlichen, Ausdruck zu empfeh-

len, ſondern nur um den Zuſam-

menhang dieſer Art von Klagen

mit der vorher erwähnten Art (der

personalis in rem scripta) an-

ſchaulicher zu machen.

(p) L. 30 C. de j. dot. (5. 12)

„Si tamen exstant.” Die ge-

nauere Ausführung dieſes Satzes

gehört an einen anderen Ort.

|0042 : 28|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Beſchränkung der Klagen in rem auf beſtimmte Gegner,

nur als Ausnahmen zu betrachten ſind. Wo alſo bey

einzelnen Klagen der Grund einer ſolchen Ausnahme nicht

beſonders nachgewieſen werden kann, da bleibt es bey der

Regel, nach welcher die Klagen gegen beſtimmte oder un-

beſtimmte Gegner angeſtellt werden können, je nachdem ſie

in personam oder in rem ſind.

§. 209.

Arten der Klagen. In personam, in rem. (Fortſetzung.)

Die umfaſſende Eintheilung der Klagen, in personam

und in rem, iſt bis jetzt nicht nur für das Juſtinianiſche

Recht nachgewieſen, ſondern auch bis auf die Zeit des

Gajus zurückgeführt worden. Es iſt aber nöthig, in eine

noch frühere Zeit hinauf zu gehen, und die allmälige Ent-

wicklung dieſer Begriffe darzulegen, um die irrige Auffaſ-

ſung dieſes Gegenſtandes, die in einzelnen Anwendungen

ſchon oben erwähnt worden iſt (§ 207), vollſtändig zu be-

ſeitigen.

 

Während der Herrſchaft der alten Legis actiones war

der Unterſchied jener beiden Arten der Klagen völlig an-

erkannt und durch beſondere Prozeßformen ausgedrückt.

Jede in rem actio wurde nämlich mit einem ſymboliſchen

Verfahren, den manus consertae, eröffnet, auf welches

dann die Ernennung eines Judex und das Verfahren vor

demſelben folgte. Die in personam actio fieng gleich mit

der Ernennung des Judex an, und beſtand alſo aus dem-

 

|0043 : 29|

§. 209. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)

jenigen Verfahren allein, welches bey der in rem actio

die zweyte Hälfte des Ganzen bildete (a). Man kann da-

her ſagen, daß damals die Klagen mit und ohne manus

consertae genau daſſelbe waren, was ſpäterhin in rem

und in personam actiones genannt wurde.

Dieſe Prozeßform erhielt ſich in den Centumviralſa-

chen bis in die Zeit der ausgebildeten Rechtswiſſenſchaft;

für alle übrige Prozeſſe wurde ſie durch einige Volksſchlüſſe

aufgehoben, ſo daß nun der Prozeß per formulas an ihre

Stelle trat (§ 205. b.). Es ſcheint, daß in dieſem zuerſt

gar keine Klagen in rem vorkamen, indem man jedem

Streit, der dazu hätte führen müſſen, durch erzwungene

Sponſionen den Character einer Contractsklage beylegte.

Das praktiſche Bedürfniß ſcheint aber zuerſt bey dem Ei-

genthum darauf geführt zu haben, daß man dem Kläger

die Wahl ließ, ob er dieſen umſtändlicheren Sponſionen-

prozeß führen, oder in einfacherer Weiſe gleich unmittel-

bar auf die Anerkennung des Eigenthums klagen wollte.

Dieſes geſchah durch die petitoria formula (die in Juſti-

nians Rechtsbüchern gewöhnlich rei vindicatio heißt) mit

der intentio: rem suam esse, mit oder ohne ex jure qui-

ritium. Dieſen Zuſtand der Sache ſtellt uns ſehr deutlich

 

(a) Gajus IV. § 16. 17. In

den verſtümmelten vorhergehenden

Sätzen hatte er von der Behand-

lung der in personam actio ge-

ſprochen, dann fährt er hier ſo

fort: „Si in rem agebatur, mo-

bilia quidem et moventia .. in

jure vindicabantur ad hunc

modum (nun folgt die Beſchrei-

bung der manus consertae) ..

deinde sequebantur quaecunque

(si) in personam ageretur” …

|0044 : 30|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Gajus dar (b), er war aber entſchieden ſchon zur Zeit

des Cicero vorhanden, welcher ein Beyſpiel dieſer petito-

ria formula, ganz mit Gajus übereinſtimmend, anführt (c).

Dadurch war eine einzelne in rem actio in den Formular-

prozeß eingeführt, ſo daß man damals ſagen konnte, in

rem actio ſey der individuelle Name der Eigenthumsklage,

in personam actio die generiſche Bezeichnung aller übrigen

Klagen überhaupt. Der in dieſer Zeit ſo gebildete Sprach-

gebrauch hat ſich, wie es zu geſchehen pflegt, theilweiſe

noch in ſpäterer Zeit erhalten, ſo daß nicht ſelten in rem

actio als individueller Name von ſolchen Schriftſtellern

gebraucht wird (d), die außerdem den Ausdruck als Be-

(b) Gajus IV. § 91 — 95. Es

gab zweyerley Eigenthumsklagen

per formulas, und außerdem noch

die Sacramenti legis actio vor

den Centumvirn.

(c) Cicero in Verrem II. 12

„L. Octavius judex esto: Si

paret, fundum Capenatem, quo

de agitur, ex jure quiritium

P. Servilii esse, neque is fun-

dus Q. Catulo restituetur: non

necesse erit L. Octavio judici

cogere P. Servilium Q. Catulo

fundum restituere, aut condem-

nare eum quem non oporteat?”

Offenbar wählt hier Cicero eine

hergebrachte, allgemein anerkannte

Klagformel, und was er daran

als ſchreyende Ungerechtigkeit her-

vorhebt, beſteht nur darin, daß

nach dieſer Faſſung die Reſtitution

des Grundſtücks an eine andere

Perſon, als den vorher bezeichne-

ten Eigenthümer geſchehen müßte.

(d) So geſchieht es von Ga-

jus (IV. 51. 91. 86. 87), Ulpian

(L. 1 § 1 de R. V. 6. 1), Pau-

lus (L. 23 pr. eod.). Eben ſo

in vielen Stellen des tit. Dig.

de R. V. (6. 1.). — Dagegen

darf nicht hieraus erklärt werden

L. 25 pr. de O. et A. (44. 7)

„In rem actio est per quam

rem nostram, quae ab alio

possidetur, petimus.” Denn da

dieſe Worte unmittelbar hinter der

Eintheilung der actiones in duo

genera ſtehen (ſ. o. § 206), ſo iſt

offenbar jener Satz nicht Defini-

tion der in rem actio, ſondern

nur erläuterndes Beyſpiel für den

aufgeſtellten generiſchen Begriff.

Auch würde ja ſonſt in dieſen

Worten Ulpian ſelbſt der confes-

soria den Character einer in rem

actio abſprechen.

|0045 : 31|

§. 209. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)

zeichnung einer ganzen Klaſſe von Klagen, gegenüberſtehend

der Klaſſe der in personam actiones, kennen und gebrauchen

(§ 206). Daſſelbe Bedürfniß aber führte dahin, die peti-

toria formula auch auf Rechte außer dem Eigenthum an-

zuwenden, bey welchen man ſich bis dahin mit den um-

ſtändlicheren Sponſionen behelfen mochte, und dadurch zu-

erſt wurde der Ausdruck in rem actio zu einer generiſchen

Bezeichnung, gleichartig dem Ausdruck in personam actio;

erſt ſeit dieſer Zeit konnte man ſagen, wie es Gajus aus-

drücklich thut: duo genera esse actionum, in rem et in

personam (§ 206). So iſt die Klage, die wir confessoria

nennen, in der That Nichts als die petitoria formula für

die Servituten, ſo wie unſere hereditatis petitio die peti-

toria formula für das Erbrecht. Für dieſe lezte können

wir zufällig nachweiſen, daß ſie ſpäter als die bey dem

Eigenthum anerkannt worden iſt, denn Cicero, der die pe-

titoria formula für das Eigenthum wohl kennt (Note c),

ſagt bey dem Erbrecht ausdrücklich, es gebe dafür nur

zwey Klagformen, vor den Centumvirn, und durch Spon-

ſion (e). — Dieſe Ausdehnung der neuen Klagform ge-

ſchah nicht plötzlich, ſondern allmälig und ſchrittweiſe, bald

(e) Cicero in Verrem I. 45

„Si quis testamento se heredem

esse arbitraretur, quod cum

non exstaret, lege ageret in

hereditatem, aut, pro praede

litis vindiciarum cum satis ac-

cepisset, sponsionem faceret,

ita de hereditate certaret.”

Hier ſind alſo von den drey Klag-

formen, die Gajus für das Eigen-

thum aufſtellt (Note b), nur zwey

für das ſtreitige Erbrecht als mög-

lich angegeben, da doch bey dem

Eigenthum derſelbe Cicero (Note c)

auch die dritte, die petitoria for-

mula, als gültig vorausſezt.

|0046 : 32|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

für dieſe bald für jene einzelne Klage. Als Vermittlung

diente dabey der unbehülfliche, an ſich ganz entbehrliche,

Ausdruck res incorporalis (f); denn indem man die Ser-

vituten und Erbſchaften als ſolche res incorporales be-

zeichnete, fand man kein Bedenken, darauf dieſelbe vindi-

catio anzuwenden, die bey der res corporalis bereits an-

erkannt war: die Ausdrücke in der Formel konnten dieſel-

ben bleiben, da die Servituten und das Erbrecht eben

ſowohl dem alten, ſtrengen Civilrecht angehörten, als das

Eigenthum (g). In anderen Fällen wurde die Vermitt-

lung durch eine utilis actio, das heißt durch die in der

Formel ſelbſt ausgedrückte Fiction des Eigenthums, be-

wirkt (h). Als aber die Klagen ſolcher Art, in Folge an-

erkannter praktiſcher Bedürfniſſe, immer zahlreicher und

mannichfaltiger wurden, gab man zulezt dieſen mühſamen

und umſtändlichen Verſuch, die individuelle Eigenthums-

klage auf andere individuelle Fälle durch Mittelbegriffe

anzuwenden, auf, und ſo entſtand unvermerkt der generi-

ſche Begriff der in rem actiones, dem alten gleichfalls ge-

(f) Ich ſage nicht, daß dieſer

Ausdruck zu dem erwähnten Zweck

erfunden worden iſt; das kann

ſchon deswegen nicht angenommen

werden, weil dieſer Ausdruck auch

die Obligationen umfaßt, alſo

über die Anwendung auf die Vin-

dication unkörperlicher Sachen

weit hinaus reicht. — Die Kritik

des Begriffs der unkörperlichen

Sachen gehört übrigens nicht hier-

her, wird aber im vierten Buch

angeſtellt werden.

(g) Bey dem Eigenthum hieß

die intentio: rem suam esse

(Gajus IV. § 92), zum Beyſpiel

fundum Servilii esse (Note c);

hier hieß es: jus nostrum esse

(Gajus IV. § 3), oder heredita-

tem nostram esse.

(h) So z. B. die Formel der

Publicianiſchen Klage. Gajus IV.

§ 36.

|0047 : 33|

§. 209. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)

neriſchen Begriff der in personam actiones völlig coordi-

nirt. Nicht nur können wir aus Mangel an Nachrichten

die Geſchichte dieſer Entwicklung der Begriffe nicht genau

verfolgen, ſondern es iſt auch zuverläſſig niemals eine

ſichtbare Veränderung mit ſcharfer Zeitgränze eingetreten,

vielmehr wird die ältere Weiſe der Auffaſſung und des

Ausdrucks neben der neueren noch geraume Zeit fortge-

dauert haben. Da aber die ältere, verwickeltere Auffaſ-

ſung mit der wörtlichen Faſſung der formulae zuſammen-

hieng, ſo mußte die Abſchaffung des Formularprozeſſes

dazu beytragen, Dasjenige zu vertilgen, was davon da-

mals etwa noch in lebendiger Üebung erhalten ſeyn mochte.

Wir finden die neuere Art der Auffaſſung und des

Ausdrucks am vollſtändigſten ausgebildet in der oben mit-

getheilten Stelle der Inſtitutionen Juſtinians (§ 206);

dieſe aber kann unverändert aus einem alten Juriſten

(vielleicht aus den res quotidianae des Gajus) genommen

ſeyn, wenigſtens haben wir durchaus keinen Grund, dieſe

Annahme zu verneinen. Selbſt aber wenn ſie in ihrer

gegenwärtigen Faſſung von Juſtinians Juriſten herrührte,

würde es ganz einſeitig ſeyn, ihren Inhalt in Vergleichung

mit älteren Stellen herab zu ſetzen: eben ſo einſeitig aber

wenn derjenige welcher ihren Inhalt vorzüglicher fände,

deshalb (im Widerſpruch mit aller Analogie) die Einſicht

ihres Urhebers höher ſtellen wollte, als die Einſicht Ulpians

und ſeiner Zeitgenoſſen. Denn es ſtehen hier nicht etwa

individuelle Einſichten und Meynungen einander gegenüber,

 

V. 3

|0048 : 34|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

und wenn wir in der That einem Ausſpruch aus Inſti-

nians Zeit den Vorzug geben müßten, ſo wäre dieſer Fort-

ſchritt nicht aus einer höheren geiſtigen Bildung des Ver-

faſſers zu erklären, ſondern nur aus der dieſen Rechtsver-

hältniſſen ſelbſt inwohnenden fortbildenden Kraft, deren

natürliches Erzeugniß in jenem neueren Ausſpruch nur

ſeinen einfachen, unverkünſtelten Ausdruck gefunden hätte.

Ich habe dieſe ausführliche Erörterung nöthig gefun-

den mit Rückſicht auf die abweichende Anſicht eines neu-

eren Schriftſtellers, welche durch den darauf verwendeten

Scharfſinn, und durch einen Schein kritiſcher Herſtellung

der reinen Roͤmiſchen Begriffe leicht täuſchen könnte (i).

Derſelbe nimmt gleiche hiſtoriſche Grundlagen an, wie die

hier aufgeſtellten; den Zuſtand des Uebergangs der Pro-

zeßformen, und der Nothhülfe für praktiſche Bedürfniſſe in

einzelnen Fällen, fixirt er als höchſte, unabänderliche Vollen-

dung des Römiſchen Klagenrechts; den einfachſten und befrie-

digendſten Ausdruck, den wir in Juſtinians Inſtitutionen

finden, behandelt er als eine willkührliche Corruption des

wahren Römiſchen Rechts, welche wir eigentlich zu igno-

riren hätten. Selbſt als blos hiſtoriſche Darſtellung des

Klagenrechts müßte ich dieſe Anſicht für einſeitig und un-

wahr erklären; völlig verwerflich aber iſt der praktiſche

Gebrauch, der davon gemacht wird. Die zur Zeit der

alten Juriſten verſuchten individuellen Ausdehnungen der

 

(i) Duroi observ. p. 32 — 35 p. 49 — 62. Düroi Bemerkungen,

beſonders S. 253. 261. 280. 412. fg.

|0049 : 35|

§. 209. In personam, in rem actiones. (Fortſetzung.)

Eigenthumsklage werden hier auf beſtimmte Klaſſen zu-

rückgeführt, und deren ſehr zufällige hiſtoriſche Eigenthüm-

lichkeit wird hier mit einer ſo unzerſtörbaren Lebenskraft

verſehen, daß ſelbſt germaniſche Rechtsinſtitute nach die-

ſem Typus behandelt werden ſollen. So ſoll das Prin-

cip der Römiſchen Vindication unkörperlicher Sachen auf

die germaniſchen Reallaſten, das Princip der utilis vindi-

catio auf die Lehen und Bauergüter angewendet werden) (k).

Es iſt mir kein Beyſpiel eines ähnlichen Misbrauchs

rechtsgeſchichtlicher Unterſuchungen bey der Beurtheilung

heutiger Lebensverhältniſſe bekannt.

Zum Schluß dieſer Lehre ſind nun noch die denkbaren

Übergänge der einen der beiden Klagarten in die andere

zu erwähnen. Bei den meiſten Klagen in rem kommen,

neben dem Hauptgegenſtand des Rechtsſtreits, auch noch

Nebenpunkte zur Sprache, welche auf Obligationen beru-

hen; ſo z. B. Erſatz für verzehrte Früchte, für Be-

 

(k) Düroi Bemerkungen S.

292 — 295. 386 fg. 418. — Nicht

blos in Anwendung auf die dem

R. R. fremden Inſtitute zeigt

ſich jene Grundanſicht verwerflich,

ſondern auch in Anwendung auf

die Inſtitute des R. R. ſelbſt.

Weil nämlich die confessoria als

vindicatio der res incorporalis

aufgefaßt wird, ſo wird behaup-

tet, dieſe Klage ſey nicht etwa ein

Schutzmittel für die in der Ser-

vitut enthaltenen Befugniſſe gegen

jeden Verletzer, ſondern es werde

nur das Eigenthum des Rechts

gegen den Beſitzer dieſes Rechts,

den Eigenthümer, vindicirt. (Be-

merkungen S. 278. 281. 290—292).

Dieſe Behandlung jener Klage

würde aber nicht nur für das prakti-

ſche Bedürfniß ſehr ungenügend

ſeyn, ſondern ſie widerſpricht auch

geradezu vielen Stellen des Römi-

ſchen Rechts. Vgl. L. 60 § 1 de

usufr. (7. 1.), L. 1 pr. L. 5 pr.

si ususfr. (7. 6.), L. 10 § 1 si

serv. (8. 5.).

3*

|0050 : 36|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

ſchädigungen an der vindicirten Sache. Da dieſe jedoch

nur eine untergeordnete und abhängige Natur haben, wie-

wohl ſie durch den äußeren Erfolg ſehr wichtig ſeyn kön-

nen, ſo iſt eine ſolche Klage darum nicht weniger in rem.

Dagegen finden ſich drei Klagen (die Theilungsklagen),

welche zwar auch auf Obligationen beruhen, und daher

mit Recht personales heißen (l), aber von anderen perſön-

lichen Klagen dadurch weſentlich verſchieden ſind, daß in

ihnen zugleich über das ſtreitige Eigenthum entſchieden

werden kann. Dieſes geſchieht bey den eigentlichen Thei-

lungsklagen (familiae herciscundae und communi dividundo)

dadurch, daß über das ſtreitige Miteigenthum des Klägers,

wenn er im Beſitz deſſelben iſt, in der auf Theilung ge-

richteten Klage zugleich mit entſchieden wird (m); bei der

actio finium regundorum dadurch, daß der Kläger den

Theil des Grundſtücks, welchen er in Folge der Gränz-

verwirrung bisher entbehrte, durch dieſe Klage eben ſo,

wie durch eine Vindication, wieder erlangen kann (n). Da-

her wird von dieſen Klagen geſagt: mixtam causam ob-

tinere videntur, tam in rem, quam in personam (o). —

Es erklärt ſich alſo dieſer Ausdruck aus den materiellen

(l) L. 1 fin. reg. (10. 1.) „Fi-

nium regundorum actio in per-

sonam est, licet pro vindica-

tione rei est.” L. 1 § 1 C. de

ann. except. (7. 40.)

(m) L. 1 § 1 fam. herc. (10. 2.)

(n) „pro vindicatione rei

est” ſ. o. Note l.

(o) § 20 J. de act. (4. 6.).

Ich habe hier den Grund ange-

geben, der den Ausdruck rechtfer-

tigen kann. Ob übrigens dieſer

Ausdruck ſchon von alten Juriſten,

von vielen oder wenigen, gebraucht

worden iſt, läßt ſich freylich nicht

entſcheiden.

|0051 : 37|

§. 210. Pönalklagen.

Rechtsverhältniſſen, und aus den Beſtimmungen des Ju-

ſtinianiſchen Rechts. Im älteren Recht hatte derſelbe Aus-

druck noch einen anderen, mehr formellen Grund, welcher

erſt unten (§ 216) klar gemacht werden kann. Auch die

hereditatis petitio, die gewiß in rem iſt, (§ 207. b) heißt ein-

mal mixta personalis actio (p), und es ſcheint dieſes nicht

blos auf eine perſönliche Beymiſchung in ihren Wirkungen

zu gehen, welche ihr ohnehin nicht ausſchließend zuzuſchrei-

ben iſt, ſondern auch darauf, daß bei ihr die Perſon des

Beklagten mehr als bey anderen in rem actiones be-

ſchränkt iſt (q).

§. 210.

Arten der Klagen. Pönalklagen.

Auch die nun folgende Eintheilung bezieht ſich auf das

innere Weſen der Klagen, auf ihren Gegenſtand, Zweck,

Erfolg; ſie erſcheint ſogar zunächſt nur als eine Unterein-

theilung der perſönlichen Klagen (a), obgleich ſie in einer

ihrer Modificationen über die Gränze derſelben hinaus

reicht: dagegen bezieht ſie ſich ganz ausſchließend auf die

das Vermögen betreffenden Klagen.

 

(p) L. 7 C. de pet. her. (3. 31.)

(q) Vgl. § 207. b, 208. k, und

Beylage XIII. Num. IX.

(a) § 17 J. de act. (4. 6.)

„Rei persequendae causa com-

paratae sunt omnes in rem ac-

tiones. Earum vero actionum,

quae in personam sunt, hae

quidem” rel. (Nun folgt die Ein-

theilung). — Der Hauptſache nach

könnte man dieſe Lehre als eine

Eintheilung der Obligationen be-

handeln, und aus dem Actionen-

recht ganz verweiſen; ſie greift je-

doch auf ſo mannichfaltige Weiſe

in die Behandlung der Klagen ein,

daß ihre Kenntniß ſchon an dieſer

Stelle nicht zu entbehren iſt.

|0052 : 38|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Dieſe nämlich ſind, nach ihrem reinen, einfachen Be-

griff dazu beſtimmt, den Vermögenszuſtand eines Jeden zu

erhalten, oder, wenn er geſtört iſt, wiederherzuſtellen; ſie

ſollen alſo einen ungerechten Schaden des Einen, einen

ungerechten Gewinn des Andern, verhindern. So die rei

vindicatio und die Darlehnsklage; wenn beide ihren Zweck

erreichen, ſo iſt jeder Theil ſo reich, als er zuvor war;

es wird blos eine Veränderung des Vermögensſtandes

abgewehrt, oder der faktiſche Zuſtand mit dem Rechts-

zuſtand in Einklang gebracht.

 

Eine künſtliche, ganz poſitive Anſtalt verknüpft mit

manchen Verletzungen noch eine andere Folge. Der Ver-

letzer ſoll unfreywillig ärmer, der Verletzte um eben ſo

viel reicher werden. Es wird alſo durch ſie eine Ver-

änderung des Vermögens, in Folge der Verletzung be-

wirkt, und der Gegenſtand dieſer Veränderung heißt poena.

 

Wo nun eine ſolche poena eintritt, iſt es ein zufälli-

ger, untergeordneter Umſtand, ob beide hier angegebene

Zwecke (Erhaltung und Veränderung zur Strafe) durch

eine und dieſelbe Klage verfolgt werden, oder durch zwei

getrennte Klagen (b). Von einer Klage auf bloße Erhal-

tung des Vermögens heißt es: rem persequitur, rei per-

sequendae causa datur; von einer Klage auf bloße Strafe:

poenam persequitur, poenae persequendae causa datur,

 

(b) So geht die condictio fur-

tiva auf bloße Rückgabe der ge-

ſtohlenen Sache oder ihres Wer-

thes, alſo auf Erhaltung des Ver-

mögens, die furti actio auf bloße

Strafe; dagegen geht die actio

vi bonorum raptorum auf Sache

und Strafe zugleich.

|0053 : 39|

§. 210. Pönalklagen.

poenalis est; von einer Klage, welche beide Zwecke

umfaßt: mixta est, obgleich auch dieſe oft blos poenalis

heißt (c). Eine beſondere Rückſicht auf dieſe letzte Art iſt

nicht nöthig, da ſie eigentlich aus zwey verſchiedenen Kla-

gen zuſammengeſetzt iſt, ſo daß ihre Beſtandtheile in den

meiſten Fällen auch in der Anwendung leicht getrennt

werden können.

In den zwey hier dargeſtellten Arten der Klagen er-

ſcheint Das, was mit beiden ſtreitenden Theilen vorgeht,

ganz gleichartig; der Vermögenszuſtand wird für Beide

durch die Pönalklagen verändert, durch die anderen Kla-

gen erhalten. Dieſes an ſich einfache Verhältniß erhält

aber dadurch einige Verwicklung, daß es eine zahlreiche

und wichtige Klaſſe von Klagen giebt, die zwiſchen den

beiden eben dargeſtellten Arten in der Mitte liegt. Ihre

Eigenthümlichkeit beſteht darin, daß die Wirkung auf die

Parteyen ungleichartig iſt; für den Kläger wird der Ver-

mögenszuſtand nur erhalten, für den Beklagten wird er

möglicherweiſe verändert, ſo daß der Gegenſtand der

Klage für den Kläger Entſchädigung, für den Beklagten

 

(c) Die allgemeinſten Stellen

hierüber ſind: Gajus IV. § 6 — 9,

§ 16 — 19 J. de act. (4. 6.); die

genauere Erörterung des Sprach-

gebrauchs aber wird ſogleich nach-

folgen. — Neuere Schriftſteller

nennen häufig die eine Art der

Klagen: rei persecutoriae, al-

lein dieſes Adjectivum kommt we-

der hier noch anderwärts jemals

vor. Als Subſtantivum, und in

einer durchaus verſchiedenen Be-

deutung, erſcheint einmal das Wort

im Juſtinianiſchen Codex (L. un.

C. J. de auri publ. 10. 72.);

aber auch dabey iſt die Leſeart

ſehr zweifelhaft, da der Theodoſi-

ſche Codex prosecutoria lieſt.

(L. un. C. Th. eod. 12. 8.)

|0054 : 40|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

aber Strafe iſt. Als Beyſpiel dieſer Mittelklaſſe kann die

doli actio dienen. Der Kläger erhält dadurch nie mehr

als den Erſatz des durch des Gegners Betrug entſtande-

nen Schadens; der Beklagte aber muß dieſen Erſatz lei-

ſten, auch wenn er nicht aus Gewinnſucht, ſondern blos

aus Bosheit betrogen hat, in welchem Fall alſo die Klage

auf ihn wie eine Strafe wirkt, indem ſie ihn poſitiv är-

mer macht, nicht blos eine ungerechte Bereicherung ver-

hütet (d).

Dieſes gemiſchte Verhältniß ſetzt alſo, wo es rein und

vollſtändig erſcheinen ſoll, immer voraus, daß ein Stück

Vermögen vernichtet worden iſt; um dieſes Stück iſt

der Verletzte ärmer, der Verletzer nicht reicher geworden.

 

Wenn übrigens das Weſen dieſer Mittelklaſſe darin

geſetzt wird, daß die Klage auf den Beklagten als Strafe

wirke, indem ſie ihn poſitiv ärmer mache, ſo iſt dabei

blos die äußerſte Möglichkeit dieſes Falles berückſichtigt.

Um bey dem gewählten Beyſpiel ſtehen zu bleiben, ſo

kann allerdings der Betrüger durch den Betrug auch ge-

wonnen haben, vielleicht eben ſo viel, als der Betrogene

verlor, in welchem Fall er nicht eigentlich Strafe leidet,

ſondern nur ungerechten Gewinn herausgiebt. Allein die

 

(d) L. 39. 40. de dolo (4. 3.).

— Die hier bemerkte Varietät

der Strafklagen findet ſich nicht

überall gehörig anerkannt. Rich-

tig unterſcheidet ſie unter andern

Vinnius in § 1 J. de perpet.

(4. 12.) Num. 4. 5. Sie findet

ſich ferner anerkannt, mit Sorg-

falt behandelt, aber anders, als

hier geſchehen, ausgebildet und

ausgedrückt, in Kierulffs Theo-

rie des gemeinen Civilrechts Bd. 1.

S. 220 — 230.

|0055 : 41|

§. 210. Pönalklagen.

juriſtiſche Natur der Klage wird durch die bloße Möglich-

keit, daß ſie den Beklagten als reine Strafe treffe, be-

ſtimmt, und der zufällig verſchiedene Erfolg einzelner Fälle

wird bei der Bezeichnung derſelben nicht beachtet. Auch

der Gegenſtand dieſer Klagen kann alſo ein gemiſchter

oder zuſammengeſetzter ſeyn, ſo wie es bey den zweyſeitigen

Strafklagen, da wo dieſe den Namen mixtae actiones

führen, bemerkt worden iſt; allein die Miſchung hat in

dieſen beiderley Fällen eine verſchiedene Natur und nicht

übereinſtimmende Gränzen.

Um mich in kurzen Worten deutlich machen zu können,

will ich folgende Ausdrücke gebrauchen:

 

Zweyſeitige Strafklagen, die auf beide Theile verändernd

einwirken, wie furti actio.

Einſeitige Strafklagen, die nur für den Beklagten die

Strafnatur haben, und zwar nur möglicherweiſe, wie

doli actio.

Erhaltende Klagen, die von keiner Seite den Umfang

des Vermögens ändern, wie die Klage aus Eigen-

thum oder Darlehen (e).

Der Römiſche Sprachgebrauch iſt hierin ſehr ſchwan-

kend, und bedarf deshalb einer mehr als gewöhnlich ſorg-

fältigen Feſtſtellung.

 

(e) Wo gerade ein beſonderes

Bedürfniß eintritt, die einſeitigen

Strafklagen durch einen gemeinſa-

men Ausdruck mit den erhaltenden

Klagen zu bezeichnen, da möchte

der Ausdruck: Entſchädigungs-

klagen (im Gegenſatz der reinen

Strafklagen) zu empfehlen ſeyn.

So wird dieſer Ausdruck unten im

§. 234 gebraucht.

|0056 : 42|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

1) Für die zweyſeitigen Strafklagen kommen folgende

Bezeichnungen vor.

 

Poenales actiones.

§ 9 J. de L. Aquil. (4. 3.)

§ 1 J. de perpet. (4. 12.)

L. 23 § 8 ad L. Aquil. (9. 2.) (Ulpian.)

L. 1 § 23 de tutelae (27. 3.) (Ulpian.)

L. 1 pr. de priv. del. (47. 1.) (Ulpian.)

L. 111 § 1 de R. J. (50. 17.) (Gajus.)

Poenam persequuntur, poenae persequendae causa com-

paratae, ad poenam respiciunt.

Gajus IV § 6 — 9.

§ 16 — 19 J. de act. (4. 6.)

L. 50 pro soc. (17. 2.) (Paul.)

Im Gegenſatz derſelben heißt es nun von allen übrigen

Klagen, alſo die einſeitigen Strafklagen mit eingeſchloſſen:

 

Rem persequuntur, rei persequendae causa comparatae,

ad rei persecutionem respiciunt, rei persecutionem

continent.

Gajus IV § 6 — 9.

§ 16 — 19 J. de act. (4. 6.) und zwar hier noch mit

dem Ausdruck mixtae für die zuſammengeſetzten.

L. 50. pro soc. (17. 2.) (Paul.)

L. 21. § 5 de act. rer. amot. (25. 2.) (Paul.)

Die einſeitigen Strafklagen insbeſondere haben, vom

Standpunkt dieſes Sprachgebrauchs aus, folgende Benen-

nungen:

 

|0057 : 43|

§. 210. Pönalklagen.

Factum puniunt.

L. 9 § 1 quod falso (27. 6.) (Ulpian.)

Ex delicto dantur, pertinent ad rei persecutionem.

L. 7 de alien. jud. (4. 7.) (Gajus.)

Poenae nomine concipiuntur, rei continent persecu-

tionem.

L. 9 § 8 L. 11 de reb. auct. jud. (42. 5.) (Ulpian.)

Non est poenalis, sed rei persecutionem continet.

L. 4 § 6 de alien. jud. (4. 7.) (Ulpian.)

In allen dieſen Stellen alſo beziehen ſich die unter-

ſcheidenden Benennungen auf den Umſtand, daß durch die

Klage der Kläger bald bereichert, bald blos entſchä-

digt wird.

 

2) Dann aber giebt es auch andere Stellen, worin dieſel-

ben Ausdrücke gebraucht werden, um die verſchiedene Wir-

kung der Klage auf das Vermögen des Beklagten zu

unterſcheiden, je nachdem nämlich der Beklagte entweder

Etwas unbedingt zu leiſten hat, ſelbſt wenn er dadurch

poſitiv ärmer wird, oder aber nur dasjenige herausgeben

ſoll, was außerdem eine ungerechte Bereicherung für ihn

ſeyn würde (quod ad eum pervenit, quatenus locupletior

est, ut lucrum extorqueatur).

 

In Anwendung dieſes, von dem vorigen verſchiedenen,

Sprachgebrauchs heißt nun eine einſeitige Strafklage (wel-

cher anderwärts dieſer Name verſagt wurde) poenalis.

 

L. 1 § 5. 8 ne vis fiat (43. 4.) (Ulpian.)

Und ganz conſequent wird nun im Gegenſatz der Aus-

 

|0058 : 44|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

druck: rei persecutionem continent ausſchließend von den

erhaltenden Klagen gebraucht, ſo daß ſelbſt die einſeitigen

Strafklagen (namentlich die doli actio) von dieſer Benen-

nung ausgeſchloſſen werden.

L. 35 pr. de O. et A. (44. 7.) (Paul.)

L. 3 pr. § 1 de vi (43. 16.) (Ulpian.)

L. 3 § 1 (L. 1 § 4 L. 10) si quid in fraud. (38. 5.)

(Ulpian.)

L. 7 § 2 de cond. furtiva (13. 1.) (Ulpian.)

Die Ausdrücke ſind alſo mit Vorſicht zu Beweiſen über

die Natur einer Klage zu gebrauchen, da ſogar derſelbe

Ulpian den Namen poenalis actio einer einſeitigen Straf-

klage bald beylegt, bald abſpricht, und da daſſelbe

Schwanken auch bey dem Ausdruck: rei pers ecutionem

continere wahrgenommen wird.

 

§. 211.

Arten der Klagen. Pönalklagen. (Fortſetzung.)

Die eigenthümliche Natur der Strafklagen läßt ſich

auf folgende Sätze zurückführen:

 

A) Wenn ein Sklave die Handlung begieng, ſo konnte

die Klage gegen den Herrn als noxalis actio angeſtellt

werden; dieſe Regel galt für beide Arten der Strafklagen

auf gleiche Weiſe (a).

 

(a) Faſt alle Stellen von Noxal-

klagen beziehen ſich auf zweyſeitige

Strafklagen, die meiſten auf die

furti actio. Daraus würde ſchon

folgen, daß die einſeitigen, als die

minder bedenklichen, um ſo mehr

als Noxalklagen angeſtellt werden

könnten; es werden aber auch aus-

|0059 : 45|

§. 211. Pönalklagen. (Fortſetzung.)

B) Wenn Mehrere gemeinſchaftlich ein Delict begehen,

ſo werden die zwey Arten der Strafklagen auf verſchie-

dene Weiſe behandelt. Die zweyſeitigen gehen gegen je-

den Theilnehmer auf die volle Strafe, ſo daß für Ein

Delict die Strafe ſo vielmal bezahlt wird, als die Zahl

der Theilnehmer beträgt (b). Die einſeitigen Strafklagen

können zwar auch gegen jeden Theilnehmer, nach freyer

Auswahl, angeſtellt werden; hat aber Einer derſelben das,

was für ihn Strafe iſt (oder doch ſeyn kann) entrichtet,

 

drücklich ſolche Klagen als Noxal-

klagen angeführt. L. 9 § 4 de dolo

(4. 3.). L. 9. § 1 quod falso (27.

6.) Außerdem ſagt L. 1 § 2 de priv.

del. (47. 1.) „in ceteris quoque

actionibus, quae ex delictis ori-

untur .. placet, ut noxa ca-

put sequatur.” Dieſer Ausdruck

aber umfaßt unzweifelhaft beide Ar-

ten der Strafklagen. Überhaupt

kann man ſagen, daß bey Hand-

lungen eines Sklaven, die ihrer

Natur nach obligatoriſch ſind, die

a. de peculio mit der a. noxalis

in einem alternativen Verhältniß

ſteht; iſt die Handlung ein Rechts-

geſchäft, ſo gilt ausſchließend die

a. de peculio, iſt ſie ein Delict,

ſo gilt ausſchließend a. noxalis.

L. 49 de O. et A. (44. 7.)

(b) L. 51 in f. ad L. Aquil.

(9. 2.) L. 55 § 1 de admin. (26.

7.) „Nam in aliis furibus” rel.

L. 5 § 3 si quis eum (2. 7.) L.

1 C. de cond. furt. (4. 8.) „Prae-

ses provinciae sciens furti qui-

dem actione singulos quosque

in solidum teneri, condictionis

vero numorum furtim subtrac-

torum electionem esse, ac tum

demum, si ab uno satisfactum

fuerit, ceteros liberari, jure pro-

ferre sententiam curabit.” Stän-

den hier blos die Worte in solidum,

ſo könnten dieſe, nach der ſonſt

gewöhnlichen Bedeutung, auch bey

der Strafe auf ein Wahlrecht be-

zogen werden; allein der Zuſatz

singulos quosque, noch mehr

aber der ſehr deutlich beſchriebene

Gegenſatz der condictio furtiva,

ſetzt die wahre Meynung außer

Zweifel. Bey der Jujurie ver-

ſteht ſich dieſelbe Behandlung noch

mehr von ſelbſt, da eigentlich die

Handlung eines Jeden eine ſelbſt-

ſtändige Jujurie enthält. L. 34

de injur. (47. 10.). Von Kla-

gen dieſer Art iſt auch zu ver-

ſtehen L. 5 pr. de nox. act. (9.

4.) „nec altero convento alter

liberabitur.” — Vgl. auch un-

ten § 234.

|0060 : 46|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

ſo werden die Übrigen dadurch frey (c). Dieſes iſt die

nothwendige Folge davon, daß der Kläger nur Entſchä-

digung zu fordern hat, mit deren Begriff eine Vervielfäl-

tigung im Widerſpruch ſtehen würde.

C) Auch bey dem Übergang der Strafklagen auf die

Erben des Verletzers gelten für beide Arten derſelben ver-

ſchiedene Regeln.

 

Zweyſeitige Strafklagen gehen gar nicht auf die Erben

über, das heißt der Verlezte kann niemals den Gewinn,

der ihm unter dem Namen einer Strafe dargeboten iſt,

von dem Erben des Verletzers einklagen (d). Jedoch ſind

dabey zwey nähere Beſtimmungen zu bemerken. — Iſt die

Klage mixta, ſo wird der Theil der Klage, welcher nicht

auf den Gewinn, ſondern auf die bloße Entſchädigung des

Klägers gerichtet iſt, von dem Erben eingefordert, ſoweit

dieſer reicher aus dem Delict iſt (e), weil dieſes als all-

gemeine Regel für alle aus Delicten entſpringende Obli-

 

(c) L. 1 § 4 de eo per quem

factum (2. 10.), L. 14 § 15 L.

15 quod metus (4. 2.), L. 1 § 10

L. 3. 4 de his qui effud. (9. 3.),

L. 17 pr. de dolo (4. 3.). Vgl.

unten § 232, und Ribbentrop

von Correalobligationen § 14. 15.

(d) Gajus IV. § 112. § 1 J. de

perpet. (4. 12), L. 1 pr. de

priv. del. (47. 1), L. 5 § 4 si

quis eum (2. 7), L. 111 § 1 de

R. J. (50. 17), L. 22 de op. novi

nunc. (39 1), L. 5 § 5. 13 de

effusis (9. 3), L. 8 de popul.

act. (47. 23.).

(e) L. 4 § 2 de incendio

(47. 9.). — Nicht ganz ſcheint zu

der aufgeſtellten Regel zu paſſen

L. 5 pr. de column. (3. 6), in-

dem dieſe Klage, die in der Regel

eine Strafe verfolgt, dennoch ge-

gen den Erben gehen ſoll. Allein

in der That kann man der actio

in simplum, von welcher allein

hier die Rede iſt, dieſen reinen

Strafcharacter nicht beylegen, in-

dem ſie ja auch durch die ange-

ſtellte Condiction ausgeſchloſſen

wird. L. 5 § 1 eod.

|0061 : 47|

§. 211. Pönalklagen. (Fortſetzung.)

gationen gilt (f). — Iſt die Klage gegen den Verletzer

ſelbſt angeſtellt, dieſer aber nach der Litisconteſtation ge-

ſtorben, ſo geht die Klage mit allen ihren Folgen gegen

den Erben fort, weil nunmehr die Klage einen contract-

lichen Character angenommen hat (g).

Für die einſeitigen Strafklagen gilt daſſelbe, was ſo

eben für den auf Entſchädigung gerichteten Theil der mix-

tae actiones bemerkt worden iſt. Der Erbe muß dieſelben

gegen ſich anſtellen laſſen, inſoweit er reicher aus der

Handlung ſeines Erblaſſers iſt (h). — Durch die Litiscon-

 

(f) L. 38 de R. J. (50. 17),

L. 5 pr. de calumn. (3. 6.). —

Derſelbe Satz gilt auch für Cri-

minalverbrechen. L. 20 de accus.

(48. 2), L. 12 de L. Corn. de

falsis (48. 10.). — Indeſſen iſt

dieſer Satz doch eine bloße Noth-

hülfe, damit in keinem Fall irgend

ein Gewinn in des Verletzers Ver-

mögen zurück bleibe. Wenn aber

dieſer Zweck auch ſchon durch eine

andere, concurrirende, Klage, gegen

die Erben erreicht werden kann, ſo

bleibt es bei der reinen Regel, daß

Pönalklagen gar nicht gegen die

Erben gehen ſollen. Hieraus ſind

zu erklären L. 2 § 27 vi bon. rapt.

(47. 8), L. 1 § 23 de tutelae

(27. 3.).

(g) § 1 J. de perpet. (4. 12),

L. un. C. ex delictis (4. 17),

L. 26 de O. et A. (44. 7),

L. 139 pr. de R. J. (50. 17.). —

Nach L. 33 de O. et A. (44. 7)

könnte man glauben, nicht erſt die

Litisconteſtation, ſondern ſchon die

Anſtellung der Klage, übertrage

dieſelbe unbedingt auf die Erben.

Allein dieſe Stelle iſt von ſolchen

Fällen zu verſtehen, worin der Ver-

ſtorbene die Litisconteſtation durch

Zögerung verhindert hat, wie in

L. 10 § 2 si quis caut. (2. 11.).

Vgl. Glück B. 6 S. 196.

(h) L. 35 pr. de O. et A.

(44. 7), L. 44 de R. J. (50. 17),

L. 1 § 6 de eo per quem fa-

ctum (2. 10), L. 16 § 2 L. 19

quod metus (4. 2), L. 17 § 1

L. 26 de dolo (4. 3), L. 9 § 8

L. 10 de reb. auct. jud. (42. 5),

L. 1 § 48 L. 2 L. 3 pr. de vi

(43. 16), L. un. C. ex delictis

(4. 17.). — Gegen dieſe, von den

Meiſten anerkannte, Regel hat ſich

neuerlich theilweiſe erklärt Franke

Beiträge S. 28 — 41. Er will bey

den bloßen Entſchädigungsklagen

(die ich einſeitige Strafklagen

nenne) den beſchränkten Über-

gang auf die Erben des Beklag-

ten nur gelten laſſen, inſofern dieſe

|0062 : 48|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

teſtation wird hier, wie in dem vorhergehenden Fall, ſeine

Obligation eine unbeſchränkte (Note g.).

Unterſucht man die Wichtigkeit und den inneren Werth

dieſer eigenthümlichen Beſtimmungen, ſo iſt es ſogleich ein-

leuchtend, daß die Noxalklagen für uns völlig verſchwun-

den ſind; die Behandlung mehrerer gemeinſchaftlich Han-

delnden, an ſich nicht von großer Erheblichkeit, enthält

nichts Anſtößiges; dagegen erfordert der beſchränkte Über-

gang auf die Erben eine genauere Betrachtung. — Von

einem allgemeineren Standpunkt aus angeſehen, erſcheinen

hierin die zweyſeitigen und einſeitigen Strafklagen in ihrem

innerſten Weſen verſchieden. Wenn ein Verbrecher Ge-

fängniß oder Leibesſtrafe verwirkt hat, und vor der Be-

ſtrafung ſtirbt, ſo wird Niemand daran denken, dieſe

Strafe an dem Erben vollziehen zu laſſen; der Grund

 

Klagen prätoriſche ſeyen, die Ci-

vilklagen dieſer Art ſollen unbe-

ſchränkt gegen die Erben gehen,

der einzige Fall ſolcher Art aber

ſey die condictio furtiva. Dieſe

Unterſcheidung, wofür er überdem

einen befriedigenden inneren Erklä-

rungsgrund anzugeben vergeblich

verſucht hat (S.37) wird unten durch

den Beweis widerlegt werden, daß

die condictio furtiva keine De-

lictsklage iſt. (Beyl. XIV. Num.

XVII. XVIII.). Sie läßt ſich

aber auch durch die a. L. Aqui-

liae widerlegen. Zwar iſt dieſe

durch die künſtliche Schadensrech-

nung eine zweyſeitige Strafklage

geworden. Allein wenn das von

Franke aufgeſtellte Princip richtig

wäre, würde dem Verlezten die un-

beſchränkte Klage gegen den Erben

nicht verſagt werden können, ſo-

bald er ſich entſchlöſſe, Das was

in der Klage die Strafnatur hat

aufzugeben, und nur die reine Ent-

ſchädigung (berechnet nach der Zeit

des begangenen Delicts) zu for-

dern, durch welche Forderung er

ja ganz in derſelben Lage ſeyn

würde, wie (nach Franke’s Mey-

nung) der Beſtohlene in der con-

dictio furtiva. Und doch ſoll je-

ner Beſchädigte von dem Erben

durchaus nur deſſen Bereicherung

abfordern können. Vgl. noch un-

ten § 212. g.

|0063 : 49|

§. 211. Pönalklagen. (Fortſetzung.)

liegt darin, daß das Criminalrecht nur mit dem natür-

lichen, individuellen Menſchen zu thun hat (§ 94), nicht

mit dem Vermögensbeherrſcher, auf welche lezte Eigen-

ſchaft allein das Verhältniß des Erben ſich bezieht. Nicht

weſentlich verſchieden iſt aber der Fall der fiscaliſchen

Geldſtrafe, denn obgleich dieſe auf das Vermögen gerich-

tet iſt, ſo dient doch das Vermögen hier nur als Straf-

mittel, deſſen Verſchiedenheit von den vorher erwähnten

Strafmitteln eine untergeordnete Natur hat. Endlich iſt

aber auch die Römiſche Privatſtrafe von der fiscaliſchen

Geldſtrafe, ihrem Weſen nach, nicht verſchieden; der Staat

hat es hier dem Verlezten überlaſſen, die Geldſtrafe ein-

zuziehen und zu behalten. Das Weſen der Strafe bleibt

in allen dieſen Fällen ganz daſſelbe, denn der nächſte

Zweck geht immer dahin, daß den Ungerechten ein Übel

treffe (i), worin auch dieſes Übel beſtehen möge. Und dar-

um iſt es, in allen dieſen Fällen, der wahren Natur der

Strafe gleich widerſprechend, wenn das Übel einem An-

dern als dem Verbrecher zugefügt wird, zum Beyſpiel dem

Erben deſſelben, der als ſolcher zu dem begangenen Un-

recht in gar keinem Verhältniß ſteht. Hierdurch aber er-

ſcheint die Römiſche Regel, nach welcher die eigentlichen

Strafen unvererblich ſind (Note d), völlig gerechtfertigt.

Ganz anders verhält es ſich mit der Entſchädigung.

 

(i) In dieſem nächſten Zweck

ſtimmen Alle überein, wie verſchie-

den ſie auch den entfernteren Zweck

auffaſſen mögen, nämlich bald als

Vergeltung (§ 9. b), bald als Ab-

ſchreckung, als Prävention, oder

als Beſſerung.

V. 4

|0064 : 50|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die Verpflichtung zu derſelben hat völlig gleiche Natur

mit den aus Verträgen entſpringenden Verpflichtungen,

und ſie tritt, ſo wie dieſe, vom Augenblick ihrer Entſte-

hung an, in eine unzertrennliche Verbindung mit dem Ver-

mögen; beide aber haben mit der Individualität und Em-

pfindung des Handelnden, worauf ſich die Strafe bezieht,

gar keine Verbindung. Der Natur dieſes Verhältniſſes

wäre es angemeſſen, daß jene Verpflichtung zur Entſchä-

digung eben ſo unbeſchränkt auf die Erben übergienge, wie

die aus Verträgen, ja wenn ſich hierin Grade annehmen

ließen, ſo erſcheint die Erfüllung jener Verbindlichkeit wohl

noch dringender als die der Verträge. Wenn nun den-

noch die Römer dem Erben die Entſchädigung nur auf

höchſt beſchränkte Weiſe auflegen, und dadurch in der

That dem Verlezten ſein gutes Recht entziehen (k), ſo

liegt der Grund ohne Zweifel in einer irrigen Verwechs-

lung der Entſchädigung mit der davon weſentlich verſchie-

denen Strafe. Die Thatſache dieſer Verwechslung erhellt

deutlich aus dem oben dargelegten höchſt ſchwankenden

Sprachgebrauch. Die Veranlaſſung aber muß wohl in

mehreren Umſtänden geſucht werden. Erſtlich in der blos

äußerlichen, aber täuſchenden Ähnlichkeit der Wirkung

auf den Verletzer, welcher durch die Entſchädigung, eben

(k) Dieſes wird recht anſchau-

lich, wenn ein Reicher aus Rache

eine Brandſtiftung verübt, und vor

Anſtellung der Klage ſtirbt. Der

Erbe iſt hier durch die That nicht

reicher, und die actio L. Aquiliae

trifft ihn daher nicht. L. 23 § 8

ad L. Aquil. (9. 2.). Eben ſo

wenn Jemand aus bloßer Bosheit

einen Andern betrügt, und dadurch

in großen Schaden bringt, ohne

ſelbſt Etwas zu gewinnen.

|0065 : 51|

§. 211. Pönalklagen. (Fortſetzung.)

ſo wie durch die Strafe, eine Verminderung ſeines Ver-

mögens erleiden kann. Zweytens, und noch mehr, in dem

Umſtand, daß bey den Strafklagen nicht ſelten Entſchädi-

gung und Strafe vermiſcht erſcheinen, oft ſo daß Beides

ſchwer abzuſondern iſt (l). Endlich aber kounte die hierin

liegende Härte auch dadurch leichter verborgen bleiben,

daß ſie gerade in dem häufigſten und wichtigſten Fall gar

nicht zur Anwendung kam, bey dem Diebſtahl nämlich,

wozu auch der Raub gehört. Denn hier wird die Ent-

ſchädigung gar nicht durch eine Delictsklage bewirkt, ſon-

dern durch eine Condiction, und die Natur dieſer Klage

bringt es mit ſich, daß ſie unbeſchränkt gegen die Erben

angeſtellt werden kann.

Das ſpätere Schickſal dieſer nicht zu billigenden Rechts-

regel iſt folgendes geweſen. Das canoniſche Recht ver-

warf dieſelbe, und ließ die Klage gegen den Erben, ohne

 

(l) Dieſe Vermiſchung findet

ſich, und zwar in verſchiedener Art,

bey denjenigen Strafklagen, die

noch im neueſten Recht als mix-

tae erſcheinen; ſo in der a. vi bo-

norum raptorum, worin die Ab-

ſonderung leicht, in der a. L. Aqui-

liae, worin ſie ſchwerer iſt. Wahr-

ſcheinlich aber war ſie im älteren

Recht noch ausgedehnter. So war

wohl urſprünglich die furti actio

eine gemiſchte Klage; der doppelte

oder vierfache Sachwerth ſollte

nicht blos den Verluſt der Sache

erſetzen, ſondern auch das mög-

liche höhere Intereſſe vergüten,

und daneben noch dem Beſtohle-

nen eine Summe als Bereicherung

verſchaffen; darauf deutet der ur-

alte Ausdruck: pro fure damnum

decidere. Später wurde noch da-

neben die condictio furtiva auf

die Sache ſelbſt, oder das Inte-

reſſe, (nicht blos auf den Sach-

werth), eingeführt, und von dieſer

Zeit an war freylich die furti

actio eine reine Strafklage. Dieſe

Anſicht konnte hier nur angedeutet

werden, ihre Ausführung muß ei-

nem andern Orte vorbehalten blei-

ben. Iſt dieſelbe richtig, ſo paßt

der im Text folgende Grund nur

auf die ſpätere Zeit.

4*

|0066 : 52|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Rückſicht auf deſſen Bereicherung, gelten (m); jedoch trat

nun an die Stelle der großen, im Römiſchen Recht ange-

nommenen, Beſchränkung eine andere, allerdings viel gerin-

gere. Der Erbe ſollte für die Entſchädigung nur haften,

ſoweit die Erbſchaft reichte; das heißt, er ſollte niemals

aus ſeinem eigenen Vermögen entſchädigen, ſelbſt wenn er

es unterlaſſen hätte ein Inventarium zu machen. Dieſe

neue Beſchränkung hatte in den päbſtlichen Geſetzen ſelbſt

nur einen ſehr ſchwachen Schein der Begründung (n); ihr

wahrer Grund iſt die Praxis, die hierin vom Mittelalter

her ganz gleichförmig geweſen zu ſeyn ſcheint. Man wollte

das Römiſche Recht, im wohlbegründeten Intereſſe des

Verlezten, hierin abändern, glaubte aber dieſe Abänderung

doch wieder vermindern zu müſſen, und ſo erſcheint uns

auch dieſe neueſte Geſtalt des Satzes wiederum eine halbe

Maaßregel, ohne wahren inneren Grund (o): beſſer wäre

(m) c. 3 C. 16. q. 6, C. 14 X.

de sepult. (3. 28), C. 5 X. de

raptor. (5. 17), C. 9 X. de usu-

ris (5. 19), C. 28 X. de sent.

excomm. (5. 39.).

(n) C. 5 X. de raptor. (5. 17)

ſagt: „heredes .. juxta facul-

tates suas condigne satisfa-

ciant,” welcher nichtsſagende Zu-

ſatz ſo viel heißt als: ſoweit ſie

können. Ganz gegen die Worte

hat man das auf die facultates

der Erbſchaft bezogen.

(o) Nur auf folgende Weiſe

könnte etwa eine Rechtfertigung je-

ner neuen Einſchränkung verſucht

werden. Wenn der Erbe ohne In-

ventarium antritt, und nachher die

Erbſchaft mit gewöhnlichen Schul-

den überlaſtet findet, ſo hat er den

Schaden ſeiner Unvorſichtigkeit zu-

zuſchreiben, da er die Vermögens-

umſtände des Verſtorbenen hätte

prüfen können. Verbrechen aber

werden meiſt im Verborgenen be-

gangen, und es iſt daher dem Er-

ben weniger zur Laſt zu legen,

wenn er die aus Verbrechen ent-

ſtandenen Verpflichtungen des Erb-

laſſers nicht gekannt, ja nicht ein-

mal ſolche für möglich gehalten

hat. — Die Schriftſteller jedoch

|0067 : 53|

§. 211. Pönalklagen. (Fortſetzung.)

es geweſen, die Verbindlichkeit des Erben, gleich jeder an-

deren Schuld, ohne Einſchränkung gelten zu laſſen, wie

es den Quellen des canoniſchen Rechts allerdings gemäß

iſt. Neuere Deutſche Schriftſteller haben die Gültigkeit

der angeführten Vorſchrift des canoniſchen Rechts aus

zwey nicht erheblichen, Gründen beſtritten. Erſtlich weil

die Päbſte blos verordnen, daß geiſtliche Zwangsmittel zu

dem erwähnten Zweck angewendet werden ſollten, welches

von einer Rechtsvorſchrift verſchieden ſey. Allein dieſe

geiſtlichen Mittel waren diejenigen, worüber der Pabſt in

allen Ländern am Unmittelbarſten verfügen konnte, und

die Vorſchrift ihrer Anwendung iſt daher, hier wie ander-

wärts, nur als Anerkennung eines Rechtsſatzes im Allge-

meinen zu betrachten. — Zweytens wird in jenen Stellen

unter andern auch das Seelenheil des Verſtorbenen als

Grund für den Zwang gegen den Erben geltend gemacht,

weshalb man fürchtete, durch die Beobachtung jener Vor-

ſchrift möchte die Lehre vom Fegfeuer anerkannt, und da-

durch die reine evangeliſche Lehre gefährdet werden. Allein

die Anerkennung des Rechtsſatzes ſelbſt iſt für uns das

allein Wichtige, und dieſe wird nicht verändert, man mag

einen unterſtützenden dogmatiſchen Beweggrund hinzu thun

oder weg nehmen. — So iſt alſo die durch die Praxis

modificirte Vorſchrift des canoniſchen Rechts als das un-

berufen ſich meiſt nur auf eine ohne weitere Gründe behauptete

aequitas.

|0068 : 54|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

zweifelhafte Reſultat des heutigen gemeinen Rechts zu be-

trachten (p).

§. 212.

Arten der Klagen. Pönalklagen. (Fortſetzung.)

Nachdem die Natur und Wirkung beider Arten der

Strafklagen dargeſtellt worden iſt, ſind dieſelben in An-

wendung auf einzelne Fälle ſelbſt darzuſtellen, und es

iſt insbeſondere das Verhältniß nachzuweiſen, in welchem

dieſe Begriffe zu der vorher dargeſtellten Grundeintheilung

aller Klagen (in personam, in rem) zu denken ſind.

 

Die Klagen in rem können niemals als zweyſeitige

Strafklagen vorkommen (§ 210. a.), wohl aber können ſie

zuweilen die Natur von einſeitigen annehmen. Wenn bey

einer Klage aus Eigenthum, Pfandrecht, Emphyteuſe,

Superficies, Erbrecht, unſer Gegner zwar nicht beſitzt,

aber zu unſrem Schaden entweder den Beſitz unredlicher-

weiſe aufgab, (dolo desiit possidere), oder uns durch den

Schein des Beſitzes getäuſcht hat (liti se obtulit), ſo muß

er ſich, gleich einem wirklichen Beſitzer, die Klage mit

allen ihren Folgen gefallen laſſen. Hier nimmt die Klage

völlig die Natur einer einſeitigen Strafklage, gegründet

auf eine obligatio ex delicto, an (a), und ſie geht daher

 

(p) Ausführlich und befriedi-

gend iſt dieſe ganze Frage behan-

delt von Böhmer jus eccl. Prot.

Lib. 5 T. 17 § 132 — 137, und

Francke Beyträge S. 44 — 57. —

Die Zeugniſſe vieler Praktiker ſind

zuſammengeſtellt bey Müller ad

Leyser. T. 6 p. 176.

(a) Daß die Klage nunmehr

als eine perſönliche wirkt, zeigt

|0069 : 55|

§. 212. Pönalklagen. (Fortſetzung.)

auch gegen den Erben nur, inſoweit dieſer reicher iſt durch

die Unredlichkeit des Erblaſſers (b).

Die perſönlichen Klagen aus Verträgen ſind faſt ins-

geſammt blos erhaltende Klagen, ohne alle Strafnatur.

In einem einzigen Fall, bey dem durch ungewöhnliche Un-

glücksfälle veranlaßten Depoſitum, erſcheint eine ſolche

Klage als mixta, folglich als zweyſeitige Strafklage (c).

— Weit wichtiger aber iſt es, daß die Contractsklagen

nicht etwa durch den hinzutretenden Dolus die Delictsna-

tur annehmen, ſondern reine Contractsklagen bleiben, ſo

daß ſie auch in dieſem Fall ohne Einſchränkung auf die

Erben des Beklagten übergehen (d).

 

ſich im Concurſe, indem hier der

Kläger nur als Glaubiger behan-

delt werden kann, nicht als Sepa-

ratiſt. L. 24 § 2 de rebus auct.

jud. (42. 5.). — Wenn der Be-

klagte aus anderen Gründen, z. B.

wegen Culpa, zur litis aestimatio

verurtheilt wird, ſo erwirbt er da-

durch die Rechte eines Käufers

an der vindicirten Sache (L. 21.

46. 47, 63. de R. V. 6. 1.); hier

erwirbt er gar keine Rechte (L.

63. 69. 70. eod.), und der Ei-

genthümer kann daher noch im-

mer gegen den dritten Beſitzer kla-

gen. L. 95 § 9 de solut. (46.

3.), L. 13 § 14 de her. pet. (5. 3.)

(b) L. 52 de R. V. (6. 1.)

(c) So wird die Regel und

die Ausnahme dargeſtellt in § 17

J. de act. (4. 6.). Nimmt man

nun an, daß hier die Klage unter

allen Umſtänden auf den doppel-

ten Werth gehe, ſo iſt es in der

That eine ganz iſolirte Ausnahme.

Allein § 26 J. de act. (4. 6.) be-

ſchränkt die Strafe auf den Fall

des Abläugnens (wohin auch deu-

tet das perfidiae crimen und das

fidem frangere in L. 1 § 4 de-

positi 16. 3.); darnach aber fällt

dieſe Ausnahme mit mehreren Fäl-

len zuſammen, wovon noch weiter

unten die Rede ſeyn wird (Note f).

(d) L. 49 de O. et A. (44. 7.)

L. 7 § 1 depos. (16. 3.), L. 157

§ 2 de R. J. (50. 17). L. 8 § 1

de fidej. et nomin. (27. 7.). Eben

ſo geht gegen den Sklaven nach

der Manumiſſion nicht die a. de-

positi ex dolo, obgleich die De-

lictsklagen gegen ihn gehen. L.

1 § 18 depos. 16. 3.). — Ein

Zweifel entſteht aus § 1 J. de

perpet. (4. 12.) „aliquando ta-

men etiam ex contractu actio

|0070 : 56|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Das eigentliche Gebiet aber für die Strafklagen ſind

die Obligationen aus Delicten. Dieſe erzeugen insgeſammt

Strafklagen, bald zweyſeitige, bald einſeitige. — Nicht

wenige darunter beziehen ſich auf ſolche Delicte, die bey

Gelegenheit eines Prozeſſes begangen werden. Durch

ſtrafbare Handlungen dieſer Art werden bald eigene, ſelbſt-

ſtändige Strafklagen erzeugt (e), bald nur die ohnehin gel-

tenden Klagen durch eine hinzutretende Strafe erweitert (f).

 

contra heredem non compe-

tit, (veluti) cum testator do-

lose versatus sit, et ad here-

dem ejus nihil ex eo dolo per-

venerit.” Wäre die Leſeart ve-

luti richtig, ſo würde in dieſer

Stelle die ganze, in jenen Dige-

ſtenſtellen anerkannte, Rechtsregel

verneint. Wird dieſe Leſeart (wie

es geſchehen muß) verworfen, ſo

ſagt die Stelle nur, daß es Aus-

nahmen von der Regel gäbe, ohne

dieſe ſelbſt zu nennen; ſo lange

alſo ſolche Ausnahmen nicht ander-

wärts nachgewieſen werden, bleibt

für uns die Stelle inhaltsleer. Jetzt

wiſſen wir nun, daß die Stelle

aus einer ungeſchickten Modifika-

tion des Gajus IV § 113 entſtan-

den iſt. Dieſer hatte einige wirk-

lich unvererbliche Contractsklagen

angegeben, die aber in Juſtinians

Zeit nicht mehr vorkamen, und

deswegen weggelaſſen werden muß-

ten; man wollte nun nicht die

ganze Bemerkung fallen laſſen,

und verwandelte ſie daher in eine

unbeſtimmte Verweiſung auf ſolche

ausgenommene Fälle überhaupt,

wahrſcheinlich in der Hoffnung, es

würden ſich wohl ſolche Fälle in

den Digeſten finden. Der Fall

des Depoſitum, den ſowohl eine

Textvariante, als Theophilus ein-

miſcht, kann auf keine Weiſe die

Schwierigkeit löſen. — Gründlich

iſt die ganze Frage behandelt von

Francke Beiträge S. 16 — 26.

(e) So z. B. die im zweyten

Buch der Digeſten enthaltenen

Strafklagen.

(f) Dahin gehören die Klagen,

worin lis inficiando crescit in

duplum (vgl. Note c.). Dieſe

führen nicht ſchon im Allgemeinen

den Namen von poenales actio-

nes, weil man es ihnen vor der

Anſtellung nicht anſehen kann,

ob der Fall der Straferhöhung

eintreten werde. — Eben ſo die

actio quod metus causa, worin

die Straferhöhung nur erſt ein-

tritt, wenn der Beklagte verſäumt,

vor dem Urtheil freywillig den

Kläger zu befriedigen.

|0071 : 57|

§. 212. Pönalklagen. (Fortſetzung.)

Zwey einzelne Klagen verdienen hier noch eine beſon-

dere Erwähnung, weil ſie leicht mißverſtanden werden

können. — Die actio Legis Aquiliae geht zunächſt auf

Entſchädigung, erhält aber einen unbeſtimmten, blos mög-

lichen, Strafzuſatz dadurch, daß dem Kläger geſtattet

wird, für die Berechnung des Schadens irgend einen frü-

heren, ihm günſtigen, Zeitpunkt innerhalb gewiſſer Zeit-

gränzen auszuſuchen. Durch dieſe problematiſche, in den we-

nigſten Fällen wirkſame, Straferhöhung iſt die Behandlung

der Klage etwas ſchwankend geworden. Gegen die Erben

geht ſie, wie eine mixta actio, auf die bloße Bereicherung (g).

In der Concurrenz mit anderen Klagen ſind durch jene

zweydeutige Natur der Klage, theils unbeſtimmte Äußerun-

gen, theils verſchiedene Meynungen der alten Juriſten ent-

ſtanden (h). Dagegen im Verhältniß zu mehreren Ver-

letzern wird ſie entſchieden als zweyſeitige Strafklage, wie

die furti actio, behandelt, ſo daß jeder Tbeilnehmer das

Ganze zahlen ſoll, ohne durch die frühere Zahlung eines

 

(g) L. 23 § 8 ad L. Aquil.

(9. 2.). Daraus ſind die unbe-

ſtimmten Stellen zu beſchränken,

welche die Klage gegen den Er-

ben ganz zu verſagen ſcheinen. L.

10 pr. comm. div. (10. 3.), § 9

J. de L. Aquilia (4. 3.). In dieſer

letzten Stelle wird die Amplifika-

tion hinzugeſetzt: „quae transi-

tura fuisset, si ultra damnum

nunquam lis aestimaretur,” wel-

ches mit der von allen alten Ju-

riſten anerkannten Rechtsregel im

Widerſpruch ſteht, und blos ein

unüberlegter Verſuch der Compila-

toren zu ſeyn ſcheint, die Sache

von allen Seiten zu beleuchten.

Francke Beiträge S. 30. 41. 44.

nimmt aus dieſer blos hypothe-

tiſchen Äußerung ein neues Argu-

ment für ſeine Meynung, nach wel-

cher die civilen Entſchädigungs-

klagen aus Delicten unbeſchränkt

gegen die Erben gehen ſollen.

Vgl. aber oben § 211. h.

(h) S. u. § 233. 234.

|0072 : 58|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

anderen Theilnehmers befreyt zu werden (i).

Eine auf ähnliche Weiſe zweydeutige Natur hat die

durch die zwölf Tafeln eingeführte Klage auf den doppel-

ten Sachwerth gegen den Vormund, welcher Sachen des

Mündels unterſchlagen hat. Auf den erſten Blick möchte

man ſie, wegen der Verdopplung, für eine mixta actio,

alſo für eine zweyſeitige Strafklage, halten. Dennoch er-

ſcheint ſie, wenn mehrere Vormünder concurriren, ſogar

noch beſchränkter, als die actio Legis Aquiliae, indem die

Zahlung des einen die übrigen befreyt (k). Um ſo mehr

ſteht ſie mit der condictio furtiva in einem blos electiven

Verhältniß, ſo daß durch die Wahl der einen dieſer Kla-

gen die andere ausgeſchloſſen wird (l); und daſſelbe elec-

tive Verhältniß beſteht auch zwiſchen ihr und der tutelae

actio (m). Dieſes Alles erklärt ſich daraus, daß der ver-

doppelte bloße Sachwerth eigentlich nur an die Stelle ei-

nes möglichen, den Sachwerth weit überſteigenden, höheren

Intereſſe, tritt (n), ſo daß alſo der beſtohlene Mündel die

Wahl haben ſoll, ſein höheres Intereſſe entweder unmit-

telbar zu erweiſen, wozu ihm die tutelae actio oder auch

 

(i) S. u. § 234. d1.

(k) L. 55 § 1 de administ.

(26. 7.) Die Worte: „et quam-

vis unus duplum praestiterit,

nihilominus etiam alii tenean-

tur?” müſſen mit in die vorher-

gehende Frage gezogen werden, da

die verneinende Antwort in der

ganzen folgenden Argumentation

deutlich enthalten iſt.

(l) L. 55 § 1 cit. (in den

Schlußworten), L. 2 § 1 de tu-

telae (27. 3.).

(m) L. 1 § 21 de tutelae (27.

3.) „In tutela ex una obliga-

tione duas esse actiones con-

stat” etc.

(n) L. 1 § 20 L. 2 § 2 de tu-

telae (27.3.).

|0073 : 59|

§. 212. Pönalklagen. (Fortſetzung.)

die condictio furtiva dient, oder durch die Klage auf den

doppelten Sachwerth zu verfolgen. Ganz conſequent iſt

es, daß daneben noch die furti actio auf reine Strafe an-

geſtellt werden kann (o). Dagegen wird ſie gegen den Er-

ben gänzlich verſagt, ohne Zweifel weil ſie eine mögliche

Straferhöhung in ſich ſchließt (p).

Es muß noch beſonders gewarnt werden gegen die Ver-

wechslung der Strafklagen mit einigen verwandten Rechts-

inſtituten. — Die Conventionalſtrafen kommen in ihrem

Zweck und Erfolg mit den auf allgemeinen Rechtsregeln

beruhenden Strafen überein, weshalb auch der Ausdruck

poena auf ſie unbedenklich angewendet wird. Allein die

zu dieſem Zweck bey ihnen angewendete Rechtsform iſt ein

Vertrag, die Klage eine gewöhnliche Contractsklage, und

von den Eigenthümlichkeiten der Pönalklagen kann dabey

nicht die Rede ſeyn. Es iſt auch in dieſer Hinſicht ganz

gleichgültig, ob der Strafvertrag durch freye Willkühr

herbeygeführt, oder durch eine richterliche Obrigkeit er-

zwungen worden iſt. Daher erzeugten die im Römiſchen

Prozeß ſo häufigen und wichtigen poenales sponsiones (q)

 

(o) L. 1 § 22 de tutelae (27.

3.) „.. nec enim eadem est

obligatio furti ac tutelae, ut quis

dicat plures esse actiones ejus-

dem facti, sed plures obliga-

tiones: nam et tutelae et furti

obligatur.” L 2 § 1 eod.

(p) L. 1 § 23 de tutelae (27.

3.) „quia poenalis est.” Vgl.

oben § 211. f. — Nämlich für die

reine Entſchädigung iſt gegen den

Erben ſchon die tutelae actio

und die condictio furtiva aus-

reichend.

(q) Gajus IV. § 13. 94. 141.

162 — 168. 171 — 172. — Es

war damit eben ſo wie mit den

praejudiciales sponsiones, wo-

raus auch keine praejudiciales

formulae entſprangen, obgleich

|0074 : 60|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

durchaus keine Pönalklagen, ſondern Contractsklagen, wes-

halb dieſe auch unbeſchränkt gegen die Erben angeſtellt

werden konnten.

Ferner dürfen die Strafklagen nicht verwechſelt wer-

den mit den auf Vindicta gerichteten Klagen. Dieſes ſind

ſolche Klagen, wobey ein eingeklagtes Vermögensrecht nur

als Mittel dient, um einen entfernteren ſittlichen Zweck zu

verfolgen. Nur die kleinere Zahl der Strafklagen hat die-

ſen ganz beſonderen Character; dagegen findet ſich derſelbe

ſogar bey der inofficiosi querela, einer Klage die nicht

mit dem Namen einer Strafklage belegt werden kann (r).

 

Zum Schluß iſt noch die Frage zu berühren, ob das

Recht der Strafklagen für uns unveraͤndert beſteht. Die

einſeitigen Strafklagen, die auf Entſchädigung wegen zu-

gefügter Verletzungen gehen, müſſen natürlich bey uns,

wie in jedem poſitiven Recht, anerkannt werden. Ob eine

gleiche Behandlung derſelben, wie im Römiſchen Recht,

noch jetzt eintrete, iſt bereits oben ausführlich unterſucht

worden. — Die Frage nach der Fortdauer der zweyſei-

tigen Strafklagen läßt ſich auch ſo ausdrücken, ob wir

überhaupt noch Privatſtrafen übrig haben? Die genauere

Erörterung dieſer Frage muß dem Obligationenrecht vor-

behalten bleiben; ſchon hier aber läßt ſich vorläufig der

Satz aufſtellen, daß einige Privatſtrafen noch jetzt vor-

kommen, die meiſten aber völlig verſchwunden ſind.

 

ſie in ihrem Zweck mit dieſen überein kamen (§ 207. f.)

(r) Vgl.

Band 2. § 73.

|0075 : 61|

§. 213. Civiles, honorariae. Ordinariae, extraordinariae actiones.

§. 213.

Arten der Klagen. Civiles, honorariae. Ordinariae,

extraordinariae.

Ich gehe nun zu denjenigen Eintheilungen der Klagen

über, die eine mehr hiſtoriſche Natur haben als die bisher

abgehandelten, indem ſie ſich theils auf die Entſtehung

dieſer Rechtsinſtitute, theils auf die alterthümlichen, im

neueſten Römiſchen Recht verſchwundenen, Prozeßformen

beziehen. Seit der Entdeckung des Gajus laſſen ſich die-

ſelben weit deutlicher überſehen als zuvor. Beſonders der

Zuſtand der Sache zur Zeit der großen juriſtiſchen Schrift-

ſteller läßt ſich mit ziemlicher Sicherheit feſtſtellen. Über

den älteren Zuſtand freylich, und über deſſen allmälige

Umbildung, iſt aus Mangel an beſtimmten Nachrichten

ein weites Feld zu Hypotheſen übrig; es dürfte aber wohl

gerathen ſein, auf ſolche kein großes Gewicht zu legen.

 

Zunächſt iſt hier die längſt bekannte Eintheilung der

Klagen in civiles und honorariae zu bemerken (a); unter

den lezten ſind die meiſten und wichtigſten praetoriae,

einige aediliciae. Das Unterſcheidende beſteht darin, daß

 

(a) L. 25 § 2 de O. et A.

(44. 7), L. 178 § 3 de V. S.

(50. 16) beide von Ulpian. —

Mäcianus ſagt: actiones sive

legitimae sive honorariae. L. 32

pr. ad L. Falc. (35. 2.). —

Gajus IV. § 109 „ex lege esse,

non esse.” Er warnt dabey vor

der Verwechslung dieſes Gegen-

ſatzes mit dem völlig verſchiede-

nen, blos prozeſſualiſchen, Gegen-

ſatz der judicia legitima und

quae imperio continentur. —

Bey Pomponius (L. 2 § 6 de O.

J. 1. 2) heißen legitimae actio-

nes die alten legis actiones, und

eben ſo bey Gellius XX. 10.

|0076 : 62|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

die civiles eine legitima oder civilis causa haben, das

heißt einen im Civilrecht anerkannten Rechtsgrund, anſtatt

daß die honorariae von den Prätoren oder Ädilen in Kraft

ihrer Jurisdictionsbefugniſſe eingeführt waren (b). Darin

alſo darf das Weſen dieſer lezten nicht geſezt werden,

daß das Edict Formeln für dieſelben aufgeſtellt hatte,

denn dieſe waren für beide Arten der Klagen auf gleiche

Weiſe im Edict zu finden (c). Auf der andern Seite

wurden auch die Klagen für ſolche Fälle, worin ſchon ein

civiles Klagrecht beſtanden hatte, honorariae genannt,

wenn dieſes Klagrecht im Edict zu einem neuen Gegen-

ſtand und Erfolg umgebildet worden war; ſo iſt die furti

manifesti actio eine prätoriſche Klage, weil der Prätor

eine Geldſtrafe für dieſen Fall eingeführt hatte, anſtatt

daß die Strafe des Civilrechts eine ganz andere und weit

härtere geweſen war. Die Geldſtrafe alſo hatte keine ci-

vilis causa, und daher war die darauf gerichtete Klage

honoraria (d).

(b) § 3 J. de act. (4. 6.). —

Der Grund dieſer Eintheilung der

Klagen liegt alſo in dem Ge-

genſatz des jus civile und hono-

rarium. Vgl. B. 1 § 22.

(c) Insbeſondere würde es un-

richtig ſeyn, bey denjenigen Kla-

gen, welche zwey Formeln im Edict

hatten, in jus und in factum,

wie die actio depositi und com-

modati, (Gajus IV. 47) die erſte

Formel für eine Civilklage, die

zweyte für eine prätoriſche zu hal-

ten. Beide waren civil, da ſie

eine und dieſelbe civilis causa

hatten, welcher auch gar nicht vom

Prätor ein neues Object gegeben

worden war; die Faſſung beider

Formeln aber war gleichmäßig

vom Prätor ausgegangen, denn

das Civilrecht hatte überhaupt keine

anderen Formeln aufgeſtellt, als

die in den alten Legis actiones

enthaltenen (§ 205. b.).

(d) Gajus IV. § 111, pr. J.

de perpet. (4. 12.).

|0077 : 63|

§. 213. Civiles, honorariae. Ordinariae, extraordinariae actiones.

Dieſe Eintheilung der Klagen durchkreuzt ſich mit den

vorher dargeſtellten. Es giebt daher ſowohl unter den

Civilklagen, als unter den prätoriſchen, in personam und

in rem actiones; Strafklagen, wie erhaltende Klagen.

 

Nach der älteren Gerichtsverfaſſung beruhte der ganze

Prozeß auf dem ordo judiciorum, deſſen Weſen darin be-

ſtand, daß die gerichtliche Obrigkeit, in Rom die Präto-

ren, nur die Einleitung der Sache beſorgte, das weitere

Verfahren aber an Eine oder mehrere Privatperſonen

überließ, und dieſe mit einer Anweiſung (formula) verſah,

auf deren Grund, je nach dem Ausfall der Verhandlun-

gen und Beweiſe, das Urtheil geſprochen werden ſollte;

die allgemeinſte Benennung dieſes commiſſariſchen Urtheil-

ſprechers war Judex, von den dabey vorkommenden Va-

rietäten aber wird noch ferner die Rede ſeyn.

 

Allmälig fand man es räthlich, bey einzelnen ſtreitigen

Rechtsverhältniſſen von dieſer Art des Verfahrens abzu-

gehen, ſo daß die gerichtliche Obrigkeit das ganze Ver-

fahren beſorgte und das Urtheil ſprach, ohne einen Judex

zuzuziehen. Die Benennungen dieſes abweichenden Verfah-

rens waren dieſe: extraordinaria cognitio oder actio, ex-

traordinarium judicium, persecutio. Daß die Klagen die-

ſer Art bald mit dem Namen actiones belegt, bald davon

ausgeſchloſſen wurden, iſt ſchon oben erwähnt worden

(§ 205).

 

Zur Zeit der großen juriſtiſchen Schriftſteller konnte

 

|0078 : 64|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

dieſes Verfahren nur erſt als eine ziemlich beſchränkte

Ausnahme angeſehen werden. Um die Zeit von Diocle-

tian aber wurde die Gerichtsverfaſſung völlig umgebildet;

der ordo judiciorum verſchwand, und es wurden alle Pro-

zeßgeſchäfte in der Hand der Obrigkeit vereinigt, ſo daß

nunmehr der ganze Prozeßgang durch extraordinaria ju-

dicia betrieben wurde (e). Dieſes iſt die Geſtalt des Ge-

richtsweſens im Juſtinianiſchen Recht, und dieſelbe findet

ſich in den allermeiſten neueren Staaten, da die Geſchwor-

nengerichte, auch wo ſie vorkommen, doch meiſt auf das

Criminalverfahren eingeſchränkt ſind.

Es iſt dabey noch das Verhältniß der extraordinaria

judicia (ſolange ſie noch eine abgeſonderte Art der Klagen

bildeten) zu den früher dargeſtellten Gegenſätzen zu er-

wägen.

 

Alle uns bekannte extraordinaria judicia waren in per-

sonam, keine in rem (f). — Eben ſo kommen Strafklagen

 

(e) § 8 J. de interdictis (4. 15),

L. 47 § 1 de negotiiis gestis

(3. 5), ohne Zweifel interpolirt. —

Eine einzelne Conſtitution, wodurch

die ganze, höchſt wichtige, Berän-

derung bewirkt worden wäre, be-

ſitzen wir nicht, vielleicht war eine

ſolche nicht vorhanden. Die älte-

ſten Beſtimmungen finden ſich in

Cod. Just. II. 58, Cod. Theod.

II. 3, L. 8 C. Th. de off. rec-

toris (1. 16.). In dem Tit. Cod.

Just. III. 3 iſt der Übergang deſ-

ſen, was früher Ausnahme war,

zur Regel, ſehr ſichtbar. — Vgl.

Savigny Geſchichte des R. R.

im Mittelalter B. 1 § 26.

(f) In personam ſind die in

L. 1 de extr. cogn. (50. 13) zu-

ſammengeſtellte Klagen; eben ſo

der Anſpruch des Fideicommiſſars

gegen den mit dem Fideicommiß

belaſteten Erben oder Legatar.

Gajus II. § 278. Ulpian. XXV.

§ 12. War eine fideicommiſſariſche

Erbſchaft durch wörtliche Erklä-

rung des Erben reſtituirt, ſo konnte

nun allerdings der Fideicommiſſar

in rem klagen gegen die Beſitzer

von Erbſchaftsſachen; dieſe Klage

|0079 : 65|

§. 213. Civiles, honorariae, Ordinariae, extraordinariae actiones.

extra ordinem nicht vor, denn die mulctae, die allerdings

von allen höheren Obrigkeiten (nicht blos den gerichtlichen)

verhängt werden durften, beruhten gar nicht auf Privat-

klagen, gehörten alſo nicht zur Verfolgung eines Privat-

rechts, zur Entſcheidung eines Rechtsſtreits, obgleich ſie

bey Gelegenheit eines ſolchen eintreten konnten (g). — End-

lich ſcheinen die extraordinariae cognitiones blos auf civil-

rechtliche Inſtitute bezogen worden zu ſeyn, nicht auf prä-

toriſche (h); wo der Prätor einen neuen Rechtsſatz geltend

zu machen nöthig fand, geſchah es wohl immer in den

Formen des ordo judiciorum, alſo durch formula. Dieſe

Behauptung hängt zuſammen mit der Streitfrage, ob die

ſehr zahlreichen Interdicte, die insgeſammt prätoriſchen

Urſprungs waren, unter die ordinaria oder extraordina-

ria judicia gehörten; der richtigern Meynung nach ſind

ſie unter die ordinaria zu rechnen (i).

war aber ein ordinarium judi-

cium, ſo wie jede andere heredi-

tatis petitio. Tit. Dig. de fid.

her. pet. (5. 6.). — Die mis-

sio in possessionem gieng al-

lerdings in rem, dieſe aber war

niemals Entſcheidung eines Rechts-

ſtreits, ſondern eine einſeitige pro-

viſoriſche Maasregel, und der

Rechtsſtreit, der ſich daraus ent-

wickeln konnte, war ſtets ein or-

dinarium judicium.

(g) Eben ſo geſchah die Exſe-

cution der Civilurtheile extra or-

dinem, durch pignus in causa

judicati captum; allein Dieſes

war nicht mehr Entſcheidung eines

Rechtsſtreits, ſondern ein Mittel

zur Überwindung des Ungehorſams

gegen die obrigkeitliche Macht, alſo

im Weſen gleichartig mit der

mulcta.

(h) Vgl. die in der Note f. ent-

haltene Zuſammenſtellung.

(i) Dieſe Frage iſt ausführlich

behandelt in: Savigny Recht

des Beſitzes § 34. — Die Benen-

nung actio wird den Interdicten

bald beygelegt bald verſagt. Vgl.

oben § 205, g. h.

V. 5

|0080 : 66|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Betrachten wir den zulezt dargeſtellten Gegenſatz von

einem allgemeineren Standpunkt, dem der Römiſchen Rechts-

geſchichte überhaupt, ſo erſcheint uns das ordinarium ju-

dicium gleichſam als die hiſtoriſche Mitte des Ganzen.

In der älteſten Zeit beſtand der ganze Prozeß aus den

Legis actiones, in welchen, ſo viel wir wiſſen, keine In-

ſtruction an einen Judex (formula) vorkam. Darauf folgte

der Prozeß der ordinaria judicia, welcher ganz auf den

formulae beruhte. Endlich, nachdem dieſe Prozeßform ver-

ſchwunden war, beſorgte in dem extraordinarium judicium

die Obrigkeit, ohne Judex, das ganze gerichtliche Verfah-

ren, ſo daß nun weder das Bedürfniß, noch die Möglich-

keit einer formula vorhanden war. — Jedoch dürfen wir

dieſe drey Formen des Prozeſſes nicht ſo denken, als ob

ſie der Zeit nach ſtreng geſchieden geweſen wären. Neben

dem ordo judiciorum dauerte als Ausnahme die Legis

actio sacramenti in den Centumviralprozeſſen fort; eben

ſo fiengen in demſelben Zeitraum als Ausnahmen die ex-

traordinaria judicia an, ſo daß die drey Hauptformen des

Prozeſſes gleichzeitig neben einander angewendet wurden.

Endlich, nachdem die ordinaria judicia als Regel ver-

ſchwunden waren, kam doch noch als Ausnahme ein Ju-

dex in geringfügigen Sachen vor; es iſt aber nicht daran

zu denken, daß in dieſem exceptionellen Verfahren die Um-

ſtändlichkeit der formulae wäre angewendet worden.

 

|0081 : 67|

§. 214. Beſtandtheile der formula.

§. 214.

Arten der Klagen. Beſtandtheile der formula.

Die wichtigſten und ſchwierigſten Fragen des Römi-

ſchen Actionenrechts können nur durch die genauere Einſicht

in das Weſen der formulae entſchieden werden, und dieſe

Einſicht iſt erſt durch die Entdeckung des Gajus möglich

geworden. Nach ihm kommen überhaupt vier Beſtand-

theile in den Formeln vor, jedoch ſo daß nur einer der-

ſelben ganz allgemein und weſentlich iſt: Demonstratio,

Intentio, Adjudicatio, Condemnatio (a). Die Adjudicatio

können wir für die allgemeine Betrachtung ſogleich beſei-

tigen, da ſie nur in drey einzelnen Klagen vorkommt (b),

und zur Kenntniß des Weſens der Formeln überhaupt

wenig beyträgt.

 

Demonstratio iſt ein erzählender, einleitender Theil der

formula, worin die Veranlaſſung des Rechtsſtreits erwähnt

wurde. Er war beſonders dazu beſtimmt, für die bekannteſten

und häufigſten Klagen den eigenthümlichen Namen derſel-

ben auszudrücken, da dieſer in den folgenden Theilen nicht

vorkommen konnte, deren Inhalt vielmehr mit den aller-

verſchiedenſten Klagen vereinbar war. Beyſpiele für die

 

(a) Gajus IV. § 39—44. Die

ſtets vorangehende Benennung des

Judex (z. B. L. Octavius judex

esto. Cicero Verr. II. 12) rech-

net er nicht als pars formulae

mit.

(b) Familiae erciscundae,

Communi dividundo, Finium

regundorum. Gajus IV. § 42.

Es ſind die drey ſogenannten Thei-

lungsklagen, welcher Name eigent-

lich nur den beiden erſten zukommt.

5*

|0082 : 68|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

actio venditi, depositi, ex stipulatu, werden Dieſes an-

ſchaulich machen (c).

Quod A. Agerius N. Negidio hominem vendidit.

Quod A. Agerius apud N. Negidium hominem deposuit.

Quod A. Agerius de N. Negidio incertum stipulatus est.

Dieſer erſte Theil kam in ſehr vielen Klagen gewöhnlich

gar nicht vor; namentlich nicht bey den in rem actio-

nes (d): eben ſo bey den äußerſt zahlreichen formulae in

factum conceptae, bey welchen, wie ſogleich gezeigt wer-

den wird, die Intentio Alles enthielt, was in eine einlei-

tende Demonstratio hätte geſetzt werden können. Nach den

beſonderen Umſtänden einzelner Rechtsverhältniſſe konnte

der Klage aus Vorſicht eine eigene Beſchränkung gegeben

werden, die dann, eben ſo wie die Demonstratio, der In-

tentio vorangeſchickt wurde. Dieſe führte den beſonderen

Namen praescriptio, und war auch bey den in rem actio-

nes anwendbar, obgleich dieſe ohne Demonstratio zu ſeyn

pflegten. Gewöhnlich wurde die praescriptio nicht als

Demonstratio angeſehen, ſondern als ein beſonderer, der

ganzen formula vorangehender Zuſatz; in einigen Fällen

aber wurde ſie der wirklichen Demonstratio ſelbſt einver-

leibt (e).

 

Intentio heißt der Theil der Formel, worin die Be-

 

(c) Gajus IV. § 40. 136.

(d) Cicero in Verrem II. 12,

und damit übereinſtimmend Gajus

IV. § 41.

(e) Von den Präſcriptionen

überhaupt handelt Gajus IV.

§ 130—137: die im Text erwähnte

Verſchiedenheit wird bemerkt § 132.

136. 137.

|0083 : 69|

§. 214. Beſtandtheile der formula.

hauptung des Klägers, alſo zugleich der Grund und die

Bedingung der von ihm verlangten Entſcheidung ausge-

drückt war. Es iſt der einzige Theil, welcher in keiner

Formel jemals fehlen konnte (f). Weil er nun das we-

ſentlichſte Stück der Klage in ſich ſchloß, ſo wurden auch

oft die Ausdrücke intentio und intendere für actio und

agere geſezt, ja dieſer Sprachgebrauch iſt ſelbſt in man-

chen Stellen des Juſtinianiſchen Rechts noch ſichtbar geblie-

ben, obgleich der Entſtehungsgrund deſſelben mit den For-

meln ſelbſt längſt verſchwunden war. Jene Behauptung

nun enthielt bald unmittelbar das Daſeyn eines Rechtsver-

hältniſſes, bald ſolche Thatſachen, die als Grund eines

Rechts angeſehen werden ſollten. Die Natur dieſes Unter-

ſchieds wird erſt bey einer gleich folgenden Eintheilung der

Klagen erklärt, und durch Beyſpiele erläutert werden können.

Condemnatio endlich war der praktiſche Theil der For-

mel, das heißt die Anweiſung an den Judex, wie er unter

Vorausſetzung der Wahrheit oder Unwahrheit der Inten-

tio das Urtheil faſſen ſollte. Bey den meiſten Klagen

war eine ſolche vorhanden; ſie fehlte aber bey den Prä-

judicialklagen, das heißt bey denjenigen Klagen, wodurch

zunächſt nur das Daſeyn eines Rechtsverhältniſſes oder

einer Thatſache feſtgeſtellt werden ſollte, ſo daß ſich der

Kläger vorbehielt, in einem künftigen anderen Rechtsſtreit

von dieſer Feſtſtellung Gebrauch zu machen (§ 207. e. f.).

Beyſpiele der Condemnatio ſind folgende (g):

 

(f) Gajus IV. § 44.

(g) Gajus IV. § 43. 47. 51.

|0084 : 70|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Judex N. Negidium A. Agerio Sestertium X. Millia con-

demna, si non paret absolve.

Quanti ea res erit, tantam pecuniam judex N. Negi-

dium A. Agerio condemnato, si non paret absolvito.

Die Schlußworte beziehen ſich auf die Anfangsworte der

Intentio, die in den angeführten Beyſpielen ſo lauteten:

Si paret, ſo daß alſo der ganze Zuſammenhang des Ge-

dankens dieſer war: Si paret, Negidium Sestertium X. Mil-

lia dare oportere, Negidium Sest. X. M. condemna, si

non paret absolve, alſo: wenn du nicht finden ſollteſt, daß

er dieſe Summe ſchuldig ſey, ſo ſprich ihn frey.

 

§. 215.

Arten der Klagen. Directae, utiles. Certa, incerta

formula.

Auf die Intentio, den weſentlichſten Theil der Formel,

bezieht ſich die Eintheilung der Klagen in directae und

utiles.

 

Wenn nämlich ein früherhin beſchränkteres Klagrecht

ſpäter auf neue Fälle ausgedehnt werden ſollte, ſo geſchah

dieſes ſehr häufig dadurch, daß man die ſchon bekannte

Klage unter dem Namen einer utilis actio anwendete (a),

und im Gegenſatz dieſer ausgedehnteren Anwendung hieß

 

(a) L. 21 de praescr. verbis

(19. 5) „Quotiens deficit actio

vel exceptio, utilis actio vel

exceptio (danda) est;” nämlich

vorausgeſezt, daß überhaupt Grund

zu einer ſolchen ausgedehnten An-

wendung vorhanden iſt. — Vgl.

über dieſe Begriffe im Allgemei-

nen Mühlenbruch Lehre von

der Ceſſion § 15.

|0085 : 71|

§. 215. Directae, utiles actiones. Certa, incerta formula.

dann dieſelbe Klage in Anwendung auf diejenigen Fälle,

wofür ſie ſchon urſprünglich gelten ſollte, directa oder

auch vulgaris (b). Es geſchah aber eine ſolche Ausdeh-

nung beſonders unter der Form von Fictionen, ſo daß

man fingirte, ein Kläger, der eigentlich nicht Erbe oder

Eigenthümer war, ſey Erbe oder Eigenthümer, und könne

deswegen mit demſelben Erfolg klagen, wie es der wirk-

liche Eigenthümer ohnehin konnte (c). Daher iſt denn

utilis actio, der urſprünglichen Bedeutung nach, ſo viel

als fictitia, und dieſe gleiche Bedeutung beider Ausdrücke

wird durch folgende Zeugniſſe außer Zweifel geſezt. Ga-

jus bezeichnet die auf Fiction gegründeten Klagen einmal

als den Gegenſatz der directae (d), in einer anderen Stelle

ganz unmittelbar als utiles (e). Ferner wurden die zu

(b) Der Ausdruck vulgaris ſteht

in L. 46 de her. inst. (28. 5.).

— Unrichtig haben dieſen Begriff

Manche ſo gedacht, als hätte jede

ſolche Klage eine ganz eigenthüm-

liche Formel im Edict gehabt. Der

weſentliche Theil der Formel (die

intentio) war für ſehr viele Klagen

völlig gleichlautend (dare opor-

tere, dare facere oportere ex

fide bona u. ſ. w.). Das Eigen-

thümliche der vulgares actiones

beſtand vielmehr nur darin, daß

in der demonstratio der techniſche

Nahme eines bekannten Rechtsge-

ſchäfts gebraucht wurde, z. B. Quod

Agerius fundum vendidit, men-

sam deposuit u. ſ w. Dadurch

war die Klage als venditi oder

depositi actio inviduell bezeichnet.

(c) Gajus IV. § 34—38. „ficto

se herede agit” … „fingitur

rem usucepisse” … „civitas ei

Romana fingitur” … „fingimus

adversarium nostrum capite de-

minutum non esse.” — Wie in

den einzelnen Fällen die Fiction

in der Intentio ausgedrückt wurde,

zeigen die §§ 36. 37 an mehreren

Beyſpielen.

(d) Gajus IV. § 34 „non ha-

bet directas actiones … itaque

ficto se herede intendit.”

(e) Gajus IV. § 38 „introduc-

ta est contra cum eamve actio

utilis, rescissa capitis deminu-

tione, id est in qua fingitur

capite deminutus deminutave

non esse.”

|0086 : 72|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

einer Erbſchaft gehörenden Klagen eigentlich (als directae)

nur dem heres gegeben, vermittelſt einer Fiction er-

hielt ſie ſowohl der Bonorum possessor, als der Fidei-

commiſſar; in dieſer erweiterten Anwendung aber nennt

ſie Gajus utiles, Ulpian fictitiae (f). Von dieſen beiden

Namen drückt der eine (fictitia) die dabey angewendete

Prozeßform unmittelbar aus, der andere (utilis), bezeich-

net mehr das innere Weſen der Sache, nämlich die durch

das praktiſche Bedürfniß (utilitas) herbeygeführte Erwei-

terung eines Rechtsinſtituts (g).

Der Unterſchied dieſer beiden Arten der Klagen lag

gar nicht in der Wirkung, die für beide gleich war, ſon-

dern nur in der Faſſung der Formel, oder eigentlich nur

desjenigen Theils der Formel, welcher Intentio hieß. Die

ganze Eintheilung konnte alſo nur vorkommen bey denje-

nigen Prozeſſen, worin ein Judex gegeben wurde (§ 213),

und nachdem alle Prozeſſe extraordinaria judicia gewor-

den waren, hatte ſie ihre urſprüngliche Bedeutung verlo-

ren, ſo daß jezt jedes unmittelbare Intereſſe derſelben ver-

ſchwunden war (h). Es erklärt ſich aus dieſer weſent-

lichen Veränderung, verbunden mit der eben verſuchten

genaueren Herleitung der Ausdrücke, warum im Juſtinia-

 

(f) Gajus II. § 253 (eben ſo

§ 4 J. de fid. her. 2. 23), Ul-

pian. XXVIII. § 12. Allerdings

ſpricht der erſte blos von utiles

actiones bey dem Fideicommiß,

der zweyte blos von fictitiae bey

der bonorum possessio, und

man könnte die Gleichartigkeit bei-

der Klagen, die ich hier annehme,

etwa noch bezweifeln.

(g) S. o. Band 1 § 15. S. 56

über die Bedeutung von utilitas.

(h) L. 47 § 1 de neg. gestis.

(3. 5), ohne Zweifel interpolirt.

|0087 : 73|

§. 215. Directae, utiles actiones. Certa, incerta formula.

niſchen Recht der Ausdruck fictitia actio ganz verſchwun-

den iſt, während die Benennung der utiles actiones noch

überall vorkommt. Dieſe hat nun für das Juſtinianiſche

Recht, und für uns, nur noch eine geſchichtliche Bedeu-

tung; ſie bringt uns in Erinnerung, daß eine ſo benannte

Klage aus der allmäligen Erweiterung eines früher be-

ſchränkteren Rechtsinſtituts hervorgegangen iſt.

Es iſt jedoch kaum zn bezweifeln, daß auch ſchon im

älteren Prozeß dieſe Erweiterung einer ſchon beſtehenden

Klage auf neue Fälle nicht immer als eigentliche Fiction

in der Formel ausgedrückt wurde (i). Daher hatte man

ſchon damals neben den utiles actiones, die als Fictionen

in der Formel ausgedrückt wurden, auch ſolche, denen der

Name blos in dem materiellen Sinn eines auf neue Fälle

erweiterten Rechtsinſtituts beygelegt wurde. Insbeſondere

läßt ſich annehmen, daß blos bey alten Civilklagen die

Erweiterung durch eine Fiction in der Formel ausgedrückt

wurde (k), anſtatt daß bey den prätoriſchen Klagen die

Natur der utilis actio in der Faſſung der Formel nicht

zur Anſchauung kam (l).

 

(i) Mühlenbruch Ceſſion

S. 150 der dritten Ausgabe.

(k) Die von Gajus wörtlich

angeführten Fälle fingirter einzel-

ner Klagen beziehen ſich ſämtlich

auf alte Civilklagen, die dadurch

ausgedehnt werden ſollten.

(l) Dahin würde alſo gehören

die utilis Serviana actio. L. 1

§ 2 de pign. (20. 1), L. 1 pr.

quib. m. pign. (20. 6.). Eben ſo

das utile interdictum uti pos-

sidetis, unde vi, quod legato-

rum. Vatic. Fragm. § 90. Von

dem zulezt genannten Inter-

dict iſt in der angeführten Stelle

die formula aufbewahrt, und aus

dieſer erhält die hier aufgeſtellte

Anſicht eine unmittelbare Beſtäti-

gung, da in derſelben der Ausdruck

|0088 : 74|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Übrigens finden ſich als utiles actiones ſowohl Kla-

gen in personam, als in rem, ſowohl Pönalklagen, als

ſolche die blos das Vermögen nach beiden Seiten hin un-

verändert erhalten ſollen.

 

Verſchieden von den Fictionsklagen, die noch im neue-

ſten Recht unter dem Namen von utiles actiones vorkom-

men, waren diejenigen, die auf der Fiction einer alten Legis

actio beruhten, und von welchen im neueſten Recht jede

Spur verſchwunden iſt (m).

 

Bey Gajus kommt der Ausdruck incerta formula vor,

welcher auf eine entgegengeſezte certa formula hindeu-

tet (n), und es iſt für die folgende Unterſuchung nicht un-

wichtig, den hierin zum Grunde liegenden Gegenſatz genau

feſtzuſtellen.

 

Betrachten wir zuerſt die Intentio, ſo werden wir die-

ſelbe certa nennen müſſen, wenn die Behauptung des Klä-

 

einer Fiction gar nicht gebraucht

wird; der Zweck wird vielmehr da-

durch erreicht, daß dem gewöhnli-

chen Ausdruck: quod .. possides,

noch hinzugefügt wird: quodque

uteris frueris. — Eben ſo ſind

auch die exceptiones utiles nicht

etwa fictitiae, ſondern erweiterte,

ausgedehnte Exceptionen. Vgl.

§ 227. d.

(m) Gajus IV. § 10. 32. 33.

Die Erwähnung dieſer Form von

Klagen veranlaßt ihn, die ganze

Lehre der alten Legis actiones

§ 11—31. abzuhandeln.

(n) Gajus IV. § 54. — Wo

in unſren Juſtinianiſchen Rechts-

büchern die Ausdrücke incerti

agere, incerti actio, incerta

actio, incertum judicium vor-

kommen, da gehen dieſelben meiſt

beſtimmt auf die actio praescri-

ptis verbis, welche incerta In-

tentio und Condemnatio hatte.

L. 8 L. 9 L. 16 de praescr.

verbis (19. 5), L. 7 § 2 de pa-

ctis (2. 14), L. 23 comm. div.

(10. 3), L. 6 C. de rer. perm.

(4. 64), L. 9 C. de don. (8. 54.).

|0089 : 75|

§. 215. Directae, utiles actiones. Certa, incerta formula.

gers von allen Seiten beſtimmt ausgedrückt iſt. Beyſpiele

ſind dieſe: Si paret Stichum meum esse, Si paret N. Ne-

gidium X. dare oportere, Si paret, Agerium apud Negi-

dium mensam deposuisse (o). Denn in allen dieſen Fäl-

len iſt es aus den Worten der Intentio völlig klar und

gewiß, was der Kläger will und behauptet. — Dagegen

iſt incerta dieſe Intentio: quidquid N. Negidium dare fa-

cere oportet, denn es liegt darin die Behauptung, der Be-

klagte ſey irgend Etwas ſchuldig, der Umfang der Schuld

ſey aber noch nicht genau anzugeben, und werde daher

der Feſtſtellung durch das Verfahren überlaſſen (p).

Betrachten wir nun ferner die Condemnatio. Bey der

incerta Intentio wird immer auch die Condemnatio in-

certa ſeyn müſſen, und dann werden wir nicht zweifelhaft

ſeyn, auch die ganze Klage incerta zu nennen. — Bey der

certa Intentio dagegen ſind zwey Fälle möglich. Die

Condemnatio kann gleichfalls certa ſeyn, und dann wer-

den wir nicht zweifeln, die Klage ſelbſt certa zu nennen;

ſo zum Beyſpiel in der Formel: Si paret N. Negidium

Decem dare debere, Judex N. Negidium Decem con-

demna (q). — Es kann aber auch die certa Intentio eine

incerta Condemnatio mit ſich führen, und dieſer Fall war

deswegen ſo ſehr häufig, weil in der Condemnatio nie

 

(o) Gajus IV. § 45. 47.

(p) Gajus IV. § 47. 136. 137.

(q) Gajus IV. § 50. Es kam

dabey noch folgende Varietät vor.

Die certa Condemnatio konnte

eine wörtliche Wiederholung der

certa Intentio ſeyn (wie im Fall

des angeführten § 50), oder auch

davon ganz verſchieden lauten; ſo

im Fall des § 46.

|0090 : 76|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

etwas Anderes ſtehen durfte als baares Geld (r), anſtatt

daß die Intentio ſehr viele andere genau beſtimmte Gegen-

ſtände enthalten konnte. Zum Beyſpiel kann die Formel

der Eigenthumsklage dienen, worin auf die Intentio: Si

paret Stichum A. Agerii esse, dieſe Condemnatio folgte:

quanti ea res erit, tantam pecuniam N. Negidium A. Age-

rio condemna (s). Dieſe war incerta, denn es war aus

ihren Worten nicht zu erkennen, wie hoch der Judex den

Beklagten verurtheilen würde.

Es iſt nun vor Allem wichtig, dieſe Verſchiedenheit der

Fälle, als wirklich vorkommend, deutlich in’s Auge zu faſ-

ſen. Im älteren Prozeß knüpfte ſich daran ein ſehr

großes praktiſches Intereſſe. War die Intentio certa, ſo

mußte ſich der Kläger hüten, Mehr zu fordern als ihm

zukam; fehlte er hierin, ſo verlor er plus petendo auch

das, was ihm wirklich gebührte (t). Bey der incerta In-

tentio war dieſer Fehler und die damit verbundene Gefahr

unmöglich, da in dem unbeſtimmten quidquid dare opor-

tet niemals eine übertriebene Quantität liegen konnte (u).

In der Demonstratio und Condemnatio waren zwar auch

Übertreibungen möglich, ſie hatten aber niemals jene ge-

fährliche Folge für den Kläger (v).

 

Bisher wurde blos die Sache betrachtet. Was aber

den Ausdruck für den oben erwähnten zweydeutigen Fall

 

(r) Gajus IV. § 48.

(s) Gajus IV. § 51. Ein an-

derer Fall von certa Intentio mit

incerta Condemnatio wird am

Ende des § 68 erwähnt.

(t) Gajus IV. § 53. 60.

(u) Gajus IV. § 54.

(v) Gajus IV. § 57. 58.

|0091 : 77|

§. 215. Directae, utiles actiones. Certa, incerta formula.

(certa Intentio, incerta Condemnatio) betrifft, ſo hatte

man eben ſo viel Grund, die Klage certa als incerta zu

nennen, indem es darauf ankam, ob man hierin die Beſchaf-

fenheit der Intentio, oder die der Condemnatio, vorzugsweiſe

berückſichtigen wollte. Nach einer Stelle des Gajus müſ-

ſen wir annehmen, daß der Ausdruck lediglich auf die In-

tentio gieng, ſo daß alſo in jenem an ſich zweydeutigen

Fall der Ausdruck certa actio oder formula allerdings ge-

braucht wurde, ungeachtet der Unbeſtimmtheit der Condem-

natio. Denn Gajus ſtellt zuerſt die Regel auf, bey der

auf den Sklaven Stichus gerichteten Klage ſey ein plus

petere wohl möglich, wenn nämlich die Stipulation auf

einen Sklaven überhaupt, nicht auf dieſes Individuum,

gerichtet war (w). Dann fährt er in folgenden Worten

fort: Illud satis apparet, in incertis formulis plus peti

non posse, quia cum certa quantitas non petatur, sed

quidquid adversarium dare facere oporteat intendatur,

nemo potest plus intendere (x). Hieraus aber iſt es klar,

daß er nur dieſen letzten Fall (incerta Intentio et Con-

demnatio) unter dem Namen incerta formula verſteht,

den vorhergehenden Fall aber (certa Intentio, incerta Con-

demnatio) nicht als incerta, ſondern als certa formula

anſieht.

(w) Gajus IV. § 53.

(x) Gajus IV. § 54. — Eben

ſo geht bey ihm das certum und

incertum petere lediglich auf die

Intentio, ohne Rückſicht auf die

Condemnatio. IV. § 54. 131.

Eine andere Frage iſt es, was

Certum in Anwendung auf die

Condictionen bedeutet. Darüber

vgl. Beylage XIV. Num. XXXVI.

u. fg.

|0092 : 78|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

§. 216.

Arten der Klagen. In jus, in factum conceptae.

Die im Edict aufgeſtellten Formeln waren von zweyer-

ley Art: in jus, in factum conceptae.

 

Die erſte Klaſſe hatte eine juris civilis intentio, das

heißt die Behauptung des Daſeyns eines im jus civile ge-

gründeten Rechtsverhältniſſes; ſo bey den Klagen in rem:

si paret, fundum (oder hereditatem) Agerii esse, oder:

Agerio jus esse utendi fruendi, eundi, aquam ducendi

oder: Titium liberum esse (a); bey Contractsklagen: dare,

oder dare facere oportere; bey Delictsklagen: damnum

decidere oportere (a¹); in allen dieſen Fällen alſo Daſeyn

eines Eigenthums, einer Obligation oder eines anderen,

durch jus civile anerkannten ſtrengen Rechts. Übrigens

war eine ſolche Intentio bald certa, bald incerta, und

die hinzugefügte Condemnatio desgleichen (b).

 

Die zweyte Klaſſe hatte zur Intentio die bloße Behaup-

tung von Thatſachen, ſie war alſo in ihrer Faſſung ähn-

lich einer Demonstratio (§. 214), und konnte daher eine ei-

gentliche, abgeſonderte Demonstratio gar nicht enthalten,

 

(a) Nämlich dieſe Präjudicial-

klage de statu war die einzige,

welche eine legitima causa hatte,

die übrigen waren prätoriſche Kla-

gen; daher konnte auch nur jene

eine formula in jus concepta

haben. § 13 J. de act. (4. 6.)

(a¹) Gajus IV. § 37. 45. 107.

In dieſen Stellen ſind die mei-

ſten der oben im Text angegebe-

nen. Formeln wörtlich enthalten.

Vgl. auch Beylage XIV. Num. XX.

(b) Decem dare oportere war

certa Intentio, quidquid dare

facere oportet war incerta, ſ.

o. § 215.

|0093 : 79|

§. 216. In jus, in factum conceptae formulae.

da der ganze mögliche Inhalt einer ſolchen ſchon in die

Intentio ſelbſt verſchmolzen war (c). Eine ſolche Intentio

war ſtets certa, da jederzeit beſtimmte Thatſachen behauptet

werden mußten, hierin alſo Nichts dem freyen Ermeſſen

des Judex überlaſſen blieb. Die Condemnatio dagegen

war dabey bald certa, bald incerta (d).

Dieſer Gegenſatz der Klagen fällt nun zunächſt zuſam-

men mit dem Gegenſatz der civilen und prätoriſchen Kla-

gen. Denn bey den civilen Klagen war ſtets eine juris

civilis Intentio möglich (e), ſo daß die Intentio ſtets in

jus concipirt werden konnte. Bey den prätoriſchen Kla-

 

(c) Es würde ganz unrichtig

ſeyn, einer ſolchen Formel, wegen

des factiſchen Ausdrucks, eine bloße

Demonstratio zuzuſchreiben, ohne

Intentio. Denn bey Gajus IV.

§ 60 wird hier nicht nur der Name

Intentio gebraucht, ſondern auch

die Möglichkeit des Plus petere

behauptet, welches doch nach § 53.

58. nur in der Intentio, nie in

der Demonstratio, begangen wer-

den konnte. Eben ſo heißt in L.

1 C. si pign. conv. (8. 33.) die

Hypothekarklage Intentio dati pig-

noris, die doch gewiß nur eine for-

mula in factum concepta hatte.

Vgl. Keller Litisconteſtation S.

248. 358. — Die vorkommenden

Beyſpiele einer abgeſonderten De-

monstratio beziehen ſich ſtets auf

eine formula in jus concepta.

Gajus IV. § 40. 47. 136. 137.

(d) Certa condemnatio hatte

die Klage des Patrons wegen

der reſpectswidrigen in jus vo-

catio, nämlich nach Gajus IV.

§ 46. auf 10000 Seſterze, nach dem

Juſtinianiſchen Recht auf 5000.

§ 3 J. de poena tem. (4. 16.),

L. 12. 24. 25 de in j. voc. (2.

4.); wahrſcheinlich iſt es bey Ga-

jus bloßer Schreibfehler. — Eben

ſo die Klage de albo corrupto

auf 500 aurei. L. 7 pr. de ju-

risd. (2. 1.). — Dagegen ha-

ben die meiſten anderen formulae

in factum conceptae eine in-

certa Condemnatio. So die bey

Gajus IV. § 46 angeführte Bey-

ſpiele, verglichen mit L. 2 § 1 si

quis in jus voc. (2. 5.), und mit

L. 5 § 1 ne quis eum (2. 7.)

(e) Möglich, aber nicht noth-

wendig, da bey ihnen eben ſowohl

eine factiſche Faſſung gerechtfer-

tigt war, wenn man eine ſolche

räthlich fand; daß ſie in der That

auch vorkam, wird ſogleich bemerkt

werden.

|0094 : 80|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

gen war Dieſes nicht möglich, weil ſie gar nicht auf einem

jetzt ſchon vorhandenen Recht beruhten, ſondern auf der

obrigkeitlichen Macht, Kraft welcher der Prätor eine Klage

gab, und einen Judex zum Ausſpruch eines Urtheils be-

vollmächtigte, welchem dann dieſelbe obrigkeitliche Macht

auch die Vollziehung verſchaffte (f). Dieſe Anſicht der Sache

wird durch die beſtimmteſten Stellen des Römiſchen Rechts

beſtätigt. Dahin gehört folgende Stelle des Paulus (g).

Verbum oportere non ad facultatem judicis per-

tinet, qui potest vel pluris vel minoris condemnare,

sed ad veritatem refertur.

 

Das heißt: der in der Intentio vorkommende Ausdruck

Oportere darf ſtets nur von dem gegenwärtigen, wirkli-

chen Daſeyn einer civilrechtlichen Schuld verſtanden wer-

den, nicht von der Schuld, die durch richterliches Ermeſſen,

vermittelſt eines Urtheils, vielleicht entſtehen kann. Geſetzt

alſo, es wollte Jemand aus einem Kauf, der ſtets nur

eine incerta Intentio hat, auf Decem dare oportere kla-

gen, ſo würde er ſchlechthin abgewieſen werden müſſen,

ohne Rückſicht darauf, daß bey richtig gefaßter Intentio

der Richter vielleicht auf dieſelbe, oder eine noch größere

Summe, geſprochen haben würde. — Eben ſo iſt es zu

 

(f) Vgl. Band 1. § 22. S. 117.

— Daß alle prätoriſche Klagen

in factum conceptae waren, ſagt

Gajus nicht ausdrücklich, aber we-

nigſtens ſind alle von ihm im § 46

angeführte Beyſpiele prätoriſch und

zugleich in factum conceptae.

(g) L. 37 de V. S. (50. 16.).

— Im Zuſammenhang damit ſteht

L. 27 de novat. (46. 2.), da das

officium judicis auch die künfti-

gen Zinſen umfaßt haben würde.

Vgl. auch L. 76. § 1 L. 89. L.

125 de V. O. (45. 1.)

|0095 : 81|

§. 216. In jus, in factum conceptae formulae.

verſtehen, wenn die prätoriſchen Klagen erklärt werden als

actiones quas Praetor ex sua jurisdictione comparatas ha-

bet (h), oder quae a Praetore dantur, im Gegenſatz der

Klagen quae ipso jure competunt (i). Denn obgleich die

Thätigkeit des Prätors auch bey den Civilklagen nöthig

war, indem nur er einen Judex und eine Klage geben

konnte, ſo war doch dabey jene Thätigkeit eine blos aus-

führende, das ſchon vorhandene Recht anerkennende, an-

ſtatt daß bey den prätoriſchen Klagen die Befugniß dazu

erſt durch des Prätors Macht begründet wurde. — Es

würde auch unrichtig ſeyn, die formula in factum con-

cepta, die hier als allgemeine Eigenſchaft aller prätori-

ſchen Klagen behauptet worden iſt, auf die perſönlichen

Klagen dieſer Klaſſe beſchränken zu wollen, da ſie viel-

mehr auch bey den prätoriſchen in rem actiones angenom-

men werden muß (i¹).

Die hier vorläufig angenommene Identität der beyden

Gegenſätze (civile und prätoriſche Klagen, in jus und in

factum) muß jedoch auf zwiefache Weiſe beſchränkt wer-

 

(h) § 5 J. de act. (4. 6.)

(i) § 1 J. de perpet. (4. 12.).

Dieſes iſt richtig hervorgehoben

von Francke Beiträge S. 5.

(i¹) Die actio vectigalis war

ohne Zweifel ſo gefaßt: Si paret

A. A. conduxisse fundum a mu-

nicipibus (L. 1 § 1 L. 3 si ager

vect. 6. 3.); die superficiaria:

Si paret, A. A. superficiem in

perpetuum (oder: in annos

XXX) conduxisse (L. 1 pr.

§ 1. 3 de superf. 43. 18); die

hypothecaria: Si paret, Aulo

Agerio rem pignori obligatam

esse ab eo, cujus tum in bo-

nis erat, neque redditam pecu-

niam esse (L. 6 C. si al. res

8. 16, L. 1 C. si pign. conv.

8. 34, L. 13 § 1 de Sc. Vell. 16.

1.). Alle dieſe Bedingungen gehen

auf reine Thatſachen.

V. 6

|0096 : 82|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

den. Erſtlich gab es prätoriſche Klagen, deren Faſſung

zwar weſentlich in factum war, aber doch einen Übergang

zu der Faſſung in jus in ſich ſchloß; dieſes waren manche

der ſchon oben (§ 215) dargeſtellten utiles oder fictitiae

actiones. Es wird dieſes anſchaulich werden durch das

vollſtändigſte Formular, das von einer ſolchen Klage, der

publiciana actio, bekannt iſt.

Gajus IV. § 36. Iudex esto. Si quem hominem A. Age-

rius emit (et is) ei traditus est, anno possedisset,

tum si eum hominem, de quo agitur, ejus ex jure

Quiritium esse oporteret, et reliqua.

Das Weſen dieſer Intentio iſt die rein thatſächliche

Behauptung: Agerius hat den ſtreitigen Sklaven gekauft

und tradirt bekommen. Dieſe hat aber folgenden beſon-

deren Zuſatz: der Judex ſoll zugleich prüfen, ob der durch

die Tradition erworbene Beſitz ſo beſchaffen war, daß er

durch einjährige Fortdauer in Römiſches Eigenthum über-

gegangen ſeyn würde. Dadurch bekommt die an ſich that-

ſächliche Intentio eine Färbung von jus, ſpielt alſo in die

in jus concepta hinüber. Bedingung der Condemnation

iſt eine Thatſache, die jedoch ſo beſchaffen ſeyn ſoll, daß

ſie unter gewiſſen, jetzt nicht vorhandenen, Vorausſetz-

ungen ein wirkliches Recht begründet haben würde.

 

Zweytens iſt ſchon erwähnt worden, daß die Civilkla-

gen auch einer thatſächlichen Faſſung empfänglich waren

(Note e). In der That gab es einige, wie es ſcheint nur

wenige, Civilklagen, für welche im Edict zwey Formeln

 

|0097 : 83|

§. 216. In jus, in factum conceptae formulae.

zur Auswahl aufgeſtellt waren, in jus und in factum.

Gajus giebt von dieſer Varietät nur zwey Fälle an, de-

positi und commodati actio, erläutert aber dieſe durch

vollſtändige Formulare (k).

Es entſteht aber nun die Frage, ob die Verſchieden-

heit der Formeln, die in jus oder in factum gefaßt wa-

ren, lediglich zum Roͤmiſchen Gerichtsſtyl gehörte, oder

ob ſich daran auch eigenthümliche Wirkungen knüpften, ſo

daß ein praktiſches Intereſſe damit verbunden war. Ein

ſolches Intereſſe war wohl allerdings vorhanden, aber ge-

ringer, als es neuere Schriftſteller anzunehmen pflegen, ſo

daß es hauptſächlich darauf ankommen wird, die unbe-

gründeten Hypotheſen abzuwehren, die ſich hier einge-

drängt haben. Wären alle Civilklagen ſtets in jus, und

nur die prätoriſchen in factum gefaßt worden, ſo ließe

ſich vielleicht annehmen, es hätte dadurch blos die oben

dargeſtellte allgemeine Verſchiedenheit des prätoriſchen Rechts

von dem Civilrecht ſcharf ausgedrückt werden ſollen, ohne

verſchiedene Folgen für die Parteyen; allein die Aufſtel-

lung von zwey Formularen bey manchen Klagen läßt nicht

zweifeln, daß es wenigſtens in manchen Fällen vortheil-

hafter für den Kläger ſeyn mußte, das eine Formular vor-

zugsweiſe vor dem andern zu wählen.

 

Ein ganz iſolirter eigenthümlicher Erfolg der in jus

 

(k) Gajus IV. § 47. 60. In

den Digeſten finden ſich mehrere

Stellen, die ſich augenſcheinlich

auf dieſe formulae in factum

conceptae beziehen. L. 3 § 1

commodati (12. 6.), L. 1 § 16

§ 40 depositi (16. 3.)

6*

|0098 : 84|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

gefaßten Formel beſtand darin. Wenn die Klage in per-

sonam, zugleich auch ein legitimum judicium, und zugleich

in jus gefaßt war, dann war die Klage durch die bloße

Anſtellung ipso jure conſumirt, ſo daß ſie nie zum zwey-

tenmal angeſtellt werden konnte; in allen anderen Fällen

war eine wiederholte Anſtellung derſelben Klage zwar auch

ausgeſchloſſen, aber nicht ipso jure, ſondern durch excep-

tio rei judicatae oder in judicium deductae (l). Von gro-

ßer praktiſcher Erheblichkeit war dieſer Unterſchied freylich

nicht.

Erheblicher ſchon war es, daß ein in väterlicher Ge-

walt lebender Sohn, wenn er ſelbſt zu klagen befugt und

veranlaßt war, keine intentio in jus concepta aufſtellen

konnte, da er nie zu behaupten im Stande war, er ſelbſt

ſey Eigenthümer oder Glaubiger. Es ſcheint, daß gerade

dieſer Umſtand die Aufſtellung von zwey Formularen zur

Auswahl bey manchen Klagen veranlaßt hat. Gewöhnlich

alſo klagte man wohl bey der depositi oder commodati

actio mit einer formula in jus, wie es der Natur der Ci-

vilklagen angemeſſen war, wollte aber ein Sohn in väter-

licher Gewalt ſolche Klagen anſtellen (wozu bey ihnen

vorzugsweiſe Veranlaſſung für ihn ſeyn konnte), ſo mußte

er die Formel in factum wählen (m).

 

(l) Gajus IV. § 107. Die an-

deren Fälle alſo, worin jene Ex-

ceptionen aushelfen mußten, wa-

ren: a) alle in rem actiones b)

alle judicia quae imperio con-

tinebantur c) alle Prozeſſe mit ei-

ner formula in factum concepta.

(m) Vgl. Band 2. § 67. § 71.

Note o. und Note t. — Auch zu

einer Fictionsklage war ein Sol-

|0099 : 85|

§. 216. In jus, in factum conceptae formulae.

Es iſt möglich, daß auch noch andere Wirkungen mit

jenem Unterſchied der Prozeßform verbunden waren, aber

wir kennen ſolche nicht. Die Wirkungen, die man wohl in

neuerer Zeit anzugeben verſucht hat, ſind ohne Grund,

wie nunmehr gezeigt werden ſoll.

 

Vor Allem iſt die Anſicht zu verwerfen, nach welcher

der Gebrauch beider Formeln dadurch beſtimmt ſeyn ſoll,

ob der Streit auf die Wahrheit von Thatſachen gerichtet

war (in factum), oder auf die rechtliche Beurtheilung

unbeſtrittener Thatſachen (in jus) (n). Dazu kann höch-

ſtens der Klang der Worte verleiten (o), bey genaue-

rer Erwägung muß dieſe Annahme als völlig unhaltbar

erſcheinen. Denn die allermeiſten Klagen hatten nur Eine

formula, und doch hängt es von den zufälligen Umſtänden

jedes einzelnen Rechtsfalles ab, ob gerade Thatſachen be-

ſtritten werden oder nicht, ſo daß, wenn jene Annahme

richtig wäre, jede Klage ohne Ausnahme mit zwey For-

meln hätte verſehen ſeyn müſſen. Und wie hätte es end-

lich in den ſehr zahlreichen Prozeſſen gehalten werden ſol-

 

cher nicht fähig, denn man konnte

z. B. bey der publiciana actio

von ihm nicht ſagen, daß unter

Vorausſetzung der vollendeten Uſu-

capionszeit Er Eigenthümer ge-

worden ſeyn würde; er konnte es

in keiner Zeit werden, ſo lange er

filius familias blieb.

(n) Dieſes iſt die Meynung von

Dupont in Comm. IV. Inst. Gaji,

Leodii 1821. p. 71 — 76.

(o) Außer dem in den Worten

jus und factum liegenden Schein

täuſchte noch der Umſtand, daß in

den beyden Formularen bey Gajus

IV. § 47 die Worte Si paret nur

für die Formel in factum gebraucht

werden. Allein anderwärts kom-

men dieſelben Worte auch bey ei-

ner formula in jus concepta

vor. Gajus IV. § 34. 41. 86. Ci-

cero pro Roscio Comoedo C. 4.

|0100 : 86|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

len, worin über die Thatſache und das Recht zugleich

geſtritten wird?

Mehr Schein hat die Meynung für ſich, nach welcher

die Formel in factum gebraucht ſeyn ſoll, um dem Be-

klagten die Möglichkeit der Losſprechung vermittelſt frey-

williger Reſtitution offen zu laſſen, wozu die Formel in

jus keine paſſende Stelle darzubieten ſchien (p). Allein

dieſe Meynung wird ſchon widerlegt durch die Eigen-

thumsklage, nämlich die petitoria formula, die gewiß in

jus war (q), und dennoch ſtets den vorſorglichen Zuſatz

nisi restituas hatte (r). Sie wurde dadurch veranlaßt,

daß unter den beiden neben einander geſtellten Formularen

der depositi actio, das in factum jenen Zuſatz offenbar

hatte, das in jus ihn zu enbehren ſchien (s). Allein ſelbſt

dieſer Schein iſt durch die Entdeckung verſchwunden, daß

auch die erwähnte formula in jus concepta der depositi

actio jenen ſchützenden Zuſatz allerdings hatte (t).

 

(p) Keller Litisconteſtation S.

358, Haſſe a. a. O. S. 33.

(q) Gajus IV. § 45. 92.

(r) Cicero in Verrem II. 12.

L. 68 de rei vind. (6. 1.)

(s) Gajus IV. § 47.

(t) Nämlich bey Gajus IV. §

47. leſen die Ausgaben: Nume-

rium Negidium Aulo Agerio

condemnato ** si non paret

absolvito. Da, wo die Lücke be-

merkt iſt, ſteht in der Handſchrift:

N R, welches von Huſchke (Stu-

dien S. 316) aufgelöſt wird durch

nisi restituat. Dieſe höchſt glück-

liche Conjectur wird völlig beſtä-

tigt durch L. 1 § 21 depositi (16.

3.) „.. nec debere absolvi,

nisi restituat … condemnan-

dum te nisi restituas.” (Vgl.

auch L. 22 in f. eod. L. 3. § 3.

commodati 13. 6.). Dieſes ſind

augenſcheinlich wörtliche Anſpie-

lungen auf die Faſſung der For-

mel, ſogar darin wörtlich zutref-

fend, daß ſie die Einrückung der

Worte in die Condemnatio be-

ſtätigen. Dieſe Anſpielung paßte

|0101 : 87|

§. 216. In jus, in factum conceptae formulae.

Endlich könnte man glauben, der Unterſchied ſey in

dem höheren oder geringeren Grad juriſtiſcher Beurthei-

lung zu ſuchen, welcher dem Judex in jenen beiden Arten

der Formeln zugemuthet und anvertraut wurde. Bey der

depositi formula in jus hatte der Judex zu beurtheilen,

ob und wie viel Einer dem Andern ſchuldig ſey

(quidquid dare facere oportet), welches ohne einen ge-

wiſſen Grad von Rechtskenntniß nicht möglich iſt. Dage-

gen hatte er bey derſelben Klage, wenn ſie in factum con-

cipirt war, zunächſt nur die reine Thatſache zu beurthei-

len, ob eine Sache deponirt und nicht zurückgegeben ſey

(mensam deposuisse eamque redditam non esse), und die-

ſes Urtheil iſt ohne die geringſte Rechtskenntniß möglich;

es kommt nur darauf an, aus welchen Elementen die Con-

demnatio bey dieſer letzten Formel beſtand. Dieſe lautete

nun ſo: quanti ea res erit, tantam pecuniam condemnato.

War das nun ſo gemeynt, daß ſtets der reine Sachwerth

oder Marktpreis zuerkannt werden ſollte, ſo war auch

hier alle juriſtiſche Beurtheilung voͤllig ausgeſchloſſen, da

der Marktpreis von ganz anderen Perſonen als den Rechts-

kundigen zu erfahren iſt, und dadurch wäre jene verſuchte

Unterſcheidung allerdings beſtätigt geweſen. Wenn dage-

gen der Sinn des quanti res erit nicht in dem Marktpreis,

 

aber nur auf die Formel in jus,

nicht auf die in factum; denn

obgleich dieſe dem Sinn nach Daſ-

ſelbe ausdrückte, ſo lauteten doch

die Worte anders, nämlich ſo:

eamque dolo malo .. redditam

non esse, und dieſe Worte ſtan-

den nicht in der Condemnatio,

ſondern in der Intentio.

|0102 : 88|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

ſondern in dem rechtsbegründeten Intereſſe, mit Erwägung

aller Umſtände, beſtand, ſo iſt hier dem Judex genau

dieſelbe juriſtiſche Beurtheilung, wie bey der Formel in

jus, übertragen, da dieſes quanti interest auf dieſelbe Art

zu ermitteln iſt, und zu demſelben Erfolg führt, wie das

quidquid dare facere oportet, und nur wörtlich davon

verſchieden iſt. Nun hat aber in der That jener Aus-

druck die zweyte hier angegebene Bedeutung, nicht die erſte

(u), ſo daß alſo auch dieſer letzte Verſuch einer durchgrei-

fenden praktiſchen Unterſcheidung jener beiden Arten von

Formeln gänzlich aufgegeben werden muß.

Die im Anfang dieſes §. aufgeſtellten Beyſpiele der

bey den formulae in jus conceptae üblichen Intentio füh-

ren wieder zurück zu dem oben dargeſtellten Gegenſatz der

in personam und in rem actiones (§ 206 — 209). Die

in personam enthalten in ihrer Intentio ſtets die Behaup-

tung eines Oportere, bezogen auf die dabey genannte Per-

ſon des Beklagten, das heißt alſo die Behauptung einer

auf dieſer Perſon ſchon jetzt laſtenden, durch das jus civile

begründeten, Obligation; eben dieſe Eigenthümlichkeit iſt

es, die durch den Ausdruck in personam bezeichnet wird.

Die Intentio der in rem actio dagegen behauptet ſtets

das abſolute Daſeyn eines, gleichfalls durch jus civile be-

gründeten, Rechtsverhältniſſes außer einer ſolchen Obli-

gation. Dieſe Unperſönlichkeit der Intentio iſt es, die hier

 

(u) Vgl. Beylage XII.

|0103 : 89|

§. 216. In jus, in factum conceptae formulae.

durch den Ausdruck in rem bezeichnet wird (§ 208. a),

nicht die Beziehung auf eine beſtimmte Sache; dieſe

Beziehung iſt gar nicht allgemein und nothwendig, denn

es kam nur darauf an, daß nicht der Beklagte als ein zu

condemnirender Schuldner ausgedrückt wurde (v).

Hieraus erklärt ſich zugleich, auf eine dem alten For-

mularprozeß eigenthümliche Weiſe, die bey den Theilungs-

klagen übliche Benennung: mixtae actiones (§ 209). Die

formula derſelben war nämlich, mehr als bey anderen

Klagen, zuſammengeſetzt. Sie hatte einen rein perſönli-

chen, auf Obligationen gerichteten, Beſtandtheil, mit dare

facere oportere ex fide bona; daneben aber noch einen

anderen Theil, adjudicatio genannt, welcher ſo lautete:

Quantum adjudicari oportet, judex Titio adjudicato (w).

Dieſer Theil war unperſönlich gefaßt, mithin in rem (x);

und ſo mußte man ſagen, die Formelfaſſung dieſer Kla-

gen ſey zuſammengeſetzt aus in rem und in personam (y).

 

Ganz unrichtig aber würde es ſeyn, dieſe Bemerkung

dahin wenden zu wollen, als wäre der Unterſchied der in

personam und in rem actiones aus jener Formelfaſſung

 

(v) Gajus IV. 87. „cum in rem

agitur, nihil in intentione facit

ejus persona, cum quo agitur

… tantum enim intenditur, rem

actoris esse. Die erſte (negative)

Hälfte des Satzes beſtätigt das

hier Geſagte, die zweyte (poſitive)

iſt nur Beyſpiel, und widerſpricht

daher meiner Behauptung nicht.

(w) Gajus IV. § 42.

(x) S. o. § 208. a, und § 216. v.

(y) So iſt zu verſtehen folgende

Stelle, die wir wohl nicht mehr in

ihrer urſprünglichen Geſtalt beſitzen

mögen: L. 22 § 4 fam. herc.

(10. 2.) „Familiae erciscundae

judicium ex duobus constat, id

est rebus atque praestationibus,

quae sunt personales actiones.”

|0104 : 90|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

entſprungen, und daher auch, ſeinem Weſen nach, mit ihr

verſchwunden, ſo daß er jetzt als unnütz vermieden wer-

den möchte. Gerade umgekehrt haben ſich die Formeln in

der angegebenen Weiſe ausgebildet, um dem in dem in-

neren Weſen der Sache gegründeten Gegenſatz zum ange-

meſſenen Ausdruck zu dienen. Auch in unſrem heutigen

Recht müſſen wir ſagen, daß das richterliche Urtheil über

eine in rem actio zunächſt auf das Daſeyn oder Nichtda-

ſeyn eines Rechtsverhältniſſes gehe, und nur mittelbar

und folgerungsweiſe auf die Verurtheilung des Beklagten

zu beſtimmten Leiſtungen; anſtatt daß dieſe Verurtheilung

bey der in rem actio der einzige Inhalt des Erkenntniſſes

iſt. Ja, man kann ſagen, daß dieſer Unterſchied der über

beide Hauptarten der Klagen zu fällenden Urtheile im

Juſtinianiſchen Recht ſogar noch ſchärfer hervortritt, als

zur Zeit des früheren Formularprozeſſes, da nun die Ver-

urtheilung ſelbſt, gleich unmittelbar, auf die Anerkennung

des ſtreitigen Rechts gerichtet wird, anſtatt daß ſie früher

ſtets auf baares Geld zu richten war (§ 215. r), ſo daß

ihr jene Anerkennung nur beyläufig eingemiſcht werden

konnte, etwa als Motiv der auf eine Geldſumme gerich-

teten Verurtheilung (z).

Bey den formulae in factum conceptae, alſo bey al-

 

(z) In dieſer indirecten Weiſe

kommt die Anerkennung des Rechts

in der in rem actio, ſchon bey

den alten Juriſten vor. L. 8 § 4

si serv. (8. 5.) per sententiam

non debet servitus constitui,

sed quae est declarari.” L. 35

§ 1 de R. V. (6. 1.) „judex sen-

tentia declaravit meum esse.”

Dieſe, ohne Zweifel unverfälſchte,

Stellen, haben im Juſtinianiſchen

und heutigen Recht eine noch un-

|0105 : 91|

§. 217. In jus, in factum conceptae formulae. (Fortſetzung.)

len prätoriſchen Klagen, wurde der Unterſchied der in rem

und in personam actiones in den Ausdrücken der Inten-

tio nicht ſichtbar (aa). Dennoch iſt auch bey den prätori-

ſchen Klagen dieſer Unterſchied ſtets anerkannt worden (bb),

und es liegt alſo darin eine Beſtätigung der eben aufge-

ſtellten Behauptung, daß dieſer Unterſchied nicht als eine

Folge der verſchiedenen Formelfaſſung (bey der Intentio

in jus concepta), ſondern vielmehr als Grund derſelben,

anzuſehen iſt.

§. 217.

Arten der Klagen. In jus, in factum conceptae. (Fortſ.)

Bisher war von ſolchen Formeln in factum die Rede,

die ſchon im Edict aufgeſtellt waren: die meiſten ausſchlie-

ßend für gewiſſe Rechtsfälle, einige neben Formeln in jus,

zur freyen Auswahl des Klägers zwiſchen beiden For-

mularen.

 

Außerdem aber wurden die Formeln dieſer Art auch

in großer Ausdehnung gebraucht, wo es darauf ankam,

für ein neu wahrgenommenes Rechtsverhältniß eine Klage

zu erfinden, alſo in Fällen, wofür das Edict gar keine

Formel enthielt, ſo daß ſie zur praktiſchen Erweiterung

 

mittelbarere und vollſtändigere An-

wendung, als im Sinn ihrer Ver-

faſſer.

(aa) Eine prätoriſche Klage

konnte daher in personam ſeyn,

während der Ausdruck ſo gefaßt

war, daß man ſie für eine in rem

actio hätte halten können. Vgl.

§ 208. a.

(bb) L. 1 § 1 si ager vect.

(6. 3), L. 1 § 1 de superfic.

(43. 18.). — Die meiſten Präju-

dicien waren prätoriſch (§ 216. a.

und § 207. f.) und dieſe waren

insgeſammt in rem, wie auch ihre

Formel ausgedrückt ſeyn mochte.

|0106 : 92|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

des Rechts dienten. Zu dieſem Zweck waren nun ſolche

Formeln ſehr brauchbar, da jedes Recht ſtets auf irgend

einer Thatſache beruhen muß, zu jenen Formeln aber

nichts Anderes, als der Ausdruck einer Thatſache, mit

einem daran geknüpften praktiſchen Erfolg, erfordert wurde.

Dieſes iſt nun die wahre Bedeutung der unzähligen,

in unſren Rechtsquellen vorkommenden, actiones in factum;

es waren Erweiterungen des praktiſchen Rechts, eingeführt

durch formulae in factum conceptae, die gar nicht im

Edict ſtanden, ſondern durch das Bedürfniß in einzelnen

Fällen herbeigeführt wurden. Diejenigen unter ihnen,

welche ſich auf häufig und gleichförmig wiederkehrende

Fälle bezogen, wurden nachher in das Edict aufgenom-

men, und auf dieſem Wege ſind wohl alle im Edict ſte-

hende prätoriſche Klagen nach und nach in daſſelbe ge-

kommen. Weder in der Abfaſſung aber, noch in der Wir-

kung, machte es irgend einen Unterſchied, ob eine ſolche

Formel auch ſchon im Edict ſtand oder nicht.

 

So waren alſo in der That die actiones in factum,

die wir in unſren Rechtsquellen ſo oft finden, mit den

erſt durch Gajus bekannt gewordenen formulae in factum

conceptae Eines und Daſſelbe, und dieſe Identität, die

von Manchen mit Unrecht bezweifelt worden iſt, wird

durch viele Stellen außer Zweifel geſetzt (a). Wenn ein-

 

(a) Gajus IV. § 106. 107 ge-

braucht beide Ausdrücke (formula

in f. concepta und in factum

agere) mit willkührlicher Abwechs-

lung. — Eben ſo ſtellt Gajus IV.

§ 46 viele formulae in factum

zuſammen, und dieſelben Klagen

heißen in den Digeſten ſtets ac-

|0107 : 93|

In jus, in factum conceptae formulae. (Fortſetzung.)

zelne Klagen dieſer Art, die beſonders häufig und wichtig

waren, durch beſondere Namen individualiſirt wurden,

bald nach ihrem Urheber, wie die Serviana des Pfand-

glaubigers (b), bald nach ihrem Entſtehungsgrund, wie

die actio doli, quod metus causa, vectigalis, constitutoria,

hypothecaria, ſo geſchah Dieſes blos wegen der bequeme-

ren Bezeichnung; auch dieſe Klagen waren und blieben

darum nicht minder actiones in factum, oder formulae in

factum conceptae.

Die hier aufgeſtellte Erklärung der actio in factum,

in Verbindung mit der dadurch bewirkten praktiſchen Rechts-

entwicklung, findet eine unmittelbare Beſtätigung in Zeug-

niſſen der alten Juriſten (c). Dieſe ſagen, die judicia

prodita, die vulgares actiones (d), hätten für die im wirk-

lichen Leben vorkommende Bedürfniſſe nicht ausgereicht,

und der Prätor habe daher nachgeholfen durch actiones

in factum. Es wird hinzugeſetzt, die Fälle eines ſolchen

Bedürfniſſes ſeyen von zweyerley Art: theils ganz neue,

bisher gar nicht wahrgenommene, theils ſolche, die mit

den bisher ſchon durch Civilklagen geſchützten Fällen ver-

 

tiones in factum. L. 12 de in

jus voc. (2. 4) L. 25 pr. de O.

et A. (44. 7.). — L. 3 pr. de

eo per quem factum (2. 10.). —

L. 5 § 3 ne quis eum (2. 7.).

(b) Die Publiciana actio kann

dahin nicht gerechnet werden, da

ſie eine Fictionsklage war (§ 215),

alſo aus in jus und in factum

gemiſcht (§ 216.). Denſelben Cha-

racter hatte die Rutiliana, und

die für den bonorum emtor

eingeführte Serviana. Gajus IV.

§ 35.

(c) L. 1 pr. L. 11 de prae-

scr. verbis (19. 5.).

(d) Judicia prodita ſind zu-

nächſt die im Edict ſtehenden, mit

ſtehenden Formeln verſehenen, Kla-

gen; indeſſen erwähnt L. 11 de

|0108 : 94|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. VI. Verletzung.

wandt waren, worauf alſo die Civilklagen nur ausgedehnt

zu werden brauchten (e).

Es ergiebt ſich hieraus, daß die actiones in factum

in ihrem allgemeinen Zweck (der praktiſchen Rechtserwei-

terung) mit den oben erklärten utiles actiones überein ka-

men (§ 215). Wenn alſo das Bedürfniß einer Klage

für neue Fälle entſtand, ſo konnte dieſes oft befriedigt

werden durch die Einführung einer, an eine alte Civilklage

angeſchloſſenen, Fictionsklage, und dieſes waren die eigent-

lichen utiles actiones. Es konnte aber auch in denſelben

Fällen, und mit gleicher Wirkſamkeit, geſchehen durch eine

actio in factum. Dieſe letzte Auskunft war die einzige in

den weit zahlreicheren Fällen, worin entweder eine präto-

riſche Klage (die ſchon ſelbſt in factum war) über ihre

urſprüngliche Gränzen ausgedehnt, oder aber eine ganz

neue Klage für ein früher gar nicht wahrgenommenes

Rechtsverhältniß erfunden werden ſollte. Der allgemeine

Name utilis actio, als Bezeichnung einer neuen, das Recht

erweiternden Klage überhaupt (§ 215), paßte vollkommen

auf dieſe zahlreichen in factum actiones, und damit ſtimmt

es völlig überein, wenn in mehreren Stellen beide Be-

zeichnungen zu dem Namen einer utilis in factum actio

 

praescr. verbis (19. 5) auch ac-

tiones quae legibus proditae

sunt. — Vulgares actiones ſind

die bekannten, hergebrachten Kla-

gen, alſo dem Sinne nach auch

die im Edict ſtehenden. So ſteht

vulgaris für directa (§ 215. a);

in L. 42 pr. de furtis (47. 2)

iſt es der Gegenſatz der actio

noxalis, in Vatic. fragm. § 102

der Gegenſatz von actio de pe-

culio.

(e) L. 11 de praescr. verbis

(19. 5.).

|0109 : 95|

In jus, in factum conceptae formulae. (Fortſetzung.)

vereinigt werden (f). Eine ſolche Klage war unſtreitig

die hypothecaria, als Ausdehnung der urſprünglich für

einen ſehr beſchränkten Fall eingeführten Serviana, und ſie

heißt daher auch utilis Serviana, oder quasi Serviana.

Bey keiner Klage kommen dieſe Ausdrücke ſo häufig

und abwechslend vor, als bey der actio Legis Aquiliae,

deren urſprünglich ſehr enge Begränzung zu den mannich-

faltigſten Ausdehnungen Veranlaſſung gab. Dieſe wurden

ohne Zweifel oft durch eine eigentliche utilis actio, das

heißt, durch eine Fictionsklage, bewirkt (g). Eben ſo oft

 

(f) L. 26 § 3 de pactis dot.

(23. 4.). — „Utilis … in factum.”

L. 7 § 1 de religiosis (11. 7)

„utilem actionem in factum.”

— Pleonaſtiſch ſind dieſe Ausdrücke

gerade nicht. In der zulezt an-

geführten Stelle ſagt das utilis,

es ſey hier die ſchon im Edict

ſtehende actio de religiosis auf

einen neuen Fall ausgedehnt wor-

den; der Zuſatz in factum drückt

aus, daß nicht etwa der Name

utilis im engeren Sinn, für eine

Fictionsklage, ſo verſtanden werden

dürfe. — Vieles Gute findet ſich

über das Verhältniß dieſer Begriffe

bey Mühlenbruch Ceſſion § 15,

wo nur zu viele und ſubtile Unter-

ſchiede angenommen werden, an-

ſtatt daß bey den Römern ſelbſt

die Begriffe und die Ausdrücke

viel einfacher genommen zu ſeyn

ſcheinen.

(g) Wenn der Fructuar der ver-

lezten Sache klagen wollte, der

nur eine utilis actio bekommen

konnte (L. 11 § 10 ad L. Aquil.

9. 2), ſo mag die Formel etwa ſo

gelautet haben: Si paret N. Ne-

gidium Stichum servum, in quo

ususfructus A. Agerii est, vul-

nerasse, ejusque rei causa, si

is servus A. Agerii ex jure Qui-

ritium esset, damnum decidere

oportere, judex quanti ea res

plurimi fuit in diebus triginta

proximis, tantam pecuniam con-

demnato, si non paret absol-

vito. — Eine ſolche Fictionsklage

mochte wohl blos in Fällen der

hier bezeichneten Art vorkommen,

nämlich in Fällen, worin die Klage

dem Nichteigenthümer geſtattet wur-

de, der aber ein jus in re an der

verlezten Sache hatte; wenn da-

gegen die Ausdehnung der Klage

in der Beſchaffenheit der verletzen-

den Handlung lag (damnum non

corpore datum), ſo paßte die

Form der Fictionsklage nicht. Daß

man jedoch den Ausdruck utilis

actio auch in dieſen lezten Fällen

|0110 : 96|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

aber geſchah es durch eine in factum actio (h), und es

hieng wahrſcheinlich meiſt vom Zufall ab, und war auch

für den letzten Erfolg ganz gleichgültig, ob der eine oder der

andere Weg eingeſchlagen wurde Es iſt daher keinesweges

als widerſprechende oder ſchwankende Meynung anzuſehen,

wenn in einem und demſelben Fall bald die utilis, bald

die in factum actio erwähnt wird (i), da in der That

ſchon zur Zeit des älteren Rechts Beides gleich richtig

und für den Erfolg gleichgültig war; nicht zu gedenken,

daß vollends im Juſtinianiſchen Recht, welches keine For-

melnfaſſung mehr kennt, aller Unterſchied nur noch in den

Namen liegt.

Von der hier behaupteten Identität der actio in fac-

tum mit der formula in factum concepta muß jedoch Eine

 

brauchte, zeigen die Stellen in

Note i.

(h) Gewöhnlich heißt ſie blos

in factum, zuweilen auch in fa-

ctum Legi Aquiliae accommo-

data, oder ad exemplum Legis

Aquiliae. L. 11 pr. de praescr.

verbis (19. 5), L. 53 ad L.

Aquil. (9. 2.).

(i) L. 51 de furtis (47. 2)

verglichen mit L. 53 ad L. Aquil

(9. 2.). — L. 9 § 3 ad L. Aquil

(9. 2) verglichen mit L. 27 § 34

eod., in welcher lezten Stelle, nach

vielen anderen Zeugniſſen, hinzu-

gedacht werden muß: utilem (L.

Aqu. actionem); vgl. § 16 J. de

L. Aqu. (4. 3.). — Nach dem

Schluß der angeführten Inſtitu-

tionenſtelle möchte man glauben,

es habe zwey ungleichzeitige Stu-

fen von Erweiterungen der a. L.

Aquiliae gegeben: 1) durch utilis

actio 2) wo auch dieſe nicht mehr

ausreichte, durch in factum actio.

Dieſer falſche Schein beruht aber

nur auf der ungenauen Zuſam-

menfügung der Beſtandtheile jener

Stelle, welche um ſo leichter mög-

lich war, da die ganze Sache

ſchon längſt im gangbaren Pro-

zeß nicht mehr vorkam. Vgl. oben

Band 1. § 45. Note d. Den neue-

ren Juriſten hat die angeführte

Stelle viele überflüſſige Noth ge-

macht.

|0111 : 97|

§. 217. In jus, in factum conceptae formulae. (Fortſetzung.)

entſchiedene Ausnahme behauptet werden. Aus den Con-

tracten, die von den Neueren Innominatcontracte genannt

zu werden pflegen, entſpringen unſtreitig Civilklagen, und

dieſe führen, mit ganz willkührlicher Abwechslung, die

ihnen allen gemeinſchaftlichen Namen: actio praescri-

ptis verbis, und in factum civilis (k). Die Einrichtung

dieſer Klagen aber war folgende. Zuerſt kam eine De-

monstratio, die nicht ſo, wie bey anderen Klagen, den

Hergang blos kurz andeutete (l), ſondern ganz ausführlich,

mit allen Umſtänden, erzählte, und eben dadurch das Klag-

recht begründete (m). Da dieſes eine wahre Demonstratio

war, alſo vor der Intentio ſtand, ſo erklärt ſich daraus

der Name praescriptis verbis, der hier, wie bey den prae-

scriptiones, nur zu dieſer Stellung in der Formel paſſen

(k) In factum civilis. L. 1

§ 1. 2 L. 5 § 2 de praescr. verb.

(19. 5.). — Iſt identiſch mit prae-

scriptis verbis. L. 1 § 2 L. 2 pr.

L. 13 § 1 L. 22 pr. L. 24 eod.

(l) Dieſe Geſtalt der bey an-

deren Klagen vorkommenden De-

monstratio erhellt aus Gajus IV.

§ 36. 47. 136. 137.

(m) L. 6 C. de transact.

(2. 4) „.. Aut enim stipulatio

conventioni subdita est, et ex

stipulatu actio compctit: aut,

si omissa verborum obligatio

est, utilis actio, quae prae-

scriptis verbis rem gestam de-

monstrat, danda est.” Demon-

strat iſt die unmittelbare Bezeich-

nung der Demonstratio, das We-

ſentliche aber liegt in dem rem

gestam, das heißt der Erzählung

aller einzelnen Thatſachen, ſo wie

ſie vorgefallen ſind. — Großen

Anſtoß hat hier von jeher der

Ausdruck utilis actio erregt, den

man etwas gewaltſam in civilis

hat emendiren wollen. Die natür-

lichſte Erklärung iſt wohl die.

Man nahm früher an, daß der

Innominatcontract in der (eben

hier vorausgeſezten) Form facio

ut des keine Civilklage hervor-

bringe (L. 5 § 3 de praescr.

verb. 19. 5.). Indem nun hier

dennoch eine ſolche Klage zugelaſ-

ſen wird, war dieſe eine utilis

actio im Vergleich mit der früher

beſchränkteren Anwendung der Kla-

ge. Elvers neue Themis B. 1

S. 366.

V. 7

|0112 : 98|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

konnte (n). Der Name in factum erklärt ſich aus der

ausführlichen Erzählung der Thatſachen, wodurch dieſe

Art der Klagen mit den formulae in factum conceptae

Ähnlichkeit hatte, und zwar insbeſondere mit denjenigen

unter ihnen, welche nicht ſchon im Edict ſpeciell aufgeſtellt

waren, ſondern für das Bedürfniß vorkommender Fälle

jedesmal neu erfunden wurden.

Hierauf folgte nun die auch bey vielen anderen Kla-

gen übliche, ganz unbeſtimmte, Intentio in jus concepta:

Quidquid eum ob eam rem dare facere oportet. Von

ihr führt die Klage in ſehr vielen Stellen bald den Na-

men incerti actio, (wegen des unbeſtimmten Quidquid),

bald civilis (wegen der juris civilis oder in jus Intentio),

bald beide Namen vereinigt (o); einmal ſogar geradezu

den Namen: civilis intentio incerti (p), welche Bezeichnung

allein ſchon hinreicht, um jeden Zweifel über die Natur

dieſer Formel zu beſeitigen. Ja auch ſchon der Name

incerti actio würde keinen Sinn haben, wenn man jene

Klage für eine formula in factum concepta halten wollte,

 

(n) Dieſes iſt richtig bemerkt

von Haſſe a. a. O., S. 44.

(o) Civilis, ſ. o. Note k. —

Incerti. L. 8 L. 9 pr. de prae-

scr. verb. (19. 5), L. 19 § 2 de

prec. (43. 26), L. 9 C. de don.

(8. 54.). — Civilis incerti oder

incerta. L. 7 § 2 de pactis

(2. 14), L. 16 de praescr. verb.

(19. 5), L. 23 comm. div. (10. 3),

L. 6 C. de rer. perm. (4. 64.). —

In der angeführten L. 19 § 2 de

prec. ließt die Florentina: incerti

condictione, ohne Zweifel unrich-

tig; die richtige Bononienſis: in-

certa actione ſteht im Cod.

Rehd., in meiner Handſchrift, und

in den Ausgaben: Rom. 1476.

Norimb. 1483. Venet. 1483. Ve-

net. 1485.

(p) L. 6 pr. de praescr. ver-

bis (19. 5) „civili intentione in-

certi.”

|0113 : 99|

§. 217. In jus, in factum conceptae formulae. (Fortſetzung.)

da die Erzählung, die nun die Intentio gebildet haben

würde (§ 216), durchaus keine Unbeſtimmtheit in ſich ſchließt.

Es ergiebt ſich hieraus, daß dieſe actio in factum ci-

vilis in der That eine formula in jus concepta hatte, ſo

leicht auch der Name über dieſen Punkt täuſchen kann (q).

Zu dem ſchon aus dem Zuſammenhang der angeführten

Stellen für die Richtigkeit dieſer Behauptung hervorge-

henden Beweiſe kommen nun noch folgende einzelne beſtä-

tigende Zeugniſſe hinzu. — Nach den Inſtitutionen iſt die

hier erwähnte Klage bonae fidei (r); wir wiſſen aber aus

Gajus, daß die mit dieſem Character verſehenen Klagen

eine Intentio in jus concepta hatten in folgender Faſſung:

Quidquid eum dare facere oportet ex fide bona (s); die

Intentio in factum concepta war zu dieſem Zuſatz, wor-

auf ſich doch der Name jener Klaſſe von Klagen grün-

dete, durchaus nicht geeignet (t). — Wenn Sejus dem

Titius den Sklaven Stichus gab, damit Titius den Skla-

ven Pamphilus frey laſſe, Titius auch ſeine Verbindlichkeit

 

(q) Die hier aufgeſtellte Lehre

iſt ſchon von Anderen auf über-

zeugende Weiſe vorgetragen wor-

den. Keller Litisconteſtation

S. 252. 253. Haſſe a. a. O.,

S. 41 — 46. G. E. Heimbach

Bedeutung der in factum actio

in Linde’s Zeitſchrift B. 11 S. 285

fg. — Vorſichtig gewählt war al-

lerdings der Ausdruck in factum

civilis nicht, da er ſo leicht zu

der Verwechslung dieſer Klagen

mit der formula in factum con-

cepta einiger Civilklagen (§ 216. k)

verleiten konnte, womit ſie doch in

der That gar Nichts gemein hatten.

(r) § 28 J. de act. (4. 6.).

(s) Gajus IV. § 47.

(t) Die Worte ex fide bona

enthalten die nähere Beſtimmung

und Einſchränkung des oportet,

das heißt des in der Verpflichtung

liegenden Rechtsverhältniſſes; da-

gegen hätte es keinen Sinn ge-

habt, der reinen Thatſache: Si

paret Agerium mensam depo-

suisse den Zuſatz ex fide bona

zu geben.

7*

|0114 : 100|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

erfüllte, und ihm nun der Sklave von einem Dritten evin-

cirt wurde, ſo fragte es ſich, welche Entſchädigungsklage

Titius gegen Sejus wegen dieſer Eviction habe. Der

Juriſt Julian fand eine in factum actio nöthig; darüber

wird er von Maurician und Ulpian getadelt, weil die re-

gelmäßige civilis incerti actio für dieſen Zweck zuläſſig,

alſo die Aushülfe durch eine in factum actio nicht nöthig

ſey (u). Der Gegenſatz, welcher dieſem Tadel zum Grunde

liegt, hat augenſcheinlich den Sinn, daß die Civilklage,

die Ulpian für zuläſſig und ausreichend erklärt, eine In-

tentio in jus concepta hatte; wäre auch ſie in factum

concepta geweſen, ſo war gar kein wahrer Gegenſatz ge-

gen die Meynung des Julian vorhanden, alſo auch keine

Veranlaſſung zum Tadel (v). — Endlich bezeugt ein Scho-

liaſt zu den Baſiliken ausdrücklich, daß die Klagen, von

welchen hier die Rede iſt, außer der Demonstratio noch

eine beſondere Intentio hatten, worauf endlich die Con-

demnatio folgte (w).

(u) L. 7 § 2 de pactis (2. 14)

„.. Et ideo puto, recte Julia-

num a Mauriciano reprehen-

sum in hoc: dedi tibi Stichum

ut Pamphilum manumittas: ma-

numisisti: evictus est Stichus:

Julianus scribit in factum ac-

tionem a Praetore dandam:

ille ait, civilem incerti actio-

nem, id est praescriptis verbis

suficere.”

(v) Der bloße Gegenſatz der

Civilklage und der prätoriſchen an

ſich ſelbſt kann nicht gemeynt ſeyn,

da dieſer in der Formel gar nicht

ſichtbar wurde; die Abfaſſung der

Intentio (in jus oder in factum)

konnte allein einen ſichtbaren Un-

terſchied darbieten, und zu einem

Tadel Gelegenheit geben.

(w) Schol. Basil. Vol. 1 p. 559.

560 ed. Heimbach; vgl. A. E.

Heimbach a. a. O., S. 290.

|0115 : 101|

§. 218. Judicia, arbitria. Stricti juris, bonae fidei actiones.

§. 218.

Arten der Klagen. Judicia, arbitria. Stricti juris,

bonae fidei (*).

Die bisher verſuchte Darſtellung der älteren Klagfor-

men ſollte den Weg bahnen zum Verſtändniß einiger Arten

der Klagen, deren wichtige Verſchiedenheiten noch im Ju-

ſtinianiſchen Recht ſehr häufig erwähnt werden. Es ſind

dieſes die stricti juris und bonae fidei actiones, die Con-

dictionen, und die arbitrariae actiones.

 

Cicero ſagt, es gebe überhaupt zweyerley Klagen, ju-

dicia und arbitria (a). In jenen werde der Rechtsſtreit

ſtreng und buchſtäblich behandelt, in dieſen milde und mit

freyer Rückſicht auf Billigkeit. Gleich nachher ſcheint er

denſelben Gegenſatz durch die Ausdrücke judicia legitima

und arbitria honoraria zu bezeichnen (b). In anderen

 

(*) Vgl. hierüber im Allgemei-

nen die Beylagen XIII. XIV. Es

dürfte zum leichteren Verſtändniß

der Sache beytragen, die ausführ-

lichen Beylagen zuerſt zu leſen, da

die zuſammengedrängte Darſtel-

lung in dieſem und den folgenden

Paragraphen, ihrer Natur nach,

weniger faßlich ausfallen muß.

(a) Cicero pro Roscio Co-

moedo C. 5 „Aliud est judi-

cium, aliud arbitrium … Quid

est in judicio? directum, aspe-

perum, simplex: Si paret HS.

ICCC dari oportere .. Quid est

in arbitrio? mite, moderatum:

Quantum aequius et melius, id

dari.

(b) Cicero ib. C. 5 „perinde

ac si in hanc formulam omnia

judicia legitima, omnia arbi-

tria honoraria, omnia officia

domestica conclusa et compre-

hensa sint, perinde dicemus.”

Dieſe rhetoriſche Stelle macht of-

fenbar keinen Anſpruch auf wiſſen-

ſchaftliche Präciſion, der Sinn aber

iſt dieſer: „alle judicia, das heißt

die Civilklagen, eben ſo alle arbi-

tria, das heißt die prätoriſche

Klagen.“ Die Beywörter haben

alſo eine erklärende, nicht ein-

|0116 : 102|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Stellen bezeichnet er ſolche Klagen, die gewiß unter die

angeführten arbitria gehören, als judicia (oder arbitria),

in quibus ex fide bona est additum, das heißt deren for-

mula die hier angegebenen Worte, oder auch andere von

ähnlichem Sinn, als characteriſtiſchen Zuſatz in ſich ſchlöſ-

ſen (c).

Ganz derſelbe Gegenſatz, auch in gleicher Allgemein-

heit, wird einmal von Seneca erwähnt, hier aber mit

einer ſehr wichtigen näheren Beſtimmung, die über die an-

geführten Ausdrücke Aufſchluß giebt, und die nur zufällig

bey Cicero nicht ausgedrückt iſt (d). Es wurden nämlich

 

ſchränkende Bedeutung, und es iſt

dadurch nicht ausgeſchloſſen, daß

es auch ſehr viele und wichtige

Civilklagen gab, die arbitria wa-

ren, wie ſogleich aus anderen

Stellen des Cicero bemerkt werden

wird. Ganz verwerflich würde es

ſeyn, dieſe judicia legitima, de-

ren Bedeutung durch den Gegen-

ſatz der arbitria honoraria un-

zweifelhaft wird, mit den legitimis

judiciis bey Gajus IV. § 103—105

in irgend eine Verbindung zu brin-

gen; Gajus ſelbſt hat im § 109

jeder hierin möglichen Verwechs-

lung ſorgfältig vorgebaut.

(c) Cicero top. C. 17 „In om-

nibus igitur iis judiciis, in qui-

bus ex fide bona est additum:

ubi vero etiam ut inter bonos

bene agier: in primisque in ar-

bitrio rei uxoriae, in quo est:

quid aequius melius.” — Cicero

de offic. III. 15 „judiciis in qui-

bus additur ex fide bona;”

III. 17 „in omnibus iis arbi-

triis, in quibus adderetur ex

fide bona.”

(d) Seneca de beneficiis III. 7

„Ideo melior videtur conditio

causae bonae si ad judicem,

quam si ad arbitrum mittatur:

quia illum formula includit,

et certos quos non excedat

terminos ponit; hujus libera,

et nullis adstricta vinculis re-

ligio, et detrahere aliquid pot-

est et adjicere ..... ubi id, de

quo sola sapientia decernit, in

controversiam incidit, non pot-

est ad haec sumi judex ex tur-

ba selectorum, quem census in

album, et equestris hereditas

misit.” — Merkwürdigerweiſe hat

ſich die wörtliche Erwähnung

dieſes Unterſchieds in der Perſon

der Urtheiler noch in einer Stelle

von Juſtinians Inſtitutionen er-

halten, obgleich ſie hier keinen

Sinn mehr hatte. § 1 J. de act.

|0117 : 103|

§. 218. Judicia, arbitria, Stricti juris, bonae fidei actiones.

periodiſch Liſten beſonders ausgewählter Richter verfer-

tigt und öffentlich aufgeſtellt (das album). Dabey waren

öftere Veränderungen wahrzunehmen theils in der Anzahl,

theils in den Bürgerklaſſen, worans die Richter ausſchlie-

ßend genommen werden mußten (e). Die Perſon des Ur-

theilers ſtand nun mit jener Verſchiedenheit der Klagen

in der Verbindung, daß das judicium nur vor einem aus

dem album genommenen Judex möglich war, anſtatt daß

über ein arbitrium zu urtheilen Jeder berufen werden konnte,

ohne Unterſchied ob er im album ſtand oder nicht (f). Über

(4. 6.). „Omnium actionum,

quibus inter aliquos apud ju-

dices arbitrosve de quacumque

re quaeritur” etc.

(e) Vgl. Zimmern Rechtsge-

ſchichte B. 3 § 10.

(f) Cicero pro Cluentio C. 43

ſagt, alle Judices erhielten ihre

Gewalt nur durch die freye Ein-

ſtimmung der Parteyen; mit der

Allgemeinheit dieſes Satzes ſind

aber doch Verſchiedenheiten in der

Art und dem Grad dieſer mitwir-

kenden Einſtimmung wohl verein-

bar. Wenn in dem judicium der

Prätor oder das Loos eine Anzahl

Namen aus dem album aus-

wählte, und nun jede Partey eine

beſtimmte Quote derſelben verwer-

fen konnte, ſo lag ſchon darin eine

gewiſſe Einſtimmung in die Übrig-

bleibenden, aus welchen dann viel-

leicht Einer durch das Gutdünken

des Prätors zum Judex ernannt

wurde; dagegen kam vielleicht bey

dem arbitrium eine poſitive und

individuelle Übereinkunft vor, wor-

auf zu deuten ſcheint L. 57 de re

jud. (42. 1) Valer. Max. II.

8. 2. — Wahrſcheinlich ernannte

der Kläger den arbiter, welchen

dann der Beklagte verwerfen konnte.

Valer. Max. VIII. 1. 2. „Cal-

purnius .. Catonem .. arbitrum

Claudio addixit.” Doch heißt

es in derſelben Geſchichte bey Ci-

cero de off. III. 16 adegit, und

eben ſo pro Roscio 9. Dagegen

ſagt auch Cicero de or. II. 65.

70 judicem alicui ferre. —

Ganz irrig würde es ſeyn, ſich

die Sache ſo vorzuſtellen, als

wären die im album verzeichneten

Richter gerade die Beſſeren, Zu-

verläſſigeren geweſen, ſo daß man

ſich bey den arbitriis mit Gerin-

geren begnügt hätte. Je nach dem

Übergewicht der politiſchen Par-

teyen wurden öfter gerade die Vor-

nehmſten vom album ausgeſchloſ-

ſen; ferner wurden ohne Zweifel

die zahlreichen Obrigkeiten des lau-

|0118 : 104|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

den Sprachgebrauch aber iſt zu bemerken, daß die Aus-

drücke judex und judicium mit willkührlicher Abwechslung

gebraucht werden, bald um allein das oben beſchriebene

judicium im engeren Sinn zu bezeichnen (Note a. b. d),

bald als generiſche Bezeichnung, unter welcher auch die

arbitria begriffen ſind (g). Ein ähnliches Schwanken kommt

bey den Ausdrücken arbiter und arbitrium nicht vor, welche

ganz gewiß nur bey den Prozeſſen der freyeren Art ge-

braucht werden (h).

Faſſen wir dieſes Alles zuſammen, ſo gab es im alten

Prozeß zweyerley Klagen, die wir, der Kürze wegen,

ſtrenge und freye nennen wollen. Die Verſchiedenheit

im Verfahren, das heißt die mehr oder weniger freye

Macht, die dem urtheilenden Judex überlaſſen war, hieng

aber zuſammen mit der perſönlichen Eigenſchaft deſſelben,

 

fenden Jahres, die doch ſtets ar-

bitri ſeyn konnten, nicht in das

album geſetzt; endlich durfte der

arbiter eben ſowohl aus dem

album, als außer demſelben, ge-

wählt werden.

(g) Dieſes erhellt ganz klar

aus den Stellen des Cicero Note c.

Ferner gebraucht Gajus IV. § 163

die Ausdrücke judex und arbiter

ganz abwechſlend, vielleicht dem

bloßen Wohllaut folgend (z. B.

judicis arbitrio). In den For-

meln derjenigen Klagen, die gewiß

arbitria waren, kommt ſtets ju-

dex esto vor, nie arbiter esto;

nur bey Mehreren heißt es: recu-

peratores sunto (Gajus IV. § 46.

47.), nicht: judices oder arbitri

sunto. Es war alſo nicht etwa

nachläſſiger Sprachgebrauch der

Schriftſteller, ſondern die herrſchen-

de Gerichtsſprache. Wenn daher

geſtritten wurde, ob es beſſer ſey

judex oder arbiter zu ſagen

(Cicero pro Murena C. 12), ſo

darf dieſem Streit wohl nur eine

theoretiſche, ſprachverbeſſernde, Be-

deutung zugeſchrieben werden.

(h) In ganz anderer Beziehung

freylich iſt auch der Ausdruck ar-

biter zweydeutig, indem er nicht

blos den Urtheiler in einer freyen

Klage, ſondern auch den außerge-

richtlichen Schiedsrichter bezeichnet.

|0119 : 105|

§. 218. Judicia, arbitria. Stricti juris, bonae fidei actiones.

indem er bey den ſtrengen Klagen nur aus dem öffentlich

aufgeſtellten Richterverzeichniß, bey den freyen aber ohne

dieſe Einſchränkung gewählt werden durfte.

Merkwürdigerweiſe kommt die hier dargeſtellte Einthei-

lung der Klagen in dieſer Allgemeinheit, wörtlich aner-

kannt, in dem ganzen Umfang unſrer Rechtsquellen nicht

vor; ſie erſcheint jedoch hier, ſorgfältig ausgebildet, in

einem engeren Kreiſe von Klagen, als stricti juris und

bonae fidei actiones. Es würde unrichtig ſeyn, deshalb

anzunehmen, daß ſie ſich überhaupt in dieſen engeren Kreis

zurückgezogen hätte, und für die übrigen Klagen verſchwun-

den wäre; vielmehr wird unten gezeigt werden, daß ſie

ihre allgemeine Bedeutung und Wichtigkeit während des

ordo judiciorum ſtets behauptet hat, ſo daß die eingetre-

tene Veränderung mehr den vorherrſchenden Sprachge-

brauch, als die Sache ſelbſt, betroffen zu haben ſcheint.

 

Um nun dieſen wichtigen Gegenſatz, ſo wie er in

unſren Rechtsquellen erſcheint, vollſtändig zur Anſchauung

zu bringen, iſt es nöthig, eine Überſicht aller Klagen voran

zu ſtellen, und dabey vorläufig zu bemerken, wie ſich dieſelben

zu jenem Gegenſatz verhalten. Die genauere Erörterung

dieſer vorläufigen Behauptungen wird dann der Gegen-

ſtand der nachfolgenden Unterſuchungen ſeyn. Es gründet

ſich aber die folgende tabellariſche Überſicht auf die ſchon

entwickelten Begriffe der civilen und prätoriſchen Klagen

(§ 213), der Klagen in rem und in personam (§ 206—209),

 

|0120 : 106|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

endlich der aus Delicten entſpringenden oder Pönalklagen

(§ 210 — 212.).

I. Civiles actiones.

1. In personam.

A. Aus Rechtsgeſchäften (Contracten und Quaſi-

contracten) (i). Auf dieſe allein bezieht ſich die

Eintheilung in:

a. Stricti juris, auch condictiones genannt.

Sie ſind ſtrenge Klagen (judicia).

b. Bonae fidei. Sie ſind freye Klagen (ar-

bitria).

B. Aus Delicten, alſo Pönalklagen. Sie ſind Judicia.

2. In rem. Insgeſammt arbitria.

II. Honorariae actiones. Insgeſammt arbitria, ohne Un-

terſchied ob ſie in rem oder in personam ſind, und

ob dieſe letzten aus Rechtsgeſchäften oder aus De-

licten entſpringen.

Es beſchränkt ſich demnach der Gegenſatz der stricti

juris und bonae fidei actiones auf den engeren Kreis der-

jenigen Civilklagen, welche in personam ſind, und zugleich

 

(i) Es iſt alſo derſelbe Begriff,

welcher auch ſchon bey den Rö-

mern durch den gemeinſamen Na-

men contractus bezeichnet wird.

Vgl. L. 23 de R. J. (50. 17.).

Man darf ſich nicht durch Streben

nach Vollſtändigkeit verleiten laſ-

ſen, nun auch den unten folgenden

Delicten die Quaſidelicte zu coor-

diniren; denn theils ſind dieſe ſehr

unbedeutend, anſtatt daß die Qua-

ſicontracte zahlreich und wichtig

ſind, theils finden ſich darunter

keine dem alten Civilrecht angehö-

rende Fälle; ſie erzeugen nur prä-

toriſche Klagen.

|0121 : 107|

§. 219. Actiones stricti juris (Condictiones), bonae fidei.

aus Rechtsgeſchäften entſpringen. Allen übrigen Klagen

dürfen jene Namen nicht beygelegt werden, allein der prak-

tiſche Character, welcher ſie unterſcheidet, indem die einen

ſtrenge, die anderen freye Klagen ſind, findet ſich bey al-

len übrigen Klagen wieder, und zwar dergeſtalt, daß die

allermeiſten derſelben unter die freyen, nur ſehr wenige

unter die ſtrengen Klagen gehören.

Da übrigens der ganze hier behandelte Gegenſatz vor-

zugsweiſe auf die Beſchaffenheit und die Macht des Judex

Beziehung hatte, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß der-

ſelbe nur für die ordinaria judicia Bedeutung haben konnte,

indem in den extraordinariis ein von der Obrigkeit ver-

ſchiedener Judex gar nicht vorkam.

 

§. 219.

Arten der Klagen. Stricti juris (Condictiones), bo-

nae fidei.

Als Mittelpunkt dieſes ganzen Klagenſyſtems ſind die

perſönlichen Civilklagen aus Rechtsgeſchäften zu betrachten,

ſo daß ſich die beſtimmteſten und reichhaltigſten Kunſtaus-

drücke ausſchließend auf ſie beziehen, die übrigen Klagen

aber nach ihrer Analogie behandelt werden.

 

Jenen contractlichen Civilklagen liegt aber folgender

Gedanke zum Grunde. Das erſte und dringendſte Bedürf-

niß für den geordneten Rechtszuſtand iſt der richterliche

Schutz des Eigenthums und der ihm verwandten Rechte.

Der in dieſem Schutz des Berechtigten begründete Zwang

 

|0122 : 108|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

gegen die Freyheit der Andern äußert ſich abwehrend, wie-

derherſtellend, alſo auf eine meiſt negative Weiſe. Auch

wird dieſe Art des Schutzes großentheils hinreichen, um in

dem Verkehr der Menſchen unter einander eine rechtliche

Ordnung zu erhalten; ſoweit er hinreicht, bedarf es eines

Zwanges zu poſitiven Handlungen nicht, und ſoll dieſer

dennoch angewendet werden, ſo kann die Rechtfertigung

deſſelben nur in der beſonders nachgewieſenen Unentbehr-

lichkeit liegen.

Wenn zum Beyſpiel Einer ſein Haus vermiethet, und

der Miether die Rückgabe verweigert, ſo kann zum

Schutz gegen dieſes Unrecht ſchon die Eigenthumsklage ge-

nügen. Gegen die Verweigerung des Miethgeldes freylich

ſchützt dieſe Klage nicht, und dadurch wird dennoch eine

wohlbegründete Erwartung des Vermiethers geſtört; eben

ſo verhält es ſich mit dem Inhalt der meiſten anderen

Verträge. Dieſe Erwartungen nun ſtehen zunächſt unter

dem Schutz der bey rechtlichen Menſchen geltenden Sitte,

und dieſer Schutz, ſelbſt ohne äußere Unterſtützung, iſt

ſtärker, als man in blos juriſtiſcher Betrachtung anzuneh-

men geneigt ſeyn mag. Es iſt hier nicht die Rede von

edler Geſinnung, Grosmuth, Aufopferung, auf welche

durchſchnittlich zu rechnen nie gerathen ſeyn möchte; zur

Beobachtung jener Sitte kann ſchon verſtändige Selbſt-

ſucht antreiben, da auf ihr das ſchwer zu entbehrende Zu-

trauen Anderer beruht. Wir bezeichnen dieſen Zuſtand

als Treue und Glauben, die Römer nennen ihn bona fides.

 

|0123 : 109|

§. 219. Actiones stricti juris (Condictiones), bonae fidei.

Von dieſem Standpunkt aus können wir ſagen: die Er-

haltung unſres Vermögens wird uns durch die Eigen-

thumsklage geſichert, die Erwartung, die wir von der

Handlung eines Andern zu faſſen in Folge ſeiner eigenen

Erklärung berechtigt ſind, wird geſichert durch Treue und

Glauben.

Dennoch reichen wir damit nicht aus, wie mäßig auch

unſre Anſprüche an die äußere Unterſtützung des Rechts-

zuſtandes ſeyn mögen. Zwar wenn ich dem Andern mein

Haus vermiethe, ſo ſchützt mich gegen Verminderung mei-

nes Vermögens, unabhängig von ſeiner Redlichkeit, die

Vindication; wenn ich ihm aber Geld leihe, ſchützt ſie mich

nicht. Indem ich ihm das Eigenthum des Geldes über-

ließ, habe ich zu ſeinem Vortheil freywillig auf den Schutz

durch Vindication verzichtet; zahlt er nun das Geld nicht

zurück, ſo wird mir nicht blos, wie bey dem verweigerten

Miethgeld, eine Erwartung geſtört, ſondern mein urſprüng-

liches Vermögen iſt bleibend vermindert, und zwar ledig-

lich in Folge des von mir gewährten höheren Vertrauens.

Dieſes höhere Vertrauen führt alſo eine größere Gefahr

mit ſich, und Beide vereinigt geben mir den Anſpruch auf

ſtrengen richterlichen Schutz, ähnlich dem Schutz des Ei-

genthums.

 

Das Darlehen iſt der einfachſte, einleuchtendſte Fall

der Unentbehrlichkeit eines ſolchen Schutzes durch perſön-

liche Klage; allein an denſelben reihen ſich, in natürlicher

Entwicklung, andere verwandte Fälle an, die daher eines

 

|0124 : 110|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

gleichartigen Schutzes theilhaftig werden müſſen. Denn

der abſtracte Grund, weshalb hier dem Darlehen ein

Schutz höherer Art als anderen Verträgen gewährt wurde,

lag in dem Umſtand, daß ohne dieſen Schutz mein Ver-

mögen zum Vortheil eines Andern ohne Rechtsgrund ver-

mindert ſeyn würde; conſequenterweiſe werden wir alſo

auch in anderen Fällen, worin nur dieſes abſtracte Ver-

hältniß wahrgenommen wird, denſelben Schutz zu geſtat-

ten haben. So geſchieht es in der That, wenn mein

Eigenthum den andern bereichert, nicht in Folge meines

ihm gewährten Vertrauens, wohl aber in Folge einer irri-

gen Handlung (condictio indebiti), oder in Folge eigen-

mächtiger Handlung des Bereicherten, oder auch eines

bloßen Zufalls. Vermittelſt dieſer natürlichen Entwicklung

ſind mit der Klage aus dem Darlehen auf gleiche Linie

geſtellt worden die condictio indebiti, sine causa, furtiva

u. ſ. w. (a).

Eine zweyte, ſchon etwas künſtlichere, Erweiterung

jenes Schutzes liegt auf folgendem Wege. Wenn zwiſchen

mir und einem Andern ein Rechtsverhältniß der Art be-

ſteht, welche an ſich nur durch Treue und Glauben ge-

ſchützt zu ſeyn pflegt, wir einigen uns aber dahin, daß

dafür unter uns ein ſtrenger richterlicher Schutz gelten

ſoll, gleichartig dem, welcher durch das anvertraute Eigen-

genthum von ſelbſt entſteht, ſo kann es nur zur Förderung und

Belebung des Verkehrs gereichen, daß eine ſolche Einigung

 

(a) Beylage XIV. Num. IV — VIII.

|0125 : 111|

§. 219. Actiones stricti juris (Condictiones), bonae fidei.

Wirkſamkeit erhalte. Es wird dann nur darauf ankom-

men, ſolche Formen anzuwenden, wodurch das Daſeyn

und der Ernſt jener Einigung außer Zweifel geſetzt werde.

Die natürlichſte Einrichtung einer ſolchen Form wird dar-

auf gerichtet ſeyn, daß die innere Verwandſchaft mit den

oben dargeſtellten Faͤllen, insbeſondere mit dem Darlehen,

ſichtbar hervortrete. Hierauf beruht die mit dem Darle-

hen völlig gleichartige Wirkung der expensilatio und sti-

pulatio, ſo wie der alten nexi obligatio (b).

Nun aber iſt es nöthig, diejenigen Rechtsgeſchäfte, von

welchen oben geſagt wurde, daß ſie nur durch Treue und

Glauben geſchützt werden, noch genauer in’s Auge zu faſ-

ſen. Lediglich dabey ſtehen zu bleiben, wird durch die

Rückſicht auf ſolche Perſonen bedenklich, welche geneigt

ſeyn möchten, ſich der ſchützenden Sitte völlig zu entziehen.

Möchten Dieſe auch für die Zukunft durch das verſcherzte

Zutrauen vielleicht größeren Nachtheil erleiden, ſo würden

ſie doch im einzelnen Fall einen augenblicklichen, ſehr un-

verdienten, Gewinn ziehen können, und auch ſchon darin

würde eine Störung der Rechtsordnung, wenngleich von

minderer Art, liegen. Dadurch aber treten dieſe Fälle

in eine gewiſſe Verwandtſchaft mit den oben dargeſtellten,

durch ſtreng richterlichen Schutz zu ſichernden Fällen, ohne

jedoch völlig gleichartig mit ihnen zu werden.

 

Die Römer haben dieſe Verwandtſchaft, und die noch

daneben beſtehende Verſchiedenheit, in folgender Weiſe an-

 

(b) Beylage XIV. Num. IX. X.

|0126 : 112|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

erkannt. Der ſtrenge Schutz durch eigentliches Richteramt

ſoll nur gelten für die zuerſt dargeſtellte Klaſſe von Fällen.

Wenn aber in den Fällen, welche eigentlich nur unter

dem Schutz redlicher Sitte ſtehen, unter zwey Perſonen

eine Meynungsverſchiedenheit entſteht, ſo daß Jeder das

Recht auf ſeiner Seite zu haben glaubt, ſo werden ſie

ſich, die Möglichkeit des Irrthums in der eigenen Perſon

und in dem Gegner anerkennend, über einen unpartheyi-

ſchen Schiedsrichter einigen, deſſen Ausſpruch ſie unter

ſich als das wahre Recht gelten laſſen wollen. Dieſe Aus-

kunft iſt dem natürlichen Verhältniß redlicher Menſchen ſo

angemeſſen, daß ſie keiner verweigern kann, ohne ſich dem

Verdacht eines Unrechts mit Bewußtſeyn auszuſetzen. Da-

her wird in ſolchen Fällen Jeder genöthigt, zu dieſer Aus-

kunft die Hand zu bieten. Der unter Mitwirkung beider

Theile ernannte Schiedsrichter hat nun nicht, wie der

eigentliche Richter, feſtzuſtellen, was das ſtrenge Recht ge-

biete, ſondern was im vorliegenden Fall, nach redlicher

Sitte, von ſelbſt und ohne Zwang zu beobachten ſey (c).

Das, was hier, von dem Standpunkt allgemeiner Be-

trachtung aus, auch in allgemeine Ausdrücke gefaßt wor-

den iſt, erſcheint nun bey den Römern in folgender con-

creten Geſtalt (§ 218.). In den Fällen, worin eine ſtrenge

Forderung, dem ſtrengen Recht des Eigenthums ähnlich,

begründet iſt, kann Dieſelbe durch eine stricti juris actio,

häufiger condictio genannt, geltend gemacht werden. Über

 

(c) Beylage XIII. Num. XIII.

|0127 : 113|

§. 219. Actiones stricti juris (Condictiones), bonae fidei.

Dieſelbe entſcheidet ein Judex, aus dem allgemeinen Rich-

terverzeichniß genommen. Für die übrigen Fälle dagegen

gilt eine bonae fidei actio, und darüber wird durch einen

von den Parteyen gewählten Arbiter (oder durch Mehrere)

entſchieden. Der Judex vertritt lediglich die Stelle des Prä-

tors, und muß ſich daher in den buchſtäblichen Gränzen

halten, die ihm der Auftrag des Prätors vorſchreibt. Der

Arbiter hat die unter rechtlichen Menſchen herrſchende

Sitte zu interpretiren, und urtheilt daher mit größerer

Freyheit, indem ſich der Prätor, ihm gegenüber, auf eine

allgemeinere Leitung des Verfahrens beſchränkt.

Dieſe verſchiedene Macht des Judex und des Arbiter

beruhte daher auf ihrer ganz verſchiedenen Stellung zu

den Parteyen und zur Obrigkeit, und dabey lag wieder

zum Grunde die verſchiedene Grundanſicht in der Betrach-

tung beider Klaſſen von Rechtsgeſchäften. Es würde alſo

irrig ſeyn, dieſe Verſchiedenheit als eine abſichtliche Be-

günſtigung des Klägers bey der einen oder andern Klaſſe

der Klagen anſehen zu wollen, da jede derſelben eigenthüm-

liche Vortheile und Nachtheile für den Kläger mit ſich

führte, welche aber nicht als Zweck der ganzen Einrichtung

angeſehen werden dürfen (d).

 

Unter den Condictionen wurden drey Klaſſen, ſowohl

durch die Formeln im Prozeß, als durch wichtige prak-

tiſche Regeln, unterſchieden. Die erſte, beſonders ausge-

zeichnete, Klaſſe bildete die certi condictio, auch si cer-

 

(d) Beylage XIII. Num. II. III. IV.

V. 8

|0128 : 114|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

tum petetur genannt, welche auf die Forderung einer be-

ſtimmten Geldſumme gerichtet war (si paret, Centum dari

oportere). In ihr wurde der redliche Theil gegen die

Unredlichkeit des Gegners durch eine sponsio und resti-

pulatio tertiae partis geſchützt. — Die zweyte Klaſſe war

auf die Übertragung des Eigenthums irgend einer beſtimm-

ten Sache außer dem baaren Gelde gerichtet (si paret,

hominem Stichum dari oportere). — Die dritte endlich

gieng auf Leiſtungen irgend einer Art, außer jenen beiden,

und dieſe wurden ſtets als etwas Unbeſtimmtes angeſehen.

Daher hieß die Condiction dieſer dritten Klaſſe incerti

condictio, und ihre Formel lautete auf: Quidquid dari

fieri oportet (e).

Unter den bonae fidei actiones findet ſich eine ſolche

Verſchiedenheit nicht. Sie giengen ſtets auf Dasjenige,

was im vorliegenden Fall nach Treue und Glauben von

einer, das Rechtsverhältniß völlig durchſchauenden, Par-

tey freywillig geleiſtet werden würde, und dieſe ihre ge-

meinſame Richtung wurde durch die Formel ausgedrückt:

Quidquid dari fieri oportet ex fide bona (f).

 

§. 220.

Arten der Klagen. Stricti juris (Condictiones), bonae

fidei. (Fortſetzung.)

Bey neueren Schriftſtellern finden ſich über den hier

 

(e) Beylage XIV. Num. XXXII — XL.

(f) Beylage XIII. Num. XIV.

|0129 : 115|

§. 220. Act. stricti juris (Condictiones), bonae fidei. (Fortſ.)

dargeſtellten Unterſchied der Klagen theils völlig unrich-

tige, theils nicht hinlänglich begründete Meynungen.

Als ganz unrichtig iſt die Meynung zu verwerfen,

nach welcher die Stricti juris actiones beſonders begün-

ſtigte, aus der Zahl der übrigen herausgehobene, Klagen

geweſen ſeyn ſollen, etwa ſo wie bey uns die Wechſel-

klage, als ein exceptionelles Rechtsmittel, durch den Vor-

theil eines ſchnelleren und ſtrengeren Verfahrens vor an-

deren Klagen ausgezeichnet iſt. Es müſſen aber vielmehr

dieſe Klagen als die eigentlichen und wahren Klagen über-

haupt angeſehen werden; die bonae fidei actiones waren

Klagen anderer Art, weniger als jene auf dem ſtrengen

Rechtsbegriff beruhend, und wenn hier überhaupt das

Verhältniß von Regel und Ausnahme Anwendung finden

ſoll, ſo müſſen eher umgekehrt die Condictionen als Regel,

die b. f. actiones als Ausnahme, angeſehen werden (a).

 

Unbegründet nenne ich die Anſicht, nach welcher der hier

dargeſtellten Genealogie der Begriffe und Rechtsinſtitute

zugleich eine chronologiſche Bedeutung gegeben wird. In

vollſtändiger Entwicklung gedacht, würde dieſe Anſicht auf

folgenden Hergang führen. Es gab urſprünglich, und

vielleicht lange Zeit hindurch, keine andere perſönliche Kla-

gen, als die Condictionen der erſten und zweyten Klaſſe

(§ 219), gerichtet auf Übertragung des Eigenthums an

baarem Geld oder an anderen beſtimmten Sachen. Spä-

terhin wurden die incerti condictiones zugelaſſen, gerichtet

 

(a) Beylage XIII. Num. XIII.

8*

|0130 : 116|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

auf unbeſtimmtere Gegenſtände von mannichfaltiger Art.

Die neueſte Rechtsbildung endlich ergab die Einführung

der bonae fidei actiones, die den zuletzt genannten Con-

dictionen verwandt waren, und in Freyheit des Verfah-

rens und Unbeſtimmtheit der Gegenſtände nur noch einen

Schritt weiter giengen.

Zeugniſſe für eine ſolche hiſtoriſche Entwicklung der

Rechtsinſtitute ſind niemals beygebracht worden, und es

hat wohl zur Annahme derſelben nur die ſcheinbare Na-

türlichkeit eines allmäligen, in der Zeit fortſchreitenden,

Übergangs vom Strengen zum Freyen, vom Beſtimmten

zum Unbeſtimmten, hingeführt. Allein es iſt überall ge-

fährlich, ſolchen abſtracten Begriffen in hiſtoriſchen Unter-

ſuchungen zu vertrauen. Im vorliegenden Fall können

wir zwar die angegebene hiſtoriſche Succeſſion eben ſo wenig

durch unmittelbare Zeugniſſe widerlegen, als ſie durch

ſolche erwieſen worden iſt. Allein es ſpricht dagegen ſo-

wohl der praktiſche Sinn der Römer, welchem eine ſo

ungenügende Behandlung, wie ſie hier für die frühere Zeit

vorausgeſetzt wird, zu keiner Zeit zuſagen konnte, als auch

der Schluß, welcher aus einzelnen ſicheren Thatſachen äl-

terer Zeit gezogen werden kann. Und ſo ſind wir berech-

tigt, jene Behauptung nicht blos als unbegründet, ſondern

auch als ganz unwahrſcheinlich zu verwerfen (b).

 

Dagegen iſt eine hiſtoriſche Entwicklung anderer Art

nicht blos als wahrſcheinlich, ſondern als völlig gewiß

 

(b) Beylage XIII. Num. XIII., Beylage XIV. Num. XLVII.

|0131 : 117|

§. 220. Act, stricti juris (Condictiones), bonae fidei (Fortſ.)

anzunehmen. Jenes Syſtem der vorherrſchenden Condic-

tionen in drey verſchiedenen Formeln und Klaſſen, und

der daneben ſtehenden b. f. actiones, iſt zwar allerdings

als nicht allmälig, ſondern gleichzeitig entſtanden anzuſe-

hen, ſo daß gleich bey der urſprünglichen Bildung des

Formularprozeſſes die den alten Legis actiones nachge-

bildeten Condictionen in derſelben Mannichfaltigkeit auf-

geſtellt wurden, worin wir ſie in unſren Rechtsquellen

finden. Allein im Laufe der Zeit wurde das der b. f. actio

zum Grunde liegende Princip als das vorzüglichere und

annehmlichere betrachtet, und es findet ſich eine ſichtbare

Hinneigung, die Condictionen in die freyere Natur der

b. f. actiones hinüber zu leiten, wozu beſonders die Prä-

toren auf mancherley Weiſe mitwirkten. Es geſchah Die-

ſes durch Mittel und Rechtsformen, welche in dem Syſtem

der Condictionen ſelbſt gegründet waren, und es lag da-

her in dieſem Verfahren die Befriedigung eines durch ſtets

wachſende Überzeugung anerkannten praktiſchen Bedürf-

niſſes, ohne daß man Daſſelbe einer formellen Inconſe-

quenz beſchuldigen konnte (c). — Dieſe Richtung ſcheint

ſchon früh eingetreten zu ſeyn, wenigſtens ſchon zur Zeit

des Cicero, wofür, von anderen Gründen abgeſehen, ſchon

die Vorliebe Zeugniß giebt, womit er, vom ſittlichen Stand-

punkt aus, über die b. f. actiones redet (§ 218. c.). Das

Weſen des früheren Klagenſyſtems ſtand jedoch feſt, ſo

lange als die alte Gerichtsverfaſſung beſtand; der Judex

(c) Beylage XIII. Num. XX.

|0132 : 118|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

oder Arbiter bezeichnete ſtets die Gränze zwiſchen den bei-

den Hauptarten perſönlicher Klagen. Als aber, mit der

geſammten älteren Gerichtsverfaſſung (dem ordo judicio-

rum), dieſe Verſchiedenheit der Urtheiler verſchwand, da

hatte eigentlich das Weſen jenes Klagenſyſtems aufgehört.

Die Hinneigung zu der freyeren Art der Klagen mußte

jetzt immer ſtärker hervor treten, und es blieben nur noch

vereinzelte, rein praktiſche, Unterſchiede übrig, die ſich un-

ter dem Einfluß des älteren Prozeſſes gebildet hatten,

und die nunmehr nur deshalb fortbeſtanden, weil Niemand

auf den Gedanken kam, ſie aufzuheben.

Bis dahin iſt der Gegenſatz der ſtrengen und freyen

Klagen lediglich auf die perſönlichen Civilklagen, welche

aus Rechtsgeſchäften entſpringen, angewendet worden, in-

dem dieſe in der That den Mittelpunkt des alten Actionen-

ſyſtems bilden (§ 218. 219). Allein jener Gegenſatz hat

an ſich eine allgemeinere Natur, und es muß daher auch

bey den übrigen Klaſſen der Klagen nachgewieſen werden,

wie ſie ſich zu demſelben verhalten.

 

Die civilen Delictsklagen wurden ohne Zweifel, eben

ſo wie die Condictionen, jedesmal von einem Judex ent-

ſchieden und als ſtrenge Klagen behandelt. Denn wenn

ein alter Volksſchluß eine Geldſtrafe auf ein Delict ſetzte,

ſo würde dieſe Beſtimmung, ohne Verfolgung vor einem

Richter, gar keinen Sinn gehabt haben (d).

 

(d) Beylage XIII. Num. VIII.

|0133 : 119|

§. 221. Arbitrariae actiones.

Bey den civilen in rem actiones wurde es in die

Wahl des Klägers geſtellt, ob er einen Judex oder Arbi-

ter verlangen, das heißt, ob er vermittelſt einer Sponſion

den Weg der ſtrengen Klage einſchlagen, oder eine peti-

toria formula vor einem Arbiter gebrauchen wollte, wel-

cher letzten allein der Name einer in rem actio eigentlich

gebührte (e).

 

Die prätoriſchen Klagen endlich, mochten ſie in rem

oder in personam gehen, aus Rechtsgeſchäften oder aus

Delicten entſpringen, waren ſtets von freyer Natur, alſo

vor einem Arbiter zu verhandeln (f).

 

So befolgten alſo alle übrige Klagen die Analogie ent-

weder der Condictionen, oder der b. f. actiones; allein dieſe

Kunſtausdrücke ſind auf dieſelben niemals angewendet

worden (g).

 

§. 221.

Arten der Klagen. Arbitrariae actiones.

Juſtinians Inſtitutionen ſprechen zuerſt ausführlich von

dem Gegenſatz der bonae fidei und stricti juris actiones

(a), und fahren unmittelbar darauf in folgenden Worten

fort:

§ 31 J. de act. (4. 6.).

 

 

(e) Beylage XIII. Rum. IX.

Aus dieſer Reduction der Eigen-

thumsklage auf eine Sponſion wird

es recht anſchaulich, daß das alte

Klagenſyſtem auf der Grundlage

der Contractsklagen erbaut war.

(f) Beylage XIII. Num. X.

(g) Beylage XIII. Num. VI,

Beylage XIV. Num. XX.

(a) § 28. 29. 30 J. de act.

(4. 6.). — Vgl. Beylage XIII.

Num. I. VI. XII.

|0134 : 120|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Praeterea quasdam actiones arbitrarias, id est ex

arbitrio judicis pendentes, appellamus, in quibus,

nisi arbitrio judicis is, cum quo agitur, actori satis-

faciat, veluti rem restituat, vel exhibeat, vel solvat,

vel ex noxali causa servum dedat, condemnari de-

beat. Sed istae actiones tam in rem, quam in per-

sonam inveniuntur. (Nun folgt eine Reihe von Bey-

ſpielen). In his enim actionibus et similibus per-

mittitur judici ex bono et aequo, secundum cujus-

que rei de qua actum est naturam, aestimare, quem-

admodum actori satisfieri oporteat.

Auf den erſten Blick ſcheint hier der Begriff dieſer

Klagen eben ſo beſtimmt zu ſeyn, wie kurz vorher der Be-

griff der b. f. actiones beſtimmt worden war, indem hier

und dort die freye Macht des urtheilenden Richters als das

überwiegende Moment bezeichnet wird. Dennoch iſt es

undenkbar, daß hier der vorige Begriff unter einem neuen

Namen, und ohne Anerkennung der Identität, nur wie-

derholt ſeyn ſollte. Was aber dieſen Gedanken völlig wi-

derlegt, ſind die einzelnen Beyſpiele, die von den vorher

vollſtändig aufgezählten b. f. actiones durchaus verſchie-

den ſind.

 

Um dieſe Schwierigkeit zu beſeitigen, haben Viele an-

genommen, die ganze Eintheilung der Klagen ſey drey-

gliedrig: stricti juris, bonae fidei, arbitrariae. Allein,

nicht zu gedenken, daß es dann viel einfacher geweſen

wäre, die arbitrariae als drittes Glied gleich im § 28,

 

|0135 : 121|

§. 221. Arbitrariae actiones.

neben den zwey erſten Gliedern zu nennen, ſo iſt es auch

ganz unmöglich, einen ſcharfen Gegenſatz zwiſchen den

Begriffen der zwey letzten Eintheilungsglieder aufzufinden,

da vielmehr beide in der freyen Macht des Arbiter völlig

übereinſtimmen. Die vollſtändige Widerlegung dieſer An-

ſicht wird aber unten durch den Beweis geführt werden,

daß mehrere b. f. actiones zugleich arbitrariae waren, ſo

daß beide Begriffe nicht in einem ausſchließenden Verhält-

niß zu einander ſtehen können.

In der That hat der Begriff der arbitrariae actiones

mit dem vorhergehenden Gegenſatz der stricti juris und

b. f. actiones gar Nichts zu ſchaffen. Jener Ausdruck be-

zeichnet eine für ſich beſtehende Eigenſchaft vieler Klagen,

worunter einige b. f., andere weder b. f. noch stricti juris

ſind. Die erwähnte Eigenſchaft beſteht nämlich darin, daß

in dieſen Klagen der Arbiter nicht ſogleich ein Urtheil

ſprechen, ſondern damit anfangen ſoll, den Beklagten,

wenn er ſich von deſſen Unrecht überzeugt hat, zur frey-

willigen Befriedigung des Klägers, durch eine von dem

Arbiter vorläufig feſtzuſtellende Leiſtung, aufzufordern. Er-

folgt dieſe Befriedigung, ſo wird der Beklagte freygeſpro-

chen; erfolgt ſie nicht, ſo wird er verurtheilt. — Das

Weſentliche dieſer Erklärung, nämlich die vorläufige Auf-

forderung, iſt in den curſiv gedruckten Worten der oben

mitgetheilten Inſtitutionenſtelle geradezu ausgedrückt (b).

 

(b) Dieſer judicis arbitratus

wird in vielen Digeſtenſtellen mehr

oder weniger deutlich erwähnt, am

Beſtimmteſten in L. 68 de R. V.

|0136 : 122|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Der vollſtändige Zuſammenhang der Sache wird aber erſt

aus folgenden Betrachtungen hervorgehen.

Zunächſt erſcheint dieſe Anſtalt blos als ein dem Arbi-

ter vorgeſchriebener Vergleichsverſuch, folglich als eine

Prozeßform, von der nicht einleuchtet, wie ſie genug ma-

terielle Wichtigkeit erhalten konnte, um zur Bildung einer

eigenen Klaſſe von Klagen Veranlaſſung zu geben. Dieſe

Wichtigkeit aber erklärt ſich aus der Eigenthümlichkeit des

alten Prozeſſes, nach welcher kein Richter anders, als auf

Zahlung einer Geldſumme, verurtheilen durfte (§ 215. r).

Daraus entſtand die ſeltſame und ungerechte Folge, daß

ein hartnäckiger Beklagter den Kläger ſtets zur Abtretung

der Dieſem gebührenden Sache gegen baares Geld nöthi-

gen konnte (c). Dieſe Folge ſollte dadurch abgewendet

 

(6. 1.), von welcher noch weiter

die Rede ſeyn wird. — Damit

nicht der Beklagte die Sache un-

beſtimmt hinhalten konnte, wurde

ihm ein Termin zur Reſtitution

angeſetzt. L. 6 § 2 de confess.

(42. 2.) ex his actionibus, ex

quibus dies datur ad restituen-

dam rem. Da übrigens in die-

ſer Einrichtung blos ein freyes,

billiges Ermeſſen des Arbiter, nicht

eine unnütze Formalität begründet

ſeyn ſollte, ſo unterblieb ohne

Zweifel der arbitratus, wenn deſ-

ſen Fruchtloſigkeit ſicher vorherzu-

ſehen war. Dieſes war aber der

Fall, wenn der Beklagte die Sache

unredlicherweiſe zerſtört oder ver-

äußert hatte, alſo unmöglich reſti-

tuiren konnte.

(c) Nicht als ob nun dem Be-

klagten die Sache um die bezahlte

Geldſumme wirklich verkauft ge-

weſen wäre; ein wirkliches Recht

daran erhielt er eben ſo wenig,

als der Verurtheilte, qui dolo de-

siit possidere. L. 69. 70. de

R. V. (6. 1.). Allein, wenn er

nur den Beſitz ſorgfältig hütete,

ſo blieb ihm ſtets der Genuß der

Sache, und der Eigenthümer mußte

ihn entbehren; denn eine wieder-

holte Klage konnte Dieſer nicht

anſtellen, da das Klagerecht con-

ſumirt war.

|0137 : 123|

§. 221. Arbitrariae actiones.

werden, daß der Arbiter auf die freywillige Naturalreſti-

tution hinzuwirken ſuchte.

Hätte man jedoch lediglich auf den guten Willen oder

die Nachgiebigkeit des Beklagten rechnen wollen, ſo wäre

dieſe Anſtalt gerade da, wo ſie beſonders wichtig war, der

entſchloſſenen Ungerechtigkeit gegenüber, völlig kraftlos ge-

blieben. Sie erhielt aber Kraft durch ein indirectes Zwangs-

mittel; der Beklagte, welcher der Aufforderung des Arbi-

ter nicht nachgab, ſollte durch das nun folgende Urtheil in

größeren Nachtheil kommen, als er durch die freywillige

Nachgiebigkeit erlitten haben würde, und in dieſem ange-

drohten Präjudiz lag ein, gewiß ſehr wirkſames, indirec-

tes Zwangsmittel (d). Der allgemeinſte Nachtheil beſtand

aber darin, daß nun die Geldſumme, auf welche der Ar-

biter den Beklagten verurtheilte, den wahren Werth des

Gegenſtandes weit überſteigen konnte, indem der Kläger

durch ſeinen Eid die Summe beſtimmen durfte (e). Bey

 

(d) Nach L. 68 de R. V. (6.

1.) ſoll auch directer Zwang gel-

ten, manu militari. Ich halte

dieſes für eine entſchiedene Inter-

polation, da in anderen Digeſten-

ſtellen die Unmöglichkeit jedes di-

recten Zwanges beſtimmt voraus-

geſetzt wird, ſo z. B. in L. 4 § 3

fin. reg. (10. 1.), L. 73 de fide-

juss. (46. 1.). Eben ſo läßt die

Faſſung des § 31 J. de act. (4.

6.) für eine Execution in die Sache

ſelbſt keinen Raum; dieſe Stelle

iſt denn wahrſcheinlich ohne Ver-

änderung aus einem alten Juri-

ſten abgeſchrieben. Endlich iſt auch,

die Naturalexecution vorausgeſetzt,

nicht wohl einzuſehen, wie es je-

mals ob contumaciam zu einem

Eid kommen konnte (Note e).

(e) L. 2 § 1 de in litem jur.

(12. 2.) cum vero dolus, aut

contumacia non restituentis

vel non exhibentis, (punitur),

quanti in litem juraverit actor

(aestimatur).” Dolus geht auf

den Fall, da der Beſitzer die Sache

verzehrt oder verkauft hat, contu-

macia iſt der hier erwähnte Un-

gehorſam. Vgl. L. 1 eod. L. 18

|0138 : 124|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

einzelnen Klagen traten eigenthümliche, nachtheilige Fol-

gen jenes Ungehorſams ein; ſo bey der actio quod metus

causa der vierfache Betrag des Gegenſtandes, deſſen ein-

fache Leiſtung urſprünglich genügt hätte (f): bey der doli

actio die Infamie des Verurtheilten.

Die eigenthümliche Natur dieſer Klagen wurde in der

Formel ausgedrückt durch einen, an irgend einer ſchickli-

chen Stelle, angebrachten Zuſatz (nisi restituatur, nisi ex-

hibeatur), welcher demnach als eine Beſchränkung des Auf-

trags zur Condemnation eingeſchoben wurde (g).

 

pr. de dolo (4. 3.). Eben dar-

auf geht L. 73 de fidej. (46. 1.)

noluit eam restituere, et ideo

magno condemnatus est.” —

In L. 68 de R. V. (Note d)

iſt natürlich nur von dolus die

Rede, nicht von contumacia, weil

für den Fall einer ſolchen die ma-

nus militaris durch Interpolation

eingeſchoben iſt. — Der eigent-

liche Zuſammenhang zwiſchen dem

Eid in litem und den arbiträren

Klagen beſteht nun aber darin,

daß bey ihnen jener Eid als ein

regelmäßiges Recht des Klägers

in den angeführten Stellen aner-

kannt wird, anſtatt daß er bey

ſtrengen Klagen nur als Aushülfe,

in Ermanglung anderer Beweiſe,

gebraucht werden kann. L. 5 § 4

L. 6 de in litem jur. (12. 3.).

Hierauf iſt auch zu beziehen L. 9

eod., da auch die furti actio eine

ſtrenge Klage iſt; eben ſo L. 8 § 1 de

act. rer. amot. (25. 2.), da dieſe

Klage die Natur einer condictio

hat. L. 26 eod.

(f) Bey dieſer Klage kam nicht

etwa der Eid noch neben dem

vierfachen Erſatz vor, ſondern die-

ſer erhöhte Erſatz war ein (ſehr

reichliches) Surrogat des Eides.

Bey der doli actio trafen den

Beklagten beide Nachtheile, der

Eid des Klägers und die Infamie.

(g) Über die nicht überall gleich-

förmige Stellung jener Ausdrücke

in der Formel kommen folgende

unzweifelhafte Zeugniſſe vor. Bey

Cicero ſtehen in der petitoria for-

mula in der Intentio die Worte:

neque is fundus Q. Catulo re-

stituetur (§ 209. c). — Ga-

jus IV. § 47 hat in der depositi

formula in jus concepta die

Worte: N R (nisi restituat) in

der Condemnatio (§ 216. t). —

Ebendaſelbſt ſtehen, bey der depo-

siti formula in factum, in der

Intentio die Worte: Si paret. …

eamque .. redditam non esse.

— Eben ſo ſtehen in der Intentio

|0139 : 125|

§. 222. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)

§. 222.

Arten der Klagen. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)

Auf die Frage, welchen Klagen der Name arbitrariae,

alſo auch die eben erklärte Eigenthümlichkeit, zukam, läßt

ſich eine allgemeine, wie ich glaube völlig ſichere, Antwort

geben. Dieſe wird dann noch durch Anwendung auf ein-

zelne Fälle zu beſtätigen ſeyn.

 

Die allgemeine Regel iſt ſo auszudrücken: arbitrariae

waren alle freye Klagen, worin ſich, nach ihrem beſon-

deren Inhalt, das oben beſchriebene Verfahren als an-

wendbar zeigte.

 

Durch die erſte Beſtimmung ſind ausgeſchloſſen alle

Condictionen, ſo wie alle civile Delictsklagen, auch zeigt

ſich bey keiner derſelben die geringſte Spur eines ſolchen

Verfahrens, ja es würde dieſes der beſchränkten Stellung

des Judex in jenen Klagen völlig widerſprechen. — Da-

gegen ſind, von dieſer Seite her, zugelaſſen: die bonae

fidei, die in rem actiones, ſo wie alle prätoriſche Klagen.

 

Schwieriger iſt die zweyte Beſtimmung, welche die

Anwendbarkeit des oben beſchriebenen beſonderen Ver-

fahrens zum Gegenſtand hat, und wodurch viele freye

Klagen von der Klaſſe der arbitrariae actiones ausge-

ſchloſſen werden. Zwar die Ausdrücke arbitrium und ar-

biter, die durchaus für alle freye Klagen gelten (§ 218),

 

der actio quod metus causa die

Worte: neque ea res arbitrio

judicis restituetur. L. 14 § 11

quod metus (4. 2.)

|0140 : 126|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

könnten leicht zu der Annahme verleiten, als ob alle freye Kla-

gen ohne Unterſchied arbitrariae wären. Dieſes würde aber

ganz irrig ſeyn, indem der Name arbitraria formula nicht

von der Perſon des arbiter, ſondern von dem in der Formel

ausgedrückten arbitratus judicis, das heißt von der oben

erklärten Aufforderung zur freywilligen Leiſtung (§ 221. b),

hergenommen iſt, ſo daß zwar jede arbitraria actio ein arbi-

trium, aber nicht jedes arbitrium eine arbitraria actio iſt (a).

Anwendbar nun iſt jenes beſondere Verfahren bey den-

jenigen freyen Klagen, die auf eine Reſtitution oder

Exhibition gerichtet ſind, bey allen anderen iſt es nicht

anwendbar (b). Es kommt alſo nur darauf an, dieſe Be-

griffe genau zu beſtimmen.

 

Der leichtere, ſeltnere, und minder wichtige Fall iſt

der der Exhibition. Darunter wird das bloße Vorzeigen

oder Darſtellen einer beſtimmten einzelnen Sache verſtan-

 

(a) Über die Verſchiedenheit bei-

der Begriffe können einige Stel-

len des Gajus täuſchen, worin

ganz abwechſlend, bald arbitrum,

bald arbitrariam formulam pe-

tere geſagt wird (IV. § 141. 163.

164. 165). Allein in den Fällen

der Interdicte, von welchen hier

Gajus ſpricht, war in der That

das arbitrium zugleich eine ar-

bitraria formula, wodurch alſo

die Verſchiedenheit beider Begriffe

in Anwendung auf viele andere

Klagen nicht ausgeſchloßen wird.

(b) Dieſe Beſtimmung iſt an-

erkannt in dem Ausdruck: contu-

macia non restituentis vel non

exhibentis, als Grund und Be-

dingung des Eides in litem (§ 221.

e). — Sie wird völlig beſtätigt,

wiewohl nur in der beſonderen An-

wendung auf Interdicte, durch

Gajus IV. § 163. 165. — Sie

wird in ihrem Haupttheil beſtätigt,

und zwar in Anwendung auf die

verſchiedenſten Arten von Klagen,

durch den Schluß von L. 68 de

R. V. (6. 1.) „Haec sententia

generalis est, et ad omnia, sive

interdicta, sive actiones in rem,

sive in personam sunt, ex qui-

bus arbitratu judicis quid re-

stituitur, locum habet.”

|0141 : 127|

§. 222. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)

den, die alſo nicht zugleich in den Beſitz des Andern ge-

bracht werden ſoll, mithin diejenige Leiſtung worauf haupt-

ſächlich die actio ad exhibendum gerichtet wird (c).

Restituere iſt verwandt mit dem recipere, welches als

Grund und Bedingung der Condictionen bezeichnet wird (d),

und doch auch davon verſchieden. Jenes recipere näm-

lich, in Anwendung auf die Condictionen, ſetzt voraus,

daß aus unſrem Vermögen Etwas ohne Grund in ein

fremdes Vermögen übergegangen iſt, welche Veränderung

jetzt wieder rückgängig gemacht werden ſoll. Restituere

aber geht auch auf die Rückkehr des bloßen Beſitzes, ja

ſelbſt der bloßen Detention, während der Umfang des Ver-

mögens weder früher verändert war, noch jetzt wiederher-

geſtellt werden ſoll. So wird mit der Vindication der

fehlende Beſitz wieder gefordert, mit der depositi actio die

fehlende Detention, und durch den Erfolg beider Klagen

wird der Umfang des Vermögens gar nicht verändert (e).

Ja ſelbſt auf ſolche Fälle iſt hier der Ausdruck restituere

anwendbar, worin dem Kläger nicht einmal eine Deten-

tion verſchafft, ſondern nur überhaupt ein veränderter fac-

tiſcher Zuſtand wiederhergeſtellt werden ſoll, wie z. B. bey

dem Interdict quod vi (Note n).

 

Dieſer Ausdruck nun wird auf in rem actiones aus

 

(c) L. 2 ad exhib. (10. 4.),

L. 22. 246 pr. de V. S. (50. 16.),

L. 3 § 8 de tab. exhib. (43. 5.)

(d) Beylage XIV. Num. XX.

(e) So war eine Stipulation:

rem meam mihi restitui gültig

(L. 82 pr. § 1 de V. O. 45. 1),

dagegen die Stipulation: rem

meam mihi dari ungültig. Bey-

lage XIV. Num. V. i.

|0142 : 128|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

dinglichen Rechten, ohne Ausnahme angewendet. Gewöhn-

lich wird hier eine wirkliche Rückkehr der Sache Statt

finden, da der Eigenthümer, der eine Sache vindicirt,

meiſt ſchon früher den Beſitz derſelben gehabt haben wird.

Doch iſt dieſes nicht immer der Fall; denn der Legatar,

der die legirte Sache vom Erben vindicirt, hat den Be-

ſitz noch niemals gehabt, eben ſo der Pfandglaubiger, der

aus einem bloßen Pfandvertrag die hypothecaria actio an-

ſtellt. Hier wird alſo die Vereinigung des Beſitzes mit

dem dinglichen Recht ſchon an ſich ſelbſt als eine Rück-

kehr gedacht, und es iſt daher bey dieſen Klagen ſtets eine

arbitraria formula anwendbar.

Anders verhält es ſich mit den perſönlichen Klagen,

bey welchen der Ausdruck restituere, als Bedingung einer

arbitraria formula, genauer genommen wird. Die actio

commodati, depositi, pigneratitia, gehen wirklich auf Rück-

kehr einer Sache zu ihrem früheren Beſitzer; eben ſo die ac-

tio locati, wenn damit die Rückgabe der vermietheten Sache

gefordert wird. Auch die actio doli, und quod metus

causa gehen, wenngleich nicht immer auf Rückkehr einer

beſtimmten einzelnen Sache in unſren Beſitz, doch ſtets auf

Herſtellung unſres verminderten Vermögens. Daher war

bey allen dieſen perſönlichen Klagen ſtets eine arbitraria

formula anwendbar. — Anders bey ſolchen Contractskla-

gen, deren Erfolg gar nicht irgend einen früheren Zuſtand

herſtellen, ſondern einen ganz neuen herbeyführen ſoll, wie

die actio emti, venditi, und mehrere andere Contractskla-

 

|0143 : 129|

§. 222. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)

gen. Hier kann von einer eigentlichen Reſtitution nicht die

Rede ſeyn (f), und daher iſt hier auch keine arbitraria for-

mula anwendbar.

Zwar wird der eben behauptete ſtrenge Unterſchied nicht

unmittelbar in unſren Rechtsquellen ausgeſprochen; we-

der bey dem Kunſtausdruck restituere, deſſen ſchwankender

Gebrauch vielmehr ſo eben anerkannt worden iſt (Note f);

noch bey der arbitraria formula, für welche die eben ge-

zogene Gränze in keiner Stelle auf dieſe Weiſe anerkannt

wird. Die Richtigkeit dieſer Gränzbeſtimmung aber wird

dadurch außer Zweifel geſetzt, daß die Anwendbarkeit des

jusjurandum in litem ganz beſtimmt nach dieſer Unter-

ſcheidung beurtheilt wird (g), während auf der andern Seite

 

(f) Ich will nicht behaupten,

daß die Römer ſelbſt eine ſolche

Strenge in dem Gebrauch des Aus-

drucks restituere ſtets beobachtet

haben; vielmehr kommt derſelbe

zuweilen auch bey den Leiſtungen

eines Käufers und Verkäufers

u. ſ. w. vor, in welchen doch keine

Art von Rückkehr wahrzunehmen

iſt. L. 13 § 18 de act. emti (19.

1.), L. 8. 12 C. eod. (4. 49.) L.

14 § 9 de servo corr. (11. 3.),

L. 8 § 10 mandati (17. 1.). —

Weniger ungenau iſt es, wenn

bey Fideicommiſſen von einer re-

stitutio hereditatis oder rerum

singularum die Rede iſt; dieſes

iſt nämlich allerdings eine Rück-

kehr, zwar nicht in Beziehung auf

den Empfänger, wohl aber in Be-

ziehung auf den Erben, der die

Erbſchaft oder die einzelne Sache

nur vorübergehend haben ſollte,

ſo daß ſie nun von ihm wieder

weggeht. Daher iſt in dieſer An-

wendung der Sprachgebrauch als

regelmäßig und techniſch zu be-

trachten. Ulpian. XX § 5, Gajus

II § 184. 250. 254. 260, und viele

andere Stellen.

(g) Der Eid wird zugelaſſen bey

der actio depositi, commodati,

locati, tutelae, dotis, doli, metus,

interd. de vi. L. 3 de in lit. jur.

(12. 3.), L. 3 § 2 commod (12.

6.), L. 48 § 1 loc. (19. 2.) L. 7

pr. de admin. (26. 7.) L. 25 § 1

sol. matr. (24. 3.), L. 18 pr. de

dolo (4. 3.), L. 9 C. unde vi (8.

4.) — Er wird nicht zugelaſſen

bey der actio emti venditi. L. 4

C. de act. emt. (4. 49.), L. 19

V. 9

|0144 : 130|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

dieſer Eid mit der arbitraria formula eben ſo ſicher im

Zuſammenhang ſteht (h).

§ 223.

Arten der Klagen. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)

Nachdem ſo die Regel für die Anwendung einer arbi-

traria formula aufgeſtellt worden iſt, ſollen nun noch die

einzelnen Klagen angegeben werden, welchen dieſer Name

in unſren Rechtsquellen beſtimmt beygelegt wird.

 

Die oben angeführte Stelle der Inſtitutionen (§ 221)

giebt folgende Beyſpiele an, unter welchen mehrere auch

durch Digeſtenſtellen beſtätigt werden. In rem: die Pu-

bliciana, Serviana, quasi Serviana (a). In personam: quod

metus causa (b), doli (c), de eo quod certo loco (d), ad

exhibendum (e). Alle dieſe Klagen ſind prätoriſche.

 

Aus anderen Zeugniſſen aber können wir noch folgende

Klagen als arbitrariae hinzufügen.

 

1) Die rei vindicatio, das heißt die petitoria formu-

la (f), welche auf der freyen Wahl des Klägers, anſtatt

de peric. (18. 6.). Eben ſo bey

der actio depositi contraria. L. 5

pr. depos. (16. 3.).

(h) Vgl. § 221. e. — Wäre

die Leiſtung des Verkäufers eine

wahre, eigentliche restitutio, ſo

müßte gegen ihn, nach dem ſehr

beſtimmten Ausſpruch der L. 68

de R. V. (§ 222. b.), in litem

geſchworen werden können, Wel-

ches doch entſchieden nicht zuläſſig

iſt (Note g.).

(a) Vgl. L. 16 § 3 L. 21 § 3

de pign. (20. 1.).

(b) L. 14 § 4. 11 quod metus

(4. 2.).

(c) L. 18 pr. § 1 de dolo

(4. 3.).

(d) L. 2 pr. L. 3. 4 de eo

quod certo loco (13. 4.).

(e) Vgl. oben § 221. e, § 222. b.

— L. 3 § 2 ad exhib. (10. 4.).

(f) Cicero in Verrem II.

C. 12, L. 68 L. 35 § 1 de R. V.

|0145 : 131|

§. 223. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)

der Sponſionsklage, beruhte. Es kann auffallen, daß dieſe

Klage, die für viele andere einen Mittelpunkt bildet, nicht

auch in den Inſtitutionen als Beyſpiel angeführt wird.

Vielleicht iſt es deswegen unterlaſſen worden, weil in dem

hier excerpirten alten Juriſten die petitoria formula ganz

beſtimmt bezeichnet war, welche veraltete Bezeichnung jetzt

vermieden werden ſollte.

2) Hereditatis petitio (g).

3) Confessoria actio (h).

4) Finium regundorum (i).

5) Faviana (k).

6) Depositi actio (l).

7) Redhibitoria actio (m).

8) Die reſtitutoriſchen und exhibitoriſchen Interdicte,

vorausgeſetzt daß der Beklagte dieſe Prozeßform vorzog,

und den Prätor zu rechter Zeit darum bat (n).

(6. 1.), L. 41 § 1 de re jud.

(42. 1.).

(g) L. 10 § 1 L. 57 de her.

pet. (5. 3.).

(h) L. 7 si serv. (8. 5.).

(i) L. 4 § 3 fin. reg. (10. 1.),

§ 6 J. de off. jud. (4. 17.).

(k) L. 5 § 1 si quid in fraud.

patr. (38. 5.).

(l) Vgl. oben § 216. t. — Ein

ſcheinbarer Widerſpruch liegt in

L. 7 pr. de eo quod certo loco

(13. 4.). „In bonae fidei judi-

ciis … ex empto, vel vendito,

vel depositi actio competit, non

arbitraria actio.” Allein die

letzten Worte enthalten nicht die

Verneinung einer arbitraria actio

überhaupt, (deren Name und Cha-

racter alſo der depositi actio ab-

geſprochen wäre), ſondern dieſer

beſtimmten, vom Prätor beſon-

ders eingeführten, arbitraria actio,

der actio de eo quod certo

loco.

(m) L. 45 de aedil. ed. (21. 1.).

(n) Gajus IV. § 141. 163. 164.

165. — Mit Unrecht würde man

unter die arbiträren Klagen ziehen

die actio adv. publicanos; denn

obgleich bey ihr die Reſtitution

von der poena dupli befreyte

(L. 1 pr. de public. 39. 4.), ſo

war doch in dem Edict ſelbſt nur

9*

|0146 : 132|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Faſt alle dieſe Klagen paſſen zu dem oben aufgeſtell-

ten Begriff der Reſtitution oder Exhibition, dienen alſo

zur Beſtätigung der hier vorgetragenen Lehre. Eine ein-

zige Klage kann daran Zweifel erregen, und zwar gerade

die, deren arbiträre Natur vorzugsweiſe und wiederholt

in unſren Rechtsquellen wörtlich anerkannt iſt: die actio

de eo quod certo loco (Note d), welches eine prätoriſche

Klage iſt (o). Sie geht gar nicht auf eine Reſtitution

oder Exhibition, ſondern auf die örtliche Reduction des

Betrags einer Stipulation, welche eigentlich, ihrem wört-

lichen Inhalt nach, an einem fremden Ort zu erfüllen ge-

weſen wäre. Die Aufforderung des Arbiter, durch deren

Erfüllung die Klage abgewendet wird, geht auf Caution

wegen Erfüllung des wörtlichen Inhalts der Stipula-

tion (p); das Präjudiz bey Verweigerung dieſer Erfüllung

beſteht in einem möglichen ſehr hohen, ſelbſt indirecten,

Intereſſe, worauf die Verurtheilung gerichtet werden kann (q).

So liegt alſo in dieſer Klage die Anwendung einer, für

ganz andere Zwecke und Fälle eingeführten Prozeßform

 

eine Reſtitution ante judicium

acceptum gemeynt (L. 5 pr. eod.),

ſo daß zu einem arbitrium vor

dem Urtheil keine Veranlaſſung war

(vgl. Note t.).

(o) L. 1 de eo quod certo

loco (13. 4) „ideo visum est,

utilem actionem in eam rem

comparare.” Heffter observ.

in Gajum Lib. 4 p. 83 hält ſie

für eine eigentliche utilis a., d. h.

für eine Fictionsklage, welches je-

doch aus jenen Worten nicht noth-

wendig folgt. Sie kann auf ge-

wöhnliche Weiſe in factum con-

cepta geweſen ſeyn, und dennoch

utilis genannt werden, weil durch

ſie das urſprüngliche Klagrecht

über ſeine Gränzen ausgedehnt

wurde.

(p) L. 4 § 1 de eo quod certo

loco (13. 4.).

(q) L. 2 § 8 de eo quod certo

loco (13. 4.).

|0147 : 133|

§. 223. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)

auf einen Fall, worin es darauf ankam, die beſondere

Unredlichkeit eines Stipulationsſchuldners wirkſam zu be-

kämpfen, der ſich hinter den Buchſtaben des Rechts ver-

ſteckte, um ſich ſeiner Verpflichtung zu entziehen.

Sehen wir jetzt zurück auf die oben mitgetheilte Stelle

der Inſtitutionen, die einzige, die abſichtlich von der Na-

tur der arbiträren Klagen redet (§ 221), ſo ſind noch die

Worte derſelben zu erklären: nisi .. satisfaciat, veluti rem

restituat, vel exbibeat, vel solvat, vel ex noxali causa ser-

vum dedat. Die zwey erſten Ausdrücke enthalten eine un-

mittelbare Beſtätigung der hier vorgetragenen Lehre. Das

solvat darf nicht ſo allgemein verſtanden werden, wie es

wohl der Ausdruck zuließe, ſo daß es auch auf die Zah-

lung eines Käufers u. ſ. w. bezogen würde. Es iſt zu

beziehen auf die actio de eo quod certo loco; ferner auf

die Fälle einer actio commodati u. ſ. w., worin die Na-

turalreſtitution unmöglich iſt, weil der Beklagte durch ſeine

Nachläſſigkeit die Sache hat ſtehlen oder verderben laſſen;

eben ſo auf die hypothecaria actio, von welcher ſich der

Beklagte nicht blos durch Reſtitution der Sache, ſondern

auch durch Bezahlung der Schuld, frey machen kann (r). —

Endlich die noxalis causa geht auf die durch die Hand-

lung eines Sklaven begründete actio doli oder quod me-

tus causa; denn hier wird der damit belangte Herr des

Sklaven, ohne Entſchädigung zu leiſten, ſchon durch die

bloße noxae datio voͤllig befreyt (s).

 

(r) L. 16 § 3 de pign. (20. 1.).

(s) Es muß alſo die hier er-

|0148 : 134|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Vergleichen wir nun noch zum Schluß die arbiträren

Klagen mit dem oben (§ 218) aufgeſtellten Schema aller

Klagen überhaupt, ſo ergiebt ſich folgendes Verhältniß

derſelben.

 

Die Condictionen und die civilen Delictsklagen ſind

nie arbiträr, weil ſie ſtrenge Klagen ſind.

 

Die civilen in rem actiones, inſoweit ſie auf eine Re-

ſtitution gehen, ſind insgeſammt arbiträr (t).

 

Die bonae fidei actiones, und alle prätoriſche Klagen,

ſind arbiträr, inſofern ſie gerade auf eine Reſtitution oder

Exhibition gerichtet ſind, ſo daß ihre arbiträre Natur von

dem Inhalt jeder einzelnen Klage dieſer Klaſſen abhängt.

Am Meiſten iſt bisher die Vereinbarkeit der Eigenſchaft

einer arbiträren Klage mit den b. f. actiones bezweifelt

worden Der unmittelbare Beweis dafür liegt in den

Zeugniſſen, nach welchen die hereditatis petitio und die

depositi actio, welche beide unter die b. f. actiones gehö-

ren, zugleich auch arbitrariae ſind (Note g. l.).

 

Es war ein wichtiger Streit der alten Juriſtenſchulen,

ob der Beklagte auch nach der Litisconteſtation, bey allen

Klagen, durch freywillige Erfüllung die Freyſprechung be-

 

wähnte noxalis causa von einer

ſolchen Klage verſtanden werden,

die ſchon an ſich arbitraria iſt,

im einzelnen Fall aber als noxa-

lis angeſtellt wird. Es würde irrig

ſeyn, wenn man wegen der mög-

lichen noxae datio jede Noxal-

klage für arbiträr halten wollte;

die actio furti noxalis z. B. iſt

ein judicium, alſo ſchon deshalb

nicht arbiträr (§ 222.).

(t) Dahin gehören alſo die rei

vindicatio, die hereditatis pe-

titio, die confessoria. Dagegen

konnte bey dem liberale judicium

von keiner Reſtitution die Rede

ſeyn, ſie war alſo auch nicht ar-

biträr.

|0149 : 135|

§. 223. Arbitrariae actiones. (Fortſetzung.)

wirken könne. Die Sabinianer behaupteten Dieſes, und

drückten ihre Meynung durch die Regel aus: omnia judi-

cia esse absolutoria. Die Proculejaner wollten es nicht

bey allen Klagen zugeben, ſondern wahrſcheinlich nur bey

denjenigen, die ich oben als freye bezeichnet habe. Juſti-

nian hat die Meynung der Sabinianer angenommen (u). —

Nun könnte man dieſen Streit ſo verſtehen, als hätten

die Sabinianer alle Klagen für arbiträre erklärt; Dieſes

war jedoch keinesweges ihre Meynung. Vielmehr blieben

auch nach ihnen die arbiträren Klagen dadurch vor den

übrigen ausgezeichnet, daß bey ihnen dem Arbiter eine be-

ſondere Aufforderung zur Erfüllung, unter Androhung der

ſonſt unausbleiblichen Verurtheilung, vorgeſchrieben war;

bey den übrigen Klagen ſollte der Beklagte zwar auch

durch freywillige Erfüllung die Verurtheilung abwenden,

aber dieſe mußte weit ſeltner erfolgen, weil er ſich noch

immer mit der Hoffnung ſchmeicheln konnte, ohnehin frey-

geſprochen zu werden, anſtatt daß bey den arbiträren

Klagen die Aufforderung des Arbiter ſchon die Ankündi-

gung enthielt, daß in Ermanglung freywilliger Erfüllung

die Condemnation unfehlbar erfolgen werde.

(u) Gajus IV. § 114. (Zum

Theil lückenhaft.) § 2 J. de per-

petuis

(4. 12.). — Ein Überreſt

der Proculejaniſchen Meynung fin-

det ſich in L. 84 de V. O. (45. 1.),

die nur aus Verſehen aufgenom-

men ſeyn kann. Auch L. 5 pr.

de publicanis (39. 4) iſt aus je-

nem Schulſtreit zu erklären; Ga-

jus war bekanntlich Sabinianer.

|0150 : 136|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

§. 224.

Arten der Klagen. Heutige Anwendung.

Die Arten der Klagen, deren Gegenſätze bis hierher

ausführlich unterſucht worden ſind, haben eine verſchie-

dene Natur (§ 206.). Einige ſtehen in unmittelbarer Be-

ziehung auf die zum Grund liegenden Rechtsverhältniſſe,

ſie führen zur genaueren Einſicht in das Weſen derſelben,

und ſie ſind daher auch für das heutige Recht von Wich-

tigkeit (§ 206 — 212.). Andere haben eine blos hiſtoriſche

Natur. Theilweiſe ſind ſie ſchon aus den neueſten Rechts-

quellen verſchwunden, und auch die, welche darin noch

vorkommen, dienen doch nur als Nomenclatur, ſo daß ſich

nicht einmal der Schein einer praktiſchen Bedeutung dar-

an knüpft (§ 213 — 217.). Noch andere, und gerade die

ſchwierigſten, haben zwar eine ganz hiſtoriſche, meiſt ver-

altete, Grundlage, aber es knüpfen ſich daran wichtige,

noch in den neueſten Rechtsquellen (wenigſtens wörtlich)

anerkannte, praktiſche Folgen. Dahin gehören die actio-

nes stricti juris (Condictiones), bonae fidei, arbitrariae

(§ 218 — 223.). Deren Bedeutung für das heutige Recht

iſt der Gegenſtand der nun folgenden Unterſuchung.

 

Ich fange an mit den Condictionen und b. f. actiones.

Die ganze hiſtoriſche Grundlage dieſes Gegenſatzes war

ſchon im Juſtinianiſchen Recht verſchwunden. Damals

wurden ſchon längſt alle Urtheile von öffentlichen Beam-

ten ausgeſprochen; daher konnte weder ein Judex und

 

|0151 : 137|

§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.

Arbiter durch größere oder geringere Macht unterſchieden,

noch eine formula ſo oder anders abgefaßt werden. Allein

an den alten, nunmehr verſchwundenen, hiſtoriſchen und

formellen Gegenſatz hatten ſich zugleich ganz praktiſche

Verſchiedenheiten angeknüpft, die großentheils im Juſti-

nianiſchen Recht erhalten ſind. Zwar eine der wichtigſten

Eigenheiten der Condictionen, die sponsio tertiae partis bey

der certi condictio, erſcheint hier nicht mehr; andere aber,

die allerdings noch erſcheinen, ſind nicht minder erheblich.

Juſtinian kann die Eigenthümlichkeit der b. f. actiones nicht

für verſchwunden gehalten haben, da er ſelbſt es für nöthig

hielt, mehreren Klagen dieſen Character ausdrücklich bey-

zulegen; namentlich der hereditatis petitio, und der anſtatt

der alten rei uxoriae actio von ihm eingeführten actio

ex stipulatu (Beylage XIII. Num. IX. XII.).

Ich gehe nun zur Erwägung des heutigen Rechtszu-

ſtandes über. Für viel eingeſchränkter, als bey den Rö-

mern, müßten wir in jedem Fall die Anwendung jener

Unterſchiede halten, weil die Gegenſtände derſelben großen-

theils verſchwunden ſind. Die Expenſilation war ſchon

lange vor Juſtinian außer Gebrauch, und die Stipulation,

als Grund von stricti juris actiones, kennen wir nicht

mehr. Dennoch würde darin nur eine Verminderung des

praktiſchen Unterſchieds liegen, nicht deſſen Aufhebung.

 

Indeſſen glaube ich, daß wir ſelbſt die an ſich noch

möglichen Unterſchiede, auch ſoweit ſie im Juſtinianiſchen

Recht erhalten ſind, in dem heutigen Recht nicht mehr

 

|0152 : 138|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

zulaſſen können, und daß überall, wo das Römiſche Recht

eine verſchiedene Behandlung ſtrenger und freyer Klagen

eintreten läßt, für uns nur allein das Princip der freyen,

namentlich alſo der bonae fidei actiones, gelten kann.

Die Annahme dieſer, durch allgemeines Gewohnheitsrecht

herbeygeführten, wichtigen Veränderung ſoll nunmehr ge-

rechtfertigt werden.

Eigentlich liegt darin kein neuer, dem Römiſchen Recht

fremder, Gedanke, ſondern nur die Vollendung einer ſchon

im früheren Recht erſcheinenden, in Juſtinians Geſetzge-

bung aber weit ſtärker hervortretenden Entwicklung. Auf

verſchiedene Weiſe ſuchte man, dem Princip der freyen

Klagen immer mehr Raum zu verſchaffen (a); die Aus-

dehnung der Compenſation, die urſprünglich nur für die

b. f. actiones gelten ſollte, zuerſt auf die Condictionen,

endlich auf alle Klagen überhaupt, iſt nur ein einzelnes

Stück derſelben Rechtsentwicklung (b). Einen ſtarken Halt

gab dem alten Actionenſyſtem lediglich der noch im Juſti-

nianiſchen Recht ſichtbare, ausgedehnte Gebrauch der Sti-

pulation. Seit dem Verſchwinden derſelben war gar kein

Grund mehr zur Fortdauer jenes Syſtems vorhanden,

und die einzelnen, in den Rechtsquellen erhaltenen Über-

reſte des alten Unterſchieds waren nun ganz willkührlich

und inconſequent geworden.

 

Für die Thatſache jener eingetretenen Veränderung

 

(a) Vgl. oben § 220, und Beylage XIII. Num. XX.

(b) Beylage XIII. Num. IV.

|0153 : 139|

§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.

kann man ſich zuverſichtlich auf das Bewußtſeyn aller

Derjenigen berufen, welchen Rechtsgeſchäfte nicht aus der

Theorie, ſondern nur aus Erfahrung bekannt ſind. Es

würde ſchwer ſeyn, einem Solchen begreiflich zu machen,

daß die Schuld aus einem Darlehen, oder einem irrig ge-

zahlten Indebitum, eine ganz andere Natur habe, als die

aus einem Kauf oder Miethcontract; er müßte nothwen-

dig Vorleſungen über Römiſches Recht gehört haben, um

es verſtehen zu können. — Dieſes wird noch gewiſſer

durch die Vergleichung mit demjenigen heutigen Rechtsge-

ſchäft, welches völlig die Natur eines Römiſchen stricti

juris Contracts hat, dem Wechſelgeſchäft nämlich; hier

weiß Jeder, daß die ſo contrahirte Schuld eine ganz an-

dere Natur und Wirkung hat, als die oben erwähnten

Verträge, welchen er dagegen eine unter ſich durchaus

gleichartige Wirkung zuſchreiben wird. — Es kommt noch

der wichtige Umſtand hinzu, daß die erſte Bedingung wirk-

lich fortdauernder Rechtsregeln die Kenntniß derſelben iſt;

nun lag aber der Unterſchied der stricti juris und bonae

fidei actiones bisher größtentheils im Dunkeln, und es iſt

erſt durch die ſehr neue und zufällige Entdeckung der In-

ſtitutionen des Gajus möglich geworden, klar in dieſer

Sache zu ſehen.

Eine unwiderſprechliche Beſtätigung jener Veränderung

liegt ferner in einem unſrer Reichsgeſetze. Der beſtimm-

teſte praktiſche Unterſchied jener beiden Arten der Klagen,

der auch jetzt noch als fortdauernd ſehr wohl denkbar

 

|0154 : 140|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

wäre, findet ſich in den Verzugszinſen, die aus einem

Darlehen, eben ſo wie bey der condictio indebiti, nicht

ſollen gefordert werden können, anſtatt daß ſie bey der

actio venditi, locati u. ſ. w. allerdings gelten (c). Nun

ſagt aber der Reichsdeputationsabſchied von 1600 § 139,

bey dem Gelddarlehen ſolle jeder Glaubiger, einer allge-

meinen Präſumtion nach, Fünf Procent Zinſen zu fordern

befugt ſeyn, mit dem Vorbehalt, einen in dieſer Gegend

üblichen höheren Zinsfuß beweiſen zu dürfen. Es würde

ganz irrig ſeyn, dieſes Geſetz als Aufhebung der bis da-

hin geltenden entgegengeſetzten Regel des Römiſchen Rechts

anzuſehen. Es ſetzt vielmehr ſtillſchweigend voraus, daß

im heutigen Recht alle Verträge die Natur der Römiſchen

bonae fidei Contracte haben, und will nur den Beweis

des landüblichen Zinsfußes durch eine Präſumtion erleich-

tern. Es wäre gewiß ſehr willkührlich, daneben noch bey

der condictio indebiti die Verzugszinſen zu verſagen, oder

irgend eine andere bey den Römern geltende Eigenthüm-

lichkeit der str. j. actiones für das Darlehen oder die

condictio indebiti feſt halten zu wollen.

Auch hat dieſe Veränderung bey der überwiegenden

Anzahl neuerer Schriftſteller entſchiedene Anerkennung ge-

funden (d). Wenngleich nun die von Manchen für dieſe

Behauptung aufgeſtellten Gründe ganz unbefriedigend

 

(c) Beylage XIII. Num. III.

(d) Höpfner Commentar

§ 1135. Glück B. 4 § 310. Thi-

baut § 71 der achten Ausgabe.

Mühlenbruch Vol. 2 § 329.

Außerdem auch noch die von Die-

ſen angeführten früheren Schrift-

ſteller.

|0155 : 141|

§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.

ſind (e), ſo iſt doch ihr Zeugniß für die Thatſache der

Veränderung ſelbſt, und den damit allgemein übereinſtim-

menden Gerichtsgebrauch, darum nicht weniger entſchei-

dend. Der partielle Widerſpruch aber, der ſich bey we-

nigen Schriftſtellern hierüber findet, beruht wohl nur auf

Misverſtändniſſen, und würde auch von ihnen gewiß nicht

in der dabey denkbaren Allgemeinheit geltend gemacht wer-

den (f). — Beſondere Erwähnung verdient hier noch eine

einzelne Anwendung des alten Unterſchieds. Ein Reſcript

von Caracalla ſpricht aus, daß mit der condictio indebiti

ſtets nur die gezahlte Summe ſelbſt, niemals Zinſen der-

ſelben gefordert werden durften (g); offenbar wegen der

(e) Höpfner und Glück (Note d)

gründen ſich darauf, daß der ganze

Unterſchied auf dem bey uns ver-

ſchwundenen Formularcontracten

beruhe; ſie ſetzen alſo den grund-

falſchen Satz voraus, die Römer

hätten nur bey der Stipulation

eine stricti juris actio angenom-

men. Das Darlehen und das in-

debitum solutum ſind keine For-

mularcontracte, ſie kommen bey uns

noch täglich vor, und ſie erzeugten

bey den Römern stricti juris

actiones, ſo gut als die Stipu-

lation. Es iſt alſo unrichtig, das

Verſchwinden der stricti juris

actiones daraus erklären zu wol-

len, daß die einzigen Fälle, worin

ſie von den Römern angewendet

wurden, verſchwunden ſeyen.

(f) Schröter in Linde’s Zeit-

ſchrift B. 7 S. 389—392 behaup-

tet die Fortdauer des alten Unter-

ſchieds in Beziehung auf den Eid

in litem. Das praktiſch Richtige

in ſeiner Behauptung, nämlich die

Unanwendbarkeit jenes Eides in

manchen Fällen, liegt nicht in der

stricti juris Natur dieſer Fälle,

ſondern in dem Mangel anderer

Bedingungen, ohne welche jener

Eid nicht gilt. Vgl. oben § 221. 222.

— Liebe, Stipulation S. 93 be-

hauptet die Fortdauer der stricti

juris Natur bey dem einfachen

Verſprechen (nudum pactum) des

heutigen Rechts, weil dieſes, eben

ſo wie die Römiſche Stipulation,

eine blos formale Gültigkeit habe,

im Gegenſatz der materiellen Ver-

träge. Er ſucht den Grund der

stricti juris Natur der Stipula-

tion in einer Eigenſchaft, worin

er in der That nicht liegt.

(g) L. 1 C. de cond. indeb.

(4. 5.).

|0156 : 142|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

ſtrengen Condictionennatur, und im Gegenſatz der b. f.

actiones, aus welchen von der Mora an Zinſen zu zah-

len ſind. Daß alſo vor der Mora, von der Zeit der

empfangenen Zahlung an, keine Zinſen gezahlt werden, iſt

gar nichts Beſonderes, und verſteht ſich ohnehin von ſelbſt.

Nun ſtreiten die Neueren darüber, ob jene Römiſche Vor-

ſchrift noch gelte oder nicht; Manche ſagen, ſie gelte noch,

nur mit Ausnahme der Mora (h); das heißt aber in der

That ſo viel, als ſie gelte nicht, da ſie nur für die Mora

einen beſonderen Rechtsſatz in ſich enthielt. Aus ſo ver-

worrenen Begriffen hat nun in der That keine feſte Praxis

entſtehen können; ja ſelbſt wenn ſie entſtanden wäre, müß-

ten wir ihr alle bindende Kraft verſagen, da ſie nicht

aus der Überzeugung eines neuen Rechtsbedürfniſſes, ſon-

dern nur aus mangelhafter Wiſſenſchaft hervorgegangen

ſeyn würde (§ 20.).

Es ergiebt ſich aus dieſer Unterſuchung, daß die Un-

terſcheidung der Condictionen von den b. f. actiones ihr

praktiſches Intereſſe gänzlich verloren hat, und nur noch

für die Rechtsgeſchichte, und als Nomenclatur für das

Verſtändniß der Rechtsquellen von Wichtigkeit iſt. Es

kann alſo lediglich in dieſem theoretiſchen, formellen In-

tereſſe geſchehen, daß wir in einzelnen Fällen unterſuchen,

ob gerade eine condictio, oder eine andere Klage begrün-

det ſey; in demſelben theoretiſchen Intereſſe, in welchem

 

(h) Glück B. 13 § 835.

|0157 : 143|

§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.

wir auch den individuellen Namen der Klage für einen

gegebenen Fall zu ermitteln ſuchen.

Wenn wir uns nun aus dieſen Gründen überzeugt fin-

den, daß jene Eintheilung der Klagen ihre praktiſche Be-

deutung für uns verloren hat, ſo drängt ſich noch der

Zweifel auf, ob nicht hierin unſer heutiges Recht einen

weſentlichen Verluſt erlitten habe, der für uns zu bekla-

gen ſeyn dürfte. Dieſer Gedanke könnte für Diejenigen

Schein gewinnen, welche etwa durch den oben (§ 219)

gemachten Verſuch einer rationellen Erklärung jener Ein-

theilung überzeugt ſeyn möchten. Indeſſen gieng dieſer

Verſuch nicht ſowohl darauf aus, die Zweckmäßigkeit oder

Nothwendigkeit jener Behandlung an ſich zu rechtfertigen,

als die Entſtehung und Ausbildung dieſer Gedanken bey

den Römern zu erklären. Gleichſam vor unſren Augen

entſteht für die Römer der Begriff von Obligationen in

zwey verſchiedenen Familien. Sie geben dieſem Gedanken

praktiſche Wichtigkeit durch die Einrichtung eines zwie-

fachen Richteramts mit verſchiedenen Attributionen; ſie

geben ihm Individualität und Feſtigkeit durch die Aufſtel-

lung feſter Klagformeln (i). So dauert dieſe Einrichtung

Jahrhunderte lang fort, im Weſentlichen unverändert, all-

mälig durch neu entſtandenes Bedürfniß modificirt. Allein

 

(i) Es lag hierin gleichſam ein

Extrem individueller Verkörperung,

welches ſich in der Anwendung

hier und da etwas unbequem zei-

gen mochte. Das andere Extrem,

ohne Zweifel weit nachtheiliger,

zeigt ſich in der allgemeinen Preu-

ßiſchen Gerichtsordnung, ſ. u. No-

te u.

|0158 : 144|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

im Lauf der Zeit war jene ſcharfe Scheidung von zweyer-

ley Obligationen mehr in den Hintergrund getreten; Was

ehemals ungleichartig erſchien, war nun zu einem Syſtem

gleichartiger Obligationen ausgebildet worden (k). Die

durchgreifende Veränderung der Gerichtsverfaſſung, wo-

durch alle Richtergeſchäfte ungetheilt in die Hände der

Obrigkeit gelegt wurden, entzog jener Einrichtung ihre

praktiſche Kraft, und ſo iſt Das, was wir davon in der

Juſtinianiſchen Geſetzgebung finden, nur noch ein Schat-

ten des urſprünglichen großartig einfachen Rechtsinſtituts.

Auch dieſes Wenige aber, was dort noch übrig blieb, iſt

bey dem Übergang in das neuere Recht untergegangen,

und wir bemühen uns vergeblich, den todten Buchſtaben

feſtzuhalten. Wir können alſo, im gewöhnlichen Sinn des

Worts nicht ſagen, daß wir Etwas verloren hätten, wel-

ches zu beklagen wäre, deſſen Herſtellung wir verſuchen

möchten. Unſrer höchſten Aufmerkſamkeit werth aber iſt

hier Daſſelbe, was wir auch in anderen Theilen der

Rechtsentwicklung zu bewundern haben: der juriſtiſche

Kunſtſinn, womit die Römer dem höchſt mannichfaltigen

Rechtsſtoff, den ihnen das wirkliche Leben darbot, indivi-

duellen Character, und eine faſt unzerſtörliche Dauer zu

geben wußten. Daran können wir lernen, wenn wir die

(k) Dieſer Entwicklungsgang

läßt ſich durch einige treffende Ana-

logieen anſchaulich machen. So

iſt das in bonis eine zweyte Art

von dominium geworden, die bo-

norum possessio eine zweyte Art

von hereditas; Beides war ur-

ſprünglich blos neben das alte

Rechtsinſtitut geſtellt, als rein

praktiſche Aushülfe in einzelnen

Fällen des Bedürfniſſes.

|0159 : 145|

§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.

Fähigkeit dazu aus dem mechaniſchen Geſchäftsbetriebe zu

retten vermögen, und wie ſehr uns dieſe Lehre Noth thut,

davon kann uns jeder Blick in heutige Geſetzgebung und

Praxis überzeugen.

Nicht anders verhält es ſich mit der eigenthümlichen

Natur der arbitrariae actiones. Das Wichtigſte bey den-

ſelben, die indirecte Beförderung der Naturalreſtitution

(§ 221), iſt ſchon im Juſtinianiſchen Recht verſchwunden,

da nach demſelben eine ſolche durch Execution unmittelbar

erzwungen wird. Eine Aufforderung zur freywilligen Er-

füllung, um der nachtheiligeren Verurtheilung zu entgehen,

wäre freylich auch noch jetzt denkbar, allein dieſe Anſtalt

iſt unſrem heutigen gemeinen Prozeß gewiß völlig fremd.

Ja es iſt ſehr möglich, daß ſie auch ſchon in Juſtinians

Zeit nicht mehr vorkam, und daß der § 31 J. de act., der

darauf hinweiſt, gedankenlos aus einem alten Juriſten

abgeſchrieben worden iſt. Aus dem alten Recht der arbi-

trariae actiones iſt alſo nur noch der Satz übrig, daß in

den Fällen derſelben der Eid in litem vorzugsweiſe, als

ein Vorrecht des Klägers, vorkommt; ja wir müſſen den

Eid jetzt auch bey ſolchen auf Reſtitution gerichteten Kla-

gen gelten laſſen, welche ſonſt, als stricti juris Klagen,

dazu nicht geeignet waren (§ 222), weil für uns der Be-

griff der ſtrengen Klagen verſchwunden iſt. Wenn alſo

ein Indebitum nicht in Geld, ſondern in einer individuell

beſtimmten Sache, aus Irrthum entrichtet war, und jetzt

dieſe Sache zurück gefordert wird, ſo muß dabey aller-

 

V. 10

|0160 : 146|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

dings der Eid in litem eintreten. Es würde aber unrich-

tig ſeyn, die Klagen, worin dieſer Gebrauch des Eides

zuläſſig iſt, deshalb als arbitrariae actiones anſehen und

bezeichnen zu wollen.

Manche werden es tadeln, daß dieſe Lehre, deren Un-

werth für die heutige Anwendung des Rechts von den

meiſten Schriftſtellern, und auch von mir ſelbſt behauptet

wird, hier dennoch mit ſolcher Ausführlichkeit behandelt

worden iſt. Wie wenig uns die Übereinſtimmung der

Schriftſteller über den nachtheiligen Einfluß der hierin

herrſchenden Irrthümer auf unſre Rechtskenntniß beruhi-

gen kann, wird durch folgende Thatſachen einleuchtend

werden. Wer die eben ſo irrige, als verworrene Dar-

ſtellung der Sache bey Höpfner betrachtet (l), muß ſich

überzeugen, daß auf dieſem Boden die bedenklichſten prak-

tiſchen Irrthümer wachſen und gedeihen können; hier liegt

es nicht an der mangelhaften Individualität des Schrift-

ſtellers, der außerdem gerade durch Klarheit der Begriffe

und der Darſtellung ausgezeichnet iſt. Glück behauptet

zwar auch, dieſe Lehre habe ihre Anwendbarkeit verloren;

dennoch behandelt er ganz ernſthaft die condictio tritica-

ria als ein noch geltendes Rechtsinſtitut, und unterſucht

ausführlich ihre Bedingungen und Folgen (m); er hätte

unfehlbar eine gleiche Ehre der certi und der incerti con-

dictio widerfahren laſſen, wenn ſich zufällig Digeſtentitel

 

(l) Höpfner Commentar § 1128

—1134.

(m) Glück B. 13 § 843. 844,

beſonders S. 298.

|0161 : 147|

§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.

mit ſolchen Überſchriften fänden. Gans behauptet mit

großem Nachdruck, das Syſtem der Römiſchen Klagen

müſſe der heutigen Darſtellung des Obligationenrechts zum

Grunde gelegt werden, wenn dieſe zu einer befriedigenden

Einſicht führen ſolle (n). Endlich zeigen die oben ange-

führten einzelnen Beyſpiele (Note f), wie wenig die Lehre

unſrer meiſten Schriftſteller gegen ſtets erneuerte Angriffe

geſichert iſt, indem die fortdauernde Gültigkeit des alten

Klagenſyſtems immer wieder behauptet werden wird, ſo-

lange nicht eine von Grund aus geführte Unterſuchung

den ſchwankenden Meynungen ein Ziel geſetzt hat. Ob

das hier Geleiſtete dieſen Zweck erreicht, kann freylich ſehr

in Frage geſtellt werden; der darauf gerichtete Verſuch

aber dürfte in den hier angegebenen Thatſachen wohl ſeine

Rechtfertigung finden.

Wir müſſen jedoch noch einen Schritt weiter gehen, und

der hier angeſtellten Unterſuchung einen gewiſſen Werth

und Einfluß nicht blos für die Sicherheit der Theorie des

Rechts, ſondern auch für die Anwendung deſſelben im

wirklichen Leben zuſchreiben. Hierin aber fällt die Unter-

ſuchung der Condictionen und der übrigen dargeſtellten

Gattungen von Klagen zuſammen mit der Beſtimmung und

Bezeichnung der einzelnen Klagen, wovon jene Gattungen

ja nur die Grundlage bilden. Und Dieſes führt uns auf

 

(n) Gans Obligationenrecht

S. 7. 9. 42. 132. — Später hat

er hierin ſeine Meynung geändert;

Syſtem des Römiſchen Civilrechts

im Grundriſſe Berlin 1827. S. 226.

10*

|0162 : 148|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

die überall vorkommende Behauptung, daß im heutigen

Prozeß ſowohl die Auslaſſung, als die falſche Bezeichnung

des Namens der Klage unſchädlich ſey, wenn nur die

wirklich gemeynte Klage aus den Thatſachen und Anträ-

gen der Parteyen mit Sicherheit hervorgehe (o). Dieſes

muß nicht nur für unſere Zeit unbedingt zugegeben, ſon-

dern ſelbſt für das ältere Römiſche Recht gewiſſermaßen

behauptet werden. Auch in dem Formularprozeß wurde

nicht eigentlich der Name der Klage genannt, ſondern nur

die formula angegeben (p), und auch dieſe war oft ſo all-

gemein, daß ſie das individuelle Klagrecht nicht bezeich-

nete (q). Vollends ſeit der Aufhebung der ordinaria ju-

dicia konnte auch von einer formula nicht mehr die Rede

ſeyn. Allein für den urtheilenden Richter ſteht es ganz

anders. Wenn ſich Dieſer damit begnügt, blos im Allge-

meinen zu prüfen, welcher Theil Recht oder Unrecht habe,

ſo iſt er in Gefahr, ſich ganz in’s Allgemeine und Unbe-

ſtimmte zu verlieren. Will er aber die gegenſeitigen An-

ſprüche individualiſiren, ſo iſt ihm dabey im Römiſchen

(o) Cocceji jus controv. II.

13 qu. 3. Weber Beyträge St. 2

S. 6. — Manche Gerichte haben

dieſe Regel ſo übertrieben, daß

auch gegen den Willen (d. h. den

Antrag) der Parteyen die ihnen

günſtigen Folgen der vorgetrage-

nen Thatſachen vom Richter gel-

tend gemacht werden ſollen. Can-

negiesser Dec. Hasso-Cassell.

T. 1 p. 307. 507. 572. Mit Recht

erklärt ſich dagegen Gönner

Handbuch B. 1 Num. X. § 11.

(p) In der Formel: Si paret,

fundum Agerii esse kam der

Name rei vindicatio nicht vor,

eben ſo in der Formel: Si paret,

centum dari oportere nicht der

Name condictio. Das waren

blos theoretiſche Bezeichnungen.

(q) Beylage XIV. Num. XXXII.

XXXIII.

|0163 : 149|

§. 224. Arten der Klagen. Heutige Anwendung.

Recht die Romenclatur der Klagen völlig unentbehrlich;

denn dieſe iſt für das Syſtem des praktiſchen Rechts un-

gefähr Das, was die Grammatik für die Sprache iſt.

Ich kann mich auf die Erfahrung eines Jeden berufen,

der die gemeinrechtliche Praxis kennt, wie ſehr die Beur-

theilung der Rechtsverhältniſſe ſelbſt durch jene Nomen-

clatur an Schärfe und Sicherheit gewinnt (r). — Manche

neuere Schriftſteller haben Dieſes recht gut eingeſehen (s),

während Andere jene Behauptung der praktiſchen Gleich-

gültigkeit der Nomenclatur dahin umbilden, daß uns die

Mühe theoretiſcher Unterſuchungen abgenommen, damit

aber auch die wahrhaft heilſame Frucht derſelben für das

praktiſche Recht entzogen ſeyn ſollte.

Um die praktiſche Gleichgültigkeit der Klagnamen zu

beweiſen, führt man unnöthigerweiſe eine Stelle des cano-

niſchen Rechts an, welche allerdings dieſe Regel aus-

ſpricht, aber in Ausdrücken, nach welchen man annehmen

kann, daß ſich der Verfaſſer den eben erörterten Unter-

ſchied nicht klar gemacht habe, und welche daher zur Un-

terſtützung der hier gerügten irrigen Anſicht beytragen

mußten (t). Ein Gleiches iſt von einer Vorſchrift des

 

(r) Vgl. B. 1 § 20 S. 92.

(s) Cocceji jus controv. II.

13 qu. 3 „Obj. 2. Quod actio-

num nomina frustra essent in-

venta. Resp. Imo manet eorum

usus ad rite discernenda ne-

gotia.”

(t) C. 6. X. de jud. (2. 1.).

„Provideatis attentius, ne ita

subtiliter, sicut a multis fieri

solet, cujusmodi actio intente-

tur, inquiratis, sed simpliciter

et pure factum ipsum et rei

veritatem … investigare cure-

tis.” Hier geht die Warnung ge-

gen die theoretiſche Unterſuchung,

wodurch der Richter ſein Urtheil

auf feſten Grund zu bauen ſuchen

|0164 : 150|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Preußiſchen Prozeſſes zu behaupten, welche gegen die ängſt-

liche Beachtung der aus dem Römiſchen Recht hergebrach-

ten Nomenclatur warnt (u), und damit um ſo ſicheren

Erfolg haben mußte, als das gleichzeitige allgemeine Land-

recht eine ſolche Nomenclatur nicht hat. Die nachtheiligen

Folgen dieſer Veränderung haben ſich in der hieraus ent-

ſprungenen Praxis ſehr fühlbar gemacht.

§. 225.

Vertheidigung des Beklagten. Einleitung. Duplex

actio.

Die Verwandlung der Rechte überhaupt in Klagrechte,

in Folge von Verletzungen, iſt nunmehr dargeſtellt, und es

ſind zugleich die mannichfaltigen Rechtsbildungen nachge-

wieſen worden, die in dieſer Verwandlung ihre gemein-

ſame Wurzel haben. Da jedoch im wirklichen Leben jedes

Klagrecht zunächſt nur als eine einſeitige Behauptung er-

ſcheint, die eben ſowohl wahr als falſch ſeyn kann, ſo

 

möchte. Mit einer ſolchen Unter-

ſuchung iſt die nachher richtig em-

pfohlene Prüfung der thatſächlichen

Wahrheit gar wohl vereinbar.

(u) Allgemeine Gerichtsordnung

Th. 1 Tit. V § 20. „Sie müſſen

ſich aber auch dabei an die aus

dem ehemaligen Römiſchen Rechte

hergeleiteten und von den Lehrern

deſſelben gebildeten ſogenannten

Genera et Formulas actionum

nicht ängſtlich binden; folglich auch

keine angegebene Thatſache bloß

um deswillen verwerfen, oder un-

erörtert laſſen, weil dieſelbe auf

dieſe oder jene Gattung von Kla-

gen nicht zu paſſen ſcheint.“ Ob

dieſe oderjene Gattung von Kla-

gen paßt, iſt freylich gleichgültig,

wenn aber gar keine paſſen will,

ſo iſt das ein Kennzeichen, daß

überhaupt kein wirkliches Recht

vorhanden iſt, mag auch der Rich-

ter aus einem unklaren Billig-

keitsgefühl geneigt ſeyn, ein ſol-

ches anzunehmen.

|0165 : 151|

§. 225. Vertheidigung. Einleitung. Duplex actio.

tritt der Klage gegenüber die Vertheidigung des Beklag-

ten, und dieſes Verhältniß von Gegenſätzen iſt dann noch

einer ferneren Entwicklung fähig.

In der Regel nun erſcheint dieſes Verhältniß ganz ſo

einfach, wie es hier vorläufig angegeben worden iſt. Dem

Kläger ſteht ein Beklagter gegenüber, und Jeder von Bei-

den hat dieſe ſeine Eigenſchaft durch den ganzen Rechts-

ſtreit durchzuführen. Es giebt aber auch eine kleine An-

zahl ausgenommener Fälle, worin jede Partey beide Eigen-

ſchaften in ſich wirklich vereinigt, ſo daß Jeder Kläger

iſt, und doch zugleich als Beklagter verurtheilt werden

kann. Dieſe Klagen heißen duplices actiones, duplicia

judicia, und diejenigen unter ihnen, welche Interdicte ſind,

duplicia interdicta (a); einmal werden ſie auch mixtae

actiones genannt (b). In unſren Rechtsquellen werden

nur folgende Fälle namentlich als ſolche bezeichnet. Erſt-

lich die drey ſogenannten Theilungsklagen: communi di-

vidundo, familiae herciscundae, finium regundorum (c).

Ferner die zwey interdicta retinendae possessionis, uti

possidetis und utrubi (d). In allen dieſen Klagen alſo

 

(a) Savigny Recht des Be-

ſitzes § 37. Der Ausdruck duplex

interdictum hat aber noch eine

ganz andere Bedeutung, nämlich

die eines Interdicts, welches bald

adipiscendae, bald recuperan-

dae possessionis iſt. Ulpiani

fragm. de interdictis, L. 2 § 3

de interdictis (43. 1.). Sa-

vigny a. a. O., S. 481 der

6ten Ausg.

(b) L. 37 § 1 de O. et A.

(44. 7.).

(c) L. 2 § 1 comm. div. (10. 3),

L. 2 § 3 L. 44 § 4 fam. herc.

(10. 2), L. 10 fin. reg. (10. 1),

L. 37 § 1 de O. et A. (44. 7.).

(d) Gajus IV. § 160, § 7 J. de

interd. (4. 15), L. 2 pr. de in-

terd. (43. 1), L. 3 § 1 uti poss.

|0166 : 152|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

kann jeder Theil verurtheilt werden, anſtatt daß in den

meiſten Klagen nur der Beklagte verurtheilt, der Kläger

höchſtens abgewieſen werden kann. In manchen Bezie-

hungen freylich iſt es auch bey jenen Klagen unentbehr-

lich, den Kläger vom Beklagten zu unterſcheiden, nament-

lich wenn ein Beweis auferlegt werden ſoll; nun gilt als

Kläger Derjenige, welcher ſich zuerſt an den Richter ge-

wendet hat, und wenn Dieſes von Beiden gleichzeitig ge-

ſchah, ſo entſcheidet das Loos (e).

Kehren wir von dieſen wenigen Ausnahmen zu dem

einfachen, regelmäßigen Verhältniß zurück, worin Ein

Kläger Einem Beklagten gegenüber ſteht, ſo haben wir

zunächſt den möglichen Inhalt der Vertheidigung zu er-

wägen, und die in derſelben denkbaren Verſchiedenheiten

anzugeben.

 

Die Vertheidigung kann ſich gründen erſtlich auf die

Verneinung des gegenwärtigen Daſeyns des vom Kläger

behaupteten Rechts; zweytens auf die Entgegenſetzung

eines andern, von jenem verſchiedenen, dem Beklagten zu-

ſtehenden Rechts, wodurch das Recht des Klägers, deſſen

Daſeyn vorausgeſetzt, in ſeiner Klagwirkung gehemmt wird.

 

(43. 17), L. 37 § 1 de O. et A.

(44. 7.).

(e) L. 13. 14 de judic. (5. 1),

L. 2 § 1 comm. div. (10. 3.). —

Eine ganz ähnliche Natur haben

die praejudicia, wobey es auch

für die Entſcheidung gleichgültig

iſt, wer als Kläger auftritt, ſo daß

der Kläger nach derſelben Regel

wie bey jenen Klagen ermittelt

wird. L. 12 de exc. (44. 1.).

Der Unterſchied iſt nur der, daß

bey den duplices actiones jeder

Theil condemnirt werden kann, bey

den praejudiciis keiner von bei-

den; daher iſt auch auf dieſe letz-

ten jene Benennung nicht ange-

wendet worden.

|0167 : 153|

§. 225. Vertheidigung. Einleitung. Duplex actio.

Die Verneinung aber läßt ſich wiederum auf zweyer-

ley Weiſe denken; ſie kann nämlich auf die ganze Ver-

gangenheit gerichtet ſeyn, alſo das Daſeyn des Rechts

für alle Zeiten ausſchließen; ſie kann aber auch deſſen

früheres Daſeyn zugeben, und nur die ſpätere Vernich-

tung behaupten. Um beide Fälle kurz und beſtimmt unter-

ſcheiden zu können, will ich die erſte Art als abſolute,

die zweyte als relative Verneinung bezeichnen.

 

Eines der wichtigſten praktiſchen Momente im Verhält-

niß des Klägers zum Beklagten iſt die Beweislaſt; ob-

gleich nun dieſe erſt an einer ſpäteren Stelle ihre Erle-

digung finden kann, ſo ſoll doch ſchon hier das Verhältniß

derſelben zu den verſchiedenen Arten der Vertheidigung

vorläufig angegeben werden.

 

Aus der eben angeſtellten Betrachtung ergeben ſich

drey Klaſſen möglicher Vertheidigung.

 

I. Abſolute Verneinung. Als einfachſte Beyſpiele

können die Fälle dienen, wenn bey einer Vindication die

behauptete Tradition, bey einer Schuldklage der behauptete

Contract, verneint wird. — Die Beweislaſt trifft in der

Regel den Kläger.

 

II. Relative Verneinung. Beyſpiele: bey der Vin-

dication wird behauptet, der Kläger habe das Eigenthum

zwar gehabt, aber veräußert; bey der Schuldklage wird

die Bezahlung behauptet. — Die Beweislaſt trifft den

Beklagten.

 

III. Beſtreitung durch ein entgegenſtehendes Recht

 

|0168 : 154|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

des Beklagten. Beyſpiele: bey der Vindication die Ex-

ception aus einem jus in re (f) oder einem Contract; bey

der publiciana die exceptio dominii (g); bey allen Klagen

die exceptio rei judicatae. — Die Beweislaſt trifft den

Beklagten.

Die eigenthümliche Natur dieſer drey Klaſſen möglicher

Vertheidigung wird durch folgende nähere Beſtimmungen

vollſtändiger zur Anſchauung kommen.

 

Die erſte Klaſſe (abſolute Verneinung) erſcheint nicht

immer in der rein logiſchen Form der Verneinung. Denn

wenn die Klage ſelbſt als Bedingung ein negatives Ele-

ment in ſich ſchließt, ſo erſcheint die Verneinung deſſelben in

der logiſchen Form einer Bejahung, und dennoch trifft

nicht minder den Kläger die Beweislaſt. So gehört zur

Begründung der condictio indebiti die Behauptung einer

Nichtſchuld, und der abſolute Widerſpruch dagegen iſt die

Behauptung einer Schuld; der Kläger aber hat die Nicht-

ſchuld zu beweiſen.

 

Weit wichtiger aber für die wahre Natur jener erſten

Klaſſe iſt folgender Umſtand. Zu den weſentlichen Ele-

menten jeder Klage gehört nur das allgemeine Daſeyn

der factiſchen Bedingungen des beſtrittenen Rechts. Die

gehörige, regelmäßige Beſchaffenheit dieſer Bedingungen

verſteht ſich dann von ſelbſt, und wenn dieſe von dem

Beklagten verneint wird, ſo tritt er damit in daſſelbe Ver-

 

(f) L. 6 § 9 comm. div. (10.3),

L. 1 § 4 de superfic. (43. 18.).

(g) L. 17 de public. (6. 2.).

|0169 : 155|

§. 225. Vertheidigung. Einleitung. Duplex actio.

hältniß, wie wenn er (bey der relativen Verneinung) die

ſpätere Aufhebung des früher vorhandenen Rechts behaup-

tet: er trägt nämlich auch hier die Laſt des Beweiſes.

Dieſes Verhältniß iſt von der wichtigſten und ausgedehn-

teſten Anwendung. Es tritt ein, wenn bey einer Contracts-

klage der Beklagte die Unmündigkeit oder den Wahnſinn

eines Contrahenten behauptet; eben ſo bey der Behaup-

tung, daß ein im Allgemeinen zugeſtandenes Verſprechen

durch Bedingung, Zeit, Ort beſchränkt, oder daß es alter-

nativ geweſen ſey; eben ſo wenn der Beklagte das Da-

ſeyn einer Erklärung einräumt, jedoch hinzufügt, es ſey

eine Erklärung ohne Willen geweſen (§ 134—138). Die-

ſer wichtigen Regel liegt zum Grunde die Annahme, daß,

bey dem ſcheinbaren Auftreten und Handeln eines Men-

ſchen, das vollſtändige Daſeyn dieſes Menſchen als eines

willensfähigen Weſens ſich als Regel von ſelbſt verſteht;

eben ſo wie bey einer ſcheinbaren Willenserklärung die

Übereinſtimmung der Erklärung mit dem wirklichen Wil-

len, deren natürliches Zeichen ſie iſt (g¹).

Die zweyte Klaſſe der Vertheidigung (relative Ver-

neinung) hat eine zweydeutige Natur. Sie erſcheint als

Verneinung, wenn man auf das Recht der Klage ſieht,

da dieſes als jetzt gar nicht vorhanden angegeben wird;

als Bejahung, mit Hinſicht auf den thatſaͤchlichen Grund

der Klage. Nach der einen Auffaſſung erſcheint ſie in

näherer Verwandtſchaft mit der erſten Klaſſe der Verthei-

 

(g¹) Bethmann-Hollweg Verſuche über Prozeß S. 349—360.

|0170 : 156|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

digung, nach der andern mit der dritten Klaſſe. Die erſte

Auffaſſung aber iſt ohne Zweifel dem Römiſchen Recht

angemeſſen, und dieſes Verhältniß eben ſoll durch die von

mir gewählte Terminologie ausgedrückt werden (h).

Über das Verhältniß der dritten Klaſſe der Vertheidi-

gung zu den beiden erſten iſt Folgendes zu bemerken. Die

Gränze derſelben, das heißt die Unterſcheidung der Fälle,

die dem einen oder dem andern Gebiet angehören, iſt gro-

ßentheils von poſitiven Rechtsregeln abhängig, hat alſo

einen hiſtoriſchen Character, ſo daß darin Manches anders

ſeyn könnte, auch wohl bey dem Übergang des Römiſchen

Rechts in die neuere Zeit anders geworden iſt. So ge-

hört die Berufung des Beklagten auf Unmündigkeit oder

Wahnſinn eines Contrahenten zur erſten Klaſſe der Ver-

theidigung, die Berufung auf Zwang oder Betrug zur

dritten. Behauptet der Beklagte, eine Schuld ſey durch

Acceptilation oder Novation, oder eine Servitut ſey durch

Nichtgebrauch aufgehoben worden, ſo liegt darin eine re-

lative Verneinung, oder eine Vertheidigung der zweyten

Klaſſe; behauptet er die Aufhebung der Schuld durch un-

förmlichen Vertrag, ſo gehört ſeine Vertheidigung meiſt

zur dritten Klaſſe. Dieſe Unterſcheidung nun des unförm-

 

(h) Eine ähnliche Verſchieden-

heit der Behandlung findet ſich

auch in anderen Inſtituten des Pro-

zeſſes. Der Eid wurde bey den

Römern (wenigſtens gewiß zur

Zeit der alten Juriſten) über das

Daſeyn der Rechtsverhältniſſe ſelbſt

geſchworen; im heutigen Recht

kann er nur die Thatſachen be-

treffen, woraus die Rechtsverhält-

niſſe entſpringen.

|0171 : 157|

§. 225. Vertheidigung. Einleitung. Duplex actio.

lichen Vertrags von der Acceptilation und Novation iſt

im heutigen Recht entſchieden verſchwunden.

Dagegen iſt der praktiſche Character der Vertheidigung

dritter Klaſſe von dem der beiden erſten Klaſſen nicht blos

hiſtoriſch, ſondern in ſeinem innern Weſen verſchieden.

Der durchgreifende Unterſchied aber beſteht darin, daß in

den Fällen der dritten Klaſſe zwey verſchiedene, ſelbſtſtän-

dige Rechte zu berückſichtigen ſind, deren jedes wieder

ſeine eigene Schickſale haben kann. So kann das jus in

re, welches eine Exception gegen die Vindication begrün-

dete, wieder verloren werden; die exceptio rei judicatae

gegen eine Schuldklage kann durch Vertrag entkräftet wer-

den (i). Wenn dagegen einer Vindication die Veräußerung

des Eigenthums, oder einer Schuldklage die Zahlung der

Schuld entgegengeſetzt wird, ſo kann die vernichtende Kraft

dieſer Rechtsgeſchäfte unmöglich durch ſpätere Ereigniſſe,

z. B. Verträge, geſchwächt worden ſeyn, da überhaupt

Nichts mehr vorhanden war, das einer ſpäteren Entwick-

lung empfänglich geweſen wäre. Es könnte in dieſen Fäl-

len höchſtens ein neues Eigenthum, oder eine neue Schuld-

forderung erworben werden, welche Rechte jedoch mit den

früheren gleichartigen Rechten des Klägers keinen inneren

Zuſammenhang haben würden (k). Es iſt wohl zu be-

 

(i) Für ſolche Fälle gilt der

Ausdruck der L. 95 § 2 de solut.

(46. 3) „incipit obligatio civi-

lis auxilium exceptionis amit-

tere.” — L 27 § 2 de pactis

(2. 14) „Pactus ne peteret, po-

stea convenit ut peteret: prius

pactum per posterius elide-

tur .... et ideo replicatione

exceptio elidetur.”

(k) L. 27 § 2 de pactis (2.

14.). … „Sed si pactum con-

|0172 : 158|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

merken, daß dieſer Unterſchied in dem inneren Weſen der

Rechtsverhältniſſe gegründet iſt, alſo keinen blos hiſtori-

ſchen Character hat. Zwar die Anwendung auf manche

einzelne Fälle kann durch poſitives Recht ſo oder anders

beſtimmt werden, wie Dieſes ſchon oben bemerkt worden

iſt; aber die Unmöglichkeit, etwas wahrhaft Vernichtetes

wieder zu Kräften zu bringen, hat keine hiſtoriſche Natur.

Dasjenige, was dieſen Schein an ſich trägt, und etwa

dafür ausgegeben wird, kann nur die Errichtung eines

ganz neuen Rechtsverhältniſſes ſeyn, wenngleich Daſſelbe

dem früheren durch Gegenſtand und Geldwerth ähnlich,

alſo für den praktiſchen Zweck des Verkehrs mit ihm gleich-

geltend ſeyn mag.

Die Art, wie die Roͤmer die hier dargeſtellten Gegen-

ſätze aufgefaßt und anerkannt haben, zeigt ſich am Deut-

lichſten in denjenigen Klagen, die eine formula in jus

concepta hatten. Die Intentio: fundum Agerii esse, oder

Numerium centum dare oportere, gieng auf das gegen-

wärtige Daſeyn des Rechtsverhältniſſes, enthielt alſo ſchon

unmittelbar die Beachtung der beiden erſten Klaſſen mög-

licher Vertheidigung. Der Zuſatz: nisi soluta pecunia sit

 

ventum tale fuit, quod actio-

nem quoque tolleret, velut in-

juriarum, non poterit postea

paciscendo ut agere possit,

agere: quia et prima actio

sublata est, et posterius pac-

tum ad actionem parandam

inefficax est: non enim ex

pacto injuriarum actio nasci-

tur, sed ex contumelia. Idem

dicemus et in b. f. contracti-

bus, si pactum conventum to-

tam obligationem sustulerit, ve-

luti empti: non enim ex novo

pacto prior obligatio resusci-

tatur, sed proficiet pactum ad

novum contractum.”

|0173 : 159|

§. 225. Vertheidigung Einleitung. Duplex actio.

wäre eine ganz müſſige Wiederholung geweſen, und kam

daher niemals vor, da man von dem Schuldner, welcher

gezahlt hat, unmöglich noch ſagen kann: eum dare opor-

tere; wenn ſich alſo der Judex überzeugte, daß die Schuld

bezahlt ſey, ſo war er durch die Worte: si non paret

(dari oportere) absolve ſchon unmittelbar zur Abſolution

angewieſen. Ganz anders, wenn der Beklagte das Daſeyn

des Eigenthums oder der Schuld dahin geſtellt ſeyn läßt,

und ſich blos auf ein ſchon geſprochenes rechtskräftiges Ur-

theil beruft. Dieſen Umſtand zu berückſichtigen, enthielten jene

Worte der Intentio durchaus keine Anweiſung, ſo daß da-

für durch den Zuſatz geſorgt werden mußte: si ea res ju-

dicata non sit. Daß bey manchen Klagen dieſer Zuſatz

durchaus in der Formel ausgedrückt ſeyn mußte, um beach-

tet werden zu können, bey anderen Klagen aber vom Rich-

ter ſupplirt werden durfte (l), ändert im Weſen jenes

Unterſchieds der Vertheidigungsmittel Nichts.

Weniger beſtimmt waren in dieſer Hinſicht die formu-

lae in factum conceptae. Auch bey ihnen wurde zuwei-

len der Ausdruck ſo gefaßt, daß er ſchon unmittelbar auf

die Beachtung der relativen Verneinung führte (m), zu-

weilen auch nicht (n). Es war aber hier die geringere

 

(l) Beylage XIII. Num. IV. Dar-

auf geht der Ausdruck: exceptio

inest actioni, d. h. ſie iſt ſo an-

zuſehen, als ob ſie in der Formel

ausgedrückt wäre. — Zimmern

Rechtsgeſchichte B. 3. § 98 will

Dieſes mit Unrecht als eine Eigen-

thümlichkeit der b. f. actiones be-

handeln, da es in der That auf

alle freye Klagen geht.

(m) Gajus IV. § 47 „… eam-

que dolo malo .. redditam non

esse” …

(n) Gajus IV. § 46; nach der

|0174 : 160|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Genauigkeit des Ausdrucks weniger bedenklich, weil

dieſe Formeln hauptſächlich bey allen prätoriſchen Klagen

gebraucht wurden, in welchen ohnehin der Richter ſehr

freye Macht hatte (o).

So fand alſo im älteren Römiſchen Prozeß der we-

ſentliche Unterſchied, den wir zwiſchen den beiden erſten

Arten der Vertheidigung und der dritten Art wahrgenom-

men haben, ſeinen beſtimmten und anſchaulichen Ausdruck

in der Faſſung der Formeln. Dieſes führt uns auf die

genauere Betrachtung der Exceptionen.

 

§. 226.

Exceptionen. Form. Geſchichte.

Zimmern Geſchichte des Römiſchen Privatrechts B. 3

(1829) § 91—98.

J. A. M. Albrecht die Exceptionen des gemeinen Civil-

prozeſſes München 1835.

Exceptio iſt der Römiſche Ausdruck für diejenige Art

der Vertheidigung eines Beklagten, welche auf der Be-

hauptung eines ſelbſtſtändigen Rechts deſſelben beruht.

Sie führt dieſen Namen, weil ſie darauf abzweckt, eine

Freyſprechung als Ausnahme zu bewirken, ſelbſt wenn das

 

wörtlichen Faſſung dieſer Formel

könnte man glauben, daß ſelbſt die

freywillige Zahlung der Strafe den

Freygelaſſenen nicht von der Ver-

urtheilung befreyt hätte, welches

doch gewiß nicht anzunehmen iſt.

(o) Beylage XIII. Num. VI.

Außer den prätoriſchen Klagen hat-

ten auch einige wenige Civilklagen

eine formula in factum coneepta,

dieſe aber waren b. f. actiones,

alſo gleichfalls Klagen mit freyer

Macht des urtheilenden Nichters.

Gajus IV. § 47.

|0175 : 161|

§. 226. Exceptionen. Form. Geſchichte.

vom Kläger behauptete Recht an ſich vorhanden ſeyn

ſollte. Daher wurde der Intentio und Condemnatio: Si

paret fundum Agerii esse, oder centum dari oportere …

condemna, die Ausnahme hinzugefügt: si ea res judicata

non sit. Es erklärt ſich hieraus der negative Ausdruck

aller Exceptionen im Verhältniß zu der poſitiven Anwei-

ſung der, unter Vorausſetzung der Wahrheit der Intentio,

auszuſprechenden Condemnatio (a); ferner die bey mehre-

ren alten Juriſten vorkommende Erklärung der Exceptio

als einer Bedingung der Condemnatio (b). Nämlich

ſchon die Intentio ſelbſt iſt eine Bedingung (Si paret); zu

(a) Gajus IV. § 119. „Omnes

autem exceptiones in contra-

rium concipiuntur quia (ejus

quod?) adfirmat is, cum quo

agitur .... ideo scilicet, quia

omnis exceptio objicitur qui-

dem a reo, sed ita formulae

inseritur, ut condicionalem fa-

ciat condemnationem, id est ne

aliter judex eum, cum quo agi-

tur, condemnet, quam si nihil

in ea re, qua de agitur, dolo

actoris factum sit” rel. — Vgl.

Zimmern S. 290. — Mit Un-

recht hat man die Allgemeinheit

dieſer negativen Faſſung bezwei-

feln wollen (Albrecht S. 21.)

wegen mancher poſitiv ausgedrück-

ten Stellen, z. B. L. 11 § 3 de

exc. rei jud. (44. 2.) „… ob-

staret exceptio, quod res judi-

cata sit inter me et te.” Solche

Stellen enthalten nur allgemeine

Angaben des Inhalts: in der For-

mel ſelbſt lautete die Faſſung ge-

wiß negativ. — Zimmern S. 298

hält die Exceptionsformel mit ex-

tra quam si für poſitiv; allein

extra quam si heißt genau ſo

viel als nisi, die eine Formel iſt

alſo völlig ſo negativ wie die

andere.

(b) L. 22 pr. de exc. (44. 1.).

„Exceptio est condicio, quae

modo eximit reum damnatio-

ne, modo minuit damnationem.”

— Gajus IV. § 119 (vgl. Note a.).

— Im Weſentlichen damit über-

einſtimmend iſt L. 2 pr. de exc.

(44. 1.). „Exceptio dicta est

quasi quaedam exclusio … ad

cludendum (excludendum? in-

tercludendum?) id, quod in in-

tentionem condemnationemve

deductum est. Daher heißt eine

Klage ohne Exception judicium

purum. Cicero de inventione

II. 20.

V. 11

|0176 : 162|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

dieſer Hauptbedingung aber tritt jetzt als Nebenbedingung

hinzu die Nichtexiſtenz der Exception, und Das iſt es, was

jene Juriſten ausdrücken wollen (c). Die Exception iſt

alſo allerdings eine Vertheidigung des Beklagten (d), aber

nicht jede Vertheidigung überhaupt darf ſo genannt wer-

den, ſondern nur eine einzelne Art derſelben (e). Der

Ausdruck wird im alten Recht niemals gebraucht, um die

abſolute, oder ſelbſt die relative Verneinung zu bezeichnen,

ſo daß die Ausdrücke exceptio solutionis, usucapionis

u. ſ. w. gewiß bey keinem alten Juriſten vorkommen (f).

(c) Mit Unrecht haben Manche

behauptet, die in den Noten a. und

b. mitgetheilten Definitionen ſeyen

ſo allgemein gefaßt, daß ſie auch

wohl auf die relativen Verneinun-

gen paßten, alſo den Ausdruck

solutionis exceptio rechtfertigen

könnten (Mühlenbruch § 137

not. 2.). Denn die drey ange-

führte Stellen erklären übereinſtim-

mend die Exception für eine Ein-

ſchränkung oder Bedingung des in

der Intentio und Condemnatio

ausgedrückten Gedankens, alſo für

etwas außer dieſem Gedanken

Liegendes, in ihm nicht ſchon Ent-

haltenes. Jede Verneinung aber,

ſowohl die abſolute als die rela-

tive, bezieht ſich unmittelbar auf

jenen Gedanken ſelbſt. Denn auch

wer die Zahlung einer Schuld be-

hauptet, will damit ſagen: se

dare non oportere, verneint alſo

die Intentio geradezu, und will

nicht condicionalem facere con-

demnationem.

(d) pr. J. de except. (4. 13.).

„Comparatae sunt autem ex-

ceptiones defendendorum eo-

rum gratia, cum quibus agi-

tur.” Eben ſo Gajus IV. § 116,

nur ſteht hier in der Handſchrift

reorum ſtatt eorum.

(e) So heißt es in L. 56 de

cond. ind. (12. 6.) „exceptionis

defensio,” welcher Ausdruck an-

deutet, daß es außer der Exception

auch noch andere Arten der de-

fensio gebe.

(f) Die verbale Form excipere

galt nicht eben ſo als eigenthüm-

licher Kunſtausdruck, ſo daß hier

der Sprachgebrauch weniger ſtreng

war. L. 18 § 2 de prob. (22. 3.)

„.. qui excepit se non respon-

disse.” In keinem Fall kann dieſe

Stelle dazu benutzt werden, die

von vielen Neueren behauptete Er-

weiterung des Ausdrucks auf die

relative Verneinung (wie die ex-

ceptio solutionis) zu rechtfertigen.

Denn in dieſer Stelle iſt ſogar

|0177 : 163|

§. 226. Exceptionen. Form. Geſchichte.

Da die Exceptionen Beſtandtheile der von dem Prä-

tor ausgehenden formula waren, ſo hatte der Beklagte

darum zu bitten, der Prätor ſie zu gewähren oder zu ver-

weigern (g). Ihre wörtliche Aufnahme in die Formel war

bey den ſtrengen Klagen nöthig, bey den freyen Klagen

zwar nicht nöthig, aber doch ſehr gewöhnlich, und ſie

wurde auch hier ſchwerlich verweigert, wenn der Beklagte

darum bat (§ 225.). Sie wurde aber, eben ſo wie die

actio, nur gegeben, wo eine Thatſache ſtreitig war, da

außerdem der Prätor gleich unmittelbar entſcheiden konnte,

ohne eines Judex zu bedürfen (h).

 

Der Ausdruck Praescriptio iſt im Juſtinianiſchen Recht

völlig gleichbedeutend mit Exceptio, ſo daß überall beide

Ausdrücke ohne Gefahr abwechſlend gebraucht werden kön-

nen (i). Erſt durch Gajus haben wir folgenden Urſprung

 

von einer abſoluten Verneinung

die Rede, und von dieſer behaup-

tet Niemand, daß ſie von den Rö-

mern exceptio genannt worden

ſey, oder von uns ſo genannt wer-

den dürfe.

(g) Darauf gehen die Ausdrücke:

exceptionem petere, postulare,

dare, addere, reddere, dene-

gare.

(h) L. 9 pr. de jurejur. (12.

2.). „.. posteaquam juratum

est, denegatur actio: aut, si

controversia erit, id est si am-

bigitur, an jusjurandum datum

sit, exceptioni locus est.” Die

Exception wird alſo nur angewen-

det, wenn die Thatſache beſtrit-

ten iſt.

(i) Dafür beweiſen die Rubri-

ken Dig. 44. 1 und Cod. 8. 36;

dann eine Stelle des Paulus, wor-

in für einen und denſelben Fall

abwechſlend praescriptio und ex-

ceptio geſagt wird. L. 12 de

div. temp. pr. (44. 3.); ferner

praescriptio peremtoria, dila-

toria in L. 8. 12 C. de except.

(8. 36.); doli, rei judicatae, in

factum praescriptio, wo ſonſt

faſt immer exceptio vorkommt.

L. 91 de solut. (46. 3.), L. 29

pr. de exc. rei jud. (44. 2.),

L. 23 de except. (44. 1.). — Um-

gekehrt: Exceptio longae pos-

sessionis in L. 5 § 1 de div.

11*

|0178 : 164|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

dieſes Sprachgebrauchs kennen gelernt (k). Im älteren

Prozeß wurden manche Einſchränkungen der Intentio und

Condemnatio (welche beide ſtets als ein zuſammenhängen-

des Ganze gedacht werden müſſen) vor die Intentio ge-

ſetzt, und erhielten von dieſer Stellung den natürlichen

Namen Praescriptio. Manche derſelben wurden im In-

tereſſe des Klägers, und auf deſſen Antrag, aufgenommen:

andere im Intereſſe und auf den Antrag des Beklagten.

Dieſe letzten waren nun wahre, eigentliche Exceptionen,

und es geſchah wohl blos zufällig, daß einige Exceptionen

auf dieſe Weiſe voran geſchrieben wurden, anſtatt daß die

meiſten von jeher hinter der Intentio ſtanden (l). Später-

hin wurde dieſe Einrichtung dahin abgeändert, daß nur

noch die vom Kläger veranlaßten Einſchränkungen voran

geſchrieben wurden, alle Exceptionen des Beklagten aber

an das Ende der Formel. Diejenigen unter ihnen, welche

von ihrer früheren Stellung den Namen Praescriptiones

temp. (44. 3.), und temporalis

exceptio in L. 30 C. de j. dot.

(5. 12.), anſtatt des hierin übli-

cheren praescriptio. Ja dieſe

umgekehrte Abwechslung konnte zu

allen Zeiten vorkommen, da der

Name Exceptio gar keine Bezie-

hung auf die Stelle in der For-

mel hat. So giebt in der That

Cicero de inv. II. 20 einer un-

zweifelhaften Praescriptio den Na-

men Exceptio, und dieſe Benen-

nung iſt gar nicht, wie Zimmern

S. 297 annimmt, für einen unei-

gentlichen Ausdruck zu halten. —

Noch mehrere Stellen finden ſich

bey Unterholzner Verjährungs-

lehre I. S. 10. 11.

(k) Gajus IV. § 130—137.

Zimmern § 96. 97, wo dieſer Ge-

genſtand gründlich, mitunter wohl

zu ſubtil, behandelt iſt.

(l) Ohne Zweifel auch hinter

der Condemnatio. Zimmern

S. 285 ſetzt die Exceptionen zwi-

ſchen die Intentio und Condem-

natio, welches wohl in vielen Fäl-

len einen unbehülflichen und un-

deutlichen Ausdruck veranlaßt hätte.

|0179 : 165|

§. 226. Exceptionen. Form. Geſchichte.

erhalten hatten, behielten denſelben, auch nachdem er auf-

gehört hatte paſſend zu ſeyn, dennoch bey, und ſo ge-

wöhnte man ſich daran, Praescriptio für einen mit Ex-

ceptio gleichbedeutenden Namen anzuſehen. Dieſer ver-

änderte Sprachgebrauch aber wurde noch ſehr befördert

durch den Untergang des ordo judiciorum, indem nun

keine formulae mehr geſchrieben wurden, in welchen man

verſchiedene Stellen hätte unterſcheiden können, auch die

früheren im Intereſſe des Klägers gemachten Einſchrän-

kungen völlig verſchwanden. Allerdings iſt bey den ein-

zelnen Exceptionen der eine oder der andere Name vor-

herrſchend, ſo daß die abweichende Bezeichnung nur als

ſeltene Ausnahme erſcheint (Note i.). Dieſes iſt ohne Zwei-

fel daraus zu erklären, daß z. B. die doli und rei judi-

catae exceptio ſtets am Ende der Formel ſtanden, anſtatt

daß die temporis und die fori praescriptio in früherer

Zeit voran geſchrieben wurden. — Bey den neueren Ju-

riſten freylich, und ſchon ſeit mehreren Jahrhunderten, hat

der Ausdruck Praescriptio, zur großen Verwirrung der

Rechtswiſſenſchaft, eine ganz andere Bedeutung angenom-

men, nämlich die der Verjährung, welche Veränderung

des Sprachgebrauchs jedoch an dieſer Stelle gar nicht zu

beachten iſt (l¹).

Die Exceptio, in der hier dargeſtellten Prozeßform,

kann erſt gebraucht worden ſeyn ſeit der Entſtehung des

ordo judiciorum, in den alten Legis actiones kam ſie

 

(l¹) Vgl. oben B. 4 § 178.

|0180 : 166|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

nicht vor (m). Es wäre ſogar möglich, daß ſie erſt län-

gere Zeit nach dem Anfang des Formularprozeſſes ihren

Urſprung gehabt hätte, obgleich es nicht wahrſcheinlich iſt,

daß man dieſe ſo zweckmäßige und nahe liegende Form

lange vernachläſſigt haben ſollte.

Mit dem Untergang des ordo judiciorum hörten auch

die Exceptionen in der angegebenen Prozeßform auf. Sie

waren nun nicht mehr ein Stück der vom Prätor abge-

faßten, an den Judex gerichteten, formula, ſondern ſie

wurden das, was ſie bey uns ſind, bloße Anträge des

Beklagten an den obrigkeitlichen Richter (n). Es iſt je-

doch irrig, wenn Manche annehmen, daß damit das innere

Weſen der alten Exceptionen verſchwunden, oder auch nur

weſentlich verändert worden wäre. Verſchwunden war

allerdings Dasjenige, was an den Exceptionen der frühe-

ren Zeit lediglich dem Prozeß angehört hatte, alſo na-

mentlich die verſchiedene Macht, welche in Beziehung auf

ſie der Judex, je nach den verſchiedenen Arten der Kla-

gen, gehabt hatte. Dagegen blieben ſie Das, was ſie

von jeher geweſen waren, Vertheidigungen des Beklagten,

 

(m) Gajus IV. § 108. „Alia

causa fuit olim legis actionum

… nec omnino ita, ut nunc,

usus erat illis temporibus ex-

ceptionum.”

(n) Jetzt waren alſo die oben

in der Note g. angeführten Aus-

drücke nicht mehr paſſend, und man

bezeichnete nun die Handlung des

Beklagten, welcher die Exception

geltend machte, durch: opponere

oder objicere exceptionem. Je-

doch war dieſer Ausdruck auch

ſchon früher, neben jenen anderen,

ſehr gewöhnlich, und das oppo-

nere hatte damals denſelben Sinn,

wie petere und postulare. Vgl.

Gajus IV. § 123. 124., 119 (vgl.

oben Note a.), und viele Stellen

der Digeſten.

|0181 : 167|

§. 226. Exceptionen. Form. Geſchichte.

auf ſelbſtſtändige Rechte deſſelben gegründet (§ 225.). Wenn

daher in den Juſtinianiſchen Rechtsbüchern die Lehre von

den Exceptionen großentheils mit den unveränderten Wor-

ten der alten Juriſten vorgetragen wird, ſo darf Dieſes

nicht, wie Manche wollen, als gedankenloſe und blos

ſcheinbare Aufrechthaltung eines untergegangenen Rechts-

inſtituts angeſehen werden. Es iſt daher auch nicht rich-

tig, dem Juſtinianiſchen Recht eine weſentliche Verände-

rung der Kunſtausdrücke in dieſer Lehre zuſchreiben zu

wollen. Selbſt wenn ein minder ſtrenger Sprachgebrauch

in Juſtinians eigenen Conſtitutionen erſchiene, würde Die-

ſes vielmehr aus der geſunkenen Kunſtſprache überhaupt,

als aus einer veränderten Rechtsanſicht über dieſen be-

ſonderen Gegenſtand, zu erklären ſeyn; es werden ſich aber

gewiß nur ſehr wenige Stellen finden, worin Juſtinian

von den Exceptionen oder Präſcriptionen anders redete,

als es auch ſchon von einem der alten Juriſten hätte ge-

ſchehen können (o).

Es kann endlich auch Das nicht zugegeben werden,

 

(o) Die L. 30 C. de j. dot.

(5. 12.) gebraucht allerdings den

Ausdruck temporalis exceptio in

ſolcher Ausdehnung, daß darunter

ſelbſt die Uſucapion mitbegriffen

wird, alſo ein Fall relativer Ver-

neinung, der völlig außer dem Ge-

biet der wahren Exceptionen liegt

(§ 225.). Vgl. oben B. 4 § 178. i.

Es geſchieht aber Dieſes in der

Verlegenheit, alle bey einer Dos

durch Zeit möglicherweiſe eintre-

tende Veränderungen in kurzen

Worten zuſammen zu faſſen, wo-

zu allerdings ein gemeinſamer ächter

Kunſtausdruck nicht vorhanden war;

die Abweichung von dem genauen

Sprachgebrauch iſt alſo hier Noth-

hülfe für ein einzelnes Bedürfniß,

nicht Kennzeichen einer veränderten

Natur der Exceptionen.

|0182 : 168|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

daß der Name Exceptio im Juſtinianiſchen Recht, nach-

dem ſeine eigentliche Bedeutung verſchwunden ſey, auf ge-

dankenloſe Weiſe beybehalten worden wäre, und ſchon

deshalb verworfen werden müßte. Allerdings war die un-

mittelbare Beziehung jenes Namens die auf die alten

Klagformeln, und dieſe war zu Juſtinians Zeit verſchwun-

den. Allein die Faſſung der Formeln war nicht zufällig,

vielmehr drückte ſie das innere Weſen der Rechtsverhält-

niſſe aus, und dieſes iſt unverändert geblieben. Noch jetzt

alſo bezeichnet Exceptio ſtets das Verhältniß einer Aus-

nahme von der aus der Klage eigentlich hervorgehenden

Verpflichtung, obgleich dieſe Ausnahme nicht mehr auf die

Anweiſung an einen Judex zur regelmäßigen Condemnation

ſich bezieht.

Dieſe Bemerkungen ſind aber nicht blos auf das Ju-

ſtinianiſche Recht anzuwenden, ſondern in gewiſſem Grade

ſelbſt auf deutſche Prozeßgeſetze. Nach einer ſehr verbrei-

teten Meynung nämlich ſoll, was auch der Inhalt des

neueſten Römiſchen Rechts ſeyn möge, wenigſtens der

Jüngſte Reichsabſchied (von 1654) für die Exceptionen

das Recht und den Sprachgebrauch gänzlich umgeändert

haben. Es gehören dahin folgende zwey Stellen:

 

§ 37 „was er dabey dilatorie oder peremptorie einzu-

wenden haben möchte.“

§ 38 „wann er verzügliche oder andere dergleichen Ex-

ceptiones vorzunehmen hätte.“

Das iſt unverkennbar, daß hier unter den Einwendun-

 

|0183 : 169|

§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten.

gen und Exceptiones alle möglichen Vertheidigungsmittel

des Beklagten zu verſtehen ſind, und daß daher den in

dieſem Geſetz enthaltenen Vorſchriften über das Verhalten

des Beklagten eine ſehr weite Ausdehnung gegeben werden

muß. Allein für die Behandlung des Gegenſtandes in

der Rechtstheorie iſt in dieſem Geſetz kein Gebot enthal-

ten. Mögen wir nun auch den deutſchen Ausdruck Ein-

rede einer ſehr freyen Behandlung preisgeben, ſo wollen

wir doch den aus dem Römiſchen Recht herſtammenden

Kunſtausdruck Exception auch ferner in ſeiner eigen-

thümlichen Bedeutung feſt halten. Dieſes iſt nicht blos

wichtig zur Abwehr der ſonſt unvermeidlichen Misver-

ſtändniſſe über den Sinn unſrer Rechtsquellen, ſondern

auch weil der dadurch bezeichnete Rechtsbegriff faſt nur

durch dieſes Mittel feſtgehalten werden kann; um ſo wich-

tiger, als unter den Prozeßſchriftſtellern der letzten Jahr-

hunderte eine ſolche Sprachverwirrung wahrzunehmen iſt,

daß man ſich doppelt freuen muß, wenigſtens in Einem

Kunſtausdruck von hiſtoriſch beſtimmter Bedeutung einen

feſten Anhaltspunkt zu finden.

§. 227.

Exceptionen. Inhalt. Arten.

Da der Inhalt der Exceptionen in einem ſelbſtſtändi-

gen Recht des Beklagten beſteht, hierin alſo dem Inhalt

der Klagen gleichartig iſt, ſo kommen bey ihnen ganz ähn-

liche Gegenſätze vor, wie bey den Klagen. Auch bey ihnen

 

|0184 : 170|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

wurde die Formel theils ſchon im Edict vorgefunden, theils

nach den Bedürfniſſen des einzelnen Falles vom Prätor

neu entworfen (a); dieſe letzten heißen dann in factum ex-

ceptiones (b), ähnlich den für einzelne Fälle erfundenen

Klagen (§ 217.). — Ferner entſpringen ſie, eben ſo wie

die Klagen, theils aus dem Civilrecht (lex und quod le-

gis vicem obtinet), theils aus dem prätoriſchen Recht (c). —

Endlich kommt auch bey ihnen der Fall vor, daß ſchon

bekannte, mit individuellen Namen bezeichnete Exceptionen

ſpäterhin auf neue Fälle ausgedehnt wurden, und auch

hier wird das Verhältniß einer ſolchen Erweiterung mit

(a) Gajus IV. § 118. „Excep-

tiones autem alias in edicto

Praetor habet propositas, alias

causa cognita accommodat.”

(b) Fragm. Vat. § 310 „ne-

que Cinciae legis exceptio ob-

stat, neque in factum: si non

donationis causa mancipavi vel

promisi me daturum.” — L. 4

§ 32 de doli exc. (44. 4.) ex-

ceptione in factum comparata

vel doli mali.” Vgl. L. 4 § 16

eod., L. 14. 23 de exc. (44. 1.),

und viele andere Stellen. — Dieſe

in factum exceptiones entſpre-

chen alſo ganz den improviſirten

in factum actiones (§ 217); es

würde jedoch unrichtig ſeyn, die

Ähnlichkeit ſo weit durchführen zu

wollen, als ob die übrigen Excep-

tionen in jus conceptae, alſo mit

einer juris civilis intentio verſe-

hen geweſen wären. Auch die

L. Cinciae exc. wurde gewiß ſo

gefaßt: nisi contra L. Cinciam

factum sit, hatte alſo eine that-

ſächliche Faſſung.

(c) Gajus IV. § 118 (unmittel-

telbar nach den in Note a abge-

druckten Worten): „Quae omnes

vel ex legibus, vel ex his quae

legis vicem obtinent, vel ex ju-

risdictione Praetoris proditae

sunt.” Eben ſo § 7 J. de exc.

(4. 13.). — Die Worte der L. 3

de exc. (44. 1.) „si quid contra

LL., Senatusve consultum fac-

tum esse dicetur” dürfen nicht

ſo verſtanden werden, als wenn

jemals eine wirkliche Exception ſo

ausgedrückt worden wäre; es iſt

blos die collective Bezeichnung der

exc. L. Cinciae, Sc. Macedonia-

ni u. ſ. w. Eben ſo bey Gajus IV.

§ 121.

|0185 : 171|

§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten.

dem Namen utilis exceptio bezeichnet (d), alſo auf gleiche

Weiſe wie bey den Klagen (§ 215).

Der den Inhalt der Exception beſtimmende Rechts-

grund hat ſeinen Sitz zuweilen in Regeln des Prozeſ-

ſes (e); häufiger aber, und mit wichtigerem Einfluß, in

materiellen Rechtsregeln. Die Exceptionen dieſer zweyten

Art haben eine den Obligationen ähnliche Natur, eben ſo

wie die Klagen (§ 205); der Beklagte fordert von dem

Kläger, daß er ſein Klagrecht nicht geltend mache. Daſ-

ſelbe materielle Recht kann, je nach dem zufälligen Be-

dürfniß, bald eine Klage, bald eine Exception veranlaſſen,

und es iſt über das Verhältniß, worin dieſe beide Geſtal-

ten der Rechtsverfolgung zu einander ſtehen, folgende Re-

gel zu bemerken. Wer ein Klagrecht hat, kann den Grund

deſſelben, wo er es bedarf, ſtets auch als Exception gel-

tend machen (f). Man kann aber nicht auch umgekehrt

ſagen, daß aus dem Daſeyn einer Exception ſtets auch

 

(d) L. 21 de praescr. verb.

(19. 5.). „Quotiens deficit actio

vel exceptio, utilis actio vel

exceptio est.” Der Ausdruck hat

jedoch hier lediglich den Sinn

einer Ausdehnung (§ 215), eine

Fiction kam bey den Exceptionen

gewiß nicht vor, die ja auch zu

ihrer ohnehin thatſächlichen Faſ-

ſung gar nicht gepaßt haben würde

(Note b.). — In den meiſten Stel-

len freylich heißt utilis exceptio

nicht eine ausgedehnte, ſondern

eine wirkſame, gültige Exception.

Vgl. L. 41 de minor. (4. 4.).

L. 19 § 5 ad Sc. Vell. (16. 1.),

L. 5 C. de usuris (4. 32.).

(e) Dahin gehört die exceptio

fori, procuratoria, cognitoria,

praejudicialis u. ſ. w. Vgl. Al-

brecht Exceptionen. S. 211.

(f) L. 1 § 4 de superf. (43.

18.) „cui damus actionem, ei-

dem et exceptionem competere

multo magis quis dixerit.” Die-

ſelbe Stelle ſteht nochmals in

L. 156 § 1 de R. J. (50. 17.).

|0186 : 172|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

der Anſpruch auf eine Klage von gleichem Inhalt und

Erfolg hervorgehe.

Der wichtigſte Fall der aus materiellen Rechtsregeln

entſpringenden Exceptionen bezieht ſich auf das Verhält-

niß der aequitas zum jus civile. Wo nämlich der Prä-

tor jene anerkannte, da verſchaffte er ihr das praktiſche

Übergewicht bald durch in factum actiones, bald durch

Exceptionen (g); in jenem Fall bewirkte er eine Condem-

nation, in dieſem verhinderte er dieſelbe, ohne eigentlich

ein Recht zu erſchaffen oder zu vernichten (h). Dieſen

wichtigſten unter allen Fällen der Exceptionen ſtellen Ga-

jus und die Inſtitutionen an die Spitze, um das Bedürf-

niß und die Wichtigkeit der Exceptionen in einer Reihe

von Beyſpielen anſchaulich zu machen (i). Es iſt aber ſo

wenig der einzige Fall, daß hinterher in beiden eben an-

geführten Rechtsquellen die allgemeine Überſicht über die

Entſtehungsgründe der Exceptionen gegeben wird, worin

jener Fall nur als einer unter mehreren erſcheint (k).

 

(g) L. 3 § 1 de pec. const.

(13. 5.). „Si quis autem consti-

tuerit, quod jure civili debebat,

jure praetorio non debebat, id

est per exceptionem” … Die

wichtigſten Exceptionen dieſer Art

ſind die doli und die pacti ex-

ceptio; zu demſelben Zweck dien-

ten aber auch in factum excep-

tiones (Note b.).

(h) Vgl. oben § 213. 216, und

B. 1 § 22.

(i) Gajus IV. § 116. 117, pr.

§ 1—5 J. de exc. (4. 13.).

(k) Vgl. oben Note c. — Daß

das Vorhergehende blos Beyſpiele

liefern ſollte, ſagt wörtlich § 6 J.

de exc. (4. 13.). „Haec exem-

pli causa retulisse sufficiet.” —

Hätten die allgemeinen Überſichten

(Note c.) voran geſtanden, ſo

würde in dieſer Hinſicht niemals

ein Misverſtändniß aufgekommen

ſeyn. In den Inſtitutionen übri-

gens iſt die Zahl der Beyſpiele

viel größer als bey Gajus, und

daher erſcheint der § 7 J. de exc.

(4. 13.) verſteckter, und kann leich-

|0187 : 173|

§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten.

Um dieſes Verhältniß der verſchiedenen Arten der Ex-

ceptionen zu den verſchiedenen Arten der Klagen, welches

in neueren Zeiten nicht ſelten verkannt worden iſt, auf er-

ſchöpfende Weiſe zu behandeln, will ich die möglichen

Combinationen in vollſtändiger Überſicht darſtellen. Es

läßt ſich denken, daß einer Civilklage eine civile oder prä-

toriſche Exception, und eben ſo einer prätoriſchen Klage

eine civile oder prätoriſche Exception, entgegen geſetzt

werde. Alle dieſe Combinationen aber ſind nicht blos

denkbar, ſondern ſie kommen auch in folgenden unzweifel-

haften Anwendungen wirklich vor.

 

I. Civilklage und Civilexception.

Condictio aus Darlehen oder Stipulation — exc.

Sc. Macedoniani und Vellejani, exc. Legis Plae-

toriae (l).

Rei vindicatio und eben ſo auch Condictio aus einer

Stipulation — exc. L. Cinciae (m).

II. Civilklage und prätoriſche Exception.

Condictio oder Rei vindicatio — exc. doli, pacti,

jurisjurandi, rei judicatae.

III. Prätoriſche Klagen und Civilexception.

Actio constitutoria und Actio hypothecaria — exc.

Sc. Vellejani (n).

Publiciana actio — exc. dominii(o).

ter überſehen werden, als Ga-

jus IV. § 118.

(l) Vgl. Zeitſchrift für geſchicht-

liche Rechtswiſſenſchaft B. 10 S. 248.

(m) Fragm. Vat. § 266. 310.

(n) L. 8 pr. L. 29 pr. ad Sc.

Vell. (16. 1.).

(o) L. 17 de public. (6. 2.).

|0188 : 174|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Actio de peculio — exc. Sc. Trebelliani(p).

Irgend eine prätoriſche Schuldklage — exc. Legis

Juliae in Folge einer cessio bonorum (q).

IV. Prätoriſche Klage und prätoriſche Exception.

Actio publiciana — exc. hypothecaria, jurisjurandi,

rei judicatae.

Actio doli oder quod metus causa — exc. in fac-

tum (q¹).

Manche wollen unter dieſen verſchiedenen Anwendun-

gen nur allein die zweyte (Civilklage und prätoriſche Ex-

ception) als die eigentliche und wahre Exception anſehen;

alle übrigen ſollen nur uneigentliche, nachahmungsweiſe

eingeführte Exceptionen ſeyn (r). Zu dieſer Behauptung

iſt jedoch durchaus kein Grund vorhanden, denn wenn

man die oben (Note c.) angeführte Stellen des Gajus und

der Inſtitutionen unbefangen betrachtet, ſo iſt es einleuch-

tend, daß die Ausbildung der Exceptionen von den alten

Juriſten ſelbſt als parallel gehend mit der Ausbildung der

Actionen aufgefaßt wurde, ſo daß wir nicht mehr Urſache

haben, die civilen Exceptionen, als die civilen Klagen für

 

(p) L. 1 § 8 quando de pec.

(15. 2.).

(q) § 4 J. de replic. (4. 14.),

vgl. L. 4 C. qui bonis (7. 71.).

(q¹) L. 14 § 13 quod metus

(4. 2.).

(r) Zimmern § 91, beſonders

S. 286. Albrecht § 5 und S. 32.

33. 42. 44. Wie ſich dieſe un-

richtige Anſicht bey neueren Pro-

zeßſchriftſtellern noch weiter aus-

gebildet hat, wird unten gezeigt

werden (§ 228.). — Albrecht

S. 8. 23 will ſogar den Namen

Exceptio nicht von einer, der

Condemnationsregel hinzugefügten,

Ausnahme erklären, ſondern von

dem Ausnahmeverhältniß, in wel-

ches ſich das prätoriſche Recht zu

dem Civilrecht ſtellte.

|0189 : 175|

§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten.

uneigentlich und nachgeahmt zu halten. Wie aber jene

unrichtige Meynung entſtanden iſt, darüber kann kein Zwei-

fel ſeyn; man hat nämlich denjenigen Fall der Anwen-

dung, welcher allerdings der häufigſte, und für die An-

wendung der wichtigſte war, willkührlich für den ur-

ſprünglich einzigen gehalten, zu welchem ſich alle übrigen

blos als uneigentliche Erweiterungen verhalten haben ſollen.

Folgende Eintheilungen der Exceptionen geben näheren

Aufſchluß über die verſchiedenen Beziehungen, in welchen

ſie vorkommen.

 

Manche derſelben ſind blos für eine gewiſſe Zeit, oder

für gewiſſe Umſtände wirkſam, ſo daß ſie die Klage nicht

mehr hindern, wenn die Zeit abgelaufen iſt, oder die Um-

ſtände verändert ſind; ſo z. B. die exceptio pacti in diem,

wenn vor Eintritt des Zahlungstags geklagt wird: die

fori exceptio, wenn die Klage vor einem unrichtigen Ge-

richt angeſtellt iſt, ſo wie überhaupt die auf bloße Pro-

zeßregeln gegründeten Exceptionen (Note e.). — Andere,

und zwar die meiſten, haben eine ſolche Beſchränkung nicht,

ſo daß ſie zu jeder Zeit und unter allen Umſtänden wir-

ken können. — Die erſten heißen dilatoriae oder temporales(s),

 

(s) Temporalis exceptio oder

praescriptio hat außer der im

Text angegebenen Bedeutung noch

eine andere, von jener völlig ver-

ſchiedene, nämlich die auf Klag-

verjährung gegründete. Hier

bezeichnet alſo der Ausdruck eine

ganz individuelle Exception, eben

ſo wie exc. doli, pacti u. ſ. w.,

und nicht ein Eintheilungsglied,

wie wenn er mit dilatoria gleich-

bedeutend genommen wird. Außer-

dem heißt auch einmal perpetua

exc. die unverjährbare Excep-

tion (L. 5 C. de exc. 8. 36.),

im Gegenſatz derſelben müßte tem-

poralis die verjährbare heißen,

und dieſe Kunſtausdrücke wären

|0190 : 176|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

die zweyten peremptoriae oder perpetuae (t). — Die Wir-

kung der dilatoriſchen Exceptionen war aber im alten

Prozeß ganz verſchieden, je nachdem ſie ſich auf den In-

halt der Intentio ſelbſt bezogen oder nicht. War z. B. die

exceptio pacti in diem vorgebracht, und überzeugte ſich

der Judex von ihrer Richtigkeit, ſo mußte er nun ganz

abſolviren, und die Forderung war für immer verloren;

war alſo der Kläger vorſichtig, ſo nahm er die Klage

vorläufig ganz zurück, und ließ es gar nicht zu einem ju-

dicium kommen (u). Anders bey denjenigen dilatoriſchen

Exceptionen, die keinen Bezug auf den Inhalt der Inten-

ganz in der Analogie der actio

perpetua und temporalis. Daß

ſie nicht herrſchend geworden ſind,

erklärt ſich wohl aus der Selten-

heit der verjährbaren Exceptionen.

(t) Gajus IV. § 120—125, L. 2

§ 4 L. 3 de exc. (44. 1.), § 8—10

J. de exc. (4. 13.). Die Pro-

zeßregeln, worauf ſich dilatoriſche

Exceptionen gründeten, nahmen nur

dann dieſe Geſtalt an, wenn ſie

vor dem Prätor geltend gemacht

wurden; kamen ſie erſt vor dem

Judex zur Sprache, ſo mußten ſie

zwar auch beachtet werden, ſie hie-

ßen aber nun nicht exceptiones,

ſondern translationes, oder trans-

lativae constitutiones. Die be-

ſtimmteſte Stelle hierüber iſt Ci-

cero de invent. II. 19. 20. Nach

anderen, unbeſtimmteren Stellen

könnte man glauben, die exceptio

dilatoria ſelbſt habe den Namen

translatio geführt. De invent. I. 8,

ad Herenn. I. 12, II. 12, Fortuna-

tian. und Sulp. Victor bey Ca-

perronner. Rhetores ant. p.

63. 284.

(u) Gajus IV. § 123. Vgl. Zim-

mern § 95. Nach der Allgemein-

heit, womit ſich Gajus ausdrückt,

könnte man glauben, Dieſes ſey

bey allen dilatoriſchen Exceptionen

der Fall geweſen, und auf die von

ihm angeführten Beyſpiele paßt

die Regel auch wirklich. Aber

wenn bey der fori praescriptio

anerkannt wurde, daß der magi-

stratus nicht competent ſey, ſo

hatte auch der Judex keine wirk-

liche Macht empfangen, er konnte

weder condemniren noch abſolviren,

und die Sache wurde nicht conſu-

mirt, weil ſie gar nicht in judi-

cium deducirt war. Bey der ex-

ceptio praejudicialis ſollte das

Urtheil aufgeſchoben, alſo für den

Augenblick weder condemnirt noch

abſolvirt werden.

|0191 : 177|

§. 227. Exceptionen. Inhalt. Arten.

tio hatten, wie z. B. die exceptio fori oder praejudicialis.

Wenn ſich bey dieſen der Judex überzeugte, daß ſie ge-

gründet ſeyen, ſo durfte er nicht abſolviren, ſondern er

mußte ſich des Urtheils für jetzt ganz enthalten, ſo daß

dann die Klage noch immer nicht verloren war (v). Die-

ſer Unterſchied fällt ſchon im Juſtinianiſchen Recht hin-

weg, indem die zuletzt erwähnte minder gefährliche Wir-

kung nun bey allen dilatoriſchen Exceptionen eintritt.

Es werden ferner unterſchieden personae und rei co-

haerentes exceptiones, je nachdem Derjenige allein, auf

welchen ſich die Exception urſprünglich bezog, ſie ge-

brauchen kann, oder auch Andere, die an ſeiner Stelle

verklagt werden, wie Erben, Käufer, Bürgen (w). Die

Natur der unbeſchränkten rei cohaerentes bildet die bey

weitem vorherrſchende Regel, die personae cohaerentes kom-

men nur in ſeltenen Ausnahmen vor (x). — Ein ähnlicher

 

(v) Vgl. die Entwicklung dieſes

Falles in Note u. Der Unterſchied

beider Arten der dilatoriſchen Ex-

ceptionen läßt ſich ſo ausdrücken,

daß die Anweiſung: si non pa-

ret absolve bey der einen Art

zur Anwendung kam, bey der an-

dern nicht. Dagegen der erſte

Theil der Anweiſung: Si paret

condemna wurde durch beide Ar-

ten gleichmäßig beſchränkt, und

darum gebührte auch beiden auf

gleiche Weiſe der Name Exceptio.

Daß z. B. die praejudicialis ex-

ceptio dieſen Namen wirklich führte,

kann nach Cicero de invent. II.

20, und L. 13. 16. 18 de exc.

(44. 1.) nicht bezweifelt werden.

Ganz willkührlich ſpricht Zim-

mern S. 302 der zweyten Klaſſe

der dilatoriſchen Exceptionen den

Namen Exceptio ab, indem er

den in der gegenwärtigen Note

dargeſtellten Unterſchied überſieht.

(w) L. 7 pr. § 1 de exc. (44. 1.).

— Noch etwas verſchieden davon

iſt es, wenn die Proculejaner von

der exc. L. Cinciae behaupteten,

es ſey dazu berechtigt „etiam qui-

vis, quasi popularis sit haec

exceptio (Fragm. Vat. § 266.),

alſo ſelbſt ohne Rückſicht auf ein

Succeſſionsverhältniß.

(x) Die Hauptanwendung iſt

V. 12

|0192 : 178|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Unterſchied, nur in weit beſchränkterer Art, kommt auch

vor bey der Verpflichtung des Klägers, ſich die Exception

gefallen zu laſſen, wenn nämlich dieſe aus einer widerrecht-

lichen Handlung des urſprünglichen Klagberechtigten ent-

ſprungen iſt. In dem wichtigſten Fall, der doli exceptio,

geht dieſe Verpflichtung auf den Erben und den Donatar

des Unredlichen über, nicht auf den Käufer (y), alſo noch

weniger auf jeden Dritten, der mit Jenem in gar keinem

Succeſſionsverhältniß ſteht. Anders iſt es bey der metus

exceptio, welche in rem gefaßt wird: si in ea re nihil

metus causa factum est, weshalb ſie nicht blos gegen den

Erben oder Käufer des Zwingenden, ſondern auch gegen

jeden Dritten, gebraucht werden kann (z). Wenn nun

bey anderen Exceptionen gelegentlich bemerkt wird, daß

ſie nicht blos gegen den urſprünglichen Kläger, ſondern

auch gegen jeden Succeſſor deſſelben ohne Unterſchied ge-

die bey dem ſogenannten benefi-

cium competentiae. L. 7 pr. de

exc. (44. 1.), L. 24. 25 de re

jud. (42. 1.), § 4 J. de repl.

(4. 14.). Dann auch bey der exc.

pacti, wenn der Vertrag blos auf

das Individuum beſchränkt iſt.

L. 21 § 5, L. 22—26, L. 32 de

pactis (2. 14.). Wenn daher ein-

mal bey der exc. rei venditae et

traditae das Gegentheil erwähnt

wird, ſo iſt Dieſes nicht etwas

Beſonderes, ſondern bloße Anwen-

dung der allgemeineren Regel. L. 3

pr. de exc. rei vend. (21. 3.).

So mußte man auch bey der doli

exceptio von Seiten des Beklag-

ten ſagen: in rem opponitur

exceptio L. 2 § 2 de doli exc.

(44. 4.).

(y) L. 4 § 27. 31 de doli exc.

(44. 4.). Es heißt alſo hier: ex-

primendum est … non in rem:

si in ea re dolo malo factum

est, sed sic: si in ea re nihil

dolo malo actoris factum est.”

L. 2 § 1 eod. Die Succeſſoren

ſind dann, unter der im Text an-

gegebenen Beſchränkung, mit ein-

geſchloſſen.

(z) L. 4 § 33 de doli exc.

(44. 4.).

|0193 : 179|

§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten.

braucht werden können (aa), ſo iſt Dieſes nicht etwa der

Ausdruck einer eigenthümlichen Eigenſchaft dieſer beſonde-

ren Exceptionen, ſondern bloße Anwendung des gewöhn-

lichen, regelmäßigen Verhältniſſes, alſo blos Verneinung

der eigenthümlichen, bey der doli exceptio eintretenden Be-

ſchränkung.

§. 228.

Exceptionen. Abweichende Anſichten.

Von der hier vorgetragenen, rein Römiſchen, Lehre der

Exceptionen ſind ſchon die Juriſten des Mittelalters auf

mancherley Weiſe abgewichen. Vorzüglich machte ſich ſeit

ihrer Zeit eine neu erfundene Eintheilung geltend, in Ex-

ceptiones juris und faeti; jene ſollten ungefähr die wah-

ren Römiſchen Exceptionen ſeyn, dieſe die übrigen Ein-

wendungen, z. B. die der Zahlung (a). Allein weder über

die Gränzen beider Arten, noch über die praktiſche Be-

handlung derſelben konnte man ſich einigen, und ſo iſt ſeit

jener Zeit die Sprachverwirrung mit der Verwirrung in

den Begriffen und Rechtsregeln Hand in Hand gegan-

gen (b). In der Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts er-

ſchien in dem jüngſten Reichsabſchied eine neue Prozeß-

geſetzgebung für ganz Deutſchland, und das unzulängliche

 

(aa) L. 3 § 1 de exc. rei

vend. (21. 3.).

(a) Unter anderen Stellen der

Gloſſe iſt hierüber zu vergleichen

Gl. Intentionem. L. 2 pr. de

exc. (44. 1.).

(b) Sehr reichhaltige literariſche

Nachweiſungen enthält Albrecht

§ 23 fg.

12*

|0194 : 180|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Beſtreben der Schriftſteller, den Inhalt derſelben mit der

bisherigen Theorie zu verarbeiten, mußte jene Verwirrung

noch erhöhen.

In der neueſten Zeit hat ſich ein kritiſches Quellenſtu-

dium auch dieſem Theil der Rechtswiſſenſchaft mit man-

chem guten Erfolg zugewendet. Anſtatt aber daß in an-

deren Lehren das hiſtoriſche Element der Rechtsinſtitute

häufig überſehen, und dadurch Demjenigen, welches nur

ein hiſtoriſches Daſeyn hatte, eine allgemeine Bedeutung

fälſchlich beygelegt worden iſt, ſcheint man ſich hier von

dem entgegengeſetzten Fehler nicht ganz frey gehalten zu

haben. Der wahrhaft allgemeine bleibende Kern des hi-

ſtoriſch gebildeten Rechtsinſtituts iſt überſehen, und als

eine vorübergehende, längſt verſchwundene Erſcheinung mit

Unrecht behandelt worden (c).

 

Die Grundlage dieſer einſeitigen Auffaſſung iſt ſchon

oben (§ 227) angegeben und beſtritten worden. Sie beſteht

darin, daß die prätoriſchen Exceptionen gegen Civilklagen

die einzigen wahren Exceptionen geweſen ſeyen. Dieſe

Behauptung aber hat man auf folgende Weiſe an die

frühere und an die ſpätere Zeit des Römiſchen Rechts an-

zuknüpfen verſucht.

 

Ehe der Prätor, durch ſeine Exceptionen, der aequitas

einen mildernden Einfluß auf den ſtrengen Buchſtaben des

 

(c) Am vollſtändigſten iſt die

Anſicht, womit ich mich hier be-

ſchäftige, in dem oben (zu § 226)

angegebenen Werk von Albrecht

ausgebildet worden. Der Keim

dazu findet ſich in: Bayer Vor-

träge über den Civilprozeß 4te

Auflage 1834. S. 250 fg.

|0195 : 181|

§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten.

alten Civilrechts verſchaffte, ſoll ein ſolcher Einfluß gar

nicht vorhanden geweſen ſeyn (d). Um Dieſes annehmen

zu können, muß man den Zuſtand der Römiſchen Nation,

viele Jahrhunderte hindurch, entweder höher oder niedri-

ger ſtellen, als es irgend mit hiſtoriſcher Wahrſcheinlich-

keit verträglich iſt. Höher, wenn man annehmen wollte,

daß ſo lange Zeit in Rom faſt gar kein unredlicher Eigen-

nutz erſchienen wäre, der das Bedürfniß eines ſolchen

Schutzes fühlbar gemacht hätte, wie er ſpäterhin durch

die doli exceptio und ähnliche Rechtsmittel gewährt wurde.

Niedriger, wenn man annimmt, ſolche Unredlichkeit wäre,

ſo wie in unſren Tagen, vorhanden geweſen, die ehrlichen

Leute aber, mit Inbegriff der Obrigkeiten, hätten ſie ent-

weder nicht bemerkt, oder hätten keinen Rath gewußt, um

ſich und Andere dagegen zu ſchützen, bis endlich ein Prä-

tor auf die Erfindung der Exceptionen gekommen wäre. —

Das Wahre aber iſt wohl Dieſes, daß eine Anerkennung

der aequitas, und ein Schutz für dieſelbe, zu allen Zeiten,

auch neben den alten Legis actiones, beſtand (e). Das

Neue alſo, welches hierin dem Prätor zugeſchrieben wer-

den muß, beſteht in zwey Stücken. Erſtlich in der, für

(d) Albrecht S. 3. 4. 5.

(e) Wir wiſſen freylich über

den Prozeß zur Zeit der Legis

actiones nicht viel mehr, als was

wir neuerlich durch Gajus gelernt

haben, und auch Das iſt wenig

genug. Doch hat ſich zufällig bey

Plautus eine Spur erhalten, nach

welcher damals für die Zwecke, zu

welchen ſpäter die doli exceptio

diente, durch erzwungene Sponſio-

nen geſorgt worden iſt, alſo durch

die Rechtsform, die von jeher bey

den Römern ſo verbreitet, und für

die verſchiedenſten Zwecke gebräuch-

lich war. Vgl. Zeitſchrift für ge-

ſchichtliche Rechtswiſſenſchaft B. 10

S. 248.

|0196 : 182|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

jenen Zweck ſehr bequemen und angemeſſenen, Prozeßform

der Exceptionen, die freylich erſt ſeit der Einführung der

formulae möglich war (§ 226. m). Zweytens in der voll-

ſtändigeren, befriedigenderen materiellen Ausbildung der

auf die aequitas bezüglichen Rechtsregeln, wodurch das

Edict, und ſpäter die Arbeit der Juriſten, für dieſen wie

für andere Theile des Rechts wohlthätig wurde.

An die ſpätere Zeit des Römiſchen Rechts aber wird

jene Lehre in folgender Weiſe angeknüpft (f). Die Excep-

tionen in jener eigenthümlichen Natur erhielten ſich nur

kurze Zeit. Schon als man anfieng, das prätoriſche Recht

als ein eigentliches jus anzuſehen, hatte ſich ihr Weſen

verändert; mit dem ordo judiciorum giengen ſie völlig

unter, und jetzt war zwiſchen ihnen und den Civileinreden,

z. B. der Zahlung, durchaus kein Unterſchied mehr übrig.

Wenn in den Juſtinianiſchen Rechtsbüchern von den Ex-

ceptionen in alter Weiſe geredet wird, ſo iſt dieſes leerer

Schein, zu erklären aus der Art, wie jene Bücher ent-

ſtanden ſind; man behielt die Ausdrücke der älteren Zeit

bey, während die Begriffe ſelbſt verſchwunden waren.

 

Wenn nun auch dieſe Anſichten in ſo vollſtändiger

Ausbildung nur ſelten gefunden werden, ſo ſcheinen doch

die Meiſten darin völlig einverſtanden, daß der Römiſche

Begriff der Exceptionen für unſer heutiges Recht ganz

unbrauchbar geworden ſey, und durch einen anderen, ſehr

 

(f) Albrecht S. 52. 72. 82 fg. 108 fg.

|0197 : 183|

§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten.

erweiterten Begriff erſetzt werden müſſe (g). Allein auf

dieſen negativen Satz beſchränkt ſich die Übereinſtimmung,

denn über den poſitiven Begriff ſelbſt, welchen wir an

die Stelle zu ſetzen haben, herrſcht fortwährend die größte

Verſchiedenheit, und dieſe Verwirrung iſt einer feſten Aus-

bildung des Prozeßrechtes in hohem Grade hinderlich. So

wird namentlich von Manchen unter Exception diejenige

Einwendung verſtanden, die auf einer Veränderung des

urſprünglichen Rechtsverhältniſſes beruht, jede andere ſoll

eine negative Einlaſſung ſeyn (h). Von Anderen jede Ein-

wendung, die der Beklagte zu beweiſen hat, wohin alſo

auch abſolute und relative Verneinungen (Wahnſinn eines

Contrahenten, Zahlung) gehören, und welcher Begriff da-

her noch umfaſſender iſt als jener (i).

Vielleicht können folgende Bemerkungen dazu dienen,

eine Verſtändigung in dieſer Lehre zu befördern. Zwey

Stücke ſind mir für die Theorie des Römiſchen Rechts,

alſo für das Intereſſe des vorliegenden Werks, von Wich-

tigkeit: die im § 225 verſuchte Feſtſtellung der verſchiedenen

Arten möglicher Vertheidigung, und die fortwährende An-

erkennung der Römiſchen Exceptiones, ohne Veränderung

 

(g) Mühlenbruch I. § 137,

Thibaut § 73, Mackeldey § 200.

b., Linde in Linde’s Zeitſchrift

B. 1 S. 148 fg. — Der hier von

mir aufgeſtellten Anſicht kommt

unter den neueren Schriftſtellern

am nächſten Kierulff Theorie I.

S. 175 fg.

(h) Bayer Civilprozeß S. 256.

Nach ihm werden wahre Exceptio-

nen begründet durch die Verjährung,

Zahlung, Novation, aber nicht

durch das Sc. Macedonianum

und Vellejanum.

(i) Albrecht § 38, beſonders

S. 190. 205. 206.

|0198 : 184|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

des Römiſchen Sprachgebrauchs. — Bey dem erſten Stück

kommt es vor Allem darauf an, ob jene Feſtſtellung rich-

tig iſt. Iſt ſie es nicht, ſo muß ſie berichtigt werden;

wird ſie aber als richtig anerkannt, ſo iſt nur in ihr

eine feſte Grundlage für die ganze vorliegende Unterſu-

chung zu finden, und dieſe Grundlage iſt für die Theorie

des Römiſchen Rechts, ſo wie für den heutigen Civilpro-

zeß, gleich wichtig und unentbehrlich. Hierin alſo iſt das

Bedürfniß völlig gemeinſchaftlich, und von einem Wider-

ſtreit wegen der eigenthümlichen Intereſſen der beiden wiſ-

ſenſchaftlichen Gebiete kann nicht die Rede ſeyn. — Was

aber das zweyte Stück, nämlich die ſtrenge Feſthaltung

des Römiſchen Begriffs der Exceptiones, mit dieſem ihrem

Namen, betrifft, ſo iſt dieſelbe für die Theorie des Römi-

ſchen Rechts eben ſo unentbehrlich, wie die Feſthaltung

des Römiſchen Actionenſyſtems und der darauf bezüglichen

Kunſtausdrücke (§ 224). Der Grund liegt darin, daß

wenn wir jenes und dieſes aufgeben, eine wahrhafte Ein-

ſicht in das Syſtem der Römiſchen Rechtsbegriffe und

Rechtsregeln eben ſo wenig möglich iſt, als das Verſtänd-

niß der Quellen. Ja das Feſthalten der Exceptionen hat

ſogar darin noch mehr Grund, als das der Actionen und

Condictionen, daß dieſe letzten weniger mit dem inneren

und bleibenden Weſen der Rechtsbegriffe ſelbſt zuſammen-

hängen, als die Exceptionen. Bey dieſem Feſthalten der

Römiſchen Exceptionen nun hat freylich die Theorie des

heutigen Civilprozeſſes kein Intereſſe; es iſt aber auch ganz

|0199 : 185|

§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten.

unrichtig, wenn Manche glauben, dieſe Theorie habe hierin

ein entgegengeſetztes Intereſſe, und es ſey gerade um ihret-

willen nöthig, den Römiſchen Begriff der Exceptionen

gänzlich aufzugeben. Da dieſer Punkt von Erheblichkeit

iſt, ſo muß derſelbe noch genauer ausgeführt werden.

Es iſt keinesweges meine Meynung, daß die Römiſche

Lehre von den Exceptionen einen unmittelbaren Einfluß

auf das heutige Prozeßrecht haben ſoll, deſſen Selbſtſtän-

digkeit alſo durch jene Lehre gefährdet werden möchte.

Wie unabhängig Beides von einander iſt, läßt ſich jedoch

nur durch eine Überſicht der einzelnen Inſtitute des Pro-

zeſſes nachweiſen, mit welchen die Exceptionen in Berüh-

rung kommen.

 

Eine der wichtigſten Fragen betrifft die Beweislaſt.

Niemand zweifelt, daß der Grund der Exceptionen vom

Beklagten bewieſen werden muß (k), welches eben die

Hauptbedeutung der Regel iſt: reus in exceptione actor

est (l). Dabey kommen noch dieſelben Einſchränkungen

vor, die auch für die Beweislaſt des Klägers gelten; wenn

nämlich der Kläger den Grund der Exception im Allge-

meinen zugiebt, denſelben aber durch die Behauptung be-

ſonderer Bedingungen zu entkräften verſucht, ſo muß die

Wahrheit dieſer Behauptung vom Kläger bewieſen wer-

den (m). — Dagegen behauptet Niemand, daß dieſe Be-

 

(k) L. 19 pr. L. 9 de prob.

(22. 3.), L. 25 § 2 eod. (Note n).

(l) L. 1 de exc. (44. 1.). L. 19

pr. de prob. (22. 3.).

(m) L. 9 de prob. (22. 3.).

|0200 : 186|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

weislaſt den Beklagten nur allein im Fall der Römiſchen

Exceptionen treffe; vielmehr ſind Alle darüber einig, daß

derſelbe auch bey jeder relativen Verneinung, z. B. bey der

behaupteten Zahlung, beweiſen muß (n). — In der Be-

weislaſt alſo iſt das heutige Recht von dem Römiſchen

nicht abweichend. Die wichtigſten praktiſchen Fragen, die

dabey vorkommen, ſind auch unbeſtritten; und wo im Ein-

zelnen ein ſolcher Streit vorkommt, iſt er wenigſtens ganz

unabhängig von der Ausdehnung, die man dem Begriff

der Exceptionen geben mag. Demnach liegt in der Lehre

von der Beweislaſt durchaus kein Grund, den Begriff der

Exceptionen anders zu beſtimmen, als wir ihn im Römi-

ſchen Recht beſtimmt finden.

Von manchen Einwendungen des Beklagten wird be-

hauptet, daß ſie vor dem Anfang des Prozeſſes beſeitigt

werden müßten (litis ingressum impedientes), alſo Veran-

laſſung zu einem Vorprozeß vor dem übrigen Rechtsſtreit

geben könnten. — Dem Römiſchen Recht iſt dieſes Ver-

fahren, und die darauf gegründete Auszeichnung mancher

Exceptionen, fremd. Waren die entſcheidenden Thatſachen

unbeſtritten, ſo wurde ſtets vom Prätor die Sache unmit-

telbar erledigt, waren ſie beſtritten, ſo daß Beweiſe ge-

führt werden mußten, ſo wurde ſtets ein Judex gegeben

 

(n) L. 12 L. 25 § 2 de prob.

(22. 3.) „… secundum genera-

lem regulam, quae eos, qui

opponendas esse exceptiones

adfirmant, vel solvisse debita

contendunt, haec ostendere exi-

git.” Hier iſt die Verſchiedenheit

beider Arten der Einwendung durch

den disjunctiven Ausdruck deutlich

anerkannt.

|0201 : 187|

§. 228. Exceptionen. Abweichende Anſichten.

(§ 226. h.), ohne daß dabey die Natur jener Thatſachen

einen Unterſchied machte. Wie viel oder wie wenig alſo

an jener Behauptung auch wahr ſeyn mag, ſo hat we-

nigſtens die Erhaltung oder Verwerfung des Römiſchen

Exceptionenbegriffs darauf nicht den geringſten Einfluß.

Die Exceptionen ſollen in der Regel gleich bey der

Litisconteſtation vorgebracht werden, manche ſollen auch

ſpäter, ja ſelbſt bis zur Exſecution zuläſſig ſeyn. — Hierin

nun weicht das heutige Recht ſehr von dem Römiſchen ab.

Im Römiſchen Prozeß ſollte bey den freyen Klagen der

Judex alle Exceptionen beachten, auch die nicht ſchon vor

dem Prätor, alſo bis zur Zeit der Litisconteſtation, vor-

gebracht waren. Bey den ſtrengen Klagen ſollten ſie zwar

nur gelten, wenn ſie in der Formel ſtanden, alſo ſchon

vor dem Prätor vorgebracht waren; aber auch wenn dieſes

überſehen worden war, wurde gegen eine ſolche Verſäumniß

leicht Reſtitution ertheilt (o). Die relative Verneinung

dagegen durfte bey allen Klagen vor dem Judex vorge-

bracht werden, auch wenn davon vor dem Prätor noch

gar nicht die Rede geweſen war. — Hierin nun hat der

heutige Prozeß andere und ſtrengere Regeln, die aber ent-

ſchieden nicht auf den Fall der Römiſchen Exceptionen

beſchränkt ſind. Die weitere oder engere Faſſung des Be-

griffs der Exceptionen hat alſo auf dieſes veränderte Pro-

zeßrecht wiederum keinen Einfluß.

 

(o) Gajus IV. § 125, L. 2 C. sent. rescindi (7. 50.), L. 8 C.

de except. (8. 36.).

|0202 : 188|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Es iſt ſtreitig, inwiefern Exceptionen, die der Beklagte

nicht vorgebracht hat, officio judicis ſupplirt werden dür-

fen. — Bey den Römern bezeichnet officium judicis Das-

jenige, was der Judex nach freyem Ermeſſen thun durfte

und ſollte, außer den Gränzen der ihm vom Prätor er-

theilten wörtlichen Vorſchrift. Hier nun iſt es gewiß, daß

er bey freyen Klagen alle Exceptionen zu beachten hatte,

bey ſtrengen Klagen nur die in der Formel ausgedrückten.

— Die Neueren verſtehen unter jenem Ausdruck Dasjenige,

was der Richter aus eignem Antrieb thut, ohne den An-

trag einer Partey. In dieſer Beziehung nun müſſen wir

für das mündliche Verfahren im Römiſchen Prozeß eine

große Freyheit annehmen, ſo daß ohne Zweifel der Prätor

und der Judex den Parteyen abfragen konnten, was ihnen

gut dünkte. Wir haben in unſrem ſchriftlichen Prozeß

ſtrengere Regeln, es wird aber von manchen Exceptionen

behauptet, daß der Richter ſie ſuppliren dürfe (p). Auch

hier muß ich behaupten, daß, wie viel oder wie wenig

man dem Richter einräumen möge, Dieſes von der Aus-

dehnung des Exceptionenbegriffs völlig unabhängig iſt.

 

Erwägt man dieſe Umſtände, ſo möchte es wohl das

Gerathenſte ſeyn, in der Theorie des Römiſchen Rechts

 

(p) Albrecht S. 130 nimmt

an, dieſe Frage ſey unpraktiſch,

weil doch der Richter Nichts aus

ſeiner Privatkenntniß benutzen dürfe,

der Kläger aber ſich hüten werde,

die Thatſachen zu berühren, die

eine Exception begründen könnten.

Allein die Exception der Klagver-

jährung wird durch bloße Rechnung

begründet, die exc. Sc. Vellejani

durch die perſönliche Bezeichnung der

verklagten Bürgin, deren Geſchlecht

ja von dem Kläger nicht verheim-

licht werden kann.

|0203 : 189|

§. 229. Replicationen, Duplicationen.

von den Exceptionen gerade ſo zu ſprechen, wie es dem

Sprachgebrauch unſrer Quellen angemeſſen iſt; in der Pro-

zeßtheorie aber den Namen der Exceptionen, in anderem

als dem Römiſchen Sinn, ganz zu vermeiden, und dafür

die völlig ausreichenden deutſchen Ausdrücke: Einrede

oder Einwendung zu gebrauchen. Das dringendſte Be-

dürfniß für die Prozeßlehre beſteht darin, daß man über

die Rechtsregeln zum Einverſtändniß gelange. Bis man

ſich dieſem wünſchenswerthen Ziel genähert haben wird,

iſt es beſſer, feſte Kunſtausdrücke ſo viel als möglich zu

vermeiden. Denn dieſe ſind, nach ihrer natürlichen Be-

ſtimmung, Kennzeichen für die Klarheit der eigenen Be-

griffe und für das Einverſtändniß mit Anderen. Wo aber

dieſe beiden Zuſtände noch nicht eingetreten ſind, wird durch

die Anwendung ſolcher Kunſtausdrücke nur der Mangel

verdeckt, und die Abhälfe verzögert. Beſonders aber ſind

die willkührlich erfundenen Kunſtausdrücke Exceptio juris

und facti zu meiden, die durch einen falſchen Schein von

Quellenmäßigkeit täuſchen, und daneben ſchon ſeit langer

Zeit die Verwirrung der Begriffe erhalten und vermehrt

haben.

§ 229.

Replicationen, Duplicationen u. ſ. w.

Das Parteyenverhältniß, welches bisher in der Klage,

und in der Vertheidigung des Beklagten dargeſtellt wurde,

iſt nun noch weiterer Entwicklungen empfänglich.

 

|0204 : 190|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Wenn die Vertheidigung in einer Exception beſteht,

alſo eine, der Klage ähnliche, ſelbſtſtändige Natur hat,

ſo ſind dagegen dieſelben Vertheidigungen des Klägers

denkbar, wie die, welche oben für den Beklagten nachge-

wieſen worden ſind (§ 225). Es kann nämlich der Kläger

das in der Exception behauptete Recht entweder abſolut

verneinen, oder für ſpäter vernichtet ausgeben (relative

Verneinung), oder endlich durch ein ſelbſtſtändiges eigenes

Recht entkräften.

 

Dieſe letzte Art der Vertheidigung führt den Namen

Replicatio, und ſie wird geradezu als eine exceptionis

exceptio erklärt (a), welches nicht etwa als eine Erläu-

terung durch bloße Ähnlichkeit, ſondern ganz buchſtäblich

zu verſtehen iſt. Denn auch die Replication ſoll lediglich

eine Ausnahme bewirken von der durch die Exception re-

gelmäßigerweiſe bewirkten Losſprechung des Beklagten.

Auch in der Faſſung der Römiſchen Formeln wird dieſes

Verhältniß ſichtbar. Denn nachdem der Prätor den Ju-

dex angewieſen hatte, unter Vorausſetzung der Intentio zu

condemniren, beſchränkte er zuerſt dieſe Vorſchrift durch

die Ausnahme, unter Vorausſetzung der Wahrheit der

Exceptio dennoch zu abſolviren. Dieſe letzte Anweiſung

aber erhielt abermals eine Ausnahme für den Fall, daß

 

(a) L. 2 § 1 de exc. (44. 1.)

„Replicationes nihil aliud sunt,

quam exceptiones, et a parte

actoris veniunt” … L. 22 eod.

„Replicatio est contraria ex-

ceptio, quasi exceptionis ex-

ceptio.” — Vgl. überhaupt Ga-

jus IV. § 126—129, tit. Inst, de

replic. 4. 14.

|0205 : 191|

§. 229. Replicationen, Duplicationen.

daneben auch noch die in der Replicatio ausgedrückte That-

ſache wahr ſeyn ſollte, für welchen Fall alſo dennoch die

Condemnation vorgeſchrieben wurde.

Dieſes Verhältniß wurde in den Formeln durch die

Worte: aut si eingeleitet, und in folgender Weiſe ausge-

drückt. Wenn z. B. ein Grundſtück vindicirt wurde, und

der Beklagte die Exception eines Pachtcontracts entgegen-

ſetzte, ſo konnte der Kläger repliciren, der Beklagte habe

ihn durch Betrug zu dieſem Contract verleitet, welcher

daher nicht bindend ſey. Si paret, fundum de quo agitur

Agerii esse, judex Negidium condemna, si ab Agerio is

fundus locatus Negidio non sit, aut si dolo Negidii fa-

ctum sit, quo magis locaretur. Das heißt: die Condem-

nation ſoll nur erfolgen, wenn der behauptete Pachtcon-

tract nicht wahr, oder wenn derſelbe zwar wahr,

aber durch Betrug bewirkt worden iſt (b).

 

Die Replicationen, eben ſo wie die Exceptionen, waren

bald aus dem Civilrecht abgeleitet (c), bald aus dem prä-

toriſchen Recht (d).

 

(b) Vgl. das letzte Beyſpiel bey

Gajus IV. § 126, ferner L. 48 de

proc. (3. 3.), L. 32 § 2 ad Sc.

Vell. (16. 1.), L. 154 de R. J.

(50. 17.). — Wenn in manchen

Stellen eine negative Faſſung vor-

kommt, wie z. B. in L. 24 de re

jud. (44. 1.) „at si res judicata

non sit,” ſo iſt das blos die er-

zählende Angabe des Inhalts einer

ſolchen Replication, nicht der Aus-

druck, wie ihn der Prätor ſelbſt in

die Formel einfügte, gerade ſo wie

es oben von manchen Stellen über

einzelne Exeptionen bemerkt worden

iſt (§ 226. a). — Sehr befriedi-

gend iſt dieſer Punkt behandelt von

Keller Litisconteſtation S. 339.

340.

(c) Mandati replicatio in L. 48

de proc. (3. 3), Scti Vellejani

in L. 32 § 2 ad Sc. Vell. (16. 1.).

(d) Doli replicatio in L. 154

|0206 : 192|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Daſſelbe Verhältniß nun kann ſich nach der andern

Seite hin wiederholen, und dieſe Wiederholung läßt ſich

in Gedanken ohne Ende fortſetzen. Fragt man nämlich,

wie ſich der Beklagte gegen eine Replication vertheidigen

kann, ſo iſt die Antwort immer wieder dieſelbe. Er kann

abſolut oder relativ verneinen, oder ein neues ſelbſtſtändi-

ges Recht entgegenſetzen. Dieſe letzte Art der Vertheidi-

gung wird von Gajus und den Inſtitutionen Duplicatio

genannt, darauf folgt von der andern Seite die Triplica-

tio, und ſo ins Unendliche fort (e). Gajus verſichert, im

wirklichen Leben komme dieſe Verwicklung noch weiter als

bis zur Triplicatio vor (f). Indeſſen ſind ſchon ächte Re-

plicationen nicht häufig, Duplicationen gewiß ſehr ſelten,

und Triplicationen, oder gar Quadruplicationen, möchten

wohl nie vorkommen.

 

Der eben angeführte Sprachgebrauch war bey den

Römern nicht allgemein anerkannt. Er beruhte offenbar

darauf, daß die Klage und die Exception, als die Grund-

lagen jedes Rechtsſtreits, ſtillſchweigend vorausgeſetzt, und

 

de R. J. (50. 17.), pacti bey

Gajus IV. § 126.

(e) Gajus IV. § 127 — 129,

§ 1. 2 J. de repl. (4. 14.). Der-

ſelbe Sprachgebrauch kommt vor

bey einem ungenannten Juriſten

in Fragm. Vat. § 259. Es wa-

ren res mancipi geſchenkt und

nicht mancipirt worden, dieſe ſoll-

ten nicht uſucapirt werden. Wenn

nun die Erben des donator jene

Sachen vindicirten, und der Be-

ſchenkte die Exception aus der

Schenkung entgegenſetzte, ſo wurde

dieſe durch die replicatio L. Cin-

ciae entkräftet. Weil aber der

donator ohne Widerruf geſtorben

war, ſo wurde wieder jene Repli-

cation durch die doli duplicatio

beſeitigt, die hier ausdrücklich ge-

nannt iſt.

(f) Gajus IV. § 129. Eben

ſo Ulpian in L. 2 § 3 de exc.

(44. 1.).

|0207 : 193|

§. 229. Replicationen, Duplicationen.

erſt die folgenden Reden und Gegenreden mit Zahlen be-

zeichnet wurden. Dann war das erſte Stück die Repli-

catio, das zweyte die vom Beklagten ausgehende Dupli-

catio, und ſo fort. — Es war aber eben ſo natürlich,

und wohl noch natürlicher, nur die Klage allein als Grund-

lage des Prozeſſes vorauszuſetzen, und von da an alle

fernere Reden und Gegenreden mit Zahlen zu verſehen.

Dann war das erſte Stück die Exceptio, das zweyte

die Erwiederung des Klägers, die alſo eben ſowohl Re-

plicatio, als Duplicatio heißen konnte (g), das dritte

Stück die Erwiederung des Beklagten, die nun Triplicatio

heißen mußte, und ſo weiter. Dieſe abweichende Aus-

drucksweiſe iſt in unſren Rechtsquellen verdunkelt worden

durch das falſche Beſtreben der Abſchreiber, den allerdings

unzweifelhaften Sprachgebrauch der Inſtitutionen überall

durchzuführen. So iſt es in einer Stelle des Ulpian ge-

ſchehen, die in der Florentiniſchen Handſchrift ganz einfach

ſagt: Sed et contra replicationem solet dari triplicatio (h).

Eben ſo in einer Stelle des Julian (i).

(g) Die Namen duplicatio und

Triplicatio ſind von Zahlen her-

genommen, Replicatio nicht. Auch

darf die Verſchiedenheit des Sprach-

gebrauchs nicht auf die Exceptionen

ausgedehnt werden, als ob dieſe

jemals Replicationes genannt

worden wären.

(h) Hier lieſt nun die Vulgata:

Sed et contra replicationem

solet dari duplicatio et contra

duplicationem triplicatio, offen-

bar aus dem Beſtreben, den Wi-

derſpruch mit den Inſtitutionen zu

beſeitigen.

(i) L. 7 § 1. 2 de curat. fur.

(27. 10.). Hier ſtimmen die Flo-

rentina und die Vulgata darin

überein, auf die replicatio un-

mittelbar die triplicatio folgen

zu laſſen, ohne eine von beiden

verſchiedene duplicatio in die Mitte

zu ſtellen, ſo daß offenbar in dieſer

Stelle replicatio und duplicatio

V. 13

|0208 : 194|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Bei den Replicationen und Duplicationen ſind dieſelben

Misverſtändniſſe, ſowohl in den Begriffen ſelbſt, als in

den Kunſtausdrücken, denkbar, von welchen bey den Ex-

ceptionen ausführlich die Rede geweſen iſt. Jedoch ſind

dieſelben hier nicht ſo zur Sprache gekommen, welches der

ſeltneren Anwendung und der geringeren Erheblichkeit die-

ſer Rechtsinſtitute zuzuſchreiben iſt.

 

Nicht zu verwechſeln damit iſt eine andere Verſchie-

denheit des Sprachgebrauchs, die nun noch, in Beziehung

ſowohl auf die Exceptionen, als auf die Replicationen

u. ſ. w., erwähnt werden muß. Schon bey den Klagen iſt

bemerkt worden, daß dieſelben von zwey verſchiedenen Sei-

ten aufgefaßt werden können: der formellen, die dem Pro-

zeß, und der materiellen, die dem Syſtem des materiellen

Rechts angehört (§ 205). Beide Beziehungen werden in

unſrem heutigen Recht unter dem Namen des Klaglibells

und des Klagrechts anerkannt, welches letzte allein zu

unſrer gegenwärtigen Aufgabe gehört. — Völlig derſelbe

Gegenſatz nun findet ſich bey den Exceptionen, Replica-

tionen u. ſ. w., ſo daß wir alſo auch die Exceptionsſchrift,

und die Exception als Recht des Beklagten, zu unterſchei-

den haben. Da aber die Vertheidigungen des Beklagten

ſehr mannichfaltig ſind (§ 225), und nicht für jede derſelben

eine beſondere Prozeßhandlung zugelaſſen werden kann, ſo

 

als identiſch gedacht, der erſte Name

aber allein gebraucht wird. Es iſt

auch Alles deutlich, wenn nur an-

ſtatt: Sed an replicatio mit der

Vulgata geleſen wird: Sed an

triplicatio. — Sehr gut handelt

von dieſer Stelle Keller S. 335

—341.

|0209 : 195|

§. 229. Replicationen, Duplicationen.

verſteht es ſich von ſelbſt, daß ſie alle in Einer Prozeß-

ſchrift zuſammengefaßt werden, welche von demjenigen

Theil ihres Inhalts, der die individuellſte Natur hat, den

Namen Exceptionsſchrift erhält. Wenn ich nun zu-

gebe, daß in unſrer heutigen Exceptionsſchrift auch die

Einwendung der Zahlung an ihrer richtigen Stelle iſt, ſo

liegt darin nicht etwa eine inconſequente Rückkehr zu der

oben bekämpften Meynung über den Begriff der Exceptio-

nen. Auch diejenige Exceptionsſchrift würde für völlig

genügend angeſehen werden müſſen, welche ſich auf die

wenigen Worte beſchränkte: Alles, was der Kläger vor-

bringt, iſt nicht wahr. Und doch wird eine ſolche einfache

und abſolute Verneinung von Keinem für eine Exception

ausgegeben. Exceptionsſchrift heißt alſo in der Sprache

des heutigen Prozeſſes nicht etwa eine Schrift, deren In-

halt in Exceptionen beſteht, ſondern: eine Schrift, in wel-

cher die Exceptionen, wenn gerade ſolche vorhanden

ſind, ihre richtige, angemeſſene Stelle finden.

Genau ſo verhält es ſich in unſrem heutigen Prozeß

auch mit den Benennungen Replik, Duplik u. ſ. w.

Dieſe bezeichnen beſtimmte Punkte in der ganzen Reihe

der Prozeßhandlungen, und es ſind dieſe Namen darum

gewählt worden, weil die wahren Replicationen und Du-

plicationen, wenn etwa ſolche vorhanden ſind, in jenen

Schriften vorgebracht werden. Man bedient ſich alſo die-

ſer kurzen und anſchaulichen Ausdrücke, anſtatt daß man

ſonſt umſtändliche und abſtractere gebrauchen müßte. Was

 

13*

|0210 : 196|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

nun oben über die Seltenheit ächter Duplicationen und

Triplicationen geſagt worden iſt, kann auf die Prozeß-

ſchriften dieſes Namens nicht bezogen werden. Vielmehr

gehört im gemeinen Prozeß die Duplik zum Weſen eines

vollſtändigen erſten Verfahrens; Tripliken und Quadru-

pliken, ja ſelbſt Quintupliken und Sextupliken können aber

vorkommen, ſo oft das Bedürfniß oder die Laune der

Parteyen dazu führt, und der Richter ſie zu geſtatten

gut findet.

Obgleich nun alſo dieſe Ausdrücke unſres heutigen

Prozeſſes mit den oben erörterten Meynungen über den

Begriff der Exceptionen keinen innern und weſentlichen

Zuſammenhang haben, ſo kann doch nicht verkannt wer-

den, daß die Misverſtändniſſe über den Begriff der Ex-

ceptionen durch jene dem Prozeß angehörende Kunſtaus-

drücke ſehr befördert worden ſind.

 

§. 230.

Aufhebung des Klagrechts. Überſicht. I. Tod.

Das Klagrecht, als eine eigenthümliche Art von Rech-

ten, kann unter den Perſonen, unter welchen es urſprüng-

lich beſtand, auf verſchiedene Weiſe aufgehoben werden.

Es kann nämlich erſtens auf andere Perſonen übergehen,

alſo in dieſen fortdauern; zweytens kann es gänzlich un-

tergehen.

 

Die Fortdauer in anderen Perſonen kann bewirkt wer-

den erſtlich durch Ceſſion, zweytens durch den Tod. — Die

 

|0211 : 197|

§. 230. Aufhebung des Klagrechts. Tod.

Ceſſion gehört, ihrem juriſtiſchen Weſen nach, recht eigent-

lich der Lehre von den Klagen an, indem ſie ſich auf

Rechte der verſchiedenſten Art beziehen kann, und in die-

ſen überall die Klagbarkeit als ſolche zum Gegenſtand hat.

Faßt man ſie jedoch von ihrer praktiſchen Seite auf, näm-

lich nach dem überwiegenden Werth, den ſie für das wirk-

liche Leben hat, ſo gehört ſie vorzugsweiſe dem Obliga-

tionenrecht an, und kann nur in Verbindung mit demſelben

vollſtändig verſtanden werden. — Der Tod iſt nicht immer ein

Grund des Übergangs eines Klagrechts auf andere Per-

ſonen, indem durch ihn das Klagrecht in vielen Fällen

vielmehr ganz untergeht.

Der Untergang der Klagrechte kommt in folgenden Ab-

ſtufungen vor:

 

1) Indem das Recht ſelbſt vernichtet wird, welches der

Klage zum Grunde liegt, und durch ſie verfolgt werden konnte.

 

Beyſpiele: wenn das Thier zufällig ſtirbt, welches

bisher vindicirt werden konnte; wenn die Schuld, auf

welche bisher geklagt werden konnte, bezahlt wird, da

durch die Zahlung die Obligation ſelbſt vernichtet wird.

 

2) Indem der Anſpruch des Klägers, zu deſſen Schutz

das Klagrecht diente, auf andere Weiſe Befriedigung erhält.

 

Beyſpiel: Wenn die Sache, welche bisher vindicirt

oder condicirt werden konnte, durch Zufall in den Beſitz

des Eigenthümers zurück kehrt (a).

 

3) Indem, ohne Befriedigung des Klägers, die Verletzung

 

(a) L. 54 § 3 de furtis (47.2.).

|0212 : 198|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

aufhört, wodurch ein Anderer bisher in die Stellung eines

Beklagten kam.

Beyſpiel: Wenn der Beſitzer einer fremden Sache, die

bisher gegen ihn vindicirt werden konnte, den Beſitz der-

ſelben verliert.

 

4) Indem nur allein die Klagbarkeit aufhört, ohne daß

in dem Recht ſelbſt oder in der Verletzung irgend eine

Veränderung wahrzunehmen iſt.

 

Dahin gehört die Klagverjährung.

 

Alle dieſe Arten der Aufhebung beziehen ſich auf das

Klagrecht als ſolches, unter Vorausſetzung der bloßen

Verletzung, noch ohne hinzutretende Prozeßhandlungen

(§ 204), und von ſolchen allein kann an dieſer Stelle des

Werks die Rede ſeyn. Diejenigen Aufhebungen dagegen,

die erſt im Laufe des Rechtsſtreits eintreten können, z. B.

durch das Urtheil, werden weiter unten dargeſtellt werden.

 

Unter den hier berührten Aufhebungsarten des Klag-

rechts machen folgende eine beſondere Unterſuchung nöthig.

 

I. Der Tod.

II. Die Concurrenz der Klagen.

III. Die Klagverjährung.

I. Der Tod.

Von dem Tod des Klagberechtigten oder des Beklag-

ten iſt ſo eben bemerkt worden, daß er in manchen Fällen

den Übergang des Klagrechts auf andere Perſonen, in an-

deren die Vernichtung des bisher beſtehenden Klagrechts

 

|0213 : 199|

§. 230. Aufhebung des Klagrechts. Tod.

bewirkt. Es ſoll alſo nunmehr beſtimmt werden, unter

welchen Bedingungen der eine oder der andere Erfolg ein-

tritt. — Die Vererblichkeit der Klagen muß aber beſon-

ders unterſucht werden von Seiten des Klägers, und

von Seiten des Beklagten.

Von Seiten des Klägers (alſo activ) vererblich ſind

die allermeiſten Klagen, ſo daß die nicht vererblichen als

ſeltene Ausnahmen angeſehen werden können.

 

Nicht vererblich ſind die Klagen aus Familienverhält-

niſſen, weil dieſe Rechtsverhältniſſe ſelbſt ganz individuel-

ler Natur ſind, ſo daß mit dem Tode des Klagberechtigten

das Recht ſelbſt, welches durch die Klage bisher verfolgt

werden konnte, gänzlich aufhört. — Dieſes gilt jedoch

nur von den natürlichen Familienverhältniſſen, der Ehe,

väterlichen Gewalt, Verwandtſchaft. Denn bey manchen

künſtlichen, welche mit dem Eigenthum in Verbindung ſte-

hen, geht das Recht ſelbſt auf den Erben über, und dann

hat auch die Vererbung der Klage kein Bedenken (a¹).

 

Unvererblich ſind ferner die meiſten unter denjenigen

Rechten, welche oben als anomaliſche Rechte in Beziehung

auf die Rechtsfähigkeit ausführlich dargeſtellt worden

ſind (b). Denn da die Grundlage derſelben nicht in einem

Vermögensrecht, ſondern in einem ganz individuellen Ver-

hältniß beſteht, ſo kann das Recht ſelbſt, mithin auch die

zu deſſen Schutz eingeführte Klage, nicht auf die Erben

 

(a¹) Vgl. oben B. 1 § 57 S. 385.

(b) B. 2 § 71 — 74.

|0214 : 200|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

übergehen. Dahin gehört alſo namentlich die Injurien-

klage, deren Weſen in der Vindicta, das heißt in einem,

der beleidigten Perſon ausſchließend übertragenen Straf-

amt beſteht, wobey die Geldſtrafe blos als das zufällig

gewählte Strafmittel erſcheint, durch welches der Cha-

racter der Klage nicht beſtimmt werden kann (c). — Aber

eine ganz ähnliche Natur haben einige Klagen, welche

(vielleicht nur zufällig) nicht in der Reihe jener anomali-

ſchen Rechte aufgeführt werden. Dahin gehört: A) Die

actio in factum de calumnia. Wenn Geld oder Geldes-

werth gegeben wird, damit ein ungerechter Rechtsſtreit

geführt werde, oder unterbleibe, ſo kann der Gefährdete

von Dem, welcher dieſen unedlen Gewinn gemacht hatte,

die vierfache Summe als Strafe fordern. Dieſes iſt reine

Vindicta, und der Erbe des Gefährdeten hat darauf keinen

Anſpruch; wenn aber Dieſer ſelbſt das Geld gegeben

hatte, um ſich von dem Rechtsſtreit loszukaufen, ſo kann

auch der Erbe die gegebene Summe mit einer Condiction

zurück fordern, welche alſo von jener auf Vindicta gerich-

teten Klage völlig verſchieden iſt (d). — B) Wird Jemand

an der rechtmäßigen Beerdigung eines Todten mit Gewalt

verhindert, ſo hat er eine Klage auf das Intereſſe, die

aber nicht auf ſeinen Erben übergeht. Gajus, der dieſe

Regel als eine unzweifelhaft angenommene anführt, findet

ſie ſeltſam, weil ja doch die Klage auf eine bloße Geld-

(c) B. 2 § 73.

(d) L. 4 de calumniat. (3. 6.).

|0215 : 201|

§. 230. Aufhebung des Klagrechts. Tod.

entſchädigung gehe (e). Allein die Entſchädigung für das

anderwärts angekaufte Grabmal, die allerdings hier be-

achtet werden ſoll, iſt doch nur ein Stück (und wohl

nur ein untergeordnetes) des durch dieſe Klage verfolgten

Intereſſe (f). Die Hauptſache iſt die dem Andenken des

Verſtorbenen zugefügte Schmach (g), und daher geht in

der That dieſe Klage, eben ſo wie die eigentliche Inju-

rienklage, ihrem Hauptinhalt nach auf Vindicta (h). Die-

ſes wird noch beſtätigt durch eine ganz ähnliche Klage,

wobey dieſes Alles nur viel deutlicher geſagt iſt, die actio

sepulchri violati (i), und die auch ſchon oben unter den

anomaliſchen, auf Vindicta gerichteten, Rechten mit auf-

(e) L. 9 de relig. (11. 7.).

„Unde miror, quare constare

videatur, neque heredi neque

in heredem dandam actionem”..

Alſo das constare videri räumt

er ein.

(f) L. 9 de relig. (11. 7.).

„… per quam consequitur

actor, quanti ejus interfuerit,

prohibitum non esse: in quam

computationem cadit loci empti

pretium, aut conducti merces”

… Es iſt alſo in der Klage ent-

halten, aber keinesweges der ein-

zige oder auch nur wichtigſte Theil

ihres Inhalts.

(g) L. 6 C. de sepulchro viol.

(9. 19.). „Cum sit injustum …

injuriam fieri reliquiis defun-

ctorum ab his, qui debitorem

sibi esse mortuum dicendo …

sepulturam ejus impediunt: ne

in posterum eadem injuria pro-

cederet” …

(h) Vgl. mehrere der bey Glück

B. 11 S. 452 angeführten Schrift-

ſteller, und Kierulff Theorie I.

228.

(i) L. 3 § 8 de sepulchro viol.

(47. 12.). „Qui de sepulchri

violati actione judicant, aesti-

mabunt, quatenus intersit: sci-

licet ex injuria quae facta est

.. vel ex damno quod conti-

git” … Es iſt offenbar nur zu-

fällig, daß hier als Beſtandtheil

des zu beachtenden Intereſſe ſo-

wohl die Beleidigung, als der

Geldverluſt, angegeben wird, bey

jener Klage dagegen nur der letzte

(Note f). In der Sache ſelbſt

iſt zwiſchen beiden Klagen kein Un-

terſchied.

|0216 : 202|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

geführt worden iſt (§ 73). — C) Die Klage auf den Wi-

derruf einer Schenkung wegen Undankbarkeit ſoll gleich-

falls nicht auf die Erben des Gebers übergehen (§ 169. b.).

Auch dieſes läßt ſich auf den Begriff der Vindicta zurück

führen, wozu der eingeklagte Vermögenswerth nur als

Mittel gebraucht werden ſoll (k). — D) Eben ſo die (im

Juſtinianiſchen Recht verſchwundene) morum coercitio,

das heißt die actio de moribus und die retentio propter

mores im Fall der Sittenloſigkeit eines Ehegatten (l). Daß

dieſe Rechtsmittel auf reine Vindicta gehen, iſt unverkennbar.

Mit Unrecht zählt Gajus unter die poſitiven Ausnah-

men von der Vererblichkeit der Klagrechte, die dem Adſti-

pulator zuſtehende Klage (m). Denn da er ſelbſt ſagt,

daß das Verhältniß des Glaubigers zum Adſtipulator ſtets

auf einem Mandat beruhe (n), das Mandat aber niemals

auf die Erben des Bevollmächtigten übergeht, ſo folgt von

ſelbſt, daß die Erben des Adſtipulators den nur ihm ſelbſt

ertheilten Auftrag nicht durch Anſtellung der Stipulations-

klage beſorgen können, weshalb dieſer Fall der Unvererb-

lichkeit als eine beſondere Ausnahme von der Regel nicht

anzuſehen iſt.

 

Von Seiten des Beklagten iſt die Zahl der unver-

erblichen Klagen bedeutender als von Seiten des Klägers.

 

Die perſönlichen Klagen aus Contracten und Quaſi-

 

(k) Vgl. Kierulff Theorie I.

228.

(l) L. 15 § 1 sol. matr. (24. 3.).

(m) Gajus III. § 114, IV.

§ 113.

(n) Gajus III. § 111. 216.

|0217 : 203|

§. 230. Aufhebung des Klagrechts. Tod.

contracten ſind vererblich. — Die zweyſeitigen Strafkla-

gen ſind durchaus unvererblich. Die einſeitigen und ge-

miſchten Strafklagen ſind nur inſoweit vererblich, als der

Erbe außerdem durch das Delict bereichert bleiben würde

(§ 211.).

Die in rem actiones ſind von Seiten des Beklagten

nicht vererblich. Die Klagen aus Eigenthum, jus in re,

oder Erbrecht ſind es größtentheils deswegen nicht, weil

in der Perſon des Beklagten ein wirklicher, gegenwärtiger

Beſitz vorausgeſetzt wird, der Beſitz aber durch die bloße

Erwerbung eines Erbrechts nicht übergeht (o). Wenn alſo

der Erbe des Beſitzers nicht zufällig den Beſitz derſelben

Sache erworben hat, ſo geht gegen ihn die Klage gar

nicht; hat er aber den Beſitz erworben, ſo wird er nicht

als Erbe Beklagter, ſondern wegen ſeines eigenen Beſitz-

verhältniſſes. Nur wenn der Erblaſſer den Beſitz in un-

redlicher Abſicht aufgegeben hatte, wird die Klage ſo wie

eine einſeitige Strafklage gegen den Erben angeſtellt; hier

aber trägt ſie auch nur die Form und den Namen einer

in rem actio an ſich, in der That iſt ſie nun eine per-

ſönliche Klage aus einem Delict (p). — Die confeſſoriſche

und negatoriſche Klage ſetzen zwar nicht Beſitz in der

Perſon des Beklagten voraus, aber doch irgend eine Ver-

anlaſſung, die als Verletzung betrachtet werden kann, und

 

(o) Savigny Recht des Be-

ſitzes § 28.

(p) Dieſe Sätze ſind anerkannt

in L. 52. 55. 42 de rei vind.

(6. 1.).

|0218 : 204|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

auch von dieſer Veranlaſſung läßt ſich nicht annehmen,

daß ſie auf den Erben als ſolchen übergehe.

Die Klagen aus Familienverhältniſſen gehen auf den

Erben des Beklagten eben ſo wenig, als auf den Erben

des Klägers, über, weil das Rechtsverhältniß ſelbſt, zu

deſſen Schutz ſie dienen, mit dem Vermögen, alſo auch

mit deſſen Übergang auf Erben, keine Berührung haben.

 

Die aufgeſtellten Regeln werden großentheils modificirt,

ſobald zu dem Klagrecht die Litisconteſtation hinzutritt;

davon wird im folgenden Bande die Rede ſeyn.

 

Die ſo eben für die Klagen beantwortete Frage nach

der Vererblichkeit kann auch für die Exceptionen aufgewor-

fen werden, und ſie iſt ſchon oben bey den exc. personae

cohaerentes berührt worden (§ 227.). Auch hier bildet

die Vererblichkeit die vorherrſchende Regel, die Ausnahmen

aber laſſen ſich nicht ſo wie bey den Klagen auf allge-

meinere Regeln zurückführen.

 

§. 231.

Aufhebung des Klagrechts. II. Concurrenz. Einleitung.

Terminologie.

Donellus Lib. 21 Cap. 3.

Thibaut Concurrenz der Klagen. (Civiliſt. Abhand-

lungen 1814. Num. IX.)

|0219 : 205|

§. 231. Concurrenz der Klagen.

G. J. Ribbentrop zur Lehre von den Correal-Obli-

gationen Göttingen 1831. 8. (Gehört nur theilweiſe

und indirect hierher, iſt aber für die richtige Behand-

lung dieſer Lehre von großer Wichtigkeit).

Göſchen Vorleſungen I. § 156 — 159.

In der Lehre von der Concurrenz der Klagen weichen

neuere Schriftſteller von einander oft ſo ſehr ab, daß man

kaum glauben ſollte, es werde ein und derſelbe Gegenſtand

von ihnen behandelt. Die Verſchiedenheit betrifft hier nicht

blos, wie in den meiſten anderen Lehren, die Reſultate

der Unterſuchung, alſo die Löſung der Aufgabe, ſondern

den Sinn und Umfang der Aufgabe ſelbſt.

 

Die hier vorliegende Frage läßt ſich im Allgemeinen

ſo ausdrücken: Inwiefern kann die Coexiſtenz mehrerer

Klagen auf die Wirkſamkeit jeder einzelnen unter denſel-

ben Einfluß haben? Auf den erſten Blick iſt es einleuch-

tend, daß ein ſolcher Einfluß nur denkbar iſt unter Vor-

ausſetzung eines ſolchen Zuſammenhangs jener Klagen,

wodurch ſie ganz oder theilweiſe identiſch werden. Es

fragt ſich aber, was als eine Identität zu betrachten ſey,

woraus jener Einfluß hervorgehen könne. Hier bieten ſich

folgende Beziehungen mehrerer Klagen dar, die als Gründe

einer ſolchen einflußreichen Identität angeſehen werden könn-

ten: der gemeinſchaftliche Entſtehungsgrund der Klagen;

die durch den gemeinſamen Namen bezeichnete gleichartige

Natur derſelben; die gleichen Perſonen, unter welchen ſie

 

|0220 : 206|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Statt finden; der gemeinſchaftliche Gegenſtand. Als Ge-

genſatz würde ſich ergeben, daß bey Verſchiedenheit des

Entſtehungsgrundes, des Namens der Klagen, der Per-

ſonen, oder des Gegenſtandes, keine Identität unter dieſen

Klagen, alſo auch kein Einfluß der einen auf die Wirk-

ſamkeit der andern, anzunehmen wäre. Die Prüfung die-

ſer möglichen Beziehungen wird nun ergeben, daß die drey

erſten in der That ohne Einfluß ſind, aller Einfluß alſo

lediglich der letzten Beziehung, dem gemeinſamen Gegen-

ſtand der Klagen, zuzuſchreiben iſt.

I. Gleichheit oder Ungleichheit des Entſtehungsgrundes

mehrerer Klagen iſt für jenen Zweck gleichgültig (a).

 

Die Beleidigung einer Ehefrau enthält in einer und

derſelben Thatſache zwey juriſtiſche Beziehungen, eine In-

jurie gegen die Frau, und eine Injurie gegen den Ehe-

mann. Keine dieſer beiden Injurienklagen wird durch die

andere in ihrer Wirkſamkeit beſchränkt. — Derſelbe Dieb-

ſtahl erzeugt eine Condiction und die pönale furti actio;

beide beſtehen ungeſtört neben einander (b).

 

(a) Zuweilen iſt die Gleichheit

des Entſtehungsgrundes ſogar blos

ſcheinbar, nicht wirklich vorhanden.

Wenn ein gemiethetes Pferd von

dem Miether getödtet wird, ſo ent-

ſteht nur die a. L. Aquiliae aus

der Tödtung, die locati actio

entſteht aus dem früher geſchloſ-

ſenen Miethcontract; in Beziehung

auf ſie iſt die Tödtung nicht Ent-

ſtehungsgrund, ſondern eine That-

ſache, die den Miether von der

Verpflichtung zur Rückgabe nur

nicht befreyt.

(b) Auf dieſen Fall, derſelben

materiellen Thatſache mit verſchie-

denen juriſtiſchen Beziehungen, geht

L. 1 § 22 de tutelae (27. 3.)

„ut quis dicat plures esse ac-

tiones ejusdem facti.” (Dieſe

Worte ſollen nur eine mögliche,

von dem Verfaſſer misbilligte, An-

ſicht der Sache ausdrücken.). —

Ferner: L. 9 C. de accus. (9.2).

|0221 : 207|

§. 231. Concurrenz der Klagen.

Wenn umgekehrt ein Thier geſtohlen, und nachher von

dem Diebe getödtet wird, ſo haben die Klagen aus dieſen

beiden Delicten völlig verſchiedene Entſtehungsgründe (c);

ſoweit ſie aber auf Entſchädigung gehen, wird dennoch

eine durch die andere abſorbirt (d).

 

II. Eben ſo iſt es für jenen Zweck gleichgültig, ob die

neben einander beſtehenden Klagen gleichnamige oder un-

gleichnamige ſind.

 

In dem ſchon angeführten Fall der Beleidigung einer

Ehefrau heißt die Klage des Mannes und die der Frau

actio injuriarum, dennoch ſind beide von einander ganz

unabhängig.

 

Umgekehrt hat der Beſtohlene gegen den Dieb ſowohl

 

„Si ex eodem facto plura cri-

mina nascuntur, et de uno

crimine in accusationem fuerit

deductus, de altero non pro-

hibetur ab alio deferri.” Der

Sinn dieſer letzten Stelle tritt be-

ſonders klar hervor durch den Ge-

genſatz der L. 14 de accus.

(48. 2.). „Senatus censuit, ne

quis ob idem crimen pluribus

legibus reus fieret.” Hier iſt

die Rede von Einer materiellen

Handlung, die auch nur eine ein-

zige juriſtiſche Beziehung hat, wo-

für aber zu verſchiedenen Zeiten

verſchiedene Strafgeſetze erlaſſen

worden ſind; hier wird dem neue-

ſten Strafgeſetz die ſehr natürliche

Abſicht zugeſchrieben, eine neue

Strafe an der Stelle der früheren

einzuführen, nicht als Zuſatz zu

derſelben.

(c) Auf dieſen Fall, worin ſelbſt

ganz verſchiedene materielle That-

ſachen zum Grunde liegen, gehen

die Ausdrücke folgender Stellen.

L. 76 § 1 in f. de furtis (47. 2).

„.. quia ex diversis factis te-

nentur.” L. 32 § 1 ad L. Aqu.

(9. 2.). „.. duo enim sunt de-

licta.” L. 48 eod. „.. quia al-

terius et alterius facti hae res

sunt.”

(d) L. 2 § 3 de priv. delictis

(47. 1.). Nach der condictio

furtiva ſoll die a. L. Aquiliae

nur noch fortdauern wegen ihrer

möglichen höheren Schätzung; wor-

aus alſo folgt: 1) daß ſie auf den

einfachen Werth nicht mehr ange-

ſtellt werden kann, 2) daß umge-

kehrt, wenn die a. L. Aquiliae zu-

erſt angeſtellt wird, die Condiction

ganz wegfällt.

|0222 : 208|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

die Vindication, als die Condiction; aber obgleich dieſes

verſchiedenartige Klagen ſind, wird dennoch eine durch die

andere abſorbirt (e).

III. Die Gleichheit oder Ungleichheit der in mehreren

Klagen vorkommenden Perſonen iſt an ſich ſelbſt ohne

Einfluß.

 

Wenn dieſelben Perſonen einmal ein Darlehen, dann

wieder einen Kauf, endlich einen Miethcontract unter ſich

abſchließen, ſo beſtehen unter ihnen drey Contractsklagen

ohne allen Einfluß der einen auf die anderen.

 

Wenn umgekehrt Zwey gemeinſchaftlich einen Dritten

betrügen, ſo hat Dieſer gegen Jeden derſelben eine Ent-

ſchädigungsklage auf den ganzen Verluſt; aber eine dieſer

Klagen abſorbirt die andere, obgleich die Beklagten ver-

ſchiedene Perſonen ſind.

 

Indeſſen verdient doch die Verſchiedenheit der Perſonen,

ſo gleichgültig ſie für ſich allein iſt, eine beſondere Auf-

merkſamkeit, da wo ſie mit der wahren Identität der Kla-

gen zuſammentrifft, und unter dieſem Geſichtspunkt wird

ſie unten noch näher erwogen werden.

 

IV. Es bleibt alſo übrig, als das allein entſcheidende

Moment, der für mehrere Klagen gemeinſchaftliche juri-

ſtiſche Gegenſtand oder Zweck (f). Dieſer allein bildet

 

(e) Alſo iſt hier der Umſtand

ohne Einfluß, daß es diversum

genus actionis, oder aliud ge-

nus judicii iſt, wie es in L. 5

und L. 7 § 4 de exc. rei jud.

(44. 2.) bey einer anderen Veran-

laſſung genannt wird.

(f) Es iſt demnach hier nicht

die Rede von dem materiellen

Gegenſtand. Auf daſſelbe Haus

oder Pferd können Anſprüche und

Klagen ſo verſchiedener Art vor-

|0223 : 209|

§. 231. Concurrenz der Klagen.

eine ſolche Identität, wodurch die eine Klage auf die an-

dere Einfluß erhält. Der höchſt einfache Grundſatz, der

hier zur Anwendung kommt, läßt ſich in folgende For-

mel faſſen:

Das, was Jemand durch eine Klage bereits erhalten

hat, kann er nicht noch einmal mit einer andern

Klage fordern.

So einfach aber, und ſo gewiß, wie dieſer Grundſatz

hier lautet, war er bey den Römern nicht, und beſonders

nicht zu allen Zeiten. Erſtlich kann es in vielen Fällen

zweifelhaft ſeyn, ob der Gegenſtand beider Klagen auch

wirklich derſelbe iſt. Zweytens kam im älteren Römi-

ſchen Prozeß die Lehre von der Prozeßconſumtion in Be-

tracht, woraus die alte exceptio rei in judicium deductae

und rei judicatae entſprang, und welche in die Concurrenz

der Klagen mit hinein ſpielte. Durch dieſe zwey Umſtände

entſtanden unter den alten Juriſten ſelbſt große Contro-

verſen (g). Die Compilatoren giengen darauf aus, die

Spuren der untergegangenen Prozeßconſumtion, ſo wie

 

handen ſeyn, daß dieſe Klagen gar

keine Berührung mit einander ha-

ben. Wenn aber mehrere Klagen

die Entſchädigung, für denſelben

Verluſt, oder die Wiedererlangung

deſſelben Beſitzes, bezwecken, ſo ha-

ben ſie den juriſtiſchen Gegen-

ſtand mit einander gemein. Die-

ſer letzte wird in Stellen des R. R.

auf folgende Weiſe bezeichnet: § 1

J. de duob. reis (3. 16.) „in utra-

que tamen obligatione una res

vertitur.” L. 3 § 1 eod. (45. 2.)

„cum una sit obligatio, una et

summa est.”

(g) Eine unzweydeutige Spur

dieſer Controverſen, und der Art,

wie man ſich dagegen zu ſchützen

ſuchte, findet ſich in L. 18 § 3 de

pec. const. (13. 5.). „Vetus fuit

dubitatio … Et tutius est di-

cere” … Hierbey kam gerade die

Prozeßconſumtion in Betracht.

V. 14

|0224 : 210|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

jener Controverſen, ſo viel als möglich zu vertilgen, welches

ſie durch die Auswahl der aufzunehmenden Excerpte, auch

wohl durch manche Interpolationen, zu bewirken ſuchten.

So iſt es zu erklären, wenn daß in dieſer Lehre die Exegeſe

oft weniger reine und befriedigende Reſultate liefert, als

in den meiſten anderen Lehren.

Ehe aber der aufgeſtellte Grundſatz in ſeinen einzelnen

Anwendungen dargeſtellt wird, iſt es nöthig, die bey den

neueren Schriftſtellern gewöhnliche Auffaſſung dieſer Lehre,

nebſt der daraus entſprungenen Terminologie, zu erwäh-

nen, da dieſe Terminologie ſo allgemein verbreitet iſt, daß

ſie unwillkührlich in die folgende Darſtellung hinein getra-

gen und der Wirkung derſelben hinderlich werden würde,

wenn nicht dagegen ſchon hier vorgebaut wird.

 

Bey neueren Schriftſtellern finden ſich folgende zwey

Eintheilungen der Klagenconcurrenz als Grundlage dieſer

Lehre angegeben (h). Die Concurrenz iſt theils ſubjectiv

(unter denſelben Perſonen), theils objectiv (unter verſchie-

denen). Die objective iſt cumulativ, electiv, ſucceſſiv, je

nachdem alle Klagen nach und neben einander angeſtellt

werden können; oder nur eine von mehreren, ſo daß durch

ſie die übrigen ausgeſchloſſen werden; oder zwar alle, je-

doch nur in einer beſtimmten Reihenfolge. — Eine voll-

ſtaͤndige Darſtellung dieſer Lehre müßte demnach für

 

(h) Mühlenbruch I. § 140. Göſchen Vorleſungen I. S. 448

|0225 : 211|

§. 231. Concurrenz der Klagen.

jede dieſer Arten der Concurrenz beſondere Grundſätze

aufſtellen.

Die in dieſen Kunſtworten ausgedrückte Auffaſſung

kann ich aus folgenden Gründen nicht als richtig anneh-

men. Zuvörderſt muß ich die Haupteintheilung in ſub-

jective und objective Concurrenz ganz verwerfen. Es iſt

nämlich ſchon oben gezeigt worden, daß für den Einfluß

einer Klage auf eine andere der Umſtand, ob ſich dieſe

Klagen auf dieſelben oder auf verſchiedene Perſonen be-

ziehen, durchaus nicht entſcheidend iſt, daß unter denſelben

Perſonen ein Einfluß nicht vorhanden, unter verſchiedenen

dagegen ein ſolcher in der That vorhanden ſeyn kann.

Daher iſt dieſe, die Perſonen betreffende, Verſchiedenheit

zu einer Haupteintheilung der Concurrenz, als Grundlage

dieſer Lehre, durchaus nicht geeignet. Was über die Be-

ziehung der Concurrenz auf verſchiedene Perſonen zu ſagen

iſt, wird an ſeinem Orte eingeſchaltet werden. Man

könnte etwa ſagen: alle Concurrenz iſt ihrem Weſen nach

objectiv (in dem gemeinſchaftlichen Object gegründet), ſie

kann aber daneben zugleich ſubjectiv ſeyn; jedoch iſt es

beſſer, dieſe mehr verwirrenden als aufklärenden Ausdrücke

ganz zu vermeiden.

 

Mit der ſogenannten ſucceſſiven Concurrenz verhält es

ſich alſo. Manche Rechte ſtehen zu einander in einem

ſolchen Verhältniß, daß das eine durch das andere be-

dingt iſt, alſo die eine Klage zur Vorbereitung der ande-

ren dienen muß. So z. B. die actio ad exhibendum als

 

14*

|0226 : 212|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Vorbereitung der Vindication (i); die hereditatis petitio

vor der a. familiae herciscundae (k); die Vindication vor

der a. communi dividundo (l); die Vindication vor der

confessoria actio (m); die Klage gegen den Hauptſchuld-

ner vor der Klage gegen den Bürgen oder gegen den

Pfandbeſitzer (n). Ein ſolches Verhältniß mancher Kla-

gen zu einander kann ſehr verſchiedene Gründe haben, und

gemeinſame Regeln giebt es dafür nicht, da jeder Fall

dieſer Art eine individuelle Natur hat. Mit der hier ab-

gehandelten Klagenconcurrenz hat jenes Verhältniß gar kei-

nen innern Zuſammenhang, und die wahre Natur deſſelben

kann durch die Zuſammenſtellung mit der Concurrenz nur

verdunkelt werden.

Nach dieſer Abſonderung der ſubjectiven und ſucceſſi-

ven Concurrenz bleiben noch übrig die cumulative und die

elective. Aber auch dieſe beiden ſind nicht etwa als ſelbſt-

ſtändige Arten der Concurrenz anzuſehen, für deren jede

durch beſondere Regeln zu ſorgen wäre, ſondern die ganze

Frage geht eben nur darauf, ob mehrere gleichzeitig vor-

handene Klagen in einem ausſchließenden Verhältniß zu

einander ſtehen, oder nicht. Man kann dieſe Frage aller-

dings ſo ausdrücken: ſtehen zwey gegebene Klagen im Ver-

hältniß der electiven oder der cumulativen Concurrenz?

Um aber dieſen Ausdruck anzuwenden, muß man damit

 

(i) L. 23 § 5 de rei vind.

(6. 1.).

(k) L. 1 § 1 fam. herc.

(10. 2.).

(l) L. 18 de except. (44. 1.).

(m) L. 16 de except. (44. 1.).

(n) Wegen des ſogenannten be-

neficii excussionis.

|0227 : 213|

§. 231. Concurrenz der Klagen.

anfangen, den Begriff der Concurrenz ſo weit auszudeh-

nen, daß er mit dem der Coexiſtenz zuſammenfällt. Kla-

rer jedoch wird die Sache durch dieſen Ausdruck nicht,

vielmehr würde folgender Ausdruck durch Klarheit und

Einfachheit vorzuziehen ſeyn: ſtehen zwey gegebene Klagen

zu einander im Verhältniß der Concurrenz oder nicht?

Man würde wahrſcheinlich niemals auf jene Kunſtaus-

drücke gekommen ſeyn, wenn nicht viele Fälle vorkämen,

in welchen der bloße Schein einer Concurrenz vorhanden

iſt (o). Dieſe Fälle müſſen allerdings geprüft, und von

der Anwendung der für die Concurrenz geltenden Regeln

ausgeſchloſſen werden; allein es iſt nicht zu rechtfertigen,

wenn ſolche Fälle als eine beſondere Art der Concurrenz

dargeſtellt werden.

Endlich haben mehrere neuere Schriftſteller die wich-

tige Lehre von der Rechtskraft großentheils in Verbindung

 

(o) So z. B. die condictio

furtiva und die furti actio aus

demſelben Diebſtahl, die Injurien-

klagen des Ehemannes und der

Ehefrau, wenn die Frau beleidigt

iſt. Hätte man blos mit ſolchen

Fällen zu thun, wie wenn unter

denſelben Perſonen einmal ein Dar-

lehen, dann ein Kauf geſchloſſen

worden iſt, ſo würde man dabey

den Ausdruck Concurrenz ge-

wiß nicht angewendet haben, weil

nicht einmal der Schein eines in-

neren Zuſammenhanges beider Kla-

gen vorhanden iſt. In jenen Fäl-

len dagegen entſtand ein ſolcher

Schein daraus, daß beide Klagen

eine und dieſelbe Handlung zur

Grundlage hatten. Indem man

dieſe Fälle als cumulative Con-

currenz bezeichnete, wollte man da-

mit eigentlich ſagen: Klagen, de-

ren Concurrenz nur ſcheinbar, nicht

wirklich iſt, die alſo eben ſo unab-

hängig von einander ſind, als in

dem anderen Fall die Darlehens-

klage und die Kaufklage. Es iſt

aber nicht logiſch, den bloßen

Schein der Concurrenz (der aller-

dings erwogen und beſeitigt wer-

den muß) als eine eigene Art der-

ſelben zu bezeichnen.

|0228 : 214|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

mit der Klagenconcurrenz gebracht, weil nämlich die ex-

ceptio rei judicatae, ſo wie ſie im neueſten Römiſchen

Recht vorkommt, allerdings auch auf concurrirende Klagen

angewendet werden kann (p). Allein dieſe Anwendung iſt

doch nur eine Erweiterung derjenigen einfacheren Anwen-

dung, die bey der Wiederholung einer und derſelben Klage

vorkommt, und ſie kann nur in Verbindung mit dieſer rich-

tig verſtanden werden. Daher iſt es zweckmäßiger, hier

davon ganz zu ſchweigen, und die Wirkungen der Rechts-

kraft in ihrem wahren Zuſammenhang, als ein ungetrenn-

tes Ganze, darzuſtellen.

§. 232.

Aufhebung des Klagrechts. II. Concurrenz. Erſte Klaſſe

von Klagen. Vollſtändige Concurrenz.

Im § 231 wurde vorläufig folgender Grundſatz für

die Concurrenz der Klagen aufgeſtellt:

Das, was Jemand durch eine Klage bereits erhal-

ten hat, kann er nicht noch einmal mit einer andern

Klage fordern.

 

Dieſer Grundſatz iſt nun zuerſt an die oben (§ 230)

aufgeſtellten allgemeineren Regeln über die Aufhebung der

Klagrechte anzuknüpfen, dann aber in ſeinen mannichfalti-

gen Anwendungen darzuſtellen.

 

Es wurde oben die Regel aufgeſtellt, daß jedes Klag-

 

(p) So Thibaut in der am

Anfang dieſes §.angeführten Schrift.

Eben ſo Kierulff Theorie I. S.

241. fg.

|0229 : 215|

§. 232. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

recht aufhöre, wenn der Kläger auf andere Weiſe, als

durch dieſe Klage, ſeine Befriedigung erlange. Dieſes iſt

nun ſtets der Fall, wenn eine andere, concurrirende Klage

dieſe Befriedigung bereits bewirkt hat. — Zuweilen aber

wird durch den Erfolg der einen Klage das Daſeyn der

concurrirenden anderen Klage noch unmittelbarer zerſtört,

wenn nämlich jener Erfolg zugleich als Vernichtung des

Rechts ſelbſt gelten kann, welches der andern Klage zum

Grund liegt. Dieſer, im Weſen der Rechtsverhältniſſe

gegründete, für den praktiſchen Erfolg nicht fühlbare, Un-

terſchied wird weiter unten (§ 236) genauer erörtert werden.

Die Anwendung jenes Grundſatzes führt alſo darauf,

in jedem einzelnen Fall zu unterſuchen, ob der ſchon ein-

getretene Erfolg einer Klage mit dem geſuchten Erfolg

einer andern Klage identiſch iſt oder nicht. Im erſten

Fall iſt die zweyte Klage durch die erſte abſorbirt, im

zweyten Fall kann ſie noch immer mit vollem Erfolg an-

geſtellt werden. Nach dem bisher üblichen Sprachgebrauch

(§ 231) würde im erſten Fall eine elective, im zweyten

eine cumulative Concurrenz beider Klagen anzunehmen ſeyn.

Ich halte es für richtiger, den Unterſchied ſo auszudrücken,

daß eine Concurrenz beider Klagen im erſten Fall ange-

nommen, im zweyten verneint wird.

 

Nun liegen aber viele Fälle zwiſchen jenen beiden in

der Mitte, indem der Erfolg der noch übrigen Klage mit

dem der ſchon benutzten Klage theilweiſe identiſch ſeyn

kann. In dieſen Fällen wird in der noch übrigen Klage

 

|0230 : 216|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

der identiſche Theil abſorbirt ſeyn, der nicht identiſche wird

noch ferner verfolgt werden können.

Es ergeben ſich hieraus drey Klaſſen aller überhaupt

coexiſtirenden Klagen:

 

Erſte Klaſſe. Vollſtändige Concurrenz. Die zweyte

Klage iſt durch den Erfolg der erſten ganz abſorbirt.

(Nach dem üblichen Sprachgebrauch: Elective Concurrenz.)

Zweyte Klaſſe. Partielle Concurrenz. Die zweyte

Klage iſt durch den Erfolg der erſten zum Theil abſorbirt.

Dritte Klaſſe. Keine Concurrenz. Die zweyte Klage

kann noch nach der erſten vollſtändig benutzt werden. (Cu-

mulative Concurrenz.)

Erſte Klaſſe. Vollſtändige Concurrenz.

 

Die Regel, daß hier die zweyte Klage durch die erſte

ganz abſorbirt iſt, wird anerkannt in folgender Stelle des

Ulpian (a):

Quotiens concurrunt plures actiones ejusdem rei

nomine, una quis experiri debet.

 

Die Worte ejusdem rei nomine ſind an ſich zweydeu-

tig. Sie könnten heißen: mehrere Klagen aus derſelben

Thatſache, oder auch: auf denſelben Gegenſtand.

Nähme man ſie nun in der erſten Bedeutung, ſo wäre der

dadurch bedingte Satz offenbar unrichtig (§ 231), alſo

bleibt nur die zweyte Bedeutung als die allein mögliche

übrig. Dieſe wird nun auch unterſtützt durch den inneren

 

(a) L. 43 § 1 de R. J. (50. 17) aus Ulp. lib. 28 ad ed.

|0231 : 217|

§. 232. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

Zuſammenhang der ganzen Stelle, deren unmittelbar vor-

hergehende Worte ſo lauten: Nemo ex his, qui negant

se debere, prohibetur etiam alia defensione uti, nisi lex

impedit (b). Ulpian will hier augenſcheinlich auf einen

Unterſchied zwiſchen der Lage des Beklagten und des Klä-

gers aufmerkſam machen; Jener könne auch mehrere Ver-

theidigungsmittel zugleich (Verneinung und Exceptionen)

geltend machen; der Kläger dürfe unter mehreren, für

denſelben Zweck concurrirenden, Klagen nur Eine gebrau-

chen (c). Eine fernere Beſtätigung dieſer Erklärung liegt

in einer andern Stelle deſſelben Ulpian, worin mehrere

Klagen de eadem re für ſolche erklärt werden, die den-

ſelben Gegenſtand verfolgen (d).

Anwendungen dieſer Regel finden ſich in bedeutender

Anzahl, und zwar ſowohl bey Klagen unter denſelben,

als bey Klagen unter verſchiedenen Perſonen.

 

Unter denſelben Perſonen erſcheint dieſes Verhält-

 

(b) L. 43 pr. eod.

(c) Der hier von Ulpian be-

merkte Gegenſatz zwiſchen den

Rechtsmitteln des Beklagten und

des Klägers iſt inſofern mehr

ſcheinbar als wahr, daß auch der

Beklagte durch die verſchiedenſten

Vertheidigungsmittel ſeinen Zweck

(die Losſprechung) doch immer nur

einmal erreichen kann, eben ſo wie

der Kläger, welcher mehrere con-

currirende Klagen hat. Darin aber

iſt allerdings zwiſchen Beiden ein

praktiſcher Unterſchied, daß der

Kläger, wenn er mit einer der

concurrirenden Klagen abgewieſen

iſt, nicht mehr die andere gebrau-

chen kann, anſtatt daß der Beklagte

alle Vertheidigungen zugleich vor-

bringt, wobey es ihm nicht ſchadet,

wenn die meiſten als ungegründet

verworfen werden, und nur eine

als richtig anerkannt wird.

(d) L. 5 de exc. rei jud.

(44. 2.). „De eadem re agere

videtur, et qui non eadem ac-

tione agat … Recteque ita de-

finietur, eum demum de (eadem)

re non agere, qui prorsus rem

ipsam non persequitur” ….

|0232 : 218|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

niß beſonders in den vielen und mannichfaltigen Fällen,

worin eine Condiction (gewöhnlich die Condictio furtiva)

mit einer bonae fidei actio concurrirt, indem die beiden

Umſtände zuſammen treffen, daß Einer einen Contract un-

erfüllt gelaſſen, daneben aber ſich aus dem Vermögen des

Andern ohne Grund bereichert hat (e). In allen ſolchen

Fällen kann auf dieſe unrechtmäßige Bereicherung ſowohl

mit einer Condiction, als aus dem geſchloſſenen Contracte,

geklagt werden; iſt aber der Zweck durch die eine dieſer

Klagen erreicht, ſo iſt dadurch die andere abſorbirt. Dieſe

Concurrenz mit einer Condiction wird für folgende Con-

tractsklagen bemerkt, ſtets mit der Beſtimmung, daß nur

eine der concurrirenden Klagen wirklich gebraucht wer-

den könne:

1) Pro socio, mandati, negotiorum gestorum (f).

2) Locati (g).

3) Commodati (h).

Eben dahin aber gehören auch noch folgende Fälle der

Concurrenz:

 

4) Condictio furtiva mit der Vindication (i).

(e) Vgl. hierüber Beylage XIV.

Num. VI.

(f) L. 45. 47 pr. pro soc.

(17. 2.).

(g) L. 35 § 1 loc. (19. 2.), L.

34 § 2 de O. et A. (44. 7.).

(h) L. 34 § 1 de O. et A.

(44. 7.), L. 71 pr. de furtis.

In dieſer letzten Stelle iſt unter

furti actio die condictio furtiva

zu verſtehen (alſo furti condicti-

tia actio), in welcher Bedeutung

derſelbe Ausdruck auch in folgen-

den Stellen vorkommt: L. 14 § 16

de furtis (47. 2.), L. un. C.

quando civ. actio (9. 31.), Pau-

lus II. 31 § 34. Vgl. Cujacius

obs. XVII. 12, Donellus § 15.

(i) L. 9 § 1 de furtis (47. 2.).

|0233 : 219|

§. 232. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

5) Desgleichen mit der a. rationibus distrahendis (k).

6) Tutelae und rationibus distrahendis (l).

7) Communi dividundo und pro socio, wegen der

Früchte und Auslagen (m).

8) Doli und quod metus causa (n).

Es iſt aber zu bemerken, daß die hier erwähnten Fälle

der Concurrenz nicht immer zu dieſer erſten Klaſſe, ſon-

dern oft zu der zweyten gehören, ſo daß ihre Behandlung

ſtets von den zufälligen Umſtänden des einzelnen Falles

abhängt. Wenn nämlich der Gegenſtand beider Klagen

genau denſelben Umfang hat, ſo gehört dieſer Fall zur er-

ſten Klaſſe (o); eben ſo wenn die umfaſſendere Klage zu-

erſt mit Erfolg angeſtellt worden iſt (p). Wurde dagegen

die beſchränktere Klage zuerſt angeſtellt, ſo gehört der Fall

 

(k) L. 2 § 1 tutelae (27. 3.),

L. 55 § 1 in f. de administr.

(26. 7.).

(l) L. 1 § 21 tutelae (27. 3.).

Die Stelle geht allerdings in ih-

rem urſprünglichen Sinn auf die

Prozeßconſumtion, im Juſtiniani-

ſchen Recht muß ſie auf dieſelbe

Weiſe, wie die übrigen hier zuſam-

mengeſtellten Fälle der Concurrenz,

gedeutet werden, d. h. man muß

zu der Anſtellung der Klage auch

noch den Erfolg hinzu denken. Vgl.

über dieſe Stelle Ribbentrop

S. 56 — 58, ferner über das Ver-

hältniß der beiden genannten Kla-

gen zu einander, oben § 212, und

über die Behandlung der ange-

führten Stelle im neueſten Recht

unten § 235. g.

(m) L. 38 § 1 pro soc. (17. 2.).

(n) L. 14 § 13 quod metus

(4. 2.). Der Widerſpruch dieſer

Stelle mit L. 1 § 4 de dolo

(4. 3.), woran ſich Viele verſucht

haben, gehört nicht hierher.

(o) So z. B. wenn der Mie-

ther eines Pferdes daſſelbe geſtoh-

len hat, und aus dem Miethcon-

tract gerade nichts Anderes ſchul-

dig iſt, als den Erſatz für das

Pferd, worauf auch die condictio

furtiva geht.

(p) So wenn in dem in der

Note o. erwähnten Fall auch noch

Miethgeld rückſtändig iſt, und durch

die zuerſt angeſtellte actio locati

Erſatz und Miethgeld zugleich er-

langt wurde.

|0234 : 220|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

unter die zweyte Klaſſe, indem die noch übrige Klage auf

denjenigen Theil des Gegenſtandes angeſtellt werden kann,

welchen der Kläger durch die erſte Klage noch nicht er-

langt hat (q).

Reiner und entſchiedener in dieſer Hinſicht erſcheint

dieſe Concurrenz bey ſolchen Klagen, die unter ver-

ſchiedenen Perſonen beſtehen (r), indem hier die Ge-

genſtände der einzelnen Klagen meiſt völlig congruent ſind.

Dieſe Fälle erſcheinen in verſchiedenen Graden der Ver-

wandſchaft der Klagen unter einander, welche ſich in fol-

gender Abſtufung darſtellen laſſen (s):

 

A) Identität der Obligation, ſo daß wahrhaft eine

und dieſelbe Obligation mehrere Glaubiger oder Schuld-

ner zugleich umfaßt (t). Dieſe Identität konnte bey den

Römern auf dreyerley Weiſe, und nur auf dieſe, will-

kührlich hervorgebracht werden. Erſtlich bey einer von

Mehreren gemeinſchaftlich und für daſſelbe Object geſchloſ-

ſenen Stipulation (duo rei), wohin auch der Fall der

fidejussio gehört. Zweytens bey jedem anderen gemein-

ſchaftlichen Contract, wobey Jeder genau für Daſſelbe

 

(q) So wenn in dem vorigen

Fall (Note p.) zuerſt die condic-

tio furtiva auf den bloßen Erſatz

angeſtellt worden iſt. Die actio

locati kann noch immer auf das

Miethgeld angeſtellt werden, ſo

daß nun der Fall zu der zweyten

Klaſſe der Concurrenz gehört.

(r) Es ſind Dieſes alſo Fälle,

worin der Concurs, nach dem ge-

wöhnlichen Sprachgebrauch, ein

ſubjectiver iſt.

(s) Ribbentrop S. 83. 258,

in welcher Schrift dieſe Fälle über-

haupt auf ſehr befriedigende Weiſe

abgehandelt ſind.

(t) Ribbentrop S. 106. 110.

117. 170 — 178. 258. — In dieſen

Fällen hatten beide Klagen eine

und dieſelbe Intentio.

|0235 : 221|

§. 232. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

wie jeder Andere (alſo auch für die verletzenden Handlun-

gen dieſes Andern) ſich verpflichtet (u). Drittens durch

Teſtament. Für das heutige Recht verſchwindet der erſte

Fall, ſo daß alſo jetzt die Annahme eines ſolchen Rechts-

verhältniſſes ſtets von der Auslegung der Verträge ab-

hängt, anſtatt daß bey den Römern die wichtigſten Fälle

dieſer Art durch die hergebrachten Formen der Stipula-

tion völlig außer Zweifel geſetzt waren. — Dieſelbe Iden-

tität aber entſteht auch ohne eine hierauf gerichtete beſon-

dere Willkühr, in den Fällen der actio exercitoria, insti-

toria, de peculio, de in rem verso, quod jussu, indem

hier ſtets die Obligation des Unternehmers, des Vaters

u. ſ. w. mit der Obligation des Aufſehers oder des Sohnes

völlig identiſch iſt (v).

B) Bloße Solidarität (w). Wenn Mehrere gemein-

ſchaftlich ein Delict begehen, ſo macht ſich Jeder des gan-

zen, vollſtändigen Delicts ſchuldig. Jeder alſo iſt für ſich

ſelbſt Schuldner, und man kann nicht, wie bey den Cor-

reis, ſagen, daß eine und dieſelbe Obligation ſich auf

Mehrere beziehe. Da aber der erlittene Schade nur ein

einfaches Daſeyn hat, ſo iſt der Betrag der einzelnen

Schulden von gleicher Größe; und da durch den einmal

geleiſteten Erſatz das Daſeyn des Schadens vernichtet iſt,

ſo muß die von Einem geleiſtete Zahlung die Übrigen be-

 

(u) L. 9 de duobus reis

(45. 2.).

(v) Keller Litisconteſtation S.

420. fg.

(w) Ribbentrop S. 44. 56.

90. 121.

|0236 : 222|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

freyen (§ 211. c.). Daſſelbe Verhältniß findet ſich oft

zwiſchen Mitvormündern; ferner zwiſchen Mehreren, die

gemeinſchaftlich eine Sache als Commodat oder Depoſitum

empfangen haben, ohne ſich zu der unter A) erwähnten

vollſtändigen Identität der Leiſtung zu verpflichten (x).

C) Endlich giebt es noch einen Fall, worin nicht ein-

mal wahre Solidarität vorhanden iſt, und welcher daher

nur eine einſeitige und beſchränkte Concurrenz in ſich ſchließt.

Wenn nämlich Bürgſchaft in Form eines Mandats gelei-

ſtet wird, ſo erlangt dadurch der Glaubiger gleichfalls

zwey Schuldner, an welche er ſich halten kann. Klagt

er nun gegen den Hauptſchuldner, und erlangt von dieſem

Bezahlung, ſo wird der mandator frey, weil die Man-

datsklage kein Object mehr hat; dagegen befreyt die ge-

gen den mandator erzwungene Zahlung den Hauptſchuld-

ner nicht (y).

 

§. 233.

Aufhebung des Klagrechts. II. Concurrenz. Zweyte Klaſſe

von Klagen. Partielle Concurrenz.

Zweyte Klaſſe. Partielle Concurrenz. Hier kann

die zweyte Klage zwar noch angeſtellt werden, jedoch nur

entweder mit Abrechnung der ſchon erlangten Summe,

oder auch nach Rückgabe derſelben. Es läßt ſich Dieſes

 

(x) L. 1 § 43 depositi (16. 3.),

L. 9. 22 eod., L. 5 § 15 com-

mod. (13. 6.).

(y) L. 28 mandati (17. 1.).

Ribbentrop S. 84.

|0237 : 223|

§. 233. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

auf verſchiedene Weiſe denken; bald indem die zweyte

Klage manche Gegenſtände umfaßt, die in der erſten gar

nicht vorkommen konnten (§ 232. q.); bald indem ſie zu-

fällige Nebenvortheile mit ſich führt, z. B. durch eine be-

ſondere Art der Schätzung (a); bald indem ſie, als mixta

actio, auf Entſchädigung und Strafe zugleich geht, anſtatt

daß durch die erſte blos die Entſchädigung erlangt wur-

de (b). Schon oben aber iſt bemerkt worden, daß es bey

vielen Klagen von den zufälligen Umſtänden jedes einzel-

nen Falls abhängt, ob ihre Concurrenz unter die erſte

oder zweyte Klaſſe gehört (§ 232. o. p. q.).

Das Princip dieſer Klaſſe iſt in folgender Stelle des

Paulus ausgeſprochen, deren Sinn ganz unzweifelhaft iſt,

wenngleich ein Theil derſelben augenſcheinlich durch eine

falſche Leſeart verdunkelt wird (c):

Si ex eodem facto duae competant actiones, postea

judicis potius partes esse, ut quo plus sit in reliqua

actione, id actor ferat: si tantundem, aut minus, id

consequatur.

 

Schlöſſe die Stelle mit den hier curſiv gedruckten Wor-

 

(a) Vgl. unten Note i.

(b) Iſt eine Sache geraubt

worden, ſo kann zuerſt mit der

condictio furtiva die Entſchädi-

gung eingeklagt werden; dann iſt

noch immer die a. vi bonorum

raptorum übrig, (L. 2 § 26 vi

bon. rapt. 47. 8), aber freylich

nicht mehr auf Entſchädigung, ſon-

dern auf den dreyfachen Werth

als Strafe. — Eben ſo, wenn erſt

die Contractsklage, nachher die a.

L. Aquiliae angeſtellt wird, welche

letzte durch die Art der Schätzung

eine Strafe in ſich ſchließen kann.

Von dieſem Fall wird unten aus-

führlich gehandelt werden.

(c) L. 41 § 1 de O. et A.

(44. 7.) aus Paulus lib. 22 ad ed.

|0238 : 224|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

ten, ſo bliebe kein Zweifel über den Inhalt möglich; aus

dieſen Worten aber folgt zugleich der Inhalt der Schluß-

worte mit ſolcher Nothwendigkeit, daß eine Berichtigung

des Textes derſelben von jeher als unvermeidlich anerkannt,

und ſelbſt von Denjenigen gebilligt worden iſt, welche

außerdem die größte Abneigung gegen Emendationen haben.

Die dem Sinne nach einfachſte Veränderung beſteht darin,

daß anſtatt id consequatur geleſen wird nihil (oder nil)

consequatur (d). Näher an den handſchriftlichen Text

ſchließt ſich dieſe Verbeſſerung an: id non sequatur (e).

Der Erfolg beider Verbeſſerungen iſt völlig derſelbe. —

Daß nun Paulus gerade den hier aufgeſtellten Grundſatz

ausdrücken will, iſt ganz unverkennbar. Das Weſen deſ-

ſelben führt aber darauf, als Bedingung das (ganz oder

theilweiſe) gemeinſchaftliche Object der beiden Klagen

anzuſehen, da nur unter dieſer Vorausſetzung conſequen-

terweiſe von einem plus oder minus oder tantundem die

Rede ſeyn kann. Paulus jedoch drückt als Bedingung

nicht das gemeinſame Object aus, ſondern den gemeinſa-

men Entſtehungsgrund (ex eodem facto), der zwar häufig

auch vorhanden, aber doch ganz unentſcheidend iſt (§. 231).

Dieſer unrichtige Geſichtspunkt, unter welchen er den

Grundſatz brachte, hatte die üble Folge, daß er ihn nicht

(d) Cujacius observ. III. 25.

(e) Pagenstecher admonito-

ria ad Pand. P. 6 § 289. Es

wird dann nur ein einziger Buch-

ſtab verändert. Man kann aber

auch noch eine Art von Gemina-

tion damit verbinden, und leſen:

id non consequatur, wodurch

der Ausdruck der Stelle unge-

zwungner wird.

|0239 : 225|

§. 233. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

blos bey den hier angegebenen Klagen anwendete, wohin

er in der That gehört, ſondern auch bey verſchiedenen

Strafklagen aus demſelben Delict, wohin er nicht gehört.

Von dieſem Irrthum wird noch unten an ſeinem Orte die

Rede ſeyn (§ 234.). Die Wurzel deſſelben aber mußte

gleich hier nachgewieſen werden.

Sichere Anwendungen dieſes Grundſatzes finden ſich in

folgenden Fällen.

 

Es wird zuerſt die a. communi dividundo angeſtellt,

dann pro socio. Dieſe letzte iſt zuläſſig, aber nur mit

Abrechnung Desjenigen, was der Kläger durch die erſte

Klage ſchon erlangt hat (f).

 

Nach der condictio furtiva gilt die a. pro socio nur

inſofern ſie ein anderes, und daher höheres, Intereſſe ver-

folgt, als Das welches aus dem Diebſtahl entſprang (g).

 

Iſt der Nebenvertrag bey einem Verkauf durch eine

Conventionalſtrafe verſtärkt, ſo gilt die a. venditi und die

Stipulationsklage. Iſt aber die erſte ſchon gebraucht, ſo

gilt die zweyte nur dann, wenn die Strafe mehr beträgt

als das ſchon erlangte Intereſſe; umgekehrt gilt die a. ven-

diti nur, wenn das Intereſſe mehr beträgt, als die einge-

klagte Strafe; in beiden Fällen alſo nur auf den Über-

ſchuß (h).

 

(f) L. 43 pro soc. (17. 2.)

„.. hoc minus ex ea actione

consequitur, quam ex prima

actione consecutus est.”

(g) L. 47 pr. pro soc. (17. 2.).

„Sed si ex causa furtiva con-

dixero, cessabit pro socio ac-

tio, nisi si pluris mea intersit.”

(h) L. 28 de act. emti (19. 1.).

V. 15

|0240 : 226|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Wenn der Beſtohlene mit der condictio furtiva Ent-

ſchädigung erhalten hat, ſo kann er doch noch die Sache

von dem Diebe vindiciren; jedoch nur wenn er zurück

zahlt, was er durch die Condiction erlangt hat. Nun

muß der Dieb die Sache in Natur zurück geben, und

wenn er Dieſes verweigert, das jusjurandum in litem er-

dulden (i).

 

Die häufigſten und mannichfaltigſten Anwendungen fin-

den ſich bey der a. L. Aquiliae, die mit einer Contracts-

klage concurrirt. Wenn der Miether, der Commodatar

u. ſ. w. die Sache zerſtört oder verdirbt, ſo hat der Eigen-

thümer gegen ihn die beiden eben genannten Klagen. Da

aber jede derſelben zunächſt und hauptſächlich auf Ent-

ſchädigung geht, ſo wird meiſt die eine durch die andere

abſorbirt werden. Indeſſen kann zufällig die a. L. Aqui-

liae einträglicher ſeyn, wegen der bey ihr eintretenden

künſtlichen Schätzung. Iſt daher die Contractsklage zu-

erſt angeſtellt, ſo führt die conſequente Anwendung unſres

Grundſatzes darauf, daß die a. L. Aquiliae noch immer

angeſtellt werden darf, jedoch nur auf die aus der künſt-

lichen Schätzung hervorgehende Differenz, die eigentlich

eine Strafe iſt. Der einzige Zweifel könnte etwa daraus

entnommen werden, daß dieſer Strafzuſatz nicht, wie bey

 

(i) L. 9 § 1 de furtis (47. 2.).

„.. quod si ex condictione

ante damnatus reus litis aesti-

mationem sustulerit, ut aut

omnimodo absolvat reum, aut,

quod magis placet, si paratus

esset petitor aestimationem re-

stituere, nec restituetur ei ho-

mo: quanti in litem jurasset,

damnaretur ei possessor.”

|0241 : 227|

§. 233. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

manchen anderen Strafklagen, in einer abgeſonderten

Summe beſteht, ſondern in einer erhöhten Schätzung des

Schadens, weshalb man ſie für untrennbar verbunden mit

der Entſchädigung ſelbſt halten könnte. Allein dieſes Be-

denken verſchwindet völlig, wenn man erwägt, daß der

Zweck durch bloße Abrechnung der geringeren (ſchon be-

zahlten) Geldſumme von der größeren leicht und ſicher er-

reicht werden kann, welches Mittel auch in den übrigen,

ſchon angeführten, Fällen in der That angewendet wird

(Note f. g. h.). — In unſren Rechtsquellen nun finden wir

über die hier aufgeſtellte Frage folgende Äußerungen.

Viele Stellen ſagen ganz allgemein, in ſolchen Fällen

werde jede der beiden Klagen von der andern abſorbirt,

ſo daß alſo überhaupt nur eine derſelben gebraucht wer-

den könne; damit ſcheint alſo die Anwendung unſres Grund-

ſatzes auf dieſe Fälle verneint zu werden. Stellen ſolcher

Art finden ſich von Ulpian (k), von Paulus (l), und von

Gajus (m). Indeſſen laſſen ſich dieſe Stellen auch ſo

verſtehen, daß ſie blos von dem gewöhnlichſten Fall reden

wollen, worin die Aquiliſche Klage gerade keinen höheren

Ertrag giebt, als die Contractsklage, weil die künſtliche

Schätzung auf keine höhere Geldſumme führt. Die Rich-

tigkeit dieſer Auslegung folgt unwiderſprechlich aus eini-

(k) L. 27 § 11 ad L. Aqu.

(9. 2.), L. 13 de rei vind. (6. 1.).

(l) L. 36 § 2 de her. pet.

(5. 3.), L. 18 ad L. Aqu. (9. 2.),

L. 50 pr. pro soc. (17. 2.), L.

43 loc. (19. 2.).

(m) L. 18 § 1 comm. (13. 6.).

In ähnlichen Ausdrücken redet Der-

ſelbe von der Concurrenz der a.

locati mit der a. arborum fur-

tim caesarum. L. 9 arb. furtim

caes. (47. 7.).

15*

|0242 : 228|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

gen Stellen gerade derſelben Juriſten, worin ſie die An-

wendung unſres Grundſatzes auch auf die Aquiliſche Klage

ausdrücklich anerkennen, und zwar zum Theil in Aus-

drücken, worin dieſe Anwendung als die ſeltner vorkom-

mende, leicht überſehene, gewöhnlich nicht erwähnte (alſo

auch nicht durch bloßes Stillſchweigen verneinte) bezeich-

net wird.

So ſagt Ulpian, indem er ſich auf Pomponius beruft,

wenn der Dieb den geſtohlenen Sklaven getödtet habe,

könne zuerſt die condictio furtiva, nachher die Aquiliſche

Klage gebraucht werden, weil dieſe durch ihre höhere

Schätzung einträglicher ſeyn könne (n). Noch entſcheiden-

der aber iſt eine Stelle deſſelben Ulpian über die Concur-

renz der a. commodati mit der Aquiliſchen Klage. An-

fangs ſagt er in eben ſo allgemeinen Ausdrücken, wie in

den oben angeführten Stellen (Note k), jede dieſer Klagen

werde durch die andere abſorbirt; dann aber fügt er be-

richtigend hinzu: man möchte denn ſagen wollen, die Aqui-

liſche Klage könne noch immer auf die Differenz angeſtellt

werden, und Dieſes ſey auch in der That das Rich-

tige (o).

 

(n) L. 2 § 3 de priv. delictis

(47. 1.). „… Et scripsit Pom-

ponius, agi posse, quia alte-

rius aestimationis est legis

Aquiliae actio, alterius condic-

tio ex causa furtiva: namque

Aquilia eam aestimationem

complectitur, quanti eo anno

plurimi fuit: condictio autem

ex causa furtiva non egreditur

retrorsum judicii accipiendi

tempus.”

(o) L. 7 § 1 commod. (12. 6.).

„… nisi forte quis dixerit,

agendo eum e L. Aquilia, hoc

minus consecuturum, quam ex

|0243 : 229|

§. 233. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

Ganz in demſelben Sinn wird dieſe Frage behandelt

in einer Stelle des Paulus, die jedoch theils weniger deut-

lich, theils durch kritiſche Schwierigkeiten verdunkelt iſt.

Es iſt die Rede von einem Commodat an Kleidungsſtücken,

die der Commodatar zerriſſen hat; darüber drückt ſich Pau-

lus alſo aus (p):

et quidem post legis Aquiliae actionem, utique com-

modati finietur: post commodati, an Aquiliae rema-

neat in eo quod in repetitione triginta dierum am-

plius est, dubitatur. Sed verius est remanere(q),

quia simplo accedit, et simplo subducto locum non(r)

habet.

 

Nach den letzten, ſehr dunklen Worten könnte man glau-

ben, Paulus habe ſich den oben angeregten Bedenken

hingegeben, daß der Zuſatz der Aquiliſchen Klage von

ihrem Hauptinhalt ganz untrennbar ſey, und er habe des-

wegen die Aquiliſche Klage gänzlich verſagt; dann müßte

 

causa commodati consecutus

est: quod videtur habere ra-

tionem”

(p) L. 34 § 2 in f. de O. et

A. (44. 7.) aus Paulus lib. sing.

de concurrentibus actionibus.

(q) Glossa Accursii: „alias

non, alias sine non.” Beide

Leſearten alſo haben alte Beglau-

bigung; die zweyte, die oben im

Text ſteht, iſt die Florentiniſche. —

Non remanere las auch eine

alte Handſchrift der Leipziger Raths-

bibliothek, welche an Haubold ver-

liehen war, und aus Verſehen mit

deſſen Bibliothek nach Åbo ge-

ſchickt wurde, wo ſie mit der übri-

gen Bibliothek verbrannt iſt.

(r) Dieſe Leſeart findet ſich in

allen bekannten Handſchriften.

Zwar ſteht am Rande der Aus-

gabe des Baudoza: „in quibus-

dam deest haec etiam nega-

tio,” allein Dieſes iſt kein ganz

zuverläſſiges Zeugniß. — Cuja-

cius observ. III. 25 bemerkt blos,

das non müſſe entweder in beiden

Sätzen ſtehen, oder in beiden feh-

len, welches letzte er vorzieht.

|0244 : 230|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

man die, allerdings durch Handſchriften beglaubigte, Leſe-

art non remanere als richtig annehmen. Allein zwey

Gründe ſtehen dieſem Reſultat, und der damit verbunde-

nen Leſeart, entgegen. Erſtlich das im Anfang des ge-

genwärtigen Paragraphen (Note c) angegebene, von Pau-

lus aufgeſtellte Princip, welches er ſo feſthält, daß er es

auch da anwendet, wohin es nicht gehört; zweytens, daß

Paulus wenige Zeilen vor unſrer Stelle die Aquiliſche

Klage hinter der Injurienklage in id quod amplius com-

petit gelten läßt, welches alſo auf dieſelbe Weiſe auch

hinter der commodati actio möglich und richtig ſeyn muß. —

Die einfachſte Art, dieſen Sinn zu retten, beſteht darin,

daß man, nach dem Vorſchlag des Cujacius, und nach

einer, wenn auch zweydeutigen, handſchriftlichen Autorität

(Note r), die Leſeart: locum habet (ohne non) annimmt.

Nun iſt der Sinn dieſer: „die Aquiliſche Klage gilt auch

jetzt noch, weil ihr Erfolg (möglicherweiſe) über das Sim-

plum hinausgeht, ſo daß dann die Klage, auch nach Ab-

zug des ſchon bezahlten Simplum, noch immer ein Object

hat, für welches ſie denn auch wirklich zuläſſig iſt.“ —

Indeſſen kann man verſuchen, auch die vollſtändige Flo-

rentiniſche Leſeart durch folgende, den Gedanken ergän-

zende, Paraphraſe zu erhalten: „Die Aquiliſche Klage

bleibt übrig, aber nicht blos, wie es in der Frage aus-

gedrückt war, für das amplius, ſondern ganz (alſo rema-

nere für integram remanere), weil nämlich das amplius

in der Klage nur als ein Zuſatz zu dem Simplum er-

|0245 : 231|

§. 233. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

ſcheint, alſo, wenn man das Simplum aus der Klage

weglaſſen wollte (simplo subducto), auch das amplius

nicht als Inhalt einer Klage möglich iſt (locum non ha-

bet.)“ Nach dieſer Wendung würde ſich die Stelle auf

die Faſſung der formula beziehen, deren Intentio freylich

nie auf das amplius, ſondern nur auf damnum decidi

oportere, alſo auf das Simplum und die Straferhöhung

zugleich, gerichtet ſeyn konnte. Im Hintergrund läge dann

der (nicht ausgedrückte) Gedanke, daß die Verfolgung des

ſchon erhaltenen Simplum, durch eine doli exceptio, per

Praetorem inhibenda est, wie es im princ. für einen ähn-

lichen Fall geſagt iſt (s). — Das Reſultat beider Erklä-

rungen iſt völlig daſſelbe, allerdings aber empfiehlt ſich

die erſte (wenn man einmal die Emendation locum habet

zulaſſen will) durch größere Einfachheit.

(s) Dieſe Erklärung findet ſich

bey A. O. Krug de condictione

furtiva Lips. 1830. p. 66. Dem

Gedanken nach übereinſtimmend,

aber mit ganz entgegengeſetztem

Text, iſt die Erklärung des Do-

nellus § 17; dieſer ließt non re-

manere und locum non habet,

und erklärt ſo, daß die Klage auf

das bloße amplius nicht gelte

(non remanere), weil eben nur

auf das Ganze geklagt werden

könnte. Im Hintergrund liegt nun

der (nicht ausgedrückte) Gedanke,

die Klage auf das Ganze (Sim-

plum und amplius) ſey wirklich

zuläſſig, werde aber durch doli

exceptio auf das amplius be-

ſchränkt. — Gezwungener und we-

niger befriedigend iſt die Erklärung,

die ſich bey Thibaut S. 191 und

Anderen findet, und zu deren Un-

terſtützung noch einigermaßen die

Emendation etsi simplo für et

simplo dienen kann. Vgl. Schul-

ting notae in Digesta, L. cit.

|0246 : 232|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

§. 234.

Aufhebung des Klagrechts. II. Concurrenz. Dritte Klaſſe

von Klagen. Keine Concurrenz.

Dritte Klaſſe. Keine Concurrenz.

 

In allen Fällen dieſer Klaſſe kann die zweyte Klage

ganz und mit vollſtändiger Wirkung angeſtellt werden, ob-

gleich die erſte Klage ſchon mit vollem Erfolg gebraucht

worden iſt.

 

Da dieſe Klaſſe einen blos negativen Charakter hat,

ſo können dahin unzählige Fälle gerechnet werden, welche

hier zu erwähnen Niemand den Gedanken haben wird;

namentlich alle gleichzeitig unter verſchiedenen Perſonen

beſtehende Klagen aus ganz verſchiedenen Rechtsgeſchäften.

Wenn alſo hier manche Fälle noch beſonders erwähnt

werden ſollen, ſo kann Dieſes nur bey ſolchen Bedürfniß

ſeyn, worin der täuſchende Schein einer Concurrenz vor-

handen iſt, welcher daher weggeräumt werden ſoll. Es

werden dahin ſolche Klagen gerechnet werden müſſen, die

einen gemeinſamen Entſtehungsgrund haben, unter denſel-

ben Perſonen beſtehen, oder denſelben Namen führen, bey

welchen aber dennoch eine Concurrenz nicht anzunehmen

iſt, weil ihnen ein gemeinſchaftliches Object fehlt (§ 231).

 

A) Dahin gehört zuerſt der Fall eines Delicts, wor-

aus neben einer Entſchädigungsklage eine reine Strafklage

entſpringt. Beide Klagen ſind von einander ganz un-

abhängig.

 

|0247 : 233|

§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

So die condictio furtiva und die furti actio aus dem-

ſelben Diebſtahl, deren gegenſeitige Unabhängigkeit ſtets unbe-

ſtritten war (a). Eben ſo, nach der richtigeren Betrach-

tung, die Injurienklage und die Aquiliſche Klage, wenn

ein Sklave durch Schläge hart mishandelt war. Darin

lag eine Injurie gegen den Herrn, und eine Beſchädigung

des Eigenthums, die Injurienklage verfolgte eine Strafe,

die Aquiliſche den Schadenserſatz (b).

 

Es liegt alſo hierin daſſelbe Princip, wie bey den ge-

miſchten Pönalklagen. Die actio vi bonorum raptorum

geht auf den einfachen Erſatz, und daneben, auf den drey-

fachen Werth als Strafe (c). Wie hier durch eine und

dieſelbe Klage die Strafe noch außer der Entſchädigung

gefordert wird, ſo in jenen Fällen durch verſchiedene

Klagen.

 

B) Die Injurie gegen eine Ehefrau iſt zugleich eine

Injurie gegen den Mann. Hier entſtehen aus derſelben

Handlung zwey gleichnamige Strafklagen, deren jede von

 

(a) L. 7 § 1 de cond. furt.

(13. 1.), L. 45. 46. 47 pr. pro

soc. (17. 2.), L. 34 § 2 de O. et

A. (44. 7.), L. 54 § 3 de furtis

(47. 2.).

(b) L. 15 § 46 de injur. (47.

10.). So war es unbeſtritten, wenn

man in der Aquiliſchen Klage die

Entſchädigung als das Überwie-

gende betrachtete. Paulus freylich

ſieht ſie in L. 34 pr. de O. et A.

(44. 7.) vorzugsweiſe als Straf-

klage an, und wendet daher auf

dieſen Fall ganz unpaſſender Weiſe

das Princip des bloßen amplius

in der zweyten Klage an. Nach

Ulpians Meynung kann auch dieſe

Betrachtungsweiſe kein anderes

Reſultat geben, wie ſich unten in

dieſem §. zeigen wird.

(c) pr. J. de vi bon. rapt.

(4. 2.). — Unter den früheren Ju-

riſten freylich hatten Manche be-

hauptet, das Vierfache ſey hier

reine Strafe. Gajus IV. § 8.

|0248 : 234|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

dem Erfolg der andern ganz unabhängig iſt (d). Die Be-

ſtrafung jedes dieſer zwey Delicte iſt ein für ſich beſte-

hendes Object.

C) Wenn Mehrere zugleich ſtehlen, ſo begeht Jeder

den ganzen, vollen Diebſtahl, und der Umſtand, daß ihm

Andere dabey helfen, verändert oder vermindert die Straf-

barkeit ſeiner Handlung nicht. Daher geht gegen Jeden

die furti actio auf die volle Strafe, wenngleich die Übri-

gen ihre Strafe ſchon gezahlt haben, weil die Beſtrafung

eines jeden dieſer Delicte ein ſelbſtſtändiges Object iſt

(§ 211. b.).

 

D) Wenn Mehrere einen Sklaven gleichzeitig tödten,

ſo daß man nicht ſagen kann, welcher vorzugsweiſe der

Thäter ſey, ſo ſoll Jeder den vollen Betrag der Aquili-

ſchen Klage zahlen, wie wenn er allein gehandelt hätte;

hierin ſtimmten die Römiſchen Juriſten von alter Zeit her

überein (d¹). Auf den erſten Blick möchte man geneigt

ſeyn, hierin blos eine falſch angewendete Analogie der

furti actio anzunehmen, indem es ſcheint, die reine Ent-

ſchädigung dürfe nur einmal gefordert werden, die Straf-

erhöhung habe jeder Thäter ganz zu zahlen. Allein durch

folgende Betrachtung läßt ſich jene Entſcheidung der alten

 

(d) L. 1 § 9 de injur. (47. 10.)

(Ulpian), L. 18 eod. (Paulus)

L. 41 eod. (Neratius).

(d¹) L. 51 § 1 ad L. Aquil.

(9. 2.). Idque est consequens

auctoritati veterum: qui cum

a pluribus idem servus ita vul-

neratus esset, ut non appare-

ret cujus ictu perisset, omnes

lege Aquilia teneri judicave-

runt.” L. 11 § 2 eod.. Die erſte

Stelle iſt von Julian, die zweyte

von Ulpian, der ſich dabey auf

Julian beruft.

|0249 : 235|

§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

Juriſten rechtfertigen. Das Geſetz erlaubt dem Beſchä-

digten, jeden einzelnen Thäter ſo zu behandeln, wie wenn

ſeine Handlung nicht jetzt, ſondern in irgend einer ver-

gangenen Zeit des letzten Jahres geſchehen wäre. Durch

dieſe zugelaſſene Fiction kommt man mit jedem einzelnen

Thäter auf einen Zeitpunkt, in welchem der Andere nicht

zugleich handelte, ſo daß deshalb er den vollen Betrag

unverkürzt zahlen muß.

E) Wenn eine geſtohlene Sache dem Diebe von einem

anderen Diebe wieder entwendet wird, ſo hat Jeder der-

ſelben den Herrn der Sache beſtohlen, welcher daher zwey

von einander unabhängige furti actiones erwirbt (e).

 

F) Wenn dieſelbe Perſon an derſelben Sache mehrere

Delicte zu verſchiedenen Zeiten begeht, ſo iſt gewiß die

 

(e) L. 76 § 1 de furtis (47.

2.). „… dominus igitur habe-

bit cum utroque furti actionem,

ita ut, si cum altero furti ac-

tionem inchoat, adversus alte-

rum nihilo minus duret: sed

et condictionem: quia ex di-

versis factis tenentur.” Zuerſt

muß bemerkt werden, daß hier die

Unabhängigkeit beider Klagen mit

Recht nur für die furti actio,

nicht für die Condiction, behaup-

tet wird; denn wenn Ein Dieb die

Entſchädigung bezahlt, wird auch

hier der andere frey, eben ſo wie

bey dem gemeinſchaftlichen Dieb-

ſtahl. Die Hauptſchwierigkeit liegt

aber in den Schlußworten, da ja

bey dem gemeinſchaftlichen Dieb-

ſtahl (idem factum) gleichfalls

gegen jeden Dieb die Klage geht,

und da beſonders bey jedem ein-

fachen Diebſtahl die Condiction

noch neben der furti actio be-

ſteht, obgleich es gewiß idem fac-

tum iſt. Der Gegenſatz, den hier

Pomponius ausſchließen will, iſt

die fortwährende, wiederholte Con-

trectation von Seiten deſſelben

Diebes. Dieſe gilt ſtets nur als

idem factum, und es entſtehen

daraus nie mehrere furti actiones

oder mehrere Condictionen. Im

Gegenſatz dieſes idem factum

werden in unſrer Stelle die di-

versa facta als entſcheidend an-

gegeben. Vgl. L. 9 pr. L. 67

§ 2 de furtis (47. 2.). Ähnliches

gilt bey damnum. L. 32 § 1

L. 48 ad L. Aquil. (9. 2.).

|0250 : 236|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Strafe eines jeden Delicts beſonders verwirkt, unabhän-

gig von den übrigen Strafen (f). Auch die Entſchädi-

gung für jedes einzelne Delict kann eine ganz ſelbſtſtän-

dige Natur haben (g). Wenn jedoch die eine Entſchädi-

gung ſchon den vollſtändigen Sachwerth umfaßt, ſo kann

daneben nicht noch eine andere partielle Entſchädigung

vorkommen (h). Nur macht auch hier wieder die Aqui-

liſche Klage durch ihre künſtliche Berechnung, worin eine

Strafe enthalten ſeyn kann, eine Ausnahme (i).

G) Die in dieſem §. vorgetragenen Sätze waren größ-

tentheils auch bey den Römiſchen Juriſten völlig unbeſtritten.

 

(f) L. 2 pr. § 1. 2. 4. 5. 6 de

priv. delictis (47. 1.), L. 27 pr.

ad L. Aquil. (9. 2.).

(g) L. 32 § 1 L. 48 ad L.

Aquil. (9. 2.). So z. B. wenn

Jemand an demſelben Hauſe zu-

erſt Fenſter einſchlägt, und zu einer

andern Zeit das Dach beſchädigt.

(h) Weil ſonſt durch die nur

zur Entſchädigung beſtimmte Klage

eine Bereicherung entſtehen würde;

dieſes gilt beſonders auch, wenn

mehrere mixtae actiones auf

dieſe Weiſe entſtehen, für den in

jeder derſelben enthaltenen blos

perſecutoriſchen Theil. Mit Recht

bemerkt Göſchen Vorleſungen I.

462. 463, die Worte der L. 2 de

priv. del. (Note f) ſeyen großen-

theils ſo allgemein gefaßt, daß

man ſie auch auf die Unabhängig-

keit des perſecutoriſchen Theils be-

ziehen könnte, ganz gegen die Ab-

ſicht Ulpians, wie Dieſes beſonders

aus dem § 3 derſelben Stelle klar

hevorgeht.

(i) L. 2 § 3 de priv. delictis

(47. 1.). Wird ein koſtbares Pferd

zuerſt lahm geſchlagen (wodurch

ſein Werth auf eine Kleinigkeit

herab ſinken kann), und dann vor

Ablauf eines Jahres getödtet, ſo

muß der Thäter beynahe das Dop-

pelte des urſprünglichen hohen

Werthes bezahlen, weil das Inte-

reſſe der Tödtung nach dem Werth

zur Zeit des unverletzten Zuſtan-

des berechnet wird. — Ganz eben

ſo iſt es nun auch, wenn Einer

einen Sklaven tödlich verwundet,

ſo daß er nicht gerettet werden

kann, ſpäter ein Anderer ihn wirk-

lich tödtet. Hier zahlt Jeder das

Ganze als einziger Todtſchläger,

nur mit etwas verſchiedener Zeit-

berechnung. L. 51 pr. § 2 ad L.

Aquil. (9. 2.), vgl. oben Note d1.

|0251 : 237|

§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

Dagegen hat der nun folgende Fall mehr Streit unter

ihnen erregt, als irgend eine andere, die Klagenconcurrenz

betreffende, Frage.

Eine einfache Handlung kann ſo beſchaffen ſeyn, daß

verſchiedene Strafgeſetze durch ſie verletzt werden, ſo daß

dieſelbe Handlung materiell als einfach, formell aber, durch

ihre verſchiedenen Beziehungen, als mehrere Delicte in ſich

ſchließend, zu betrachten iſt. Nach allgemeinen Grund-

ſätzen müſſen wir in dieſem Fall jede wahre Concurrenz

verneinen, alſo die vollſtändige Anwendung aller einzelnen

Strafklagen neben einander behaupten. Denn das gleiche

Object mehrerer Klagen, welches der einzige Grund wah-

rer Concurrenz iſt (§ 231), findet ſich hier nicht, da die

Beſtrafung jedes einzelnen hier wirklich begangenen De-

licts ein ganz eigenthümlicher, für ſich beſtehender Zweck

iſt, alſo mit der durch mehrere Klagen zu verfolgenden

Entſchädigung keine wahre Ähnlichkeit hat. Eine Beſtäti-

gung dieſer Anſicht liegt auch darin, daß bey der Injurie

gegen eine Ehefrau die unbeſchränkte Zuläſſigkeit mehrerer

Strafklagen neben einander ganz allgemein anerkannt iſt

(Note d); es macht aber für die Natur und Strafbarkeit

der begangenen einfachen Handlung durchaus keinen Un-

terſchied, ob die in derſelben vereinigt enthaltenen Delicte

gegen mehrere Perſonen, oder gegen eine einzige, began-

gen worden ſind (vgl. Note bb).

 

Wenn dennoch manche Römiſche Juriſten hierüber an-

dere Anſichten haben, ſo liegt Dieſes an der häufigen,

 

|0252 : 238|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

aber ganz verwerflichen, Verwechslung des gleichen ma-

teriellen Entſtehungsgrundes mit dem gleichen Gegenſtand

der Klagen (§ 231), wodurch ſie dann ferner verleitet

worden ſind, für dieſen Fall eine Prozeßconſumtion anzu-

nehmen, die darin in der That nicht begründet iſt; ferner

wurden ſie getäuſcht durch die ſcheinbare Ähnlichkeit des

Verhältniſſes, worin mehrere Strafklagen zu einander ſte-

hen, mit dem zwiſchen mehreren Entſchädigungsklagen;

endlich auch durch die allerdings zweydeutige Natur der

gemiſchten Strafklagen, deren beide Beſtandtheile jedoch

ſtets mit Sicherheit unterſchieden werden können.

Über die wirklichen Meynungen der alten Juriſten ha-

ben wir folgende Nachrichten. Modeſtin behandelt die-

ſen Fall nach der für die erſte Klaſſe (§ 232) aufgeſtellten

Regel, läßt alſo ſtets nur eine der mehreren Strafklagen

zu. — Paulus behandelt ihn nach der Regel der zwey-

ten Klaſſe (§ 233), geſtattet alſo, wenn eine Strafklage

gebraucht iſt, auch noch eine zweyte, jedoch nur auf das

amplius. — Papinian und Ulpian nehmen gar keine

Concurrenz zwiſchen ſolchen Klagen an, laſſen alſo jeder

derſelben ihre volle Wirkung auch neben den übrigen. Die-

ſelbe Meynung hat Hermogenian, der zugleich die ſpä-

tere allgemeine Anerkennung derſelben berichtet.

 

I. Modeſtin. Seine Meynung kommt in keiner ein-

zelnen Anwendung vor, ſondern blos in folgender allge-

mein ausgedrückten Regel (k):

 

(k) L. 53 pr. de O. et A. (44.7.) aus Modestinus lib. 3 regularum.

|0253 : 239|

§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

Plura delicta in una re plures admittunt actiones:

sed non posse omnibus uti probatum est: nam si

ex una obligatione plures actiones nascuntur, una

tantummodo, non omnibus, utendum est.

Die Worte ex una re heißen offenbar ſo viel als ex

eodem facto, wie der nachfolgende, abwechſelnd gebrauchte,

Ausdruck ex una obligatione zeigt, in welchem obligatio

die ſehr gewöhnliche Bedeutung der eine Obligation erzeu-

genden Handlung hat. Hier iſt nun die Verwechslung des

gemeinſamen Entſtehungsgrundes mit dem gemeinſamen ju-

riſtiſchen Object recht augenſcheinlich. — Man könnte noch

etwa glauben, Modeſtin habe ſich nur zu allgemein aus-

gedrückt, und ſey daneben nicht abgeneigt geweſen, ſo wie

Paulus, eine zweyte Klage auf das amplius zuzulaſſen.

Allein Paulus ſelbſt erwähnt das Daſeyn einer ſolchen

extremen Meynung, wie ſie hier dem Modeſtin zugeſchrie-

ben wird, die alſo ſeiner eigenen entgegengeſetzt war (l).

Modeſtin alſo hatte dieſelbe ohne Zweifel von älteren Ju-

riſten angenommen, auf welche hier Paulus anſpielt, ohne

ſie zu nennen.

 

II. Paulus. Es iſt ſchon oben (§ 233) erwähnt wor-

den, daß er den für die zweyte Klaſſe in der That gel-

tenden Grundſatz, nach welchem jede noch übrige Klage

 

(l) L. 34 pr. de O. et A.

(44. 7.). „.. sed quidam, al-

tera electa, alteram consumi;”

hier wird alſo geradezu die Pro-

zeßconſumtion als Entſcheidungs-

grund angeführt. Es iſt hier die

Rede von der Injurienklage neben

der Aquiliſchen, wegen eines ſchimpf-

lich gepeitſchten fremden Sklaven.

|0254 : 240|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

auf das amplius angeſtellt werden kann, in zu ausgedehn-

ter Weiſe ausdrückt; er faßt ihn nämlich ſo allgemein,

daß derſelbe auch auf die Strafklagen Anwendung findet,

wohin er in Wahrheit nicht paßt.

Er hat aber dieſe ſeine Meynung nicht blos in jenem

allgemeinen Princip ausgeſprochen, ſondern auch ganz con-

ſequent in folgenden einzelnen Anwendungen durchgeführt.

 

1) Wenn ein fremder Sklave ſchimpflich gepeitſcht

wird. Die Aquiliſche und die Injurienklage, jede von

ihm auf das amplius noch nach der anderen zugelaſſen (m).

2) Wenn eine Sache geraubt wird, ſo liegt darin ein

zweyfaches Delict: Raub und Diebſtahl. Nach der actio

furti nec manifesti ſoll die a. vi bonorum raptorum noch

gelten, aber nur auf das amplius (n).

3) Eben ſo bey abgehauenen Bäumen: die Aquiliſche

Klage und die a. arborum furtim caesarum (o).

In einer andern Stelle ſoll er, wie man gewöhnlich

annimmt, zwey Strafklagen vollſtändig neben einander

gelten laſſen: die furti actio und die a. de rationibus

distrahendis (p). Manche haben deshalb den Paulus als

inconſequent getadelt, Andere haben eine Interpolation an-

genommen. Beides ohne Grund, da die eben angeführte

Klage gegen den untreuen Vormund in der That nicht

 

(m) L. 34 pr. de O. et A.

(44. 7.). Es iſt dieſelbe Stelle,

worin er daneben noch fremde Mey-

nungen anführt (Note l.).

(n) L. 1 vi bon. rapt. (47. 8),

L. 88 de furtis (47. 2.).

(o) L. 1 arborum furtim

caes. (47. 7.), L. 11 eod.

(p) L. 2 § 1 de tutelae (27. 3.).

|0255 : 241|

§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

als Strafklage von den alten Juriſten angeſehen wird

(§ 212).

III. Nach der richtigern Meynung, die auch bey den

Römern zuletzt geſiegt hat, können alle Strafen neben ein-

ander unvermindert zur Anwendung kommen.

 

Papinian ſpricht dieſe Meynung in folgender An-

wendung aus. Wenn eine fremde Sklavin ſtuprirt wird,

ſo gilt die Aquiliſche, die Injurienklage, und die a. servi

corrupti, und zwar alle neben einander (q).

 

Ulpian ſpricht dieſe Meynung theils als allgemeine

Regel aus, theils in einzelnen Anwendungen. Als allge-

meine Regel in folgenden zwey Stellen:

Nunquam actiones poenales de eadem pecunia con-

currentes alia aliam consumit(r).

 

In dieſer Stelle liegt der entſchiedenſte Widerſpruch

gegen die Meynung des Paulus über das amplius. Denn

wenn die mehreren Strafklagen auf eadem pecunia (gleiche

 

(q) L. 6 ad L. Jul. de adult.

(48. 5.). „.. nec propter plu-

res actiones parcendum erit in

hujusmodi crimine reo.” Gö-

ſchen Vorleſungen I. S. 459 hält

es für eine Eigenthümlichkeit

gerade dieſes ſchweren Vergehens,

da auch das Intereſſe unverkürzt

mehrmals bezahlt werden ſolle.

Das Letzte wird indeſſen nicht

geſagt, zwey dieſer Klagen konn-

ten auch wohl auf ein verſchieden-

artiges Intereſſe gehen (vgl. L. 11

§ 2 de servo corr. 11. 3.), und

das nec parcendum geht mehr

auf eine Häufung der Strafen,

als auf eine ſonſt ungewöhnliche

mehrfache Entrichtung des Inte-

reſſe. Die Worte in hujusmodi

crimine ſollen nicht ein beſonders

ſchweres Verbrechen bezeichnen (wel-

ches nach Römiſchen Begriffen in

jener Handlung gar nicht enthal-

ten war), ſondern eben nur den

Fall mehrerer Delicte, die in einer

und derſelben Handlung vereinigt

ſind.

(r) L. 60 de O. et A. (44. 7)

aus Ulpian. lib. 17 ad ed.

V. 16

|0256 : 242|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Summe) gehen, ſo muß jede derſelben durch den Gebrauch

der andern, nach Paulus, völlig ausgeſchloſſen werden. —

Der Ausdruck consumit könnte mit beſonderer Hinſicht auf

die Prozeßconſumtion gewählt ſeyn, die alſo hier verneint

werden ſollte, doch läßt ſich Dieſes mit Sicherheit nicht

behaupten, da derſelbe Ausdruck auch die materielle Con-

ſumtion, durch die vermittelſt der erſten Klage bewirkte

Zahlung, bezeichnen kann (s).

Die zweyte Stelle lautet ſo:

Nunquam actiones, praesertim poenales, de eadem

re concurrentes, alia aliam consumit(t).

 

Dieſe Stelle iſt, nach ihrem Wortlaut, der vorherge-

henden ſo auffallend ähnlich, daß man auch den Sinn für

völlig gleich halten möchte; und dennoch iſt dieſer ſehr

verſchieden. Denn da ſie von allen Klagen ſpricht, nicht

blos von den Strafklagen, ſo konnte Ulpian unmöglich ſa-

gen wollen, daß dieſe, wenn ſie auf daſſelbe Object

giengen, einander niemals conſumirten, da ja bey den Ent-

ſchädigungsklagen dieſer Art gerade das Gegentheil als

Regel anzunehmen iſt (§ 232). Selbſt dadurch wird die-

ſem Bedenken nicht abgeholfen, wenn man etwa das vor-

zügliche Gewicht auf die Prozeßconſumtion legen wollte,

die hier verneint werden ſollte, und auf welche das Wort

 

(s) Keller Litisconteſtation

S. 483. 494.

(t) L. 130 de R. J. (50. 17.),

aus Ulpian. lib. 18 ad ed., alſo

aus demſelben Werk wie die in

der Note r. angeführte Stelle, und

ſelbſt aus einem ganz nahe lie-

genden Abſchnitt dieſes Werks.

|0257 : 243|

§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

consumit bezogen werden könnte (u). Denn aus der Cor-

realſtipulation entſtanden gerade zwey Klagen auf daſſelbe

Object, und bey ihr trat die Prozeßconſumtion ganz ent-

ſchieden ein. Daher müſſen die Worte: de eadem re er-

klärt werden von dem gemeinſamen Entſtehungs-

grund (wie ex eodem facto), und auch für dieſen iſt

Ulpians Behauptung nur ſo zu verſtehen, daß die gemein-

ſame Entſtehung für ſich allein niemals ein Grund der

Prozeßconſumtion ſeyn ſoll (v). Nun liegt der nicht aus-

gedrückte Gedanke im Hintergrund: die folgende Klage

werde nur ausgeſchloſſen bey gemeinſamen Object, und

auch dabey ſehr häufig nicht auf dem Wege der Prozeß-

conſumtion. Beſonders bekommt durch dieſe Erklärung der

Ausdruck praesertim poenales einen beſtimmten und guten

Sinn, denn von den Pönalklagen kann man ſagen, daß

ſtets eine noch nach der andern angeſtellt werden könne,

und namentlich nie die Prozeßconſumtion eintrete, von den

Entſchädigungsklagen iſt es nur theilweiſe wahr; die-

ſer Unterſchied beider Arten der Klagen wird durch das

Wort praesertim angedeutet (w). — Es iſt übrigens zu

(u) Die Unſicherheit dieſer Be-

ziehung iſt ſchon bey der vorher-

gehenden Stelle bemerkt worden.

Vgl. Keller Litisconteſtation S.

483. 494.

(v) Die Worte de eadem re

haben alſo hier einen ganz ande-

ren Sinn, als in der oben § 232 a.

angeführten Stelle deſſelben Ul-

pian die Worte ejusdem rei no-

mine. Dieſe verſchiedene Erklä-

rung ſo ähnlich lautender Worte,

wenn ſie auch auf den erſten Blick

auffallen mag, erſcheint doch des-

wegen als durchaus nothwendig,

weil Ulpian in beiden Stellen

ganz entgegengeſetzte Entſcheidungen

giebt.

(w) Die hier gegebene Erklä-

rung findet ſich im Weſentlichen

16*

|0258 : 244|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

bemerken, daß die hier erklärte Stelle des Ulpian wörtlich

in die Inſtitutionen aufgenommen worden iſt (x), und auch

dieſer Umſtand kann zur Unterſtützung der Behauptung

dienen, daß die von Ulpian über jene controverſe Frage

vorgetragene Meynung zugleich als die in unſren Rechts-

büchern gebilligte anzuſehen iſt.

Die einzelnen Fälle, worin Ulpian die von ihm aufge-

ſtellte allgemeine Regel zur Anwendung bringt, ſind fol-

gende:

 

1) Die Aquiliſche und die Injurienklage, wenn ein

fremder Sklave gepeitſcht, oder eine fremde Sklavin ſtu-

prirt worden iſt (y).

 

2) Die a. vi bonorum raptorum neben der furti actio

oder der Aquiliſchen Klage, wenn Sachen entweder ge-

raubt, oder durch eine Bande (coactis hominibus) beſchä-

digt worden ſind (z).

 

ſchon bey Göſchen Vorleſungen I.

S. 460.

(x) § 1 J. si quadrupes (4. 9.).

Die Regel wird hier angeführt,

um die Unabhängigkeit zweyer

Klagen aus derſelben Thatſache

zu begründen, unter welchen die

eine auf Entſchädigung, die andere

auf Strafe geht.

(y) L. 15 § 46 de injur. (47.

10.), L. 25 eod. — Weſentlich

dieſelbe Meynung führt Paulus an

in L. 34 pr. de O. et A. (44. 7.).

„alii … si ante injuriarum ac-

tum esset, teneri eum ex lege

Aquilia.” Daß die hier ange-

führten ungenannten Juriſten für

den umgekehrten Fall, wenn die

Aquiliſche Klage zuerſt angeſtellt

war, die Injurienklage ganz ver-

ſagten, beruhte bey ihnen nicht auf

einem Zweifel an dem Princip,

ſondern auf einem ganz indivi-

duellen Bedenken wegen der For-

mel der Injurienklage, worin die

Worte bonum et aequum ſtan-

den, von welchen Jene glaubten,

daß ſie dem Gebrauch der Klage

nach ſchon eingeklagter Entſchädi-

gung im Wege ſtänden.

(z) Zwar die L. 2 § 26 vi bon.

rapt. (47. 8) erwähnt nur die

Coexiſtenz dieſer und noch anderer

Klagen, ohne die Art ihrer Con-

|0259 : 245|

§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

3) Die furti actio und die Aquiliſche Klage, wenn

einem Sklaven die Kleider geſtohlen wurden, und der Ent-

kleidete vor Kälte geſtorben iſt (aa).

 

4) Die furti actio und a. servi corrupti, wenn Jemand

einen fremden Sklaven zu einem Diebſtahl beredet (bb).

 

Hermogenian endlich erklärt ſich für die von Pa-

pinian und Ulpian vorgetragene Meynung in folgender

Stelle (cc):

Cum ex uno delicto plures nascuntur actiones, si-

cut evenit cum arbores furtim caesae dicuntur, om-

nibus experiri permitti, post magnas varietates ob-

tinuit.

 

Ich ſehe dieſe Stelle als ganz entſcheidend, gleichſam

als das letzte Wort der Juſtinianiſchen Geſetzgebung an;

 

currenz zu beſtimmen; allein L. 2

§ 10 eod. ſagt ausdrücklich: „Ce-

terum neque furti actio, neque

legis Aquiliae, contributae sunt

in hoc edicto” …, das heißt

ihre Strafen gelten noch außer

der durch dieſes Edict beſtimmten

Strafe.

(aa) L. 14 § 1 de praescri-

ptis verbis (19. 5.).

(bb) L. 11 § 2 de servo cor-

rupto (11. 3.). — Dieſer Fall

kann wieder zu einer beſondern

Unterſtützung der hier vertheidig-

ten Meynung dienen. Ulpian

ſcheint blos an den Fall zu den-

ken, da der Diebſtahl gegen den

eigenen Herrn des beredeten Skla-

ven begangen wird, ſo daß beide

Klagen in demſelben Kläger verei-

nigt ſind. Iſt nun aber der Dieb-

ſtahl gegen einen Dritten began-

gen, ſo wird wohl Niemand zwei-

feln, daß die beiden Klagen von

den zwey verſchiedenen Klägern

unverkürzt angeſtellt werden kön-

nen, eben ſo wie es bey den bei-

den Injurienklagen (Note d) von

Allen eingeräumt wird. Was je-

doch in dem Fall der zwey ver-

ſchiedenen Kläger gilt, kann nicht

ohne augenſcheinliche Inconſequenz

für den Fall deſſelben Klägers

verſagt werden.

(cc) L. 32 de O. et A. (44. 7)

aus Hermogenianus lib. 2 juris

epitom.

|0260 : 246|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

nicht, weil Hermogenian der neueſte unter allen hier an-

geführten Juriſten iſt, welches an ſich nicht entſcheidend

ſeyn würde, ſondern weil er die in den vorhergehenden

Stellen dargeſtellte große Controverſe ſelbſt erwähnt (post

magnas varietates), und nun die wichtige Thatſache hinzu-

fügt, daß zuletzt die (von Ulpian vertheidigte) ſtrengere

Meynung allgemein anerkannt worden ſey (obtinuit). Her-

mogenian erſcheint alſo hier nicht als eine einzelne Stimme

über jene Frage abgebend, ſondern als die Thatſache je-

nes Streites und der Beendigung deſſelben erzählend. In-

dem wir nun dieſe Stelle mit den vielen, oben angeführ-

ten, großentheils widerſprechenden, Stellen, als ein Gan-

zes zuſammen faſſen, ſo erſcheint dieſer Fall als ein ſolcher,

worin uns Juſtinian ein Stück Rechtsgeſchichte mittheilen

wollte, indem er nicht nur die aus langem Streit als ſie-

gend hervorgegangene Regel in ſeine Sammlung aufnahm,

ſondern auch die in früherer Zeit ſtreitenden Meynungen

ſelbſt, in einer bedeutenden Zahl von Zeugniſſen darſtellte,

woraus der Sinn der letzten Entſcheidung um ſo klarer

hervortreten mußte. Demnach ſind die oben angeführten

Stellen des Modeſtin und des Paulus blos als Mittel zu

hiſtoriſcher Belehrung über die allmälige Entwicklung der

vorliegenden Rechtsregel anzuſehen (dd).

(dd) Vgl. oben B. 1 § 44. s.,

wo dieſe Art der vereinigenden

Auslegung als Princip aufgeſtellt

iſt. — Eine etwas abweichende

Meynung über die hier vorliegen-

de beſondere Frage hat Göſchen

Vorleſungen I. S. 456. 460. 461.

Er legt der Stelle des Hermoge-

nian nicht die Wichtigkeit bey, die

ich ihr hier zuſchreibe, und hält

es für ganz zweifelhaft, welche

der beiden entgegengeſetzten Regeln

|0261 : 247|

§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

Die Richtigkeit der hier aufgeſtellten Anſicht wird noch

durch folgende Umſtände beſtätigt.

 

Einen der Fälle, worin Ulpian ſeine Meynung aus-

ſprach (Note bb), nämlich die furti actio neben der a. servi

corrupti, hat Juſtinian ſelbſt, und zwar völlig auf dieſelbe

Weiſe wie Ulpian, entſchieden, nämlich dahin daß beide

Klagen unverkürzt nach einander angeſtellt werden kön-

nen (ee). Damit iſt alſo unverkennbar ausgedrückt, welche

unter den früher ſtreitenden Meynungen Juſtinian ſelbſt

als die richtige anſah.

 

Weſentlich dieſelbe Frage, wie bey den Privatſtrafen,

kommt auch bey den öffentlichen Strafen vor, wenn die-

ſelbe Handlung das Weſen verſchiedener öffentlicher Ver-

brechen in ſich vereinigt. Hier nun iſt ganz entſchieden,

und ſogar ohne Spur eines früheren Zweifels, die Regel

aufgeſtellt, daß alle verwirkte Strafen neben einander an-

gewendet werden ſollen (ff). Es würde aber eine augen-

ſcheinliche Inconſequenz ſeyn, hierin für die öffentlichen

Strafen eine andere Regel, als für die Privatſtrafen,

gelten laſſen zu wollen.

 

man als wahre Regel anzuſehen

habe. Wie man ſich aber auch

hierüber entſcheide, ſo müßten doch

die in entgegengeſetzten einzelnen

Entſcheidungen in den Digeſten,

als Ausnahmen neben der ange-

nommenen Regel anerkannt wer-

den. — Dieſes Letzte kann ich am

Wenigſten einräumen, da keine

einzige dieſer Stellen die Natur

einer Ausnahme an ſich trägt, ſon-

dern vielmehr jede nur dazu be-

ſtimmt iſt, die von ihrem Verfaſ-

ſer angenommene Regel auf einen

einzelnen Fall anzuwenden.

(ee) L. 20 C. de furtis (6. 2),

§ 8 J. de oblig. ex delicto (4. 1.).

(ff) L. 9 C. de accus. (9. 2.).

Die Stelle iſt oben abgedruckt

§ 231. b.

|0262 : 248|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Indeſſen muß doch zu der hier als richtig angenom-

menen Meynung folgende Beſchränkung hinzugefügt werden.

Wenn zwey Klagen aus demſelben Delict neben einander

vorkommen, deren jede aus Entſchädigung und Strafe ge-

miſcht iſt, ſo gilt die vollſtändige Cumulation nur für die

in jeder enthaltene reine Strafe; die Entſchädigung dage-

gen, die durch die erſte Klage bereits bewirkt worden iſt,

kann durch die zweyte nicht noch einmal gefordert werden.

Dieſes gilt namentlich von dem bey Hermogenian erwähn-

ten Fall, der Aquiliſchen Klage neben der a. arborum fur-

tim caesarum; das Intereſſe braucht nur einmal bezahlt

zu werden, aber die Straferhöhung kommt aus jeder der

beiden Klagen vollſtändig zur Anwendung. Hermogenian

hat Dieſes allerdings nicht ausgedrückt, es muß alſo ſei-

ner Regel die Einſchränkung hinzugefügt werden: inſo-

weit jede dieſer mehreren Klagen auf reine Strafe

geht. Daß Papinian und Ulpian dieſe Einſchränkung

nicht ausſprechen, erklärt ſich daraus, daß in den meiſten

Colliſionsfällen zwey gemiſchte Klagen gar nicht vorkom-

men, indem die eine Klage (wie die Injurienklage und die

furti actio) eine reine Strafklage iſt; zugleich auch dar-

aus, daß ſie ihre Aufmerkſamkeit nur auf Dasjenige rich-

teten, welches allein controvers geweſen war, nämlich die

Cumulation mehrerer Strafen. Ulpian überdem deutet

auf jene Einſchränkung vernehmlich genug hin, indem er

in der beſtimmteſten Stelle (Note r) nur von actiones

poenales ſpricht; und auch bey Hermogenian liegt eine

 

|0263 : 249|

§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

Hindeutung darauf in der Erwähnung der großen Strei-

tigkeiten, die ſich, ſo viel wir wiſſen, nur auf die Colliſion

der Strafen bezog. — Die Richtigkeit der hier aufge-

ſtellten Beſchränkung folgt nothwendig aus allem Demje-

nigen, was bey der erſten und zweyten Klaſſe über die

Behandlung der wahren Concurrenz ausgeführt worden iſt

(§ 232. 233). Dort beruhte die totale oder partielle Aus-

ſchließung der nachfolgenden Klage nicht etwa auf einer

poſitiven, aus bloßer Schonung entſprungenen, Vorſchrift,

ſondern aus der natürlichen Regel, daß ein ſchon vergü-

teter Schade nicht mehr zu vergüten möglich iſt, daß alſo

eine wiederholte Bezahlung die der Entſchädigung ganz

fremde Natur einer Bereicherung, hier alſo zugleich einer

Strafe, annehmen würde. Dieſe natürliche Regel aber

kann nicht von der Anwendung durch den ganz zufälligen

Umſtand ausgeſchloſſen werden, daß manche Klagen neben

der Entſchädigung auch noch eine wahre Strafe verfol-

gen. Vielmehr muß alsdann jeder dieſer beiden Beſtand-

theile der Klage nach der ihm eigenthümlichen Regel be-

handelt werden. Ganz entſcheidend aber für die Richtig-

keit der hier aufgeſtellten Behauptung ſcheint mir der

Umſtand, daß bey der Concurrenz der Aquiliſchen mit einer

Contractsklage von allen alten Juriſten ohne Ausnahme

anerkannt wird, die Aquiliſche könne nach der andern

Klage höchſtens noch auf das amplius angeſtellt werden;

ſo weit ſie auf reine Entſchädigung gehe, ſey ſie abſor-

birt (§ 233). Was ſie nun für dieſen Fall als unzwei-

|0264 : 250|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

felhaft anerkennen, müſſen ſie nothwendig auch gelten laſ-

ſen, bey der Concurrenz der Aquiliſchen Klage mit der

a. vi bonorum raptorum oder arborum furtim caesarum,

für denjenigen Beſtandtheil der beiden concurrirenden Kla-

gen, welcher die reine Entſchädigung zum Gegenſtand hat.

— In dieſer Einſchränkung liegt gewiſſermaßen eine An-

näherung an die Meynung des Paulus, und zugleich eine

neue Erklärung der Entſtehung dieſer Meynung. Indem

nämlich Paulus bey ſeinen Gegnern dieſe Einſchränkung

nicht ausgedrückt ſah, und doch das Bedürfniß derſelben

empfand, kam er dahin, ſie nicht nur auszudrücken, ſon-

dern nun auch zu übertreiben, indem er ſie ſelbſt auf die

reine Strafe in zwey verſchiedenen Klagen anwendete,

wohin ſie allerdings nicht gehört.

Der in dieſem §. abgehandelte Fall der Colliſion zwi-

ſchen mehreren Strafgeſetzen darf nicht verwechſelt wer-

den mit einer anderen Colliſion dieſer Art, die mit je-

ner nur eine äußerliche Ähnlichkeit hat. Wir ſetzten

hier voraus das vereinigte Daſeyn mehrerer Delicte in

einer und derſelben materiellen Handlung. Nun kommt

es aber auch häufig vor, daß für daſſelbe Vergehen

oder Verbrechen mehrere Strafgeſetze aus verſchiedenen

Zeiten vorhanden ſind, und es entſteht, eben ſo wie bey

der Klagenconcurrenz, die Frage, ob die in jenen Geſetzen

enthaltenen Strafen vereinigt werden ſollen, oder ob nur

eine derſelben anzuwenden iſt. Das Princip, welches oben

 

|0265 : 251|

§. 234. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

für die Concurrenz aufgeſtellt wurde, paßt auf dieſen Fall

gar nicht, ja es läßt ſich für denſelben gar kein Princip

aufſtellen, da Alles auf den wahren Sinn des neueſten

Strafgeſetzes ankommt, welcher ſehr verſchieden ſeyn kann.

Gewöhnlich wird das neueſte Geſetz dazu beſtimmt ſeyn,

an die Stelle der früheren zu treten, und alſo allein zu

gelten, ſo daß darin keine Colliſion mit älteren Geſetzen,

ſondern die Abſchaffung derſelben, enthalten iſt. Dieſer

Fall wird vorausgeſetzt in einem Senatsſchluß, welcher

verbot: ne quis ob idem crimen pluribus legibus reus

fieret (gg); daſſelbe kommt auch bey manchen Privatde-

licten vor (hh). — Bey mehreren Privatdelicten erſcheint da-

gegen der ganz andere Fall, daß ſpäterhin auch eine An-

klage auf öffentliche Strafe zugelaſſen wurde, jedoch ſo daß

nicht beide Strafen zugleich gelten ſollten, ſondern nur

eine derſelben, und zwar nach der Wahl des Verletzten (ii).

Dieſes ſehr zweckmäßige Wahlrecht wurde beſonders ge-

ſtattet bey dem Diebſtahl (kk), und bey der Injurie (ll). —

(gg) L. 14 de accus. (48. 2),

ſ. o. § 231. b.

(hh) Über körperliche Beſchädi-

gungen beſtanden ältere Geſetze,

die durch die Einführung der L.

Aquilia aufgehoben wurden. L 1

pr. ad L. Aquil. (9. 2.). — Das

furtum manifestum wurde nach

dem älteren Recht mit der Addi-

ction beſtraft; der Prätor führte

eine Privatſtrafe (des vierfachen

Werthes) ein, und dadurch wurde

jene harte Strafe aufgehoben. Ga-

jus III. § 189. IV. § 111.

(ii) Im Allgemeinen ſpricht von

dieſem Wahlrecht L. 3 de priv.

delictis (47. 1.).

(kk) L. 56 § 1 L. 92 de fur-

tis (47. 2.).

(ll) § 10 J. de injur. (4. 4),

L. 35. 45 de injur. (47. 10.). —

Schon früher galt im Fall des

libellus daſſelbe Wahlrecht zwi-

ſchen der Privatklage und dem für

dieſen Fall zuläſſigen publicum

judicium. L. 6 de injur. (47. 10.).

|0266 : 252|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Allein ganz allgemein war dieſes Wahlverhältniß zwiſchen

öffentlicher und Privatſtrafe nicht; die Publicanen ſollten

für ihre Delicte eine Privatſtrafe erleiden, und daneben

ſollte noch eine öffentliche Strafe eintreten (mm).

§ 235.

Aufhebung des Klagrechts. II. Concurrenz. Gemeinſame

Betrachtungen.

Bisher iſt die Regel ausführlich dargeſtellt worden,

daß, in den Fällen wahrer Concurrenz, eine früher ge-

brauchte Klage die ſpätere ausſchließt, und zwar bald

ganz (§ 232), bald nur theilweiſe (§ 233). Es iſt nun-

mehr zu unterſuchen, Was eigentlich in der früheren

Klage dieſe zerſtörende Kraft hat, und durch welche Rechts-

formen der Zweck dieſer Zerſtörung bewirkt wird. Bei-

des hatte im älteren Recht viele Verwicklungen und Schwie-

rigkeiten, iſt aber im neueſten Recht ſehr einfach geworden.

 

Die erſte Frage iſt leicht zu beantworten aus dem

oben für die Concurrenz aufgeſtellten Grundſatz, daß das

ſchon Erlangte nicht mehr mit einer Klage gefordert wer-

den kann (§ 231. 232).

 

— Im heutigen Recht iſt dieſe

Wahl noch weiter ausgedehnt auf

Abbitte, Ehrenerklärung, oder Wi-

derruf.

(mm) L. 9 § 5 de publicanis

(39. 4.). „Quod illicite .. ex-

actum est, cum altero tanto

passis injuriam exsolvitur: per

vim vero extortum cum poe-

na tripli restituitur: amplius

extra ordinem plectuntur. Al-

terum enim utilitas privatorum,

alterum vigor publicae disci-

plinae postulat.” Der Grund

lag alſo hier in dem beſonderen

Verhältniß, worin die Publicanen

zum Staate ſtanden.

|0267 : 253|

§. 235. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

Hieraus folgt, daß die wirkliche Leiſtung jene zer-

ſtörende Kraft hat, wobey es ganz gleichgültig iſt, ob dieſe

Leiſtung erfolgte vermittelſt eines über die frühere Klage

geſprochenen rechtskräftigen Urtheils und der Exſecution,

oder aber freywillig; während des Prozeſſes, oder vor

demſelben, aber mit Rückſicht auf ihn, alſo zur Abwendung

der Klage und des Urtheils.

 

Dagegen iſt jene zerſtörende Kraft nicht beyzulegen der

Anſtellung der Klage, der Litisconteſtation, ja ſelbſt dem

rechtskräftigen Urtheil als ſolchem (a), ſo lange aus die-

ſem Allen die wirkliche Leiſtung noch nicht erfolgt iſt.

 

Die alten Juriſten drücken dieſen ſcharf beſtimmten Ge-

genſatz in folgenden Worten aus:

perceptione, non litiscontestatione; perceptione, non

 

 

(a) Manche haben für das Ju-

dicat das Gegentheil behauptet,

weil ja nun der Kläger durch die

actio judicati das ſichere Mittel

der Befriedigung habe, welches der

Befriedigung ſelbſt gleich gelte.

Donellus § 8. Dieſes iſt nun

offenbar unrichtig, wenn die con-

currente Klage gegen einen Andern

als den zuerſt Verurtheilten ange-

ſtellt wird, (z. B. wenn Zwey ge-

meinſchaftlich betrogen haben, wes-

halb die doli actio gegen Jeden

in solidum geht), da der Verur-

theilte inſolvent ſeyn kann. Aber

auch bey demſelben Beklagten iſt

kein Grund vorhanden, dem bloßen

Judicat jene Kraft zur Ausſchlie-

ßung einer concurrenten Klage ein-

zuräumen, da es in der Macht des

Verurtheilten ſteht, das Judicat

freywillig zu erfüllen, in welchem

Fall die Leiſtung zerſtörend wirkt.

Auch ſelbſt wo die alte Prozeß-

conſumtion eintrat, reichte doch

die exc. rei judicatae nicht wei-

ter, als ſchon vorher die exc. rei

in judicium deductae. Es gilt

alſo hierin durchaus derſelbe Grund,

aus welchem die Auflöſung des

Pfandrechts vermittelſt der Verur-

theilung des Schuldners verneint

wird. L. 13 § 4 de pign. act.

(13. 7.). „Nec per hoc videtur

satisfactum creditori, quod ha-

bet judicati actionem.” — Thi-

baut S. 156 vertheidigt auch die

hier aufgeſtellte Meynung, aber

mit einem nicht befriedigenden

Grund.

|0268 : 254|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

electione; solutione, non litiscontestatione; ut magis

eos perceptio, quam intentio liberet(b).

Der hier aufgeſtellte Grundſatz iſt jedoch nur unter

folgenden Einſchränkungen als wahr anzunehmen.

 

Erſtlich war er durch die alte Prozeßconſumtion ver-

drängt, da wo unter den Obligationen mehrerer Schuld-

ner wahre Identität vorhanden war, insbeſondere bey Cor-

realſchuldnern, wohin auch der Bürge neben dem Haupt-

ſchuldner gehörte (§ 232. t.). War in einem ſolchen Fall

der eine verklagt, ſo wurde durch die Litisconteſtation

dieſe ganze Obligation conſumirt, ſo daß weder gegen den-

ſelben Schuldner die Klage wiederholt, noch gegen den

Mitſchuldner die concurrente Klage (die ja auch nur die-

ſelbe war) angeſtellt werden konnte, ſelbſt wenn der zuerſt

Verklagte inſolvent ſeyn mochte, wodurch alſo dieſes Ver-

hältniß für den Glaubiger ſehr gefährlich werden konnte (c).

Gegen dieſe aller Billigkeit widerſtrebende Härte ſuchte

man ſich oft durch beſondere Verträge zu ſchützen (d); in

 

(b) L. 4 de his qui effud.

(9. 3.), L. 7 § 4 quod falso (27.

6.), L. 18 § 3 de pec. const.

(13. 5.), L. 32 pr. de pecul.

(15. 1.), L. 35 § 1 loc. (19. 2.).

(c) In dieſen Fällen alſo wurde,

im directen Widerſpruch mit den

oben im Text (bey Note b) mit-

getheilten Ausdrücken, geſagt: pe-

titione unius, tota solvitur ob-

ligatio; si ex altera earum

egerit, utramque consumet …

cum altera earum in judicium

deduceretur, altera consume-

retur. L. 2 de duob. reis (45. 2.),

L. 16 eod., L. 5 in f. de fide-

juss. (46. 1.). — Solche einzelne

Spuren des früheren Rechtszu-

ſtandes haben ſich in die Digeſten

freylich nur aus Unachtſamkeit der

Compilatoren verirrt.

(d) Z. B. indem der Bürge nicht

dieſelbe Summe wie der Haupt-

ſchuldner verſprach, ſondern in die-

ſer Formel verpflichtet wurde:

quanto minus ab illo consequi

potero, dare spondes? L. 116

de V. O. (45. 1.). Nun ſtanden

|0269 : 255|

§. 235. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

anderen Fällen ſchützte dagegen der Prätor durch Reſtitu-

tionen und manche andere Mittel (e). Was aber ſo künſt-

liche Gegenwehr nöthig machte, zeigte ſich dadurch, auch

dem Princip nach, als mangelhaft. Und ſo verdient Ju-

ſtinian gewiß Lob, indem er das Princip für die Haupt-

fälle, nämlich für die Correalſchuldner, und eben ſo für

die Bürgen neben dem Hauptſchuldner, völlig aufhob (f).

Die übrigen Fälle identiſcher Obligationen hat er nicht

ausdrücklich erwähnt, es iſt aber kein Zweifel, daß bey

ihnen, eben ſo wie in jenen Fällen, die alte Strenge ver-

ſchwinden ſollte (g). Ja, wer etwa Dieſes aus buchſtäb-

licher Ängſtlichkeit bezweifeln wollte, weil es nicht aus-

drücklich geſagt iſt, müßte doch durch den Umſtand völlig

nicht beide in einer identiſchen Ob-

ligation.

(e) Keller Litisconteſtation

§ 61 fg.

(f) L. 28 C. de fidejuss. (8.

41.). Ganz conſequent heißt es

nunmehr in Juſtinians Inſtitu-

tionen: „alter debitum accipien-

do, vel alter solvendo, totam

perimit obligationem et omnes

liberat.” § 1 J. de duob. reis

(3. 16.). Daraus iſt auch in L. 8.

§ 1 de leg. 1. (30. un.), als au-

genſcheinliche Interpolation, der

Zuſatz entſtanden: „et solutum.”

Ribbentrop S. 42.

(g) In den Fällen bloßer So-

lidarität, und in den noch ent-

fernteren Fällen gemeinſchaftlicher

Haftung § 232, galt jenes ſtrenge

Princip auch in der früheren Zeit

niemals. L. 1 § 43 depos. (16. 3),

L. 52 § 3 de fidejuss. (46. 3),

L. 23 C. eod. (8. 41.). Bey der

constituta pecunia war die An-

wendbarkeit beſtritten (§ 231. g.). —

Übrigens kommt die auf wahre

Identität der Obligation gegrün-

dete Prozeßconſumtion zwar am

häufigſten und reinſten bey meh-

reren Schuldnern oder mehre-

ren Glaubigern vor, ſie findet ſich

aber doch auch zwiſchen denſelben

Perſonen, und hat dann dieſelbe

Wirkung der Prozeßconſumtion. So

z. B. in L. 1 § 21 tutelae (27. 3.).

„In tutela ex una obligatione

duas esse actiones constat” rel.

Es hat keinen Zweifel, daß auch

für dieſe Fälle die Prozeßconſum-

tion wegfallen muß. Vgl. oben

§ 232. l.

|0270 : 256|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

beruhigt werden, daß das Princip der Prozeßconſumtion

ſelbſt, worauf ſich die Aufhebung bezog, aus dem Juſti-

nianiſchen Recht durch bloßes Stillſchweigen vertilgt worden

iſt, ſo daß wir ſein früheres Daſeyn und ſeine wichtige

Bedeutung nur erſt durch Gajus erfahren haben.

Zweytens giebt es mehrere Rechtsverhältniſſe, in wel-

chen dem Berechtigten geradezu ein Wahlrecht zwiſchen

mehreren Klagen gegeben iſt, ſo daß in der That durch

die bloße Anſtellung der einen Klage, ohne Rückſicht auf

den Erfolg, die andere abſorbirt iſt. Dieſe Fälle haben

alſo eine äußere Ähnlichkeit, ſowohl mit der alten Pro-

zeßconſumtion, als mit der Klagenconcurrenz; dennoch ſind

ſie von beiden weſentlich verſchieden. Bey den allermeiſten

Fällen dieſer Art iſt die Grundverſchiedenheit ſchon da-

durch unverkennbar, daß die der Wahl überlaſſenen Kla-

gen auf ganz verſchiedene Objecte gerichtet ſind, ſo daß

es vielmehr eine Wahl zwiſchen mehreren Rechten, als

zwiſchen Klagen, genannt werden muß. Dieſe Fälle ha-

ben eine ganz iſolirte Natur, und beruhen auf keinem ge-

meinſamen Princip, namentlich nicht auf dem hier darge-

ſtellten Princip der Concurrenz. Sie hier zu erwähnen,

iſt deswegen nöthig, damit der nicht ſeltenen Einmiſchung

derſelben in die Lehre von der Concurrenz, wohin ſie nicht

gehören, vorgebeugt werde. Indem ich ſie hier in einer

Überſicht zuſammenſtelle, will ich für die Vollſtändigkeit

dieſer Aufzählung nicht einſtehen.

 

1) Wenn bey einem, unter der lex commissoria ge-

 

|0271 : 257|

§. 235. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

ſchloſſenen Kauf, der Zahlungstag nicht eingehalten iſt, ſo

hat der Verkäufer die Wahl, mit der actio venditi ent-

weder das Kaufgeld einzuklagen, oder aus dem Neben-

vertrag die Sache zurück zu fordern. Stellt er die eine

dieſer Klagen an, ſo kann er nicht mehr zu der anderen

zurück kehren (h). — Hier iſt es ſogar die gleichnamige

Klage, womit er beide Anſprüche verfolgt; aber dieſe An-

ſprüche haben nicht nur einen verſchiedenen Inhalt, ſon-

dern ſie ſtehen zu einander in einem widerſprechenden, alſo

ausſchließenden, Verhältniß.

2) Ganz Daſſelbe gilt von der Wahl zwiſchen der

a. redhibitoria und quanti minoris (i).

 

3) Eben ſo, wenn Sklaven ihrem Herrn Geld ſtehlen,

und einem Dritten (der darum weiß) Auftrag geben, Sa-

chen dafür zu kaufen; der Herr hat die Wahl, entweder

die Klagen aus dem Diebſtahl gegen den Dritten anzu-

ſtellen, oder den Kauf zu genehmigen, und mit der ihm

durch ſeine Sklaven erworbenen a. mandati die gekauften

Sachen zu fordern (k).

 

4) Bey einem Teſtament mit der Codicillarclauſel hat

der Eingeſetzte die Wahl zwiſchen der hereditatis petitio

und der Fideicommißklage (l); auch hier ſind es zwey

Rechte, die ſich gegenſeitig ausſchließen.

 

5) Wer Geld zahlt, um ſich von einem ungerechten

 

(h) L. 7 de lege comm. (18. 3.).

(i) L. 18 pr. L. 19 § 6 de

aedil. ed. (21. 1), L. 25 § 1

de exc. rei jud. (44. 2.).

(k) L. 1 C. de furtis (6. 2.).

(l) L. ult. C. de codicillis

(6. 36.).

V. 17

|0272 : 258|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Prozeß loszukaufen, hat die Wahl zwiſchen der Condiction

auf das gegebene Geld, und der Strafklage auf den vier-

fachen Werth (m). Beide Objecte ſind völlig verſchieden

und könnten ſehr wohl neben einander beſtehen.

6) Wenn der Commodatar die geliehene Sache ſtehlen

läßt, ſo hat der Eigenthümer die Wahl zwiſchen der

a. commodati und der furti actio gegen den Dieb (n);

beide Objecte ſind hier völlig verſchieden.

 

7) Der Legatar hat die Wahl zwiſchen einer Klage

in rem und in personam (o); die Rechte ſelbſt ſind zu-

nächſt ganz verſchieden, obgleich der letzte Zweck und Er-

folg derſelbe iſt.

 

8) Wird einem Reiſenden eine Sache in einem Gaſt-

hauſe geſtohlen, ſo hat Derſelbe die Wahl zwiſchen der

a. de receptis und der Klage gegen die Thäter, ſo daß

durch die bloße Wahl ſowohl die Condiction, als die furti

actio ausgeſchloſſen iſt (p). Dieſes eigenthümliche Ver-

hältniß gründet ſich wohl darauf, daß die a. de receptis

nur als eine ſehr durchgreifende, über allgemeine Rechts-

 

(m) L. 5 § 1 de calumn. (3. 6.),

Eine andere Anomalie bey derſel-

ben Strafklage iſt ſchon oben be-

merkt worden § 230. d.

(n) L. 20 C. de furtis (6. 2),

§ 10 J. de obl. quae ex del.

(4. 1.).

(o) L. 76 § 8 de leg. 2 (31.

un.), L. 84 § 13 de leg. 1 (30.

un.).

(p) L. 3 § 5 L. 6 § 4 nautae

(4. 9), L. 1 § 3 furti adv. nau-

tas (47. 5.). Nach allgemeinen

Grundſätzen müßte die Klage ge-

gen den Wirth und die furti actio

neben einander gelten (§ 234); ihr

Verhältniß zu der Condiction ge-

gen den Dieb müßte von dem

Erfolg abhängen (§ 232.). — Nach

den oben angeführten Stellen kann

jedoch der Wirth, wenn er belangt

wird, Ceſſion der Klage gegen den

Thäter verlangen.

|0273 : 259|

§. 236. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

grundſätze hinaus gehende, Maasregel zu betrachten

iſt (q).

§. 236.

Aufhebung des Klagrechts. II. Concurrenz. Gemeinſame

Betrachtungen. (Fortſetzung.)

Es iſt oben beſtimmt worden, in welchen Fällen und

bis zu welchen Gränzen eine Klage durch den Erfolg

einer andern Klage ausgeſchloſſen werden ſoll (§ 232. 233),

und es bleibt dabey noch übrig zu unterſuchen, durch

welche Rechtsformen jene Ausſchließung bewirkt werde.

 

Hierin iſt folgende Verſchiedenheit der Fälle zu beach-

ten. In der kleineren Zahl von Fällen, worin die Con-

currenz mehrerer Klagen auf einer wahren Identität der

Obligation beruht (§ 232), muß jede Erfüllung, ſie mag

freywillig, oder durch Klage erzwungen ſeyn, das Rechts-

verhältniß ſelbſt vernichten, und zwar in Beziehung auf

alle in demſelben ſtehende Perſonen; ohne Unterſchied, ob

ſie ſelbſt die Erfüllung bewirkt haben oder nicht, und ob

der Erfüllende an ſie dabey dachte oder nicht (a). Wenn

alſo ein Bürge zahlt, ſo iſt es genau ſo, als wenn der

Hauptſchuldner gezahlt hätte, und umgekehrt, weil nur

eine einzige Schuld auf Beide gemeinſchaftlich ſich bezog.

 

(q) L. 1 § 1 L. 3 § 1 nautae

(4. 9.).

(a) § 1 J. de duobus reis

(3. 16), L. 3 § 1 eod. (45. 2.).

— Es iſt daſſelbe Princip, nach

welchem auch eine einfache Schuld

und Klage ipso jure zerſtört wird,

ohne Unterſchied ob der Schuld-

ner ſelbſt, oder für ihn ein Ande-

rer, die Zahlung leiſtet. L. 23. 53

de solut. (46. 3.).

17*

|0274 : 260|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Hier iſt alſo das Recht ſelbſt vernichtet, welches beiden

Klagen zum Grunde lag, woraus die Vernichtung der

Klagen von ſelbſt folgt (§ 230), ſo daß es keiner künſt-

lichen Anſtalt bedarf, um die zweyte Klage abzuwenden,

wenn durch die erſte bereits die Erfüllung erzwungen wor-

den iſt.

Anders verhält es ſich in den zahlreicheren und man-

nichfaltigeren Fällen, worin zwey Klagen nicht auf einer

identiſchen Obligation beruhen, aber doch der Zweck der

einen durch den Erfolg der andern Klage ganz oder theil-

weiſe erreicht worden iſt. Hierin liegt eine indirecte Be-

friedigung des Berechtigten für die noch nicht gebrauchte

Klage (§ 230). Sollte dieſe nun dennoch angeſtellt wer-

den, blos weil die geleiſtete Erfüllung nicht unmittelbar

auf die dieſer Klage zum Grund liegende Obligation be-

zogen war, ſo würde der Kläger zwar den Buchſtaben

des Rechts für ſich haben, aber im Widerſpruch mit der

aequitas, und dieſen Misbrauch zu verhüten dient daſſelbe

Rechtsmittel, das auch in allen anderen Fällen zu dieſem

Zweck benutzt wird: eine Exception, die bald doli, bald in

factum genannt wird.

 

Dieſes iſt das Princip, welches folgende Stelle des

Gajus allgemein ausſpricht (b):

Bona fides non patitur, ut bis idem exigatur.

 

Mit Unrecht haben Daſſelbe Manche als das allge-

meine Princip aller Concurrenz angeſehen. Wo die gelei-

 

(b) L. 57 de R. J. (50. 17.).

|0275 : 261|

§. 236. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

ſtete Erfüllung jede vorhandene Obligation an ſich ver-

nichtet hat, da bedarf es dieſer Zuflucht zu der bloßen

aequitas nicht; wo aber der Erfolg der ſchon gebrauchten

Klage für die noch übrige nur eine indirecte Befriedigung

darbietet, da iſt das angeführte Princip für die richtige

Behandlung der Klagenconcurrenz entſcheidend (c).

In der Anwendung dieſes Grundſatzes findet ſich fol-

gender, in der allgemeinen Natur der Klagen gegründeter

Unterſchied. Wenn die noch übrige Klage zu den ſtrengen

Klagen gehörte, ſo mußte die Exception in der Formel

ausgedrückt ſeyn, damit ſie der Judex berückſichtigen durfte;

war es dagegen eine freye Klage (arbitrium), ſo war die

Aufnahme der Exception zwar auch zuläſſig, auch ſtets

ſicherer, aber nicht nothwendig, indem der Arbiter auch

die nicht ausgedrückte Exception beachten durfte und muß-

te (d). In den Fällen dieſer letzten Art ſagen zuweilen

die alten Juriſten, hier wie anderwärts, daß die Wir-

kung ipso jure eintrete, welcher Ausdruck freylich für

ſolche Fälle nicht genau iſt, und eigentlich nur ſagen will,

ſie ſey unabhängig von der Thätigkeit oder Unthätigkeit

des Prätors, die bloße Überzeugung des Judex ſey dazu

völlig ausreichend.

 

Nach dieſen Erörterungen werden folgende Anwendun-

gen keine Schwierigkeit darbieten.

 

Bey der Concurrenz der a. venditi mit der Stipula-

 

(c) Dieſe Bemerkung iſt gut

ausgeführt von Göſchen Vorle-

ſungen I. § 158. 159.

(d) Beylage XIII. Num. IV.

|0276 : 262|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

tionsklage ſoll jene, wenn ſie zuletzt angeſtellt wird, ipso

jure ausgeſchloſſen ſeyn, dieſe in gleichem Fall nur per

exceptionem (e).

Ganz derſelbe Unterſchied wird gemacht wenn die con-

dictio furtiva mit der a. commodati concurrirt (f).

 

Über die Concurrenz der a. doli und quod metus causa

wird geſagt, daß jede derſelben, wenn ſie nach der ande-

ren gebraucht werde, durch eine facti exceptio auszu-

ſchließen ſey (g). Hier wird alſo der Gebrauch der Ex-

ception anerkannt, obgleich beide Klagen arbitria ſind.

 

Wenn in den Fällen einer ſolchen Concurrenz die freye

Klage zuerſt angeſtellt wurde, ſo entſtand die Gefahr, daß

bey der künftigen Anſtellung der ſtrengen Klage die Ex-

ception vergeſſen, und dadurch das Princip der aequitas

verletzt werden möchte. Deswegen wurde von den alten

Juriſten der Arbiter angewieſen, gleich bey der freyen

Klage nicht eher zu condemniren, als bis der Kläger auf

die noch übrige ſtrenge Klage verzichtete (h). Es iſt nur

ein anderer Ausdruck für dieſelbe Regel, wenn zuweilen

geſagt wird, der Kläger ſolle caviren, daß nicht Daſſelbe

 

(e) L. 28 de act. emti (19. 1.).

(f) L. 71 pr. de furtis (47. 2),

vgl. oben § 232. h. — L. 34 § 1

de O. et A. (44. 7.) „altera

actio alteram perimit, aut ipso

jure, aut per exceptionem,

quod est tutius.” Das heißt:

die Condiction iſt nur per ex-

ceptionem ausgeſchloſſen, die a.

commodati ipso jure, nämlich

auch ohne ausgedrückte doli ex-

ceptio; jedoch iſt es auch bey die-

ſer letzten ſicherer, die Exception

in der Formel auszudrücken.

(g) L. 14 § 13 quod metus

(4. 2.).

(h) L. 25 § 5 L. 43 loccti

(19. 2), L. 7 § 1 commod. (13. 6),

L. 9 § 1 de furtis (47. 2.).

|0277 : 263|

§. 236. Concurrenz der Klagen. (Fortſetzung.)

nochmals werde eingeklagt werden (i). Darunter iſt blos

eine Stipulation auf dieſe Unterlaſſung zu verſtehen; an

Bürgen oder Pfänder iſt bey jenem Ausdruck nicht zu

denken.

Die hier erwähnten formellen Unterſchiede und Schwie-

rigkeiten waren eigentlich ſchon zu Juſtinians Zeit weg-

gefallen, da keine formulae mehr vorkamen. Allein auch

ſchon in der früheren Zeit gab es ein einfaches Mittel,

jenen Nachtheilen vorzubeugen, wenn nämlich alle Klagen

zugleich angeſtellt wurden, da denn der Judex das Princip

der Concurrenz gleich bey der erſten Anſtellung der Klage

anzuwenden genöthigt war (k). — In unſrem heutigen

Prozeß findet ſich dieſe Auskunft von ſelbſt, wenn nur der

Kläger die Unvorſichtigkeit vermeidet, ſeinen Antrag mehr

als nöthig zu beſchränken; denn nun muß der Richter aus

allen etwa begründeten Klagen dasjenige Reſultat bilden,

welches aus dem oben vorgetragenen Princip der Concur-

renz hervorgeht.

 

Die Einſchränkungen, welche hier durch das Princip

der Concurrenz für die Klagen aufgeſtellt worden ſind,

laſſen ſich auch denken in Anwendung auf die Excep-

 

(i) L. 36 § 2 de her. pet.

(5. 3), L. 13 de rei vind. (6. 1.).

(k) Ganz ſo ſollte es auch

ſchon im alten Prozeß in dem ſehr

ähnlichen Fall gehalten werden,

wenn der Kläger ungewiß war,

ob von zweyen Klagen die eine

oder die andere begründet ſeyn

möchte. L. 1 § 4 quod legat.

(43. 3.). Vgl. Donellus § 7.

|0278 : 264|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

tionen, und es fragt ſich, ob ſie hier auf dieſelbe Weiſe

wie bey den Klagen behauptet werden können. Es ergiebt

ſich aber hier ſogleich der große Unterſchied, daß die bey

den Klagen eintretende Gefahr, die durch das Princip der

Concurrenz abgewendet werden ſollte, bey den Exceptionen

von ſelbſt verſchwindet. Dieſe Gefahr beſtand bey den

Klagen in der mehrfachen Erreichung deſſelben Zwecks,

der nur einfach eine rechtliche Begründung haben kann.

Bey den Exceptionen iſt dieſe Gefahr deshalb nicht vor-

handen, weil ſie ſtets nur einen und denſelben negativen

Zweck haben, die Abweiſung der Klage, welcher Zweck

ſeiner Natur nach nur einmal erreicht werden kann. Da-

her iſt es denn auch anerkannt, daß Exceptionen neben

anderen Exceptionen, ſo wie neben der abſoluten Vernei-

nung, allerdings zuläſſig ſind (l). Die Zweifel, die bey

manchen Fällen ſolcher gehäuften Vertheidigungsmittel ent-

ſtehen, haben einen ganz anderen Grund, nämlich die wi-

derſprechende Natur des Inhalts mancher dieſer Mittel.

Die Erörterung dieſer Frage aber gehört lediglich in die

Prozeßlehre, nicht in die Theorie des materiellen Rechts.

(l) L. 43 pr. de R. J. (50. 17), vgl. oben § 232. a. b. c. L. 5.8.9

de except. (44. 1.).

|0279 : 265|

§. 237. Klagverjährung. Einleitung.

§. 237.

Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Einleitung.

Quellen:

 

Inst. IV. 12.

Dig. XLIV. 3.

Cod. Iust. VII. 36—40.

Novellae Iust. IX. CXI. CXXXI. C. 6.

Gajus IV. § 110. 111.

Cod. Theod. IV. 14.

Schriftſteller:

 

Giphanii explanatio Codicis, ad L. 3 C. de praescr. XXX.

P. 2. p. 245—258.

Jac. Ravii princ. doctrinae de praescriptionibus ed. 3.

Halae 1790 (a), § 126—152. § 165.

Thibaut Beſitz und Verjährung Jena 1802 § 38—56.

Unterholzner Verjährungslehre B. 1. 2. Leipzig 1828.

Göſchen Vorleſungen B. 1 § 148—155.

Kierulff Theorie B. 1 S. 189—215.

Wenn ein Klagrecht dadurch untergeht, daß der Klag-

berechtigte daſſelbe innerhalb eines gewiſſen Zeitraums

auszuüben unterläßt, ſo heißt dieſe Aufhebung des Rechts

 

(a) Die erſte Ausgabe iſt von

1766. Das Buch iſt merkwürdig,

theils als ein Zeichen der in ſeiner Zeit

herrſchenden höchſt geſchmackloſen

und unkritiſchen Methode, theils

wegen des nicht geringen Einfluſ-

ſes, welchen es lange Zeit aus-

geübt hat.

|0280 : 266|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Klagverjährung. Der Römiſche Ausdruck: temporis

oder temporalis praescriptio bezeichnet unmittelbar nicht

dieſe Veränderung, oder den für den Berechtigten eintre-

tenden Verluſt, ſondern das dem Beklagten erworbene

Recht, jeden ferneren Verſuch der Ausübung dieſer Klage

durch Exception auszuſchließen. Der Begriff iſt hier ab-

ſichtlich auf hypothetiſche Weiſe aufgeſtellt worden, und

mit dieſer Auffaſſung wäre es gleich vereinbar, daß ihm

gar keine, oder eine ſeltene, eine häufige, vielleicht ſelbſt

eine allgemeine Anwendung auf Klagrechte zugeſchrieben

würde. Welche Anwendung ihm in der That zukommt,

wird durch die nachfolgende geſchichtliche Unterſuchung feſt-

geſtellt werden.

Die Klagverjährung ſteht mit vielen anderen Rechts-

inſtituten dadurch in Verwandtſchaft, daß in ihnen allen

das Zeitelement als Bedingung einer Rechtsänderung vor-

kommt. Es iſt aber dieſer Verwandtſchaft zu großem

Verderben der Theorie, wie der Praxis, eine ungebühr-

liche Ausdehnung gegeben worden, indem man alle durch

Zeit bedingte Änderungen der Rechtsverhältniſſe unter

einen gemeinſamen Gattungsbegriff zu bringen verſucht

hat. Man bezeichnete dieſen unkritiſcherweiſe angenomme-

nen Rechtsbegriff durch die Ausdrücke: Verjährung oder

Praescriptio, welche man dann weiter in acquisitiva und

exstinctiva eintheilte. Nicht nur dieſe Kunſtausdrücke,

ſondern auch die durch ſie bezeichneten Rechtsbegriffe, ſind

völlig verwerflich. Die gefährlichſte Geſtalt dieſer irrig

 

|0281 : 267|

§. 237. Klagverjährung. Einleitung.

angenommenen Begriffe aber beſteht darin, wenn man

ihnen nicht blos eine hypothetiſche Bedeutung beylegt, bey

welcher die wirkliche Anwendung einſtweilen dahin geſtellt

bleiben kann, ſondern ſie ſelbſt unvermerkt in den grund-

falſchen Rechtsſatz umwandelt, daß alle Rechte überhaupt

durch fortwährend verſäumte Ausübung untergehen ſol-

len (b). Die Vertheidiger dieſer irrigen Lehre pflegen

dann wohl einzelne, ſeltene Fälle als Ausnahmen ihrer

grundloſen Regel zu behandeln, zu deren Bezeichnung der

ganz entbehrliche Kunſtausdruck res merae facultatis er-

funden worden iſt (c).

Die Klagverjährung iſt ein ganz poſitives Rechtsinſti-

tut, ſo wie jede Umbildung der Rechtsverhältniſſe, zu de-

ren Bedingungen ein Zahlenverhältniß (hier der Ablauf

eines beſtimmten Zeitraums) gehört. Die Gründe ihrer

Einführung, die auf verſchiedene Weiſe angegeben werden,

ſpielen meiſt in einander über, und ſind großentheils der

Erſitzung mit der Klagverjährung gemein (d).

 

Der allgemeinſte und entſcheidendſte Grund, gleich an-

wendbar auf die Klagverjährung, wie auf die Erſitzung,

liegt in dem Bedürfniß, die an ſich ungewiſſen, des Strei-

tes und Zweifels empfänglichen, Verhältniſſe des Rechts

 

(b) Vgl. über dieſe in mannich-

faltiger Weiſe ausgebildeten Irr-

thümer oben B. 4 § 178.

(c) B. 4 § 199. S. 515.

(d) Von dieſen Gründen der

Einführung iſt ſchon oben im All-

gemeinen die Rede geweſen, B. 4

§ 177. S. 305—307. Es mußte

aber an dieſer Stelle genauer dar-

auf eingegangen werden.

|0282 : 268|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

und des Vermögens dadurch feſtzuſtellen, daß die Un-

gewißheit in beſtimmte Zeitgränzen eingeſchloſſen wird (e).

Ein zweyter Grund der Einführung liegt in der Prä-

ſumtion der Tilgung desjenigen Rechts, welches durch die

Klage verfolgt werden ſoll; jedoch kann dieſer an ſich

wahre und wichtige Grund leicht misverſtanden werden.

Der Sinn dieſer Präſumtion beſteht in der Unwahrſchein-

lichkeit, daß der Berechtigte ſeine Klage ſo lange verſäumt

haben würde, wenn nicht das Recht ſelbſt auf irgend eine,

jetzt nur nicht erweisliche, Art wirklich aufgehoben wor-

den wäre (f). Dieſe Unwahrſcheinlichkeit iſt nun eigentlich

nur für die mit langen Zeiträumen verſehenen Verjährun-

gen zu behaupten; ſie iſt recht paſſend eigentlich nur bey

perſönlichen Klagen, und zwar vorzugsweiſe bey Klagen

 

(e) Dieſer Grund hat zufällig

nicht bey der Klagverjährung, wohl

aber bey der Erſitzung, häufige

Anerkennung gefunden. Cicero

pro Caecina C. 26 „usucapio

fundi, h. e. finis solicitudinis

ac periculi litium.” Gajus II.

§ 44 „ne rerum dominia diu-

tius in incerto essent.” Eben

ſo derſelbe Gajus in L. 1 de

usurp. (41. 3.), und Neratius in

L. 5 pr. pro suo (41. 10.).

(f) Die Art dieſer Aufhebung

bleibt alſo völlig dahin geſtellt,

ſie kann in Zahlung, Compenſa-

tion, Novation u. ſ. w. beſtanden

haben, oder auch in einem Erlaß-

vertrag. Dieſe letzte Möglichkeit

kann als die ſehr beſchränkte, re-

lative Wahrheit in derjenigen An-

ſicht eingeräumt werden, nach wel-

cher die Dereliction Grund der

Verjährung ſeyn ſoll. Vgl. oben

B. 4 S. 307. — Eben wegen die-

ſer ſehr häufigen Unbeſtimmtheit

in den einzelnen Anwendungen der

Klagverjährung, und weil über die

Fortdauer des Rechtsverhältniſſes

der Beklagte ſelbſt völlig in Unge-

wißheit ſeyn kann (beſonders wenn

er der Erbe des urſprünglichen

Schuldners iſt), iſt es auch gar

nicht inconſequent, die Einrede der

Verjährung neben irgend einer an-

dern Art der Vertheidigung, ſelbſt

neben der abſoluten Verneinung,

geltend zu machen.

|0283 : 269|

§. 237. Klagverjährung. Einleitung.

auf Geldſchulden, weil hier die regelmäßige Tilgung in

einer ſpurlos vorübergehenden Handlung beſteht, deren

Beweis oft durch den Verluſt der Quittung unmöglich wird.

Schon aus dieſer eingeſchränkten Wahrheit der erwähnten

Präſumtion iſt es einleuchtend, daß ſie nicht wie andere,

gewöhnliche Präſumtionen behandelt werden darf, ſo daß

etwa der Kläger einen Gegenbeweis, z. B. durch Eides-

delation, unternehmen dürfte. Das Weſentliche und Wohl-

thätige der Klagverjährung beſteht vielmehr gerade darin,

daß es faſt immer ungewiß bleiben wird, ob die Schuld

bereits getilgt iſt, alſo blos der fehlende Beweis ergänzt

wird, oder ob gegenwärtig die Klagverjährung eine ſelbſt-

ſtändige Veränderung bewirkt. — Eine ähnliche Präſum-

tion kann auch bey der Erſitzung behauptet werden, indem

es unwahrſcheinlich iſt, daß ein anderer Eigenthümer, wenn

ein ſolcher vorhanden wäre, ſeine Vindication lange Zeit

verſäumt haben würde. Auch hier wird es oft ungewiß

bleiben, ob die Erſitzung Eigenthum aus einer Hand in

die andere gebracht, oder nur den fehlenden Beweis des

ſchon vorhandenen Eigenthums erſetzt hat. Dieſe Anſicht

findet vorzugsweiſe Anwendung bey der dreyßigjährigen

Erſitzung in Ermanglung des Titels, da nämlich der Ti-

tel oft wirklich vorhanden iſt, und nur zufällig nicht be-

wieſen werden kann.

Drittens wird die Strafe der Nachläſſigkeit als Grund

der Klagverjährung angegeben, und auch in unſren Rechts-

 

|0284 : 270|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

quellen wird darauf deutlich hingewieſen (g). Dennoch

darf dieſer Ausdruck nicht in dem gewöhnlichen Sinn

einer Strafe verſtanden werden, da die Nachläſſigkeit,

welche nicht anderen Perſonen ſchadet, überhaupt nicht

ſtrafbar iſt, und da beſonders die Klage oft aus ſchonen-

der Nachſicht gegen den Schuldner verſchoben wird, worin

doch gewiß Niemand eine Verletzung Deſſelben finden kann.

Jener Ausdruck iſt aber überhaupt nicht als poſitiver

Grund der Klagverjährung anzuſehen, ſondern als Recht-

fertigung derſelben gegen den Vorwurf der Härte und Un-

gerechtigkeit. Der im gemeinen Wohl liegende poſitive

Grund iſt bereits angegeben worden; daß man Dieſen

geltend machen darf, ohne dem Recht des Klägers zu nahe

zu treten, folgt aus der hinreichenden Zeit, die Demſelben

zur Ausübung ſeines Klagrechts geſtattet iſt. Es wird

alſo jedem Klagberechtigten zugemuthet, dem gemeinen

Wohl nicht ſein Recht zum Opfer zu bringen, ſondern nur

ſeine Unthätigkeit. Unterläßt er Dieſes, ſo hat er den

eintretenden Verluſt ſich ſelbſt zuzuſchreiben, welcher Her-

gang nun eben als Strafe ausgedrückt wird. Dieſer Zu-

ſammenhang der Gedanken wird in unſren Rechtsquellen

ſehr beſtimmt anerkannt bey der Erſitzung, deren Rechtfer-

tigung völlig auf dem gleichen Grunde beruht, alſo auch

(g) L. 2 C. de ann. exc. (7.

40.). „Ut … sit aliqua inter

desides et vigilantes differen-

tia” .. L. 3 C. eod. „cum con-

tra defides homines, et sui ju-

ris contemtores, odiosae ex-

ceptiones oppositae sunt.” L.

un. § 5 C. Th. de act. certo

temp. (4. 14.). „Verum ne qua

otioso nimis ac defidi queri-

monia relinquatur” …

|0285 : 271|

§. 237. Klagverjährung. Einleitung.

hier benutzt werden kann (h). — Obgleich nun alſo in

dieſer ſogenannten poena negligentiae nicht ſowohl der

poſitive Grund der Klagverjährung zu ſuchen iſt, als die

Abwehr eines möglichen Vorwurfs, ſo iſt ſie dennoch von

dem größten Einfluß auf die einzelnen Beſtimmungen die-

ſes Rechtsinſtituts, indem es ſich zeigen wird, daß überall

vorzügliche Rückſicht zu nehmen iſt auf die für den Be-

rechtigten vorhandene Möglichkeit, den Nachtheil der Ver-

jährung durch Aufmerkſamkeit zu vermeiden. Es iſt übri-

gens einleuchtend, daß dieſer Rechtfertigungsgrund vorzüg-

lich bey den langen Verjährungszeiten (z. B. von 30 Jahren)

durchgreifende Wahrheit hat; bey den prätoriſchen Annal-

klagen, ſo wie bey der einjährigen Uſucapion des ältern

Rechts, erſcheint er weniger überzeugend.

Ein wichtiger Grund der Klagverjährung, der bey der

Erſitzung nicht eben ſo vorkommt, liegt endlich darin, daß

die Anſtellung der Klage in der Willkühr des Klägers

liegt, daß er es alſo in ſeiner Macht hat, durch lange

Verzögerung derſelben, die Vertheidigung des Beklagten

zu erſchweren, indem die Beweismittel ohne des Beklag-

ten Schuld untergehen können, z. B. durch den Tod der

 

(h) L. 1 de usurp. (41. 3.)

„cum sufficeret dominis ad in-

quirendas res suas statuti tem-

poris spatium.” Eben ſo Ga-

jus II. § 44. — Dieſes Motiv ſteht

in weſentlichem Zuſammenhang mit

dem vorhergehenden. Denn die

Präſumtion der Tilgung iſt nicht

ſo zu denken, als ob die lange

Zeit an ſich ſelbſt die Tilgung

wahrſcheinlich machte, ſondern ſo

daß die große Nachläſſigkeit des

Berechtigten, in ſo langer Zeit die

Verfolgung des Rechts zu unter-

laſſen, wenn es ſtets fortgedauert

hätte, nicht vermuthet werden kann.

|0286 : 272|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

vorhandenen Zeugen. Die Beſchränkung dieſer einſeitigen

Macht des Klägers, die auf unredliche Weiſe misbraucht

werden kann, iſt vorzüglich zu beachten.

Endlich giebt man auch noch als Zweck der Klagver-

jährung an die Verminderung der Prozeſſe (i). So ma-

teriell nun, als ob die bloße Herabſetzung der Anzahl ein

wünſchenswerthes Gut wäre, darf dieſer Grund gewiß

nicht aufgefaßt werden, da die Abwendung gerechter Pro-

zeſſe gar nicht wünſchenswerth iſt. Das Wahre aber in

jenem Grunde liegt darin, daß allerdings durch die Ver-

jährung viele Klagen abgehalten werden, die entweder

ohnehin, aber mit mehr Mühe und Koſten, als unbegrün-

det anerkannt werden müßten, oder ſogar, welches das

größere Übel iſt, zu einer ungerechten Verurtheilung wegen

fehlender Beweiſe führen würden.

 

Die Klagverjährung gehört unter die wichtigſten und

wohlthätigſten Rechtsinſtitute (k). In ihr haben ſich die

Beſtimmungen des Römiſchen Rechts, vorzugsweiſe vor

vielen anderen Inſtituten, in vollſtändiger Übung erhalten,

und zwar nicht blos in den Ländern des gemeinen Rechts,

ſondern auch da wo neue Geſetzbücher eingeführt ſind.

 

(i) Eine Erwähnung davon,

nicht bey der Klagverjährung, aber

doch bey einem verwandten Inſti-

tut, findet ſich in L. 2 pr. de

aqua pluv. (39. 3.) „.. vetustas

quae semper pro lege habe-

tur, minuendarum scilicet li-

tium causa.”

(k) Cassiodori Var. V. 37

„Tricennalis autem humano ge-

neri patrona praescriptio” …

Sieht man von dem ſchülſtigen

Ausdruck ab, der freylich bey die-

ſem Schriftſteller nie fehlen kann,

ſo liegt darin eine wahre Aner-

kennung der praktiſchen Wichtigkeit

dieſer Anſtalt.

|0287 : 273|

§. 238. Klagverjährung. Geſchichte.

Denn in dieſen beſteht das Neue und Eigenthümliche meiſt

nur in der Beſtimmung abweichender Verjährungsfriſten

für viele Klagen, und Dieſes iſt für die Theorie gerade

der minder erhebliche Gegenſtand.

§. 238.

Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Geſchichte.

Dem Begriff der Klagverjährung, welcher bisher nur

auf hypothetiſche Weiſe aufgeſtellt wurde (§ 237), iſt nun-

mehr eine geſchichtliche Grundlage zu geben.

 

Lange Zeit war dieſes Inſtitut dem Römiſchen Recht

ganz fremd. Erſt als die Prätoren in dem Edict häufig

ganz neue Klagen einführten, knüpften ſie viele derſelben

an die Bedingung, daß ſie innerhalb eines Jahres ange-

ſtellt werden müßten (intra annum judicium dabo); darin

lagen alſo einzelne Ausnahmen von der alten Regel der

ewigen Dauer aller Klagrechte. Solche Ausnahmen wur-

den dann auch bey einzelnen Civilklagen angenommen.

 

Eine etwas allgemeinere Geſtalt erhielt dieſes Rechts-

inſtitut zuerſt in der longi temporis praescriptio. Gegen

die Klagen aus dem Eigenthum oder einem jus in re (spe-

ciales in rem actiones) ſollte eine Verjährung von zehen

(zuweilen zwanzig) Jahren gelten, wenn der Beſitzer die

Hauptbedingungen der Uſucapion (beſonders Titel und

bona fides) nachweiſen konnte, ohne doch uſucapirt zu ha-

ben; denn durch die Uſucapion wurde ihm freylich jede

Exception entbehrlich. — Eine Erweiterung erhielt dieſe

 

V. 18

|0288 : 274|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

longi temporis praescriptio unter Conſtantin, indem der

Mangel des Titels und der bona fides durch eine längere

Zeit des Beſitzes erſetzt werden ſollte; wie es ſcheint, war

die Beſtimmung der Zeit ſchwankend zwiſchen 30 und 40

Jahren. Eine Ausdehnung auf andere Arten von Klagen

lag jedoch hierin nicht, ſo daß namentlich die perſönlichen

Klagen in der Regel noch immer unverjährbar blieben (a).

Das erſte Verjährungsgeſetz von durchgreifender All-

gemeinheit wurde von Theodoſius II. im Jahre 424 erlaſ-

ſen, welches in beide Conſtitutionenſammlungen (mit einiger

Verſchiedenheit) übergegangen iſt (b). Der Inhalt dieſes

wichtigen Geſetzes, welches die Grundlage des ganzen

Verjährungsrechts bildet, iſt hier genauer anzugeben. Es

beſtätigt alle ſchon bisher geltende Klagverjährungen, ver-

ordnet aber da wo es bisher an ſolchen fehlte, eine drey-

ßigjährige Verjährung, nicht nur (wie ſchon bisher) für

die speciales in rem actiones, ſondern auch für die here-

ditatis petitio (de universitate), und zugleich, was das

Wichtigſte war, für die perſönlichen Klagen. — Ausdrück-

 

(a) Unterholzner I. § 17.

(b) L. un. C. Th. de act.

certo temp. fin. (4. 14.), L. 3

C. J. de praescr. XXX. (7. 39.).

Im Juſtinianiſchen Codex heißt

die Inſeription: Honorius et

Theodosius, welches unmöglich

iſt, da Honorius ſchon 423 ſtarb.

Im Theodoſiſchen Codex heißt es

blos: Theodosius, welches völlig

befriedigend ſeyn würde; allein

ein anderes Stück deſſelben Ge-

ſetzes (L. 7 C. Th. de cognitor.

2. 12.) iſt überſchrieben: Theod.

et Valent., welches auch zuläſ-

ſig iſt, da Valentinian III. im J.

424 bereits zum Mitregenten be-

ſtimmt war. In jedem Fall iſt

Theodoſius II. der einzige Urheber

des Geſetzes. Vgl. Unterholz-

ner I. § 18. Wenck ad L. un.

C. Th. cit. Zirardinus, Leges

novellae Theodosii rel. p. 278.

|0289 : 275|

§. 238. Klagverjährung. Geſchichte.

lich ausgenommen wurde die actio finium regundorum.

Dieſe Ausnahme iſt im Juſtinianiſchen Codex weggelaſſen,

weil Juſtinian ſie in einer ſeiner Conſtitutionen aufgeho-

ben hatte (c). — Auch die Hypothekarklage gegen den

Schuldner ſelbſt wurde indirect ausgenommen, und dieſe

Ausnahme iſt im Juſtinianiſchen Codex beybehalten (d),

weil dieſer Gegenſtand ſpäter auf eigenthümliche Weiſe

beſtimmt wurde. — Alle jetzt ſchon vorhandenen Klagen

ſollten gleichfalls der Vorſchrift der 30 Jahre unterworfen

ſeyn, jedoch mit der Milderung, daß ihre Verjährungszeit

wenigſtens Zehen Jahre, von der Verkündigung des Ge-

ſetzes an gerechnet, betragen ſollte. Dieſe blos tranſito-

riſche Beſtimmung wurde im Juſtinianiſchen Codex natür-

lich weggelaſſen. — Am zweifelhafteſten iſt das Verhältniß

der den perſönlichen Zuſtand betreffenden Präjudicialklagen.

Bey der Aufzählung derjenigen Klaſſen von Klagen, wo-

für die neue Verjährung gelten ſoll, ſind ſie nicht mit ge-

nannt (e), dagegen lautet der Schluß des Geſetzes ſo all-

gemein, daß er auch auf ſie zu beziehen iſt (f).

(c) L. 1 § 1 C de ann. exc.

(7. 40.), vgl. unten Note i.

(d) L. 3 C. cit. „Eodem etiam

jure in ejus persona valente,

qui pignus vel hypothecam

non a suo debitore, sed ab alio,

… possidente nititur vindicare.”

Hier iſt das ſogenannte argumen-

tum a contrario ganz unwider-

legbar. — Wahrſcheinlich lag bey

dieſer Ausnahme die Anſicht zum

Grunde, daß gar keine Verjährung

anfangen könne, weil der Schuld-

ner die verpfändete Sache mit dem

Willen des Glaubigers beſitze.

(e) L. 3 C. cit. „Sicut in rem

speciales, ita de universitate,

ac personales actiones …”

Keine dieſer Bezeichnungen paßt

auf die Präjudicialklagen.

(f) L. 3 C. cit. „si qua res

vel jus aliquod postuletur, vel

persona qualicunque actione

vel persecutione pulsetur.” Un-

18*

|0290 : 276|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Dieſes Geſetz wurde durch die Aufnahme in den Theo-

doſiſchen Codex auch im Occident eingeführt; Valenti-

nian III. ſchärfte die Befolgung deſſelben durch beſondere

Verordnungen ein, worin er namentlich gegen einſchrän-

kende Auslegungen warnte (g).

 

Hieran ſchließt ſich ein Geſetz des K. Anaſtaſius vom

J. 491, welches für alle Klagen, die bisher noch keine

Verjährung hatten, als letztes Supplement eine vierzig-

jährige vorſchreibt (h). Die eigentliche Abſicht dieſes in

den Juſtinianiſchen Codex aufgenommenen Geſetzes iſt nicht

ganz klar. Am Natürlichſten ſcheint es bezogen werden zu

müſſen auf die von Theodoſius beſonders ausgenommenen

Klagen, die alſo nun nicht mehr unverjährbar, ſondern

nur einer etwas längeren Verjährung unterworfen ſeyn

ſollten; allein ſelbſt dieſe Beziehung iſt nicht ohne Schwie-

rigkeit. Die ſicherſte Anwendung iſt wohl die auf die

actio finium regundorum, die in dem Geſetz von Theodo-

ſius ausgenommen worden war, jetzt alſo in 40 Jahren

verjähren ſollte; vielleicht war ſie auch ausdrücklich von

K. Anaſtaſius genannt, deſſen Geſetz wir ja nicht mehr

in ſeiner urſprünglichen Geſtalt beſitzen. Juſtinian hat

nachher für dieſe Klage die dreyßigjährige Verjährung

 

terholzner I. § 18 will dieſe

Worte auf Klagen über das Ver-

mögen einſchränken, wozu jedoch

in ihnen kein Grund wahrzuneh-

men iſt.

(g) Nov. Valent. Tit. 8. 12

(J. 449 und 452). Unterholz-

ner I. S. 446 Note 433 ſcheint

dieſes Geſetz ganz misverſtanden

zu haben.

(h) L. 4 C. de praescr. XXX.

(7. 39.). Vgl. über dieſes Geſetz

Unterholzner I. § 19.

|0291 : 277|

§. 238. Klagverjährung. Geſchichte.

vorgeſchrieben (i). — Die Hypothekarklage gegen den Schuld-

ner gehört dagegen nicht zu den aufgehobenen Ausnahmen,

denn K. Juſtinus, der für ſie die Verjährung von 40 Jah-

ren vorſchrieb, ſagte dabey ausdrücklich, ſie ſey bis zu

ſeiner Zeit ohne alle Verjährung geweſen (k). — Daneben

aber erwähnt nun der Kaiſer, daß bisher das Geſetz von

Theodoſius durch willkührliche Auslegungen eingeſchränkt

worden ſey. Er ſcheint Dieſes durch die von ihm ge-

brauchten Ausdrücke zu misbilligen (l), und man könnte

auch auf dieſe Fälle das neue Supplement der 40 Jahre

beziehen. Indeſſen iſt doch auch nicht einzuſehen, warum

der Geſetzgeber den Interpretationen, die er ſelbſt als

irrig anſieht, durch eine verlängerte Verjährungsfriſt ein

Zugeſtändniß machen ſollte. — Wenn in der That die

Präjudicialklagen in dem Geſetz von Theodoſius nicht ent-

halten ſeyn ſollten (wovon ſchon oben die Rede war),

oder wenn ſie etwa durch ſpätere Auslegungen davon

ausgeſchloſſen worden wären, ſo könnte die Vorſchrift von

Anaſtaſius auf ſie bezogen werden, worauf in der That

einige Ausdrücke hinzudeuten ſcheinen (m). Ja Dieſes

(i) L. 6 C. fin. reg. (3. 39.).

Daß dieſe Beſtimmung nicht von

Theodoſius I. herrührt, deſſen Na-

men ſie führt, ſondern von Juſti-

nian ſelbſt, zeigt die Vergleichung

mit L. 5 C. Th. fin. reg. (2. 26.).

— Vgl. oben Note c.

(k) L. 7 pr. C. de praescr.

XXX. (7. 39.).

(l) L. 4 C. cit. „.. si qua

sit actio, quae cum non esset

expressim supradictis tempo-

ralibus praescriptionibus con-

cepta, quorumdam tamen vel

fortuita vel excogitata inter-

pretatione saepe dictarum ex-

ceptionum laqueos evadere pos-

se videatur …”

(m) L. 4 C. cit. „.. quicun-

que super quolibet jure .., su-

|0292 : 278|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

würde in der That die einzige im Juſtinianiſchen Recht

anwendbare Beſtimmung des Geſetzes von Anaſtaſius ſeyn,

welches überhaupt wohl beſſer in unſren Codex gar nicht

aufgenommen worden wäre, da es doch nur Zweifel zu

erregen geeignet iſt.

So allgemein und durchgreifend nun die Worte der

Verordnung von Anaſtaſius lauten, ſo hat doch er ſelbſt

dafür geſorgt, ihre Allgemeinheit wieder wankend zu ma-

chen, indem er in ſpäteren Conſtitutionen für zweyerley

Klagen erklärt hat, ſie würden mit Unrecht unter jene

Verordnung bezogen, und ſie ſollten überhaupt gar keiner

Verjährung unterworfen ſeyn. Dieſes verordnete er erſt-

lich für die Klage einer Stadt gegen ſolche Perſonen, die

ſich ihrer Verpflichtung als Mitglieder der Curie entziehen

wollten (n); zweytens für alle Klagen des Fiscus auf öf-

fentliche Abgaben (o).

 

Zuletzt hat noch Juſtinian in einer eigenen Conſtitution

die allgemeine Beobachtung der dreyßigjährigen Klagver-

jährung eingeſchärft, und dabey als einzigen Fall für 40

Jahre die Hypothekarklage erwähnt (p), für welche ja ſein

Vorgänger ein ausführliches Geſetz erlaſſen hatte. Hierin

liegt eine Beſtätigung des eben ausgeſprochenen Tadels

gegen die Aufnahme des Geſetzes von Anaſtaſius, da für

 

perque sua conditione, qua per

idem tempus absque ulla judi-

ciali sententia simili munitione

potitus est, sit liber, et .... se-

curus.”

(n) L. 5 C. de praescr. XXX.

(7. 39.).

(o) L. 6 C de praescr. XXX.

(7. 39.).

(p) L. 1 § 1 C. de ann. ex-

cept. (7. 40.) vom J. 530.

|0293 : 279|

§. 238. Klagverjährung. Geſchichte.

die Anwendung deſſelben neben der zuletzt angeführten Ver-

ordnung von Juſtinian durchaus kein Raum übrig bleibt.

In dieſer Verordnung erwähnt Juſtinian namentlich fol-

gende Klagen, wofür die Anwendung der 30 Jahre mit

Unrecht bezweifelt worden ſey:

1) Familiae herciscundi, communi dividundo, finium re-

gundorum. Für die zwey erſten gründete ſich der Zweifel

wahrſcheinlich auf die Verwechslung des allerdings unver-

jährbaren Anſpruchs auf Theilung mit dem Anſpruch auf

beſtimmte Geldzahlung (§ 252). Für die dritte hatte erſt

Juſtinian ſelbſt die Verjährung eingeführt (Note i).

 

2) Pro socio. Auch hier mag wohl die Verwechslung

der unverjährbaren Aufkündigung mit der Klage auf Geld-

zahlung den Zweifel veranlaßt haben.

 

3) Furti und vi bonorum raptorum. Der Irrthum

gründete ſich hier darauf, daß Manche fälſchlich glaubten,

der Dieb oder Räuber begehe durch den fortgeſetzten Be-

ſitz der Sache immer wieder einen neuen Diebſtahl, für

welchen alſo auch die Verjährung der furti actio ſtets von

Neuem anfangen müſſe (q).

 

Aus dieſer hiſtoriſchen Zuſammenſtellung ergiebt es ſich,

daß urſprünglich alle Klagen unverjährbar, dann aus-

nahmsweiſe einzelne verjährbar waren, endlich aber alle

verjährbar geworden ſind. Damit hängt denn auch der

veränderte Sprachgebrauch zuſammen, indem der Ausdruck

 

(q) L. 1 § 1 cit. „ex quo .. se-

mel nata est, et non iteratis

fabulis saepe recreata, quem-

admodum in furti actione dice-

batur.” Vgl. L. 9 pr. L. 67 § 2

de furtis (47. 2.).

|0294 : 280|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

perpetua actio, dem eigentlichen Wortſinn gemäß, eine

unverjährbare Klage bezeichnete, jetzt aber, da es ſolche

nicht mehr giebt, zur Bezeichnung einer dreyßigjährigen

Klage, im Gegenſatz der kürzer dauernden, geworden iſt (r).

Die nun folgende Lehre von der im Juſtinianiſchen

Recht geltenden Klagverjährung wird folgende Stücke zu

unterſuchen haben: die Bedingungen der Verjährung, ihre

Wirkung, die Ausnahmen derſelben, und ihre Anwendung

auf Exceptionen.

 

Die Bedingungen aber laſſen ſich auf folgende Vier

Punkte zurückführen:

 

a) Actio nata.

b) Ununterbrochene Verſäumniß.

c) Bona fides.

d) Ablauf der Zeit.

§. 239.

Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingun-

gen. a. Actio nata.

Unterholzner I. § 88. II. § 183. 260. 264—266.

Thon in Linde’s Zeitſchrift B. 8 S. 1—57. 1835 (a).

Die erſte Bedingung möglicher Klagverjährung fällt

zuſammen mit der Beſtimmung des Anfangspunktes der-

 

(r) pr. J. de perpetuis (4. 12.)

(a) Es wird ſich zeigen, daß ich

in den Hauptreſultaten mit dieſer

Schrift nicht einverſtanden bin; in-

deſſen hat ſie durch klare und gründ-

liche Behandlung des Gegenſtan-

des die Unterſuchung nicht wenig

gefördert.

|0295 : 281|

§. 239. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata.

ſelben. So lange kein Klagrecht vorhanden iſt, kann

daſſelbe nicht verſäumt, alſo auch nicht durch Verſäumniß

verloren werden. Es muß daher Actio nata ſeyn, wenn

eine Verjährung anfangen ſoll (b).

Jedes Klagrecht aber hat zwey Bedingungen (§ 205):

Erſtlich, ein wirkliches, gegenwärtiges, verfolgbares Recht,

und wo es an dieſem fehlt, iſt noch keine Verjährung

möglich. Darum kann ſie bey einer bedingten, oder auf

einen Zeitpunkt ausgeſetzten Obligation erſt anfangen, wenn

die Bedingung erfüllt, oder der Zeitpunkt eingetreten iſt (c).

— Zweytens eine Rechtsverletzung, eine Störung, welche

den Berechtigten zur Klage veranlaßt. Es kommt Alles

darauf an, dieſe, die Klage bedingende, Rechtsverletzung

richtig aufzufaſſen; die meiſten Streitigkeiten in dieſer Lehre

entſtehen aus Misverſtändniſſen über die Natur derſelben,

und wenn es gelingt, hierüber eine Verſtändigung her-

bey zu führen, ſo möchten wohl jene Streitigkeiten über

den Anfangspunkt der Verjährung verſchwinden.

 

Wird nun hier der Anfang der Verjährung in das

 

(b) L. 1 § 1 C. de ann. exc.

(7. 40.) „.. sed ex quo ab ini-

tio competit, et semel nata est

..”. L. 3 C. de praescr. XXX.

(7. 39.) „actiones XXX. anno-

rum jugi silentio, ex quo jure

competere coeperunt, vivendi

ulterius non habeant faculta-

tem.” L. 30 C. de j. dot. (5. 12.)

„ea mulieribus ex eo tempore

opponatur, ex quo possunt ac-

tiones movere.” In dieſer letzten

Stelle iſt von Uſucapion und

Klagverjährung zugleich die Rede.

(c) L. 7 § 4 C. de praescr.

XXX. (7. 39.) „… in omnibus

contractibus, in quibus sub ali-

qua conditione vel sub die …

pacta ponuntur, post conditio-

nis exitum, vel .. diei .. lap-

sum, praescriptiones XXX vel

XL annorum … initium acci-

piunt.”

|0296 : 282|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Daſeyn der Rechtsverletzung geſetzt, zu deren Bekämpfung

die Klage beſtimmt iſt, ſo hat dieſer Anfangspunkt eine

völlig objective Natur, und das Verhältniß einer ſolchen

verletzenden Thatſache zu dem Bewußtſeyn des Klagbe-

rechtigten kommt nicht in Betracht. Ob alſo dieſer von

der Klage weiß, die ihm zuſteht, oder nicht, iſt ganz gleich-

gültig, ſelbſt bey den kurzen, mit einem utile tempus ver-

ſehenen, Verjährungen; und es ſind bey dieſen letzten nur

ſeltene Ausnahmen, worin das Bewußtſeyn berückſichtigt

wird (d).

Schon von den Gloſſatoren an iſt eine Erweiterung dieſer Re-

gel verſucht worden, welche noch in der neueſten Zeit ihre Ver-

theidiger gefunden hat. Es ſoll nämlich die Verjährung ſchon

vor der Entſtehung des Klagrechts anfangen, vorausgeſetzt

daß es in der Willkühr des Berechtigten ſtand, dieſe Entſte-

hung herbey zu führen (e). Man drückt dieſe Regel alſo aus:

toties praescribitur actioni nondum natae, quoties nati-

vitas est in potestate creditoris. Durch welches Intereſſe die

Aufſtellung dieſer Regel veranlaßt worden iſt, kann erſt wei-

ter unten klar gemacht werden; ihre Unrichtigkeit aber läßt

ſich ſchon hier zeigen (f). Bey allen bedingten Obligatio-

nen ohne Ausnahme ſoll die Verjährung der Klage erſt

anfangen, wenn die Bedingung erfüllt iſt (Note c); und

 

(d) S. oben B. 3 Beylage VIII.

Num. XXV. XXVI. und B. 4

§ 190.

(e) Unterholzner II. S. 319,

Kind quaest. forenses Vol. 3

C. 35.

(f) Thon S. 2—6 hat dieſe

Regel gründlich geprüft und wi-

derlegt.

|0297 : 283|

§. 239. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata.

doch giebt es ächte Bedingungen, deren Erfüllung ganz in

der Willkühr des Berechtigten ſteht (g), und bey welchen

alſo, nach jener Regel, die Verjährung ſchon früher an-

fangen müßte. Eben ſo ſoll die Verjährung der Dotal-

klage allgemein anfangen mit der Auflöſung der Ehe (h),

und doch kann dieſe Auflöſung weit früher in der Will-

kühr der Frau ſtehen, wenn nämlich der Mann durch ſeine

Handlungen eine Scheidungsurſache herbeyführte (i). Noch

einleuchtender iſt Dieſes für die Zeit des ältern Rechts,

worin die Frau auch ohne Urſache die Scheidung ausſpre-

chen konnte; hätte nun damals ſchon eine Verjährung der

Dotalklage beſtanden, ſo würde dieſelbe nach jener Regel

vom Anfang der Ehe an zu berechnen geweſen ſeyn, wel-

ches doch gewiß Jeder für ganz widerſinnig erkennen wird.

Das Wichtigſte und Schwierigſte aber iſt die Anwen-

dung der von mir aufgeſtellten Regel auf einzelne Rechts-

verhältniſſe, und erſt dabei wird es möglich ſeyn, die Streit-

fragen klar zu machen, die in dieſer Lehre vorkommen.

 

Vor Allem müſſen unterſchieden werden die Klagen in

rem von den perſönlichen Klagen.

 

Bey den Klagen in rem iſt über den Anfang der Ver-

jährung weniger Streit als bey den perſönlichen. Die Ver-

jährung der Vindication und der mit ihr gleichartigen Kla-

gen (k) fängt an mit dem Beſitz, welchen ein Anderer

 

(g) S. o. B. 3 § 117.

(h) L. 7 § 4 C. de praescr.

XXX. (7. 39.), L. 30 C. de j.

dot. (5. 12.), vgl. Note b.

(i) Thon S. 14—16 S. 56.

(k) Dahin gehört die publi-

ciana, die a. vectigalis, die des

Superficiars und die Hypothekar-

|0298 : 284|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

ohne den Willen des Berechtigten erworben hat. Wenn

alſo der Eigenthümer einer beweglichen Sache dieſelbe an

einem entlegenen Orte verliert, und ſie da viele Jahre un-

bemerkt liegen bleibt, ſo kann von einer Klagverjährung

nicht die Rede ſeyn. Erſt wenn ein Anderer die Sache

findet und in Beſitz nimmt, iſt eine Verletzung des Eigen-

thums vorhanden, mit ihr auch ein Klagrecht, und die

Möglichkeit deſſen Ausübung zu verſäumen. Daß die Sache

dem Beſitzer abgefordert, und von dieſem verweigert werde,

iſt zum Anfang der Verjährung eben ſo wenig nöthig, als

daß der Eigenthümer die Beſitzergreifung wiſſe. —

Nicht nöthig zur Begründung dieſer Klagverjährung

iſt der Eigenthumsbeſitz des Gegners, ſo daß gegen den

Miether, Commodatar, oder Pfandglaubiger die Verjäh-

rung der Vindication nicht anfangen könnte (l); denn da

auch gegen dieſe Perſonen die Vindication angeſtellt wer-

den kann (m), ſo iſt kein Grund vorhanden, ihnen die Ver-

jährung derſelben zu entziehen. Das Wahre aber in je-

ner irrigen Behauptung beſteht darin, daß allerdings eine

Klagverjährung nicht anfangen kann, ſo lange der Mie-

 

klage, da dieſe alle nur gegen den

Beſitzer angeſtellt werden. Die

confessoria und negatoria wer-

den bedingt durch irgend eine Ver-

letzung, ſo daß der Anfang der

Verjährung eine weniger beſtimmte

Natur hat als bey jenen Klagen;

bey ihnen aber wird überhaupt die

Klagverjährung ſeltner zur Sprache

kommen, weil ſie meiſt durch die

Erſitzung der Servitut, oder durch

den Untergang wegen Nichtge-

brauch abſorbirt ſeyn wird.

(l) Dieſe Meynung hat Unter-

holzner II. § 183 264. Er ver-

wechſelt die Klagverjährung mit

der Uſucapion, bey welcher dieſer

Satz allerdings wahr iſt.

(m) L. 9 de rei vind. (6. 1.)

|0299 : 285|

§. 239. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata.

ther u. ſ. w. im Namen des Eigenthümers beſitzt, alſo deſ-

ſen Recht auf irgend eine Weiſe anerkennt (n).

Bey den perſönlichen Klagen iſt das Princip daſſelbe,

wie es für die Klagen in rem aufgeſtellt worden iſt. Die

Verjährung fängt an, wenn die Erfüllung der Obligation

unterbleibt ohne den Willen des Berechtigten, das heißt

gegen die durch die Natur des Rechtsverhältniſſes begrün-

dete Erwartung. Auch hier alſo kommt es nicht darauf

an, daß der Schuldner zur Erfüllung aufgefordert ſey und

dieſelbe verweigert habe (o). Eben ſo iſt ganz gleichgültig

das Daſeyn der beſonderen Bedingungen, an welche die

Annahme der Mora geknüpft iſt. Mora iſt dasjenige Ver-

hältniß des nicht erfüllenden Schuldners, welches für ihn

gewiſſe poſitiv beſtimmte Nachtheile zur Folge hat (Zinſen,

Verantwortlichkeit u. ſ. w.); hier wird in der Regel Mah-

nung gefordert, wodurch das Daſeyn oder der Vorwand

ſtillſchweigender Nachſicht mit Sicherheit beſeitigt werden

ſoll. Für die Möglichkeit einer Klage aber ſind dieſe Be-

dingungen nicht nöthig; gerade der Umſtand, daß der Glau-

biger die Mahnung unterläßt, gehört zu der Reihe von

Nachläſſigkeiten, deren endlicher Erfolg der Verluſt des

Klagrechts durch Verjährung iſt (p).

 

(n) Von dieſem Fall ſind zu

verſtehen L. 2 L. 7 § 6 C. de

praescr. XXX. (7. 39.) Die rich-

tige Anſicht hat Kierulff S. 198.

(o) In dieſer unrichtigen Weiſe

wird die Meynung Derjenigen,

welche eine Rechtsverletzung zum

Anfang der Verjährung fordern,

von Thon S. 37. aufgefaßt.

(p) Die richtige Anſicht hier-

über hat Kierulff S. 197.

|0300 : 286|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

In der Anwendung auf einzelne Obligationen ſind zu-

erſt diejenigen Fälle zu betrachten, worin die aufgeſtellte

Regel einer reinen und einfachen Anwendung empfänglich

iſt, indem keine factiſche Verwicklungen hinzutreten, wodurch

Zweifel oder auch wirkliche Abweichungen veranlaßt wer-

den könnten. Ich rechne dahin folgende Fälle:

 

1) Die Delictsobligationen. Sobald das Delict began-

gen iſt, hat der Verletzte augenblicklich die Zahlung der

Entſchädigung oder der Strafe zu erwarten, und jede

Verzögerung iſt eine neue Rechtsverletzung, wodurch eben

die Klage begründet wird (q). Daher fängt die Verjäh-

rung der Klage mit dem vollendeten Delict an, weil es

als Verſäumniß betrachtet werden muß, wenn der Ver-

letzte nicht ſogleich die Klage anſtellt.

 

2) Ganz dieſelbe Natur haben auch die Quaſicontracte.

Die Verjährung der tutelae actio fängt alſo an mit der geendig-

ten Tutel (r), die der condictio indebiti mit der irrigen Zah-

 

(q) Es iſt alſo unrichtig, wenn

Thon S. 36 behauptet, es ſey

etwas Eigenthümliches bey den

Delictsllagen, daß die Verjährung

von einer Rechtsverletzung anfange.

Er verwechſelt die in dem De-

lict ſelbſt enthaltene Rechtsverletz-

ung mit der unterlaſſenen Zahlung;

die erſte kommt allerdings nur bey

Delicten vor, die zweyte iſt den

Delicten mit anderen Obligatio-

nen gemein, und auf ſie allein be-

zieht ſich der Anfang der Klagver-

jährung.

(r) Nicht mit der Übernahme

der Tutel, die allerdings den ent-

fernteren Grund der Obligation

enthält, ſo daß ſie den auf die

Entſtehungszeit gegründeten Rang

des ſtillſchweigenden Pfandrechts

beſtimmt; auch nicht mit der ein-

zelnen Handlung, wenn z. B. der

Vormund während der Vormund-

ſchaft Geld unterſchlägt. Die ei-

gentliche Obligation, alſo die ac-

tio tutelae, entſteht erſt mit dem

Ende der Tutel. L. 4 pr. de tu-

telae (27. 3.) „Nisi finita tu-

tela sit, tutelae agi non potest.“

|0301 : 287|

§. 239. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata.

lung, die der Dotalklage mit dem Ende der Ehe (Note h).

Denn in dieſen Zeitpunkten hat der Glaubiger, nach der

Natur der erwähnten Rechtsverhältniſſe, die Zahlung zu

erwarten, und wenn er nicht augenblicklich darauf klagt,

ſo liegt darin der Anfang einer Verſäumniß, deren Ende

den Verluſt der Klage durch Verjährung herbeyführt (s).

3) Eben ſo aber ſind auch die meiſten Obligationen aus

Verträgen zu betrachten, nämlich alle diejenigen, in wel-

chen nur nicht die nachfolgenden beſonderen Verwicklungen

wahrzunehmen ſind. Es gehören alſo dahin bey den Rö-

mern alle Klagen aus einfachen, nicht durch Bedingung

oder Zeit beſchränkten, Stipulationen; bey uns wie bey

den Römern, alle Klagen auf einzelne Leiſtungen aus Ver-

trägen, wenn der Glaubiger von ſeiner Seite Nichts zu

leiſten, oder ſeine Verpflichtung ſchon erfüllt hatte, alſo

unter andern alle Klagen der Kaufleute und Handwerker

aus Rechnungen über gelieferte Waaren. Denn in dieſen

Fällen iſt die Erwartung augenblicklicher Leiſtung durch

die Natur des Rechtsverhältniſſes wohl begründet, es iſt

alſo auch eine unzweifelhafte Verſäumniß, wenn es der

Glaubiger unterläßt, dieſer Erwartung, inſofern ſie nicht

freywillig erfüllt wird, durch Anſtellung einer Klage Nach-

druck zu geben. Wollte man in dieſen Fällen nach 30 Jah-

ren dem Beklagten zumuthen, eine anfängliche Aufforderung

 

(s) Mit Unrecht behauptet Bur-

chardi Grundzüge des Rechtsſy-

ſtems der Römer S. 194 Note 11,

es liege hierin eine Eigenthümlich-

keit der Quaſicontracte, da eigent-

lich noch eine Verweigerung hinzu-

kommen müßte.

|0302 : 288|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

und Verweigerung zu beweiſen, ſo würde das wohlthätige

Inſtitut der Verjährung praktiſch faſt ganz vernichtet ſeyn;

denn gerade wenn es zu einer ſolchen ausgeſprochenen Ver-

weigerung gekommen iſt, wird faſt immer die Klage wirk-

lich angeſtellt werden, ſo daß nur die übrigen Fälle von

praktiſcher Erheblichkeit für die Verjährung ſind.

Es iſt wohl zu bemerken, daß dieſe Anwendung der

Klagverjährung für das wirkliche Leben die allerwichtigſte

iſt. Denn ſie betrifft die unzähligen Verhältniſſe des täg-

lichen Verkehrs, deren vorübergehende Natur und geringe

Erheblichkeit eine geringere Sorgfalt in Aufbewahrung der

Beweismittel zur unausbleiblichen Folge hat. Zugleich iſt

bey dieſen das Daſeyn der oben (§ 237) dargeſtellten Gründe

der Verjährung recht einleuchtend. Denn wenn die Erben

eines Kaufmanns oder Handwerkers nach mehr als 30 Jah-

ren aus den Büchern ihres Erblaſſers Klagen erheben, ſo

iſt gewiß die Wahrſcheinlichkeit vorhanden, daß die Rech-

nung längſt bezahlt ſey, und zugleich die Gewißheit einer

großen Nachläſſigkeit der Eintreibung für den Fall, daß

dennoch die Eintreibung unterblieben ſeyn ſollte.

 

Durch dieſe Betrachtung ſind neuere Geſetzgebungen be-

wogen worden, für die erwähnten Verhältniſſe des täglichen

Verkehrs ſehr kurze Verjährungsfriſten vorzuſchreiben (t), und

auch dieſe Beſtimmung iſt gewiß dem wahren Bedürfniß, und

beſonders auch dem richtig verſtandenen Intereſſe der Glaubi-

 

(t) Code civil art. 2271 und

fg. — Preußiſches Geſetz vom 31.

März 1838 über kürzere Verjäh-

rungsfriſten (Geſetzſammlung 1838

S. 249).

|0303 : 289|

§ 240. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſ.)

ger, ſehr angemeſſen. Um ſo mehr aber müſſen wir uns

ſchon hüten, im gemeinen Recht die Schwierigkeit, die in dem

langen Zeitraum von 30 Jahren liegt, durch willkührliche

Forderungen für den Anfang der Verjährung faſt bis zur

Unmöglichkeit zu ſteigern.

§. 240.

Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingungen.

a. Actio nata. (Fortſetzung.)

Es bleibt nun noch übrig, diejenigen Arten der perſön-

lichen Klagen zu erwägen, in welchen die Anwendung der

im § 239. aufgeſtellten Regel entweder ohne Grund bezwei-

felt worden iſt, oder in der That modificirt werden muß.

 

A) Wenn bey einem zweyſeitigen Vertrag, z. B. einem

Kauf, noch kein Theil erfüllt hat, ſo ſoll, wie Manche

glauben, die Verjährung keiner der beiden Klagen anfan-

gen, weil jede derſelben, wegen der entgegenſtehenden ex-

ceptio non impleti contractus, noch nicht actio nata ſey (a).

 

Wäre dieſe Behauptung richtig, ſo läge darin ein Nach-

theil für den gewiſſenhaften, pünktlichen Contrahenten, ein

Vortheil für den ſäumigen, indem dieſer keine Verjährung

für ſeine eigene Klage zu befürchten hätte, ſo lange er

mit ſeiner Leiſtung an den Gegner im Rückſtand wäre.

Daß ein ſo rechtswidriger Erfolg nicht zuzulaſſen iſt, wird

bey ruhiger Betrachtung leicht zugegeben werden; es fragt

ſich aber, wie ihm zu begegnen ſeyn möge. — Unterholzner

 

(a) Thibaut Pandekten § 1020.

V. 19

|0304 : 290|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

beruft ſich auch hier auf die Regel, daß die Verjährung einer

noch nicht vorhandenen Klage dennoch anfange, wenn nur

die Entſtehung derſelben durch die bloße Willkühr des

künftigen Klägers bewirkt werden könne (b); dieſe Regel

ſelbſt iſt jedoch ſchon oben (§ 239) widerlegt worden. —

In der That aber iſt es ganz unrichtig, die Entſtehung

des Klagrechts von der Möglichkeit oder Beſeitigung der

erwähnten Exception abhängig zu denken. Die Klagen

aus dem Vertrag ſind völlig begründet von der Zeit des

Abſchluſſes an; jeder Theil kann ſie ſogleich anſtellen, und

tritt alſo, wenn er es unterläßt, ſogleich in den Zuſtand

der Verſäumniß ein, durch deſſen hinreichende Fortdauer

die Verjährung bewirkt wird. Keine Exception ſchließt

das Daſeyn eines Klagrechts, und die Möglichkeit es aus-

zuüben oder zu verſäumen, aus; ſchon deswegen nicht,

weil es ganz ungewiß iſt, ob die Exception vorgebracht

werden, und ob ihr der Richter Erfolg geben wird; am

wenigſten aber eine Exception wie die hier erwähnte, die

einen ganz dilatoriſchen Character hat, und nie zur gänz-

lichen Freyſprechung des Beklagten führt (c), ſo daß alſo

in jedem Fall die Klage wenigſtens mit dem Erfolg ſicher

angeſtellt werden kann, daß dadurch die Verjährung un-

terbrochen wird (d).

(b) Unterholzner II. § 260.

(c) L. 13 § 8 de act. emti

(19. 1.) „ .. nondum est ex

emto actio: venditor enim,

quasi pignus, retinere potest

eam rem, quam vendidit.” Die

Worte: nondum est actio dürfen

hier nicht zu buchſtäblich genom-

men werden; man muß hinzufügen:

cum effectu.

(d) Die richtige Anſicht haben

Vangerow I. S. 170. 171. Kie-

|0305 : 291|

§ 240. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſ.)

Die für dieſen Fall entſtandenen Zweifel ſind alſo ohne

Grund, und die im vorigen §. entwickelte Regel kommt

rein zur Anwendung. Denn mit dem Abſchluß des Kau-

fes iſt für jeden Theil die Erwartung entſtanden, daß der

Gegner ſogleich erfüllen werde, wie es der Natur des

Kaufs angemeſſen iſt; mit dieſer Erwartung aber entſteht

zugleich das Klagrecht, und die Möglichkeit, deſſen Aus-

übung zu verſäumen.

 

B) Schwieriger ſind diejenigen Fälle, worin das Rechts-

verhältniß ſelbſt zunächſt auf einen dauernden Zuſtand

führt, deſſen Ende jedoch in der Willkühr des Glaubigers

ſteht. Die perſönliche Klage, wodurch er die Änderung

jenes Zuſtandes bewirken kann, iſt wie jede andere Klage

der Verjährung unterworfen; aber der Anfangspunkt dieſer

Verjährung iſt es, welcher von jeher die größten Streitig-

keiten veranlaßt hat. Die wichtigſten Fälle, die hierher

gehören, ſind folgende: das unverzinsliche Darlehen (e);

das Depoſitum, Commodat, und Precarium (f); das Ein-

löſungsrecht wegen eines im Beſitz des Glaubigers befind-

 

rulff I. S. 193. 197. —

(e) Das unverzinsliche allein

kommt hier in Betracht, weil das

verzinsliche, durch die damit ver-

bundene periodiſche Leiſtung, zur

folgenden Klaſſe der Obligationen

gehört.

(f) Bey dem Precarium macht

es für den Anfang der Klagverjäh-

rung keinen Unterſchied, ob man

die ältere Römiſche Anſicht (des

auf ein Delict gegründeten Inter-

dicts) zum Grunde legt, oder die

neuere, nach welcher es als Ver-

trag behandelt wird. Denn nach

dieſer letzten Anſicht hat es ganz

dieſelbe Natur wie das Commodat;

nach der erſten kann von einem Mis-

brauch des Zutrauens, worin das

Weſen dieſes Delicts liegt, nicht

früher die Rede ſeyn, als der Ge-

ber die Sache zurückfordert, und

der Empfänger ſie verweigert.

19*

|0306 : 292|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

lichen Pfandes (a. pignoratitia directa); die a. venditi aus

einem Vertrag de retrovendendo. — Die vier erſten Fälle

ſind ganz gleichartiger Natur; bey den zwey letzten kom-

men noch beſondere Rückſichten in Betracht.

Ich betrachte zuerſt das unverzinsliche Darlehen, und

zwar dieſes in ſeiner einfachſten Geſtalt, wenn es ganz un-

beſtimmt gegeben iſt, ohne ausdrückliche Abrede über die

Art der Rückgabe. Hier hat der Glaubiger nach der Na-

tur des Rechtsverhältniſſes zunächſt die Rückgabe durchaus

nicht zu erwarten, da mit ſeinem ausgeſprochnen Willen

der Empfänger das geliehene Geld auf unbeſtimmte Zeit

hat und genießt. Fehlt es nun an dieſer natürlichen Er-

wartung, ſo giebt es auch noch keine Klage zu deren Un-

terſtützung, alſo iſt auch der Anfang einer Klagverjährung

unmöglich. Dieſe ſetzt Nachläſſigkeit voraus, und wo wäre

hier eine ſolche zu finden? Niemand wird ſagen, daß das

Darlehen an ſich ſchon eine Nachläſſigkeit in ſich ſchließe.

Alſo könnte dieſelbe nur darin gefunden werden, daß der

Glaubiger das Darlehen allzu lang beſtehen ließe, ohne es

entweder einzufordern oder durch einen neuen Schuldſchein

zu ſichern. Allein Dieſes müßte doch durch poſitives Ge-

ſetz vorgeſchrieben ſeyn, ſchon deswegen, weil es ſonſt an

einem beſtimmten Gränzpunkt der Nachläſſigkeit fehlen würde,

welcher zugleich den Anfang der Verjährung begründen

könnte. — Beſonders einleuchtend wird die Wahrheit die-

ſer Behauptung, wenn man den vorliegenden Fall mit den

im vorhergehenden §. betrachteten Fällen vergleicht. Auch

 

|0307 : 293|

§ 240. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſ.)

der Kaufmann oder Handwerker, der eine Rechnung über-

giebt, kann mit der Einforderung warten, und wird es

meiſt thun; das iſt Connivenz, die der Natur des Rechts-

verhältniſſes völlig fremd iſt, und die eine verdoppelte Auf-

merkſamkeit nöthig macht, wenn ſie nicht den Character

der Nachläſſigkeit annehmen ſoll. Ganz anders bey dem

Darlehen, bey welchem der Schuldner das Geld hat und

behält, nicht aus Connivenz des Glaubigers, ſondern nach

dem weſentlichen Inhalt des Vertrags ſelbſt. Hier fängt

alſo die Verjährung von dem Empfang des Darlehens

nicht an, weil keine Veranlaſſung zur Klage, keine Ver-

letzung, vorhanden iſt. Dagegen würde es auch hier ganz

unrichtig ſeyn, eine Verweigerung zu fordern. Es iſt ge-

nug, wenn der Glaubiger das Geld zurückfordert, mag

auch der Schuldner dieſe Forderung unbeantwortet laſſen;

die Verjährung fängt an, weil der Wille des Glaubigers,

daß der Schuldner das Geld genieße, aufgehört hat.

Mit einigem Schein iſt gegen dieſe Anſicht folgende

Stelle des Römiſchen Rechts geltend gemacht worden (g):

Sin autem communes numos credam, aut solvam,

confestim pro parte mea nascetur et actio, et li-

beratio.

 

Alſo, ſagt man, fängt die Darlehnsklage augenblicklich

mit dem gegebenen Darlehen an, nicht erſt mit der Kün-

digung. Allein dieſe Worte erhalten ihre Erklärung aus

den vorhergehenden. Wenn mit fremdem Gelde ein Dar-

 

(g) L. 94 § 1 de solut. (46. 3.)

|0308 : 294|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

lehen gegeben, oder eine Zahlung geleiſtet wird, ſo ſind

dieſe Rechtsgeſchäfte zunächſt unwirkſam, weil der Eigen-

thümer das Geld vindiciren kann; ſie werden gültig durch

die Conſumtion von Seiten des Empfängers, weil dieſe

das Eigenthum zerſtört (h). Zu dieſer Regel fügt die oben

abgedruckte Stelle eine natürliche Beſchränkung hinzu, für

den Fall daß der Geber des Geldes zu einem idealen Theil

Eigenthümer deſſelben wäre: nun ſoll in Anſehung dieſes

Theils ſein Darlehen oder ſeine Zahlung ſogleich voll-

gültig ſeyn. Das confestim alſo bezeichnet hier augen-

ſcheinlich den Gegenſatz gegen die außerdem erforderliche

Conſumtion, nicht gegen die Kündigung des Darlehens,

von welchem letzten Gegenſatz in der ganzen Stelle gar

nicht die Rede iſt.

Der Fall des Darlehens kann aber noch in folgenden

zuſammengeſetzteren Geſtalten vorkommen. Zuerſt wenn daſ-

ſelbe gleich Anfangs für einen beſtimmten Zeitraum gege-

ben iſt. Nun fängt unzweifelhaft die Verjährung mit dem

Ablauf dieſes Zeitraums an; nicht früher, weil der Glau-

biger nicht früher klagen kann; nicht ſpäter, weil mit je-

nem Zeitpunkt die im Vertrag ausgeſprochene Einwilli-

gung des Glaubigers in des Schuldners Benutzung des

Geldes aufhört. Jetzt iſt alſo, nach dem Inhalt des Ver-

trags, die freywillige Rückgabe des Geldes augenblicklich

zu erwarten, und wenn der Glaubiger die Unterlaſſung

 

(h) L. 13 pr. § 1 de reb. cred. (12. 1.).

|0309 : 295|

§. 240. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)

derſelben ſtillſchweigend duldet, ſo iſt dieſes wieder bloße

Connivenz, dem Inhalt des Rechtsgeſchäfts fremd (h¹).

Manche glauben, das Darlehen erhalte eine beſondere

Natur, wenn der Schuldner ausdrücklich verſpreche, das

Geld nach Kündigung zurück zu geben; darin ſoll eine

Bedingung liegen, mit deren Eintritt erſt die Klage ent-

ſtehen könne, ſelbſt nach der Meynung Derjenigen, die in

dem bisher betrachteten einfachſten Fall die Klage gleich

bey dem Abſchluß des Darlehens entſtehen laſſen. Dieſe

Meynung iſt zu verwerfen, weil in jenen Worten nur die

überflüſſige Wiederholung einer Beſtimmung liegt, die ſich

nach der Natur des Darlehens ohnehin von ſelbſt verſteht,

ſo daß die Behandlung derſelben als einer Bedingung, ge-

zwungen und der Abſicht der Parteyen fremd ſeyn würde.

Gerade ſo iſt auch in einer Stipulation der Ausdruck cum

petiero weder als Bedingung, noch als dies zu betrach-

ten, ſondern blos als Einſchärfung der ohnehin vorhan-

denen Verpflichtung (i).

 

Selbſt wenn die bedungene Kündigung mit einer Friſt

verſehen iſt, z. B. Drey Monate nach Kündigung,

darf Dieſes nicht als Bedingung betrachtet werden, ſon-

dern blos als ein zum Schutz des Schuldners hinzugefüg-

ter dies, damit der Schuldner nicht von der Kündigung

 

(h¹) Ob durch den bloßen Ein-

tritt des bedungenen Tages von

ſelbſt die Mora entſteht, oder ob

dazu eine Mahnung erfordert wird,

iſt eine bekannte Streitfrage, die

aber nicht hierher gehört, da die

Bedingungen der Mora mit dem

Anfang der Verjährung Nichts

gemein haben (§ 239).

(i) L. 48 de V. O. (45. 1.), vgl.

oben B. 3 § 117 S. 129.

|0310 : 296|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

überraſcht werde, ſondern Zeit behalte, das Geld herbey

zu ſchaffen. Nur hat natürlich dieſe Beſtimmung den be-

ſondern Einfluß, daß die Verjährung nicht unmittelbar

mit der Kündigung anfängt, ſondern Drey Monate nach-

her, weil erſt in dieſem Zeitpunkt geklagt werden kann. —

Daſſelbe muß gelten, wenn eine ſolche Friſt nicht durch

den Vertrag, ſondern durch ein beſonderes Landesgeſetz

vorgeſchrieben iſt (k).

Die hier aufgeſtellten Regeln über den Anfang der

Klagverjährung bey unverzinslichen Darlehen ſind prak-

tiſch wenig wichtig und gefährlich. Unverzinsliche Dar-

lehen von bedeutenden Summen und auf lange Zeiten

kommen ſehr ſelten vor, und wenn ein ſolches einmal durch

ungewöhnliche Umſtände veranlaßt werden ſollte, ſo liegt

darin für alle Theile eine Aufforderung zu beſonderer Vor-

ſicht, wodurch ohnehin jeder Nachtheil abgewendet wer-

den kann.

 

Die eben erörterte Frage iſt übrigens ſehr beſtrit-

ten. Mehrere Schriftſteller nehmen die hier vertheidigte

Meynung an (l). — Andere behaupten im ſtrengſten Ge-

genſatz, daß die Verjährung anfange mit dem abgeſchloſ-

ſenen Darlehen, wobey ſie nur bey bedungener Kündi-

gungsfriſt die Dauer dieſer Friſt hinzu ſetzen (m). Dieſe

 

(k) Nach dem Preuſſiſchen Land-

recht I. 11 § 761. 762 gilt eine Friſt

von Drey Monaten, wenn das Dar-

lehen mehr als 50 Thaler beträgt,

außerdem Vier Wochen.

(l) Rave § 135. Kierulff S.

194. 195. 197.

(m) Unterholzner II. § 260.

Kind quaest. for. Vol. 3 C. 35.

|0311 : 297|

§. 240. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)

berufen ſich auf die oben widerlegte Regel, nach welcher

die Verjährung anfangen ſoll, wenn nur die Entſtehung

des (noch nicht vorhandenen) Klagrechts in der Macht

des Berechtigten ſtehe (§ 239). — Nach einer mittleren

Meynung ſoll die bedungene, und mit einer Friſt verſehene,

Kündigung als Bedingung angeſehen werden, mit deren

Eintritt das Klagrecht und die Verjährung deſſelben an-

fange; wenn dagegen der Vertrag eine Kündigung ohne

Friſt erwähnt, oder darüber ganz ſchweigt, ſo ſoll das

Klagrecht und die Verjährung anfangen mit dem abge-

ſchloſſenen Darlehen (n).

Die Regel, welche das preußiſche Landrecht über dieſe

Frage enthält, iſt von unſicherem Ausdruck (o). In der

Praxis wird die von Unterholzner vertheidigte Meynung

angenommen, nach welcher die Verjährung anfängt mit

dem abgeſchloſſenen Vertrag, nur etwa mit Hinzurechnung

der bedungenen Kündigungsfriſt (p).

 

(n) Thon S. 2. 9 — 16. 33—

54. Für den erſten Fall ſtimmt

er in dem Reſultat mit mir

überein; für den zweyten in dem

Reſultat mit Unterholzner, jedoch

auch nicht in den Gründen.

(o) A. L. R. I. 9 § 545 „Ge-

gen andere Rechte fängt die Ver-

jährung von dem Tage an, wo

die Erfüllung der Verbindlich-

keit zuerſt gefordert werden

konnte.“ Bey der Allgemeinheit

dieſer Regel iſt es nicht klar, ob

ſie auch auf ſolche Fälle, wie das

Darlehen, gehen ſoll, oder nur auf

die Fälle, worin die augenblick-

liche Zahlung ohnehin zu erwar-

ten iſt, wie bey gelieferten Waa-

ren. — Nach einem früheren

Entwurf von Kircheiſen ſollte die

Verjährung in der Regel anfan-

gen von dem Tage der Ausſtel-

lung des Inſtruments (d. h.

vom gegebenen Darlehen an);

nur wenn ausdrücklich eine Auf-

kündigung bedungen ſey, von der

Zeit dieſer Aufkündigung. Si-

mon und Stramff Zeitſchrift

B. 3 S. 442 § 912 — 914.

(p) Simon und Strampff

|0312 : 298|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die für das unverzinsliche Darlehen aufgeſtellte Regel

iſt eben ſo anzuwenden bey dem Commodat, Depoſitum,

Precarium. Denn in dieſen drey Rechtsgeſchäften beſitzt

der Empfänger die Sache mit dem erklärten Willen des

Gebers, verletzt alſo nicht deſſen Recht, und der Vertrag

ſelbſt erregt auf keine Weiſe die Erwartung einer augen-

blicklichen Rückgabe. Die Verjährung fängt alſo erſt an,

wenn der Geber die Sache zurück fordert. Nach der Mey-

nung der Gegner ſoll ſie anfangen von dem erſten Empfang

an, weil der Geber die Sache ſogleich zurück fordern

kann, wovon dann die Entſtehung des Klagrechts die

Folge iſt. Nur wenige beſondere Bemerkungen ſind für

dieſe Fälle nöthig. — Bey dem Commodat wird häufig

nicht eine Zeit, wohl aber ein Ziel des Gebrauchs be-

ſtimmt, wenn z. B. ein Pferd oder ein Wagen zu einer

beſtimmten Reiſe geliehen wird. Mit der Beendigung die-

ſer Reiſe fängt die Klagverjährung an, weil nun der im

Vertrag ausgeſprochene Wille des Gebers, daß der Em-

pfänger die Sache gebrauche, aufhört. Der Fall iſt alſo

ganz ähnlich dem Fall des Darlehens, welches auf Ein

Jahr gegeben wird. — Bey dem Depoſitum hat man einen

Gegengrund aus einer Stelle hernehmen wollen, die viel-

mehr als Beſtätigung der hier vorgetragenen Meynung

anzuſehen iſt (q):

 

Entſcheidungen des Obertribunals B. 3 Num. 20 S. 165 fg.

(q) L. 1 § 22 depositi (16. 3.)

|0313 : 299|

§. 241. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)

Est .. scriptum, eum, qui rem deposuit, statim posse

depositi actione agere.

Nimmt man dieſe Worte außer ihrem Zuſammenhang,

ſo könnte man in dieſelben den Sinn legen, die Klage

(alſo auch der Anfang der Verjährung) entſtehe ſogleich,

nicht erſt im Augenblick der Rückforderung; allein die un-

mittelbar folgenden Worte zeigen deutlich, daß von dieſem

Gegenſatz gar nicht die Rede iſt:

hoc enim ipso dolo facere eum qui suscepit, quod

reposcenti rem non reddat.

 

Man pflegte nämlich die Regel aufzuſtellen, die actio

depositi werde nur durch den Dolus des Empfängers be-

gründet. Dieſer Ausdruck konnte zu dem Misverſtändniß

führen, als müſſe der Geber warten, bis der Empfänger

die Sache verbraucht oder veräußert habe. Dagegen wird

hier von Julian und Ulpian gewarnt, mit der Bemerkung

daß auch die bloße Verweigerung ein ſolcher Dolus ſey,

der die Klage erzeuge. Hier iſt ſogar ausdrücklich die

erfolgloſe Rückforderung als Entſtehung der Klage be-

zeichnet, nicht das urſprüngliche Hingeben der Sache.

 

§. 241.

Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingungen.

a. Actio nata. (Fortſetzung.)

Wichtiger als die zuletzt erwähnten Fälle, aber mit

ihnen ganz gleichartig, iſt ein Fall, der ſchon vom zwölf-

ten Jahrhundert an die Aufmerkſamkeit der Schriftſteller

 

|0314 : 300|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

auf ſich gezogen hat. Wenn ein Schuldner dem Glaubi-

ger ein Pfand in Beſitz giebt, Dieſes aber ſpäter wieder

einlöſen will, ſo entſteht die Frage, von welchem Zeitpunkt

die Verjährung der hierauf zu richtenden actio pignorati-

tia anfange.

Nach der eben entwickelten Anſicht kann die Entſchei-

dung dieſer Frage nicht zweifelhaft ſeyn. Der Glaubiger

beſitzt mit des Schuldners Willen, verletzt alſo deſſen

Recht auf keine Weiſe, und es iſt keine Veranlaſſung zur

Klage vorhanden, da dem Glaubiger keine in der Natur

des Rechtsverhältniſſes liegende Erwartung getäuſcht wird.

Von einer Nachläſſigkeit des Schuldners kann nicht die

Rede ſeyn, da der gegenwärtige factiſche Zuſtand auf dem

übereinſtimmenden Willen beider Theile beruht, und viel-

leicht beiden gleich vortheilhaft und erwünſcht iſt. Ja es

iſt hier dieſe Entſcheidung noch weit einleuchtender, als in

den bisher betrachteten Fällen. Denn in dieſen kam es

blos auf den veränderten Willen des urſprünglichen Ge-

bers an, um das Klagrecht zu erzeugen; hier iſt der bloße

Wille nicht hinreichend, ſondern es muß eine wichtige, oft

ſehr ſchwierige, That hinzu kommen, wenn das Klagrecht

entſtehen ſoll: die Befriedigung des Glaubigers. Erſt wenn

dieſe That vollzogen iſt, kann die actio pignoratitia entſte-

hen, ja es bedarf nun nicht einmal einer ausdrücklichen

Rückforderung, da durch die bloße Befriedigung des Glau-

bigers der Rechtsgrund zerſtört wird, aus welchem er bis-

her das Pfand beſaß.

 

|0315 : 301|

§. 241. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)

Hier nun findet ſich ſogar eine ausdrückliche Anerken-

nung der aufgeſtellten Behauptung in folgender Stelle (a):

Omnis pecunia exsoluta esse debet, aut eo nomine

satisfactum esse, ut nascatur pignoratitia actio.

 

Iſt alſo vor der Befriedigung des Glaubigers noch

nicht actio nata, wie hier geradezu geſagt wird, ſo kann

auch, nach dem oben aufgeſtellten Grundſatz (§ 239), nicht

früher die Verjährung beginnen.

 

Eine Beſtätigung liegt auch in einer Beſtimmung des

Weſtphäliſchen Friedens. Die Einlöſung von verpfände-

ten Gütern iſt nämlich zu allen Zeiten ein wichtiger Ge-

genſtand ſtaatsrechtlicher Verhandlungen geweſen, indem

oft ganze Territorien mit übertragenem Beſitz verpfändet

wurden. Hierüber nun wird in jenem Friedensſchluß be-

ſtimmt, daß die Einlöſung der von einem Reichsſtand an

den andern gegebenen Pfandſchaften ſelbſt nicht durch un-

vordenklichen Beſitz ausgeſchloſſen ſeyn ſolle, woraus ge-

wiß um ſo mehr die Ausſchließung der gewöhnlichen Ver-

jährung folgt (b). Als Geſetz für das Privatrecht ſollte

dieſe Beſtimmung nicht gelten, aber ſie enthält wenigſtens

eine unzweydeutige Erklärung der Reichsſtaatsgewalt über

die vorliegende Frage überhaupt. Wenn dagegen in dem-

 

(a) L. 9 § 3 de pign. act.

(13. 7.).

(b) Instr. Pac. Osnabr. Art.

5. § 27. Allerdings wird hinzuge-

ſetzt, bey dem Antrag auf Einlö-

ſung ſollten die Exceptionen des

Gegners gehört werden; allein

dieſe beziehen ſich augenſcheinlich

nicht auf die Verjährung, ſondern

auf die Verwendungen des Pfand-

beſitzers für das verpfändete Gut,

auf die Richtigkeit der Einlöſungs-

ſumme wegen des oft veränderten

Münzfußes u. ſ. w.

|0316 : 302|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

ſelben Friedensſchluß, und eben ſo in der Wahlcapitula-

tion, beſtimmt wird, daß die vom Reich an einzelne Stände

gegebenen Pfandſchaften unwiderruflich ſeyn ſollen (c), ſo

hat dieſe Beſtimmung mit der vorliegenden Rechtsfrage

über die Verjährung ſchon deshalb keinen Zuſammenhang,

weil darin die längere oder kürzere Zeit des Beſitzes gar

nicht unterſchieden wird; ſie hat überhaupt keine juriſtiſche

Grundlage, und gehört vielmehr in die große Reihe von

Conceſſionen des Kaiſers an die Stände, wodurch die Macht

derſelben ſtets erweitert wurde, wie es einem Wahlkaiſer

gegenüber wohl zu erwarten war.

Die eben erörterte Frage über die Einlöſung ver-

pfändeter Sachen iſt ſchon unter den Gloſſatoren Gegen-

ſtand des lebhafteſten Streites geweſen (d). Späterhin

hat ſich eine überwiegende Zahl bedeutender Schriftſteller

für die hier vertheidigte Meynung erklärt, und ſie iſt durch

zahlreiche Urtheile angeſehener Gerichte beſtätigt worden (e).

Dennoch hat auch die entgegengeſetzte Meynung bis in die

neueſte Zeit Vertheidiger gefunden. Dieſe berufen ſich auf

die oben widerlegte Regel, nach welcher die Verjährung

einer noch nicht vorhandenen Klage dennoch anfangen ſoll,

wenn nur die Entſtehung derſelben ganz in der Macht des

 

(c) Instr. Pac. Osnabr. Art.

5. § 26. Cap. Caes. Art. 10 § 4.

(d) Dissensiones Dominorum

ed. Haenel p. 27. 78. 195.

477 — 480.

(e) Cujacii paratit. in Cod. 7.

39 und: Comm. in tit. D. de

usurp., L. 13. Giphanius p. 248.

Glück B. 14 S. 170—177. Thi-

baut Verjährung S. 123, Pan-

dekten § 1020. Thon S. 16 S.

20—26, wo die Einwürfe der

Gegner gut widerlegt werden.

|0317 : 303|

§. 241. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)

Klägers liege; Dieſes nun ſey hier ſtets anzunehmen, weil

das mögliche Hinderniß, wenn etwa der Schuldner kein

Geld zur Einlöſung habe, als ein blos factiſches, gar

nicht beachtet werde (f).

Bey dieſem wichtigen Fall ſind noch einige Nebenfra-

gen zu berückſichtigen. Von der Unverjährbarkeit des Ein-

löſungsrechts kann ſelbſt dann keine Ausnahme gelten, wenn

dem Schuldner die Schuld ohne Erfolg gekündigt iſt. Al-

lerdings iſt er nun nachläſſig zu nennen, aber nicht in der

Rückforderung des Pfandes (welches noch immer ſeinen

urſprünglichen Zweck vollſtändig erfüllt), ſondern in der

Bezahlung der Schuld; in dieſer Beziehung iſt er in Mora,

und es treffen ihn die mit dieſer verbundenen Nachtheile.

— Man könnte glauben, eine Ausnahme müſſe wenigſtens

dann gelten, wenn von der andern Seite die Schuldklage

verjährt ſey, weil ſonſt unbilligerweiſe der Schuldner das

Pfand zurück bekomme, ohne die Schuld zu bezahlen

Allein dieſer Fall kann nicht vorkommen, weil in dem Beſitz

des Pfandes eine ſtets wiederholte Anerkennung der Schuld

von Seiten des Schuldners liegt, wodurch die Verjäh-

rung der Schuldklage ausgeſchloſſen wird (g). — Endlich

iſt wohl zu bemerken, daß die Unverjährbarkeit der actio

pignoratitia nur auf die Einlöſung des Pfandes zu bezie-

hen iſt, nicht auf andere mögliche Gegenſtände. Wenn

alſo der Glaubiger die verpfändete Sache zerſtört oder

 

(f) Unterholzner II. § 264.

(g) L. 7 § 5 C. de praescr. XXX. (7. 39.).

|0318 : 304|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

beſchädigt, ſo erwirbt dadurch der Schuldner Geldforde-

rungen, die gleichfalls mit der actio pignoratitia verfolgt

werden; dieſe aber ſind der gewöhnlichen Klagverjährung

unterworfen, welche von dem Augenblick der verletzenden

Handlung anfängt.

Endlich der letzte zu dieſer Klaſſe von Obligationen

gehörende Fall iſt der des Wiederkaufs. Wenn ein Ver-

käufer durch Nebenvertrag das Recht vorbehält, die Sache

nach einſeitiger Willkühr zurück zu kaufen, ſo kann er

dieſes Recht durch die actio venditi geltend machen, und

es entſteht auch hier die Frage nach dem Anfang der Ver-

jährung dieſer Klage. Nach mehreren Schriftſtellern ſoll

die Verjährung anfangen von dem geſchloſſenen Vertrag,

oder wenigſtens von der Übergabe an, weil der Verkäu-

fer ſein Recht und die Klage zu deſſen Schutz ſogleich

gebrauchen könne (h). Nach dem von mir aufgeſtellten

Grundſatz fängt ſie erſt an, wenn der erſte Verkäufer die

Abſicht des Rückkaufs ausgeſprochen hat. Unmöglich kann

man ſagen, daß ſchon durch die Übergabe die Erwartung

begründet ſey, der Käufer werde die Sache ſogleich von

ſelbſt zurückgeben; darauf gieng gar nicht die Abſicht, ja

der Käufer wäre dazu nicht einmal berechtigt, da der Vor-

behalt dem Verkäufer ein einſeitiges Recht giebt. Der

factiſche Zuſtand bis zum erklärten Rückkauf gründet ſich

auf den Willen des Verkäufers, und giebt zu keiner Klage

Veranlaſſung; das Verhältniß iſt in dieſer Hinſicht ganz

 

(h) Thon S. 3. Vangerow I. S. 171.

|0319 : 305|

§. 241. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)

ähnlich dem auf unbeſtimmte Zeit und Benutzung gegebe-

nen Commodat (i).

Übrigens iſt dieſer Fall von geringer Erheblichkeit. Er

ſetzt voraus, daß der Rückkauf auf unbeſtimmte Zeit, alſo

für immer, vorbehalten ſey, und dieſer Fall iſt gewiß ſehr

ſelten. Faſt immer wird dafür eine beſtimmte Zeit, und

zwar meiſt eine ſehr kurze, ausbedungen ſeyn; iſt nun

dieſe unbenutzt abgelaufen, ſo hat das Recht ſelbſt aufge-

hört, und es iſt alſo keine Klage mehr übrig, von deren

Verjährung die Rede ſeyn könnte.

 

C) Es bleibt endlich noch eine dritte Klaſſe von Ob-

ligationen zu betrachten übrig, welche in Beziehung auf

den Anfang der Verjährung eine beſondere Natur haben:

die mit periodiſchen Leiſtungen verbundenen Obligationen.

Dieſer Fall aber kommt wieder in folgenden verſchiedenen

Geſtalten vor. Die periodiſche Leiſtung kann die Acceſſion

einer Hauptſchuld ſeyn, oder aber für ſich allein ſtehen,

als einziger Gegenſtand einer Obligation. Im erſten Fall

kann die Verjährung in Frage geſtellt werden entweder für

die Hauptſchuld, oder für einzelne periodiſche Leiſtungen.

 

1) Verjährung einer Hauptſchuld, wenn mit derſelben

periodiſche Leiſtungen als Acceſſionen verbunden ſind.

 

Der Hauptfall dieſer Art iſt das verzinsliche Gelddar-

lehen, und es iſt dabey gleichgültig, ob die Schuld gleich

Anfangs als Darlehen entſtanden war, oder ob irgend

 

(i) Glück B. 1 S. 116 B. 16 § 998. Thibaut Verjährung S.

124. Kierulff I. S. 194.

V. 20

|0320 : 306|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

eine andere Schuld zinstragend gemacht wurde, und da-

durch die Natur eines Darlehens annahm.

Hier gilt die Regel, daß die Verjährung der Haupt-

ſchuld anfängt mit dem Zeitpunkt, worin zuerſt eine Zins-

zahlung ausgeblieben iſt (k). Sie fängt nicht früher an,

weil in jeder geleiſteten Zinszahlung eine Anerkennung der

Hauptſchuld liegt, die bis zum nächſten Zinstermin fort-

wirkt (l); nicht ſpäter, weil in jeder unterlaſſenen Zins-

zahlung eine Verletzung des Rechts liegt, wodurch der

Glaubiger zur Klage veranlaßt werden muß. Man könnte

zwar annehmen, die Verletzung betreffe nur den einzelnen

Zinspoſten, nicht das Kapital, ſo daß auch nicht die Ka-

pitalklage, ſondern nur die Klage auf den fälligen Zins-

poſten zu verjähren anfange. Allein die natürlichere An-

ſicht iſt wohl die, daß der Glaubiger ſein Recht auf das

Kapital und die Zinſen als ein ungetrenntes Ganze denkt,

und daher in der partiellen Verletzung eine Veranlaſſung

findet, auch das Kapital einzuklagen, oder wenigſtens durch

beſondere Thätigkeit gegen Verjährung zu verwahren (m).

 

(k) Verſteht ſich, wenn von da

an die Unterlaſſung der Zinszah-

lung ſtets fortgedauert hat; denn

jede folgende Zinszahlung, wie

mangelhaft und unregelmäßig ſie

auch ſey, unterbricht wieder, als

neue Anerkennung der Hauptſchuld,

die ganze Verjährung.

(l) Mit Rückſicht hierauf giebt

Juſtinian dem Glaubiger das

Recht, eine antapocha zu verlan-

gen, um damit den Beweis zu

führen, daß er die Zinſen empfan-

gen habe. L. 19 C. de fide instr.

(4. 21.). Im wirklichen Leben

freylich ſind ſolche Gegenquittun-

gen ganz ungewöhnlich.

(m) Dieſes geſchieht unter an-

dern ſchon dadurch, daß er auch

nur dieſen einzelnen Zinspoſten

wirklich einklagt. Der Satz gilt

alſo in aller Strenge nur für den

|0321 : 307|

§. 241. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)

Möchte auch dieſe Anſicht an ſich bezweifelt werden, ſo

hat ſie doch in folgender Stelle des Römiſchen Rechts,

deren praktiſcher und wohlthätiger Sinn nicht zu verken-

nen iſt, beſtimmte Anerkennung gefunden (n):

Exceptionem etiam triginta vel quadraginta annorum

in illis contractibus, in quibus usurae promissae

sunt, ex illo tempore initium capere sancimus, ex

quo debitor usuras minime persolvit.

Indem hier der Zeitpunkt der ausgebliebenen Zinszah-

lung beſtimmt als Anfang der Verjährung bezeichnet wird,

liegt darin die ganze Reihe der aufgeſtellten Behauptun-

gen, das heißt die Ausſchließung ſowohl jedes früheren,

als jedes ſpäteren Anfangspunktes. Ganz unrichtig haben

Manche dieſe Beſtimmung des Anfangspunktes auf die

Verjährung der bloßen Zinsklage bezogen (o); dafür be-

durfte es keiner geſetzlichen Beſtimmung, und es iſt aus

der ganzen Faſſung des Geſetzes klar, daß der Kaiſer

einen Punkt geſetzlich beſtimmen will, über welchen ſich

wohl eine andere Meynung denken ließe. Er ſagt alſo:

 

Fall, wenn der Glaubiger, nach-

dem die Zinszahlungen ausgeblie-

ben ſind, ganz unthätig bleibt.

(n) L. 8 § 4 C. de praescr.

XXX. (7. 39.).

(o) Schon die Gloſſe zu L. 7

§ 4 C. eod. und D. Gothofredus

in L. 8 § 4 C. cit. äußern ſich in

dieſer Weiſe; noch beſtimmter aber

Kierulff S. 195, welcher den

Grund geltend macht, man müßte

ſonſt fälſchlich annehmen, in den

nicht bezahlten Zinſen liege eine

Leugnung der Kapitalſchuld. Dieſe

iſt niemals zum Anfang der Ver-

jährung nöthig (§ 239), und liegt

z. B. auch nicht darin, daß der

Käufer unterläßt, das Kaufgeld

zu bezahlen. Die richtige Mey-

nung über dieſen Punkt hat Thon

S. 29 — 31.

20*

|0322 : 308|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

bey zinstragenden Schulden ſollen die 30 Jahre für die

Klage aus dem contractus (d. h. auf die Kapitalſchuld)

anfangen, wenn zuerſt eine Zinszahlung ausbleibt.

Die aufgeſtellte Regel bedarf jedoch noch folgender

näheren Beſtimmungen. Sie iſt nur wahr für den Fall

eines auf ganz unbeſtimmte Kündigung gegebenen Darle-

hens, wie es ſich da, wo über das Ende gar Nichts ge-

ſagt iſt, ohnehin von ſelbſt verſteht. Iſt dagegen eine

Kündigungsfriſt ausbedungen, z. B. von Drey Monaten,

ſo fängt die Verjährung der Schuldklage erſt Drey Mo-

nate nach dem nicht eingehaltenen Zinstermin an, weil

ſelbſt im Fall einer ausdrücklichen, in jenem Zeitpunkt aus-

geſprochenen Kündigung, erſt nach Drey Monaten geklagt

werden konnte. — Iſt für das ganze Darlehen ein beſtimm-

ter Zeitraum, z. B. von Zehen Jahren, ausbedungen, ſo

fängt die Verjährung erſt am Ende der Zehen Jahre an,

ſelbſt wenn früher Zinſen ausgeblieben ſind, weil vor je-

nem Zeitpunkt in keinem Fall das Kapital eingeklagt wer-

den konnte. Es kann aber auch in dieſem Fall die Ver-

jährung einen ſpäteren Anfang haben. Iſt nämlich der

Schuldner nach Ablauf der Zehen Jahre im Beſitz des

Geldes geblieben und hat fernere Zinſen gezahlt, ſo liegt

darin eine ſtillſchweigende Erneuerung des Darlehens, nun

aber auf unbeſtimmte Kündigung. — Es kann geſchehen,

daß weder die geleiſtete, noch die ausgebliebene Zinszah-

lung bewieſen werden kann, ja daß vielleicht beide Theile

über dieſe Thatſache ſelbſt ungewiß ſind, z. B. wenn nach

 

|0323 : 309|

§. 241. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)

dem Tode des Glaubigers und des Schuldners die Erben

keine Kenntniß von den Geſchäften ihrer Erblaſſer haben,

auch keine Urkunden vorfinden. Man möchte glauben, da

die Zahlung eine Thatſache ſey, ſo müſſe von Anfang an

die Nichtzahlung angenommen werden, wenn die Zahlung

nicht bewieſen werden könne; dieſes wäre ſehr hart für

den Glaubiger, der wegen der Ungewöhnlichkeit der Ge-

genquittungen (Note l) ſehr ſchwer den Beweis der em-

pfangenen Zahlung führen kann. In der That aber muß

der Schuldner den Beweis führen (p), weil die negative

Thatſache der ausgebliebenen Zahlung geſetzlich als An-

fangspunkt der Verjährung ausgedrückt iſt (Note n). Ja

ſelbſt wenn man auf dieſen Ausdruck kein Gewicht legen

wollte, ſo würde doch weder für die Zahlung noch für

die Nichtzahlung zu präſumiren ſeyn; dann wäre das

Zinsverhältniß gar kein Moment für den Anfang der Ver-

jährung, und der Fall wäre ſo zu behandeln wie der eines

unverzinslichen Darlehens, wobey die erweisliche Kündi-

gung den Anfangspunkt der Verjährung beſtimmt (§ 240).

Dem verzinslichen Darlehen ähnlich iſt der Pacht-

und Miethvertrag. Auch hier iſt jede geleiſtete Miethzah-

lung Anerkennung der Hauptſchuld, alſo ein Hinderniß für

die Verjährung der locati actio. Eben ſo aber muß auch

die unterlaſſene Zahlung als Anfangspunkt der Verjäh-

rung dieſer Klage angeſehen werden, ganz nach der Ana-

 

(p) Dieſes kann unter andern

dadurch geſchehen, daß wiederholte

Mahnbriefe wegen unterlaſſener

Zinszahlung vorgezeigt werden.

|0324 : 310|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

logie der Darlehenszinſen (q). Man könnte dagegen die

geſetzliche Beſtimmung anführen, nach welcher die locati

actio auf Rückgabe der Sache niemals verjähren ſoll;

allein dabey iſt augenſcheinlich der Fall vorausgeſetzt, daß

in der Zwiſchenzeit das Pachtverhältniß ſelbſt auf irgend

eine Weiſe anerkannt worden iſt, ſo daß deswegen die

Verjährung auf die Klagen wegen der einzelnen Zahlun-

gen beſchränkt bleiben muß (r). — Iſt der Pacht- oder Mieth-

vertrag für ein Grundſtück auf beſtimmte Zeit geſchloſſen,

ſo tritt folgender Unterſchied von dem gleichartigen Geld-

darlehen ein. Wenn die Zahlung des Pachtgeldes zwey

Jahre ausgeblieben iſt, ſo darf der Verpächter den Päch-

ter entſetzen (s); unterläßt er Dieſes, ſo fängt von dieſem

Zeitpunkt die Verjährung der locati actio an.

Die Emphyteuſe iſt eigentlich gar keiner Kündigung

unterworfen, ſo daß die unterlaſſene Zahlung des Ca-

nons keinen Einfluß auf die Klagverjährung wegen des

Grundſtücks ſelbſt zu haben ſcheint. Allein wenn die Zah-

 

(q) Eine Beſtätigung dieſer glei-

chen Behandlung liegt darin, daß

dem Verpächter, eben ſo wie dem

Glaubiger aus einem verzinslichen

Darlehen, das Recht eingeräumt

wird, eine antapocha zu fordern,

ſo oft er ſelbſt eine Quittung aus-

ſtellt. L. 19 C. de fide instr.

(4. 21.), „in praefatis casibus,

vel aliis privatis similibus …”

ſ. o. Note l.

(r) L. 7 § 6 C. de praescr.

XXX. (7. 39.) verb. „vel con-

ductori.” — Daß es ſo iſt, folgt

unter andern aus L. 14 C. de fun-

dis patr. (11. 61.), nach welcher

ſelbſt bey Patrimonialgütern des

Kaiſers das ademti canonis be-

neficium durch Klagverjährung ge-

wonnen werden kann. — Allerdings

wird aber die Sache für die lo-

cati actio nun verändert durch

die im canoniſchen Recht für Fälle

dieſer Art geforderte bona fides;

davon wird weiter unter die Rede

ſeyn.

(s) L. 54 § 1 L. 56 locati

(19. 2.), L. 3 C. eod. (4. 65.).

|0325 : 311|

§. 241. Klagverjährung. Bedingungen. Actio nata. (Fortſetzung.)

lung des Canons und der Steuern Drey volle Jahre un-

terbleibt, ſo darf der Erbpächter entſetzt werden (t), und

unterbleibt Dieſes, ſo fängt nun die Verjährung der Haupt-

klage an, indem jetzt die Emphyteuſe hierin auf gleiche

Linie mit dem Vertrag über Zeitpacht tritt. — Man könnte

glauben, dieſe Klage ſey überhaupt aller Verjährung ent-

zogen (u); dieſe Behauptung aber iſt auf dieſelbe Weiſe

zu beſeitigen, wie es ſo eben bey dem Zeitpachtvertrag ge-

ſchehen iſt.

2) Verjährung der periodiſchen Leiſtungen ſelbſt, die

eine acceſſoriſche Natur haben.

 

Wenn die Kapitalforderung durch Verjährung verlo-

ren wird, ſo ſind zugleich die Klagen auf alle rückſtändige

Zinſen mit verjährt, ſelbſt wenn dieſe aus ſehr neuer Zeit

herrühren ſollten (v). Der Grund dieſer ſcheinbaren Ano-

malie liegt in der acceſſoriſchen Natur dieſer Leiſtungen,

womit die Verfolgung derſelben nach verlorner Hauptklage

im Widerſpruch ſtehen würde. Dazu kommt der mehr

praktiſche Grund, daß gerade bey Geldſchulden die Klag-

verjährung auch auf der Präſumtion der Tilgung beruht

(§ 237); iſt aber wirklich die Tilgung erfolgt, ſo iſt da-

durch auch jeder fernere Anſpruch auf Zinſen aufgehoben.

 

Wenn aber die Klage auf die Hauptſchuld der Ver-

jährung entzogen iſt, z. B. durch erneuerte Anerkennung,

 

(t) L. 2 C. de jure emph.

(4. 66.).

(u) L. 7 § 6 C. de praescr.

XXX. (7. 39.) verb. „ei, qui

jure emphyteutico rem aliquam

.. detinuerit” …, ſ. o. Note r.

(v) L. 26 C. de usuris (4. 32.)

Cujacius paratit. in Cod. 7. 39.

|0326 : 312|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

ſo verjährt die Klage auf jeden einzelnen Zinspoſten für

ſich, von der Zeit an, wo derſelbe fällig geworden iſt;

eben ſo iſt es auch bey den Forderungen wegen Mieth-

und Pachtgeld (w).

3) Die Klagen auf periodiſche Leiſtungen, die keine

acceſſoriſche Natur haben, wie z. B. die durch Legat ge-

ſtifteten ewigen Renten, verjähren, eben ſo wie in dem

zuletzt erwähnten Fall, jede für ſich, von der Zeit an,

worin jede Leiſtung fällig wurde (x), ſo daß dieſe Ver-

jährung auf das Recht im Allgemeinen keinen Einfluß

hat. Wenn jedoch der Schuldner das Recht ſelbſt ver-

neint, und deshalb die periodiſche Leiſtung unterläßt, ſo

hat der Glaubiger Veranlaſſung, in ſeiner Klage auch

dieſe allgemeine Grundlage ſeiner einzelnen Forderungen

geltend zu machen. Unterläßt er nun dennoch jede Klage

überhaupt, ſo geht ihm nach 30 Jahren das Klagrecht

auch für alle ſpätere Leiſtungen verloren, wie wenn in

gleichem Fall von den Zinſen eines Kapitals die Rede

geweſen wäre (y).

 

§ 242.

Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingun-

gen. b. Ununterbrochene Verſäumniß.

Die Verſäumniß, worauf das Weſen der Klagverjäh-

 

(w) L. 7 § 6 C. de praescr.

XXX. (7. 39.).

(x) Die L. 7 § 6 C. de prae-

scr. XXX. (7. 39.) umfaßt offen-

bar auch dieſen Fall der ſelbſt-

ſtändigen periodiſchen Leiſtungen.

(y) Unterholzner II. § 260.

|0327 : 313|

§. 242. Klagverjährung. Bedingungen. Ununterbrochen.

rung beruht, muß ſich durch einen ganzen Zeitraum gleich-

mäßig hindurch ziehen. Iſt ſie alſo in irgend einem, zu

jenem Zeitraum gehörenden, Zeitpunkt nicht vorhanden,

ſo iſt die Verjährung unterbrochen, und Dasjenige, wo-

durch bisher der Weg zu ihr gebahnt wurde, iſt ſpurlos

vernichtet. Es kann vielleicht ſpäter eine neue Verjährung

anfangen, dieſe iſt aber von der früher angefangenen ganz

unabhängig, und kann an dieſelbe auf keine Weiſe ange-

knüpft werden.

Die Unterbrechung kann geſchehen auf dreyerley Weiſe:

durch Aufhebung der Verletzung, durch Anerkenntniß des

Rechts von Seiten des Gegners, durch Anſtellung der

Klage.

 

I. Aufhebung der Verletzung.

 

Sie zerſtört immer das bisher beſtehende Klagrecht

(§ 230), alſo auch die auf dieſes bezügliche Verjährung,

ſo daß künftig nur etwa eine neue, der früheren ähnliche,

Klage entſtehen kann, deren Verjährung dann aber mit

der früheren keinen Zuſammenhang hat.

 

Es iſt in dieſer Beziehung gleichgültig, ob jene Auf-

hebung kurz oder lang dauerte; imgleichen ob zugleich der

Verletzte den Genuß ſeines Rechts wieder erhielt oder

nicht. Daher iſt die Verjährung der Eigenthumsklage

gleichmäßig unterbrochen, der Beſitz mag wieder an den

Eigenthümer zurück gekehrt, oder an einen Dritten durch

deſſen eigenmächtige Handlung (nicht durch ein Rechtsge-

ſchäft) gelangt ſeyn.

 

|0328 : 314|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die Natur einer ſolchen Unterbrechung hat bey einer

Schuldklage der Fall, wenn der Glaubiger den Beſitz der

ihm verpfaͤndeten Sache erlangt (a). Man kann dieſen

Beſitz betrachten als den Genuß der Forderung ſelbſt, näm-

lich ihres Geldwerths, wegen der in dem Pfandrecht ent-

haltenen Befugniß, das Pfand zu verkaufen, und ſich mit

dem erlöſten Gelde bezahlt zu machen (b).

 

II. Anerkenntniß des Rechts von Seiten des Gegners;

dadurch iſt ſowohl die Nachläſſigkeit des Berechtigten, als

die Präſumtion der Tilgung, die aus der bisherigen Ver-

ſäumniß entſtand, aufgehoben, und es kann eine neue Ver-

jährung nur von dem Zeitpunkt des Anerkenntniſſes an-

fangen. Jedoch kann dieſe wichtige Wirkung nicht jeder

blos mündlichen oder ſchriftlichen Rede, ſondern nur einer

ſolchen Handlung beygelegt werden, welche die Natur eines

Rechtsgeſchäfts hat. Dieſe Regel läßt ſich aus folgenden,

 

(a) L. 7 § 5 C. de praescr.

XXX. (7. 39.) „si quis eorum,

quibus aliquid debetur, res sibi

suppositas sine violentia te-

nuerit, per hanc detentionem

interruptio fit praeteriti tem-

poris …” Es ſoll ſtärker wir-

ken, als die Anſtellung der Klage,

ganz wie eine litis contestatio.

— Die Beſchränkung in den Wor-

ten sine violentia gründet ſich

darauf, daß der gewaltſame Beſitz

ſogleich wieder durch ein Interdict

abgefordert werden kann, ja daß

er, nach den neueren Regeln über

die Selbſthülfe, den Verluſt des

Rechts ſelbſt herbey führt.

(b) Donellus Lib. 16 C. 8

§ 23. — Wenn der Beſitz des

Pfandes durch den Willen des

Schuldners erworben wurde, oder

doch mit deſſen Wiſſen und Dul-

dung, ſo liegt darin zugleich ein

Anerkenntniß der Schuld, alſo eine

Unterbrechung der folgenden Art;

dieſer Grund der Unterbrechung iſt

alſo hier weniger allgemein und

durchgreifend, als der oben im

Text aufgeſtellte.

|0329 : 315|

§. 242. Klagverjährung. Bedingungen. Ununterbrochen.

in unſren Rechtsquellen erwähnten, Fällen einer ſolchen

Unterbrechung abſtrahiren.

Es gehört dahin die Ausſtellung eines neuen Schuld-

ſcheins (c); jede Zinszahlung (d); eben ſo die Zahlung

eines Theils der Hauptſchuld ſelbſt, vorausgeſetzt daß ſie

als Abſchlagszahlung ausdrücklich bezeichnet wird (e); die

Beſtellung eines früher nicht verabredeten Pfandes (f); die

Beſtellung eines Bürgen (g); endlich das wiederholte Ver-

ſprechen einer ſchon beſtehenden Schuld (constitutum) (h).

 

Wenn ſich eine Schuld auf zwey Glaubiger oder zwey

Schuldner gemeinſchaftlich bezieht (duo rei), ſo wirkt das

von einem der beiden Mitſchuldner, oder gegen einen der

beiden Mitglaubiger, erklärte Anerkenntniß auf beide zu-

gleich (i).

 

Dagegen darf die bloße Mahnung des Schuldners als

 

(c) L. 7 § 5 C. de praescr.

XXX. (7. 39.).

(d) L. 8 § 4 C. de praescr.

XXX. (7. 39.), L. 19 C. de fide

instr. (4. 21.), vgl. oben § 241.

(e) L. 5 C. de duobus reis

(8. 40.).

(f) Dafür beweißt die Analogie

des Beſitzerwerbes an einem ſchon

beſtellten Pfand (Note a); ferner

die neu entſtandene Hypothekarkla-

ge, die dem Schuldner auf einem

andern Wege zu derſelben Befrie-

digung hilft, wie die Schuldklage;

endlich die Analogie des neuen

Schuldſcheins (Note c), in Ver-

gleichung mit welchem die Beſtel-

lung eines Pfandes eine eben ſo

entſchiedene, und nur noch viel

wirkſamere Anerkennung iſt.

(g) Dafür gilt ein Theil der

in der Note f bey dem Pfande an-

geführten Beweiſe. Ohne Grund

beſtreitet dieſen Satz Giphanius

p. 250.

(h) L. 18 § 1 de pec. const.

(13. 5.). Aus dieſem Geſchäft ent-

ſpringt eine neue Klage, die con-

stitutoria actio; außerdem aber

liegt darin auch die Anerkennung

der früheren Obligation, und ſo-

mit die Unterbrechung der Ver-

jährung.

(i) L. 5 C. de duobus reis

(8. 40.).

|0330 : 316|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Unterbrechung der Verjährung nicht betrachtet werden;

eben ſo wenig die Ceſſion, wodurch der Glaubiger ſeine

Forderung an einen Dritten überträgt (k). Beides ſind

einſeitige Handlungen des Berechtigten, in welchen ein

Anerkenntniß von Seiten des Gegners durchaus nicht ge-

funden werden kann.

III. Die wirkliche Anſtellung der Klage.

 

Vor Allem iſt hier der eigentliche Zeitpunkt der Unter-

brechung genauer zu beſtimmen.

 

Im früheren Recht war es die Litisconteſtation, weil

erſt dieſe die Klage in litem deducirte (l); dieſe Regel war

für den Kläger nicht drückend, ſo lange eine Citation als

Privathandlung geſtattet, und deren ſicherer und raſcher

Erfolg theils durch eine Entſchädigungsklage, theils durch

Bürgſchaft geſchützt war.

 

Fänden wir dieſe Regel unverändert in unſren Rechts-

quellen und in unſrer Praxis, ſo würde eine geſetzliche

Änderung dringendes Bedürfniß ſeyn, da für den Beklag-

ten Nichts leichter wäre, als durch Verzögerung der Litis-

conteſtation die Unterbrechung zu verhindern. Allein ſchon

im neueren Römiſchen Recht waren andere, den unſrigen

ähnliche, Verhältniſſe eingetreten, wodurch folgende neue

Beſtimmungen herbeygeführt worden ſind. Anfangs wurde

 

(k) Unterholzner II. § 262.

(l) L. 8 in f. de fid. et no-

min. (27. 7.), L. 9 § 3 de jure-

jur. (12. 2.). Keller Litisconte-

ſtation S. 82. Untcrholzner I.

§ 124. — So war es namentlich

auch bey der longi temporis prae-

scriptio. L. 10 C. de praescr.

longi temp. (7. 33.), L. 26 C.

de rei vind. (3. 32.).

|0331 : 317|

§. 242. Klagverjährung. Bedingungen. Ununterbrochen.

die litis denunciatio, ein beſonderes Prozeßinſtitut der mitt-

leren Zeit, als Unterbrechung der Verjährung angenom-

men (m). Zuletzt aber iſt dafür die in Folge des ſchrift-

lichen Klaglibells vom Richter erkannte, und dem Beklagten

inſinuirte, Citation beſtimmt worden, welche auch in unſrer

Praxis gilt, und unſren Bedürfniſſen völlig entſpricht (n).

Daß nun Dieſes wirklich die Meynung des Juſtinianiſchen

Rechts iſt, könnte man etwa noch bezweifeln nach dem

zweydeutigen Ausdruck einer Stelle (o), worin es heißt:

quae in judicium deductae sunt, et cognitionalia acce-

perunt certamina; allein folgende Stellen laſſen keinen

Zweifel übrig. Es wird geſagt, die Unterbrechung ge-

ſchehe etiam per solam conventionem (p); ferner: subse-

cuta per executorem conventio (q); dann wird der Beſitz

des Pfandes der Litisconteſtation gleichgeſtellt, und dabey

geſagt: multo magis quam si esset interruptio per con-

ventionem introducta (r), ſo daß alſo hierin die Unter-

brechung durch die von der Litisconteſtation ſelbſt wörtlich

unterſchiedene Anſtellung der Klage ausdrücklich aner-

kannt wird. Die entſcheidendſte Stelle aber enthält fol-

gende Beſtimmung (s):

qui obnoxium suum in judicium clamaverit, et libel-

 

(m) Hollweg Handbuch des

Prozeſſes B. 1 S. 249.

(n) Hollweg B. 1 S. 253.

(o) L. 1 § 1 C. de ann. exc.

(7. 40.).

(p) L. 7 pr. C. de praescr.

XXX. (7. 39.).

(q) L. 3 C. de praescr. XXX.

(7. 39.).

(r) L. 7 § 5 C de praescr.

XXX. (7. 39.) vgl. oben Note a.

(s) L. 3 C. de ann. exc.

(7. 40.).

|0332 : 318|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

lum conventionis ei transmiserit … videri jus suum

omne eum in judicium-deduxisse, et esse interrupta

temporum curricula.

Hier iſt für die Inſinuation des Klaglibells zweyerley

anerkannt: erſtlich, daß dieſelbe alle laufende Klagverjäh-

rungen (temporum curricula) unterbreche; zweitens daß in

ihr nunmehr die wahre deductio in judicium enthalten ſey.

Dieſe letzte Beſtimmung giebt denn zugleich der oben an-

geführten zweydeutigen Stelle (Note o) ihre ſichere Be-

deutung.

 

Die hier vorgetragene Lehre gilt in der Praxis un-

zweifelhaft, und hat auch in der Theorie wenig Wider-

ſpruch gefunden (t). Unterholzner hält die eben darge-

ſtellte Abänderung des älteren Rechts für zweifelhafter als

ſie in der That iſt; wegen des praktiſchen Bedürfniſſes

will er der Litisconteſtation, die er noch im neueſten Recht

als die eigentliche Unterbrechung anſieht, eine rückwirkende

Kraft zuſchreiben, und zwar ſogar bis zur Anſtellung der

Klage (u). Andere machen einen ganz grundloſen Unter-

ſchied zwiſchen der dreyßigjährigen Verjährung und den

früheren; jene ſoll durch die Inſinuation unterbrochen wer-

den, dieſe durch die Litisconteſtation (v).

 

(t) Glück B. 3 § 236 verwirrt

die Sache ſo daß er weder als

Anhänger noch als Gegner der

hier aufgeſtellten Lehre gelten kann.

(u) Unterholzner I. § 124.

(v) Dahin gehören die älteren

Schriftſteller, gegen die ſich Gi-

phanius p. 248. 249 erklärt; in

neuerer Zeit Vangerow I. S. 182.

Die Veranlaſſung dieſer Mey-

nung liegt darin, daß die älteren

Stellen, in welchen die Litisconte-

ſtation als Unterbrechung betrach-

tet wird, allerdings nur von kür-

|0333 : 319|

§ 243. Klagverjährung. Bedingungen. Ununterbrochen. (Fortſ.)

§. 243.

Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingungen.

b. Ununterbrochene Verſäumniß. (Fortſetzung.)

Es ſind jedoch einige Surrogate zu bemerken, wodurch

die Klagverjährung eben ſo ſicher, wie durch die Inſinua-

tion der angeſtellten Klage, unterbrochen werden ſoll.

 

Wenn Der, gegen welchen die Klage gerichtet werden

müßte, durch Abweſenheit, Kindesalter, Wahnſinn unfähig

iſt, die Inſinuation ſelbſt zu empfangen, und wenn es zu-

gleich an einem Vertreter deſſelben fehlt, ſo kann der Be-

rechtigte die Verjährung dadurch unterbrechen, daß er die

Klagſchrift der richterlichen Obrigkeit, oder wo ihm dieſe

nicht zugänglich iſt, dem Biſchoff oder dem Defenſor des Orts

übergiebt, oder im Nothfall an dem Wohnort des Gegners

öffentlich anſchlägt (a).

 

Bey Correalklagen iſt es hinreichend, daß Einer klage,

oder Einer verklagt werde, um die Verjährung in Be-

 

zeren Verjährungen reden, weil

damals keine andere vorhanden

waren. Will man aber jetzt durch

dieſe diſtinguirende Vereinigung

jenen Stellen eine fortdauernde

Gültigkeit verſchaffen, ſo ſteht das

im Widerſpruch mit den angeführ-

ten, ganz allgemein redenden, Ju-

ſtinianiſchen Geſetzen. Auch würde

es ganz inconſequent ſeyn, die Un-

terbrechung der kurzen Verjährun-

gen beſonders zu erſchweren, die

gewiß eher eine Erleichterung ver-

diente, wenn hierin überhaupt ein

Unterſchied gelten ſollte.

(a) L. 2 C. de ann. exc.

(7. 40.). Unterholzner I. § 129.

Daß im heutigen Recht von dem

Defenſor und dem Biſchoff nicht

die Rede ſeyn kann, verſteht ſich;

es wird aber überhaupt nicht leicht

mehr dieſes außerordentliche Hülfs-

mittel zur Anwendung kommen.

|0334 : 320|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

ziehung auf Alle zu unterbrechen (b). — Wenn der Glau-

biger die perſönliche Klage gegen den Schuldner anſtellt,

ſo iſt dadurch zugleich die Verjährung der Hypothekarklage

unterbrochen, und eben ſo auch im umgekehrten Fall (c).

— Wenn unter denſelben Perſonen mehrere Rechtsverhält-

niſſe ſtreitig ſind, und der Klaglibell ſo unbeſtimmt iſt, daß

es ungewiß bleibt, welchen Rechtsſtreit er zum Gegenſtand

hat, ſo ſoll die Unterbrechung für alle dieſe Klagen gel-

ten (d). — Auch iſt nicht zu bezweifeln, daß die ange-

ſtellte Klage auf einen einzelnen Zinspoſten zugleich die

Verjährung der Kapitalklage unterbricht, da bey dieſem

beſchränkten Rechtsſtreit auch das Daſeyn der Hauptſchuld

zur Sprache kommen kann.

Wenn die Parteyen ein Compromiß eingehen, ſo gilt

die Übergabe der ſchriftlichen Klage vor dem Schiedsrich-

ter als Unterbrechung der Verjährung (e).

 

Dagegen ſind folgende Thatſachen nicht als Unterbre-

chungen der Verjährung zu betrachten.

 

Die Anſtellung der Klage unterbricht nur für und wi-

der dieſe beſtimmte Perſonen, und deren Succeſſoren, nicht

 

(b) L. 5 C. de duobus reis

(8. 40.).

(c) L. 3 C. de ann. exc.

(7. 40.).

(d) L. 3 C. de ann. exc.

(7. 40.). Nach dieſer Analogie

könnte man annehmen, daß die

(ohne Erfolg) angeſtellte Klage

aus dem Beſitz zugleich die Ver-

jährung der Vindication unterbre-

che; Unterholzner I. S. 445

will zwar nicht dieſe Unterbrechung

gelten laſſen, wohl aber der Ver-

jährungszeit der Vindication die

durch fruchtloſe Beſitzklage verlorne

Zeit hinzurechnen.

(e) L. 5 § 1 C. de rec. arbi-

tris (2. 56.). Früher war dieſer

Satz ſehr beſtritten.

|0335 : 321|

§. 243. Klagverjährung. Bedingungen. Ununterbrochen. (Fortſ.)

für und wider fremde Perſonen, zwiſchen welchen dieſelbe,

oder eine verwandte Klage angeſtellt werden könnte. Da-

her unterbricht die Anſtellung der Schuldklage nicht die

dem dritten Pfandbeſitzer zu gut kommende Verjährung (f).

Die Aufſtellung einer Exception unterbricht nicht die

Verjährung der aus demſelben Rechtsverhältniß abzulei-

tenden Klage. Zwar wenn die Exception rechtskräftig an-

erkannt oder verworfen wird, ſo wird dadurch ſehr häufig

die Frage nach der Verjährung für dieſes Rechtsverhält-

niß abſorbirt ſeyn (g). Allein der Satz iſt wichtig für die

Fälle, worin der erſte Prozeß liegen bleibt, oder worin

der Richter die Exception unentſchieden läßt, weil er aus

anderen Gründen entſcheidet (h).

 

Die Übergabe der Klagſchrift an den Kaiſer, wenn-

gleich darauf eine rescriptio erfolgt iſt. Dieſe ſollte bey

den prätoriſchen Annalklagen als Unterbrechung gelten,

für alle andere Verjährungen, namentlich die dreyßigjäh-

rige nicht (i). Für das heutige Recht hat dieſe Art der

Unterbrechung gar keine Bedeutung.

 

Die vor einem incompetenten Richter angeſtellte Klage

unterbricht die Verjährung nicht (k).

 

(f) Thon S. 5. Daß es bey

Correalklagen anders iſt, wurde

ſchon oben bemerkt, Note b.

(g) So z. B. wenn die als Com-

penſation geltend gemachte Forde-

rung als unbegründet verworfen

wird, ſo hat deshalb der Kläger,

wenn er ſpäter aus derſelben For-

derung verklagt wird, eine excep-

tio rei judicatae.

(h) Unterholzner I. § 128.

(i) L. 2 C. quando lib. (1. 20.),

L. 3 C. de praescr. XXX. (7.

39.). Unterholzner I. § 130.

(k) L. 7 C. ne de statu (7. 21.).

V. 21

|0336 : 322|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die Wirkung der durch Anſtellung der Klage herbey

geführten Unterbrechung iſt verſchieden, je nachdem die

Klage zu einem rechtskräftigen Urtheil geführt hat, oder

vorher der Rechtsſtreit liegen geblieben iſt. Im erſten Fall

iſt das Urtheil allein beſtimmend für das Rechtsverhältniß,

ſo daß daneben von der früheren Klage und ihrer Verjäh-

rung nicht mehr die Rede iſt. Im zweiten Fall war nach

kurzer Zeit, durch die von der Klagverjährung ganz ver-

ſchiedene Prozeßverjährung, das Klagrecht für immer ver-

loren (l). Abgeſehen aber von dieſer Prozeßverjährung,

das heißt wo ſie nicht anwendbar war (m), erhielt nun-

mehr die Klage eine endloſe Dauer (n), indem die früher

laufende Verjährung zerſtört, und eine neue für dieſen Fall

nicht angeordnet war. Als nun die immerwährenden Kla-

gen überhaupt in dreyßigjährige umgewandelt wurden,

war es ganz conſequent, die nicht zu Ende geführte Klage

nun auch einer dreyßigjährigen Verjährung zu unter-

werfen (o).

 

Hierin hat Juſtinian folgende wichtige Neuerung ein-

geführt. Die unbeendigte Klage ſoll, von der letzten ge-

richtlichen Handlung an, Vierzig Jahre lang wieder auf-

 

(l) Gajus IV. § 104, 105.

(m) Alſo nach ihrer Aufhebung,

oder auch, nach Manchen, außer

der Stadt Rom, indem ſie über-

haupt nur in der Stadt gegolten

haben ſoll.

(n) L. 139 pr. de R. J. (50. 17).

(o) L. un. § 1 C. Th. de act.

certo temp. fin. (4. 14.). Dieſer

Theil der Stelle iſt in der L. 3

C. Just. de praescr. XXX. (7.

39.) natürlich weggelaſſen worden,

wegen der gleich folgenden Abän-

derung.

|0337 : 323|

§. 243. Klagverjährung. Bedingungen. Ununterbrochen. (Fortſ.)

genommen werden können, und erſt am Ende dieſes Zeit-

raums durch Verjährung verloren ſeyn (p).

Ohne Grund hat man verſucht, die Anwendung dieſes

Geſetzes auf mancherley Weiſe zu beſchränken. So ſoll es

blos auf perſönliche Klagen zu beziehen ſeyn, bey welcher

Behauptung das Misverſtändniß einiger Ausdrücke des Ge-

ſetzes zum Grunde liegt (q). — Andere beziehen die vier-

zig Jahre nur auf den Fall, wenn es bis zur Litisconte-

ſtation gekommen iſt; brach der Prozeß zwar nach der Ci-

tation, aber vor der Litisconteſtation ab, ſo ſollen dreyßig

Jahre gelten (r). Dieſe Unterſcheidung gehört zu den ganz

fruchtloſen Beſtrebungen, die ältere Beſtimmung von der

Litisconteſtation mit der neueren von der Citation, als un-

terbrechender Thatſache, zu vereinigen (s). — Manche wol-

len die vierzig Jahre nur gelten laſſen für die urſprüng-

lich dreyßigjährigen Klagen; bey den kürzer dauernden

Klagen ſollen, von der letzten Prozeßhandlung an, dreyßig

Jahre gerechnet werden (t). Dieſe Beſchränkung ſteht im

Widerſpruch mit der allgemeinen Vorſchrift des Juſtinia-

 

(p) L. 9 C. de praescr. XXX.

(7. 39.) „ex quo novissima pro-

cessit cognitio.” L. 1 § 1 C. de

ann. exc. (7. 40.). Iſt es nicht

einmal bis zur Citation gekom-

men, ſo iſt die Verjährung gar

nicht unterbrochen, ſ. o. § 242.

(q) L. 9. C. cit. „Sed licet

personalis actio ab initio fuerit

instituta, eam tamen in qua-

dragesimum annum extendi-

mus.“ Das bezieht ſich darauf,

daß die Hypothekarklage ſchon

früher eine vierzigjährige Dauer

(auch wenn ſie nicht angeſtellt war)

bekommen hatte. Unterholzner

I. S. 446.

(r) Donellus Lib. 16 C. 8

§ 23.

(s) Vgl. oben § 242. Note v.

(t) Cujacius observ. XVIII.

29, Unterholzner I. S. 447.

21*

|0338 : 324|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

niſchen Geſetzes, und muß daher als willkührlich verworfen

werden (u). Noch weniger Grund hat es, wenn Manche,

bey den urſprünglich vierzigjährigen Klagen, nunmehr funf-

zig Jahre annehmen wollen (v). Gegen beide abweichende

Meynungen ſpricht, außer der uneingeſchränkten Vor-

ſchrift des Geſetzes, noch folgende allgemeinere Betrach-

tung. Wenn die angeſtellte Klage hinterher liegen blieb,

ſo iſt die Lage des Klägers eine ganz andere als die,

worin er ſich vor Anfang des Rechtsſtreits befand, ſo daß

die Gründe, welche urſprünglich bald kürzere, bald längere

Verjährungsfriſten veranlaßten, nun nicht mehr eingreifen.

Die nunmehr ganz veränderte Lage des Klägers erhellt

beſonders aus der Betrachtung, daß es jetzt gar nicht

mehr ermittelt werden kann, wie viel bey der Verzögerung

der Sache dem Kläger, wie viel dem Beklagten oder dem

Richter zur Laſt fällt. Hierin aber ſtehen alle Klagen ein-

ander gleich, ſie mögen urſprünglich eine kurze oder eine

lange Verjährungsfriſt gehabt haben, und es iſt daher

auch kein Grund vorhanden, unter dieſen neuen Verhält-

niſſen bey manchen Klagen eine größere Strenge, als bey

anderen, gegen den Kläger eintreten zu laſſen.

Dagegen darf in folgenden Fällen der Zeitraum von

Vierzig Jahren nicht zur Anwendung gebracht werden:

 

I. Nach der rechtskräftigen Verurtheilung. Zwar hat

es auf den erſten Blick vielen Schein, daß die Lage des

 

(u) Thibaut Verjährung S.

120. Göſchen I. S. 447. Van-

gerow I. S. 181.

(v) Dieſer Meynung widerſpricht

auch Unterholzner I. S. 446.

|0339 : 325|

§ 243. Klagverjährung. Bedingungen. Ununterbrochen. (Fortſ.)

Klägers jetzt nicht ungünſtiger werden dürfe, als vor dem

Urtheil, wo das Recht des Klägers noch ungewiß war (w).

Dennoch müſſen jetzt dreyßig Jahre gelten (x). Denn das

rechtskräftige Urtheil enthält der Sache nach eine wahre

Novation, da es ſogar den urſprünglichen Anſpruch ganz

umbilden kann; es führt auch geradezu den Namen nova-

tio (y). Daher iſt denn auch die urſprüngliche Klage, von

deren modificirter Verjährung etwa die Rede ſeyn könnte,

gar nicht mehr vorhanden, es iſt eine neue Klage aus dem

Urtheil ſelbſt entſtanden, und dieſe iſt der gewöhnlichen

Verjährung, wie jede andere Klage, unterworfen. Fol-

gende, mehr practiſche, Betrachtung führt zu demſelben

Erfolg. Solange die Sache liegen blieb, konnte der Klä-

ger dadurch entſchuldigt werden, daß er über der Been-

digung derſelben ermüdete und daran verzweifelte. Wenn

aber Alles zu ſeinem Vortheil klar entſchieden iſt, fällt

dieſe Entſchuldigung gänzlich hinweg.

II. Im Fall der Beendigung eines Rechtsſtreits durch

Vergleich treten dieſelben Gründe, und ſelbſt noch unzwei-

felhafter, ein. Denn es iſt jetzt nicht mehr die urſprüng-

liche Klage vorhanden, der Vertrag iſt ein neuer Rechts-

grund geworden, und die Klage aus demſelben verjährt

wie jede andere, in dreyßig Jahren.

 

III. Der letzte Fall einer Ausnahme von der Regel

 

(w) Unterholzner I. § 125.

S. 444, II. § 267.

(x) Pufendorf T. 1 Obs. 117.

(y) L. 3 pr. C. de usuris rei

jud. (7. 54.).

|0340 : 326|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

der vierzig Jahre hat einen weniger allgemeinen Grund,

als die eben angeführten Fälle; der Grund deſſelben iſt

ein hiſtoriſcher, und ein ſolcher, der auf die Juſtizverfaſ-

ſung des deutſchen Reichs ein trauriges Licht wirft. Wenn

an den Reichsgerichten Prozeſſe bis zum Spruch geführt,

nun aber liegen geblieben waren, ſo lag es nicht in der

Macht des Klägers, den Spruch zu erzwingen. Obgleich

nun die Behandlung dieſes Gegenſtandes beſtritten war,

ſo war doch aus einleuchtender Billigkeit die Meynung

vorherrſchend geworden, daß jetzt gar keine Verjährung,

auch nicht die von vierzig Jahren, eintreten dürfe. Nach

der Auflöſung des deutſchen Reichs ſind die bey den Reichs-

gerichten vorräthigen Prozeſſe an die höchſten Gerichte der

einzelnen deutſchen Staaten übergegangen. Ein Preußi-

ſches Geſetz hat die angeführte Regel ausdrücklich als gül-

tig anerkannt (z).

§. 244.

Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingun-

gen. c. Bona fides (a).

Möllenthiel Natur des guten Glaubens bey der

Verjährung. Erlangen 1820 § 19 — 31 (Ausführ-

liche und gründliche Behandlung dieſer Streitfrage).

 

Wie es ſich mit dieſer Bedingung der Verjährung im

Römiſchen Recht verhielt, darüber iſt kein Streit. Die

 

(z) Preußiſches Geſetz vom 18.

May 1839, Geſetzſammlung 1839

S. 175.

(a) Dieſe Frage iſt ſchon oben

kurz berührt worden, B. 3 Beylage

VIII. Num. XXIII; hier muß ge-

nauer darauf eingegangen werden.

|0341 : 327|

§. 244. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides.

Uſucapion erforderte bona fides für den Anfang des Be-

ſitzes, nicht für deſſen Fortſetzung. Der Klagverjährung

an ſich war dieſes Erforderniß fremd, indem nur auf die

Verſäumniß des Klägers geſehen wurde. Nur die longi

temporis praescriptio ſchloß ſich in ihren Bedingungen

ganz an die Uſucapion an, ſo daß auch die bona fides

dazu gerechnet werden mußte. Wenn ſpäter Juſtinian

auch für den dreyßigjährigen Beſitz bona fides forderte (b),

ſo geſchah dieſes nur, inſofern hier der Beſitzer auf die

Vortheile der Erſitzung Anſpruch machen, alſo über die

Klagverjährung hinaus gehen wollte; für dieſe letzte lag

darin gar keine Neuerung. — Auch die longi temporis

praescriptio iſt als ein ſelbſtſtändiges Rechtsinſtitut aus

dem Juſtinianiſchen Recht verſchwunden, und ſo kann man

ſagen, daß im neueſten Römiſchen Recht die bona fides als

Bedingung der Klagverjährung gar nicht mehr vorkommt.

Dieſer Zuſtand des Rechts hat ſich bis zu Ende des

zwölften Jahrhunderts unverändert erhalten, und Gratian

ſtellt ihn, um die Mitte deſſelben, ſo dar, wie wir ihn in

den Quellen des Römiſchen Rechts finden (c).

 

Wichtige Neuerungen aber wurden eingeführt durch

zwey Decretalen, deren wahrer Sinn von jeher in hohem

Grade beſtritten geweſen iſt, und deren Text hierher ge-

ſetzt werden ſoll, ſoweit er zur Feſtſtellung dieſer Lehre

nöthig iſt (d):

 

(b) L. 8 § 1 C. de praescr.

XXX. (7. 39.).

(c) c. 15. C. 16. q. 3.

(d) Ausführlicher handelt von

beiden Stellen Möllenthiel a.

a. O., und Unterholzner I. § 92.

|0342 : 328|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

C. 5. X. de praescript. (2. 26.). Alexander III.

Vigilanti studio cavendum est … ne malae fidei pos-

sessores simus in praediis alienis: quoniam nulla an-

tiqua dierum possessio juvat aliquem malae fidei

possessorem, nisi resipuerit, postquam se noverit

aliena possidere, quum bonae fidei possessor dici

non possit …”(e).

C. 20. X. de praescript. (2. 26.) Innocentius III.

Quoniam omne, quod non est ex fide, peccatum

est, synodali judicio diffinimus, ut nulla valeat abs-

que bona fide praescriptio tam canonica quam civi-

lis, quum generaliter sit omni constitutioni atque

consuetudini derogandum, quae absque mortali pec-

cato non potest observari. Unde oportet, ut, qui

praescribit, in nulla temporis parte rei habeat con-

scientiam alienae.

In beiden Decretalen iſt die Abſicht einer Änderung

des Römiſchen Rechts, und zwar aus ſittlich-religiöſen

Gründen, deutlich ausgeſprochen; der Inhalt und Umfang

der Neuerung iſt es, worauf ſich Streit und Zweifel

beziehen.

 

Nun ſind darin zwey Abweichungen vom Römiſchen

Recht ſogleich erkennbar, und über dieſe iſt kein Streit;

erſtlich in den Gegenſtänden, zweytens in der geforderten

 

(e) Der letzte Theil der Stelle

ſagt in der Sache nichts Neues,

drückt aber deutlich die Abſicht aus,

das Römiſche Recht abzuändern.

|0343 : 329|

§. 244. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides.

Dauer der bona fides. Das Römiſche Recht erkennt eine

Uſucapion, wozu auch die bona fides erfordert wird, le-

diglich bey dem Eigenthum an; bey den Servituten findet

ſich etwas Ähnliches, nicht Daſſelbe, und namentlich an

die Stelle der bona fides treten hier andere, obgleich ver-

wandte, Erforderniſſe. Hier wird, in den Worten: prae-

scriptio tam canonica quam civilis, darauf hingewieſen,

daß jetzt neue, aus den kirchlichen Verhältniſſen entſprun-

gene, Rechte, eben ſo wie nach Römiſchem Recht das Eigen-

thum (quam civilis), dem Erwerb durch bonae fidei pos-

sessio unterworfen ſind, wohin die Diöceſanrechte, Zehen-

ten u. ſ. w. gehören, welche mehr Analogie mit dem Eigen-

thum haben als die Servituten, großentheils auch mit

einem Grundeigenthum, als Acceſſionen deſſelben, verknüpft

ſind (f). Dieſe erweiterte Anwendung der Erſitzung iſt

auch nach vielen anderen Stellen unzweifelhaft, aber ſie

iſt nicht hier neu eingeführt; ſie war durch Gewohnheits-

recht entſtanden, wird aber hier gelegentlich anerkannt,

und denſelben Regeln, wie die Römiſche Uſucapion, unter-

worfen.

Die zweyte Abweichung vom Römiſchen Recht iſt hier

neu vorgeſchrieben, ſie iſt der augenſcheinliche Zweck bei-

der Decretalen. Die bona fides ſoll nicht blos im Anfang

des Beſitzes vorhanden ſeyn, wie nach Römiſchem Recht,

ſondern während der ganzen Dauer deſſelben. Dieſes liegt

in den Worten des erſten Geſetzes: postquam se noverit

 

(f) Möllenthiel § 20 S. 113. 115 § 24. 25.

|0344 : 330|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

aliena possidere, und noch deutlicher in denen des zwey-

ten: in nulla temporis parte rei habeat conscientiam

alienae.

So weit iſt kein Streit. Die fernere Frage aber

iſt die, auf welche Rechtsinſtitute die zweyte Abweichung

bezogen werden ſoll: ob blos auf die Uſucapion, oder auch

auf die Klagverjährungen. Nimmt man die erſte Mey-

nung an, ſo beſchränkt man die Neuerung auf den ſo eben

angegebenen Inhalt. Nach der zweyten Meynung würde

eine fernere Neuerung darin beſtehen, daß die bona fides

auch für die Klagverjährung erfordert würde, worin ſie

dem Römiſchen Recht fremd iſt, und hier natürlich auch

in derſelben ſtrengeren Geſtalt, welche für die Uſucapion

unzweifelhaft vorgeſchrieben iſt.

 

Der leichteren Überſicht wegen habe ich vorläufig nur

zwey entgegengeſetzte Meynungen erwähnt; in der That

aber hat ſich der Widerſtreit in folgenden Vier Stufen

ausgebildet:

 

1) Jene Decretalen beziehen ſich nur allein auf die Uſu-

capion (g);

2) Sie beziehen ſich außerdem auch auf die Verjäh-

rung der in rem actiones, weiter nicht (h);

3) Außerdem auch auf perſönliche Klagen, jedoch nur

wenn dieſe auf Reſtitution einer unrechtmäßig beſeſſenen

(g) Vertheidiger dieſer Mey-

nung: Boden de praescriptione

ex solo temporis lapsu proce-

dente Halae 1750 § 13 —22.

Seuffert Erörterungen Abth. 1

S. 134. Kierulff S. 206—209.

(h) Vertheidiger dieſer Mey-

nung: Giphanius p. 255. 256.

|0345 : 331|

§. 244. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides.

Sache gehen (i), welche Meynung ich für die richtige

halte;

4) Außerdem auch auf die übrigen perſönlichen Kla-

gen (k), alſo auf die Klagverjährung überhaupt, in ihrem

uneingeſchränkten Umfang (l).

Es iſt jedoch zu bemerken, daß Viele, beſonders ans

älterer Zeit, auf dieſe genauere Abſtufung nicht eingehen,

ja daß wohl die Meiſten ſich damit begnügen, über den

Gegenſatz zwiſchen der dritten und vierten Meynung zu

ſtreiten, von welchem auch ſogleich gezeigt werden wird,

daß er wichtiger iſt, als alle übrigen Gegenſätze. Man

hat dieſen Gegenſatz, nicht unpaſſend, oft ſo ausgedrückt:

ob die bona fides nöthig ſey, blos bey der Klage gegen

 

(i) Alſo z. B. auf actio com-

modati, depositi, pignoratitia,

locati, wenn dieſe auf Rückgabe

der Sache gerichtet werden, nicht auf

Miethgeld, oder Erſatz für einzelne

Beſchädigungen. — Vertheidiger

dieſer Meynung, die zum Theil

auch die entſchiedene Praxis meh-

rerer Gerichte bezeugen: Wernher

obs. for. T. 1 P. 1 obs. 183.

(Präjudicien Num. 67 sq.). Böh-

mer Jus eccl. prot. Lib. 2 Tit. 26

§ 52 — 58. Cocceji Lib. 41 T. 3

quaest. 30. Möllenthiel a. a.

O. Unterholzner I. § 92. Gö-

ſchen § 153.

(k) Alſo auf alle Condictio-

nen, z. B. aus Darlehen, auf die

actio emti, venditi, conducti,

mandati, pro socio, die meiſten

Delictsklagen, kurz auf die aller-

meiſten perſönlichen Klagen über-

haupt.

(l) Vertheidiger dieſer Meynung

ſind faſt alle ältere Praktiker, aber

auch neuere Schriftſteller. Lau-

terbach Lib. 44 T. 3 § 17.

Stryk Lib. 44 T. 3 § 2. Struv.

exerc. 43 thes. 21. Pufendorf

T. 1 Obs. 115. Höpfner § 1182.

Hofacker § 870. Thibaut Ver-

jährung S. 82. 106. Pandekten

§ 1008. (Brauns Erörterungen

S. 873.). Es wird von ihnen

eine ſehr ausgedehnte Praxis, ins-

beſondere auch die der Reichsge-

richte, bezeugt.

|0346 : 332|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

den debitor rei alienae, oder auch gegen den debitor rei

propriae (m).

Für die erſte Meynung, nach welcher die mitgetheilten

Decretalen nur allein auf die Uſucapion bezogen werden

ſollen, iſt als eigenthümlicher Grund (n) nur die Be-

hauptung geltend gemacht worden, daß im canoniſchen

Recht ſchon der Ausdruck praescriptio lediglich die Uſuca-

pion, nicht die Klagverjährung, bezeichne. Das Wahre

hieran iſt, daß allerdings praescriptio, ganz abweichend

vom Römiſchen Sprachgebrauch, die Uſucapion mit um-

faßt (o); daß aber unter dieſem Ausdruck nur allein die

Uſucapion, und gar nicht die Klagverjährung, verſtanden

werden ſollte, iſt ſogar faſt unmöglich. Denn Niemand

wird behaupten, daß das canoniſche Recht die Klagver-

jährung nicht auch anerkenne; da es nun ganz ſicher kei-

nen anderen, eigenthümlichen, Ausdruck dafür hat, ſo

mußte es wohl den aus dem Römiſchen Recht hergenom-

menen dafür beybehalten (p). Auch findet ſich eine De-

cretale von Alexander III., worin jener Ausdruck geradezu

auf die Ausſchließung der Klage bezogen wird (q).

 

(m) Nämlich debitor rei alie-

nae iſt der Depoſitar, weil er eine

fremde Sache zurück geben ſoll,

debitor rei propriae der Dar-

lehensſchuldner, welcher ſein eige-

nes Geld, nicht das früher em-

pfangene, bezahlen ſoll.

(n) Die meiſten Gründe, die

für jene Meynung geltend gemacht

werden, ſollen blos die vierte Mey-

nung widerlegen, ſind alſo der er-

ſten mit der zweyten und dritten

Meynung gemeinſchaftlich.

(o) Vgl. oben B. 4 S. 315.

(p) Unterholzner I. S. 12.

(q) C. 6 X. de praescr. (2. 26.)

„… quadragenalis praescriptio

omnem prorsus actionem ex-

cludit.” In dem vorliegenden

Fall war freylich von beſeſſenen

|0347 : 333|

§. 244. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides.

Der ſcheinbarſte Grund für jene beſchränkte Bedeutung

von praescriptio liegt in folgender Stelle der Sammlung

von Bonifaz VIII. (r):

Sine possessione praescriptio non procedit.

 

Da nun dieſer Satz nur für die Uſucapion allgemein

wahr ſey, für die Klagverjährung größtentheils nicht

wahr, ſo folge daraus, daß das canoniſche Recht unter

dem Ausdruck praescriptio die Klagverjährung gar nicht

mit begreife.

 

Der ganze Titel des Sextus, woraus jene Stelle her-

rührt, enthält Rechtsregeln, die faſt ganz aus dem Rö-

miſchen Recht herüber genommen ſind, um der Sammlung

ein gelehrtes Anſehen zu geben; er iſt wahrſcheinlich von

Dinus verfaßt, welcher Legiſt, nicht Canoniſt war (s).

Jene Stelle iſt entſtanden aus folgendem Ausſpruch des

Licinius Rufinus (t):

Sine possessione usucapio contingere non potest.

 

Daß hier praescriptio anſtatt usucapio geſetzt wurde,

kam daher, daß jener Ausdruck dem Ende des dreyzehen-

ten Jahrhunderts, worin der Sextus erſchien, weit geläu-

figer war, als der Ausdruck usucapio. Bey ſorgfältiger

 

Zehenten die Rede, worin die Klag-

verjährung mit der Uſucapion zu-

ſammen fiel; allein der Ausdruck

der zum Beweis der einzelnen Ent-

ſcheidung angeführten allgemeinen

Rechtsregel geht auf die Verjäh-

rung der Klage, und müßte alſo

auch anwendbar ſeyn auf die we-

gen dieſer Zehenten angeſtellte lo-

cati actio.

(r) C. 3 de reg. juris in VI.

(s) Savigny Geſchichte des

R. R. im Mittelalter B. 5 S. 399.

400. 405.

(t) L. 25 de usurp. (41. 3.).

|0348 : 334|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Überlegung würde ſich Dinus geſagt haben, daß nun der

Ausdruck zu allgemein ſey, indem er z. B. die Verjährung

der Darlehensklage ausſchließe. Indem man aus der Stelle

einen beſtimmten und ausſchließenden Sprachgebrauch des

canoniſchen Rechts beweiſen will, ſetzt man jene ſorgfäl-

tige Überlegung, die Abwägung jedes Wortes, voraus;

aber jeder Unbefangene wird einräumen, daß durch dieſe

Vorausſetzung dem Dinus eine ganz übertriebene Ehre er-

wieſen wird. Vollends wenn man dieſe Stelle dazu ge-

brauchen will, um daraus einen conſtanten, durch alle Zei-

ten durchgehenden, Sprachgebrauch des canoniſchen Rechts

zu begründen, wie es geſchehen muß, wenn daraus die

älteren Decretalen von Alexander III. und Innocenz III. er-

klärt werden ſollen, ſo iſt dieſes Verfahren völlig verwerf-

lich. Wir nehmen für die drey Rechtsbücher von Juſti-

nian eine gewiſſe Solidarität an, und nicht ohne Grund,

obgleich auch hier nicht ohne Einſchränkung, und mehr für

den Inhalt der Rechtsſätze, als für den Sprachgebrauch (u);

aber für die der Zeit nach weit aus einander liegenden

Quellen des canoniſchen Rechts würde eine ähnliche An-

nahme ganz bodenlos ſeyn.

Für die zweyte Meynung ſind eigenthümliche Gründe

nicht vorgebracht worden. Ihr Vertheidiger ſucht eigent-

lich nur die vierte Meynung zu bekämpfen, und in dieſem

Beſtreben trifft er mit den Vertheidigern der dritten zu-

 

(u) Vgl. oben B. 1 § 43.

|0349 : 335|

§. 245. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)

ſammen, ſo daß man die zweyte, als eine ſelbſtſtändige,

von der dritten verſchiedene, füglich aufgeben kann.

§. 245.

Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingun-

gen c. Bona fides. (Fortſetzung.)

Es bleibt alſo nur noch der Widerſtreit der zwey letz-

ten Meynungen zu betrachten übrig, welcher ſich in der

Frage ausdrucken läßt, ob die bona fides nur allein bey

denjenigen perſönlichen Klagen erfordert werde, die ſich

auf Reſtitution eines Beſitzes beziehen, oder auf alle per-

ſönliche Klagen überhaupt; oder, nach einem ſchon oben

angewendeten Ausdruck: ob ſie blos gegen den debitor rei

alienae in Betracht kommt, oder auch gegen den debitor

rei propriae.

 

Dieſe Differenz der Meynungen iſt von der höchſten

praktiſchen Wichtigkeit, ohne Vergleichung wichtiger als

die unter den drey erſten Meynungen. Denn die wahre

Bedeutung der vierten Meynung kann keine andere ſeyn

als die, daß die Verjährung ausgeſchloſſen ſeyn ſoll, wenn

der Schuldner in irgend einem Augenblick das Bewußtſeyn

der Schuld hatte, indem man nun annehmen müſſe, daß

er mala fide unterlaſſen habe, den Glaubiger zu befriedi-

gen. Es iſt aber einleuchtend, daß dadurch das höchſt

wohlthätige Inſtitut der Klagverjährung faſt ganz vernich-

tet wird. Denn alle Schuldner aus Verträgen oder De-

licten haben wenigſtens im Anfang das beſtimmte Bewußt-

 

|0350 : 336|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

ſeyn ihrer Schuld, und es giebt überhaupt nur ſehr ſeltene

Fälle der Obligationen, worin der Schuldner zu allen

Zeiten ohne dieſes Bewußtſeyn geblieben ſeyn kann. Da-

hin würden z. B. folgende Fälle gehören: wenn der Erbe

durch Codicill zur Entrichtung eines Legats verpflichtet

wird, dieſer Codicill aber durch Zufall dreyßig Jahre lang

verborgen bleibt; oder wenn ein Anderer meine Geſchäfte

ohne Auftrag beſorgt, und dabey Auslagen für mich macht,

von welchen ich nichts erfahre; oder wenn bey einem

empfangenen Indebitum der Irrthum erſt nach Dreyßig

Jahren entdeckt wird. Nur in ſolchen höchſt ſeltenen Fäl-

len würde überhaupt noch von einer Klagverjährung die

Rede ſeyn können.

Die Vertheidiger dieſer extremen Meynung führen Drey

Gründe für dieſelbe an: den allgemeinen Ausdruck der

Decretalen, den allgemeinen ſittlichen Beweggrund, und

die natürliche Billigkeit. Die genauere Betrachtung dieſer

drey Gründe wird zugleich dazu dienen, die dritte Mey-

nung gegen die Einwürfe zu vertheidigen, die ihr von den

Anhängern der erſten und zweyten gemacht werden.

 

1) Der Ausdruck der Decretalen lautet allerdings ſehr

allgemein, und es heißt darin namentlich: nulla praescri-

ptio. Allein in beiden Decretalen iſt doch ſtets nur von

Beſitzern fremder Sachen die Rede, ſo wie von der

conscientia rei alienae, welche Ausdrücke unmöglich von

nicht zahlenden Schuldnern gebraucht werden können. Auf

eben dieſelbe Beſchränkung führt auch ſchon der aus dem

 

|0351 : 337|

§. 245. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)

Römiſchen Recht entlehnte Ausdruck mala fides, mit ſei-

nem Gegenſatz, der bona fides. Denn dieſe Ausdrücke be-

zeichnen bey den Römern nicht etwa die Redlichkeit oder

Unredlichkeit in jeder möglichen Anwendung, ſondern nur

in der beſondern Anwendung auf den unredlichen Beſitz;

wo aber in anderen Anwendungen das unredliche Bewußt-

ſeyn bezeichnet werden ſoll, da wird regelmäßig der Aus-

druck dolus gebraucht.

Nur durch Misverſtändniß könnte man verſuchen, dieſe

Gründe auch gegen die dritte Meynung geltend zu machen,

indem in den Fällen, worauf ſie die Nothwendigkeit der

bona fides bezieht, oft gar kein juriſtiſcher Beſitz (mit ani-

mus possidendi) vorhanden ſeyn wird. Allein deſſen Da-

ſeyn iſt auch ganz gleichgültig; denn gerade in der Lehre

von der Eigenthumsklage, worin doch vorzugsweiſe die

Unterſcheidung der b. f. und m. f. possessores von großer

Wichtigkeit iſt (a), wird der Ausdruck possessor in der

größten Ausdehnung genommen, ſo daß er da auch die

bloße Dentention, ohne animus possidendi, mit umfaßt (b).

 

Von einer andern Seite dagegen darf allerdings der

Ausdruck conscientia rei alienae nicht zu eng aufgefaßt

werden, indem man darunter ausſchließend das Bewußt-

ſeyn des fremden Eigenthums verſtehen möchte, ſo daß

das unredliche Bewußtſeyn über des Gegners Pfandrecht,

Emphyteuſe, Interdictenbeſitz u. ſ. w. gleichgültig wäre.

Es iſt aber vielmehr jede, irgend ein Beſitzverhältniß des

 

(a) L. 22 C. de rei vind. (3. 32.).

(b) L. 9 de rei vind. (6. 1.).

V. 22

|0352 : 338|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Beklagten betreffende, Unredlichkeit, das heißt die ſich auf

eine an ihn geforderte Reſtitution bezieht, unter jenem Aus-

druck zu verſtehen (c).

2) Der in den Decretalen ausgedrückte ſittliche Beweg-

grund, die Sorge für die Abwendung der Sünde, die in

allen ſolchen Fällen dieſelbe ſey.

 

Gerade dieſes Letzte aber muß gänzlich verneint wer-

den, da in beiden Fällen die Lage des Beklagten weſent-

lich verſchieden iſt. Wenn eine Schuld unbezahlt bleibt,

ſo wird Dieſes in unzähligen Fällen geſchehen ohne allen

böſen Willen; oft aus wirklicher oder vermeyntlicher Con-

nivenz von Seiten des Glaubigers, oder weil der Schuld-

ner jetzt kein Geld vorräthig hat (wobey gar nicht immer

an Armuth und Inſolvenz zu denken iſt), oder indem eine

übergebene Rechnung verlegt und dann vergeſſen wird.

In allen dieſen Fällen kann zu keiner Zeit eine Unredlich-

keit und Sünde behauptet werden; ganz anders bey dem

abgeforderten Beſitz, deſſen Unrechtmäßigkeit dem Beſitzer

bekannt iſt, und deſſen Reſtitution ihm nicht wohl aus zu-

fälligen Gründen unmöglich ſeyn wird. Hier ſind die

Fälle der Schuldloſigkeit eben ſo ſelten, als ſie dort häu-

fig vorkommen werden.

 

Dagegen liegt in dem angeführten ſittlichen Motiv ein

 

(c) Göſchen § 153. Für dieſe

Behauptung beweißt der ganze Zu-

ſammenhang der Stellen, welcher

wichtiger iſt als der ganz einzelne

Ausdruck aliena, obgleich dieſer

mehrmals vorkommt. Als Beſtä-

tigung kann auch dienen L. 7 C.

de rebus alienis (4. 51.), worin

der Ausdruck alienatio gleichfalls auf

die freyeſte Weiſe ausgelegt wird.

|0353 : 339|

§. 245. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)

wichtiger Grund, der dritten Meynung vor der erſten und

zweyten den Vorzug einzuräumen. Denn wenn z. B. der

Miether gegen die locati actio die Verjährung geltend

macht, obgleich er irgend einmal wußte, daß er die Sache

heraus geben müſſe, ſo iſt ſein Verhalten völlig eben ſo

ſündlich, als wenn ein unredlicher Beſitzer uſucapiren, oder

die Vindication des Eigenthümers durch Klagverjährung

entkräften will; alle dieſe Fälle ſtehen, ſittlich betrachtet,

ganz auf gleicher Linie. Es wäre aber eine unbegreifliche

Beſchränktheit des Pabſtes geweſen, die Seele des Be-

ſitzers in einem dieſer Fälle durch ſein Geſetz retten zu

wollen, in dem andern ganz ruhig verloren gehen zu laſ-

ſen; ja es würde Niemand den kleinlichen Gedanken er-

tragen können, als dürfte in einem ſolchen ſittlich religiö-

ſen Verhältniß, der juriſtiſchen Klaſſifikation der Klagen

irgend ein Einfluß eingeräumt werden.

3) Die natürliche Billigkeit wird von den Anhängern

der vierten Meynung ſo verſtanden, daß alle Verjährung

ein Inſtitut des poſitiven Rechts, alſo dem Naturrecht

entgegen ſey.

 

Allein die allerdings poſitive Natur der Verjährung

darf uns nicht hindern, ſie für ein höchſt wohlthätiges

Rechtsinſtitut anzuerkennen, und nicht beſtimmen, ihre wohl-

thätige Wirkſamkeit durch grundloſe Einſchränkungen zu

ſchwächen, ja faſt zu vernichten.

 

Ganz entſcheidend aber gegen die vierte Meynung iſt

die Vergleichung derſelben mit den allgemeinen Gründen,

 

22*

|0354 : 340|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

wodurch die Einführung der Verjährung bewirkt worden

iſt. Unter dieſen nimmt die Präſumtion der Tilgung eine

beſonders wichtige Stelle ein (§ 237). Sie iſt ganz vor-

züglich anwendbar auf die Fälle, worin die vierte Mey-

nung die Nothwendigkeit der bona fides (im Widerſpruch

mit den drey erſten Meynungen) behauptet, da in dieſen

Fällen meiſtens von Geldſchulden die Rede ſeyn wird,

worauf ſich jene Präſumtion vorzugsweiſe bezieht. Wenn

nun etwa nach mehr als 30 Jahren eine Kaufmannsrech-

nung eingeklagt wird, ſo wird vielleicht durch alte Briefe

bewieſen werden können, daß der Beklagte Anfangs dieſe

Schuld gekannt hat; dadurch aber wird durchaus nicht

die Wahrſcheinlichkeit vermindert, daß dieſe Rechnung in

ſo vielen Jahren irgend einmal bezahlt ſeyn werde. Ja

man kann ſogar beſtimmt behaupten, daß Diejenigen,

welche die Nothwendigkeit der bona fides bey allen Kla-

gen behaupten, die Präſumtion der Tilgung als Grund

der Verjährung eigentlich ganz aufgeben. Denn die Til-

gung einer Schuld geſchieht, mit ſehr ſeltenen Ausnahmen,

durch freywillige Handlungen des Schuldners (d), dieſe

nun ſind nicht möglich ohne Bewußtſeyn der Schuld, wo-

durch aber nach jener Meynung, die Verjährung gehin-

dert werden ſoll. — Ganz anders verhält es ſich mit den

(d) Allerdings kommen auch

Tilgungen ohne Handlungen des

Schuldners, ſelbſt ohne deſſen Be-

wußtſeyn vor, z. B. wenn ein An-

derer für ihn zahlt, ohne es ihm

auch nur hinterher anzuzeigen, oder

wenn der Schuldner ohne ſein

Wiſſen eine Gegenforderung er-

wirbt; aber dieſe Fälle ſind ſo ſel-

ten, daß ſie gar nicht in Betracht

kommen können.

|0355 : 341|

§. 245. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)

Klagen auf Reſtitution des Beſitzes, worauf die erſten

Meynungen das Erforderniß der bona fides beſchränken.

Daß hier eine unmittelbare Tilgung nicht Statt gefunden

hat, erhellt aus dem noch jetzt in den Händen des Be-

klagten befindlichen Beſitz; eine indirecte Tilgung aber,

etwa durch Geldabfindung, würde ein neues Rechtsgeſchäft

vorausſetzen, für deſſen Annahme unmöglich eine ähnliche

Präſumtion behauptet werden kann, wie für die Annahme

der in der natürlichen Entwicklung der Geldſchulden lie-

genden baaren Zahlung.

Die hier aufgeſtellte Behauptung iſt noch durch fol-

gende nähere Beſtimmungen zu ergänzen.

 

Das Daſeyn des redlichen Bewußtſeyns wird dadurch

nicht ausgeſchloſſen, daß ein Rechtsirrthum zum Grund

liegt (e).

 

Man hat früher über die Frage geſtritten, ob die Klag-

verjährung auch dadurch geſtört werde, daß nach Ablauf

der Verjährungszeit das Bewußtſeyn des fremden Rechts

eintrete (f). In neueren Zeiten aber iſt allgemein aner-

kannt worden, daß dieſer Umſtand die Wirkung der Klag-

verjährung nicht hindere (g). Der Grund liegt darin, daß

die Verjährung ſelbſt ein neues Recht erzeugt, oder we-

nigſtens erzeugen kann, weshalb nun jeder Gedanke in Be-

 

(e) Vgl. oben B. 3 Beylage

VIII. Num. XXIII.

(f) Gilken de usucap. P. 2

Membr. 3 C. 8 unterſcheidet ganz

willkührlich zwiſchen einer Verjäh-

rung aus causa lucrativa oder

onerosa.

(g) Giphanius p. 258. Müller

ad Leyser. Obs. 726. Möllen-

thiel S. 120.

|0356 : 342|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

ziehung auf das frühere Rechtsverhältniß gleichgültig iſt.

Ganz verſchieden von der ſpäteren mala fides iſt es, wenn

durch ein neues Rechtsgeſchäft auf die Vortheile der Ver-

jährung verzichtet wird; von der Wirkung eines ſolchen

Vertrags wird weiter unten die Rede ſeyn (h).

Der hier widerlegten vierten Meynung liegt jedoch

eine relative Wahrheit zum Grunde, die nun noch aner-

kannt werden muß. Wenn ein Geldſchuldner nicht blos

weiß, daß er Schuldner iſt, ſondern durch unredliche Hand-

lungen den Ablauf der Verjährung herbey führt, indem

er etwa den Glaubiger durch täuſchende Verſicherungen

von der Klage abhält, ſo kann man, blos auf den ma-

teriellen Erfolg geſehen, ſagen, daß die Verjährung durch

mala fides gehindert werde. Genau richtig aber iſt dieſer

Ausdruck nicht; vielmehr muß man behaupten, daß die frühere

Klage durch Ablauf der Verjährung wirklich verloren wor-

den iſt, daß jedoch der vorige Glaubiger durch eine ganz

neue Klage, die doli actio, vollſtändige Entſchädigung er-

langen kann (i).

 

§. 246.

Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingun-

gen. c. Bona fides. (Fortſetzung.)

In der Reihe der Meynungen, welche das Erforderniß

der bona fides betreffen, iſt bisher eine nicht erwähnt

 

(h) So behandelt die Sache

auch das Preußiſche allg. Land-

recht I. 9 § 564.

(i) L. 1 § 6 de dolo (4. 3.)

„ .. nisi in hoc quoque dolus

malus admissus sit, ut tempus

exiret.”

|0357 : 343|

§. 246. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)

worden, welche von allen im § 244 und 245 geprüf-

ten weſentlich abweicht, auch an ſich gar keine Auf-

merkſamkeit verdienen würde, und nur zufällig eine ge-

wiſſe Bedeutung erlangt hat.

Rave handelt zuerſt von den oben dargeſtellten ent-

gegengeſetzten Meynungen, die er wohl kennt, und erklärt

ſich zuletzt ganz entſchieden für die vierte Meynung, nach

welcher bey allen perſönlichen Klagen ohne Unterſchied die

mala fides ein Hinderniß der Verjährung ſeyn ſoll (a).

Dann aber giebt er plötzlich der Sache folgende unerwar-

tete Wendung (b). Die Klagverjährung, ſagt er, bewirkt

nur eine ſehr ſtarke Präſumtion der Tilgung. Wenngleich

alſo die eigenhändige Urkunde des Schuldners vorgebracht

wird, ſo iſt dadurch die Vermuthung nicht entkräftet, daß

in der langen nachfolgenden Zeit die Schuld getilgt ſeyn

werde. Dieſe Vermuthung wird nur durch den, zwey

Thatſachen zugleich umfaſſenden, Beweis des Klägers ent-

kräftet: erſtlich, daß die Schuld wirklich noch fortdaure,

alſo nicht getilgt ſey, zweytens daß der Schuldner Dieſes

wiſſe (c). Hierin ſoll der Beweis der mala fides liegen,

die der Richter aus den Umſtänden zu erkennen habe, un-

ter andern aus folgenden Thatſachen: aus dem außerge-

richtlichen Geſtändniß, aus dem Verſuch die Beweisurkun-

 

(a) Rave § 19. 93. 131. 132.

(b) Rave § 133.

(c) Rave l. c. „Magis itaque

requiritur etiam hoc, ut actor

probet, scire reum, hanc obli-

gationem nondum esse extin-

ctam, sed iisdem terminis ad-

huc post hos triginta annos

durare, quibus antea [ – 2 Zeichen fehlen]cepit.”

|0358 : 344|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

den zu unterdrücken, endlich aus Mittheilungen, die er

darüber von anderen Perſonen empfangen haben kann.

Es iſt nicht leicht, ſich aus dieſer Confuſion der Be-

griffe heraus zu finden. Zuerſt giebt Rave die von ihm aus-

führlich vertheidigte Lehre von der zu allen Klagverjäh-

rungen nöthigen bona fides in der That auf, indem er

der eigenhändigen Schuldurkunde die Wirkſamkeit verſagt;

denn aus dem Daſeyn dieſer Urkunde folgt unwiderſprech-

lich, daß der Schuldner, wenigſtens Anfangs, das Bewußt-

ſeyn der Schuld gehabt hat, und darin eben liegt für

Fälle dieſer Art die mala fides, ſo wie ſie alle Andere

verſtehen. Wie er hinterher die mala fides wieder ein-

zuſchwärzen ſucht, wird ſogleich gezeigt werden. — Ferner

verwandelt er die Präſumtion der Tilgung, die blos ein

legislatives Motiv iſt, und ſelbſt als ſolches nur eine ein-

geſchränkte Wahrheit hat (§ 237), in die praktiſche Natur

der Verjährung ſelbſt, wodurch die Art und der Umfang

ihrer Wirkung beſtimmt werden ſoll, welches ein völlig

grundloſes Verfahren iſt. Wollte er aber dieſe Auffaſſung

conſequent durchführen, ſo mußte er die Bedingung der

bona fides ganz fallen laſſen, und den zugelaſſenen Ge-

genbeweis lediglich auf die wirkliche Fortdauer der

Schuld, das heißt auf ihre Nichttilgung richten, wo-

durch allerdings die Präſumtion entkräftet ſeyn würde.

Freylich würde für dieſe negative Thatſache kaum ein an-

derer Beweis verſucht werden können, als die Eidesdela-

tion, und deren Anwendung würde hier mannichfaltige

 

|0359 : 345|

§. 246. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)

Bedenken haben. — Allein Rave wollte nun auch noch

die mala fides anbringen, für deren allgemeine Wirkſam-

keit er ſich, vielen älteren Schriftſtellern folgend, ausge-

ſprochen hatte. Er verlegte daher dieſe in die Zeit nach

abgelaufener Verjährung, wohin ſie gar nicht mehr ge-

hört, und vereinigte ſie mit der Widerlegung der Prä-

ſumtion der Tilgung in der Art, daß dieſelben Thatſachen

dazu dienen ſollten, zugleich die Nichttilgung, und das un-

redliche Bewußtſeyn, zu erweiſen. Alle dieſe von ihm

beyſpielsweiſe angeführte Thatſachen aber ſind dazu durch-

aus nicht genügend. Das außergerichtliche Geſtändniß be-

weißt nur die Meynung des Beklagten über Fortdauer

der Schuld, welche aber irrig ſeyn kann, ſo daß die wirk-

liche Tilgung daneben dennoch möglich, alſo die durch die

lange Zeit begründete Präſumtion nicht widerlegt iſt. Mit

der verſuchten Zerſtörung der Beweisurkunden für die Ent-

ſtehung der Schuld verhält es ſich eben ſo; auch wird

der Schuldner, welcher ſich von Rave’s Theorie durch-

drungen hat, nicht ſo thöricht ſeyn, durch einen ſolchen

Verſuch Verdacht zu erregen, da ja das Daſeyn der un-

verſehrten Urkunden die Präſumtion der Tilgung nicht

entkräften ſoll. Endlich die Mittheilung fremder Perſonen

kann gewiß noch weniger bewirken, als das eigene Ge-

ſtändniß des Schuldners.

So erſcheint alſo dieſe ganze Lehre von allen Seiten

unhaltbar und inconſequent. Kein neuerer Schriftſteller

iſt darauf eingegangen, und es würde keine Veranlaſſung

 

|0360 : 346|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

geweſen ſeyn, hier davon mehr als im Vorübergehen Mel-

dung zu thun, wenn ſich nicht eine ſehr bedeutende prak-

tiſche Wirkſamkeit daran geknüpft hätte, woran gewiß

jener Schriftſteller am wenigſten gedacht hat.

Das Preußiſche Allgemeine Landrecht nimmt zweyerley

Verjährung an: durch Beſitz und durch Nichtgebrauch.

Die erſte umfaßt die Römiſche Uſucapion, aber auch zu-

gleich die auf dem Beſitz beruhenden Fälle der Römiſchen

Klagverjährung: die zweyte enthält unter andern, aber

als den wichtigſten Beſtandtheil, diejenigen Fälle der Rö-

miſchen Klagverjährung, wobey von einem Beſitz des Be-

klagten gar nicht die Rede iſt, alſo gerade die Fälle, für

welche nach der oben dargeſtellten vierten Meynung die

bona fides nöthig ſeyn ſoll, anſtatt daß die anderen Mey-

nungen ſie hier nicht erfordern (d).

 

Bey der Vorbereitung des Landrechts gieng Suarez

von folgenden klar und beſtimmt gedachten Sätzen aus.

Die Verjährung durch Nichtgebrauch iſt bloße Strafe der

Nachläſſigkeit des Berechtigten (e); daher kommt es hier auf

das Verhalten des Schuldners, alſo auch auf deſſen bona

fides, gar nicht an (f). Es war eine Folge dieſer Anſicht,

 

(d) Dieſe allgemeinen Begriffe

der Verjährung und ihrer zwey

Hauptarten erhellen aus: A. L. R.

I. 9 § 500 — 503. Die beſondere

Lehre von der Verjährung durch

Nichtgebrauch ſteht § 535 fg., die

von der Verjährung durch Beſitz

§ 579 fg.

(e) Simon und Strampff

Zeitſchrift des Preuß. Rechts B. 3

S. 421. 482. 512.

(f) Ebendaſ. S. 426. 508. 527.

532.

|0361 : 347|

§. 246. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)

daß der gedruckte Entwurf des Geſetzbuches die bona fides

ganz mit Stillſchweigen übergieng.

Als Suarez über die vielen eingegangenen Erinnerun-

gen zu jenem Entwurf einen Vortrag an den Großcanzler

Carmer hielt, zur Vorbereitung für die definitiven Re-

daction, gieng er einen Schritt weiter, und trug auf eine

ausdrückliche Beſtimmung an, wodurch die bona fides für

nicht erforderlich erklärt werden ſollte (g). Unglücklicher-

weiſe aber muß Carmer das Buch von Rave geleſen, und

davon einen tiefen Eindruck empfangen haben; denn hinter

jenem Antrag bemerkt Suarez eine entgegengeſetzte Ent-

ſcheidung in folgenden Worten:

„Conclusum. Es findet der Beweis ſtatt, daß der

Verpflichtete gegen beſſeres Wiſſen von ſeiner noch

fortwährenden (Verbindlichkeit) der Erfüllung ſeiner

Verbindlichkeit ſich entziehen wolle.“

 

Hieraus ſind nun folgende Stellen unſres Landrechts

hervorgegangen:

Th. 1 Tit. 9 § 568. Die vollendete Verjährung durch

Nichtgebrauch wirkt die rechtliche Vermuthung, daß

die ehemals entſtandene Verbindlichkeit in der Zwi-

ſchenzeit auf eine oder die andere Art gehoben worden.

§ 569. Dieſe Vermuthung kann nur durch den voll-

 

 

(g) Ebendaſ. S. 532, aus Vol.

71 num. 42 fol. 71 v. der hand-

ſchriftlichen Materialien. Die von

ihm vorgeſchlagenen §§ lauten ſo:

„Die vollendete Verjährung durch

Nichtgebrauch wirkt eine gänzliche

Befreiung des Verpflichteten von

ſeiner bisherigen Verbindlichkeit.

Dieſe Wirkung wird durch den

Einwand, daß der Verpflichtete

ſeine Verbindlichkeit gewußt habe,

nicht gehindert.“

|0362 : 348|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

ſtändigen Beweis, daß der andere unredlicher Weiſe,

und gegen beſſeres Wiſſen von ſeiner noch fortwäh-

renden Verbindlichkeit, ſich der Erfüllung derſelben

entziehen wolle, entkräftet werden.

In dieſen Worten ſollte augenſcheinlich die Lehre von

Rave ausgedrückt werden (h). Die Aufnahme derſelben

wäre, bey ihrer gänzlichen Unhaltbarkeit, unter allen Um-

ſtänden ein Übel geweſen; ſie war es aber in noch höhe-

rem Grade, da dieſe Stellen unvorbereitet, wie ein frem-

der Körper, eingeſchoben wurden, während die Bearbeitung

der ganzen übrigen Verjährungslehre von anderen Anſich-

ten ausgeht (i).

 

Daß nun in dieſer Stelle nicht die mala fides in dem

gewöhnlichen Sinne, nämlich das während der laufenden

Verjährung irgend einmal vorhandene Bewußtſeyn der

 

(h) Wollte man hieran noch

zweifeln, ſo würde man überzeugt

werden durch folgende Bemerkung

von Suarez, womit er jene §§.

(damals mit den Nummern 573.

574.) im verſammelten Staatsrath

vortrug (Simon u. Strampff

a. a. O., S. 580, genommen aus

den Materialien Vol. 88. fol. 48):

„Nach der Praxis wird zwar, ſo-

bald die Friſt abgelaufen iſt, nach

der b. f. nicht mehr gefragt; der

Theorie aber iſt dieſes nicht ge-

mäß. Denn lapsus temporis be-

gründet nur eine praesumtionem

juris für den Präſcribenten, welche

den Beweis des contrarii niemals

ausſchließt“. Die letzten Worte

ſind faſt ganz überſetzt aus dem

Schluß von Rave § 132. — Sua-

rez trat hier als Organ des Groß-

kanzlers auf, trug alſo deſſen theo-

retiſche Meynung vor, nicht ſeine

eigene.

(i) Die hieraus für die Wir-

kung der Verjährung hervorgehen-

den Zweifel und Widerſprüche wer-

den unten bemerkt werden. Zu

dem oben § 245. h. angeführten

Satz des A. L. R. paßt die neue

Beſtimmung nicht. Es findet ſich

vielleicht nur noch eine einzige an-

dere Stelle, worin auf die beiden

oben abgedruckten §§. Beziehung

genommen wird, nämlich A. L. R.

I. 20 § 245.

|0363 : 349|

§. 246. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)

Schuld, für ein Hinderniß der Verjährung erklärt werden

ſoll, iſt einleuchtend; denn es wird hier, ganz übereinſtim-

mend mit Rave, die hindernde Unredlichkeit in die gegen-

wärtige Zeit, die Zeit des über die Verjährung geführten

Rechtsſtreits, welcher nur nach Ablauf der von dem

Schuldner behaupteten Verjährung denkbar iſt, geſetzt.

Auch folgt Dieſes aus der andern Vorſchrift des Land-

rechts, nach welcher ſelbſt dem rechtskräftig verurtheilten

Schuldner der Anfang einer neuen Verjährung durch Nicht-

gebrauch geſtattet wird (k), in welchem Fall der Schuldner

ganz unfehlbar das Bewußtſeyn des Daſeyns einer Schuld

gehabt haben muß. Endlich folgt es auch ſchon daraus,

daß der § 568 die Präſumtion der Tilgung geradezu für

das Weſen der Verjährung erklärt; da nun die Tilgung

faſt nie ohne das Bewußtſeyn des Schuldners von dem

Daſeyn der Schuld geſchieht (§ 245. d), ſo kann nicht das

Landrecht dieſes Bewußtſeyn für ein Hinderniß der Ver-

jährung anſehen.

Welches aber der eigentliche Sinn der Stelle iſt, und

wie ſie zur Anwendung gebracht werden ſoll, das iſt nicht

ſo leicht zu ſagen. Die erfahrenſten Praktiker, die ich

darüber befragte, haben mir die verſchiedenſten Antworten

gegeben; darin aber waren ſie Alle einverſtanden, daß jene

Stelle nicht häufig zur Anwendung komme, nur unnöthige

 

(k) A. L. R. I. 9 § 558. Bey

der Verjährung durch Beſitz iſt

gerade das Gegentheil vorgeſchrie-

ben, eben weil hier bona fides

erfordert wird; I. 9 § 592.

|0364 : 350|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Zweifel errege, und beſſer nicht vorhanden wäre. Damit

ſtimmen auch die meiſten Schrifſteller überein; ſie ſuchen

der Stelle den Sinn unterzulegen, daß die Verjährung

ausgeſchloſſen werde durch unredliche Handlungen des

Schuldners, wodurch er die Anſtellung der Klage verhin-

dere, alſo den Ablauf der Verjährung ſelbſt herbey führe (l).

Dieſe Behauptung iſt, was den praktiſchen Erfolg be-

trifft, unbedenklich zuzugeben, und auch ſchon im Römiſchen

Recht als wahr anerkannt (§ 245. i); aber in der beſtritte-

nen Stelle des Landrechts iſt dieſer Satz nicht enthalten.

Denn der Dolus, an welchen jene Schriftſteller denken,

fällt immer wieder in die Zeit der noch laufenden Verjäh-

rung, anſtatt daß die Stelle des Landrechts die hindernde

Unredlichkeit in die ſpätere Zeit verſetzt. — Ein einziger

Schriftſteller hat jene Stelle des Landrechts, jedoch nur

theilweiſe, in Schutz genommen, ihr aber zugleich einen

Sinn untergelegt, der nicht wohl darin gefunden werden

kann (m).

(l) Rönne Anmerk. zu Klein’s

Preuß Civilrecht B. 1 § 222 (1830).

Temme Preuß. Civilrecht § 346

(1832). Thöne Preuß. Privatrecht

B. 2 § 299. 300 (1835). In demſel-

ben Sinn ſprach ſich im J. 1789

die Geſetzcommiſſion aus (Klein’s

Annalen B. 6 S. 311); zur In-

terpretation des weit neueren Land-

rechts kann dieſer Ausſpruch na-

türlich nicht benutzt werden.

(m) Bornemann Preuß. Ci-

vilrecht B. 2 § 120. 128. 129.

(1834). Er wendet eine bisher

ganz unbekannte, auch dem Sinn

des Landrechts fremde, Diſtinction

an, zwiſchen Obligationen aus ei-

nem ſpeciellen Titel (wie Kauf

oder Darlehen) und aus einem

allgemeinen Rechtsgrund (wie Ge-

währ für Fehler einer erkauften

Sache, oder Beſchädigung); bey

den letzten ſoll die bona fides

nicht nöthig ſeyn, wohl aber bey

den erſten, jedoch auch hier in ei-

nem ganz andern Sinn, als ſie

bis jetzt allgemein verſtanden wor-

den iſt. Ich halte dieſe Unter-

|0365 : 351|

§. 246. Klagverjährung. Bedingungen. Bona fides. (Fortſetzung.)

In den gedruckten Vorarbeiten zur Geſetzreviſion wird

darauf angetragen, ausdrücklich zu erklären, daß die bona

fides kein Erforderniß der Klagverjährung ſey. — Bey

Gelegenheit des Preußiſchen Geſetzes über kürzere Ver-

jährungsfriſten (§ 239. t) war davon die Rede, die §§.

568. 569. ſchon jetzt, vor der vollendeten Reviſion, auf-

zuheben, ohne etwas Anderes an ihre Stelle zu ſetzen.

Es unterblieb blos deswegen, weil dieſe §§. zugleich die

Wirkung der Berjährung angeben, worüber nicht ohne

eine erſchöpfende Erwägung aller Beziehungen dieſes Rechts-

inſtituts entſchieden werden kann; über die gänzliche Ver-

werflichkeit jener Stelle zeigte ſich durchaus keine Verſchie-

denheit der Meynungen.

 

Das Franzöſiſche Geſetzbuch behandelt dieſen Gegen-

ſtand auf etwas durchgreifende, aber einfache und prak-

tiſche Weiſe. Bey der regelmäßigen, dreyßigjährigen Klag-

verjährung ſoll es auf bona fides gar nicht ankommen (n).

Bey den beſonderen, kurzen Verjährungsfriſten kann der

Glaubiger dem Schuldner den Eid über wirklich geleiſtete

Zahlung zuſchieben (o). Hier wird alſo geradezu die Prä-

ſumtion der Tilgung als einziger Grund und Bedingung

der Klagverjährung angenommen, wodurch die Frage nach

 

ſcheidung in der Theorie für un-

begründet, praktiſch kaum durchzu-

führen, nnd kann nicht glauben,

daß ſie von Anderen überzeugend

gefunden werden wird. — Übri-

gens bezeugt er, daß das Kam-

mergericht von jeher gar keine bona

fides zur Klagverjährung gefor-

dert habe.

(n) Code civil art. 2262.

(o) Code civil art. 2275.

|0366 : 352|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

der Redlichkeit gewiſſermaßen umgangen oder abſorbirt

wird. Bey ſo kurzen Friſten, wobey die Erinnerung meiſt

beſtimmte Auskunft geben wird, iſt dieſe Beſtimmung aus-

führbar, bey langen Friſten würde ſie unſichere und oft

harte Erfolge herbey führen.

§. 247.

Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Bedingungen.

d. Ablauf der Zeit.

Die regelmäßige Zeit, welche zur Vollendung der Ver-

jährung erfordert wird, beträgt dreyßig Jahre (§ 238).

 

Von dieſer Regel giebt es eine große Zahl von Aus-

nahmen für einzelne Klagen, welche meiſt weniger, ſelten

mehr als dreißig Jahre dauern; dieſe gehören dem ſpeciel-

len Theile des Rechtsſyſtems an. Hier aber ſind diejeni-

gen Ausnahmen darzuſtellen, welche eine allgemeinere Na-

tur haben, alſo ganze Klaſſen von Klagen umfaſſen, und

daher keine eigenthümliche Stelle an irgend einem Punkte

des ſpeciellen Syſtems finden können.

 

I. Longi temporis praescriptio von Zehen oder Zwan-

zig Jahren. Sie hat eine umfaſſende Natur, indem ſie

ſich auf alle speciales in rem actiones bezieht, das heißt

auf alle Klagen, die aus dinglichen Rechten entſpringen.

Sie kann hier nicht dargeſtellt werden, ſondern nur im

Zuſammenhang mit der Uſucapion, mit welcher ſie durch

ihre Entſtehung und Ausbildung unzertrennlich verbun-

den iſt.

 

|0367 : 353|

§. 247. Klagverjährung. Bedingungen. Zeitablauf.

II. Die prätoriſchen Klagen.

 

Gajus und die Inſtitutionen ſtellen die Sache ſo dar,

als gelte für alle dieſe Klagen die einjährige Verjährung

als Regel, wovon es nur einzelne Ausnahmen gebe (a).

Nach der genaueren Angabe des Paulus und Ulpian gilt

die Regel nur für die Pönalklagen aus dem Edict, nicht

für die das Vermögen erhaltenden Klagen (b). Noch ſpe-

cieller iſt Dieſes dahin zu beſtimmen, daß ſowohl die ein-

ſeitigen als die zweyſeitigen Strafklagen der einjährigen

Verjährung unterworfen ſind (c). Daher ſind einjährig

die doli actio (d), desgleichen die poſſeſſoriſchen Inter-

dicte (e), obgleich dieſe Klagen niemals den Kläger berei-

chern, jedoch oft den Beklagten, wie durch eine Strafe,

 

(a) Gajus IV. § 110. 111, pr.

J. de perpetuis (4. 12.). Als

Ausnahmen werden hier genannt:

die Klagen des prätoriſchen Erben

(gegen die Schuldner des Erblaſ-

ſers) und die actio furti mani-

festi. Dieſe letzte iſt eine wahre

Ausnahme von der richtig gefaß-

ten Regel, und beruht als Aus-

nahme auf gutem Grunde. — Vgl.

über die Verjährung der prätori-

ſchen Klagen Unterholzner I.

§ 12, II. § 269. 270. 272.

(b) L. 35 pr. de O. et A. (44.

7.), L. 3 § 4 nautae (4. 9.), L.

21 § 5 rer. amot. (25. 2.).

(c) Offenbar unrichtig ſagt Pau-

lus in L. 35 pr. cit., nachdem

er die Regel aufgeſtellt hat, die

prätoriſchen Klagen auf rei per-

secutio ſeyen perpetuae: „Illae

autem rei persecutionem con-

tinent, quibus persequimur, quod

ex patrimonio nobis abest.”

Wäre dieſe Beſtimmung richtig,

ſo müßten die einſeitigen Strafkla-

gen perpetuae ſeyn, die doch in

der That einjährig ſind (Note d. e.)

(d) Nämlich nach dem prätori-

ſchen Edict; ſpäter wurde dieſer

annus utilis in ein biennium

continuum verwandelt. L. 8 C.

de dolo (2. 21.). — Die ein-

jährige Verjährung der Injurien-

klage (L. 5 C. de injur. 9. 35.)

iſt gleichfalls eine reine Anwen-

dung der allgemeinen Regel, be-

zieht ſich aber auf eine zweyſei-

tige Strafklage.

(e) L. 1 pr. de vi (43. 16.),

L. 1 pr. uti poss. (43. 17.)

V. 23

|0368 : 354|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

poſitiv ärmer machen. — Vielleicht die einzige wahre

Ausnahme der ſo gefaßten Regel findet ſich bey der actio

furti manifesti (Note a). Die von Paulus angedeutete

zweyte Ausnahme, wenn die publiciana actio auf der Re-

ſtitution gegen eine vollendete Uſucapion gegeben wird (f),

kann als Ausnahme nicht zugegeben werden. Denn hier

bezieht ſich die Verjährung gar nicht auf die Klage, ſon-

dern auf die von einer Klage ganz verſchiedene Reſtitu-

tion; bey dieſer aber iſt die einjährige Verjährung ſtets

wirkſam, ohne Unterſchied ob die Reſtitution zu einer

Klage, oder einer Exception, oder irgend einem anderen

Rechtsverhältniß den Weg bahnen ſoll.

Man könnte zweifeln ob die einjährigen Verjährungen,

eben ſo wie die längeren, unter der Form einer Exception

geltend gemacht wurden, weil bey jenen der Name prae-

scriptio oder exceptio ſelten vorkommt. In einigen Stel-

len jedoch erſcheint derſelbe wirklich (g), und der ſeltnere

Gebrauch erklärt ſich aus dem Umſtand, daß bey dieſen

kurzen Verjährungen, bey welchen alle Thatſachen noch in

friſchem Andenken ſind, der Prätor ſelbſt meiſt über dieſe

Einwendung unmittelbar entſcheiden konnte, ohne dieſelbe

in Geſtalt einer Exception an den Judex zu verweiſen.

 

III. Die den Kirchen nnd milden Stiftungen zuſtehen-

 

(f) L. 35 pr. de O. et A.

(g) L. 30 § 5 de peculio (15.

1.) „Si annua exceptione sit

repulsus a venditore creditor

..” L. 15 § 5 quod vi (43. 24.)

causa cognita annuam excep-

tionem remittendam ..” S. o.,

B. 4 S. 299. — Wie dieſer Um-

ſtand von Donellus überſehen

worden iſt, ſ. u. §. 248.

|0369 : 355|

§. 247. Klagverjährung. Bedingungen. Zeitablauf.

den Klagen (h).

Die verwickelte und theilweiſe beſtrittene Geſchichte die-

ſer Ausnahme beruht auf folgenden Thatſachen.

 

Im Jahre 528 erließ Juſtinian ein Geſetz (i), worin

er für die Klagen der Kirchen und milden Stiftungen aus

Erbſchaften, Legaten, Schenkungen, und Kaufcontracten,

eine hundertjährige Verjährung vorſchrieb. Daſſelbe Recht

ſollte gelten für ſolche Klagen der Stadtgemeinden; außer-

dem auch für Erbſchaften, Vermächtniſſe, und Schenkun-

gen zum Loskauf von Gefangenen. Bey allen dieſen Be-

ſtimmungen ſollte es keinen Unterſchied machen, ob die

Klagen in rem oder in personam wären; auch wurde

keine Ausnahme für die auf kurze Verjährungsfriſten an-

gewieſene Klagen hinzugefügt. — Nach den Worten könnte

man das Geſetz auf die oben angedeuteten ſpeciellen Kla-

gen der Kirchen und Städte beſchränken; es iſt jedoch

wahrſcheinlicher, daß es ganz allgemein auf alle Klagen

jener juriſtiſchen Perſonen angewendet werden ſollte, und

daß jene Ausdrücke nur auf die gewöhnlichſte Entſtehung

des Vermögens derſelben hinzudeuten beſtimmt waren. Für

dieſe ausgedehnte Auslegung ſpricht der Umſtand, daß ſpä-

tere Geſetze, die ſich theils an jenes Geſetz anſchließen,

theils den Inhalt deſſelben angeben (k), eine Beſchränkung

auf gewiſſe Klaſſen von Klagen durchaus nicht erwähnen (l).

 

(h) Sehr gut handelt von die-

ſem Gegenſtand Unterholzner I.

§ 40—44.

(i) L. 23. C. de SS. eccles.

(1. 2.)

(k) Die Nov. 9 und Nov. 111

prooem.

(l) Unterholzner I. § 40. 41.

23*

|0370 : 356|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die Novelle 9 (J. 535) wendete dieſes, zunächſt für

die Kirchen des Orients eingeführte Privilegium unver-

ändert auf ſämmtliche Kirchen des Occidents an, die hier

unter dem collectiven Namen der ecclesia Romana aufge-

führt waren. Es ſollte keinen Unterſchied machen, ob das

Vermögen dieſer Kirchen im Occident oder Orient läge.

 

Hierauf folgte die Novelle 111 (J. 541). Sie be-

ſchränkte die 100 Jahre der Kirchen und Stiftungen auf

40 Jahre, ſo daß ſie nur noch eine Verlängerung von

Zehen Jahren gegen die gewöhnliche Verjährungsfriſt ge-

nießen ſollten; dieſe ſollte aber nur ihnen allein zukommen,

für alle andere Perſonen und Rechtsſachen ſollte die Re-

gel der 30 Jahre gelten (m). Auch bey den Kirchen ſoll-

ten die bisher beobachteten Ausnahmen von dem Privile-

gium, unter andern die dreyjährigen Verjährungen, noch

ferner beybehalten werden (n).

 

Die Novelle 131 Kap. 6 iſt blos eine kurze Wieder-

holung des eben erwähnten Geſetzes. Sie enthält nur die

beſtimmtere Vorſchrift, daß die 40 Jahre da gelten ſollten,

wo außerdem 10 oder 20 oder 30 Jahre gegolten haben

würden. Als Abänderung war Dieſes nicht gemeynt, ſon-

 

(m) Damit ſollte augenſchein-

lich die hundertjährige Verjährung

der Stadtgemeinden aufgehoben

ſeyn.

(n) Mit dem triennium iſt die

Uſucapion gemeynt. Die übrigen,

nicht näher bezeichneten, Ausnah-

men, gehen ohne Zweifel auf alle

Verjährungen unter Zehen Jahren.

Alle dieſe Ausnahmen werden in

der L. 23 C. de SS. eccl. (1. 2.)

nicht erwähnt, wahrſcheinlich hatte

ſie der Gerichtsgebrauch eingeführt.

Bey Gratian (c. 16 C. 16. q. 3.)

und in der Auth. Quas actiones

C. de SS. eccl. (1. 2.) werden

Drey und Vier Jahre als Aus-

nahmen genannt.

|0371 : 357|

§. 247. Klagverjährung. Bedingungen. Zeitablauf.

dern nur als beſtimmtere Bezeichnung der ſchon in der No-

velle 111 vorbehaltenen Ausnahmen von dem Privile-

gium (o).

Die Richtigkeit der hier angegebenen geſetzlichen Be-

ſtimmungen wird durch mehrere Stellen des canoniſchen

Rechts beſtätigt. So wird im fünften Jahrhundert an-

erkannt, daß unter Kirchen die allgemeine dreyßigjährige

Verjährung gleichfalls gelte (p), weil damals noch nicht

das erſt von Juſtinian herrührende Privilegium eingeführt

war. Im J. 591 aber wurde anerkannt, daß auch der

Pabſt nur eine Verjährungsfriſt von 40 Jahren zu genie-

ßen habe (q), weil Juſtinian das Privilegium von 100 Jah-

ren ganz allgemein aufgehoben hatte.

 

In der Folge bildete ſich jedoch durch Gerichtsgebrauch

folgende Regel aus. Die Kirchen überhaupt haben 40 Jahre,

die ecclesia Romana aber, das heißt die Kirche des Pab-

ſtes ſelbſt, hat ausnahmsweiſe 100 Jahre. Veranlaßt war

ohne Zweifel dieſe neue Ausnahme durch den Buchſtaben

der Novelle 9, welche jedoch ganz aus ihrem hiſtoriſchen

Zuſammenhang geriſſen werden mußte, um zu einem ſol-

chen Erfolg zu führen; denn theils war nun der Ausdruck

 

(o) Dieſe Behauptung wird er-

klärt und gerechtfertigt durch die

in der vorhergehenden Note ent-

haltene Bemerkung. Zur Beſtäti-

gung dient das Verfahren, wel-

ches hierin Julian eingeſchlagen

hat. Er excerpirt in ſeiner Const.

104, als geltendes Recht, lediglich

die Nov. 111; in ſeiner Const. 8.

führt er die Nov. 9 zwar auf,

aber ohne ſie zu excerpiren, weil

ſie aufgehoben ſey; die Nov. 131

K. 6 übergeht er ganz mit Still-

ſchweigen.

(p) c. 1 C. 16 q. 3.

(q) c. 2 C. 16 q. 4.

|0372 : 358|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

ecclesia Romana in einem ganz neuen, willkührlichen Sinn

genommen, da er urſprünglich blos den Gegenſatz gegen

die orientaliſchen Kirchen bezeichnen ſollte: theils war die

gänzliche Aufhebung der Novelle 9, die der Zeitgenoſſe

Julian ausdrücklich bezeugt, überſehen.

Die erſte Anerkennung jenes neuen Rechtsſatzes findet

ſich um das J. 878 (r). Nachher hat Irnerius denſelben

Satz ausgeſprochen (s). Er wurde endlich beſtätigt durch

Decretalen von Innocenz III. (t) und Bonifacius VIII. (u).

 

Aus dieſer geſchichtlichen Überſicht ergiebt ſich zugleich,

für welche Fälle das Privilegium der 40 Jahre gelten

ſoll. Es tritt an die Stelle der außerdem geltenden 10,

20, 30 Jahre, iſt alſo, im Sinn von Juſtinian, gewiß

auch anwendbar auf die Uſucapion der Immobilien. Da-

gegen bleiben unverändert, alſo von dem Privilegium un-

berührt, alle kürzere Klagverjährungen, und neben dieſen

 

(r) c. 17 C. 16 q. 3, von P.

Johannes VIII.

(s) Auth. Quas actiones C.

de SS. eccl. (1. 2.) „Quas actio-

nes alias decennalis, alias vi-

cennalis, alias tricennalis prae-

scriptio excludit: hae, si loco

religioso competant, quadra-

ginta annis excluduntur: usu-

capione triennii, vel quadrien-

nii praescriptione, in suo ro-

bore durantibus: sola Romana

ecclesia gaudente centum an-

norum spatio vel privilegio.”

— Mit Unrecht hat Irnerius we-

gen dieſer Stelle viel leiden müſ-

ſen als Verfälſcher des Römiſchen

Rechts. Allerdings ſteht in der

Überſchrift als Quelle nur Nov.

131 C. 6, er hat aber dieſe aus

der Nov. 111 und dem längſt un-

zweifelhaften Gerichtsgebrauch er-

gänzt, ſo daß man ihm nicht den

Vorwurf machen darf, er ſelbſt

habe die Nov. 9 misverſtanden und

unrichtig angewendet. Vgl. Sa-

vigny Geſchichte des R. R. im

Mittelalter B. 2 § 70.

(t) C. 13. 14. 17 X. de prae-

script. (2. 26.) um 1206.

(u) C. 2 X. de praescr. in

VI, (2. 13.) um 1300.

|0373 : 359|

§ 247. Klagverjährung. Bedingungen. Zeitablauf.

auch die von Juſtinian ausdrücklich erwähnte dreyjährige

Uſucapion der beweglichen Sachen (v).

IV. Die Klagen der Städte ſollten, nach Juſtinians

erſtem Geſetz, eben ſo wie die der Kirchen, 100 Jahre

dauern (Note i). Durch eines ſeiner ſpäteren Geſetze hat

er dieſes Privilegium ganz aufgehoben, alſo die Städte

unter die Regel der 30 Jahre zurück geführt (Note m).

Weil aber hier die Städte nicht ausdrücklich genannt ſind,

ſo glauben Manche irrigerweiſe, die 100 Jahre dauerten

bey ihnen fort; Andere, ſie ſeyen in das neuere Privile-

gium der Kirchen (40 Jahre) ſtillſchweigend mit einge-

ſchloſſen, und auch die Gerichte haben ſich von dieſen Irr-

thümern nicht immer frey erhalten (x).

 

V. Die Klagen des Fiscus. Bey dieſem Gegenſtand

hat man weniger über ſtreitende Meynungen, als über

gänzlichen Mangel an ernſter, gründlicher Unterſuchung

zu klagen.

 

Vor Allem müſſen unterſchieden werden die Klagen aus

den eigenthümlichen Rechten des Fiscus, wie Strafen

 

(v) Unterholzner I. § 41.

Durch dieſe Beſchränkung ver-

ſchwindet denn auch der Vorwurf

der Unausführbarkeit, der ſonſt bey

manchen kurzen Klagverjährungen

eintreten würde. Denn allerdings

wäre es widerſinnig, wenn z. B.

die actio redhibitoria oder

quanti minoris von einer Kirche

40 Jahre lang angeſtellt werden

könnte.

(x) Bülow und Hagemann

practiſche Erörterungen B. 4 Num. 5.

Unterholzner I. § 45. — Das

Dictatum de consiliariis be-

trachtet das Privilegium der Städte

als gültig. Savigny Geſchichte

des R. R. im Mittelalter B. 2

§ 70, Zeitſchrift für geſchichtliche

Rechtswiſſ. B. 5 S. 343. 344.

|0374 : 360|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

u. ſ. w., und die dem Fiscus zuſtehenden gemeinrechtlichen

Klagen.

A) Die beſonderen Fiskalklagen werden verjährt in

20 Jahren, und dieſe Regel iſt ſogar entſtanden in einer

Zeit, worin noch alle Klagen in der Regel ganz ohne Ver-

jährung waren (y).

 

Daneben aber finden ſich wieder zwey ſpeciellere Aus-

nahmen. Der Anſpruch des Fiscus auf erbloſes Vermö-

gen verjährt ſchon in Vier Jahren (z). Dagegen ſind die

Steuerforderungen für ganz unverjährbar noch in dem

neueſten Recht erklärt (aa).

 

B) Die gemeinrechtlichen Klagen, worin der Fiscus,

ſo wie jede andere Perſon, als Eigenthümer, Glaubiger

u. ſ. w. auftritt, ſind der gewöhnlichen Verjährung von

30 Jahren unterworfen. Man beruft ſich zwar auf ein

Geſetz von Anaſtaſius, welches eine vierzigjährige Ver-

jährung vorſchreibe; allein dieſes Geſetz ſpricht von einer

ganz einzelnen Klage, der Vindication von Patrimonial-

grundſtücken (bb). Es beruft ſich dabey gar nicht etwa

auf ein allgemeines Privilegium des Fiscus, welches ſchon

deswegen nicht möglich iſt, weil es hierin den Fiscus mit

 

(y) L. 13 pr. de div. temp.

praescr. (44. 3.), L. 2 § 1 L. 3

L. 4 de requirendis (48. 17.),

L. 1 § 3 de j. fisci (49. 14.).

(z) L. 1 C. de quadr. prae-

scr. (7. 37.).

(aa) L. 6 C. de praescript.

XXX. (7. 39.), vgl. oben § 238. o.

— In dem Preußiſchen Geſetz vom

18. Jun. 1840. (Geſetzſammlung

1840 S. 140) haben gerade die

Steuerforderungen ſehr kurze Ver-

jährungen erhalten.

(bb) L. 14 C. de fundis pa-

trim. (11. 61.); dieſe Verjährung

ſollte gelten ſowohl für den Beſitz

mit Entrichtung eines Canons, als

für die Befreyung vom Canon.

|0375 : 361|

§. 247. Klagverjährung. Bedingungen. Zeitablauf.

den Tempeln gleichſtellt, zu einer Zeit, wo an eine vier-

zigjährige Verjährung der Kirchen noch gar nicht gedacht

wurde. Dieſe beſondere Art von Domänengütern aber

kommen im heutigen Recht nicht mehr vor. — Dagegen

findet ſich eine unzweydeutige Beſtätigung der 30 Jahre

in folgender Beſtimmung. Wenn im Namen der res pri-

vata des Kaiſers auf flüchtige Colonen geklagt wird, ſo

gilt die gewöhnliche Verjährung von 30 Jahren (cc). An-

derwärts aber iſt ausdrücklich anerkannt, daß die res pri-

vata alle Vorrechte des Fiscus genieße (dd). — Höchſtens

kann man zugeben, daß vielleicht dieſe gewöhnlichen Kla-

gen des Fiscus unter diejenigen gehörten, für welche die

dreyßigjährige Verjährung durch willkührliche Auslegungen

außer Anwendung blieb (§ 238). Eine wirkliche Anerken-

nung aber hat dieſe Exemtion in unſren Rechtsquellen nicht

gefunden.

Neuere Schriftſteller verſichern, einer nach dem andern,

daß 40 Jahre nach der Praxis entſchieden ſeyen (ee). Sie

pflegen aber nicht Präjudicien anzugeben, welche Gegen-

ſtand einer genaueren Prüfung ſeyn könnten; auch ſprechen

ſie ſo allgemein, daß man ihre Behauptung ſelbſt auf die

eigenthümlichen Fiscalklagen beziehen möchte, im Wider-

ſpruch mit den klarſten Ausſprüchen des Römiſchen Rechts.

 

(cc) L. 6 C. de fundis rei

priv. (11. 65.).

(dd) L. 6 § 1 de j. fisci

(49. 14.).

(ee) Thibant Verjährung S.

97. 129. Unterholzner I. § 46.

II. § 259. Göſchen I. S. 437.

Bangerow I. S. 173.

|0376 : 362|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Bey dem Ablauf der Zeit ſind noch folgende allgemei-

nere Fragen zu beantworten:

 

Zuerſt die Art der Berechnung. Bey den Verjährun-

gen von Einem Jahr oder weniger gilt utile tempus, bey

längeren continuum. — Bey allen Klagverjährungen wird

die civile Zeitrechnung in der Art angewendet, daß die

Verjährung erſt vollendet iſt mit dem Ablauf des Kalen-

dertages, in deſſen Umfang der natürlich berechnete End-

punkt (das momentum temporis) liegt (ff).

 

Wichtiger iſt die Frage, ob der Ablauf der Zeit nur

unter denſelben Individuen eintreten kann, unter welchen

die Klagverjährung angefangen hat, oder ob in den Lauf

derſelben auch andere Individuen durch accessio temporis

eintreten können. Nach allgemeinen Grundſätzen kann die

Beantwortung dieſer Frage nicht zweifelhaft ſeyn. Die

Rechtsform, unter welcher die Klagverjährung bewirkt

wird, iſt die einer Exception; Exceptionen aber gehen in

der Regel von beiden Seiten auf Erben und Singular-

ſucceſſoren über, mit Ausnahme der ſeltneren Fälle, worin

die Exception auf einem ganz individuellen Verhältniß be-

ruht (§ 227). Daß nun der Fall dieſer Ausnahme bey

der temporalis praescriptio nicht vorhanden iſt, wird Je-

der zugeben. Von dieſem Standpunkt aus müſſen wir

ſagen: der Vortheil der Verjährung gebührt dem urſprüng-

lichen Beklagten, dem Erben deſſelben, dem Käufer, Do-

natar u. ſ. w., aber nicht denjenigen Perſonen, die ohne

 

(ff) Vgl. oben B. 4 § 185. 189. 190.

|0377 : 363|

§. 247. Klagverjährung. Bedingungen. Zeitablauf.

Succeſſion den Beſitz der Sache (bey einer in rem actio)

erlangt haben. Der Nachtheil der Verjährung trifft den

urſprünglichen Kläger, den Erben deſſelben, und eben ſo

den Ceſſionar, bey Klagen ſowohl in rem als in perso-

nam. — Eine Beſtätigung dieſer Annahme liegt auch darin,

daß in den Geſetzen meiſt nur davon die Rede iſt, ob die

Klage zu rechter Zeit angeſtellt worden iſt oder nicht,

wobey die Perſonen in den Hintergrund treten; es kommt

alſo, bey veränderten Perſonen, immer nur darauf an,

ob es dieſelbe Klage iſt, deren Verjährung früher an-

gefangen hatte, und jetzt als vollendet behauptet wird.

Fragen wir nach den Ausſprüchen unſrer Rechtsquel-

len. Die angefangene, unvollendete Uſucapion wurde zu

allen Zeiten fortgeſetzt in der Perſon des Erben, der mit

dem Erblaſſer nach jus civile identiſch iſt (gg); nicht aber

in der Perſon eines Käufers oder Beſchenkten. Der Grund

lag in der ſtreng civilen Natur der Uſucapion; eben da-

her aber wurde von jeher bey der longi temporis prae-

scriptio, die auf freyer aequitas beruhte, die accessio tem-

poris ohne Einſchränkung zugelaſſen (hh). Allmälig wurde

ſie auch in einzelnen Fällen der Uſucapion angewendet, bis

endlich Juſtinian ſie hier ganz allgemein vorſchrieb (ii).

 

(gg) L. 30 pr. ex quib.

caus. (4. 6.).

(hh) L. 14. 15 de div. temp.

praescr. (44. 3), L. 76 § 1 de

contr. emt. (18. 1.), welche Stelle

offenbar nur von der l. t. prae-

scriptio, nicht von der Uſucapion

ſpricht. — Dieſelbe accessio galt

bey dem Interdict utrubi, wo ſie

jedoch nicht eine Klagverjährung

zu vermitteln beſtimmt war. Auf

dieſe Anwendung bezieht ſich L. 13

de adqu. poss. (41. 2.).

(ii) § 12. 13 J. de usuc. (2. 6.),

|0378 : 364|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Als nun die umfaſſende dreyßigjährige Klagverjäh-

rung eingeführt wurde, in einer Zeit worin ohnehin die

Strenge des alten Civilrechts faſt nur noch als hiſtoriſche

Erinnerung übrig war, konnte wohl Niemand daran zwei-

feln, daß hier dieſelbe accessio temporis, wie bey der

longi temporis praescriptio, angewendet werden müſſe;

es konnte hier um ſo weniger zweifelhaft ſeyn, weil nur

ſelten 30 Jahre unter den unveränderten urſprünglichen

Perſonen ablaufen werden. Wahrſcheinlich haben es des-

wegen die Kaiſer nicht einmal der Mühe werth erachtet,

über eine ſo unzweifelhafte Frage eine ausdrückliche Be-

ſtimmung zu geben. Wenn aber auch früher noch irgend

ein Zweifel an der unbeſchränkten Anwendbarkeit der ac-

cessio auf die Klagverjährung möglich geweſen wäre, ſo

hätte dieſer wenigſtens ganz verſchwinden müſſen, ſeitdem

Juſtinian ſie für die weit ſtrengere Uſucapion vorgeſchrie-

ben hatte (Note ii).

 

Blos beyläufig kommen im neueſten Recht folgende

Äußerungen vor, welche ganz misbraucht werden würden,

wenn man aus den nicht völlig beſtimmten Ausdrücken

einiger derſelben, allgemeine Regeln bilden wollte, die mit

den hier aufgeſtellten Grundſätzen im Widerſpruch ſtänden.

 

Eine reine Anwendung dieſer Grundſätze iſt es, wenn

für die vierzigjährige Verjährung der Hypothekarklage der

Schuldner ſelbſt mit ſeinem Erben als identiſch behan-

 

L. un. C. de usuc. transform. (7. 31.).

|0379 : 365|

§. 247. Klagverjährung. Bedingungen. Zeitablauf.

delt wird (kk). — Etwas zweydeutiger aber ſind folgende

Stellen.

Juſtinian ſagt, wenn nach vollendeter Verjährung der

Eigenthumsklage der Beſitz an einen neuen Beſitzer komme,

ſo könne gegen dieſen der Eigenthümer wieder vindiciren;

natürlich wird dabey ſtillſchweigend vorausgeſetzt, daß der

neue Beſitzer den Beſitz durch Gewalt oder Zufall erlangte,

nicht durch Kauf von Demjenigen, der die temporis prae-

scriptio erworben hatte (ll). — Umgekehrt ſagt eine Ver-

ordnung von Anaſtaſius, bey den 40 Jahren für die Vin-

dication der Patrimonialgüter dürfe der gegenwärtige Be-

ſitzer die Zeit ſeines Vorbeſitzers hinzu rechnen (mm); auch

dabey iſt ſtillſchweigend vorausgeſetzt, daß zwiſchen beiden

Beſitzern ein Succeſſionsverhältniß Statt fand, und es

würde hier eben ſo unrichtig ſeyn, wie bey jenem Geſetz

von Juſtinian, aus der Unbeſtimmtheit des Ausdrucks eine,

allen Rechtsgrundſätzen widerſprechende, Folgerung zu

ziehen.

 

(kk) L. 7 § 1 C. de praescr.

XXX. (7. 39.).

(ll) L. 8 § 1 C. de praescr.

XXX. (7. 39.) verb. „Sin vero

nullum jus in eadem re quo-

cunque tempore habuit” etc.

So würde nicht von einem neuen

Beſitzer geſprochen werden, der die

Sache von dem verjährenden Be-

ſitzer gekauft hätte, und eben ſo

wenig würde derſelbe in den fol-

genden Worten ein injustus pos-

sessor genannt werden; für den

Käufer alſo iſt der Anſpruch auf

die temporis praescriptio hier

nicht verneint. Außerdem aber

ſpricht auch die Stelle nicht von

dem, welcher vor vollendeter Ver-

jährung in den Beſitz eintritt; be-

ſonders aber gar nicht von der

Verjährung der perſönlichen Klagen.

(mm) L. 14 C. de fundis

patr. (11. 61.) „.. possessione

scilicet non solum eorum qui

nunc detinent, verum etiam

eorum, qui antea possederant,

computanda.”

|0380 : 366|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Dennoch hat es auch in der neueſten Zeit an Misver-

ſtändniſſen über dieſe ſehr ſicheren Rechtsſätze nicht gefehlt,

und dabey haben die eben angeführten Stellen zur Ver-

anlaſſung gedient (nn).

 

§. 248.

Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Wirkung.

Francke civiliſtiſche Abhandlungen (1826) Num. 2.

v. Löhr, Archiv B. 10 S. 72—84 (1827).

Guyet, Archiv B. 11 Num. 5 (1828).

Heimbach, Linde’s Zeitſchrift B. 1 Num. 22 (1828).

Vermehren, Linde’s Zeitſchrift B. 2 Num. 9 (1829).

Büchel, Erörterungen Heft 1. Marburg 1832.

Die Unterſuchung dieſer Frage, welche in neuerer Zeit

ein ſehr beliebtes Thema geweſen iſt, wurde von Anfang

an erſchwert und verwirrt durch eine falſche Stellung der

zu beantwortenden Frage. Man fragte nämlich ſtets, ob

durch die Verjährung das Recht ſelbſt, oder nur die

Klage verloren werde, und durch dieſen Ausdruck wurde

man in den wichtigſten und ſchwierigſten Fällen unver-

 

(nn) Reinhardt Usucapio

und praescriptio Stuttgart 1832

S. 263, und Kierulff S. 200,

verneinen die accessio bey der

Klagverjährung wegen L. 8 C. de

pr. XXX. (Note ll), und ſie thun

Dieſes in ſo allgemeinen Aus-

drücken, daß man glauben möchte,

ſie wollten ſelbſt den Erben aus-

ſchließen. Der zweyte bezieht die

L. 76 § 1 de contr. emt. (No-

te hh) ganz unrichtig auf die Er-

ſitzung, da die longi temporis

praescriptio, wovon ſie redet,

eben ſo eine Klagverjährung iſt,

wie die dreyßigjährige.

|0381 : 367|

§. 248. Klagverjährung. Wirkung.

merkt von den im Römiſchen Recht herrſchenden Begriffen

entfernt. Vor aller Unterſuchung iſt es einleuchtend, daß

der Gegenſatz jener Ausdrücke dazu dienen ſollte, eine ſtär-

kere und eine ſchwächere Wirkung der Verjährung zu

unterſcheiden; und in der That haben ſich hiernach die

Schriftſteller größtentheils in Zwey Parteyen geſondert,

nur noch mit einigen untergeordneten Modificationen.

Fragen wir zuerſt nach der Wirkung der Klagverjäh-

rung bey den Klagen in rem, als deren Repräſentanten

wir die Eigenthumsklage betrachten wollen. Hier gerade

hat jener Ausdruck der Frage eine ſehr beſtimmte Bedeu-

tung, aber hier kann auch die Antwort gar nicht zweifel-

haft ſeyn für Den, welcher nicht vorgefaßte Meynungen,

von den perſönlichen Klagen her, mit herüber bringt.

 

Zuvörderſt iſt es einleuchtend, daß die Fälle der Er-

ſitzung ganz abgeſondert werden müſſen, da durch dieſe die

Klagverjährung vollkommen und unzweifelhaft abſorbirt

wird. Hat alſo z. B. der Beſitzer durch redlichen dreyßig-

jährigen Beſitz (ohne Titel) Eigenthum erworben (a), ſo

iſt gewiß dem vorigen Eigenthümer das Recht ſelbſt ver-

loren, eben weil es auf einen Anderen übergegangen iſt,

und das Eigenthum derſelben ganzen Sache nicht zugleich

in der Hand von Zwey Perſonen ſeyn kann. Von Klag-

verjährung iſt nicht mehr die Rede, weil das Recht ſelbſt

 

(a) L. 8 § 1 C. de praescr. XXX. (7. 39.). Es iſt die von

neueren Schriftſtellern ſo genannte usucapio extraordinaria.

|0382 : 368|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

abſolut zerſtört iſt (b). Um alſo bey der Vindication die

Klagverjährung in ihrer eigenthümlichen Natur anwenden

zu können, müſſen wir den Fall ſo denken, daß der Beſitzer

das Eigenthum nicht erwirbt, und dieſer Fall tritt in der

That ein, wenn er einen unredlichen Beſitz hatte (c). In

dieſem Fall aber iſt es auch ganz gewiß, daß nicht das

Recht ſelbſt, ſondern nur die Klage, dem urſprünglichen

Eigenthümer verloren geht. Denn es iſt ausdrücklich an-

erkannt, daß wenn nun der Beſitz durch Zufall an einen

Dritten, ganz Unberechtigten, kommt, der vorige Eigen-

thümer gegen Dieſen vindiciren kann (d), welches bey ver-

lornem Recht ganz undenkbar ſeyn würde. Wäre aber

Dieſes auch nicht anerkannt, ſo würde dennoch die An-

nahme, daß der Eigenthümer ſein Recht (das Eigenthum)

verlöre, zu einem ganz abſurden Erfolg führen. Die Sache

wäre nun herrenlos geworden, und da der unredliche Be-

ſitz noch immer fortdauert, ſo würde in demſelben Augen-

blick der Beſitzer durch Occupation das Eigenthum dieſer

herrenloſen Sache erwerben, alſo auf einem anderen Wege

gerade den Vortheil erlangen, den ihm Juſtinian durchaus

verſagt (e). — Nicht glücklich iſt die Wendung, womit

ein Vertheidiger der ſtärkeren Wirkung dieſen Einwürfen

zu entgehen verſucht, indem er ſagt, das Recht ſelbſt

(b) Vgl. oben § 230 S. 197

Num. 1.

(c) L. 8 § 1 C. de praescr.

XXX. (7. 39.).

(d) L. 8 § 1 C. cit., verb.

„tunc licentia sit priori domi-

no … eam vindicare …”

(e) Dieſe gute Bemerkung macht

Guyet S. 89. 90. Ganz unbe-

friedigend iſt die Erwiederung von

Vermehren S. 358.

|0383 : 369|

§. 248. Klagverjährung. Wirkung.

werde vernichtet, aber nur per exceptionem (f). Damit

wird eigentlich der innere Widerſpruch dieſer Meynung

geradezu eingeſtanden, denn per exceptionem aufheben,

heißt gerade: nicht das Recht ſelbſt vernichten, ſondern

nur die Klage entkräften, alſo dem Recht denjenigen Schutz

entziehen, den ihm bis dahin die Klage gewährt hat.

(§ 225. 226). — Weit beſonnener iſt es daher, wenn ein

anderer Vertheidiger der ſtärkeren Wirkung bey den Kla-

gen in rem die Vernichtung des Rechts ganz aufgiebt,

und ſie nur noch für die perſönlichen Klagen behaup-

tet (g). Dadurch werden wir unmittelbar auf das eigent-

liche Gebiet dieſes großen Streites geführt.

Wenden wir uns nun zu den perſönlichen Klagen, ſo

iſt ſogleich einleuchtend, daß durch dieſe nicht der ganze

Umkreis der Obligationen erſchöpft iſt. Denn es giebt

auch naturales obligationes, Obligationen ganz ohne Klage.

Bey dieſen ſind Alle darüber einig, daß für ſie gar keine

Verjährung eintritt. Diejenigen nun, welche die ſchwä-

chere Wirkung behaupten, alſo die Verjährung blos auf

die Klage beziehen, müſſen dieſelbe ohnehin verwerfen bey

ſolchen Rechten, welche gar keine Klage haben. Wer die

Vernichtung des Rechts ſelbſt als Folge der Verjährung

anſieht, könnte dieſe ohne Inconſequenz auf die naturalen

Obligationen anzuwenden verſuchen; wirklich behauptet

hat ſie bey ihnen Niemand (h).

 

(f) v. Löhr S. 81. 82.

(g) Büchel S. 37 fg.

(h) Es ließe ſich denken, daß

man für dieſen Fall auch eine po-

V. 24

|0384 : 370|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Es bleiben demnach nur die civilen Obligationen, das

heißt die perſönlichen Klagen, als Gegenſtand der fer-

neren Unterſuchung übrig, und eben in dieſem wichtigſten

Theil der ganzen Unterſuchung zeigt ſich der oben ange-

gebene Ausdruck der Streitfrage ganz verderblich. Denn

gerade auf dieſem Gebiet finden wir im Römiſchen Recht

ſehr beſtimmte Begriffe, und zu deren Bezeichnung genaue

Kunſtausdrücke; der hierdurch dargebotene Vortheil der

Sicherheit in der Unterſuchung geht aber durch jenen will-

kührlich gewählten Ausdruck großentheils verloren, und

gewiß liegt hierin ein Hauptgrund, warum in dieſer Lehre

bisher durch den Streit ſo wenig Fortſchritt zur Einigung

bewirkt worden iſt.

 

Im Römiſchen Recht kommen bey der Entkräftung

einer früher wirkſamen civilen Obligation folgende ver-

ſchiedene Fälle vor:

 

1) Aufhebung der Obligation ipso jure. Beyſpiele:

Erfüllung, Confuſion, Novation.

2) Aufhebung per exceptionem, ſo daß zugleich auch

die naturalis obligatio zerſtört wird. Beyſpiele: exceptio

pacti, jurisjurandi. — Dieſer Fall nähert ſich in der Wir-

kung dem erſten, bleibt aber doch von demſelben weſentlich

verſchieden (§ 225).

3) Aufhebung per exceptionem, ſo daß die Obligation

ſitive Anſtalt zur Zerſtörung durch

Verſäumniß getroffen hätte, wel-

ches nur nicht Klagverjährung ge-

weſen wäre; daß daran kein Ge-

ſetzgeber gedacht hat, erklärt ſich

aus der Seltenheit und praktiſchen

Unwichtigkeit der bloßen naturales

obligationes.

|0385 : 371|

§. 248. Klagverjährung. Wirkung.

dennoch als naturalis obligatio wirkſam bleibt. Beyſpiel:

exceptio rei judicatae (i).

Bringen wir mit dieſen wirklichen, unzweifelhaften, Ge-

genſätzen des Römiſchen Rechts den oben angegebenen Aus-

druck der Streitfrage in Verbindung, ſo müßte ſich eigent-

lich Folgendes ergeben. Diejenigen, welche die Wirkung

der Verjährung in die Zerſtörung des Rechts ſelbſt

ſetzen, müßten behaupten, die Obligation werde ipso jure

aufgehoben; die, welche die Klage als zerſtört anſehen,

müßten die Aufhebung per exceptionem behaupten, wobey

dann das Schickſal der naturalis obligatio noch unentſchie-

den bliebe. So verſteht aber die Streitfrage Niemand,

wenigſtens in neuerer Zeit, ſeitdem überhaupt ſo viel die

Rede davon iſt; man konnte es auch nicht im Allgemeinen

ſo verſtehen, weil ja im Römiſchen Recht beſtändig von

der temporis praescriptio oder exceptio die Rede iſt.

 

Zwar hat ein älterer Schriftſteller dieſen Weg wirk-

lich betreten, wenn auch nur theilweiſe. Donellus ſtellt

folgende Unterſcheidung auf (k): die Klagen ſind theils

durch das Geſetz ſelbſt, welches ſie einführte, der Verjäh-

rung unterworfen (wie die prätoriſchen Annalklagen), theils

 

(i) Dieſelben Gegenſätze kom-

men auch vor bey dem urſprüng-

lichen Zuſtand einer Obligation.

Auch hier kann ſie ſeyn: 1) Ipso

jure nulla 2) Per exceptionem

ungültig, mit unwirkſamer natura-

lis obligatio 3) Per exc. mit wirk-

ſamer naturalis obligatio. Bey-

ſpiele dieſer drey Fälle: 1) Ver-

ſprechen von Seiten eines Un-

mündigen 2) Exceptio doli oder

metus. 3) Exceptio Sc. Mace-

doniani. — Über das von der

exc. rei judicatae hergenommene

Beyſpiel vgl. unten § 249 c.

(k) Donellus Lib. 16 C. 8 §

21. 22., Lib. 22 C. 2 § 18.

24*

|0386 : 372|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

erſt durch ſpätere Geſetze. Die erſten gehen durch die

Verjährung ipso jure unter, die anderen per exceptionem.

Sein Hauptgrund liegt darin, daß bey jenen Klagen das

Edict zu ſagen pflegt: intra annum actionem dabo, wor-

aus Donellus ſchließt, daß nach Ablauf des Jahres nulla

actio vorhanden, alſo die bis dahin geltende ipso jure

aufgehoben ſey (l). Wie wenig dieſer Ausdruck entſcheidet,

zeigt das Beyſpiel von zwey Senatusconſulten, worin die

Ungültigkeit mit demſelben Ausdruck bezeichnet wird, und

doch Niemand zweifeln kann, daß es eine bloße Ungültig-

keit per exceptionem iſt (m). Die Sache ſelbſt aber wird

völlig widerlegt durch den Umſtand, daß gerade auch bey

den prätoriſchen Annalklagen die Verjährung durch eine

annua exceptio geltend gemacht wird (§ 247. g.). Und geſetzt

(l) Einen anderen Grund ſetzt Do-

nellus in die L. 6 de O. et A. (44. 7.):

„In omnibus temporalibus ac-

tionibus, nisi novissimus totus

dies compleatur, non finit obli-

gationem.” Zuerſt iſt aber auf

den Ausdruck finit obligationem

gar nicht das Gewicht zu legen,

als ob er eine Aufhebung ipso

jure bezeichnete. Zweytens erklärt

Donellus ganz willkührlich tem-

poralis actio für die von ihm

bezeichnete Klaſſe von Klagen, da

doch dieſer Ausdruck vielmehr ur-

ſprünglich eine überhaupt verjähr-

bare Klage bezeichnete, im neue-

ſten Recht auf eine kürzere als

dreyßigjährige zu beziehen iſt (pr.

J. de perpet. 4. 12.). Die rei

vindicatio war lange Zeit ganz

unverjährbar geweſen, und erſt

ſpät wurde dafür die longi tem-

poris praescriptio eingeführt;

ſeitdem iſt ſie gewiß eine tempo-

ralis actio geweſen, obgleich der

von Donellus willkührlich ange-

nommene Sinn dieſes Kunſtaus-

drucks auf ſie nicht paßt. Bey

ihr hätte alſo nach L. 6 de O. et

A. (die Erklärung von Donellus

bey dieſer Stelle vorausgeſetzt) die

Verjährung ipso jure wirken müſ-

ſen, welches doch augenſcheinlich

nicht der Fall iſt.

(m) L. 2 § 1 ad Sc. Vell. (16.

1.) „… ne eo nomine ab his

petitio, neve in eas actio detur

…” Eben ſo heißt es in L. 1

pr. de Sc. Mac. (14. 6.) ne cui

.. actio petitioque daretur.”

|0387 : 373|

§. 248. Klagverjährung. Wirkung.

auch, die Anſicht von Donellus wäre richtig, ſo wäre

damit für den wichtigſten und häufigſten Fall, die dreyßig-

jährige Verjährung, Nichts entſchieden; der Zweifel wäre

nicht gelöſt, ſondern nur auf ein etwas engeres Gebiet

eingeſchränkt.

Die Meynung des Donellus hat keine Anhänger gefun-

den. Die neueren Schriftſteller gehen davon aus, daß die

Klagverjährung nicht ipso jure, ſondern per exceptionem

wirke, und der wahre Sinn ihrer Streitfrage geht dahin,

ob die naturalis obligatio zerſtört werde, oder beſtehen

bleibe. Für dieſe Frage aber iſt der oben erwähnte Aus-

druck des Gegenſatzes (Recht ſelbſt, oder Klage zer-

ſtört) ganz unpaſſend; ich werde denſelben fortan vermei-

den, und die Frage in ihrem nunmehr beſtimmten wahren

Sinn behandeln, dafür aber auch den nun unzweydeutigen

kürzeren Ausdruck gebrauchen,

ob die ſtärkere oder die ſchwächere Wirkung der

Klagverjährung anzunehmen ſey (n)?

 

(n) Die ſtärkere Wirkung be-

haupten, unter den oben ange-

führten Schriftſtellern: v. Löhr

Heimbach, Vermehren, Bü-

chel; außerdem Vangerow I. S.

175. 176. 180. Kierulff S.

210—214. — Die ſchwächere

Wirkung: Francke, Guyet; au-

ßerdem: Weber natürliche Ver-

bindlichkeit § 92, und: Beyträge

S. 54 fg. Glück B. 13 S. 100.

380, B. 15 S. 65, B. 20 S. 162.

Unterholzner Verjährung II.

§ 258, Schuldverhältniſſe B. 1

§ 247. Mühlenbruch II. § 481.

Puchta Lehrbuch § 77. Göſchen

§ 154. Ich erkläre mich für dieſe

zweyte Meynung. — Außer die-

ſen regelmäßigen Parteymeynun-

gen ſtehen iſolirt folgende Schrift-

ſteller: Donellus, welcher zwi-

ſchen kurzen und langen Verjäh-

rungen unterſcheidet (Note k),

Rave, deſſen Meynung mit ſei-

ner beſonderen Lehre von der bona

fides zuſammenhängt (§ 246), und

|0388 : 374|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

§. 249.

Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Wirkung.

(Fortſetzung.)

Die Entſcheidung der aufgeſtellten Streitfrage iſt oft durch

Äußerungen in unſren Rechtsquellen verſucht worden, welche

entweder von einer verlornen actio, oder aber von einer

aufgehobenen obligatio ſprechen. Stellen der erſten Art

wurden für die ſchwächere, Stellen der zweyten für die

ſtärkere Wirkung als Beweiſe angeführt. Dieſes Verfah-

ren iſt nicht etwa deswegen zu tadeln, weil den alten Ju-

riſten, deren Ausſprüche wir in den Digeſten leſen, die

dreyßigjährige Verjährung unbekannt war; denn was

ſie von der Wirkung der damals als Ausnahme geltenden

Klagverjährung, z. B. der prätoriſchen Annalklagen, be-

haupten, können wir ohne Bedenken auch auf die erſt im

neueren Recht eingeführte dreyßigjährige Verjährung an-

wenden. Der Fehler in jenem Verfahren liegt vielmehr

darin, daß jene ſchwankenden, unbeſtimmten Ausdrücke

ohne Grund als Entſcheidungen für die vorliegende Frage

gelten ſollen. Denn mit der Behauptung einer verlornen

actio, wie einer (durch Exeeption) aufgehobenen obligatio,

iſt die Fortdauer oder Zerſtörung der naturalis obligatio

 

Thibaut, der im Lauf der Zeit

drey verſchiedene Meynungen an-

genommen hat: zuerſt die hier ver-

theidigte, zuletzt die der Gegner,

in einer mittleren Zeit den Unter-

gang des Rechts ſelbſt, bey der

dreyßigjährigen, der bloßen Klage

bey den kürzeren. Verjährung

S. 118. Pandekten Ausg. 7 § 1056.

1062. Ausg. 8 § 1019. 1025.

Braun’s Erörterungen zu § 1056.

|0389 : 375|

§. 249. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)

gleich vereinbar, ſo daß über dieſen allein wichtigen Ge-

genſatz durch jene Ausdrücke Nichts entſchieden wird (a).

Wichtiger iſt es, die Regel aufzuſuchen, nach welcher

überhaupt, und auch in anderen Fällen, einer per excep-

tionem aufgehobenen Klage, die Fortdauer oder Aufhebung

der naturalis obligatio ſich richtet. Eine ſolche Regel nun

wird ausdrücklich aufgeſtellt von Pomponius, Marcian und

Ulpian. Die Exceptionen, welche odio creditorum einge-

führt ſind, ſollen die ſchwächere Wirkung hervorbringen,

die zum Vortheil des Schuldners eingeführten die ſtärkere (b).

 

Aber wie ſicher und beſtimmt auch dieſe Regel ausſe-

hen mag, ſo ſind wir doch wenig dadurch gefördert. Zu-

erſt ſchon deswegen, weil die Anwendung derſelben ſo ſehr

ſchwankend und unſicher iſt, wie ſich denn in der That

beide ſtreitende Parteyen darauf berufen. Die Vertheidi-

ger der ſchwächeren Wirkung, indem ſie ſagen, die Ver-

jährung ſey eine Strafe der Nachläſſigkeit; worauf aber

 

(a) Dieſen Punkt hat gründ-

lich, und mit Angabe vieler Bey-

ſpiele, behandelt Heimbach S.

437—440. Nur iſt er ſich nicht

treu geblieben, indem er S. 448

den Ausdruck tempore liberari

als Beweis anſieht, daß durch die

Verjährung „das ganze Recht auf-

gehoben“ werde, da dieſer Aus-

druck „deutlich die Befreyung von

aller Verbindlichkeit anzeigt.“ —

Liberari wird gebraucht für ipso

jure, wie für per exceptionem

(L. 1 § 2 quae in fraud. 42. 8,

L. 3 § 3 de lib. leg. 34. 3); und

in dem letzten Fall auch für die

ſchwächere Wirkung, mit fortdau-

ernder naturalis obligatio. L. 60

de fidej (46. 1.) „Ubicunque

reus ita liberatur a creditore,

ut natura debitum maneat,

teneri fidejussorem respondit:

cum vero genere novationis

transeat obligatio, fidejussorem

aut jure aut exceptione libe-

randum.”

(b) L. 19 pr. de cond. ind.

(12. 6.), L. 40 pr. eod., L. 9 § 4

de Sc. Mac. (14. 6.).

|0390 : 376|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

nicht unrichtig erwiedert wird, daß Dieſes weniger der

Grund des verhängten Nachtheils, als deſſen Entſchuldi-

gung iſt (§ 237). Die Vertheidiger der ſtärkeren Wirkung,

indem ſie den Schutz des Beklagten als Grund der Ver-

jährung angeben; wogegen aber zu bedenken iſt, daß die-

ſelbe mehr im Intereſſe der allgemeinen Ordnung, als

zum Schutz einer beſonderen Menſchenklaſſe (wie das Sc.

Vellejanum) angewendet wird.

Noch weit mißlicher aber ſteht es um die Wahrheit

jener angeblichen Regel, die ſich in mehreren anderen Fäl-

len der Anwendung, und zwar gerade den unzweifelhafte-

ſten, durchaus nicht bewährt. So hat die exceptio rei

judicatae die ſchwächere Wirkung (c), wobey doch gewiß

Niemand ſagen wird, daß ſie odio creditoris gegeben

werde; ganz eben ſo verhält es ſich mit der im älteren

Recht auf Prozeßverjährung gegründeten Einrede (d). Ge-

 

(c) Es gilt bey ihr das solu-

tum non repetere, alſo die Fort-

dauer einer naturalis obligatio.

L. 28 L. 60 pr. de cond. indeb.

(12. 6.). Dieſes beſtätigt ſich auch

durch die gewöhnlich überſehene

Weiſe, wie die verſchiedenen Ex-

ceptionen in dem Inſtitutionentitel

de exceptionibus (4. 12.) ange-

führt werden. § 1—4 ſtehen die

exc. metus, doli, pacti, jurisju-

randi, und bey jeder derſelben

wird ihre Herleitung aus dem jus

gentium (iniquum est condem-

nari) ſorgfältig bemerkt. Dage-

gen ſteht bey der exc. rei judi-

catae im § 5 nicht dieſe Bemer-

kung, ſondern es heißt hier blos:

debes per exc. r. j. adjuvari. —

Übrigens iſt dieſe Frage von alter

Zeit her ſehr controvers, und der

neueſte Schriftſteller erklärt ſich ge-

gen die hier vertheidigte Meynung.

Pfordten im Archiv B. 24 S. 108

fg. (1841).

(d) L. 8 § 1 ratam rem (46.

8.) „quia naturale debitum ma-

net.” In dieſem Fall dauert na-

mentlich auch das Pfandrecht fort.

(§ 250. v.) Vgl. Keller Litisconte-

ſtation S. 158.

|0391 : 377|

§. 249. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)

rade umgekehrt aber iſt es bey keiner Exception ſo gewiß,

daß ſie odio creditoris gegeben wird, als bey der dem

Betrüger oder dem Gewaltthätigen entgegenſtehenden doli

oder metus exceptio; und doch iſt es gerade bey dieſen

eben ſo gewiß, daß keine naturalis obligatio zurückbleibt,

alſo das (aus Irrthum) Gezahlte zurückgefordert werden

kann (e). — Hieraus geht nun klar hervor, wie es ſich

mit der Bildung jener Regel zugetragen hat. Den ange-

führten drey alten Juriſten (unter welchen ſtets Einer dem

Andern hierin gefolgt zu ſeyn ſcheint) ſtanden blos zwey

einzelne Fälle von verſchiedenem praktiſchen Erfolg vor

Augen, die exceptio Sc. Macedoniani und Vellejani. Sie

ſuchten aus dieſen eine allgemeine Regel durch Abſtraction

zu bilden, und hielten ſich dabey an die Eigenſchaften der-

ſelben, welche zunächſt in die Augen fallen, unbekümmert

um die Anwendbarkeit der ſo gefundenen Regel auf an-

dere, ganz ungleichartige Fälle. Und ſo liegt hierin eine

neue Beſtätigung der ſchon öfter vorgetragenen Bemer-

kung, mit wie vielem Mistrauen ſolche abſtract gefaßte

Regeln der alten Juriſten behandelt werden müſſen (f).

Finden wir uns nun genöthigt, die eben erörterte Re-

gel, ungeachtet ihres quellenmäßigen Scheins, ganz aufzu-

geben, ſo läßt ſich anſtatt derſelben eine andere aufſtellen,

 

(e) L. 65 § 1 de cond. ind.

(12. 6.) „.. Sin autem evidens

calumnia detegitur, et transac-

tio imperfecta est, (et) repe-

titio dabitur.” L. 7. L. 8 de

cond. ob turp. (12. 5.)

(f) Vgl. oben B. 1 § 14 S. 47,

§ 41 S. 276. B. 3 Beylage VIII.

Num. VIII. S. 346. 347.

|0392 : 378|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

die ich in der That für richtig halte. Naturalis obligatio

iſt überhaupt diejenige, welche im jus gentium ihre Wur-

zel hat (g). Daher müſſen wir conſequenterweiſe erwarten,

daß diejenigen Exceptionen, welche ſich lediglich auf Rö-

miſches jus civile gründen, für eine fortwirkende naturalis

obligatio Raum laſſen werden, anſtatt daß die ſchon im

jus gentium wurzelnden Exceptionen auch die Zerſtörung

der naturalis obligatio mit ſich führen werden. — Und

dieſe ſo unterſcheidende Regel findet ſich denn in der That,

faſt ohne Ausnahme, durch unzweifelhafte Anwendungen

im Einzelnen beſtätigt.

Folgende Exceptionen gründen ſich lediglich auf das

poſitive Recht, und laſſen in der That Raum für eine na-

turalis obligatio, ſo daß bey ihnen, ſelbſt im Fall der

irrigen Zahlung, die condictio indebiti ausgeſchloſſen iſt

(solutum non repetitur):

 

Sc. Macedoniani (Note b).

Rei judicatae (Note c).

Als Retorſion wegen jus iniquum (h).

Wegen des ſogenannten beneficii competentiae (i).

Wegen Prozeßverjährung (Note d).

Dagegen ſind folgende Exceptionen ſchon auf das jus

gentium gegründet, und bey ihnen iſt es zugleich unzwei-

 

(g) L. 84 § 1 de R. J. (50. 17.)

„Is natura debet, quem jure

gentium dare oportet, cujus

fidem secuti sumus.”

(h) L. 3 § 7 quod quisque ju-

ris (2. 2.) „superesse enim na-

turalem causam quae inhibet

repetitionem.”

(i) L. 8. 9 de cond. indeb.

(12. 6.).

|0393 : 379|

§. 249. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)

felhaft, daß keine fortwirkende naturalis obligatio übrig

bleibt, daß alſo das irrig Gezahlte zurückgefordert wer-

den kann:

Exc. pacti(k),

Doli (Note e),

Jurisjurandi(l).

Es findet ſich eine einzige Ausnahme in der exceptio

Sc. Vellejani, die einen ganz poſitiven Urſprung hat, und

dennoch die naturalis obligatio zerſtört (Note b). Hier

alſo fand man einen durchgreifenderen Schutz der Frauen,

mit Aufopferung der Rechtsanalogie, nöthig, und dieſe be-

ſtimmte Abſicht wird auch in den Worten des Senats-

ſchluſſes angedeutet (m). Dieſe einzelne, mit Bewußtſeyn

vorgeſchriebene, Ausnahme kann alſo die Wahrheit der

aufgeſtellten Regel nicht zweifelhaft machen.

 

Legen wir nun dieſe Regel zum Grund, ſo können

wir über die Behandlung der temporalis exceptio nicht

zweifelhaft ſeyn. Dieſe gehört ganz dem poſitiven Recht,

nicht dem jus gentium, an, und es muß daher neben ihr

eine fortwirkende naturalis obligatio übrig bleiben. Als

unmittelbare Beſtätigung dafür dient noch die ſo nahe lie-

gende Analogie der alten Prozeßverjährung (Note d), in-

dem es in der That ganz willkührlich und unnatürlich

 

(k) L. 34 § 11 de sol. (46. 3.),

L. 32 § 1 L. 40 § 2 de cond. ind.

(12. 6.)

(l) L. 43 de cond. ind. (12. 6.)

(m) L. 2 § 1 ad Sc. Vell. (16.

1.). Nachdem das Verbot der

Klage, gleichlautend mit dem Sc.

Macedonianum, ausgeſprochen

war, (§ 248. m) wird der eigen-

thümliche Zuſatz gemacht: „cum

eas … ejus generis obligatio-

nibus obstringi non sit aequum.”

|0394 : 380|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

wäre, wenn dieſe beide, ſo nahe verwandte, Rechtsinſti-

tute eine völlig verſchiedene praktiſche Behandlung erfah-

ren ſollten (n).

Folgende allgemeine Betrachtungen können noch als

entferntere Beſtätigungen der hier vertheidigten, ſchwäche-

ren Wirkung der Verjährung dienen.

 

Alle ſind darüber einverſtanden, daß für die urſprüng-

liche naturalis obligatio eine Verjährung niemals eintreten

kann (§ 248). Es wäre aber ganz grundlos und unnatür-

lich, denjenigen Glaubiger, welcher durch Verjährung ſeine

Klage verloren hat, in eine nachtheiligere Lage zu ver-

ſetzen als Den, welcher niemals eine Klage hatte. Soll

dieſe Inconſequenz vermieden werden, ſo iſt dazu kein an-

deres Mittel übrig, als die naturalis obligatio noch nach

der vollendeten Verjährung fortdauern zu laſſen (o).

 

Da ferner die Verjährung der Klagen in rem dem

Berechtigten nicht Alles entzieht, was er hatte, ſondern

nur den Schutz durch Klage, wodurch er freylich mit ſei-

nen Hoffnungen auf eine ſehr zufällige, unſichere Zukunft

verwieſen wird, ſo iſt es ganz conſequent, genau denſelben

Erfolg auch bey den verjährten perſönlichen Klagen ein-

treten zu laſſen.

 

Beide Betrachtungen können insbeſondere dazu dienen,

die zu weit getriebene Conſequenz der Gegner in ihrer

 

(n) Francke S. 74 — 78 hat

die Wichtigkeit dieſer Analogie be-

merklich gemacht.

(o) Dieſer Grund wird geltend

gemacht von Göſchen § 154.

|0395 : 381|

§. 249. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)

Unhaltbarkeit darzuſtellen. Allerdings iſt im Allgemeinen

ihre Behauptung zuzugeben, daß die Verjährung den be-

ſtehenden factiſchen Zuſtand durch Ablauf einer gewiſſen

Zeit unanfechtbar machen ſoll. Allein ſie ſoll es doch nur,

indem ſie die gefährlichſte Störung jenes Zuſtandes, das

Klagrecht, hinwegräumt. Da nun bey den urſprünglichen

naturales obligationes, ſo wie bey den Klagen in rem,

ein Keim möglicher künftiger Streitigkeiten, ungeachtet des

Ablaufs ſehr langer Zeit, zurück bleiben darf, ſo kann es

nicht mit der angegebenen Beſtimmung der Verjährung im

Widerſpruch ſtehen, wenn für die civilen Obligationen ge-

nau derſelbe Erfolg gefordert wird.

Die Gegner ſuchen die ſtärkere Wirkung der Verjäh-

rung, auf etwas künſtliche Weiſe, aus einer Stelle des

Ulpian zu erweiſen (p). Bekanntlich wird die actio doli,

weil ſie den Verurtheilten infamirt, nur da zugelaſſen, wo

dem Betrogenen nicht auf eine ſchonendere Weiſe zur Ab-

wendung des Schadens geholfen werden kann. Sie wird

daher ausgeſchloſſen durch jede denſelben Zweck erfüllende

 

(p) L. 1 § 4. 6 de dolo (4. 3.).

Heimbach S. 440—442. — Al-

lerdings werden noch mehrere Stel-

len, bald für die eine, bald für

die andere Meynung geltend ge-

macht, die aber Nichts beweiſen,

worauf auch meiſt weniger Gewicht

gelegt wird, und auf die ich hier

nicht beſonders eingehen will, um

nicht die Aufmerkſamkeit von den

Hauptpunkten abzuziehen. Dahin

gehören folgende: L. 19 pr. de

neg. gestis (3. 5.), L. 24 de m.

c. don. (39. 6.) (geht gewiß nicht

auf Klagverjährung), L. 5. 6 C.

de except. (8. 36.). Von dieſen

letzten, ſo wie von der wichtigen

L. 5 § 6 de doli exc. (44. 4.),

welche Guyet S. 78 fg. mit Un-

recht als entſcheidend für die ſchwä-

chere Wirkung anſieht, wird unten

bey der Verjährung der Exceptio-

nen die Rede ſeyn (§ 255).

|0396 : 382|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

andere Klage oder Exception. Wenn alſo durch Betrug

eine Stipulation bewirkt worden iſt, ſo hat der Betrogene

deswegen nicht die doli actio, weil er durch die doli ex-

ceptio vollkommenen Schutz gegen die Stipulationsklage des

Betrügers, die ihm allein ſchaden könnte, erhält (q). So-

gar wenn er zu ſeinem Schutz eine andere Klage hatte,

dieſe aber durch Verjährung untergehen ließ, wird ihm

die doli actio verſagt, weil es nun ſeine eigene Schuld

iſt, wenn er ohne Schutz bleibt (r). Nur in dem Fall

erhält er dennoch die doli actio, wenn er durch des Geg-

ners Betrug verleitet wird, die Verjährungsfriſt ablaufen

zu laſſen (§ 245. i), weil nun die Urſache des Verluſts

nicht in der Nachläſſigkeit, ſondern eben in dem Betrug

liegt (s). Nun argumentiren die Gegner alſo: Wäre bey

dieſer verjährten Klage eine naturalis obligatio übrig ge-

blieben, welche immer eine Exception zur Folge hat (t),

(q) L. 1 § 4 de dolo (4. 3.)

„.. si interdictum sit, quo quis

experiri, vel exceptio, qua se

tueri possit, cessare hoc edi-

ctum.” Allerdings iſt hier ganz

beſonders auch die doli exceptio

gemeynt, nur nicht dieſe allein, da

viele andere Exceptionen denſelben

Dienſt leiſten können, und ſogar

noch viel bequemer, weil bey ihnen

der ſchwierige Beweis des Be-

trugs vermieden wird. Wird z. B.

eine Frau durch Betrug zu einer

Bürgſchaft verleitet, ſo braucht ſie

weder die actio noch die exceptio

doli, weil ſie ohne alle Beweis-

führung durch die exc. Sc. Vel-

lejani geſchützt iſt. Eben ſo kann

es ſich verhalten mit der exc. Sc.

Macedoniani, L. Cinciae, L.

Plaetoriae, rei judicatae u. ſ. w.

(r) L. 1 § 6 de dolo (4. 3.)

„… et si alia actio tempore

finita sit, hanc competere non

debere: sibi imputaturo eo, qui

agere supersedit.”

(s) L. 1 § 6 de dolo (4. 3.)

unmittelbar hinter den in der Note r

abgedruckten Worten: „nisi in hoc

quoque dolus malus admissus

sit, ut tempus exiret.”

(t) Dieſes iſt inſofern wahr,

als einige der poſitiven Folgen

der naturalis obligatio allerdings

|0397 : 383|

§. 249. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)

ſo würde der Betrogene durch dieſe Exception gegen Nach-

theil geſchützt ſeyn, alſo die doli actio nicht haben; da

er ſie in der That haben ſoll, ſo folgt daraus, daß eine

Exception, alſo auch eine naturalis obligatio, nicht vor-

handen ſeyn kann. — Bey dieſer Beweisführung liegt aber

folgende Verwechslung zum Grunde. Wenn der Prätor

die doli actio wegen einer concurrirenden Exception ver-

ſagt, ſo meynt er damit eine Exception die wirklich ſchützt,

„qua se tueri possit,” und von dieſer Art ſind auch wirk-

lich die oben (Note q) angegebenen Fälle; dagegen haben

dieſe Natur durchaus nicht die Exceptionen, welche höchſt

zufälligerweiſe in Folge einer naturalis obligatio vielleicht

einmal künftig gebraucht werden können. Geſetzt alſo, der

Glaubiger, welcher durch des Gegners Betrug verleitet

worden war, eine Verjährung ablaufen zu laſſen, hatte

wirklich noch (ſo wie wir es behaupten) eine naturalis ob-

ligatio übrig, ſo konnte ihm doch unmöglich der Prätor

die doli actio verſagen, indem er ihn darauf vertröſtete,

der Zufall werde vielleicht einmal eine Compenſation her-

beyführen, oder der Schuldner werde vielleicht aus Irr-

thum Zahlung leiſten, in welchem Fall ihm dann auch

durch Exceptionen geltend gemacht

werden, namentlich die Compenſa-

tion. Ausdrücklich geſagt wird es

für die naturalis obligatio im

Allgemeinen nicht, ſondern nur für

die nuda pactio, und hier hat

der Satz eine beſtimmte praktiſche

Bedeutung dadurch, daß unter

pactio oder pactum vorzugs-

weiſe ein Erlaßvertrag verſtan-

den wird, deſſen unvollſtändige

Wirkung eben in einer Exception

gegen die Stipulationsklage des

Glaubigers beſtand. L. 7 § 4 de

pactis (2. 14.) „Igitur nuda pa-

ctio obligationem non parit,

sed parit exceptionem.”

|0398 : 384|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

gewiß die condictio indebiti abgeſchlagen werden ſolle.

Vielmehr mußte in einem ſolchen Fall der Prätor die doli

actio wirklich zulaſſen, obgleich eine naturalis obligatio

noch nach dem Ablauf der Verjährung übrig geblieben war.

§ 250.

Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Wirkung.

(Fortſetzung.)

Bisher iſt die Frage nach der Fortdauer der naturalis

obligatio blos von dem Standpunkt allgemeiner Gründe

aus erörtert worden. Ich wende mich jetzt zu der Unter-

ſuchung der einzelnen Wirkungen, und dieſe enthalten nicht

nur das praktiſch wichtigſte Moment der Frage, ſondern

es iſt auch in ihnen vorzugsweiſe die letzte Entſcheidung

des Streites zu ſuchen.

 

Es kommen überhaupt folgende poſitive Wirkungen der

naturalis obligatio vor (a):

 

Solutum non repetere, d. h. die Ausſchließung der

condictio indebiti im Fall einer irrig geleiſteten

Zahlung.

Compenſation.

Novation.

(a) Nämlich der unterſcheidende

Character derſelben, in Verglei-

chung mit der civilis obligatio,

iſt blos negativ, die Abweſenheit

der Klage; davon kann hier nicht

die Rede ſeyn. — Ich werde die

hier aufgezählten poſitiven Wir-

kungen in anderer Ordnung vor-

tragen, indem ich diejenigen Fälle

voran ſtelle, die theils für das

wirkliche Leben wichtiger, theils

durch reichhaltige Ausſprüche der

Rechtsquellen fruchtbarer für unſre

Einſicht ſind.

|0399 : 385|

§. 250. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)

Fidejuſſion.

Conſtitutum.

Pfandrecht.

Die vier letzten Wirkungen laſſen ſich auf den gemein-

ſamen Begriff von Acceſſionen der Obligation zurück führen.

 

Voraus iſt noch zu bemerken, daß die Auslegung meh-

rerer hierher gehörenden Stellen dadurch unſicher wird,

daß in denſelben der Ausdruck tempore liberari vorkommt.

Dieſer iſt ſchon an ſich ſelbſt vieldeutig, indem er außer

der Klagverjährung auch die Prozeßverjährung, oder auch

den durch eine L. Furia verordneten Untergang mancher

Bürgſchaften durch zweyjährige Dauer (b) bezeichnen kann.

Er wird aber für unſre Einſicht in den wahren Sinn je-

ner Stellen dadurch doppelt hinderlich, daß die zwey letz-

ten unter den erwähnten Rechtsinſtituten im Juſtinianiſchen

Recht nicht mehr gelten, weshalb die von ihnen urſprüng-

lich redenden Stellen der alten Juriſten manche für uns

unbeſtimmbare Interpolationen erhalten haben mögen.

 

Die Vertheidiger der ſtärkeren Wirkung müſſen conſe-

quenterweiſe die Möglichkeit aller jener Rechtsverhältniſſe

nach abgelaufener Verjährung verneinen; die Anderen müſ-

ſen dieſe Möglichkeit behaupten (c).

 

(b) Gajus III. § 121. Dieſer,

durch einen Volksſchluß bewirkte

Untergang der Obligationen des

Sponsor und des fidepromissor

trat ohne Zweifel ipso jure ein

(da eine Exception dabey nicht

erwähnt wird), zerſtörte alſo die

Subſtanz des Rechts ſelbſt, nicht

die bloße Klage, und war daher

in der Art der Einwirkung von

der Verjährung ganz verſchieden.

(c) Dieſes geſchieht nun im

Ganzen wirklich, ſo daß die bei-

den oben bezeichneten Parteyen

V. 25

|0400 : 386|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

I. Pfandrecht.

Dieſe Wirkung der bloßen naturalis obligatio iſt unter

allen die wichtigſte, ſchon deshalb, weil in den meiſten

Fällen ihr Einfluß unbedingt eintritt, nicht erſt von zufäl-

ligen Umſtänden abhängig iſt.

 

Es hat aber die Möglichkeit dieſes Rechts (wenn ſie

vorhanden iſt) eine zwiefache Anwendung. Erſtlich, in-

dem für eine bereits verjährte Schuldklage ein Pfand neu

errichtet werden kann; zweytens, indem das vorher errich-

tete Pfand fortdauert und wirkſam bleibt, auch nachdem

die perſönliche Schuldklage verjährt iſt. Die erſte An-

wendung iſt weder häufig noch wichtig, und wird daher

auch in unſren Rechtsquellen nicht erwähnt; deſto häufiger

und wichtiger iſt die zweyte Anwendung, ja man kann

ſagen, daß in ihr eigentlich das Intereſſe, ſo wie die Ent-

ſcheidung, der ganzen Streitfrage liegt.

 

Nach allgemeinen Grundſätzen kann ein Pfandrecht nur

anfangen, wenn eine wahre, gültige Obligation vorhan-

den iſt, es mag jedoch dieſelbe civilis oder naturalis ſeyn,

worauf es nicht ankommt (d). Eben ſo kann es nur fort-

dauern ſolange als eine Obligation fortdauert; aber die

Fortdauer auch blos des naturalen Beſtandtheils der Ob-

ligation iſt für die Erhaltung des Pfandrechts völlig hin-

 

(§ 248. n) auch in dieſen Anwen-

dungen einander gegenüber ſtehen.

Kleine Inconſequenzen, welche hier

und da mit unterlaufen, werden

im Einzelnen bemerkt werden.

(d) L. 5 de pign. (20. 1.)

„Res hypothecae dari posse

sciendum est pro quacunque

obligatione … et vel pro ci-

vili obligatione, vel honoraria,

vel tantum naturali …”

|0401 : 387|

§. 250. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)

reichend (e). Hieraus folgen dieſe zwey Regeln: Wenn

nach verjährter Schuldklage eine naturalis obligatio fort-

dauert, ſo wird auch das Pfandrecht fortdauern müſſen;

und wenn umgekehrt ſich beweiſen läßt, daß nach ver-

jährter Schuldklage ein Pfandrecht fortdauert, ſo wird

daraus rückwärts auf die Fortdauer einer naturalis obli-

gatio geſchloſſen werden dürfen, da es ohne dieſe gar nicht

fortdauern könnte. — Ehe ich den Beweis unternehme,

daß wirklich ein Pfandrecht nach verjährter Schuldklage

fortdauert, will ich verwandte Rechtsinſtitute mit in die

Betrachtung ziehen, wodurch die eben aufgeſtellten Regeln

theils Beſtätigung, theils größere Anſchaulichkeit finden

werden.

Wenn eine Obligation zwar nur per exceptionem

aufgehoben wird, aber ſo daß zugleich die naturalis obli-

gatio untergeht, hört ſtets auch das Pfandrecht gänzlich

auf; ſo geſchieht es bey der exc. pacti und jurisjurandi (f).

Wenn dagegen bey der Aufhebung per exceptionem eine

naturalis obligatio fortdauert, ſo bleibt auch das Pfand-

recht gültig; ſo findet es ſich bey der exc. rei judicatae,

nach einem ungerecht freyſprechenden Urtheil (§ 249. c).

Dieſer wichtige Satz findet Anerkennung in folgender Ent-

ſcheidung eines Rechtsfalls. Ein Schuldner, der ſeinen

Sklaven verpfändet hatte, tödtet oder verſtümmelt denſel-

 

(e) L. 14 § 1 de pign. (20. 1.)

„Ex quibus casibus naturalis

obligatio consistit, pignus per-

severare constitit.”

(f) L. 11 § 2 de pign. act.

(13. 7.), L. 13 quib. modis pign.

(20. 6.), L. 40 de jurej. (12. 2.).

Vgl. oben § 249 k. l.

25*

|0402 : 388|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

ben, und vernichtet alſo oder vermindert den dem Pfand-

glaubiger haftenden Kaufwerth; hier ſoll gegen den

Schuldner die actio L. Aquiliae gelten. Zwar in den mei-

ſten Fällen wird kein Intereſſe vorhanden ſeyn, da der

Glaubiger dieſelbe Summe, die er mit dieſer Delictsklage

einfordern könnte, auch ſchon durch die Schuldklage er-

halten kann, in welchem Fall er durch die Tödtung des

Sklaven gar keinen Nachtheil erleidet. Die Entſcheidung

wird alſo nur in ſolchen Fällen von praktiſchem Werth

ſeyn, wenn die Schuldklage nicht mehr wirken kann, weil

ſie durch ungerechtes Urtheil oder einen Prozeßfehler ver-

loren worden iſt (g). Damit iſt alſo anerkannt, daß, durch

(g) L. 27 de pign. (20. 1.)

„.. Fingamus nullam crediti

nomine actionem esse, quia forte

causa ceciderat.” Causa cadere

kann auf jeden zufälligen Pro-

zeßverluſt (bey hier vorausgeſetz-

tem wirklichen Recht) gehen; alſo

auf ungerechte Freyſprechung ſo-

wohl, als auf Verluſt wegen plus

petere, welcher Verluſt auch nur

durch Freyſprechung eintritt. — Die

entgegengeſetzte Meynung, nämlich

die Befreyung des Pfandes durch

Abweiſung der Schuldklage, ſoll

nach den Meiſten aus folgender

Stelle hervorgehen. L. 13 quib.

modis pign. (20. 6.) „… si a

judice, quamvis per injuriam,

absolutus sit debitor, tamen

pignus liberatur.” Allein libe-

rare bezeichnet nicht nur das ipso

jure, ſondern auch das per ex-

ceptionem (§ 249. a). Durch die

Freyſprechung von der Schuldklage

erwirbt der Schuldner unſtreitig

auch gegen die Hypothekarklage

die exc. rei judicatae, da zur

Begründung dieſer Klage unter

andern auch das Daſeyn der Schuld

behauptet und bewieſen werden

muß. (L. 10 C. de pign. act.

4. 24. L. 1 C. si pign. conv.

8. 33.). Allein wenn nun die ver-

pfändete Sache an einen dritten

Beſitzer kommt, der nicht von dem

Schuldner geerbt oder gekauft hat,

ſo hat dieſer keinen Anſpruch auf

die exc. rei judicatae, und nun

wirkt das Pfandrecht unbeſchränkt

fort; Das iſt durch den Ausdruck

der zuletzt angeführten Stelle auf

keine Weiſe ausgeſchloſſen. Die

in dieſer letzten Stelle angeſtellte

Vergleichung mit dem Eid darf

alſo nur nicht zu unbedingt durch-

geführt werden, ſie iſt nur wahr

|0403 : 389|

§. 250. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)

die Freyſprechung von der Schuldklage, die fortdauernde

Wirkſamkeit des Pfandrechts nicht gehindert wird.

Ich gehe nach dieſer Vorbereitung auf die Hauptfrage

ſelbſt ein: Wirkt das Pfandrecht fort, nachdem die Schuld-

klage verjährt iſt? Allerdings, und zwar nach dem Zeug-

niß mehrerer einzelnen Stellen, noch weit entſchiedener

aber nach den ganz unbeſtrittenen Regeln über die eigen-

thümliche Verjährung der Hypothekarklage. Nachdem näm-

lich die dreyßigjährige Verjährung aller Schuldklagen ein-

geführt war, blieb dennoch die Hypothekarklage gegen den

Schuldner und deſſen Erben lange Zeit ganz unverjähr-

bar; dann wurde ſie zwar der Verjährung unterworfen,

aber doch nur einer vierzigjährigen (§ 238). So giebt

es alſo noch im heutigen Recht Zehen volle Jahre nach

verjährter Schuldklage, in welchen das Pfandrecht nicht

nur überhaupt fortdauert, ſondern ſelbſt auf die aller-

ſtärkſte Weiſe, durch Klage gegen den beſitzenden Schuld-

ner, geltend gemacht werden kann. Denn das Recht, die

verpfändete Sache zu verkaufen, und ſich mit dem Kauf-

geld bezahlt zu machen, knüpft ſich von ſelbſt als noth-

wendige Folge an jene Klage.

 

Dieſes Argument iſt nicht nur der entſcheidendſte Be-

weis in dem ganzen Gebiet der vorliegenden Streitfrage,

ſondern es enthält auch an ſich ſelbſt ſchon das wichtigſte

praktiſche Moment in dieſem Streit. Sehen wir zu, wie

die Gegner demſelben zu begegnen ſuchen.

 

für das Verhältniß zwiſchen Glaubiger und Schuldner.

|0404 : 390|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Man ſagt, jene vierzigjährige Verjährung gehe nur

auf Pfänder für Schulden, die urſprünglich bloße natura-

les obligationes waren, alſo ſelbſt keiner Verjährung un-

terlagen (h). Ich will dieſem Einwurf nicht mit der Be-

hauptung Derjenigen begegnen, welche meynen, ein ſolches

Pfand gebe überhaupt keine Klage, ſondern eine bloße

Retention, wenn der Glaubiger zufällig beſitze (i); denn

dieſe Behauptung ſelbſt halte ich für ganz verwerflich.

Aber der erwähnte Einwurf iſt deswegen unhaltbar, weil

die urſprünglichen naturales obligationes in ſo ſeltnen,

für den Zuſammenhang des ganzen Verkehrs ganz unbe-

deutenden Verhältniſſen beſtehen, daß für ſie eine ſo aus-

führliche, ſehr in’s Einzelne gehende Geſetzgebung, wie die

über die Verjährung der Hypothekarklage, gewiß nicht

nöthig gefunden worden wäre. Und hätte auch ein Kaiſer

an der mühſamen Behandlung einer ſo unpraktiſchen Spitz-

findigkeit Vergnügen gefunden, ſo würde er doch die Eigen-

thümlichkeit dieſes aus Liebhaberey gewählten Objects be-

ſtimmt ausgedrückt haben, wovon aber in jenen Verjäh-

rungsgeſetzen keine Spur zu finden iſt. Bey ſo unbeſtimmt

allgemeinen Ausdrücken mußte jeder Richter dieſe Ver-

jährungsgeſetze ganz allgemein anwenden, alſo auch auf

die Pfänder für Civilobligationen, ganz gegen die in jener

Meynung vorausgeſetzte Abſicht der Geſetzgeber.

 

Ein zweyter Verſuch, jenes Hauptargument zu ent-

 

(h) Heimbach S. 457—460.

(i) Weber natürliche Verbind-

lichkeit § 107. Glück B. 14 S. 43

B. 18 § 1076. Vgl. dagegen

Francke S. 66 S. 80—85.

|0405 : 391|

§. 250. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)

kräften, beſteht darin. Es ſoll in jenen Verjährungsge-

ſetzen vorausgeſetzt ſeyn eine Schuldklage, deren Verjäh-

rung verhindert worden iſt, entweder durch Ausſtellung

eines neuen Schuldſcheins, oder durch Anſtellung der

Schuldklage (k). Beides aber iſt ganz verwerflich; denn

der neue Schuldſchein unterbricht die Verjährung nicht

nur der perſönlichen, ſondern auch der Hypothekarklage (l);

und eben ſo verhält es ſich auch mit der Anſtellung der

Schuldklage, wodurch gleichfalls die Verjährung beider

Klagen zugleich unterbrochen wird (m).

Etwas ſcheinbarer iſt ein neuer Verſuch, wodurch die

Fortdauer des Pfandrechts nach verjährter Schuldklage

(alſo das wichtigſte praktiſche Moment) zugegeben wird,

und nur der Rückſchluß auf die fortdauernde naturalis

obligatio bekämpft werden ſoll (n). Hier geht man davon

aus, daß auch in mehreren anderen Fällen eine Fort-

dauer des Pfandrechts, abweichend von allgemeinen Grund-

ſätzen, angenommen werde, blos mit Berufung auf den

Buchſtaben des Servianiſchen Edicts: nisi solutum vel

 

(k) Donellus Lib. 16 C. 26

§ 8—10, und Comm. in Codi-

cem in L. 2 C. de luit. p. 372.

(l) L. 7 § 5 C. de praescr.

XXX. (7. 39.). Kierulff S. 214

ſucht dieſer Erklärung einen neuen

Halt zu geben durch die Voraus-

ſetzung, in dem neuen Schuldſchein

könne dem Pfandrecht ausdrücklich

widerſprochen worden ſeyn. Daß

die ganze wichtige Geſetzgebung

über Verjährung der Hypothekar-

klage blos mit Rückſicht auf einen

ſo verwickelten, vielleicht noch nie

vorgekommenen, Fall erlaſſen wor-

den ſey, iſt durchaus undenkbar;

es gilt in dieſer Hinſicht Alles,

und in noch höherem Grade, was

oben gegen Heimbach (Note h)

bemerkt worden iſt.

(m) L. 3 C. de ann. except.

(7. 40.).

(n) Büchel S. 40—61.

|0406 : 392|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

satisfactum sit; die Hypothekarklage ſollte nach dieſen Wor-

ten ſolange fortdauern, bis der Glaubiger entweder Zah-

lung empfangen, oder in die Aufhebung eingewilligt hätte.

Da nun nach eingetretener Klagverjährung keine dieſer

beiden Thatſachen behauptet werden könne, ſo werde, mit

Hülfe des bloßen Buchſtabens jenes Edicts, die Hypothe-

karklage aufrecht erhalten, obgleich gar keine Schuld,

nicht einmal eine naturalis obligatio, mehr vorhanden ſey.

— Hierauf iſt Folgendes zu antworten. Es kommen

allerdings einige Fälle vor, worin jenes etwas ſubtile Ver-

fahren angewendet wird. Dieſe Fälle aber ſind insgeſammt

ſo beſchaffen, daß darin, dem ſubtilſten Buchſtaben des

Civilrechts gegenüber, eine ganz einleuchtende aequitas ge-

ſchützt werden ſoll. Ein ſolcher Schutz würde im Nothfall

durch außerordentliche Rechtsmittel, z. B. durch Reſtitu-

tion, gewährt werden, und nur um dieſe entbehrlich zu

machen, wenden die alten Juriſten jene ſubtile Behand-

lung des Edicts an. Dieſe Art von Nothwehr wird ge-

braucht gegen die Confuſion (o); ferner bey dem Sc. Vel-

(o) L. 30 § 1 de exc. rei jud. (44.

2) „… In proposita autem quaes-

tione magis me illud movet,

numquid pignoris jus extinctum

sit dominio adquisito: neque

enim potest pignus perseverare

domino constituto creditore.

Actio tamen pigneraticia com-

petit: verum est enim, et pi-

gnori datum, et satisfactum

non esse …”. Der Grund der

aequitas liegt hier darin, daß es

ganz unnatürlich ſeyn würde, wenn

der Pfandglaubiger, durch Erwerb

eines neuen Rechts (des Eigen-

thums), den nachſtehenden Pfand-

glaubigern gegenüber, deterioris

conditionis werden ſollte, indem

er die bisherigen Vortheile ſeiner

Priorität verlöre.

|0407 : 393|

§. 250. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)

lejanum (p); endlich auch wenn ein Pfandglaubiger von

ſeinem Schuldner zum Erben eingeſetzt wird, aber die

ganze Erbſchaft als Fideicommiß reſtituirt. Eigentlich iſt

hier ſowohl die Schuld, als das Pfand, durch Confuſion

erloſchen, aber offenbar gegen die aequitas, weil nach der

Abſicht der Fideicommißgeſetze in einem ſolchen Fall alle

Folgen des Erbſchaftserwerbs für den Erben vertilgt wer-

den ſollten; daher wird unter andern die Hypothekarklage,

mit Hülfe des Buchſtabens jenes Edicts, aufrecht erhal-

ten, aber auch ausdrücklich bemerkt, daß hieraus die Fort-

dauer einer naturalis obligatio zu erkennen ſey, indem ja

ohne Obligation kein Pfand beſtehen kann (q). Vergleichen

(p) L. 13 § 1 ad Sc. Vell.

(16. 1.) „De pignoribus prioris

creditoris non est creditori

nova actione opus: cum quasi

Serviana, quae et hypothecaria

vocatur, in his utilis sit, quia

verum est, convenisse de pigno-

ribus, nec solutam esse pecu-

niam.” Wenn eine Frau expro-

mittirt, ſo iſt ſie ſelbſt durch die

exc. Sc. Vellejani geſchützt, da-

gegen bekommt der Glaubiger ge-

gen den alten Schuldner eine actio

restitutoria (L. 1 § 2 L. 8 § 11.

12. 13 eod.). Dieſe künſtliche Her-

ſtellung, ſagt die abgedruckte Stelle,

ſoll für die Hypothekarklage nicht

nöthig ſeyn, weil hier ſchon die

buchſtäbliche Anwendung des Edicts

aushelfe; außerdem würde auch

hier die Reſtitution nicht verſagt

worden ſeyn.

(q) L. 59 pr. ad Sc. Treb.

(36. 1.) „.. et hic Serviana

actio tenebit: verum est enim,

non esse solutam pecuniam …

Igitur non tantum retentio, sed

etiam petitio pignoris nomine

competit, et solutum non re-

petetur. Remanet ergo pro-

pter pignus naturalis obliga-

tio.” Das: propter pignus darf

nicht ſo verſtanden werden, als ob

bey einer Schuld ohne Pfand keine

naturalis obligatio übrig bleiben

würde, und als ob dieſe Obliga-

tion in dem vorliegenden Fall keine

andere Wirkung, als die Erhal-

tung des Pfandes hätte. Der Un-

tergang der Obligation durch Con-

fuſion gründet ſich blos auf das

ſubtile Civilrecht, und bleibt daher

ohne Einfluß auf den naturalen

Beſtandtheil der Obligation. —

Dieſe Stelle beſonders hat Büchel

(Note n) für ſeine Anſicht zu be-

|0408 : 394|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

wir damit den Fall der eingetretenen Klagverjährung, ſo

hat dieſer eine ganz verſchiedene, ja entgegengeſetzte Na-

tur. Unſere Gegner behaupten ja gerade, daß durch die

Verjährung auch die naturalis obligatio aufgehoben werde,

welches nichts Anderes ſagen will, als daß die Aufhe-

bung nicht nur zum allgemeinen Beſten, ſondern ſelbſt im

Einverſtändniß mit dem jus gentium, der aequitas, ge-

ſchehe. Wenn aber Dieſes, ſo iſt gar kein Grund vor-

handen, den Buchſtaben des Edicts gegen die vollſtändige

Ausführung dieſer aequitas in’s Feld zu führen, ein Ver-

fahren, welches ohnehin höchſtens als Abwehr des ſub-

tilſten Civilrechts erträglich gefunden werden kann. Hier

wäre es vielmehr natürlich geweſen, der aequitas ihren

freyen Lauf zu laſſen, und die gänzliche Aufhebung der

Schuld und des Pfandrechts auf keine Weiſe zu ſtören. —

Muß nun auch dieſer Verſuch für mislungen erkannt wer-

den, ſo bleibt es bey unſrer urſprünglichen Behauptung,

daß die Fortdauer der Hypothekarklage nach verjährter

Schuldklage ein unwiderleglicher Beweis für die fort-

dauernde naturalis obligatio iſt.

Ich füge nun noch die einzelnen, hier in Betracht kom-

 

nutzen geſucht. Befriedigend han-

delt von derſelben, den richtigen

Standpunkt feſthaltend, Francke

S. 86 — 107. Er macht unter an-

dern S. 103 die gute Bemerkung,

daß jene Worte des Edicts (nisi

solutum) ohne Zweifel in die

Faſſung der Intentio bey der Hy-

pothekarklage aufgenommen zu wer-

den pflegten. Dadurch bekommt

dieſe buchſtäbliche Anwendung eine

recht praktiſche Beziehung auf das

Verfahren des Arbiter, welcher nach

dem Inhalt dieſer Intentio zu ur-

theilen angewieſen war.

|0409 : 395|

§. 250. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)

menden, Stellen hinzu, von welchen ich voraus bemerke,

daß keine derſelben eine ſo überzeugende und entſcheidende

Kraft hat, wie das eben durchgeführte allgemeinere Ver-

hältniß.

Ein Reſcript des K. Gordian lautet alſo (r):

Intelligere debes, vincula pignoris durare personali

actione submota.

 

Ich zweifle nicht, daß hier beſonders an den Fall der

Klagverjährung gedacht iſt (s), aber ſie kann doch eben

ſo gut auch auf die Prozeßverjährung oder die Klagecon-

ſumtion bezogen werden, und iſt ſchon deshalb kein ſicherer

Beweis für unſre Behauptung. Dazu kommt aber der wich-

tigere Grund, daß der Satz nicht in buchſtäblicher Allge-

meinheit wahr iſt. Actio submota heißt Wegräumung

des bloßen Klagrechts, Aufhebung durch Exception. Wird

nun etwa eine Stipulation durch bloßes Pactum aufge-

hoben, ſo iſt auch actio submota, aber: vincula pignoris

non durant (Note f). Alſo will das Reſcript, nach einer

oft vorkommenden Ausdrucksweiſe, nur ſagen: es kann

zuweilen das Pfandrecht fortdauern ungeachtet der actio

submota (t), oder actio submota iſt nicht allgemein und

nothwendig Grund der Zerſtörung eines Pfandrechts (u).

 

(r) L. 2 C. de luitione (8. 31.).

(s) In der That wird dafür

submovere actionem gebraucht.

L. 21 C. de evict. (8. 45.). Vgl.

Averanius II. 12 § 20.

(t) So daß alſo durare ſteht

für; durare posse.

(u) Ich glaube daher, daß auf

dieſe Stelle von beiden Parteyen

mehr Gewicht gelegt wird, als ihr

zukommt. Donellus (Note k)

glaubt, die von ihm vertheidigte

Meynung gegen dieſe Stelle nicht

anders retten zu können, als in-

|0410 : 396|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Paulus ſagt, wenn ein verpfändeter Sklave von einem

Dritten getödtet werde, ſo könne außer dem Eigenthümer

auch der Pfandglaubiger die Aquiliſche Klage anſtellen,

inſofern er ein Intereſſe bey dem Tod des Sklaven habe;

dieſes Intereſſe aber könne er haben, erſtlich wenn der

Schuldner inſolvent ſey, zweytens „quod litem tempore

amisit” (v). Hier iſt nun unzweifelhaft anerkannt, daß

der Verluſt der Schuldklage durch Zeitablauf das Pfand-

recht nicht zerſtört, die Stelle iſt aber deswegen nicht ganz

entſcheidend, weil es ungewiß bleibt, ob Paulus dabey an

die Klagverjährung oder an die alte Prozeßverjährung ge-

dacht hat; ich glaube jedoch, daß ſeine Entſcheidung für

beide Fälle gleich richtig und anwendbar iſt (§ 249. d).

 

Pomponius erzählt folgenden Fall. Zehen Tage vor

Ablauf der Verjährung einer Schuldklage expromittirt ein

Minderjähriger, und wird nachher gegen dieſe Handlung

reſtituirt. Hier ſoll auch der Glaubiger ganz in ſeine frü-

here Lage zurück verſetzt werden. Daraus folgt erſtlich,

daß ihm die noch übrigen Zehen Tage zur Anſtellung der

Klage verſtattet werden; zweytens, daß das vom erſten

Schuldner beſtellte Pfand wiederum gültig wird und nun

für immer gültig bleibt (x).

 

dem er höchſt gewaltſam, anſtatt

durare, ließt: non durare. Un-

richtig iſt es, die Stelle durch Ver-

bindung mit L. 1 eod. erklären zu

wollen. Vgl. Cujacius observ.

V. 32, und über die Stelle im

Allgemeinen, Franke S. 78—80.

(v) L. 30 § 1 ad L. Aquil.

(9. 2.).

(x) L. 50 de minor. (4. 4.)

„.. ideoque et pignus, quod

dederat prior debitor, manet

obligatum.” Eigentlich nämlich

war durch die Expromiſſion des

|0411 : 397|

§. 251. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)

§. 251.

Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Wirkung.

(Fortſetzung.)

II. Bürgſchaft.

Hierbey kommen dieſelben zwey Fragen vor, wie bey

dem Pandrecht (§ 250); Gültigkeit der für eine ſchon ver-

jährte Schuldklage geleiſteten Bürgſchaft; Fortdauer der

Bürgſchaft, die vor Ablauf der Verjährung, etwa gleich-

zeitig mit der Entſtehung der Hauptſchuld geleiſtet wurde.

Auch hier wird wieder die zweyte Frage größere Wichtig-

keit haben. Beide Fragen werden, nach der von mir ver-

theidigten Meynung, für die Gültigkeit der Bürgſchaft be-

antwortet werden müſſen; von den Gegnern in entgegen-

geſetzter Weiſe.

 

In dieſem Fall vorzüglich tritt die oben (§ 250) be-

merkte Vieldeutigkeit der von der Befreyung durch Zeit

redenden Stellen hindernd in den Weg; nicht eine einzige

der hier einſchlagenden Stellen giebt für unſre Frage ein

ſicheres Reſultat.

 

Folgender Ausſpruch des Paulus iſt der wichtigſte; er be-

 

Minderjährigen, ſo wie durch jede

Novation, das Pfandrecht ganz

zerſtört (L. 18 de nov. 45. 2.),

und es wird nur in Folge der Re-

ſtitution wieder hergeſtellt. Indem

aber hier dieſe Herſtellung für das

Pfand ohne alle Einſchränkung

anerkannt wird, folgt daraus, daß

der nahe Ablauf der Zehen Tage

nur auf die Schuld, nicht auf das

Pfand, Einfluß haben ſoll. —

Dieſe Stelle übrigens handelt un-

zweydeutiger, als die übrigen, von

der Klagverjährung: „.. qui tem-

porali actione tenebatur tunc,

cum adhuc supererant decem

dies ..”. So konnte man von

der Prozeßverjährung unmöglich

ſprechen.

|0412 : 398|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

zieht ſich auf den oben angegebenen erſten Fall, da nach

Ablauf der Zeit die Bürgſchaft geleiſtet wird (a):

Si quis, postquam tempore transacto liberatus est,

fidejussorem dederit, fidejussor non tenetur: quo-

niam erroris fidejussio nulla est.

Die Stelle läßt ſich am einfachſten von der Klagver-

jährung, und zwar von dem Standpunct unſrer Meynung

aus, erklären. Der durch Verjährung bereits befreyte

Schuldner giebt einen Bürgen; dieſer iſt an ſich (ipso jure)

wohl verpflichtet, da er aber die Exceptionen des Haupt-

ſchuldners mit genieſt (b), ſo macht er ſich durch die tem-

poris praescriptio deſſelben frey (non tenetur, nämlich

cum effectu). Dabey wird jedoch vorausgeſetzt, daß er

die abgelaufene Verjährung nicht kannte; denn wenn er

ſie kannte, ſo hat er ohne Zweifel gerade mit Rückſicht

auf ſie die Bürgſchaft geleiſtet, und dann muß ſeine tem-

poris praescriptio durch die doli replicatio ausgeſchloſſen

werden. — Wären nicht die letzten Worte, ſo könnte die

Stelle eben ſo ungezwungen aus der Meynung der Geg-

ner erklärt werden; nun würde nämlich das non tenetur

ſo zu verſtehen ſeyn: ipso jure non tenetur, wegen der

zerſtörten naturalis obligatio. Dieſer Erklärung aber ſte-

hen die letzten Worte entgegen, da unter dieſer Voraus-

ſetzung der Irrthum durchaus ohne Einfluß ſeyn würde (c).

 

(a) L. 37 de fidej. (46. 1.).

(b) L. 7 pr. § 1 de exc. (44.

1.), vgl. oben § 227.

(c) Aus demſelben Grund kann ich

auch nicht die Erklärung einräumen,

nach welcher die Stelle von einem

auf eine gewiſſe Zeit beſchränkten

Vertrag ſprechen ſoll. (Unter-

|0413 : 399|

§. 251. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)

— Die Stelle läßt ſich aber eben ſowohl von der Prozeß-

verjährung, als von der Klagverjährung erklären, und iſt

deswegen für unſre Meynung nicht ganz entſcheidend. —

Dagegen kann ſie nicht bezogen werden auf die L. Fu-

ria (d), weil im Fall derſelben wieder der Irrthum ganz

gleichgültig ſeyn müßte.

Nicht im Widerſpruch mit der hier gegebenen Erklä-

rung ſteht folgende Stelle des Scävola, die übrigens die

Verjährung nicht beſonders erwähnt (e):

Ubicumque reus ita liberatur a creditore, ut natura

debitum maneat, teneri fidejussorem respondit: cum

vero genere novationis transeat obligatio, fidejusso-

rem aut jure, aut exceptione liberandum.

 

Wenn eine naturalis obligatio zurück bleibt, ſo iſt ſtets

der Bürge ipso jure fortwährend verpflichtet (teneri re-

spondit). Damit iſt aber wohl vereinbar, daß er bald

doch per exceptionem befreyt werde, ſo wie ich es für

den Fall der Klagverjährung annehme (f), bald auch nicht,

wenn nämlich die Exception eine ganz individuelle Natur

 

holzner II. S. 113.) Denn nach

Ablauf dieſer Zeit iſt es inanis

obligatio geworden, und die nach-

her übernommene Bürgſchaft iſt

unwirkſam ohne Rückſicht auf Irr-

thum.

(d) Dieſes wäre ſo zu denken,

daß ein Sponsor oder Fidepro-

missor, nach Ablauf der ihm durch

die L.Furia beſtimmten zwey Jahre,

einen fidejussor geſtellt hätte.

(e) L. 60 de fidej. (46. 1.).

Dieſe Stelle iſt ſchon oben, § 249.

a, zu einem andern Zweck benutzt

worden.

(f) Das teneri wird alſo hier

in einem anderen Sinn genom-

men, als in der vorhergehenden

Stelle; aber beide Bedeutungen

kommen überhaupt vor, ſo daß

jede derſelben vorausgeſetzt werden

darf, wie es gerade das Bedürf-

niß der Erklärung einer Stelle

mit ſich bringt.

|0414 : 400|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

hat, wie z. B. bey dem ſogenannten beneficium competen-

tiae (g). — Die Stelle wird dadurch undeutlich, daß ſie

aus dem Zuſammenhang geriſſen iſt. So z. B. fehlt zwi-

ſchen beiden hier genannten Fällen ein dritter, in der Mitte

liegender, wenn die Befreyung zwar nur per exceptionem,

aber mit Zerſtörung der naturalis obligatio, eingetreten iſt;

in dieſem Fall iſt der Bürge gewiß nicht mehr verpflichtet,

ſo z. B. wenn die durch Stipulation entſtandene Haupt-

ſchuld durch Pactum aufgehoben wird.

Bey einigen anderen Stellen, die hier angeführt zu

werden pflegen, muß an dieſer Stelle der Beweis genü-

gen, daß ſie gewiß nicht von der Klagverjährung zu ver-

ſtehen ſind (h).

 

III. Conſtitutum.

Auch für die Wirkſamkeit des Conſtitutum kommen die-

 

(g) L. 7 pr. § 1 de exc. (44. 1.)

(h) L. 38 § 4 de solut. (46. 3.).

Sie geht nicht auf Klagverjährung,

ſondern entweder auf Prozeßver-

jährung, oder auf die L. Furia.

Denn Africanus könnte doch un-

möglich an eine andere Klagver-

jährung denken, als an die der

prätoriſchen Annalklagen; dieſe aber

hatten utile tempus, wobey die

Zeit der Abweſenheit ipso jure

abgerechnet wurde, alſo nicht zu

einer Reſtitution Veranlaſſung gab.

Bey jenen beiden Inſtituten dagegen

wurde nach tempus continuum ge-

rechnet. Vgl. oben B. 4. § 190. S.

441. 442. — L. 29 § 6 mand.

(17. 1.), L. 69 de fidej. (46. 1.),

L. 71 § 1 de sol. (46. 3.). Dieſe

drey Stellen ſprechen von einem

fldejussor tempore liberatus,

und ſie könnten nur dadurch hier-

her gezogen werden, daß man dieſe

Befreyung auf die für den Haupt-

ſchuldner eingetretene Klagverjäh-

rung bezöge, womit aber ſchon

die Ausdrücke theilweiſe nicht zu

vereinigen ſeyn würden. Von ei-

ner Verjährung der Bürgſchafts-

klage können ſie nicht verſtanden

werden, weil dieſe zur Zeit der al-

ten Juriſten gar keine Verjährung

hatte. Sie gehen ganz ohne Zwei-

fel urſprünglich auf die L. Furia,

und ſind nur durch Interpolation et-

was unverſtändlich gemacht worden.

|0415 : 401|

§. 251. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)

ſelben zwey Fragen vor wie bey dem Pfandrecht, je nach-

dem daſſelbe nach oder vor Ablauf der Verjährung ge-

ſchloſſen worden iſt. Nach meiner Meynung iſt in beiden

Fällen das Conſtitutum gültig, weil dieſes überhaupt nur

eine naturalis obligatio als Grundlage erfordert (i). Nach

der entgegengeſetzten Meynung, wenn ſie conſequent durch-

geführt werden ſoll, müßte es in beiden Fällen ungül-

tig ſeyn.

Ulpian ſcheint dieſe Fragen zu behandeln in folgender

Stelle, worin ſogar einmal ausdrücklich der Ausdruck tem-

poralis actio vorkommt, und die ich deshalb zuerſt von

der Verjährung zu erklären verſuchen will (k). Damit

das Conſtitutum gültig ſey, ſagt er, muß die zum Grund

liegende Obligation gültig ſeyn, aber es iſt hinreichend

daß ſie es ſey zu der Zeit, worin das Conſtitutum ge-

ſchloſſen wird. Iſt alſo die Gültigkeit der Obligation auf

Zeit beſchränkt, und wird conſtituirt vor Eintritt des Zeit-

punkts, ſo bleibt das Conſtitutum auch nachher gültig. Ja

ſelbſt wenn in dem Conſtitutum die Zahlung ausdrücklich

 

(i) L. 1 § 7 de pec. const. (13.

5.) „Debitum autem vel natura

sufficit.”

(k) L. 18 § 1 de pec. const.

(13. 5.). Zunächſt möchte man

an eine Vergleichung dieſer Stelle

mit der von der Bürgſchaft han-

delnden (Note a) denken. Hier iſt

aber der Hauptunterſchied der, daß

bey der Bürgſchaft immer zwey

Schuldner vorkommen, anſtatt daß

in unſrer Stelle von dem ſ. g. con-

stitutum debiti proprii die Rede

iſt, alſo von einem Schuldner, der

nicht eine fremde Schuld übernimmt,

ſondern ſeine eigene beſtärkt oder

modificirt. Proinde temporali

actione obligatum constituendo

.. teneri debere;” alſo der obli-

gatus iſt zugleich der, welcher con-

ſtituirt.

V. 26

|0416 : 402|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

verſprochen wird auf einen nach dem Untergang der erſten

Obligation fallenden Zeitpunkt, ſo iſt und bleibt es den-

noch gültig. Damit ſchließt Ulpians Ausſpruch; es liegt

aber unwiderſprechlich im Hintergrund der nicht ausge-

drückte Satz, daß das Conſtitutum ungültig ſey, wenn es

geſchloſſen werde erſt nach dem Zeitpunkt, mit welchem

die erſte Obligation aufgehört hat. Verſteht man alſo

die Stelle überhaupt von der Verjährung, ſo würde ſich

Ulpian in dieſer beſondern Anwendung halb für die eine,

halb für die andere der ſtreitenden Parteyen erklären (l).

Schon dieſes iſt ein Grund, weshalb ich die Stelle

gar nicht von der Klagverjährung verſtehe. Es kommt

aber der andere Grund hinzu, daß in der zweyten Hälfte

der Stelle Ausdrücke gefunden werden, die niemals ein

alter Juriſt von der bloßen Verjährung der Klagen ge-

braucht hat (m). Ich glaube daher, daß die Stelle gar

nicht hierher gehört, und daß darin Ulpian geradezu von

einem Fall der L. Furia geſprochen hat. Die Dunkelheit

der Stelle iſt dann dadurch entſtanden, daß die Compila-

toren die von einem verſchwundenen Rechtsinſtitut redende

Stelle aufgenommen, und daß ſie Dieſes durch Interpola-

tionen zu verſtecken geſucht haben, ſo daß namentlich die

Worte temporali actione und temporalis actionis an die

 

(l) Daher nimmt denn einer

der eifrigſten Vertheidiger der ſtär-

keren Wirkung der Klagverjährung

hier eine Ausnahme an, indem er

einräumt, daß das vor Ablauf der

Verjährung geſchloſſene Conſtitu-

tum auch nachher wirkſam fort-

dauere. Büchel S. 72. 73.

(m) L. 18 cit. „post tempus

obligationis” und: „eo tempore

constituit, quo erat obligatio.”

|0417 : 403|

§. 251. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)

Stelle derjenigen Ausdrücke eingeſchoben worden ſind, wo-

durch urſprünglich Ulpian ſeinen ganz anderen Gedanken

bezeichnet hatte.

IV. Compenſation.

Darüber haben wir keine Äußerungen der alten Juri-

ſten; es ſind aber folgende Fälle zu unterſcheiden.

 

Wenn ich Etwas ſchuldig werde Demjenigen, gegen

welchen ich eine noch unverjährte Klage auf dieſelbe Summe

habe und dann die Verjährung abläuft, ſo werden jetzt

Alle annehmen, daß ſich die beiden Forderungen ſogleich

ipso jure zerſtört haben, ſo daß von einer Verjährung

nicht weiter die Rede ſeyn kann. Für die Zeit vor Juſti-

nian aber, als die Compenſation nur per exceptionem

wirkte, müſſen ſich auch in dieſer Anwendung die beiden

Meynungen über die ſtärkere oder ſchwächere Wirkung der

Klagverjährung ſtreitend gegenüber ſtehen. Ob jedoch dieſer

Zuſtand nicht noch im heutigen Recht fortdauert, und ob

Juſtinians Ausſpruch von der ipso jure eintretenden Wirkung

der Compenſation ſo buchſtäblich zu nehmen iſt, oder nicht

— das iſt eine Frage, die an dieſem Ort auf ſich beruhen

muß.

 

Es bleibt noch der andere Fall übrig, wenn ich meine

Schuldklage habe verjähren laſſen, und nun aus einem

andern Grunde meinem bisherigen Schuldner dieſelbe

Summe ſchuldig werde; auch hier begegnen ſich wieder

die ſtreitenden Meynungen. Nach der von mir vertheidig-

ten muß ich gegen die Schuldklage des Andern meine Ge-

 

26*

|0418 : 404|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

genforderung im Wege der Compenſation geltend machen

können, weil ſie als naturalis obligatio fortdauert, und

Dieſes für die Compenſation hinreicht (n); es ſind jedoch

einige Anhänger dieſer Meynung ihr in dieſer beſondern

Anwendung nicht treu geblieben, haben alſo hier eine

Ausnahme der von ihnen außerdem anerkannten Regel an-

genommen (o). Nach der entgegengeſetzten Meynung wird

hier ganz conſequenter Weiſe die Möglichkeit der Compen-

ſation verneint.

V. Novation.

Hier ſtellt ſich die Frage einfacher, als in den bisher

abgehandelten Fällen. Wird nämlich vor Ablauf der Ver-

jährung die Novation vorgenommen, ſo iſt die alte Obli-

gation ganz vernichtet, und von Verjährung kann nicht

weiter die Rede ſeyn.

 

Es bleibt alſo nur die Frage übrig, ob eine nach Ab-

lauf der Klagverjährung vorgenommene Novation wirkſam iſt.

Hierüber haben wir keine Ausſprüche unſrer Rechtsquel-

len, es muß alſo der allgemeine Widerſtreit nur auf die-

ſen beſonderen Fall conſequent angewendet werden; dieſes

 

(n) L. 6 de compens. (16. 2.)

Etiam quod natura debetur,

venit in compensationem.”

(o) Unterholzner II. S. 314.

315. Seine Gründe ſind: erſtlich

die Zweckmäßigkeit (die aber, wenn

ſie da wäre, auch in anderen An-

wendungen gelten möchte), zwey-

tens L. 14 de compens. (16. 2.)

„Quaecumque per exceptionem

perimi possunt, in compensa-

tionem non veniunt.” Ich glaube,

daß dieſe Stelle durch L. 6 eod.

(Note n) beſchränkt werden müſſe,

Unterholzner nimmt das entgegen-

geſetzte Verhältniß an. — Vgl.

dagegen Puchta Lehrbuch § 77,

und Glück B. 15 S. 64. 65, wo

viele Schriftſteller für beide Mey-

nungen angeführt ſind.

|0419 : 405|

§. 251. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)

jedoch mit folgender Modification. Wenn die Novation

von dem alten Schuldner ſelbſt nach Ablauf der Verjäh-

rung vorgenommen wird, und dieſer es weiß, daß die

Verjährung vollendet iſt, dann können ſelbſt die Gegner

die Gültigkeit der Novation, unbeſchadet der Conſequenz,

einräumen. Denn nun liegt in derſelben augenſcheinlich

ein Verzicht auf den Vortheil der Verjährung; von deſſen

ſelbſtſtändiger Natur aber wird noch in der Folge geſpro-

chen werden. Daſſelbe muß bey der von einem Dritten

vorgenommenen Expromiſſion gelten, wenn dabey der Schuld-

ner mitgewirkt hat, wie es meiſtens geſchehen wird.

VI. Solutum non repetere.

Hier iſt die Frage eben ſo einfach, wie bey der No-

vation. Die vor Ablauf der Verjährung geleiſtete Zah-

lung zerſtört die Schuld gänzlich, und macht jeden Fort-

gang einer Verjährung unmöglich. Es bleibt alſo nur die

Frage übrig, ob die nach abgelaufener Verjährung aus

Irrthum geleiſtete Zahlung Grund einer condictio indebiti

iſt oder nicht. Dieſe Frage muß nach dem allgemeinen

Grundſatz von beiden ſtreitenden Parteyen auf entgegen-

geſetzte Weiſe beantwortet werden; einen ſicheren Ausſpruch

unſrer Rechtsquellen beſitzen wir über dieſe Frage nicht (p).

 

(p) L. 25 § 1 ratam rem

(46. 8.), beurtheilt folgenden Fall.

Ein debitor tempore liberatus

hatte vor eingetretenem Zeitpunkt

an einen unbevollmächtigten Pro-

curator Zahlung gegen Caution

geleiſtet, der Glaubiger genehmigt

nach jenem Zeitpunkt; dieſe Ge-

nehmigung ſoll unwirkſam ſeyn,

offenbar weil zur Zeit ihrer Er-

|0420 : 406|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Zum Schluß ſind noch die Vorſchriften neuerer Ge-

ſetzgebungen über die Wirkung der Verjährung darzu-

ſtellen.

 

Das Preußiſche Landrecht nimmt nach vielen Stellen

den Untergang des Rechts ſelbſt, alſo eine Zerſtörung der

Obligationen ipso jure, als Folge der vollendeten Verjäh-

rung an (q). Ja es kann eigentlich keine andere Anſicht

geltend machen, da es die Klagverjährung nicht, wie das

Römiſche Recht, als ein eigenthümliches Rechtsinſtitut be-

handelt, ſondern blos als einen einzelnen Fall der allge-

meinen Verjährung durch Nichtgebrauch (§ 246). Eine Be-

ſtätigung findet ſich in einer der oben unterſuchten prakti-

ſchen Anwendungen, indem beſtimmt iſt, daß eine verjährte

Forderung nicht zur Compenſation taugen ſoll (r). Bey

dem Pfandrecht kommt, für die wichtigſte Geſtalt deſſelben,

die Regel in Betracht, daß gegen alle in ein Hypotheken-

buch eingetragene Rechte gar keine Verjährung zugelaſſen

wird, weder durch Beſitz noch durch Nichtgebrauch (s).

Ganz fremdartig, und ohne eigentlichen Einfluß, ſtehen

 

theilung die Schuld untergegan-

gen war. Wäre eine naturalis

obligatio übrig geweſen, ſo hätte

in Beziehung auf dieſe die Ge-

nehmigung Kraft haben müſſen. —

Allein wir haben durchaus keinen

Grund, die Stelle auf die Verjäh-

rung zu beziehen; ſie iſt ganz be-

friedigend von einem auf beſchränkte

Zeit geſchloſſenen Vertrag zu er-

klären, oder auch von der L. Fu-

ria, deren nähere Bezeichnung durch

Interpolation verwiſcht ſeyn mag.

Das erkennen ſelbſt die Gegner

an. Heimbach S. 449.

(q) A. L. R. I. 9 § 501. 502

(das Recht verloren), § 564 (ver-

loſchenes Recht), I. 16 § 7

(Rechte erlöſchen durch Verjäh-

rung).

(r) A. L. R. I. 16 § 377.

(s) A. L. R. I. 9 § 511.

|0421 : 407|

§. 251. Klagverjährung. Wirkung. (Fortſetzung.)

daneben die zwey Paragraphen, die, in Übereinſtimmung

mit Rave, der Verjährung eine bloße Praeſumtion der

Tilgung zuſchreiben (§ 246).

Dieſelbe Behandlung der Sache findet ſich auch im

Öſterreichiſchen Geſetzbuch (t) und eben ſo im Franzöſi-

ſchen (u); überall wird gänzlicher Untergang des verjährten

Rechts ſelbſt angenommen. In Sachſen iſt Dieſes durch

ein beſonderes Landesgeſetz anerkannt (v).

 

Man könnte noch fragen, welche Beſtimmung in dieſer

Hinſicht für die Zukunft räthlich ſey; hierauf aber iſt an

dieſem Ort eine befriedigende Antwort unmöglich. Wird

überhaupt die Römiſche Anſicht von einer naturalis obli-

gatio, als einem abgeſonderten Rechtsinſtitut, anerkannt,

ſo ſcheint mir auch für die Wirkung der Klagverjährung

die hier dargeſtellte Regel des Römiſchen Rechts die allein

conſequente. Wird jene Anſicht überhaupt aufgegeben, ſo

hat es kein Bedenken, die Sache ſo einfach und durchgrei-

fend zu behandeln, wie es in den neueren Geſetzgebungen

geſchehen iſt. Praktiſch erheblich iſt eigentlich nur die An-

wendung auf die Compenſation und auf das Pfandrecht;

und auch dieſe letzte nur, inſofern für die Hypothekarklage

gegen den Schuldner eine ganz eigenthümliche Klagverjäh-

rung, abweichend von allen übrigen, beybehalten wird.

 

(t) Oeſterreich. Geſetzbuch § 1479.

1499 (Erlöſchung der Rechte).

(u) Code civil art. 1234 „Les

obligations s’éteignent .. par

la préscription.” Art. 2219 „La

préscription est un moyen

d’acquérir ou de se libérer ..”

(v) Haubold Sächſiſches Pri-

vatrecht § 276.

|0422 : 408|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

§. 252.

Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Ausnahmen.

Es giebt ausgenommene Fälle, worin die Klagverjäh-

rung entweder ganz wegfällt, oder nach anderen, als den

hier vorgetragenen, Regeln beurtheilt wird.

 

I. Stillſtand der Verjährung. Dieſer kann begründet

werden gleich Anfangs, oder auch während der laufenden

Verjährung; im erſten Fall fängt ſie erſt ſpäter an, im

zweyten wird ihr Lauf gehemmt, ſo lange als der that-

ſächliche Grund des Stillſtands dauert, dann wird ſie

fortgeſetzt, gleich als ob dieſer Zwiſchenzuſtand nicht ein-

getreten wäre.

 

Eine ſolche Suspenſion iſt daher wohl zu unterſchei-

den von der Unterbrechung, wodurch die früher angefan-

gene Verjährung für immer vernichtet wird, und nie wie-

der fortgeſetzt werden kann (§ 242. 243.). Die Fälle der

Suspenſion ſind folgende:

 

A. Wenn der Klagberechtigte der Inhaber eines ſ. g.

peculii adventitii iſt, oder ein Unmündiger, oder ein Min-

derjähriger; bey dieſem letzten mit Ausnahme der dreyßig-

jährigen Verjährung (a).

 

B. Wenn bey einjährigen oder noch kürzeren Verjäh-

rungen die Klage durch ein zufälliges Hinderniß nicht an-

geſtellt werden kann (b).

 

C. In einigen beſonderen Fällen, worin eine Rechts-

 

(a) Vgl. oben B. 3 Beylage VIII.

Num. XXVII. XXVIII.

(b) Wegen des utile tempus.

Vgl. oben B. 4 § 189. 190.

|0423 : 409|

§. 252. Klagverjährung. Ausnahmen.

regel die Klage hemmt, ohne das Recht zu zerſtören, wel-

ches unſre Juriſten durch die Regel ausdrücken: Agere

non valenti non currit praescriptio (c). Dahin gehören

dieſe Fälle: die Vindication von Baumaterialien, ſo lange

dieſelben Beſtandtheile eines ſtehenden Gebäudes ſind (d);

die Schuld, welche durch ein Moratorium der Klage ent-

zogen iſt (e); die Erbſchaftsklagen während der Verferti-

gung eines Inventarii, oder während einer laufenden De-

liberationsfriſt (f).

II. An ſich unverjährbare Rechtsverhältniſſe. Alle Verjäh-

rung ſoll blos dahin führen, einen gegenwärtigen factiſchen Zu-

ſtand ſo zu fixiren, als ob er ein rechtlicher wäre, ſo z. B. ei-

nen Beſitz, die Unterlaſſung einer geforderten Zahlung u.ſ.w.(g).

Dabei wird die rechtliche Möglichkeit eines ſolchen unabänder-

lichen Zuſtandes vorausgeſetzt, welche auch in den allermei-

ſten Fällen gar nicht zu bezweifeln iſt. Es giebt jedoch ei-

nige Fälle, worin wegen dieſer fehlenden Möglichkeit auch

die Klagverjährung für unzuläſſig erklärt werden muß.

Dahin gehören in gewiſſer Beziehung die Theilungsklagen.

Gegen die a. communi dividundo oder familiae erciscun-

dae gilt keine Verjährung zu dem Zweck, daß das gemein-

ſchaftliche Gut nun für immer ungetheilt bleiben müßte;

 

(c) Dieſe Regel iſt nur eine

conſequente Fortbildung der für

den Anfang der Verjährung auf-

geſtellten Grundbedingung: actio

nata. Vgl. Göſchen S. 439.

(d) § 29 J. de rer. div. (2. 1.),

L.7 § 10 de adqu. rer. dom. (41.1.).

(e) L. 8 in f. C. qui bonis

(7. 71.)

(f) L. 22 § 11 C. de j. delib.

(6. 30.).

(g) L. 4 C. de praescr. XXX

(7. 39.) „sed quicunque super

quolibet jure .. sit securus ..”

|0424 : 410|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

gegen die a. finium regundorum ſo, daß die verwirrten,

unſicheren Gränzen nie feſt beſtimmt. werden dürften.

Wohl aber gilt die Verjährung, wenn mit dieſen Klagen

entweder eine Zahlung als Ausgleichung und Entſchädi-

gung gefordert wird, oder auch ein feſter Beſitz, welchen

der Beklagte, über die richtigen Gränzen hinaus, 30 Jahre

lang gehabt hat (h).

Etwas Ähnliches läßt ſich behaupten, wenn der Be-

klagte gegen das Interdict uti possidetis nicht etwa eine

Servitut, ſondern die dreyßigjährige Gewohnheit einer

bloßen Störung und Beunruhigung des Eigenthums be-

haupten wollte, die als ein rechtloſer Zuſtand durch keine

Verjährung geſchützt werden kann (i).

 

III. Bey vielen einzelnen Klagen gelten abweichende

Verjährungsfriſten, welche jedoch zweckmäßiger im beſon-

deren Theil des Syſtems vorgetragen werden.

 

Hier will ich nur diejenigen Klagen zuſammenſtellen,

die von aller Verjährung gänzlich ausgenommen ſind,

wobey jedoch ſogleich bemerkt werden muß, daß dieſelben

für das heutige Recht theils gar nicht mehr vorkommen

können, theils (bey den Steuern) als ganz unverjährbar

nicht mehr anerkannt ſind:

 

(h) Auf ſolche Fälle ſind zu be-

ziehen L. 1 § 1 C. de ann. exc.

(7. 40.), L. 6 C. fin. reg. (3. 39.)

Vgl. überhaupt Rave § 147—150.

Thibaut Verjährung S. 123.

126. Göſchen I. S. 426. 429.

(i) Man kann dieſen Fall, mit

demſelben Erfolg, noch von einer

andern Seite auffaſſen. Jede ein-

zelne Beſitzſtörung iſt eine ſelbſtſtän-

dige Thatſache, unabhängig von

früheren Handlungen, woraus alſo

auch wieder eine ganz neue Beſitz-

klage entſteht.

|0425 : 411|

§. 252. Klagverjährung. Ausnahmen.

1) Die Klage auf Steuerreſte (k).

2) Die Klage einer Stadt gegen Curialen, die ſich ihren

Standespflichten entziehen (l).

3) Die vindicatio in libertatem, wenn ein angeblich

Freyer bisher im Sklavenſtand gelebt hat (m).

4) Die Vindication eines Colonen von Seiten des

Grundherrn (n).

IV. Vertrag.

Ein Vertrag, wodurch die Verjährung ganz ausge-

ſchloſſen, oder in ihren Bedingungen oder Wirkungen mo-

dificirt werden ſoll, kann auf zweyerley Weiſe gedacht

werden: vor oder nach Ablauf der Verjährung.

 

Vor Ablauf der Verjährung, unter andern gleich bey

Abſchluß des Rechtsgeſchäfts, worauf ſich künftig eine Klag-

verjährung beziehen könnte, halte ich einen ſolchen Vertrag

für ganz unwirkſam. Die Verjährung iſt in dem Sinn

juris publici, daß ſie der Privatwillkühr entzogen iſt (o),

auf dieſelbe Weiſe wie die ihr nicht unähnlichen Regeln

und Formen des Prozeſſes, und wie die Natur des Eigen-

thums, welches auch nicht durch Vertrag zu einem unver-

äußerlichen Recht gemacht werden kann (p). Jedoch wird

dieſe Meynung von mehreren Schriftſtellern beſtritten (q);

 

(k) L. 6 C. de praescript.

XXX. (7. 39.), vgl. oben § 238.

(l) L. 5 C. de praescr. XXX.

(7. 39.), vgl. oben § 238.

(m) L. 3 C. de longi temp.

pr. quae pro lib. (7. 22.). Selbſt

60 Jahre ſollen nicht im Wege

ſtehen.

(n) L. 23 pr. C. de agric.

(11. 47.).

(o) L. 38 de pactis (2. 14.),

L. 45 § 1 de R. J. (50. 17.).

(p) L. 61 de pactis (2. 14.).

(q) Rave § 167 iſt meiner

|0426 : 412|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

der Grund, der dagegen hauptſächlich geltend gemacht

wird, beruht auf folgender Beſtimmung des Römiſchen

Rechts. Wenn ein Käufer das Recht willkührlicher Auf-

löſung des Kaufcontracts ausbedingt, ſo kann er dieſes

ausdrücklich auf unbeſchränkte Zeit vorbehalten. Wird

aber über die Zeit gar Nichts geſagt, ſo ſoll es ſo ange-

ſehen werden, als wäre dieſer Vorbehalt auf 60 Tage ge-

ſchehen (r). Dieſe Stelle beweißt deswegen nicht den von

den Gegnern behaupteten Satz, weil ſie überhaupt nicht

von der Klagverjährung ſpricht, ſondern von der bloßen

Interpretation eines unbeſtimmten Vertrags, die dann na-

türlich einer ausdrücklichen Erklärung weichen muß (s).

Dagegen iſt es nach Ablauf der Verjährung durchaus

geſtattet, dieſelbe durch Vertrag aufzuheben, das heißt auf

die durch dieſelbe erlangten Vortheile ganz oder theilweiſe

zu verzichten. Dieſes müſſen auch Diejenigen einräumen,

welche nach abgelaufener Verjährung die Fortdauer einer

naturalis obligatio verneinen. Denn auch Dieſe geben zu,

daß die Verjährung nur per exceptionem wirke, das Recht

einer Exception aber iſt jeder neuen Modification durch

Rechtsgeſchäfte empfänglich (§ 225).

 

Mit der hier für das Römiſche Recht vorgetragenen

 

Meynung; Eichmann in einer

Note zu dieſer Stelle hat die ent-

gegengeſetzte Meynung; eben ſo

auch Unterholzner I. § 28.

(r) L. 31 § 22 de aedil ed.

(21. 1.).

(s) Als Verjährung kann es

ſchon deswegen nicht betrachtet

werden, weil hier aus dem Ver-

trag noch nicht eine actio nata

abgeleitet werden kann, eben ſo

wie bey dem Nebenvertrag über

Rückverkauf (§ 241).

|0427 : 413|

§. 253. Verjährung der Exceptionen.

Anſicht ſtimmt völlig überein das Franzöſiſche Geſetzbuch,

welches auch nur den Verzicht auf eine ſchon erworbene

Verjährung anerkennt (t). Eben ſo auch das Oeſter-

reichiſche (u). Anders das Preußiſche, welches außer dem

Verzicht auf die erworbene Verjährung (§ 245. h) auch

die Ausſchließung einer künftigen durch Vertrag geſtattet,

jedoch nur unter ganz beſonderen Beſchränkungen (v).

§. 253.

Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Anwendung

auf Exceptionen.

Die Verjährung der Klagen iſt nunmehr vollſtändig dar-

geſtellt, und es bleibt zum Schluß dieſer Lehre nur noch

die Frage zu beantworten übrig, ob von dieſer Art der

Aufhebung auch irgend eine Anwendung auf Exceptionen,

alſo zum Vortheil des Klägers, zu machen iſt. Da die

bisher dargeſtellte Verjährung auf die Klagen vermittelſt

einer praescriptio oder exceptio angewendet wurde, ſo

läßt ſich dieſe Frage auch ſo ausdrücken: Iſt es zuläſſig,

die Verjährung in Geſtalt einer temporis replicatio gel-

tend zu machen?

 

Bevor dieſe wichtige und ſehr beſtrittene Frage ſelbſt

unterſucht werden kann, iſt es nöthig, aus dem Gebiet

 

(t) Code civil art. 2220—2222.

(u) Oeſterreich. Geſetzbuch §

1502.

(v) A. L. R. I. 9 § 565—567.

669. Der Vertrag darf nur ein

beſtimmtes Recht oder eine be-

ſtimmte Sache betreffen, auch muß

er bey Strafe der Nichtigkeit ge-

richtlich verlautbart, und, wenn er

ein Grundſtück zum Gegenſtand

hat, in das Hypothekenbuch einge-

tragen ſeyn.

|0428 : 414|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

derſelben zwey Fälle zu entfernen, deren Einmiſchung die

Löſung der Aufgabe nicht wenig erſchwert hat.

Erſtlich giebt es Fälle, in welchen eine Exception nicht

anders erlangt werden kann, als mit Hülfe einer Reſtitu-

tion. Da nun jede Reſtitution urſprünglich an die Friſt

eines utilis annus gebunden war (jetzt Vier Kalenderjahre),

ſo pflegt man wohl zu ſagen, daß in dieſen Fällen die

Exception einer kurzen Verjährung unterworfen ſey. Bey-

ſpiele ſind dieſe: Wenn ein Minderjähriger Bürgſchaft

leiſtet, ſo bedarf er einer Reſtitution, um ſich gegen die

Stipulationsklage durch Exception zu ſchützen (a). Wenn

die Sache eines Abweſenden uſucapirt wird, ſo bedarf er

in der Regel einer Reſtitution zum Behuf einer rescissoria

in rem actio; hat er jedoch durch Zufall den Beſitz wie-

der erlangt, ſo genügt ihm eine Exception gegen des An-

dern Vindication, die aber nicht weniger an alle Bedin-

gungen und Formen der Reſtitution geknüpft iſt, alſo auch

an die kurze Verjährungsfriſt, indem das Eigenthum durch

Uſucapion wahrhaft verloren war (b). — Es iſt jedoch

eine ganz falſche Auffaſſung, hier die Verjährung auf die

Exception zu beziehen, da ſie vielmehr lediglich zur Reſti-

tution als ſolcher gehört, bey welcher es dann ganz gleich-

gültig iſt, ob ſie zur Vermittlung einer Klage, Exception,

Replication dienen ſoll, oder irgend eines andern Rechts,

 

(a) L. 7 § 3 de minor. (4. 4.).

(b) L. 28 § 5 ex quib. cau-

sis maj. (4. 6.) „Exemplo re-

scissoriae actionis etiam ex-

ceptio ei, qui reipublicae causa

afuit, competit: forte si res ab

eo possessionem nancto vindi-

centur.”

|0429 : 415|

§. 253. Verjährung der Exceptionen.

z. B. des Erwerbs einer unvorſichtig ausgeſchlagenen Erb-

ſchaft, oder der Befreyung von einer unvorſichtig angetre-

tenen, da ſie überall dieſelbe Natur hat, nämlich die einer

durchgreifenden Veränderung des vorhandenen Rechtszu-

ſtandes aus exceptionellen Gründen (c). Wie wenig ſelbſt

in den angeführten Beyſpielen die Verjährung mit der

durch Reſtitution vermittelten Exception zuſammen hängt,

zeigt ſich deutlich darin, daß es in ihnen zur Zeit des

alten Prozeſſes ganz zufällig war, ob es zur Ertheilung

einer Exception kam. Denn wenn der Prätor die That-

ſachen völlig überſah, alſo nicht erſt zu deren Feſtſtellung

eines Judex bedurfte, ſo entſchied er die Sache ſogleich

definitiv, und es kam dann weder eine actio, noch eine

exceptio oder replicatio vor; dennoch war auch hier die

Friſt der Reſtitution nicht weniger unerläßlich (d).

(c) Hieraus erhellt die völlige

Verſchiedenheit der Reſtitution von

den Actionen und Exceptionen,

welche nur Schutzmittel für ein

wirklich vorhandenes Recht ſind,

jene zum Angriff, dieſe zur Ver-

theidigung zu gebrauchen.

(d) Dieſes erhellt ſehr deutlich

aus L. 9 § 4 de jurejur. (12. 2.).

Ein Minderjähriger hatte als Klä-

ger einen Eid deferirt, nun be-

kommt er gegen die exceptio ju-

risjurandi, durch Reſtitution, eine

Replication. Überſieht jedoch der

Prätor die Thatſachen völlig, ſo

giebt er keine Replication, ſondern

ſchlägt ſogleich ſelbſt die Exception

ab, und giebt die Klage als ju-

dicium purum. „Ego autem

puto, hanc replicationem non

semper esse dandam, sed ple-

rumque ipsum Praetorem de-

bere cognoscere an captus sit,

et sic in integrum restituere …

Praeterea exceptio ista, sive

cog nitio, statutum tempus post

annum vicesimum quintum non

debet egredi.” Was hier zuletzt

exceptio genannt wird, iſt nichts

Anderes, als die früher genannte

replicatio (vgl. § 229. a), und

Ulpian ſagt hier ganz deutlich, die

Reſtitutionsfriſt ſey gleich uner-

läßlich, es möge zu einer förmli-

chen replicatio kommen, oder

durch des Prätors cognitio dieſe

|0430 : 416|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Zweytens wird in unſre Frage ungehörig eingemiſcht

die exceptio non numeratae pecuniae. Wenn über ein

Darlehen ein Schuldſchein ausgeſtellt iſt, ſo ſoll dieſer

zwey Jahre lang (früher Fünf Jahre) nicht als Beweis

gebraucht werden können. Das nennt man die Verjäh-

rung der exceptio non numeratae pecuniae (e), und glaubt

alſo damit wenigſtens für Eine Exception die Verjährung

bewieſen zu haben, deren Möglichkeit dann auch wohl auf

andere Exceptionen angewendet werden könne. Allein dieſe

Friſt, die übrigens in unſren Quellen nirgend mit der

Klagverjährung zuſammen geſtellt wird, bezieht ſich in der

That gar nicht auf die Exception als ſolche, ſondern ledig-

lich auf dieſe ganz eigenthümliche Regel über den Gebrauch

von Beweisurkunden. Dieſe Behauptung läßt ſich von

zwey Seiten her rechtfertigen. Geſetzt, es wäre in einem

ſolchen Fall kein Schuldſchein ausgeſtellt, und es würde

aus der mit dem angeblichen Darlehen verbundenen Sti-

pulation geklagt, ſo wäre von dem Beklagten ganz die-

ſelbe doli exceptio, wie in jenem Fall, zu gebrauchen,

nur könnte keine Rede von einer Friſt ſeyn, weil keine

eigenthümliche Beweisregel zur Anwendung käme. Wenn

 

Jucidentfrage gleich unmittelbar

erledigt werden.

(e) Daß dieſes Rechtsmittel

überhaupt eine Exception genannt

wird, erklärt ſich blos aus der

Römiſchen Sitte, mit dem Darle-

hen eine Stipulation zu verbinden.

Aus der Stipulation wurde ge-

klagt, deren Daſeyn war nicht ab-

zuleugnen, und ſo bedurfte der Be-

klagte eine doli exceptio, die in

dieſer beſonderen Anwendung non

numeratae pecuniae heißt. Ge-

gen die reine Darlehensklage hätte

eine abſolute Verneinung genügt,

die Beweisregeln aber blieben die-

ſelben. § 2 J. de except. (4. 13.).

|0431 : 417|

§. 253. Verjährung der Exceptionen.

dagegen umgekehrt ein Schuldſchein ausgeſtellt iſt, ſo kann

jene eigenthümliche Beweisregel nicht blos im Wege einer

Exception, ſondern auch einer Klage, zur Anwendung ge-

bracht werden, wobey dann dieſelbe Friſt wie bey der Ex-

ception gilt (f). Dieſe Klage iſt keine andere, als die ge-

wöhnliche condictio sine causa oder ob causam datorum,

und wollte man dabey jene Friſt gleichfalls als Verjäh-

rung anſehen, ſo müßte man dieſe Condictionen ſchon ſehr

frühe als temporales actiones behandeln, da doch ganz

gewiß alle Condictionen bis zum J. 424 perpetuae waren

(§ 238). Es geht hieraus hervor, daß die erwähnte Friſt

lediglich in Beziehung ſteht mit jener ganz beſonderen Regel

vom Urkundenbeweis, nicht mit der allgemeinen Lehre von

der Verjährung der Rechtsmittel, daß ſie alſo mehr Ver-

wandſchaft hat mit den Prozeßfriſten, als mit der Klag-

verjährung. Daher darf denn auch von dieſer Friſt durch-

aus keine Anwendung gemacht werden bey der nunmehr

anzuſtellenden allgemeinen Unterſuchung über die Verjähr-

barkeit der Exceptionen.

Nachdem dieſe zwey Fälle von unſrer Unterſuchung

ganz ausgeſchieden worden ſind, ſoll die Frage nach der

Verjährbarkeit der Exceptionen ſelbſt beantwortet werden.

Um dabey auch nicht vorübergehend einem Zweifel Raum

zu laſſen, will ich mich gleich im Eingang dahin aus-

 

(f) L. 14 § 4 L. 8. 9 C. de non num. pec. (4. 30.). Vgl.

unten § 254. g. h.

V. 27

|0432 : 418|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

ſprechen, daß ich alle Exceptionen ohne Ausnahme für

ganz unverjährbar halte.

Es ſind hierbey Drey Klaſſen möglicher Fälle zu un-

terſcheiden, und es iſt für jede dieſer Klaſſen die Zuläſſig-

keit der Verjährung beſonders zu unterſuchen.

 

I. Exception ohne Klage.

II. Exception und Klage neben einander.

III. Klage ohne Exception.

Erſte Klaſſe. Exception ohne Klage.

Die Beurtheilung dieſer Fälle macht am Wenigſten

Schwierigkeit, iſt auch niemals Gegenſtand eines Streites

geweſen. Denn es wäre widerſinnig, Demjenigen die

Strafe einer Nachläſſigkeit aufzubürden, welcher gar nicht

thätig ſeyn konnte, da es ganz in der Willkühr des Geg-

ners ſteht, die Klage anzuſtellen oder zu unterlaſſen (g).

 

Dieſe Fälle übrigens ſind die ſeltneren, und daher auch

für den praktiſchen Erfolg der ganzen Unterſuchung von

geringerer Erheblichkeit. Ein ſicherer Fall dieſer Klaſſe

iſt folgender. Wenn der Beſitzer eines Grundſtücks mit

einer Vindication belangt, und rechtskräftig freygeſprochen

wird, ſo erwirbt er gegen den Kläger eine exceptio rei

 

(g) Man könnte ſagen, es ſtehe

bey ihm, durch eine Provocation

den Gegner zur Klage zu zwin-

gen; allein dieſes außerordentliche

Rechtsmittel, welches die neuere

Praxis als bloße Nothhülfe, und

zugleich als eine bloße Wohlthat

für den Provocanten, eingeführt

hat, kann nicht auf ſolche Weiſe

in den Rechtsverkehr eingreifen,

daß der unterlaſſene Gebrauch deſ-

ſelben als Nachläſſigkeit angeſehen

und beſtraft werden könnte, indem

dadurch jene Wohlthat eine ſehr

gefährliche Seite erhalten würde.

Unterholzner II. § 157.

|0433 : 419|

§. 254. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)

judicatae, aber keine Klage, weil der Inhalt des Urtheils

nur das Recht des Klägers verneinte, dem Beklagten aber

kein poſitives Recht zuſprach (h). Dieſe Exception kann

unſtreitig der Beklagte gebrauchen, auch wenn nach mehr

als 30 Jahren dieſelbe Klage von dem vorigen Kläger

oder einem Succeſſor deſſelben wiederholt wird.

§. 254.

Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Anwendung

auf Exceptionen. (Fortſetzung.)

Zweyte Klaſſe. Exception und Klage neben ein-

ander.

Für dieſen Fall, den häufigſten und wichtigſten unter

allen, iſt zuvörderſt der Begriff genau feſtzuſtellen.

 

Gewöhnlich denkt man ihn ſo, daß der Berechtigte

zwiſchen dieſen beiden Rechtsmitteln die Wahl habe, und

daß er durch jedes denſelben Zweck erreichen könne; des-

wegen, glauben Manche, müſſe die Vernachläſſigung der

Klage auch den Verluſt der damit identiſchen Exception

mit ſich führen.

 

Allein dieſe Auffaſſung iſt aus mehreren Gründen ver-

werflich. Zuerſt können niemals Klage und Exception

gleichzeitig anwendbar ſeyn, als Gegenſtände freyer Wahl

 

(h) L. 15 de exc. rei jud.

(44. 2.). Gewöhnlich rechnet man

hierher auch den Fall der doli

exceptio (L. 5 § 6 de doli exc.

44. 4.), weil durch deren Daſeyn

die doli actio ausgeſchloſſen werde

(§ 249. q); für dieſe aber wird

weiter unten eine andere Anſicht

aufgeſtellt werden (§ 255).

27*

|0434 : 420|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

des Berechtigten. Denn der Gebrauch der Exception kann

ſtets nur durch den Entſchluß des Gegners zur Klage

herbeygeführt werden, iſt alſo vorher gar nicht möglich.

Der wahre Sinn jener ſcheinbaren Concurrenz liegt nur

darin, daß neben meinem wirklich vorhandenen Klagrecht,

welches jeden Augenblick nach Willkühr gebraucht werden

kann, zugleich alle factiſche Bedingungen für eine Klage

des Gegners, und für meine Exception, wenn dieſe Klage

angeſtellt werden ſollte, vorhanden ſind (a). Es iſt alſo

ein großer Unterſchied zwiſchen einem ſolchen Fall, und

der Concurrenz der Klagen (§ 231 fg.); bey dieſer hatte

der Berechtigte wirklich die Wahl zwiſchen zwey gleichar-

tigen Thätigkeiten; hier hat er nur die Wahl zwiſchen

Thätigkeit und unthätigem Abwarten. — Zweytens iſt

auch die angebliche Identität des Zwecks nur ungefähr

wahr, nämlich nur wenn man auf den letzten äußeren Er-

folg ſieht, nicht auf die wahre juriſtiſche Wirkung. Denn

dieſe beſteht (wenn ich den Prozeß gewinne) bey der Klage

in Verurtheilung des Gegners, bey der Exception in mei-

(a) Wenn mir durch Drohung

eine Veräußerung abgezwungen

wird, und ich die Sache zufällig

wieder in Beſitz bekomme, ſo iſt

der gegenwärtig beſchriebene Fall

vorhanden, da alle Bedingungen

vorhanden ſind für eine Vindica-

tion des Gegners (welcher wirk-

lich Eigenthümer iſt) und meine

Vertheidigung durch metus ex-

ceptio. Wenn dagegen der Geg-

ner im Beſitz iſt, ſo habe ich eine

Klage aber keine Exception, da

der Gegner jetzt nicht die Möglich-

keit einer Klage gegen mich hat.

Es muß alſo erſt eine neue That-

ſache eintreten (Verluſt des Be-

ſitzes an mich), damit der Gegner

eine Klage erlange, und ich (für

den Fall ihrer Anſtellung) eine

Exception. Daher gehört dieſer

letzte Fall zur dritten Klaſſe.

|0435 : 421|

§. 254. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)

ner eigenen Freyſprechung, alſo in zwey juriſtiſch ganz

verſchiedenen Ereigniſſen. Nur kann oft der Erfolg dieſer

Ereigniſſe für den Umfang und die Sicherheit meines

Vermögens ziemlich derſelbe ſeyn; ob er Dieſes ſey oder

nicht, Das iſt von ſehr ungleichen und zufälligen Umſtän-

den abhängig.

Ehe ich die Beurtheilung dieſer Klaſſe von Fällen un-

ternehme, will ich dieſelbe durch eine Reihe von Beyſpie-

len anſchaulich zu machen ſuchen, damit über die Natur

und die Gränzen der Klaſſe ſelbſt keine Unklarheit übrig

bleibe. In jedem dieſer Fälle kommt es darauf an, ob

die Verjährung der Klage zugleich den Verluſt der (in

dem oben beſtimmten Sinn) concurrirenden Exception nach

ſich zieht, oder nicht; denn dahin haben ſich die beiden

Meynungen in dieſer Lehre ausgebildet.

 

1) Es wird im J. 1841 ein Landgut verkauft, ſo daß

die Tradition ſogleich, die Zahlung des Kaufgeldes im

J. 1843 erfolgen ſoll; von beiden Seiten unterbleibt die

Erfüllung. Hier verjährt die a. emti im J. 1871, die

a. venditi im J. 1873 (weil ſie erſt 1843 angeſtellt wer-

den konnte). In dieſer ganzen Zeit aber hatte auch jeder

Theil die exceptio non impleti contractus, wenn es etwa

dem Gegner einfiel zu klagen. Wird nun die a. venditi

im J. 1872 angeſtellt, ſo fragt es ſich, ob der Käufer,

deſſen eigene Klage ſchon ſeit einem Jahr verjährt iſt,

dennoch die erwähnte Exception gebrauchen kann (b).

 

(b) Ich bejahe dieſe Frage, Unterholzner II. § 159 verneint

|0436 : 422|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

2) Ein gekauftes Pferd ſtirbt bald nach dem Kauf an

einem heimlichen Fehler, noch vor gezahltem Kaufgeld.

Hier hat der Käufer eine redhibitoria actio auf Befreyung

von ſeiner Schuld, die in Sechs Monaten verjährt; da-

neben, wenn der Verkäufer auf das Kaufgeld klagt, auch

eine Exception (c). Es fragt ſich aber, ob dieſe Exception,

ungeachtet der Verjährung der Klage, noch gebraucht wer-

den kann, wenn die actio venditi nach Ablauf der Sechs

Monate angeſtellt wird (d).

 

3) Bey einer erzwungenen Stipulation hat der Schuld-

ner die Wahl, ob er mit der a. quod metus causa auf

Acceptilation klagen, oder die Stipulationsklage abwarten,

und ſich dann mit der exceptio metus vertheidigen will (e).

Nach dreyßig Jahren iſt die Klage gewiß verjährt; es

fragt ſich, ob nun auch die Exception verloren iſt (f).

 

4) Wenn einem Schuldner von ſeinem Glaubiger die

 

ſie. — Hier iſt ſelbſt der materielle

Erfolg der Rechtsmittel ſehr ver-

ſchieden; durch die Klage wird Er-

füllung bewirkt, durch die Excep-

tion Nichterfüllung (wenn nicht

etwa der Kläger die Erfüllung

anbietet, welches in dieſer Lage

ganz bey ihm ſteht). Nach Um-

ſtänden kann es dem Käufer ganz

gleichgültig ſeyn, ob von beiden

Seiten erfüllt oder nicht erfüllt

wird; vielleicht auch iſt ihm die

Erfüllung ſehr wichtig.

(c) L. 59 pr. § 1 de aedil. ed.

(21. 1.).

(d) Auch dieſe Frage, die ich

bejahe, wird von Unterholz-

ner II. § 159 verneint. — Hier

iſt der materielle Erfolg der Klage

und der Exception ganz gleich.

Eben ſo in allen folgenden Fällen.

(e) L. 9 § 3 quod metus (4. 2.).

(f) In den meiſten Fällen frey-

lich wird dieſe Frage deswegen

nicht vorkommen können, weil die

Stipulationsklage zu gleicher Zeit

mit der a. quod metus causa

verjährt ſeyn wird. Es giebt aber

Fälle, worin ihre Verjährung erſt

ſpäter anfängt, z. B. wenn die er-

zwungene Stipulation in diem

geſchloſſen war. Dieſe Bemer-

kung paßt auch auf die zwey fol-

genden Fälle.

|0437 : 423|

§. 254. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)

Befreyung von der Schuld legirt wird, ſo hat er die

Wahl, entweder gegen den Erben auf Acceptilation zu

klagen, oder die Schuldklage abzuwarten und ſich durch

Exception zu ſchützen (g). Es entſteht dieſelbe Frage, wie

in dem vorhergehenden Fall.

5) Wenn eine Geldſumme durch Stipulation verſpro-

chen wird aus einem irrig angenommenen Rechtsgrund,

etwa wegen eines vorausgeſetzten, aber nicht wirklich em-

pfangnen Darlehens, ſo kann der Schuldner mit einer

condictio sine causa auf Acceptilation klagen (h). Er

kann aber auch die Stipulationsklage abwarten, und dann

die doli exceptio entgegenſetzen (i).

 

6) Iſt ein ohne gehörigen Grund enterbter naher Ver-

wandter zufällig im Beſitz der Erbſchaft, ſo kann er den-

noch die querela inofficiosi anſtellen, weil ein an ſich gül-

tiges Teſtament vorhanden iſt, welches er durch Klage

anzufechten hat. Er kann aber auch die hereditatis pe-

titio des eingeſetzten Erben abwarten, und dann ſeine Be-

ſchwerde als Exception vorbringen (k).

 

(g) L. 3 § 3 de liberatione

leg. (34. 3.).

(h) L. 1 pr. L. 3 de cond.

sine causa (12. 7.), L. 31 de

cond. indeb. (12. 6.). Vgl. oben

§ 253. f.

(i) L. 5 § 1 de act. emti

(19. 1.), L. 3 C. de cond. indeb.

(4. 5.). — Es iſt weſentlich die-

ſelbe Exception, welche oben als

exceptio non numeratae pecu-

niae erwähnt worden iſt, nur hier

in ihrer reinen Geſtalt, ohne Ein-

wirkung der beſonderen Regel über

den Urkundenbeweis.

(k) L. 8 § 13 de inoff. test.

(5. 2.). In dieſem Fall, wie in

dem unter Num. 2 angeführten,

war die Klage auch ſchon zur Zeit

der alten Juriſten einer Verjäh-

rung unterworfen; in den übrigen

hier zuſammengeſtellten Fällen war

ſie es damals nicht.

|0438 : 424|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Ich wende mich jetzt zur Beurtheilung der zu dieſer

zweyten Klaſſe gehörenden Fälle, deren Natur durch eine

Reihe von Beyſpielen dargeſtellt worden iſt.

 

Man kann dabey zuerſt verſuchen, die oben behandelte

Streitfrage von der Wirkung der Klagverjährung (§ 249)

zur Anwendung zu bringen. Nimmt man nach Ablauf

derſelben eine fortdauernde naturalis obligatio an, ſo folgt

daraus nothwendig die Unverjährbarkeit der Exception, da

Jeder zugeben wird, daß dieſe aus dem früher vorhande-

nen Klagrecht noch übrige unvollſtändige Obligation allein

ſchon hinreichen würde, eine Exception zu begründen. Aus

der entgegengeſetzten Meynung möchte man geneigt ſeyn,

auch unſre jetzt vorliegende Frage auf entgegengeſetzte

Weiſe zu entſcheiden; dennoch folgt daraus dieſe Entſchei-

dung nicht nothwendig. Denn man kann die bisher vor-

handene Exception auch als ein ſelbſtſtändiges Recht, un-

abhängig von der daneben ſtehenden Klage, betrachten,

und dann haben die verſchiedenen Meynungen über die

Wirkung der Klagverjährung darauf gar keinen Einfluß.

Wir ſind dann vielmehr veranlaßt zu unterſuchen, ob das

Inſtitut der Klagverjährung an ſich ſelbſt, nach ſeinem

eigenen Geiſt und Zweck (§ 237), zu einer analogen An-

wendung auf die Exceptionen geeignet iſt, und dieſen

Standpunkt halte ich in der That für den einzigen, von

welchem aus eine befriedigende Löſung der vorliegenden

Streitfrage zu erwarten iſt.

 

Auf den erſten Blick möchte man glauben, die Nach-

 

|0439 : 425|

§. 254. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)

läſſigkeit, die den allgemeinſten Grund der Verjährung

bildet, ſey auch hier wahrzunehmen, da in der That der

Berechtigte klagen konnte und zu klagen unterlaſſen hat.

Allein bey genauerer Betrachtung verſchwindet dieſer Schein.

Die Nachläſſigkeit, woraus die Klagverjährung entſpringt,

beſteht darin, daß der Berechtigte unterläßt, den ihm ent-

zogenen Genuß eines Rechts durch Klage wieder zu ge-

winnen. Derjenige aber, von welchem hier die Rede iſt,

hat im Weſentlichen den Genuß ſeines Rechts, und die

Klage, die er verjähren ließ, hätte ihm für dieſen Genuß

eigentlich nur eine andere und vollſtändigere Rechtsform

verſchaffen können, ohne ſeinen Zuſtand weſentlich zu ver-

beſſern. — Und auf denſelben Erfolg führt die genauere

Betrachtung der Lage, worin ſich der Gegner befindet.

Der erſte und allgemeinſte Zweck der Klagverjährung geht

dahin, daß der factiſche Zuſtand, ſo wie er viele Jahre

hindurch ohne Anfechtung beſtanden hat, vollkommene

Rechtsſicherheit erlange. In den Fällen aber, von wel-

chen hier die Rede iſt, hat Der, welcher jetzt die Verjäh-

rung der Exception in Anſpruch nehmen möchte, den ruhi-

gen Genuß eines ſolchen factiſchen Zuſtandes noch gar

nicht gehabt; es war ſtets ein zweydeutiges, unentſchie-

denes Verhältniß geweſen, welches auch ihn veranlaſſen

konnte, ſchon früher mit einer Klage aufzutreten, wenn

auch die Verjährungszeit dieſer Klage jetzt noch nicht ab-

gelaufen ſeyn mag (Note f).

Soll nun ferner als Grund der Verjährung auch die

 

|0440 : 426|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Verminderung der Prozeſſe gelten, inſofern dieſe nicht zum

Schutz eines ſicheren Rechts unentbehrlich ſind, ſo handelt

ja Der, von welchem hier die Rede iſt, ganz im Sinn der

Verjährungsgeſetze. Er unterläßt aus Liebe zum Frieden

die Klage, die ihm meiſt nur eine größere formelle Sicher-

heit gewährt hätte, indem er ſich mit dem ihn befriedigen-

den materiellen Zuſtand begnügt.

Endlich iſt ein beſonders wichtiger Grund der Ver-

jährung, die durch lange Zögerung für den Beklagten oft

ſehr erſchwerte Vertheidigung, worauf der Kläger ſogar

mit unredlicher Abſicht hinwirken kann. Die hieraus ent-

ſtehende Gefahr aber trifft in unſrem Fall gerade Den-

jenigen ſelbſt, welchen wir noch nach der Verjährungszeit

zum Gebrauch der Exception zulaſſen wollen; er ſelbſt lei-

det darunter, nicht ſein Gegner, ſo daß dadurch Niemand

unbillig verletzt wird. Zwar könnte man ſagen, der Geg-

ner habe vielleicht eine Replication, deren Gebrauch ihm

nun durch die Länge der Zeit erſchwert werde. Allein

theils iſt der Fall der Replicationen an ſich weit ſeltner

und unerheblicher, als die ſehr mannichfaltige erſte Ver-

theidigung des Beklagten; theils hatte der Gegner, nach

unſrer Vorausſetzung, auch ſelbſt ſtets ein Klagrecht, und

er hat es alſo ſich ſelbſt zuzuſchreiben, wenn zu ſeinem

Nachtheil die Erledigung des ſtreitigen Rechtsverhältniſſes

ſo lange verzögert worden iſt.

 

Das Gewicht dieſer allgemeinen Gründe wird recht

einleuchtend durch die nähere Betrachtung der beiden erſten

 

|0441 : 427|

§. 254. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)

Fälle, die oben als Beyſpiele angegeben worden ſind.

Wenn bey dem gekauften Landgut beide Contractsklagen

ſo viele Jahre verſäumt wurden, ſo lag es ohne Zweifel

daran, daß bey genauerer Erwägung kein Theil ein großes

Intereſſe an der Erfüllung des Vertrags fand. Sie un-

terließen die Aufhebung deſſelben, weil jeder Theil noch

im Genuß ſeines urſprünglichen Zuſtandes war, und die

weitere Entwicklung äußerer Umſtände abwarten wollte,

um einen letzten Entſchluß zu faſſen. Wenn nun dieſer

Zuſtand gegenſeitiger Zögerung und Unſchlüſſigkeit bis

zum J. 1872 fortdauert, ſo wäre es doch die größte Un-

gerechtigkeit, den Käufer das Geld und das Landgut zu-

gleich verlieren zu laſſen, blos weil zufälligerweiſe im Ver-

trag verſchiedene Zeitpunkte der gegenſeitigen Leiſtungen

ausbedungen waren.

Nicht anders verhält es ſich mit dem gekauften und

bald nachher geſtorbenen Pferd. Vielleicht hat der Käufer

dem Verkäufer den Tod ſogleich angezeigt, und da dieſer

keine Einwendung machte (ohne doch ausdrücklich auf das

Kaufgeld zu verzichten), ſich damit begnügt, daß noch kein

Geld bezahlt ſey. Die Annahme einer Verjährung der

Exception wäre ohne Vergleichung härter, als die Ver-

jährung der redhibitoriſchen Klage auf das ſchon bezahlte

Kaufgeld ſeyn würde.

 

Dritte Klaſſe. Klage ohne Exception.

Dieſer Fall iſt ſo zu denken, daß der in ſeinem Recht

Verletzte, welcher ein Klagrecht hat, in einer ſolchen Lage

 

|0442 : 428|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

ſich befindet, worin der Gegner keine Klage gegen ihn,

alſo auch er keine Exception gegen Jenen, anwenden kann.

Erſt nach vollendeter Klagverjährung ändern ſich die That-

ſachen ſo, daß der Gegner eine Klage gegen ihn erwirbt,

und nun von ſeiner Seite eine Exception gedacht werden

könnte, deren Verjährung jetzt in Frage kommt.

Ein Beyſpiel iſt dieſes. Der Eigenthümer eines Grund-

ſtücks wird durch Drohungen zur Veräußerung eines Land-

gutes beſtimmt, und der Gegner erhält ſich fortwährend

im Beſitz. Hier hat er die actio quod metus causa, aber

zu einer Exception fehlt es an allen factiſchen Bedingun-

gen, da der Andere weder das Bedürfniß noch die Mög-

lichkeit hat, gegen ihn zu klagen. Nachdem die Klage

verjährt iſt, erhält der Gezwungene durch Zufall den Beſitz,

der Andere ſtellt gegen ihn die Eigenthumsklage an, und es

fragt ſich ob er die exceptio metus vorſchützen kann, oder

ob dieſe zugleich mit der gleichnamigen Klage verjährt iſt.

 

Die Fälle dieſer Klaſſe ſind weniger häufig und wich-

tig, als die der vorhergehenden.

 

Hier hängt, wie ich glaube, die Entſcheidung der

Frage lediglich von der Meynung ab, die von der Wir-

kung der Klagverjährung gefaßt wird. Wer eine fort-

dauernde naturalis obligatio nach vollendeter Verjährung

annimmt, ſo wie ich, muß die Verjährung der Exception

verwerfen, da dieſe Obligation hinreicht, um eine Excep-

tion zu erzeugen, wozu erſt jetzt das Bedürfniß entſtanden

iſt, und in deren Gebrauch daher keine Verſäumniß Statt

 

|0443 : 429|

§. 255. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)

finden konnte. Wer die naturalis obligatio verneint, wird

damit zugleich die Grundlage für die Entſtehung jener

Exception leugnen (l). Die praktiſchen Gründe aber, welche

in den Fällen der zweyten Klaſſe das Verfahren des

Verletzten gegen den Vorwurf der Nachläſſigkeit rechtferti-

gen, und dadurch dem Verluſt der Exception, unabhän-

gig von jener Streitfrage, entgegen ſtanden — dieſe

Gründe fallen hier allerdings hinweg.

§. 255.

Aufhebung des Klagrechts. III. Verjährung. Anwendung

auf Exceptionen. (Fortſetzung.)

Bisher iſt dieſe Streitfrage blos von dem Standpunkt

allgemeiner Gründe betrachtet worden; es bleibt übrig zu

unterſuchen, was darüber in den Quellen des Römiſchen

Rechts zu finden iſt.

 

Die einzige Stelle, die mit Grund für dieſe Frage be-

nutzt werden kann, iſt in folgenden Worten des Paulus

enthalten (a).

 

Non sicut de dolo actio certo tempore finitur, ita

etiam exceptio eodem tempore danda est: nam haec

perpetuo competit: cum actor quidem in sua potes-

tate habeat, quando utatur suo jure: is autem cum

 

 

(l) Hier fällt alſo die Frage

zuſammen mit der ſchon oben auf-

geworfenen, wegen der Möglichkeit

der Compenſation; vorausgeſetzt,

daß ich meine Klage habe verjäh-

ren laſſen, und die Forderung des

Gegners, welche ich durch Com-

penſation beſtreiten will, erſt nach

vollendeter Verjährung entſtanden

iſt. Vgl. § 251. Num. IV.

(a) L. 5 § 6 de doli exc.

(44. 4.).

|0444 : 430|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

quo agitur, non habeat potestatem, quando conve-

niatur.

Von Mehreren iſt dieſe Stelle als Beweis für die

Verjährbarkeit der zur zweyten Klaſſe gehörenden Excep-

tionen durch folgende Auslegung geltend gemacht worden (b).

Wenn ich durch Betrug zu einer Stipulation verleitet wor-

den bin, ſo ließe ſich ein zwiefacher Schutz für mich den-

ken, durch doli actio, und durch doli exceptio gegen die

Stipulationsklage des Betrügers. Da mich aber dieſe

letzte hinreichend ſchützt, ſo ſoll mir die erſte, zur Scho-

nung der Ehre des Gegners, verſagt werden (c). Daher

gehört dieſer Fall zur erſten Klaſſe, indem der Betrogene

lediglich eine Exception und keine Klage hat. Dazu paßt

auch der am Schluß der Stelle angegebene Grund, wel-

cher die Abweſenheit aller Nachläſſigkeit vorausſetzt; und

eben dieſer Grund beweiſt für die entgegengeſetzte Behand-

lung der Fälle zweyter Klaſſe, weil in dieſen in der That

eine Klage möglich war, deren Verſäumniß alſo eine Nach-

läſſigkeit in ſich ſchließt. — So weit dieſe Auslegung, die

ich aus folgenden Gründen verwerfen muß.

 

In dem angeführten Fall hat der betrogene Schuldner

allerdings auch eine Klage, nur nicht die infamirende, auf

kurze Zeit eingeſchränkte doli actio, ſondern eine actio in

factum, welche dem Betrogenen in ſo weit Entſchädigung

verſchafft, als der Betrüger außerdem reicher ſeyn

 

(b) Rave § 165. Unterholz-

ner II. § 157.

(c) L. 1 § 4. L. 40 de dolo

(4. 3.).

|0445 : 431|

§. 255. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)

würde, alſo gerade ſo weit als auch die doli exceptio

reicht (d). Dieſe Klage ſogleich anzuſtellen kann für den

Betrogenen zuweilen ſehr wichtig ſeyn, weil er vielleicht

jetzt den Beweis des Betrugs mit Sicherheit führen wird,

der ihm in ſpäterer Zeit durch den Tod der Zeugen ent-

gehen kann. Mithin gehört dieſer Fall in der That nicht

zur erſten ſondern zur zweyten Klaſſe (e), und ſpricht alſo

vielmehr für unſre Meynung. Ja auch der am Schluß

angeführte Grund iſt, genauer angeſehen, unſrer Meynung

günſtig. Denn obgleich der Betrogene nach der hier auf-

geſtellten Anſicht jeden Augenblick klagen könnte, ſo iſt es

doch wörtlich wahr, was hier Paulus ſagt, daß er im

Gebrauch der Exception gar keinen eignen Willen

hat, ſondern ganz von der Willkühr des Gegners abhängt,

der zur Anſtellung ſeiner Klage die Zeit wählen kann, die

ihm die vortheilhafteſte ſcheint. Daher würde es unge-

recht ſeyn, die Exceptionen als ſolche irgend einer Verjäh-

rung zu unterwerfen, und davon allein iſt hier die Frage.

— Ich glaube alſo, daß dieſe Stelle, durch die in ihr

ausgeſprochene Rechtsanſicht, die Unverjährbarkeit der Ex-

ceptionen zweyter Klaſſe unterſtützt. Nur kann ich ſie

freylich nicht für eine unmittelbare Entſcheidung der vor-

liegenden Streitfrage halten. Damit ſie Dieſes ſeyn könnte,

müßte Paulus in der That an die Concurrenz einer Ex-

ception mit einer verjährbaren Klage denken, und er

(d) L. 28. 29 de dolo (4. 3.).

(e) Der Fall iſt alſo ganz

ähnlich dem oben erwähnten von

der metus exceptio (§ 254. e).

|0446 : 432|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

müßte die Fortdauer der Exception nach Ablauf der Klag-

verjährung behaupten. Die wirklich concurrirende actio

in factum aber war zu ſeiner Zeit perpetua im ſtrengſten

Sinn des Wortes, ohne alle Verjährung, der Fall, der

ihm vorſchwebte, war alſo von unſren Fällen der zweyten

Klaſſe verſchieden, und Paulus begnügte ſich, Dasjenige

zu verneinen, was in ſeiner Zeit allein in Frage geſtellt

werden konnte, nämlich die Beſchränkung der doli excep-

tio auf die kurze Dauer der gleichnamigen doli actio, von

welcher die Gegner mit Recht behaupten, daß ſie mit der

doli exceptio nicht concurrirt, da ſie durch dieſe letzte viel-

mehr ausgeſchloſſen iſt.

Die übrigen Stellen greifen in unſre Streitfrage noch

weniger ein, als die eben erklärte, und ich will ſie nur

deswegen erwähnen, damit nicht ein dunkler Raum übrig

bleibe, welcher ſtets ein Gefühl von Unſicherheit zu erre-

gen pflegt (f).

 

Ein Reſcript von Diocletian lautet alſo (g):

 

(f) Einige derſelben, die wohl

auch angeführt werden, laſſen ſich

mit wenigen Worten abthun. Die

L. 9 § 4 de jurejur. (12. 2.),

worauf Unterholzner II. § 158

Gewicht legt, ſpricht von Verjäh-

rung der Reſtitution, nicht der Ex-

ception. Vgl. § 253. d. — L. 8

§ 13 de inoff. (5. 2.) ſpricht we-

der für noch gegen die Verjäh-

rung der Exception, ſondern nur

im Allgemeinen von ihrer Zuläſ-

ſigkeit. Vgl. § 254. i. — Die

L. 30 § 6 de peculio (15. 1.)

kann man nur dadurch auf die

Verjährung der Exceptionen bezie-

hen, daß man ſich durch die Worte:

in dolo objiciendo und nachher

objici täuſchen läßt. In der That

ſpricht ſie von der a. de peculio

gegen den qui dolo fecit quo

minus quid esset in peculio

(L. 21 eod.), und dieſe Klage

ſoll dieſelbe Verjährung haben,

wie die doli actio, von welcher

ſie in der That nur eine einzelne

Anwendung iſt.

(g) L. 5 C de except. (8. 36).

|0447 : 433|

§. 255. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)

Licet unde vi interdictum intra annum locum ha-

beat, tamen exceptione perpetua succurri ei, qui per

vim expulsus post retinuit possessionem, auctoritate

juris manifestatur.

Man möchte glauben, dieſe Stelle enthalte folgenden

hierher gehörenden Satz: das Interdict iſt als Klage ein-

jährig, als Exception unverjährbar; dann würde ſie un-

mittelbar für unſre Meynung entſcheiden. Allein darauf iſt

mit Grund geantwortet worden, die Exception könne ohne-

hin nur ungerechte Bereicherung des Klägers abwehren, in

dieſer Beſchränkung aber ſey auch das Interdict als Klage

unverjährbar geweſen (h). So richtig dieſe Antwort an ſich

iſt, ſo bleibt dabey die Hauptſchwierigkeit ungelöſt, wie

man ſich die Klage des Gegners zu denken hat, gegen

welche dieſe Exception gebraucht werden ſoll. Man wird

zunächſt an eine Vindication denken; allein der Eigen-

thumsklage kann im Allgemeinen keine Exception aus dem

bloßen Beſitz entgegengeſetzt werden. Daher hat man mit

vielem Schein die Strafe der Selbſthülfe mit hinzu genom-

men; der Gegner, ſagt man, habe ſein Eigenthum durch

Selbſthülfe verloren, und dieſer Verluſt werde durch die

erwähnte Exception geltend gemacht (i). Allein dieſes wäre

keine Exception, ſondern Verneinung des Eigenthums; es

würde auch über die (oben als unverjährbar erkannte)

 

(h) L. 1 pr. § 48 L. 3 § 1

de vi (43. 16.).

(i) Unterholzner II. S. 24.

V. 28

|0448 : 434|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Abwehr der Bereicherung hinaus gehen, und eine reine

Strafe enthalten; ganz beſonders aber iſt der Verluſt des

Eigenthums in Folge der Selbſthülfe weit neuer als Dio-

cletian (k). — Die Sache iſt aber wohl ſo zu denken.

Zwiſchen mir und Gajus iſt das Eigenthum eines Grund-

ſtücks ſtreitig; er verdrängt mich gewaltſam aus dem Be-

ſitz, es kommen aber ſpäter wieder Thatſachen vor, die

den Beſitzſtand zweifelhaft machen, und da Gajus die

Sache zur Entſcheidung zu bringen wünſcht, ſo ſtellt er

gegen mich das Interdict uti possidetis an, um mich dem-

nächſt zur Anſtellung der Vindication zu nöthigen. Gegen

dieſes Interdict habe ich die exceptio violentae posses-

sionis (l), und Dieſe iſt, wie das vorliegende Reſcript

ſagt, nicht ſo, wie das Interdict de vi an eine kurze Ver-

jährung gebunden. — Dieſer Ausſpruch nun wird aller-

dings ſchon durch den oben angegebenen Grund völlig ge-

rechtfertigt, und es iſt daher in dieſer Stelle eine entſchie-

dene Anerkennung der gänzlichen Unverjährbarkeit aller

Exceptionen nicht enthalten.

Ein anderes Reſcript deſſelben Kaiſers drückt ſich ſo

aus (m):

Si pactum intercessit, in exceptione sine temporis

praefinitione de dolo replicare potes.

 

(k) Die L. 7 C. unde vi (8.

4.) iſt vom J. 389.

(l) L. 1 pr. § 5. 9 uti poss.

(43. 17.).

(m) L. 6 de except. (8. 36.).

|0449 : 435|

§. 255. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)

Der Schuldner aus einer Stipulation hatte vermittelſt

eines Betrugs den Erlaß durch bloßes Pactum bewirkt.

Gegen die Stipulationsklage wird die pacti exceptio ge-

braucht werden; allein dieſe wird durch die doli replica-

tio entkräftet, welche nach dem Ausſpruch des Kaiſers nicht

an die Verjährung der gleichnamigen doli actio gebunden

iſt. Dieſe Entſcheidung könnte höchſtens die Unverjähr-

barkeit der Replicationen beweiſen, nicht die der Exceptio-

nen; ſie beweiſt aber auch jene nicht, weil dieſe Replica-

tion, eben ſo wie im vorigen Fall die Exception, blos die

ungerechte Bereicherung abwehren ſoll, in welcher Bezie-

hung auch ſchon die Klage jener kurzen Verjährung ent-

zogen war. — Übrigens paßt dieſe Stelle nicht mehr in

den Zuſammenhang des Juſtinianiſchen Rechts. Denn

wenn jetzt ſeit dem betrüglichen Erlaßvertrag die 30 Jahre

abgelaufen ſind, durch welche man die doli replicatio für

verjährt halten könnte, ſo muß ſchon früher die Stipula-

tionsklage verjährt ſeyn; dann aber ſteht derſelben die

temporalis praescriptio entgegen, und die pacti exceptio,

worauf allein die doli replicatio ſich hätte beziehen kön-

nen, kommt gar nicht zur Sprache.

 

Die Schriftſteller haben die eben behandelte Streitfrage

gewöhnlich in einem engeren Sinn aufgefaßt, als hier ge-

ſchehen iſt. Über die Fälle der erſten Klaſſe iſt gar kein

Streit; dabey erkennen Alle die Unverjährbarkeit der Ex-

 

28*

|0450 : 436|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

ception an. Die Fälle der dritten Klaſſe werden gewöhn-

lich nicht in dieſem Zuſammenhang unterſucht, ſondern

in Verbindung mit der früher abgehandelten Streitfrage

wegen der Wirkung der Klagverjährung. Der Streit iſt

alſo faſt ausſchließend auf die Fälle der zweyten Klaſſe

gerichtet, die auch ohnehin die häufigſten und wichtig-

ſten ſind.

Hierüber nun hat in neueren Zeiten die Mehrzahl nam-

hafter Schriftſteller die richtige Meynung angenommen (n).

In früherer Zeit war die entgegengeſetzte faſt allgemein

herrſchend, und es hat ihr auch in der neueſten Zeit nicht

an einzelnen Vertheidigern gefehlt (o).

 

Die Praxis der Gerichte iſt bis auf die neueſte Zeit

eben ſo verſchieden geweſen, als die Lehre der Schriftſtel-

ler (p). An eine Entſcheidung der Frage durch gleich-

 

(n) Claproth de rebus me-

rae facultatis Götting. 1752 §

2—7 (gründlich und gut), We-

ber Beyträge von Klagen S.

6—14, Glück B. 20 S. 161. 162.

Mühlenbruch II. § 481, Gö-

ſchen S. 471. Eigentlich gehört

dahin auch Büchel Erörterungen

Heft 1. S. 8—21, der nur in der

Auffaſſung abweicht. Er legt das

Hauptgewicht darauf, daß die

Klage und die Exception juriſtiſch

verſchiedene Objecte haben, wel-

ches ich zwar auch oben anerkannt

habe, jedoch ohne es für das ent-

ſcheidende Moment zu halten.

(o) Ältere Schriftſteller ſind an-

geführt bey Claproth l. c. § 2

not. 2. — Neuere: Rave § 165,

Unterholzner II. § 156—160,

Pfeiffer praktiſche Ausführungen

B. 3 S. 73—82. — Thibaut

hat auch hier ſehr verſchiedene

Meynungen vertheidigt, welches

mit ſeinem Schwanken über die

Wirkung der Klagverjährung zu-

ſammen hängt (§ 248. n.). Ber-

jährung S. 150. 151., Pandekten 7te

Ausg. § 1062, 8te Ausg. § 1025.

(p) Für die richtige Meynung

(ſowohl nach gemeinem, als nach

Preußiſchem Recht) iſt das Berli-

ner Obertribunal: Simon und

Strampff Entſcheidungen des

Obertribunals B. 1. Berlin 1837.

S. 120—136. — Für die entge-

|0451 : 437|

§. 255. Verjährung der Exceptionen. (Fortſetzung.)

förmige Praxis iſt alſo nach keiner Richtung hin zu

denken.

Ein Ausſpruch neuerer Geſetzgebung über dieſe Frage

iſt mir nicht bekannt; es wird alſo wohl überall diejenige

Meynung zur Anwendung kommen, die für das gemeine

Recht als richtig angeſehen wird.

 

gengeſetzte das Oberappellations-

gericht zu Caſſel: Pfeiffer a. a.

O., wo jedoch die Verjährung der

Exceptionen, und die ganz verſchie-

dene Verjährung der Reſtitution,

ſehr durcheinander geworfen werden.

|0452 : [438]|

|0453 : [439]|

Beylagen.

XII. XIII. XIV.

|0454 : [440]|

|0455 : [441]|

Beylage XII.

Quanti res est.

(Zu § 216. Note u) (a).

I.

Der Gegenſtand ſehr vieler Klagen wird ausgedrückt

durch die Worte: quanti res est, und dieſe Worte wur-

den daher ſehr gewöhnlich in die Condemnatio, das heißt

in den letzten Theil der formula im älteren Römiſchen

Prozeß, geſetzt. Eben ſo kamen dieſe Ausdrücke in manchen

Stipulationen vor, aus welchen ſie dann gleichfalls, wenn

es zur Klage kam, in die Condemnatio übergiengen.

Welches war nun der Sinn jener Worte?

 

Es giebt wenige Ausdrücke in der Römiſchen Sprache,

die ſo viele Bedeutungen anzunehmen fähig ſind, wie das

Wort res, und dieſer Umſtand macht auch die Beantwor-

 

(a) Man könnte glauben, die

Beſeitigung einer möglichen fal-

ſchen Anſicht über die formula in

factum concepta ſey zu unbe-

deutend, um eine beſondere Unter-

ſuchung über den hier bezeichneten

Gegenſtand zu rechtfertigen. Allein

die Bedeutung der Ausdrücke quanti

res est iſt für die Natur und

Wirkung vieler einzelnen Klagen

wichtig, und es iſt ganz zufällig,

daß jene Veranlaſſung ſchon hier

eine Unterſuchung herbeyführt, die

außerdem an anderen Stellen ohne-

hin unentbehrlich ſeyn würde.

|0456 : 442|

Beylage XII.

tung der hier aufgeworfenen Frage zweifelhaft. Da näm-

lich res ſowohl einen ſichtbaren, handgreiflichen Gegenſtand

bezeichnet, als auch ein Geſchäft, eine Angelegenheit, ſo

bieten ſich ſogleich zwey mögliche Erklärungen der ange-

gebenen Ausdrücke dar. Sie können erſtlich heißen: ſo

viel die ſtreitige Sache nach gewöhnlichen Preiſen werth

iſt (Sachwerth); zweytens: ſo weit der Berechtigte bey

dem vorliegenden Rechtsſtreit, oder bey der vorgefallenen

Verletzung, intereſſirt iſt (Intereſſe).

In vielen Fällen wird der Sachwerth mit dem In-

tereſſe völlig übereinkommen. — In anderen Fällen wird

das Intereſſe mehr betragen als der Sachwerth. Wenn

ich ein Pferd, das 100 werth iſt, vermiethe, dann aber

an einen Dritten verkaufe, und dieſem eine Conventional-

ſtrafe von 150 für den Fall der fehlenden Ablieferung

verſpreche, der Miether nun ſich das Pferd ſtehlen läßt

und mich dadurch außer Stand ſetzt, den Kaufcontract zu

erfüllen, ſo beträgt das Intereſſe, welches mir der Mie-

ther vergüten muß, 150, mithin mehr als der Sach-

werth (a). — Wenn dagegen die Exhibition einer Sache

gefordert und verweigert wird, ſo hat der Beklagte in

Geld das Intereſſe der verweigerten Exhibition zu vergü-

ten, welches oft weit weniger als der Sachwerth betragen

wird (b). Eben ſo geht die condictio furtiva auf das

 

(a) Ein ſolcher Fall (nur bey

der furti actio) wird erwähnt in

L. 67 § 1 de furtis (47. 2.) ſ. u.

Num. V. c.

(b) L. 9 § 8 ad exhib. (10. 4.).

|0457 : 443|

Quanti res est. II.

Intereſſe des erlittenen Diebſtahls für jeden Beſtohlenen.

Iſt nun der Kläger Eigenthümer der geſtohlenen Sache,

ſo wird dieſes Intereſſe wenigſtens dem Sachwerth gleich

kommen, vielleicht ihn überſteigen (c); iſt er aber nur

Pfandglaubiger, Uſufructuar oder Uſuar, ſo wird dieſes

Intereſſe ſtets geringer, und oft viel geringer ſeyn als der

Sachwerth (d). — Dieſe verſchiedene Natur der möglichen

Fälle wird auch ſchon von den alten Juriſten ſehr be-

ſtimmt anerkannt (Num. III.).

II.

Die Erklärung jener Worte vom Sachwerth iſt die

buchſtäblichere, die von dem Intereſſe ſchließt ſich mehr

dem Sinn und inneren Weſen der Rechtsverhältniſſe an,

und ſo wird man ſchon im Allgemeinen geneigt ſeyn an-

zunehmen, daß die erſte in der älteren Zeit, ſpäter aber

die zweyte, geherrſcht haben möchte.

 

Dieſe Annahme läßt ſich am vollſtändigſten durchfüh-

ren bey der actio Legis Aquiliae. Beide noch im Juſti-

nianiſchen Recht übrige Kapitel derſelben enthalten die

Ausdrücke: quanti id fuit, quanti ea res erit (a). Dieſes

wurde urſprünglich von dem bloßen Sachwerth verſtan-

den; ſpäter aber erkannte man zwar auch noch an, daß

die Worte des Geſetzes nicht weiter als auf den Sach-

 

(c) L. 3 de cond. furt. (13. 1.).

(d) L. 12 § 2 de cond. furt.

(13. 1.), L. 22 § 2 de pign. act.

(13. 7.).

(a) L. 2 pr. L. 27 § 5 ad L.

Aquil. (9. 2.).

|0458 : 444|

Beylage XII.

werth giengen, man erweiterte jedoch durch Interpretation

den Inhalt der Klage auf das ganze, noch außer dem

Sachwerth erweisliche, Intereſſe (b), und dieſe Erweite-

rung wird als das geltende neueſte Recht bezeichnet (c).

III.

Das Interdict uti possidetis hatte der Prätor mit den

Worten quanti res erit angekündigt (a). Der Juriſt Ser-

vius nahm Dieſes buchſtäblich, von dem Sachwerth, Ul-

pian aber verwirft dieſe Meynung mit großer Entſchieden-

heit. Die merkwürdige Stelle lautet vollſtändig ſo:

 

L. 3 § 11 uti poss. (43. 17.).

In hoc interdicto condemnationis summa refertur ad

rei ipsius aestimationem.

Den Worten nach (ſagt Ulpian) wird die Condem-

natio auf den Sachwerth bezogen.

Quanti res est, sic accipimus, quanti uniuscujusque

interest, possessionem retinere.

Indeſſen faſſen wir die im Edict gebrauchten Aus-

 

(b) § 10 J. de L. Aquilia

(4. 3.) „Illud non ex verbis le-

gis, sed ex interpretatione

placuit, non solum peremti cor-

poris aestimationem habendam

esse, sed eo amplius, quidquid

praeterea, peremto eo corpore,

damni vobis allatum fuerit” rel.

(c) L. 21 § 2 ad L. Aquil.

(9. 2.) „Sed utrum corpus ejus

solum aestimamus quanti fue-

rit, cum occideretur, an potius,

quanti interfuit nostra non esse

occisum? Et hoc jure utimur,

ut ejus quod interest fiat aesti-

matio.” Die in den Worten des

Geſetzes vorgeſchriebene künſtliche

Zurückrechnung hat mit dieſem Ge-

genſatz gar Nichts zu ſchaffen, und

läßt ſich auf den bloßen Sach-

werth, wie auf das Intereſſe, gleich-

mäßig anwenden. L. 23 § 6 eod.

(a) L. 1 pr. uti poss. (43. 17.).

|0459 : 445|

Quanti res est. IV.

drücke nicht ſo buchſtäblich auf, ſondern verſtehen

ſie vielmehr von dem Intereſſe, welches der Kläger

bey der Erhaltung des Beſitzes hat.

Servii autem sententia est existimantis tanti posses-

sionem aestimandam, quanti ipsa res est.

Servius freylich wollte jene Ausdrücke buchſtäblich

erklären, von dem Eigenthumswerth der Sache

ſelbſt.

Sed hoc nequaquam opinandum est: longe enim

aliud est rei pretium, aliud possessionis.

IV.

Ganz dieſelbe Behandlung tritt auch ein bey dem In-

terdict de vi, und die hierauf bezügliche Stelle des Paulus

hat noch mehr praktiſche Ausführlichkeit als die eben an-

geführte des Ulpian.

 

L. 6 de vi (43. 16.).

In interdicto unde vi tanti condemnatio facienda est,

quanti intersit possidere: et hoc jure nos uti Pompo-

nius scribit, id est, tanti rem videri, quanti actoris in-

tersit: quod alias minus esse, alias plus: nam saepe

actoris pluris interesse hominem retinere, quam

quanti is est: veluti cum quaestionis habendae, aut

rei probandae gratia, aut hereditatis adeundae, in-

tersit ejus eum possideri.

In den erhaltenen Worten des Edicts (a) ſteht zwar

 

(a) L. 1 pr. de vi (43. 16.).

|0460 : 446|

Beylage XII.

das quanti res est nicht; daß es aber dennoch im Edict

vorhanden war, erhellt aus den Worten unſrer Stelie:

tanti rem videri, die offenbar als Interpretation der

Edictsworte quanti res est gelten ſollen. — Daß auch

hier früher eine abweichende buchſtäblichere Erklärung ver-

ſucht wurde, wird nicht ausdrücklich geſagt, doch wird

darauf hingedeutet in den Worten: hoc jure nos uti

(Num. II. c.), indem hierin auf die praktiſche Anerkennung

des Satzes Gewicht gelegt, und dafür das Zeugniß des

Pomponius angeführt wird.

V.

Schwieriger und beſtrittener ſteht die Sache bey der

furti actio. Hier wird bald der zweyfache, bald der drey-

fache oder vierfache Werth gefordert, als reine Strafe,

und es fragt ſich, welches Simplum dieſen Multiplicatio-

nen zum Grunde zu legen iſt. Da die Klage aus den

Zwölf Tafeln herkam, iſt es nicht unwahrſcheinlich, daß

die Art ihrer Anwendung dieſelbe Entwicklung erfahren

hat, wie die der actio Legis Aquiliae (Num. II.).

 

Daß auch hier die Ausdrücke quanti res est irgendwo

gebraucht worden waren, ſey es in den Zwölf Tafeln,

oder im Edict bey Einführung der actio furti manifesti,

oder in den Klagformularen, wird faſt gewiß durch fol-

gende Stelle des Javolenus:

 

L. 9 de in litem jur. (12. 3.).

|0461 : 447|

Quanti res est. V.

Cum furti agitur, jurare ita oportet, tanti rem fuisse,

cum furtum factum sit.

Dieſe Worte haben nur Sinn, wenn man ſie auf das

im Geſetz oder Edict ſtehende quanti res est bezieht, wel-

ches durch den Eid auf den einzelnen Fall angewendet

werden ſollte.

 

Über die praktiſche Deutung jener Worte nun ſind fol-

gende Stellen zu bemerken. Zuerſt muß unterſchieden wer-

den, ob der Beſtohlene, welcher die Klage anſtellt, Eigen-

thum oder ein bloßes jus in re an der geſtohlenen Sache

hat. Im letzten Fall iſt es unzweifelhaft, daß das Sim-

plum blos in des Klägers Intereſſe beſtehen kann, wel-

ches hier ſtets geringer ſeyn wird als der Sachwerth (a).

Im erſten Fall dagegen, wenn der beſtohlene Eigenthümer

klagt, kann gezweifelt werden, ob das Simplum in dem

reinen Sachwerth, oder in dem, vielleicht höheren, viel-

leicht geringeren Intereſſe beſteht. Auch hier nun iſt, der

richtigeren Meynung nach, das Intereſſe anzunehmen.

 

Ich will zuerſt einige Entſcheidungen einzelner Rechts-

fälle anführen, die ſtets unzweydeutiger ſind, als abſtracte

Regeln.

 

Wenn einem Glaubiger Schuldurkunden geſtohlen wer-

den, ſo glaubten Einige, das Simplum beſtehe blos in

dem unbedeutenden Sachwerth der mit Wachs überzoge-

 

(a) L. 80 § 1 de furtis (47. 2.)

von Papinian: „.. Quia itaque

tunc sola utilitas aestimationem

facit, cum cessante dominio

furti actio nascitur, in istis

causis ad aestimationem cor-

poris furti actio referri non

potest.”

|0462 : 448|

Beylage XII.

nen Holztafeln; Paulus aber nimmt als Simplum das

volle Intereſſe an, welches nach Umſtänden der ganzen

Schuldſumme, worauf die Urkunde geſtellt war, gleich

kommen kann (b).

Wenn der Beſtohlene unter einer Conventionalſtrafe

verſprochen hatte, die Sache an einem beſtimmten Tage

einem Dritten zu übergeben, welches ihm durch den Dieb-

ſtahl unmöglich wurde, ſo daß er nun die Strafe zahlen

mußte, ſo gehört dieſe Strafe gewiß nicht zum Sachwerth,

ſondern zu dem Intereſſe; dennoch wird dieſelbe, nach

Celſus, in das Simplum mit eingerechnet (c).

 

Wenn ein geſtohlener Sklave zum Erben eingeſetzt

war, und der Herr durch den Diebſtahl den Erwerb der Erb-

ſchaft einbüßte, ſo ſoll der Werth dieſer Erbſchaft mit in

das Simplum eingerechnet werden, und es iſt gleich hier

wohl zu bemerken, daß Ulpian Dieſes behauptet (d).

 

VI.

Ich gehe nun über zu den Stellen, welche über unſre

Frage abſtractere Regeln aufſtellen. Dahin gehört zuerſt

folgende Stelle des Papinian.

 

L. 80 § 1 de furtis (47. 2.).

Cum autem jure dominii defertur furti actio, quam-

 

(b) L. 32 pr. § 1 de furtis

(47. 2.), vgl. L. 10 § 3 de eden-

do (2. 13.).

(c) L. 67 § 1 de furtis (47. 2.).

„Si tibi subreptum est, quod

nisi die certa dedisses, poenam

promisisti, ideoque sufferre

eam necesse fuit, furti actione

hoc quoque coaestimabitur.”

(d) L. 52 § 28 de furtis

(47. 2.).

|0463 : 449|

Quanti res est. VI.

vis non alias nisi nostra intersit competat(a): tamen

ad aestimationem corporis, si nihil amplius intersit,

utilitas mea referenda est.

Auf den erſten Blick ſcheinen ganz entſcheidend die

Worte: si nihil amplius intersit. Der Inhalt

ſcheint nämlich folgender: das Simplum beſteht

jederzeit wenigſtens in dem Sachwerth, vielleicht

aber in einer höheren Summe, wenn noch ein hö-

heres Intereſſe neben dem Sachwerth nachgewieſen

werden kann (si nihil amplius intersit). — Allein

nach dem ganzen Zuſammenhang geht das amplius

nicht auf die Erweiterung des Gegenſtandes,

ſondern auf deſſen zeitliche Fortdauer (b), ſo daß

der Sinn vielmehr folgender iſt: Wenn das zur

Zeit des Diebſtahls vorhandene Intereſſe hinterher

völlig verſchwunden iſt, ſo bleibt Nichts übrig, als

den reinen Sachwerth als Simplum anzunehmen,

weil ein anderes Intereſſe nicht mehr ermittelt wer-

den kann. — Dieſes wird nun erläutert und beſtä-

tigt durch die folgenden Worte:

Idque et in statuliberis, et in legato sub condicione

 

(a) Das heißt: wenn der be-

ſtohlene Eigenthümer bey dem

Diebſtahl, ſchon zur Zeit deſſelben,

kein Intereſſe hat, z. B. weil er

die Sache vermiethet hatte, ſo daß

ihm der Miether, deſſen Nachläſ-

ſigkeit allein den Diebſtahl mög-

lich machen konnte, für den Verluſt

einſtehen muß, ſo hat der Eigen-

thümer die Klage nicht. § 13. 15.

J. de obl. quae ex del. (4. 1.).

(b) Vgl. Schulting notae in

Dig., L. 50 pr. de furtis (47. 2.).

V. 29

|0464 : 450|

Beylage XII.

relicto probatur. Alioquin diversum probantibus

statui facile quantitas non potest(c).

Wenn der einem Erben geſtohlene Sklave unter

einer Bedingung frey gelaſſen oder einem Dritten

legirt war, ſo betrug das Intereſſe weniger als

der Sachwerth, weil das Eigenthum an dem Skla-

ven durch die Bedingung unſicher war. Wenn nun

zur Zeit der Klage die Bedingung noch unentſchie-

den ſchwebt, ſo ſoll das Intereſſe (als Simplum)

dadurch ermittelt werden, daß man den Sklaven

mit der auf dem Eigenthum haftenden Gefahr ver-

kauft; der ſo erlangte Kaufpreis ſoll als Intereſſe

des Diebſtahls, folglich als Simplum der Klage,

gelten (d). Iſt aber zur Zeit der Klage die Be-

dingung ſchon erfüllt, alſo das Eigenthum für den

Kläger verſchwunden, ſo zeigt ſich jene Auskunft

als unmöglich, und nun bleibt Nichts übrig, als

den reinen Sachwerth zum Grund zu legen, ohne

Rückſicht auf den Einfluß der Bedingung.

(c) Hier folgt nun unmittelbar

der oben Num. V. a. abgedruckte

letzte Theil der Stelle.

(d) Dieſes Verfahren wird aus-

drücklich vorgeſchrieben von Ulpian

in L. 53 § 29 de furtis (47. 2.)

„Pendente autem condicione

(nämlich si agatur), tanti aesti-

mandus est, quanti emtorem

potest invenire.” Der vorherge-

hende Fall geht auf eine Entwen-

dung vor angetretener Erbſchaft,

wobey auch noch vor dem Antritt

die Bedingung eingetreten iſt.

Denn gegen die Erbſchaft kann

kein Diebſtahl begangen werden,

und zur Zeit des Antritts war der

Sklave nicht mehr Stück der Erb-

ſchaft. War dagegen die Bedin-

gung noch ſchwebend zur Zeit des

Antritts, ſo wurde durch fortge-

ſetzte Contreetation gegen den Er-

ben das furtum begangen.

|0465 : 451|

Quanti res est. VII.

Wenngleich nun die in jener Stelle enthaltenen Worte:

si nihil amplius intersit unſere Frage nicht entſcheiden, ſo

läßt dennoch die ganze Stelle darüber keinen Zweifel übrig.

Ganz entſcheidend nämlich ſind die Worte: ad aestima-

tionem corporis … utilitas mea referenda est. Papinian

will alſo ſagen: das wahre Simplum beſteht überall in

der utilitas des Beſtohlnen, das heißt in ſeinem In-

tereſſe (e), und es liegt blos in den beſonderen Umſtänden

des vorliegenden Falles, daß hier das Intereſſe mit dem

Sachwerth identiſch iſt. Dieſe Erklärung wird völlig be-

ſtätigt durch die Schlußworte, nach welchen Papinian

auch im vorliegenden Fall ein vom Sachwerth verſchiede-

nes Intereſſe annehmen würde, wenn es nur möglich wäre,

ein ſolches zu ermitteln.

 

VII.

Zweifelhafter iſt folgende Stelle des Ulpian, welche

von jeher die verſchiedenſten Meynungen über unſre ganze

Frage veranlaßt hat.

 

L. 50 pr. de furtis (47. 2.).

In furti actione non, quod interest, quadruplabitur

vel duplabitur, sed rei verum pretium. Sed et si

res rebus humanis esse desierit cum judicatur, ni-

hilominus condemnatio facienda est, idemque etsi

nunc deterior sit, aestimatione relata in id temps,

 

(e) Utilitas iſt der eigentliche Name für das Intereſſe. Vgl.

L. 21 § 3 de act. emti (19. 1.), und viele andere Stellen.

29*

|0466 : 452|

Beylage XII.

quo furtum factum est. Quod si pretiosior facta

sit, ejus duplum quanti tunc, cum pretiosior facta

sit, fuerit, aestimabitur: quia et tunc furtum ejus

factum esse verius est.

Hier ſcheint geradezu das Intereſſe als Simplum ne-

girt, der Sachwerth angenommen, wodurch die Stelle mit

allen vorher zuſammengeſtellten in Widerſpruch treten

würde. Manche haben nun in der That eine Controverſe

unter den alten Juriſten über dieſe Frage behauptet, und

man könnte verſuchen, dieſe mit der wahrſcheinlichen Ent-

wicklung der Rechtsregel (Num. V.) in Verbindung zu

ſetzen. Indeſſen muß dieſe Meynung gänzlich verworfen

werden, weil gerade derſelbe Ulpian in einer der beſtimm-

teſten einzelnen Entſcheidungen (Num. V. d) das Intereſſe

als Simplum anerkennt.

 

Sieht man auf die in unſrer Stelle enthaltenen ein-

zelnen Anwendungen, ſo iſt Ulpians Meynung offenbar

dieſe. Wenn der Werth, welcher zur Zeit des Diebſtahls

gefordert werden konnte, in der Folge vermindert worden

oder ganz verſchwunden iſt, ſo wird dadurch die im Ur-

theil auszuſprechende Summe nicht geringer; iſt jener Werth

geſtiegen, ſo wird die Summe größer. Der Gegenſatz

alſo, der ihm hier vorſchwebt, betrifft die verſchiedenen

Zeitpunkte möglicher Schätzung, nicht den Unterſchied des

Sachwerths vom Intereſſe; wenn nun dennoch ſeine Aus-

drücke mehr auf dieſen letzten Gegenſatz zu gehen ſcheinen,

ſo hat er dieſelben allerdings nicht ſorgfältig gewählt.

 

|0467 : 453|

Quanti res est. VIII.

Die Gedankenverbindung, woraus dieſe ungenaue Rede zu

erklären, zugleich alſo ihre Vorausſetzung zu rechtfertigen

iſt, mag etwa folgende ſeyn. Ulpian dachte an einen Fall,

worin (wie in den allermeiſten) das Intereſſe mit dem

Sachwerth identiſch war, der Sachwerth aber, durch eine

in der Sache ſelbſt vorgegangene Veränderung ſich ver-

mindert hatte, etwa von 100 auf 60. Nun drückte Ul-

pian ſeine Meynung in folgender Weiſe aus: Es iſt eine

Sache im Werth von 100 geſtohlen worden, und es muß

daher die Summe von 100 als Simplum behandelt wer-

den, obgleich das gegenwärtige Intereſſe des Klägers

(zur Zeit der Klage) nur 60 beträgt, ſo daß es ihm nur

einen fühlbaren Unterſchied von 60 in ſeinem Vermögen

macht, wenn man annimmt, die Sache wäre ihm nicht

geſtohlen worden.

VIII.

In mehreren anderen ſpeciellen Fällen hat es gar kei-

nen Zweifel, daß das quanti res est völlig gleichbedeu-

tend iſt mit quanti interest. So ſtanden jene Worte in

der Condemnationsformel der doli actio (a), und es war

ſo wenig zweifelhaft, dieſelben von dem Intereſſe zu ver-

ſtehen, daß ſogar der Eid in litem dabey geſtattet wurde,

der doch auf die ausgedehnteſte Leiſtung des Intereſſe

führt (b).

 

(a) L. 17 pr. L. 18 pr. de dolo (4. 3.).

(b) L. 18 pr. § 1. 4 de dolo (4. 3.).

|0468 : 454|

Beylage XII.

Ganz derſelbe Fall tritt ein bey den prätoriſchen Sti-

pulationen, deren Formel die Worte quanti res est ent-

hielt, und deren Folge eine Klage auf das vollſtändige

Intereſſe war (c).

 

IX.

Noch wichtiger und entſcheidender aber, als jene ein-

zelne Beſtimmungen, iſt folgende ſehr weit greifende allge-

meine Regel. Alle Klagen in rem und in personam, die

auf Reſtitution einer Sache gerichtet ſind, ja ſelbſt die

auf Reſtitution gehende Interdicte, haben in ihrer Con-

demnationsformel die Worte quanti res est, und dieſe be-

deuten hier überall nicht mehr und nicht weniger, als das

Intereſſe, welches jene Reſtitution für den Kläger hat (a).

Hierin liegt denn zugleich die unmittelbarſte Beſtätigung

der Behauptung, wodurch die gegenwärtige Unterſuchung

zunächſt veranlaßt worden iſt, daß der Judex bey der

formula in factum concepta zu einer eben ſo freyen Prü-

fung und Feſtſtellung des Intereſſe berufen war, wie bey

der formula in jus concepta (b).

 

(c) L. 11 de stipul. praetor.

(46. 5.), L. 3 pr. L. 8 § 2 ra-

tam rem (46. 8.). — Eben ſo

wird auch bey freywilligen Stipu-

lationen das quanti res est und

quanti interest als gleichbedeu-

tend angeſehen. L. 38 § 2 de

V. O. (45. 1.), vgl. mit L. 81

pr. eod.

(a) L. 68 de rei vind. (6. 1.)

„.. non pluris quam quanti

res est, id est quanti adversa-

rii interfuit, condemnandus

est.” — L. 71 eod. „quanti res

sit.”

(b) Vgl. Syſtem § 216. Note u.

|0469 : 455|

Quanti res est. X. XI.

X.

Es dürfen jedoch einige einzelne Fälle nicht mit Still-

ſchweigen übergangen werden, worin theils die Beurthei-

lung ſelbſt, theils der Sprachgebrauch, von den hier auf-

geſtellten Regeln abweicht; die genauere Betrachtung die-

ſer Fälle iſt nicht dazu geeignet, die als regelmäßig dar-

geſtellte Behandlung des Gegenſtandes zweifelhaft zu

machen.

 

Die entſchiedendſte Abweichung vom regelmäßigen

Sprachgebrauch findet ſich bey der actio ad exhibendum.

Dieſe geht auf das Intereſſe, welches der Kläger bey

der Exhibition hat, nicht auf den Sachwerth, und dieſer

Gegenſatz wird hier ganz ungewöhnlicherweiſe ſo ausge-

drückt: die Klage gehe nicht auf quanti res est (a). Die

Stelle ſelbſt rührt zwar von Ulpian her, allein ſie enthält

doch blos ein Allegat aus Neratius, und ſo iſt alſo Die-

ſes als ein ſingulärer Sprachgebrauch des Neratius an-

zuſehen.

 

XI.

Einige Vergehen, die im Prozeß gegen die obrigkeitliche

Gewalt begangen werden konnten, hatten zur Folge eine

Strafklage, welche nicht auf das (oft ganz unbedeutende)

 

(a) L. 9 § 8 ad exhib. (10. 4.)

„Et ideo Neratius ait, utilita-

tem actoris venire in aestima-

tionem, non quanti res sit:

quae utilitas, inquit, interdum

minoris erit quam res.”

|0470 : 456|

Beylage XII.

Intereſſe gerichtet war, ſondern auf eine Geldſtrafe, die

dem Geldwerth des Prozeßgegenſtandes gleich kam. Die-

ſer Gegenſatz wurde ſo ausgedrückt: die Klage gehe nicht

auf das Intereſſe, ſondern auf quanti res est (a). Auch

dieſer Sprachgebrauch iſt von dem ſonſt gewöhnlichen

verſchieden, jedoch iſt er demſelben nicht ſo direct entge-

gengeſetzt, wie es auf den erſten Blick wohl ſcheinen

möchte. Denn das, was hier, als verſchieden vom In-

tereſſe, durch quanti res est bezeichnet wird, iſt nicht,

wie in den oben zuſammengeſtellten Fällen, der Sachwerth,

ſondern der Streitgegenſtand, ſo daß alſo hier und dort

Gegenſätze von ganz verſchiedener Art auszudrücken waren.

XII.

Die actio vi bonorum raptorum geht auf den vier-

fachen Werth der geraubten Sache mit Einſchluß des Sim-

plum, alſo auf den dreyfachen Werth als reine Strafe.

Die Behandlung iſt aber hier eine ganz andere, als die

welche oben für die furti actio nachgewieſen worden iſt

(Num. V—VII.); denn das Simplum iſt nicht, wie bey

der furti actio, das Intereſſe des Beraubten, ſondern viel-

mehr der reine Sachwerth (a). Wir kennen den Grund

 

(a) L. 1 § 4 si quis jus dic.

(2. 3.). „Hoc judicium non ad

id quod interest, sed quanti

ea res est, concluditur.” — L. 5

§ 1 ne quis eum (2. 7.) „quo

non id continetur, quod in ve-

ritate est, sed quanti ea res

est ab actore aestimata, de

qua controversia est.”

(a) L. 2 § 13 vi bon. rapt.

(47. 8.). „In hac actione intra

annum utilem verum pretium

rei quadruplatur, non etiam

quod interest.”

|0471 : 457|

Quanti res est. XIII.

des Unterſchieds nicht, aber auf den hier unterſuchten

Sprachgebrauch hat derſelbe keine Beziehung, da nirgend

geſagt wird, daß bey jener Klage die Worte quanti res

est gebraucht worden wären.

Dieſe letzte Bemerkung gilt eben ſo auch von der actio

de rationibus distrahendis, wodurch der Vormund, welcher

Sachen des Mündels unterſchlagen hat, auf den doppel-

ten Werth belangt wird. In dieſem doppelten Werth iſt

das Simplum mit enthalten, und das Simplum beſteht

nicht in dem Intereſſe, ſondern in dem reinen Sach-

werth (b). Hier aber läßt ſich der Grund dieſer eigen-

thümlichen Behandlung angeben. Das Duplum ſelbſt war

nicht als eigentliche Strafe gedacht, ſondern als ein prä-

ſumtives, ſehr hoch beſtimmtes Intereſſe, deſſen ſchwieriger

Beweis dadurch entbehrlich gemacht werden ſollte. Eben

daher konnte nicht auch das Simplum auf das Intereſſe

geſtellt werden (c).

 

XIII.

Das größte Bedenken endlich erregen folgende zwey

Stellen des Ulpian, die in ihrer ſcheinbaren Allgemeinheit

alles bisher Dargeſtellte wankend zu machen ſcheinen.

 

L. 179 de V. S. (50. 16.). Ulp. lib. 51 ad Sabinum.

(b) L. 1 § 20 de tutelae

(27. 3.). Considerandum est in

hac actione, utrum pretium rei

tantum duplicetur, an etiam

quod pupilli intersit? Et magis

esse arbitror, in hac actione

quod interest non venire, sed

rei tantum aestimationem.”

(c) Vgl. Syſtem § 212 Note

k. l. m. n.

|0472 : 458|

Beylage XII.

Inter haec verba, quanti ea res erit, vel quanti eam

rem esse paret, nihil interest: in utraque enim clau-

sula placet veram rei aestimationem fieri.

L. 193 eod. Ulp. lib. 38 ad Ed.

Haec verba, quanti eam rem paret esse, non ad

quod interest, sed ad rei aestimationem referuntur.

Es hilft wenig, daß beide Stellen zunächſt nicht die

Bedeutung von quanti res est, ſondern von esse paret,

angeben wollen, denn ſie erklären beide Ausdrücke für

gleichbedeutend, und ſagen für beide, daß ſie den Sach-

werth, nicht das Intereſſe bezeichnen. Auch die häufig

vorkommenden Varianten apparet und patet helfen der

hier bemerkten Schwierigkeit nicht ab.

 

Es bleibt alſo kaum etwas Anderes übrig, als auf

das allgemeine Verhältniß zwiſchen ganz abſtract gefaßten

Regeln, und concreten Entſcheidungen zurück zu gehen,

unter welchen die letzten, im Fall eines Widerſpruchs,

vorzugsweiſe vor den erſten, den wahren Sinn des Rechts

in ſich ſchließen werden (a). Ja wir müſſen hier noch

einen Schritt weiter gehen, und nicht ſowohl die mislun-

gene Regelfaſſung des Ulpian anklagen, als die fehlerhafte

Weiſe, in welcher dieſe Stellen von den Compilatoren aus

ihrem urſprünglichen Zuſammenhang losgeriſſen ſeyn mö-

gen. Kennten wir dieſen Zuſammenhang, ſo würde wahr-

ſcheinlich jede Spur eines Widerſpruchs verſchwinden,

indem dieſer ohne Zweifel nur durch den falſchen Schein

 

(a) Syſtem Band 1 § 44 S. 276.

|0473 : 459|

Quanti res est. XIII.

von Allgemeinheit entſteht, welcher dieſen Ausſprüchen

durch ihre abgeriſſene Stellung in den Digeſten zu Theil

geworden iſt. Einige entferntere Vermuthungen werden

durch die Überſchriften beider Stellen herbeygeführt. Die

L. 179 cit. iſt aus einem Buch des Ulpian ad Sabinum,

welches vorzugsweiſe von der Jurisdiction handelte (b);

die hier excerpirte Stelle möchte alſo wohl von einer

der prätoriſchen Strafklagen zu verſtehen ſeyn, die aus

der Verletzung der Jurisdictionsrechte entſtanden, und

bey welchen, wie wir von einigen beſtimmt wiſſen, in

der That dieſer abweichende Sprachgebrauch herrſchte

(Num. XI.). — L. 193 cit. aber iſt aus einem Buch ad

edictum genommen, welches vorzugsweiſe die mit der furti

actio verwandten, zum Theil ſehr alten, Klagen abhan-

delte (c); es iſt nun leicht möglich, daß bey einer derſelben

der Ausdruck quanti res est gebraucht war, jedoch in dem

ungewöhnlichen Sinn des reinen Sachwerthes, ſo wie wir

ohnehin von der vi bonorum raptorum actio wiſſen, daß

bey ihr der Sachwerth, nicht das Intereſſe, als Simplum

angeſehen wurde (Num. XII.).

Manche werden erwiedern, dieſe Vermuthungen, ſelbſt

wenn ſie gegründet wären, ſeyen dennoch für uns un-

fruchtbar, weil einmal Juſtinian jenen Stellen durch deren

Aufnahme in den Titel de verborum significatione, die

Kraft allgemeiner Interpretationsregeln unabänderlich mit-

 

(b) Hommel palingenesia librorum juris T. 3 p. 588. 589.

(c) Vgl. die Titel 4—7 im 47. Buch der Digeſten.

|0474 : 460|

Beylage XII. Quanti res est. XIII.

getheilt habe. Wie weit man nun auch dieſen unbeding-

ten Gehorſam gegen jedes einzelne, auch erweislich irrige,

Stück der Compilation treiben möge, ſo würde derſelbe

wenigſtens im vorliegenden Fall ohne Erfolg bleiben. Denn

für alle wichtige Fälle der Anwendung beſitzen wir ganz

anders lautende ſpecielle Interpretationsregeln für jene

Ausdrücke (Num. II—IX.). Dieſe ſpeciellen Regeln aber

müſſen in den Fällen, worauf ſie ſich beziehen, jenen allge-

meinen Regeln ſicherlich vorgehen.

|0475 : 461|

Beylage XIII. Stricti juris, bonae fidei actiones. I.

Beylage XIII.

Stricti juris, bonae fidei actiones.

(Zu § 218—220.)

I.

Bevor dieſe Eintheilung der Klagen ſelbſt unterſucht

wird, iſt über die Bezeichnung derſelben Folgendes zu

bemerken.

 

Der Name bonae fidei actio iſt ſehr häufig, und die Ent-

ſtehung deſſelben wird weiter unten beſonders erklärt werden.

 

Dagegen iſt der Name stricti juris actio, genau in

dieſer Form, ſelten. Die einzige ganz ſichere Stelle dafür

iſt die der Inſtitutionen, welche überhaupt am Meiſten

Aufſchluß über die ganze Eintheilung giebt.

 

§ 28 J. de act. (4. 6.).

Actionum autem quaedam bonae fidei sunt, quaedam

stricti juris. Bonae fidei sunt hae: rel.

Gleich nachher (§ 30 eod.) heißen ſie stricta judicia,

und in einer Conſtitution von Juſtinian wird von einer

Klage geſagt: ex stipulatu actionem stricto jure esse val-

latam, et non ex b. f. descendere (a). Marcian nennt

 

(a) L. un. § 2 C. de rei ux. act. (5. 13.).

|0476 : 462|

Beylage XIII.

es actio stricti judicii (b). Zweifelhaft wegen der Leſeart

endlich iſt folgende Stelle des Ulpian.

L. 3 § 2 commod. (13. 6.).

In hac actione sicut in ceteris b. f. judiciis … rei

judicandae tempus .. observatur: quamvis in stricti,

litis contestatae tempus spectetur.

Dieſes iſt die Florentiniſche Leſeart, ohne Zweifel feh-

lerhaft. Käme es darauf an, durch eine Emendation zu

helfen, ſo wäre in strictis für in stricti die gelindeſte Ver-

änderung; judiciis ließe ſich aus den vorhergehenden Wor-

ten ohne alle Härte hinzu denken, und stricta judicia iſt

durch die oben angeführte zweyte Inſtitutionenſtelle völlig

beglaubigt. Allein die Vulgata lieſt, noch vollſtändiger,

in stricti juris judiciis (c), und bey dieſer Autorität kön-

nen wir uns völlig beruhigen. Haloanders Leſeart: in

stricti juris, iſt zwar auch an ſich befriedigend, es bleibt

aber zweifelhaft, ob er dieſe Leſeart in Handſchriften ge-

funden, oder nur als eine unnoͤthige Vermittlung zwiſchen

der Florentina und der Vulgata verſucht hat.

 

Der ſeltene Gebrauch jenes Kunſtausdrucks erklärt ſich

aus dem Umſtand, daß für dieſelbe Klaſſe von Klagen

noch ein anderer Ausdruck vorkommt, nämlich condictio

(Beylage XIV.); dieſer iſt außerordentlich häufig, ja er

wird überall gebraucht, wo es nicht gerade, wie in den

 

(b) L. 5 § 4 de in litem jur.

(12. 3.).

(c) So leſen nämlich folgende

alte Ausgaben des Dig. vetus:

Venet. Jenson s. a., Norimb.

Koberger 1483, Venet. 1484,

und gewiß eben ſo noch viele an-

dere.

|0477 : 463|

Stricti juris, bonae fidei actiones II.

oben angeführten Stellen, darauf ankommt, zwey Arten

von actiones einander wörtlich entgegen zu ſetzen, das heißt

den Begriff als Glied einer Eintheilung unmittelbar zu be-

zeichnen.

II.

Um nun den Unterſchied dieſer zwey Arten der Klagen auf

eine erſchöpfende Weiſe zu behandeln, iſt es nöthig zwey

an ſich verſchiedene Fragen zu beantworten. Die erſte be-

trifft die praktiſche Bedeutung jenes Unterſchieds, alſo das

Intereſſe, welches an die Bezeichnung irgend einer Klage

als einer str. j. oder b. f. actio geknüpft iſt. Die zweyte

Frage bezieht ſich auf die Gränzſcheidung beider Arten,

alſo auf die Beſtimmung, welche Klagen überhaupt zu

der einen oder andern Art zu rechnen ſind.

 

Die Frage nach der praktiſchen Bedeutung des Unter-

ſchieds führt zurück auf den viel allgemeineren Gegenſatz

der ſtrengen und freyen Klagen (Syſtem § 218), welcher

hier nur in einer einzelnen Anwendung erſcheint, die aber,

weil ſie vorzugsweiſe häufig und wichtig war, genauer

als andere Anwendungen ausgebildet worden iſt.

 

Im Allgemeinen nun läßt ſich der Unterſchied dahin

beſtimmen, daß dem urtheilenden Richter bey der b. f. ac-

tio eine freyere Macht eingeräumt war (a), welche am

 

(a) L. 7 de neg. gestis (3. 5.)

„quia tantundem in b. f. judi-

ciis officium judicis valet, quan-

tum in stipulatione nominatim

ejus rei facta interrogatio”.

|0478 : 464|

Beylage XIII.

häufigſten durch den Ausdruck officium judicis bezeichnet

wird. Es würde unrichtig ſeyn, Dieſes im einſeitigen In-

tereſſe, ſey es des Klägers oder des Beklagten, aufzufaſ-

ſen, nach welcher Annahme man glauben könnte, die eine

oder die andere Art der Klagen ſey ausgeſonnen worden,

um Eine Partey vor der andern vorzugsweiſe zu begün-

ſtigen. Vielmehr kann man ſagen, daß nach Umſtänden

jene freyere Macht bald dem Kläger, bald dem Beklagten

zum Vortheil gereichen konnte (b).

III.

Der Kläger konnte aus der freyeren Macht des Rich-

ters Vortheil ziehen, indem dieſer angewieſen war, bey

Verträgen auch auf alles Dasjenige zu ſprechen, was

zwar nicht im Vertrag ausgedrückt, wohl aber bey Ver-

trägen dieſer Art allgemein üblich war, ſo daß man an-

nehmen konnte, die Parteyen hätten es ſtillſchweigend hin-

zugedacht (a).

 

(b) Bey jeder b. f actio ſoll

der Richter auch für ungewiſſe,

erſt in der Zukunft zu erwartende,

Verpflichtungen, Cautionen aufle-

gen, und dieſe Vorſorge gilt nach

beiden Seiten hin. L. 38 pr. pro

socio (17. 2.) L. 41 de jud. (5.

1.). — Seneca ſagt zwar, der

Erfolg einer guten Sache ſey mehr

geſichert bey dem judicium, als

bey dem arbitrium, welches auf

eine Begünſtigung des Klägers

gedeutet werden könnte (Syſtem

§ 218. d.). Dieſes iſt aber zu ver-

ſtehen theils von dem beſchränkte-

ren Gebrauch der Exceptionen in

der str. j. actio, theils von dem

möglichen Misbrauch, welcher in den

b. f. actiones von einer vermeynt-

lichen Billigkeit gemacht werden

konnte.

(a) L. 31 § 20 de aed. ed.

(21. 1.) „… ea enim, quae sunt

moris et consuetudinis, in bo-

nae fidei judiciis debent venire.”

|0479 : 465|

Stricti juris, bonae fidei actiones. III.

Die wichtigſte Anwendung dieſes Grundſatzes beſteht

darin, daß der Richter nicht blos auf den urſprünglichen

Gegenſtand der Obligation, ſondern auch auf deſſen hin-

zugetretene Erweiterungen (omnis causa) ſprechen ſoll.

Insbeſondere ſoll er bey Geldſchulden auf Zinſen des Gel-

des ſprechen, von dem Zeitpunkt an, worin der Schuld-

ner vergeblich zur Zahlung aufgefordert worden war (b),

welche Zinszahlung bey den stricti juris actiones nicht

eintritt (c). Nur für den Zeitraum, worin der Rechts-

ſtreit geführt wird, das heißt von der Litisconteſtation an,

treten auch dieſe Klagen mit den b. f. actiones großentheils

auf gleiche Linie, ſo daß für dieſe Zeit auch bey ihnen

die omnis causa mit in das Urtheil aufgenommen wird (d);

jedoch auf Geldzinſen iſt dieſe Wirkung der Litisconteſta-

tion bey den str. j. actiones nicht auszudehnen (e).

 

(b) L. 32 § 2 de usuris (22.

1.) „In bonae fidei contracti-

bus ex mora usurae debentur.”

L. 24 depos. (16. 3.) „Et est

quidem constitutum, in bonae

fidei judiciis, quod ad usuras

attinet, ut tantundem possit

officium arbitri, quantum sti-

pulatio.” Man darf dieſes nicht

ſo verſtehen, als hätten die Kai-

ſer dieſen Satz erfunden; er war

nur auch in Reſcripten der Kaiſer

anerkannt und dadurch beſtätigt

worden.

(c) Dieſes liegt ſchon in dem

natürlichen Gegenſatz der in der

Note b. für die b. f. actiones an-

geführten Stellen. Die Zinsver-

pflichtung wird aber auch aus-

drücklich bey mehreren str. j. ac-

tiones verneint. L. 24 depos.

(16. 3.) bey Gelddarlehen, L. 1

C. de cond ind. (4. 5.) bey con-

dictio indebiti.”

(d) L. 2 L. 3 § 1 L. 10 L. 38

§ 7 de usuris (22. 1.), L. 31 pr.

de reb. cred. (12. 1.), L. 51 pr.

fam. herc. (10. 2.), L. 91 § 7 de

leg. 1 (30. un.), L. 8 de re jud.

(42. 1.), L. 35 de V. S. (50. 16.)

(e) Entſcheidend hierüber iſt

Gajus IV. § 52, und L. 23 C. de

usuris (4. 32.). Vgl. Madai

Mora S. 369, Liebe Stipula-

tion S. 52. — Nur ſcheinbar

könnte man darin eine Zurückſetz-

V. 30

|0480 : 466|

Beylage XIII.

Eben ſo ſollte bey der b. f. actio der verurtheilende

Richter jegliches Intereſſe des Klägers in Anſchlag brin-

gen können, auch dasjenige, welches auf ganz individuel-

len Verhältniſſen deſſelben beruht (Affectionswerth) (f);

bey der str. j. actio ſollte das Intereſſe dieſer Art außer

Anſchlag bleiben (g).

 

IV.

Auf der anderen Seite konnte die freyere Macht des

Richters auch dem Beklagten zu großem Vortheil gereichen.

 

Wenn der Anſpruch des Klägers durch Exceptionen

ausgeſchloſſen, oder auf eine geringere Summe beſchränkt

werden konnte, ſo hatte dieſe der Richter in der str. j. ac-

tio nur dann zu berückſichtigen, wenn ſie der Prätor in

der formula ausgedrückt hatte; für die b. f. actio galt

dieſe Beſchränkung nicht, ſo daß der Richter ſie beachten

 

ung des Klägers bey Geldſchulden

finden wollen, denn für deſſen In-

tereſſe war durch die sponsio ter-

tiae partis ſehr reichlich geſorgt.

(f) L. 54 pr. Mand. (17. 1.)

„.. placuit enim prudentiori-

bus, affectus rationem in bo-

nae fidei judiciis habendam.”

(g) Dieſer Satz liegt augen-

ſcheinlich in der für die b. f. ju-

dicia ausgeſprochenen entgegenge-

ſetzten Regel (Note f). Er iſt aber

auch in folgender Stelle unmittel-

bar anerkannt. L. 33 ad L. Aquil.

(9. 2.) „Si servum meum occi-

disti, non affectiones aestiman-

das esse puto .. sed quanti

omnibus valeret. S. quoque

Pedius ait, pretia rerum non

ex affectione, nec utilitate sin-

gulorum, sed communiter fun-

gi.” Nun darf zwar der a. L.

Aquiliae der Name stricti juris

actio nicht beygelegt werden, aber

unter die ſtrengen Klagen gehört

ſie eben ſo gut als die, welche je-

nen Namen führen, und die Re-

gel der Beurtheilung war für den

Richter völlig dieſelbe. Alles Die-

ſes wird weiter unten dargethan

werden.

|0481 : 467|

Stricti juris, bonae fidei actiones. IV.

durfte und ſollte, auch wenn erſt während des Prozeſſes

der Beklagte das Daſeyn der Exception, z. B. den von

dem Gegner verübten Betrug, entdeckt hatte (a). — Eine

wichtige Anwendung dieſes Satzes war es, daß in den

b. f. actiones die Compenſation zur Anwendung kam, auch

wenn ſie nicht in der formula erwähnt war (b). In der

(a) L. 3 de rescind vend.

(18. 5.) „.. bonae fidei judicio

exceptiones pacti insunt.” L.

21 sol. matr. (24. 3.) „.. cum

enim doli exceptio insit de

dote actioni, ut in ceteris bo-

nae fidei judiciis” .. L. 84 § 5

de leg. 1 (30. un.) „.. quia hoc ju-

dicium fidei bonae est, et con-

tinet in se doli mali exceptio-

nem.” Am ausführlichſten wird

dieſe Regel dargeſtellt in L. 7 § 5.

6 de pactis (2. 14.). In dieſen

Stellen iſt ausdrücklich nur von

der doli und pacti exceptio die

Rede, und man könnte dadurch

verleitet werden, die aufgeſtellte

Regel auf die aus dem jus gen-

tium entſpringenden Exceptionen

zu beſchränken, ſo daß diejenigen

davon ausgeſchloſſen wären, wel-

che einen mehr poſitiven Urſprung

haben, wie rei judicatae, Sc. Vel-

lejani exceptio u. ſ. w. Allein

dieſer Beſchränkung widerſpricht

die andere Regel, nach welcher

jede Exception zugleich die doli

exceptio in ſich ſchließt, indem

der Kläger wenigſtens „nunc pe-

tendo facit dolose.” L. 2 § 5

de doli exc. (44. 4.), vgl. L. 36

de V. O. (45. 1.) Darauf geht die

Formel der doli exceptio: si in

ea re nihil dolo malo factum

sit, neque fiat. Gajus IV. § 119.

Der vollſtändige Zuſammenhang

iſt nun ſo zu denken. Die Beach-

tung der doli exceptio war dem

arbiter durch die Worte ex fide

bona unmittelbar aufgetragen. Um

nun auch die übrigen Exceptionen

mit herein zu ziehen, ſtellte man

die Regel auf, daß die Klage ſelbſt

einen dolus in ſich ſchließe, wenn

ſie angeſtellt werde, ungeachtet ihr

irgend eine Exception entgegen

ſtehe.

(b) Gajus IV. § 61. 63, § 30

J. de act. (4. 6.), L. 18 § 4 com-

mod. (13. 6.). — Es iſt Dieſes

jedoch keine einfache, reine Anwen-

dung der vorher aufgeſtellten Pro-

zeßregel, vielmehr tritt dabey ein

neues, erſt allmälig ausgebildetes,

materielles Rechtsprincip hinzu.

Dieſes zeigt ſich ganz deutlich

darin, daß zur Zeit des Gajus

die Compenſation nur ex eadem

causa, alſo auf höchſt beſchränkte

Weiſe, gelten ſoll, welche Be-

ſchränkung im Juſtinianiſchen Recht

gewiß nicht mehr behauptet wer-

den kann. Vgl. Band 1. § 45. d.

30*

|0482 : 468|

Beylage XIII.

str. j. actio ſollte ſie früher gar nicht gelten; Marc Aurel

ließ ſie zu, wenn ſie in die formula als Exception aufge-

nommen war. Inſtinian dehnte ſie auch auf alle übrige

Arten der Klagen aus (c). — Eine andere Anwendung

zeigte ſich darin, daß unſittliche Anſprüche bey der str. j.

actio nur durch eine ausdrücklich gegebene Exception aus-

geſchloſſen wurden (d), anſtatt daß die b. f. actio ſchon an

ſich ſelbſt zu einer Verurtheilung dieſes Inhalts nicht füh-

ren konnte (e). — Eben ſo iſt das Retentionsrecht eine

bloße Anwendung der doli exceptio, und es bedurfte da-

her bey den Retentionen gegen die rei uxoriae actio kei-

ner ausdrücklichen Inſtruction des Prätors.

War die Klage darauf gegründet, daß ſich der Be-

klagte einer Culpa ſchuldig gemacht habe, ſo trat in der

b. f. actio eine mildere Beurtheilung ein, inſofern von ei-

nem ſolchen Geſchäft die Rede war, aus welchem der

Beklagte keinen Vortheil für ſich zu erwarten hatte (f).

 

V.

Die freyere Macht des Judex, die hier als das Un-

 

(c) § 30 J. de act. (4. 6.).

(d) L. 8 de cond. ob turpem

(12. 5.) „Si ob turpem causam

promiseris Titio, quamvis, si

petat, exceptione doli mali,

vel in factum summovere eam

possis” …

(e) L. 5 de usuris (22. 1.)

„Generaliter observari conve-

nit, bonae fidei judicia non re-

cipere praestationem quae con-

tra bonos mores desideretur.”

(f) L. 108 § 12 de leg. 1 (30.

un.) „.. sicut in contractibus

fidei bonae servatur, ut si qui-

dem utriusque contrahentis

commodum versetur, etiam

culpa, sin unius solius, dolus

malus tantummodo praestetur.”

Vgl. L. 5 § 2 commod. (13. 6.).

|0483 : 469|

Stricti juris, bonae fidei actiones. V.

terſcheidende der bonae fidei actio dargeſtellt worden iſt,

hat nicht überall dieſelbe Natur. In den meiſten Anwen-

dungen bezieht ſie ſich auf die feſt beſtimmten Rechte der

Parteyen, woran auch der Prätor im einzelnen Rechts-

ſtreit Nichts ändern konnte; ſo verhält es ſich mit den

nur in der b. f. actio geltenden Verzugszinſen (III. b.);

eben ſo mit der milderen Beurtheilung der Culpa (IV. f.).

In Einer Anwendung dagegen (IV. a.) bezieht ſie ſich le-

diglich auf das Verhältniß des Judex zum Prätor, alſo

auf die mehr oder minder buchſtäbliche Befolgung der vor-

geſchriebenen formula, wozu der Judex verpflichtet ſeyn

ſollte.

Dieſe freyere oder beſchränktere Macht aber ſtand hier,

ſo wie bey allen ſtrengen oder freyen Klagen überhaupt

(Syſtem § 218), im Zuſammenhang mit der perſönlichen

Beſchaffenheit des urtheilenden Richters, indem dieſer für

die str. j. actio nur aus dem album der judices genommen

werden durfte, welche Beſchränkung für den arbiter in der

b. f. actio wegfiel. Offenbar lag nun darin ein größeres

Vertrauen, welches dem arbiter der b. f. actio gewährt

wurde. Jedoch würde es unrichtig ſeyn, dieſes Vertrauen

auf eine allgemeine, klaſſenweiſe eintretende, Vermuthung

größerer Zuverläſſigkeit zurückführen zu wollen, da es ja

widerſinnig geweſen wäre, die Einſicht oder Redlichkeit ei-

nes Richters blos deswegen geringer zu ſchätzen, weil ſein

Name im album der judices ſtand. Vielmehr ſcheint je-

nes größere Vertrauen daraus erklärt werden zu müſſen,

 

|0484 : 470|

Beylage XIII.

daß beide Parteyen auf die Wahl des arbiter einen mehr

unmittelbaren und poſitiven Einfluß ansübten, als auf die

Wahl des judex der str. j. actio, ſo daß der arbiter ganz

eigentlich als der Mann ihrer Wahl angeſehen werden

konnte, deſſen freyere Macht daher beiden Theilen als un-

gefährlich erſcheinen mußte (Syſtem § 218. f).

VI.

Die zweyte oben aufgeworfene Frage (Num. II.) be-

trifft die Klagen, welche unter die eine oder die andere

jener beiden Klaſſen zu rechnen ſind.

 

Der Grundfehler, welcher von jeher eine klare Einſicht

in dieſe Begriffe verhindert hat, beſtand darin, daß die

Eintheilung meiſt für eine allgemeine, alle Klagen über-

haupt umfaſſende, gehalten wurde, da ſie doch nur auf

die Klagen eines gewiſſen engeren Gebietes zu beſchrän-

ken iſt (Syſtem § 218). Sie geht nämlich:

 

1) nur auf die ordinaria judicia;

2) unter dieſen nur auf Civilklagen;

3) unter dieſen nur auf Klagen in personam;

4) unter dieſen nur auf Klagen aus Contracten oder

contractähnlichen Verhältniſſen (§ 218. i); mit anderen

Worten auf Klagen aus Rechtsgeſchäften, nicht aus De-

licten.

Auf irgend eine engere Beſchränkung des Gegenſatzes

deutet ſchon der Eingang der Inſtitutionenſtelle:

 

|0485 : 471|

Stricti juris, bonae fidei actiones. VI.

§ 28 J. de act. (4. 6.) „Actionum autem quaedam

bonae fidei sunt, quaedam stricti juris …

 

beſonders wenn man dieſe Stelle mit einer vorhergehenden

vergleicht:

§ 1 J. eod. „Omnium actionum, quibus inter aliquos

apud judices arbitrosve de quacumque quaeritur,

summa divisio in duo genera deducitur: aut enim

in rem sunt, aut in personam.”

Der eigentliche Beweis aber muß geführt werden in

Beziehung auf die Klaſſen von Klagen, die nach meiner

Behauptung aus jener Eintheilung gänzlich heraus fallen,

und die ich nun der Reihe nach durchgehen will.

 

Es fallen alſo zuerſt aus die civilen Delictsklagen, die

überhaupt nicht in großer Anzahl vorkommen; namentlich

furti und Legis Aquiliae actio. In dem Verzeichniß der

bonae fidei actiones kommen ſie nicht vor, daß ſie aber

auch nicht den Namen von stricti juris actiones führten,

kann erſt weiter unten, bey den Condictionen, dargethan

werden.

 

Es fallen ferner aus alle in rem actiones. Der Be-

weis liegt in folgenden Stellen.

 

a) L. 5 pr. § 4 de in litem jur. (12. 3.).

„In actionibus in rem, et in ad exhibendum, et in

bonae fidei judiciis, in litem juratur.... Plane inter-

dum et in actione stricti judicii in litem jurandum

est.”

Hier werden offenbar ſämmtliche in rem actiones ſo-

 

 

|0486 : 472|

Beylage XIII.

wohl den b. f., als den str. j. actiones, dem Begriff

nach, völlig entgegen geſetzt, und nur in ihrer Bezie-

hung auf den Eid mehr oder weniger gleich geſtellt.

b) § 30 J. de act. (4. 6.). Der Gedankengang iſt dieſer.

Die Compenſation ſollte zuerſt nur beachtet werden bey

den b. f. judiciis, bey dieſen aber allgemein. Dann hat ſie

Marc Aurel auf die stricta judicia vermittelſt der doli

exceptio ausgedehnt. Endlich hat Juſtinian ihre Anwen-

dung faſt ganz allgemein gemacht: „ut actiones ipso jure

minuant sive in rem, sive in personam, sive alias quas-

cunque: excepta sola depositi actione.” — Der Sinn

dieſer Stelle iſt ſo zu ergänzen. Früher waren von der

Compenſation ausgeſchloſſen alle in rem actiones, und

vielleicht noch manche andere. Jetzt gilt ſie allgemein,

ohne Unterſchied der in rem und in personam actio, und

auch bey den übrigen bisher etwa ausgeſchloſſenen Klagen.

 

c) § 31 J. de act. (4. 6.). Nachdem hier der Begriff

der arbitraria actio aufgeſtellt iſt, fährt die Stelle ſo fort:

„Sed istae quidem actiones, tam in rem, quam in perso-

nam inveniuntur,” mit ſichtbarer Hindeutung auf die un-

mittelbar vorher abgehandelten b. f. und stricti juris actio-

nes, unter welchen keine in rem actiones zu finden waren.

 

Dann fallen noch ferner aus alle prätoriſche Klagen.

Dieſes hängt damit zuſammen, daß der Character der b.

f. actio ausgedrückt wurde durch den in die Intentio ein-

gerückten Zuſatz ex fide bona, welcher aber nur bey der

Intentio in jus concepta Sinn und Zweck hatte, als Mil-

 

|0487 : 473|

Stricti juris, bonae fidei actiones. VI.

derung des ſtreng lautenden dare facere oportet, nicht bey

der Intentio in factum concepta, ſo wie es alle prätori-

ſche Klagen ohne Ausnahme waren (a). Eine ſcheinbare

Einwendung gegen dieſe Behauptung könnte auf eine Stelle

der Digeſten gegründet werden, nach welcher bey einer

prätoriſchen Klage, die alſo in factum war, dennoch der

bona fides Erwähnung geſchehen konnte (b). Allein dieſe

(a) Sehr anſchaulich wird die-

ſes aus der doppelten formula der

depositi actio bey Gajus IV.

§ 47. Die in jus heißt: Quid-

quid dare facere oportet ex

fide bona, und hier erſcheint der

Zuſatz als Modification des au-

ßerdem unbedingten oportet. Da-

gegen heißt die in factum: Si

paret Agerium mensam argen-

team deposuisse, und bey dieſer

reinen Thatſache hätte die Modi-

fication ex fide bona gar keinen

Sinn gehabt, wie ſie denn in der

That dabey nicht ausgedrückt iſt.

In der Macht des Richters ſollte

darum für dieſe beiden Formeln

kein Unterſchied ſeyn; die wörtliche

Vorſorge aber wurde nur neben

dem gefährlichen Wort oportere

nöthig gefunden. Dasjenige nun,

was hier ausnahmsweiſe bey ei-

nigen wenigen Civilklagen galt,

war bey den prätoriſchen Klagen

(die insgeſammt in factum con-

cipirt waren) als allgemeine Re-

gel zu betrachten, ohne daß in je-

nen oder dieſen Fällen die freye

Macht des urtheilenden arbiter durch

den Zuſatz ex fide bona in der

Formel geſichert zu werden brauchte.

(b) L. 11 § 1 de dolo (4. 3.).

Die actio de dolo, ſagt Ulpian,

ſoll nicht gegeben werden den Kin-

dern gegen die Eltern, dem Frey-

gelaſſenen gegen ſeinen Patron u.

ſ. w. „Quid ergo est? in horum

persona dicendum est, in factum

verbis temperandam actionem

dandam, ut bonae fidei mentio

fiat.” Das heißt: die Intentio

ſoll nicht, wie gewöhnlich ſo lau-

ten: Si paret, dolo malo Negi-

dii factum esse rel. Wie ſie

nun vielmehr gefaßt werden konnte,

ſagt uns, übereinſtimmend mit Ul-

pian, Cicero ad Att. VI. 1 med.

„si ita negotium gestum est ut

eo stari non oporteat ex fide

bona,” oder in anderen ähnlichen

Worten, wodurch nur der Begriff

des dolus bezeichnet, und doch der

Ausdruck umgangen wurde. (Vgl.

Heffter observ. in Gaji Comm.

IV. p. 79). Die Worte ex fide

bona dienten nun zur Characte-

riſtik der bloßen Thatſache, wie

denn auch das daneben ſtehende

opoteat einen blos factiſchen Sinn

hat, nicht den ſtreng juriſtiſchen,

wie in der Intentio in jus con-

cepta.

|0488 : 474|

Beylage XIII.

Erwähnung iſt von der die b. f. actiones characteriſiren-

den Clauſel weſentlich verſchieden, indem ſie nur dazu die-

nen ſollte, das ſchimpfliche Wort dolus zu umgehen, ohne

doch dem Sinn Etwas zu vergeben. Es gehörte alſo hier

die bona fides zur näheren Beſtimmung der Thatſache

der Intentio in factum concepta, nicht zur Milderung des

ſtrengen oportere, ſo daß die hier angeführte Klage mit

dem eigenthümlichen Begriff der bonae fidei actio Nichts

gemein hat, als den Gebrauch des Ausdrucks bona fides.

Endlich fallen aus jener Eintheilung heraus die extra-

ordinariae actiones, und dieſe Behauptung wird wohl am

Wenigſten Widerſpruch finden, da bey denſelben überhaupt

kein Judex vorkam, deſſen Stellung doch bey jener Ein-

theilung das wichtigſte Moment war.

 

VII.

Bey den zahlreichen Klagen, die hier von der Bezeich-

nung als str. j. oder b. f. actiones ausgeſchloſſen worden

ſind, muß darum nicht weniger unterſucht werden, ob ſie

ſich in ihrer Natur und gerichtlichen Behandlung der einen

oder der andern Art annäherten. Denn der Gegenſatz der

ſtrengen und freyen Klagen iſt in der That ein allgemei-

ner, und in ihm muß daher auch jeder der oben ausge-

ſchloſſenen Klagen ihre beſtimmte Stelle angewieſen wer-

den. Es iſt alſo für alle Arten der ausgeſchloſſenen Kla-

gen die Frage zu beantworten, ob ſie von einem judex

oder einem arbiter entſchieden wurden, und hiernach wird

 

|0489 : 475|

Stricti juris, bonae fidei actiones. VIII.

es ſich zugleich richten müſſen, ob die freyere Macht des

Richters, die hier für die b. f. actiones nachgewieſen wor-

den iſt, auch bey ihnen eintrat oder nicht. Hieraus er-

giebt es ſich aber, daß die hier durchgeführte engere Be-

gränzung jener Eintheilung, alſo auch die Ausſchließung

ſo vieler Klagen von derſelben, mehr eine terminologiſche

als eine reale Bedeutung hat.

VIII.

Die civilen Delictsklagen halte ich für ſtrenge Klagen,

oder eigentliche judicia. Ich ſchließe Dieſes erſtlich daraus,

daß ihre Intentio auf damnum decidere oportere gerich-

tet war (a), alſo überhaupt auf ein oportere, und zwar

ohne hinzugefügte Milderung, genau ſo wie die str. j. ac-

tiones. Von der actio L. Aquiliae insbeſondere wiſſen wir,

daß bey ihr der Affectionswerth nicht gefordert werden

konnte (Num. III. g), daß ſie alſo hierin anders behandelt

wurde, als die b. f. actiones; hierin mag eine einzelne Be-

ſtätigung der aufgeſtellten allgemeinen Anſicht gefunden

werden. Von großer Erheblichkeit war wohl die ſtrenge

Natur dieſer Klagen nicht, weil die meiſten Verhältniſſe,

die einen praktiſch wichtigen Unterſchied zwiſchen den str.

j. und b. f. actiones mit ſich führten (Num. III. IV.), bey

ihnen ſeltner zur Sprache kommen konnten.

 

Die hier aufgeſtellte Regel mußte alſo gelten für fol-

gende Klagen: actio furti nec manifesti, oblati, con-

 

(a) Gajus IV. § 37. 45.

|0490 : 476|

Beylage XIII.

cepti (b), de tigno juncto (c), arborum furtim caesa-

rum (d), Legis Aquiliae, injuriarum ex Lege Cornelia (e).

Bey weitem die meiſten Delictsklagen gehören nicht dahin,

weil ſie prätoriſche Klagen waren: Dieſes gilt namentlich

von der äſtimatoriſchen Injurienklage und von der actio

furti manifesti (f). Auf alle dieſe Klagen alſo war zwar

der Name stricti juris actio nicht eigentlich anwendbar,

allein ſie wurden ohne Zweifel nach der Analogie der für

dieſe aufgeſtellten Regeln beurtheilt (g).

IX.

Von den civilen in rem actiones muß im Allgemeinen

behauptet werden, daß ſie freye Klagen oder arbitria wa-

ren, und daher ganz nach Art der b. f. actiones behandelt

wurden, obgleich dieſer Name freylich ihnen nicht beyge-

legt werden darf.

 

Ich fange an mit dem Eigenthum. Aus dieſem konnte,

zur Zeit des ausgebildeten Formularprozeſſes, in drey ver-

ſchiedenen Formen geklagt werden: mit einer Sacramenti

Legis actio vor den Centumvirn, per sponsionem, und

durch eine petitoria formula (a). Die erſte Form wurde

 

(b) Gajus III. § 190. 191.

(c) Digest. XLVII. 3.

(d) Digest. XLVII. 7.

(e) L. 5 L. 37 § 1 de injur.

(47. 10.), § 8 J. eod. (4. 4.).

(f) Gajus IV. § 189.

(g) So hatte Marc Aurel die

Anwendung der Compenſation auf

die stricti juris actiones (ver-

mittelſt einer doli exceptio) ge-

ſtattet (Num. IV. c). Daß nun

dieſe Anwendung, ſchon zur Zeit

der alten Juriſten, auch bey den

Delictsklagen gemacht wurde, zeigt

L. 10 § 2 de compens. (16. 2.).

(a) Gajus IV. § 91 — 95.

|0491 : 477|

Stricti juris, bonae fidei actiones. IX.

wahrſcheinlich durch den höheren Werth des Gegenſtandes

mit Nothwendigkeit herbeygeführt, zwiſchen den Zwey letz-

ten Formen hatte wahrſcheinlich der Kläger die Wahl.

Die Centumviralklage nun fällt gar nicht in das Ge-

biet unſrer Frage, da ſie ganz außer dem ordo judiciorum

lag (Syſtem § 213). Wie ſtreng oder frey die Behand-

lung war, muß aus Mangel an Nachrichten dahin geſtellt

bleiben. Im Juſtinianiſchen Recht iſt davon keine Spur

mehr übrig. — Die Sponſionsklage war gar nicht in rem;

vielmehr wurde hier durch eine erzwungene Stipulation

der Streit zwiſchen dem Eigenthümer und dem Beſitzer

künſtlicherweiſe in ein Contractsverhältniß verwandelt, und

nun war freylich die Klage aus dieſer Stipulation eine

stricti juris actio, die allerdings im letzten Reſultat die

Entſcheidung über das ſtreitige Eigenthum herbeyführte. —

Die petitoria formula alſo war die einzige, aus dem

Eigenthum entſpringende, reine in rem actio; ſie iſt die

Klage, welche wir in unſren Rechtsquellen als rei vindi-

catio vorfinden. Dieſe nun war eine freye Klage, ein

arbitrium, worin der arbiter völlig eben ſo freye Hand

hatte, wie in einer bonae fidei actio. Es zeigt ſich dieſe

freye Macht zuerſt darin, daß der Richter den Kläger ab-

zuweiſen hatte, wenn der Beklagte nicht beſaß, obgleich

davon Nichts in der formula ſtand (b). Sie zeigt ſich

 

(b) L. 9 de rei vind. (6. 1.).

„Officium autem judicis in hac

actione in hoc erit, ut judex

inspiciat, an reus possideat.”

Daß davon Nichts in der Formel

ſtand, folgt nicht blos aus dieſen

Worten ſelbſt, ſondern es erhellt

auch unmittelbar aus den vorhan-

|0492 : 478|

Beylage XIII.

aber auch in dem möglichen Umfang der Verurtheilung,

der ganz eben ſo ausgedehnt war, wie in irgend einer

b. f. actio (c).

Die Servituten waren, eben ſo wie das Eigenthum,

durch eine petitoria formula geſchützt, und die confessoria

actio iſt in der That dieſe Klage. Dabey nun wird das

völlig freye officium judicis gleichfalls bezeugt (d).

 

Das Erbrecht wurde in denſelben Drey Klagformen

geſchützt, wie das Eigenthum. Die Sacramenti Legis actio

und die Sponſionsklage werden von Cicero erwähnt (e).

Die petitoria formula iſt hier die Klage, welche in Juſti-

nians Rechtsbüchern als hereditatis petitio bezeichnet wird.

Hier nun gieng das officium judicis gleichfalls auf Unter-

ſuchung des Beſitzes des Beklagten (f); eben ſo war der

arbiter angewieſen, manche Exceptionen zu berückſichtigen,

auch wenn ſie nicht in der Formel ausgedrückt waren (g).

Sie hatte alſo eine eben ſo freye Natur, wie die b. f.

actiones. Juſtinian ſagt, es ſey darüber geſtritten worden,

 

denen Formeln. Gajus IV. § 92.

Cicero in Verrem II. 12. (Vgl.

Syſtem § 209. c).

(c) L. 68 de rei vind. (6. 1.),

L. 91 pr. de V. O. (45. 1.).

„.. in vindicatione hominis,

si neglectus a possessore fue-

rit, culpae hujus nomine tene-

tur possessor …”; bey der

Klage aus der Stipulation gelte

dieſe Verpflichtung nicht.

(d) L. 7 si servitus (8. 5.).

(e) Cicero in Verrem I. 45.

Da er die petitoria formula da-

neben nicht erwähnt, ſo möchte

man annehmen, dieſe ſey hier erſt

ſpäter anerkannt worden.

(f) L. 10 § 1 de her. pet.

(5. 3.).

(g) L. 58 de her. pet. (5. 3.).

„… Respondi, et si non ex-

ciperetur, satis per officium

judicis consuli.” Es iſt hier die

doli exceptio gemeynt, vgl.

oben Num. IV. a.

|0493 : 479|

Stricti juris, bonae fidei actiones. IX.

ob ſie ſelbſt eine b. f. actio ſey, und er ſpricht ihr dieſen

Character zu (h). Welche Bedeutung der von ihm er-

wähnte frühere Streit hatte, wiſſen wir nicht, und die

Beylegung des Namens einer b. f. actio müſſen wir nach

der Analogie anderer Klagen für unpaſſend halten. Viel-

leicht iſt jener Streit und dieſe Benennung darauf zu be-

ziehen, daß die hereditatis petitio, verglichen mit anderen

in rem actiones, eine eigenthümliche Natur durch die be-

ſchränktere Beſchaffenheit der Perſon des Beklagten hat

(Syſtem § 208. k), wodurch ſie einige Ähnlichkeit mit den

Klagen in personam bekommt. Es kommt hinzu, daß die

perſönlichen Leiſtungen, die in allen Klagen in rem neben

dem Hauptgegenſtand vorkommen können, bey dieſer Klage

ausgedehnter zu ſeyn pflegen als bey anderen, namentlich

als bey der Eigenthumsklage, weshalb ſie auch einmal

geradezu eine mixta personalis actio genannt wird (i),

obgleich jener blos factiſche und relative Unterſchied den

eigentlichen Character der Klage nicht ändern kann. Ganz

beſonders aber tritt der Umſtand hinzu, daß nach dem

Senatusconſult vom J. Chriſti 129 dieſe Klage ſehr häufig

Statt finden konnte, obgleich alle Erbſchaftsſachen bereits

veräußert, oder auch durch pro herede usucapio in das

Eigenthum des Beſitzers übergegangen waren (k), in wel-

(h) L. 12 § 3 C. de pet. her.

(3. 31.), § 28 J. de act. (4. 6.).

(i) L. 7 C. de pet. her. (3. 31.).

(k) L. 20 § 6 de her. pet.

(5. 3.), Gajus II. §. 57.

|0494 : 480|

Beylage XIII.

chen Fällen freylich nur noch mit Hülfe von Fictionen die

Klage als eine in rem actio angeſehen werden konnte.

Unter den in rem actiones, welche ein Familienver-

hältniß zum Gegenſtand haben, iſt nur allein das liberale

judicium eine Civilklage; bey den übrigen, welche präto-

riſche Klagen ſind, kann die hier verhandelte Frage gar

nicht vorkommen (§ 216. a). Das liberale judicium nun

ſcheint vorzugsweiſe vor dem Centumviralgericht verhan-

delt worden zu ſeyn; vor einem einzelnen Richter verhan-

delt, möchte es wohl ein ſtrenges judicium geweſen ſeyn.

 

X.

Die ſehr zahlreichen honorariae actiones waren ohne

Zweifel insgeſammt freye Klagen oder arbitria, ſo gut als

die bonae fidei judicia. Sie führen nicht dieſen Namen,

weil ſich bey ihnen die freye Behandlung von ſelbſt ver-

ſtand, und nicht erſt durch die Clauſel ex fide bona ge-

ſichert zu werden brauchte (Num. VI.).

 

Was endlich die extraordinariae actiones betrifft, ſo

iſt nicht zu zweifeln, daß in ihnen dieſelbe Freyheit der

Beurtheilung galt, wie in den b. f. actiones. Wenigſtens

von einer Beſchränkung der Macht des Judex konnte bey

ihnen unmöglich die Rede ſeyn, da hier die richterliche

Obrigkeit ſelbſt die Function des Judex übernahm.

 

XI.

Iſt nun bisher der gemeinſchaftliche Umfang der stricti

 

|0495 : 481|

Stricti juris, bonae fidei actiones. XI.

juris und bonae fidei actiones nach außen hin, im Ver-

hältniß zu den ihnen fremden Klagen, begränzt worden

(Num. VI—X.), ſo bleibt jetzt noch übrig unter ihnen

ſelbſt die rechte Gränze zu ziehen, alſo zu beſtimmen,

welche einzelne Klagen unter die eine, welche unter die

andere dieſer beiden Klaſſen gehörten.

Für die stricti juris actiones oder condictiones kann

dieſe Beſtimmung hier nur vorläufig, und in einer allge-

meinen Überſicht, verſucht werden, die genauere Unter-

ſuchung ſelbſt muß der beſonderen Abhandlung über die

Condictionen (Beylage XIV.) vorbehalten bleiben.

 

Die Fälle, in welchen dieſelben zur Anwendung kamen,

laſſen ſich auf Drey Klaſſen zurück führen: Datum, ex-

pensum latum, stipulatum (a).

 

Unter das Datum gehört zuerſt das Darlehen; dann aber

auch viele andere Thatſachen, welche einer andern Perſon

Stücke unſres Vermögens irrigerweiſe, ohne wahren Rechts-

grund, zuführen. Hieraus entſpringen die condictio inde-

 

(a) Cicero pro Roscio Com.

C. 5. „Pecunia petita est cer-

ta … Haec pecunia necesse

est, aut data, aut expensa

lata, aut stipulata sit.” Vor-

her (C. 4) wird geſagt: „Adnume-

rasse sese negat: expensum

tulisse non dicit, cum tabulas

non recitat: reliquum est, ut

stipulatum se esse dicat. Prae-

terea enim, quemadmodum

certam pecuniam petere pos-

sit, non reperio.” — L. 9 § 3

de R. C. (12. 1.). „.. ex om-

nibus contractibus haec certi

condictio competit, sive re fue-

rit contractus factus, sive ver-

bis, sive conjunctim” .. Es iſt

ausgelaſſen sive litteris, weil

dieſe Form des Vertrags zu Ju-

ſtinians Zeit verſchwunden war.

— Allerdings ſprechen beide ange-

führte Stellen nur von der certi

condictio, die auf eine beſtimmte

Summe in baarem Geld gieng;

allein die ausſchließende Beſchaf-

fenheit der drey Entſtehungsgründe

war allen str. j. actiones gemein.

V. 31

|0496 : 482|

Beylage XIII.

biti, sine causa, ob causam datorum, ob turpem vel in-

justam causam, furtiva, welche alle unzweifelhaft unter die

str. j. actiones gehören.

Expensum latum iſt der alte Literalcontract, deſſen

ſtreng wirkende Natur keinem Zweifel unterworfen iſt.

 

Das Stipulatum endlich, als gleichfalls unzweifelhafter

Entſtehungsgrund von stricti juris Klagen, iſt unter allen

dieſen Fällen der wichtigſte. Schon hier aber iſt es nöthig,

auf zwey, an ſich verſchiedene, Beziehungen der Stipula-

tion aufmerkſam zu machen. Sie war nämlich erſtens

Entſtehungsgrund von stricti juris actiones, und dieſe Be-

ziehung hat ihre gegenwärtige Erwähnung veranlaßt.

Sie war aber auch zweytens die einzige, im Römiſchen

Recht enthaltene, ganz allgemeine Vertragsform, wodurch

jeder beliebige Inhalt die Natur einer klagbaren Obliga-

tion erhalten konnte, und dieſe ihre wichtige Eigenſchaft

wäre an ſich auch mit einer aus ihr entſpringenden b. f.

actio vereinbar geweſen; von dieſer Bemerkung wird ſo-

gleich noch weiterer Gebrauch gemacht werden. — Durch

dieſe zweyte Beziehung unterſchied ſich die Stipulation

von allen anderen Verträgen; der Kauf z. B., die Socie-

tät, das Mandat u. ſ. w. haben ſtets nur einen einzelnen

Zweck und Inhalt: die expensilatio aber, obgleich durch

die Unbeſtimmtheit der Zwecke mit der Stipulation ver-

wandt, war wenigſtens darin beſchränkter, daß ſie nur

auf Geſchäfte in Geld angewendet werden konnte, nicht

auf Sachen anderer Art, noch auf Arbeit.

 

|0497 : 483|

Stricti juris, bonae fidei actiones. XII.

Der ausgedehnte und mannichfaltige Gebrauch der

Stipulation zur Begründung privatrechtlicher Anſprüche,

die außerdem gar nicht vorhanden geweſen wären, zeigt

ſich ſehr deutlich in folgender merkwürdigen Erzählung.

Im Jahr der Stadt 512 erfochten die Römer einen großen

Sieg über die Flotte der Karthager, weshalb dem Conſul

Lutatius der Triumph geſtattet wurde. Der Prätor Va-

lerius behauptete, daß Er das größere Verdienſt bey der

Schlacht gehabt habe, und um darüber einen Richter-

ſpruch zu erhalten, veranlaßte er den Conſul zu einer

Sponſion, worauf ein gewöhnlicher Judex über die Streit-

frage entſchied (b).

 

Dieſe dreyerley Entſtehungsgründe der str. j. actiones

laſſen ſich wiederum auf ein einfaches Princip zurück füh-

ren, welches erſt in der nachfolgenden Abhandlung von den

Condictionen gezeigt werden kann.

 

XII.

Für die Anwendung der b. f. actiones finden wir kein

allgemeines Princip aufgeſtellt, wohl aber ein Verzeichniß

 

(b) Valer. Max. II. 8. 2. Ohne

Zweifel war die Sponſion auf

eine Geldſumme gerichtet, wahr-

ſcheinlich nur zum Schein, alſo

inſofern ähnlich einer sponsio

praejudicialis (wie bey Gajus

IV. § 94.). Es kam nur auf

einen Ausſpruch über den Ehren-

punkt an. — Wir drücken dieſes

Verfahren, hier wie bey den ge-

richtlichen Sponſionen, gewöhnlich

als eine Wette aus, und das

war auch jede gegenſeitige Stipu-

lation (sponsio mit restipulatio)

allerdings; allein das juriſtiſche

Weſen ſolcher Wetten beſtand doch

31*

|0498 : 484|

Beylage XIII.

in den Inſtitutionen (a), welches offenbar nicht blos Bey-

ſpiele angeben, ſondern die Fälle ſelbſt vollſtändig aufzäh-

len will. Cicero giebt mehrere, damit faſt ganz überein-

ſtimmende, Beyſpiele an (b). Die entſprechende Stelle des

Gajus enthielt auch ein vollſtändiges Verzeichniß, ſie iſt

aber lückenhaft geblieben, und außerdem durch Schreib-

fehler entſtellt (c). Alle an dieſen Orten vorkommende

Fälle halten ſich in den, für die b. f. actiones oben ange-

gebenen Gränzen (Num. VI.). Die in den Inſtitutionen

vorkommenden Fälle lauten ſo:

§ 28. Bonae fidei sunt hae: ex empto vendito, lo-

cato conducto, negotiorum gestorum (d), mandati,

depositi, pro socio, tutelae, commodati, pigneraticia,

familiae erciscundae, communi dividundo (e), prae-

 

immer in den dazu angewendeten

Stipulationen.

(a) § 28. 29 J. de act. (4. 6.).

(b) Cicero top. C. 17, de

officiis III. C. 15. 17, de natura

deorum III. 30, in welcher letzten

Stelle ſehr fein unterſchieden wer-

den die judicia de fide mala

(welche infamiren wie tutelae

u. ſ. w.), und reliqua quae con-

tra fidem fiunt (wie emti u. ſ. w.)

(c) Gajus IV. § 62.

(d) In dieſer Klage iſt nun zu-

gleich mit begriffen die funeraria

actio, die ſich ja von ihr über-

haupt nur durch eine noch ausge-

dehntere Macht des Judex unter-

ſcheidet. L. 14 § 13 de relig.

(11. 7.).

(e) Man hat geglaubt, Dieſes

habe zur Zeit des Gajus noch

nicht gelten können, wegen der

ſtrengen Formel: quantum adju-

dicari oportet, judex Titio ad-

judicato (IV. § 42.). Vgl. Heff-

ter observ. in Gajum Comm.

IV. Allein daneben konnte noch

ſehr wohl ſtehen: quidquid dare

facere oportet ex fide bona,

condemnato. Schon Julian er-

klärt jene Klage für eine b. f.

actio. L. 24 pr. comm. div.

(10. 3.). Die Zeugniſſe des Ul-

pian und Paulus (L. 4 § 2 L. 14

§ 1 eod.) würden in dieſer Hin-

ſicht allerdings Nichts beweiſen. —

Die actio finium regundorum

ſcheint nicht aus Verſehen, ſondern

abſichtlich übergangen, und der

Grund möchte wohl darin liegen,

|0499 : 485|

Stricti juris, bonae fidei actiones. XII.

scriptis verbis quae de aestimato proponitur, et ea

quae ex permutatione competit(f), et hereditatis pe-

titio(g). Im § 29 wird noch hinzugefügt die actio

rei uxoriae, an deren Stelle jetzt eine actio ex sti-

pulatu, gleichfalls als b. f. actio, geſetzt worden ſey.

daß ſie im älteren Recht überhaupt

keine gewöhnliche actio, ſondern

ein ganz eigenthümliches, den Agri-

menſoren zuſtehendes, arbitrium

war, wobey übrigens ein ähnlich

freyes Ermeſſen wie bey einer b. f.

actio gelten mochte. Manche

ſetzen den Grund darin, daß dieſe

Klage quasi ex maleficio ge-

weſen ſey (Marezoll bey Linde

X. S. 290.), was jedoch nicht

richtig ſcheint; denn daß der Rich-

ter auch auf zufällig verübten do-

lus dabey Rückſicht nehmen ſoll,

iſt nichts Beſonderes, da es auch

bey den zwey anderen Theilungs-

klagen gilt; eigentlicher Klagegrund

iſt hier der dolus niemals.

(f) Manche haben angenommen,

nur dieſe zwey Fälle der actio

praescriptis verbis ſeyen b. f.,

weil nur ſie hier genannt ſeyen;

es iſt jedoch kaum denkbar, daß

irgend ein anderer Fall derſelben,

ſo wie ſie in L. 5 praescript.

verbis (19. 5.) zuſammengeſtellt

ſind, stricti juris ſeyn ſollte.

Namentlich ſteht damit ganz im

Widerſpruch die ſehr allgemeine

Äußerung Ulpians in L. 1 pr. de

aestim. (19. 3.) „quotiens enim

de nomine contractus alicujus

ambigeretur, … dandam aesti-

matoriam praescriptis verbis

actionem: est enim negotium

civile gestum, et quidem bona

fide. Quare omnia et hic lo-

cum habent, quae in bonae

fidei judiciis diximus.” Eben ſo

entſcheidend iſt folgender Umſtand.

Die Klage gegen Den, cui rem

inspiciendam dedi, geht nur auf

dolus, nicht auf culpa, wenn er

von dem Geſchäft keinen Vortheil

hat. L. 17 § 2 de praescr. verb.

(19. 5.), L. 10 § 1 L. 12 pr.

commod. (13. 6.). Gerade Die-

ſes aber iſt eine Eigenthümlichkeit

der b. f. contractus. L. 108

§ 12 de leg. 1. (30 un.). Im

Sinn Juſtinians ſind daher jene

zwey Fälle augenſcheinlich blos

Beyſpiele; vielleicht hatte der alte

Juriſt, von welchem ſie herrühren,

ſie ſchon eben ſo gemeynt: viel-

leicht waren es aber auch zu ſei-

ner Zeit erſt die einzigen aner-

kannten Fälle überhaupt, worin

eine actio praescriptis verbis

gelten ſollte; ganz gewiß hat er

nicht ſagen wollen, dieſe Klage

gelte auch in den übrigen Fällen

aber als stricti juris actio, ſon-

dern wenn er die beiden Fälle in

einem ausſchließenden Sinn er-

wähnte, ſo wollte er für die übri-

gen Fälle jede Civilklage verneinen.

(g) Vgl. oben Num. IX.

|0500 : 486|

Beylage XIII.

Cicero und Gajus fügen noch übereinſtimmend hinzu

die actio fiduciae (h), die mit der Mancipation in Ver-

bindung ſtand, und deshalb zu Juſtinians Zeit gänzlich

verſchwunden war. — In den Inſtitutionen hätten noch

hinzugefügt werden müſſen die Klagen aus dem emphy-

teuticarius contractus; denn da dieſer blos deswegen

für einen eigenen Contract erklärt wurde, weil ge-

zweifelt wurde, ob der Begriff der emtio oder der

conductio auf ein ſolches Geſchäft anwendbar ſey, ſo

konnte er nicht weniger, als dieſe beide Contracte, bonae

fidei ſeyn. Er mag wohl deshalb nicht genannt ſeyn,

weil zu der Zeit des K. Zeno, der ihn einführte (i), die

Unterſcheidung der b. f. actiones weniger wichtig war als

früher, oder auch weil man ſich damit begnügte, die bey

einem alten Juriſten zuſammengeſtellten Contractsklagen

abzuſchreiben.

 

Das hier aufgeſtellte ausſchließende Verzeichniß der

b. f. actiones beruhte nicht auf Willkühr; es enthielt alle

diejenigen Rechtsverhältniſſe, welche, nach der Erfahrung,

auf Treue und Glauben gegründet zu werden pflegten,

ohne daß man die Vorſicht ſtrenger Rechtsformen anzu-

wenden für nöthig hielt. Es war alſo damit ſo gemeynt,

daß man in allen anderen, etwa ſeltner vorkommenden,

 

(h) Cicero de officiis III. 15.

17, ad familiares VII. 12, Ga-

jus IV. § 62. Vgl. Beylage XIV.

Num. V. — Daher gab es denn

auch eine contraria fiduciae actio.

Paulus II. 13 § 7.

(i) L. 1 C. de j. emphyt.

(4. 66.).

|0501 : 487|

Stricti juris, bonae fidei actiones. XIII.

Verhältniſſen, die Form der Stipulation anwenden, ſonſt

aber gar nicht durch Klage geſchützt ſeyn ſollte.

XIII.

Das Verhältniß dieſer beiden Arten der Klagen zu

einander ſcheint man gewöhnlich ſo zu denken, als ob die

str. j. actiones exceptionelle oder privilegirte Klagen ge-

weſen wären, wodurch man dem Kläger in manchen Fäl-

len einen ſtrengeren Schutz gewährt hätte, in ähnlicher

Weiſe etwa wie es bey uns mit der Wechſelklage un-

zweifelhaft geſchieht. Dieſe Anſicht aber muß ſchon des-

wegen verworfen werden, weil bey dieſer Art der Klagen

Vortheile und Nachtheile des Klägers ſehr gemiſcht waren

(Num. II—IV.). Ferner wird dieſe Anſicht auch wider-

legt durch die Faſſung der angeführten Inſtitutionenſtelle.

In dieſer werden die Fälle der str. j. actiones gar nicht

angegeben, wohl aber die der b. f., und zwar dieſe nicht

durch ein allgemeines Princip, ſondern durch beſondere

Aufzählung. Dieſes Verfahren deutet darauf hin, daß

vielmehr die str. j. actiones die Regel bilden, die b. f., die

daneben ſtehenden einzelnen Ausnahmen.

 

Und in der That muß dieſes Verhältniß von Regel

und Ausnahme als das wahre anerkannt werden. Wir

müſſen, als Grundlage des urſprünglichen Obligationen-

rechts, einen ſtrengen Rechtsbegriff annehmen, nach welchem

überhaupt keine andere Klagen aus Rechtsgeſchäften zu-

läſſig waren, als die welche wir jetzt str. j. actiones nen-

 

|0502 : 488|

Beylage XIII.

nen. Sie reichten für das ſtrenge Bedürfniß hin, weil

die Stipulation eine ſo allgemeine Form war, daß jede

Art eines Vertrags, mochte es Kauf, Societät, Man-

dat u. ſ. w. ſeyn, in dieſelbe eingekleidet werden konnte.

In den Fällen ſolcher Rechtsgeſchäfte alſo wurde eine

Forderung durch den im Namen des Staats richtenden

Judex geſchützt, außer dieſen Fällen wurde ein Judex

verſagt.

Nun mochte es aber im täglichen Verkehr beſtändig

vorkommen, daß viele Geſchäfte auf Treue und Glauben

geſchloſſen wurden, ohne daß man die feyerliche Form der

Stipulation hinzufügte; die große Mehrzahl ſolcher Ver-

träge wurden, wie es auch bey uns geſchieht, erfüllt, ohne

daß man an die Hülfe eines Richters dachte. Wenn aber

in einzelnen Fällen über die Art der Erfüllung Streit ent-

ſtand, oder wenn der eine Theil ſich darauf berufen wollte,

daß er zu gar Nichts verpflichtet ſey, weil die Stipula-

tion fehle, ſollte dann die richterliche Hülfe verſagt wer-

den? Es lag ſehr nahe, dieſe zu geſtatten, und zwar mit

Rückſicht auf die unter rechtlichen Männern ohnehin herr-

ſchende Sitte und das darauf gegründete gegenſeitige Ver-

trauen (bona fides, ut inter bonos). Indem man aber

nicht ſowohl eine ſtrenge Verpflichtung nach Civilrecht,

als die Anerkennung der guten Sitte, zum Grund legte,

ſchien es zweckmäßig, auch die Art der Ausführung durch

dieſen Grund beſtimmen zu laſſen. Der Prätor nöthigte

die Parteyen, ſich über einen Richter in einer ähnlichen

 

|0503 : 489|

Stricti juris, bonae fidei actiones. XIV.

Weiſe zu vereinigen, wie es wohl auch ohne Richter zu

geſchehen pflegte (arbiter), und trug dieſem auf, den Streit

ſo zu entſcheiden, wie es dem unparteyiſchen Rechtsge-

fühl angemeſſen war, ohne Rückſicht auf die buchſtäblichen

Vorſchriften des Civilrechts.

Der hier aufgeſtellten Genealogie der Begriffe und

Rechtsverhältniſſe könnte man nun auch noch eine hiſto-

riſche Bedeutung beylegen, in folgender Weiſe. Man

könnte ſagen, es habe eine, vielleicht lange, Zeit gegeben,

worin die str. j. actiones die einzigen Contractsklagen

überhaupt geweſen wären; ſpäterhin ſeyen auch noch die

b. f. actiones zugelaſſen worden, alſo in Fällen, worin

früher gar nicht geklagt werden konnte. Dieſe hiſtoriſche

Behauptung iſt von der von mir hier aufgeſtellten völlig

verſchieden, indem es mit der meinigen völlig vereinbar

wäre, eine gleichzeitige Entſtehung der str. j. und b. f.

actiones, gleich bey der erſten Bildung des ordo judicio-

rum, das heißt des Formularprozeſſes, anzunehmen. Ich

enthalte mich hier über dieſe hiſtoriſche Frage jeder be-

ſtimmten Behauptung oder Verneinung (a).

 

XIV.

Die eben angegebene Behandlung der Sache bewährt ſich

in folgender Faſſung der Formeln. In den ſtrengen Kla-

gen (str. j. actiones) lautete die Intentio ſo:

 

(a) Vgl. Beylage XIV. Num. XLVII, wo dieſe Frage beſonders

erörtert wird.

|0504 : 490|

Beylage XIII.

Si paret Negidium Centum (oder hominem) dare

oportere

 

oder: Quidquid Negidium dare facere oportet.

Dieſe letzte Intentio behielt man in den freyen Klagen

bey, gab ihr aber einen Zuſatz:

Quidquid Negidium dare facere oportet ex fide bona.

 

Dieſer Zuſatz drückte zwey in ſich zuſammenhängende

Gedanken zugleich aus; erſtlich, daß überhaupt das opor-

tere nicht auf die ſtrenge, formelle Regel des Civilrechts

gegründet ſey, ſondern auf die Sitte und das Vertrauen,

welche unter rechtlichen Menſchen herrſchen; zweytens, daß

eben deshalb die Verpflichtung nach freyer Erwägung

aller Umſtände, mit gleicher Billigkeit gegen beide Par-

teyen, zu beurtheilen ſey.

 

Der Zuſatz ex fide bona war der häufigſte, und von

ihm erhielt dieſe ganze Klaſſe von Klagen den Namen

bonae fidei actiones. Bey einigen Klagen waren andere

Ausdrücke gebräuchlich, jedoch in demſelben Sinn. So

bey der actio fiduciae der Ausdruck: ut inter bonos bene

agier oportet (a). Daß man dieſen Ausdruck für gleich-

bedeutend hielt mit ex fide bona, erhellt aus den Stellen

des Cicero und des Gajus, worin dieſelbe Klage unter

die b. f. actiones gezählt wird (b).

 

Eben ſo war bey der actio rei uxoriae herkömmlich

 

(a) Cicero de off. III. 15. 17,

ad fam. VII. 12, top. C. 17. In

der erſten Stelle hat die Formel noch

den Zuſatz: et sine fraudatione.

(b) Cicero de off. III. 17,

Gajus IV. § 62.

|0505 : 491|

Stricti juris, bonae fidei actiones. XIV.

der Ausdruck aequius melius (c); darum wurde nicht we-

niger dieſe Klage unter die b. f. actiones gerechnet (d).

Bey dieſem letzten Ausdruck jedoch (aequius melius)

iſt zu bemerken, daß er noch eine eigenthümliche Bedeu-

tung hatte. Er bezeichnete nämlich überall eine, nicht ſo-

wohl in der Natur der Klage, als in den beſonderen

Bedürfniſſen einiger Rechtsverhältniſſe gegründete ſo freye

richterliche Beurtheilung, wie ſie ſelbſt bey den gewöhn-

lichen b. f. actiones nicht vorzukommen pflegte. Daher

wurde dieſer Zuſatz ſelbſt bey einigen prätoriſchen Klagen

nöthig gefunden, die niemals den Zuſatz ex fide bona

führten, weil ſich bey ihnen das den b. f. actiones zu-

kommende freye Ermeſſen ohnehin von ſelbſt verſtand, an-

ſtatt daß auch bey ihnen dieſer noch höhere Grad der

freyen Macht einer beſonderen Hindeutung bedurfte. Die

wenigen Klagen, in welchen dieſes ungewöhnlich freye Er-

meſſen eintrat, hießen in bonum et aequum conceptae (e).

 

(c) Cicero de off. III. 15,

top. C. 17. — Wörtliche Anſpie-

lungen darauf noch in den Dige-

ſten. L. 66 § 7 sol. matr. (24. 3.),

L. 82 de solut. (46. 3.).

(d) § 29 J. de act. (4. 6.),

L. 36 de pec. (15. 1.). „In b. f.

contractibus .. ut est in actione

de dote agitatum … hoc et in

ceteris b. f. judiciis accipien-

dum esse,” L. 21 sol. matr.

(24. 3.). „.. si .. de dote age-

ret .. ut in ceteris b. f. judi-

ciis.” Dieſe Stellen rühren aus

denſelben Zeiten her, worin doch

auch noch der Ausdruck aequius

melius im Gebrauch war (Note c).

(e) Vgl. Syſtem Band 2 § 71,

beſonders Note d—k. — Der

Name actiones in bonum et

aequum conceptae drückt aus,

daß in der formulae conceptio

die Ausdrücke bonum aequum,

oder aequius melius vorkamen.

|0506 : 492|

Beylage XIII.

XV.

Um die hier dargeſtellte Natur der str. j. und b. f.

actiones vollſtändig aufzufaſſen, iſt es jedoch nöthig, auch

noch die verſchiedenen Arten von Übergängen zu betrach-

ten, die zwiſchen jenen Klaſſen der Klagen Statt fanden.

 

Das freye Ermeſſen des arbiter zeigte ſich in den b. f.

actiones faſt durchaus in gleicher Ausdehnung (a); dage-

gen erſcheint bey den str. j. actiones die geringere Frey-

heit des judex in ſehr verſchiedenen Graden. Bey der

Formel: Si paret Centum dare oportere hatte der Judex

nur die Wahl, entweder 100 zuzuſprechen oder ganz zu

abſolviren. Bey der Formel: Si paret fundum dare opor-

tere hatte er, außer jener Wahl, auch noch die Sache in

Geld abzuſchätzen. Endlich bey der Formel: Quidquid

dare facere oportet war das Ermeſſen in der Beſtimmung

der Geldſumme nothwendig noch weit freyer. In dieſer

Abſtufung iſt es einleuchtend, daß die Fälle der letzten Art

ſich den b. f. actiones ſehr annäherten, wie ſie denn auch

in der Abfaſſung der Intentio mit denſelben faſt ganz über-

einſtimmten, und nur durch den fehlenden Zuſatz ex fide

bona von ihnen unterſchieden wurden.

 

(a) Nämlich nur mit Ausnahme

der wenigen actiones in bonum

et aequum conceptae, für welche

eine noch freyere Macht des Ar-

biter galt (Num. XIV.).

|0507 : 493|

Stricti juris, bonae fidei actiones. XVI.

XVI.

Noch wichtiger aber iſt es, daß die Rechtsgeſchäfte,

welche eigentlich dazu beſtimmt waren, Klagen von einer

dieſer Klaſſen ausſchließend hervorzubringen, durch will-

kührliche Handlungen in die andere Klaſſe der Klagen

hinüber geleitet werden konnten. Dieſes konnte geſchehen

bald durch den Willen der Parteyen, bald durch den des

Prätors.

 

Der Wille der Parteyen konnte jedem, ſeiner Natur

nach freyen, Rechtsgeſchäft, die ſtrenge, buchſtäbliche Na-

tur dadurch mittheilen, daß ſie daſſelbe in eine Stipula-

tion, oder in gegenſeitige Stipulationen, einkleideten, und

zwar entweder gleich Anfangs, oder auch durch eine ſpä-

terhin umwandelnde Novation. Dieſes lag in der Natur

der Stipulation als der allgemeinſten und unbeſtimmteſten

Form der Verträge überhaupt, für jeden beſonderen In-

halt gleich empfänglich, und daher auch für das in ſie

eingekleidete Geſchäft ausſchließend die Norm abgebend,

auch wenn dieſes Geſchäft außerdem eine andere Klage,

ſey es von einer gleich ſtrengen, oder von einer freyeren,

Natur zur Folge gehabt haben würde. Wurde daher ein

Darlehen in eine Stipulation eingekleidet, ſo entſprang

daraus eine einfache verborum obligatio (a). Eben ſo bey

 

(a) L. 126 § 2 de V. O. (45. 1.).

„.. quotiens pecuniam mutuam

dantes eandem stipulamur, non

duae obligationes nascuntur,

sed una verborum.” L. 6 § 1

L. 7 de novat. (46. 2.).

|0508 : 494|

Beylage XIII.

einer Societät (b), einem Kauf, einem Miethcontract u. ſ. w.,

worin ſtipulirt worden war; hier wurde überall die b. f.

actio von der ſtrengen Stipulationsklage abſorbirt, und

zwar weil es die Parteyen ſo gewollt hatten, die ja be-

ſondere Gründe haben konnten, die ſtrenge Klage der

freyen vorzuziehen (c). Ganz beſonders aber wurde zum

Zweck einer ſolchen Umwandlung die literarum obligatio

gebraucht (d).

(b) Wurde zuerſt die Societät

als ſolche ſchriftlich abgeſchloſſen,

und unmittelbar nachher auf den-

ſelben Inhalt ſtipulirt, ſo war An-

fangs eine consensu contracta

(alſo b. f.) obligatio vorhanden,

die gleich nachher durch eine No-

vation völlig abſorbirt wurde.

L. 71 pr. pro socio (17. 2.).

„.. si quidem pacto convento

inter eos de societate facto

ita stipulati essent: haec ita

dari fieri spondes? futurum

fuisse, ut si novationis causa

id fecissent, pro socio agi non

possit, sed tota res in stipula-

tionem translata videretur.”

Anders wäre es geweſen, wenn

man nicht erſt ein pactum con-

ventum de societate abgeſchloſ-

ſen, ſondern die Bedingungen der

Societät gleich Anfangs in Frage

und Antwort gefaßt hätte; dann

war nur ein einziger Vertrag, die

Stipulation, vorhanden, keine No-

vation. So wird die Sache aus-

drücklich in Beziehung auf das

Darlehen angegeben in den Stel-

len der Note a. — Viele Beyſpiele

von Schenkungen und Kauſcon-

tracten mit der Stipulationsclau-

ſel am Schluß ſ. bey Spangen-

berg tabulae negotiorum Num.

22. 23. 26. 49. 50. 52. 52a. 54.

55. 57. — Es war nämlich auch ſehr

gewöhnlich, alle genauere Beſtim-

mungen in der Geſtalt einer nuda

pactio abzufaſſen, und die beſtäti-

gende Stipulationsformel vorher

oder hintenan zu ſtellen. L. 7 § 12

de pactis (2. 14.), Paulus II. 22

§ 2, L. 27 C. de pactis (2. 3.).

Man hätte eben ſo gut den gan-

zen Inhalt der Verabredung un-

mittelbar in die Frage aufnehmen

können, wodurch nur die Rede un-

behülflicher und weniger verſtänd-

lich geworden wäre.

(c) Daß die Stipulation ſogar

dazu gebraucht wurde, publieiſtiſche

Fragen vor einen Privatrichter zu

bringen, iſt ſchon oben bemerkt

worden (Num. XI.).

(d) S. u. Beylage XIV. Num.

IX.

|0509 : 495|

Stricti juris, bonae fidei actiones. XVII.

XVII.

Umgekehrt konnten die Parteyen wünſchen, der Stipu-

lation, ohne welche in vielen Fällen überhaupt keine klag-

bare Obligation begründet werden konnte (Num. XI.),

doch zugleich die Natur einer freyen Obligation und Klage

mitzutheilen. Dieſes geſchah dadurch, daß ſie eine dahin

führende Beſtimmung in die Worte der Stipulation ſelbſt

aufnahmen, ſo daß der Schuldner ausdrücklich dazu ver-

pflichtet wurde, irgend Etwas nach Art der bona fides

zu leiſten. Zu dieſem Zweck konnten gewiß geradezu die

Worte bona fide gebraucht werden; eben ſo aber auch

recte, fide (a); ja ſogar dem bloßen Worte recte wurde

dieſe Kraft zugeſchrieben (b). Am Häufigſten aber ge-

brauchte man die Formel, welche als doli clausula be-

zeichnet wird, und alſo lautet: dolum abesse abfuturum-

que (c).

 

In ſolchen Fällen nun war die Klage als ſolche keine

b. f. actio; ſie wurde nicht von einem arbiter, ſondern

 

(a) L. 122 § 1 de V. O. (45. 1.)

„recte dari fieri fide.” Vgl.

Huschke de actionum formulis

p. 31.

(b) L. 73 de V. S. (50. 16.).

„Haec verba in stipulatione

posita: eam rem recte resti-

tui fructus continent. Recte

enim verbum pro viri boni ar-

bitrio est.” Viele Beyſpiele ſol-

cher Stipulationen mit dem Wort

recte ſind zuſammen getragen von

Brissonius selectae ant. I. 9.

(c) L. 38 § 13, 121 pr. L. 22,

53, 119 de V. O. (45. 1.), L. 4

§ 16 in f. de doli exc. (44. 4.).

L. 31 de receptis (3. 8.), L. 3

C. eod. (2. 56.). — Mehrere Bey-

ſpiele dieſer Formel finden ſich in

den Urkunden bey Spangenberg

ſ. o. Num. XVI. b.

|0510 : 496|

Beylage XIII.

von einem judex beurtheilt. Der judex aber war ſelbſt durch

den Buchſtaben der ihm vorgelegten Stipulation angewie-

ſen, genau ſo zu urtheilen, wie er als arbiter in einer

b. f. actio hätte urtheilen müſſen; Dieſes galt nicht nur

in Anſehung der Zinſen und Früchte, ſondern auch eben

ſo in Anſehung der in der formula nicht ausgedrückten Ex-

ceptionen (d).

Hieraus erklären ſich zwey aus ſehr verſchiedenen Zei-

ten herrührende Geſetze, worin Klagen aus fingirten Sti-

pulationen vorgeſchrieben werden, jedoch mit Berückſichti-

gung der bona fides, welches bey neueren Schriftſtellern

unnöthigen Anſtoß erregt hat. Das erſte iſt die Lex Gal-

liae cisalpinae, welche, im Fall der verweigerten damni

infecti repromissio oder satisdatio, Klagen aus einer fin-

girten Stipulation in folgenden Worten vorſchreibt:

C. 20 vers. 26. 27 „quicquid eum Q. Licinium ex

ea stipulatione Sejo dare facere oporteret ex fide

bona”

 

und eben ſo wiederholt (für die Satisdation) in den Zei-

 

(d) Cujacius in L. 53 de V.

O., opp. T. 1 p. 1198. Zim-

mern Rechtsgeſchichte B. 3 S. 184.

275. Huschke de actionum for-

mulis p. 31. Dieſer Letzte nimmt

es nur darin zu ſubtil, daß er be-

hauptet, das Object ſey nun nach

b. f. beurtheilt worden, die Obli-

gation ſelbſt nicht; zu dem Object

rechnet er Mora, Culpa, Zinſen,

zu der Obligation die nicht aus-

gedrückten Exceptionen. Allein es

wird ausdrücklich geſagt, daß die

doli clausula auch wirke gegen

den stipulator qui dolo fecit.

(Vgl. die zwey letzten Stellen in

Note c). Dieſes iſt nun aber ge-

rade die der bona fides eigen-

thümliche Gegenſeitigkeit, wodurch

eben die Beachtung der in der

formula nicht ausgedrückten Ex-

ceptionen zuläſſig und nöthig wird.

|0511 : 497|

Stricti juris, bonae fidei actiones. XVII.

len 35. 36. Es fällt allerdings auf, in der Intentio einer

Stipulationsklage die Worte ex fide bona zu leſen; ſie

wären überflüſſig geweſen, wenn der Judex den Text einer

wirklich mit dieſer Clauſel abgeſchloſſenen Stipulation vor

ſich gehabt hätte, und ſie wurden hier aus Vorſicht hin-

zugefügt, weil die Stipulationen, woraus geklagt werden

ſollte, blos fingirt waren.

Eben ſo ſetzte Juſtinian an die Stelle der alten actio

rei uxoriae eine auf fingirter Stipulation beruhende actio

ex stipulatu, lediglich um die Klage vererblich zu machen.

Dieſer neuen Klage theilt er ganz die Natur der alten,

als einer b. f. actio, mit, und er verfährt hierin ganz im

Geiſt des älteren Rechts, indem er offenbar eine Stipula-

tion mit der doli clausula fingiren will, ganz wie es ſchon

die Lex Galliae cisalpinae gethan hatte. Nur darin iſt

ſein Ausdruck dem älteren Recht nicht gemäß, daß er die

neu eingeführte Klage geradezu eine b. f. actio nennt (e).

Dieſer Ausdruck wäre zur Zeit des älteren Rechts erheb-

lich geweſen, indem nun ein arbiter anſtatt eines judex

hätte urtheilen müſſen. In Juſtinians Zeit war Dieſes,

wegen der allgemeinen extraordinaria judicia, gleichgültig,

indem es nur noch auf den Erfolg der Klage und den

Inhalt des Urtheils ankommen konnte.

 

(e) § 29 J. de act. (4. 6.)

„ex stipulatu actio, quae pro

ea introducta est, naturam bo-

nae fidei judicii tantum in ex-

actione dotis meruit, ut bonae

fidei sit.” In dem urſprünglichen

Geſetz, welches im Codex ſteht, iſt

der Ausdruck vorſichtiger. L. un.

§ 2 C. de rei ex. act. (5. 13.)

„accommodetur ei natura rei

uxoriae, et bonae fidei benefi-

cium.”

V. 32

|0512 : 498|

Beylage XIII.

Derſelbe Erfolg, welchen die doli clausula einer Sti-

pulation herbeyführte, konnte auch noch auf einem ande-

ren Wege bewirkt werden, wenn nämlich als Inhalt der

Stipulation ausgedrückt wurde die Geſammtheit der Ver-

pflichtungen, welche bisher aus einem b. f. contractus ent-

ſprungen waren, z. B. wenn ein Verpächter von dem

Pächter ſtipulirte: quidquid te mihi dare facere opor-

tet (f). Denn durch dieſe Faſſung wurde gerade derjenige

Inhalt in die Stipulation gelegt, den außerdem die locati

actio gehabt haben würde.

 

XVIII.

Es geſchah aber nicht blos durch den Willen der Par-

teyen, daß freye Klagen in ſtrenge verwandelt wurden,

ſondern auch der Prätor pflegte nicht ſelten eine ſolche

Verwandlung zu bewirken. Wo er es jedoch aus eigenem

Antriebe that, da lag nicht ſowohl die Abſicht zum Grunde,

die ſtrenge Prozeßart der freyen vorzuziehen, als vielmehr

beſtimmte Strafen vertragsmäßig herbeyzuführen, wozu die

Stipulation die einzige Form darbot (Num. XI.).

 

Die actio constitutae pecuniae war vom Prätor neu

eingeführt, alſo ein arbitrium; um aber ihre Wirkung zu

verſtärken, zwang der Prätor den Beklagten zu einer Sti-

pulation, worin er dem Kläger eine Succumbenzſtrafe

 

(f) L. 89 de V. O. (45. 1.), L. 1 § 4 quar. rer. actio (44. 5.),

L. 27 de novat. (46. 2.).

|0513 : 499|

Stricti juris, bonae fidei actiones. XIX.

von Fünfzig Prozenten der eingeklagten Summe ver-

ſprach (a).

Die prohibitoriſchen Interdicte (wie uti possidetis)

waren prätoriſche Klagen; mit ihnen aber wurden ſtets

erzwungene Strafſtipulationen verbunden (b). In der Re-

gel verhielt es ſich eben ſo mit den reſtitutoriſchen und

exhibitoriſchen Interdicten; nur konnte hier ſowohl der

Kläger, als der Beklagte, dieſen Zuſtand dadurch ändern,

daß er eine arbitraria formula verlangte (c).

 

Bey dem Streit über Eigenthum ſtand es wohl in der

Wahl des Klägers, ob die ſtrenge Sponſionsklage, oder

die freye petitoria formula angewendet werden ſollte (Num.

IX.). Der einzige Zweck dieſer Wahl beſtand, wie es

ſcheint, gerade in der erwähnten Verſchiedenheit des Ver-

fahrens. Zwar war die Sponſion auf eine Geldſumme

gerichtet, aber nur zum Schein, da das Geld gar nicht

eingefordert wurde; ohnehin war die Summe ſo klein,

daß ſie ſchon deshalb nicht als ein ernſtlicher Zweck ge-

dacht ſeyn konnte (d).

 

XIX.

Umgekehrt kam es auch ſehr oft vor, daß durch den

 

(a) Gajus IV. § 171.

(b) Gajus IV. § 141.

(c) Gajus IV. § 141. 162—165.

Es iſt hier meiſt nur von dem

Beklagten die Rede, weil es et-

was Beſonderes war, daß dieſer

dem Antrag des Klägers auf Spon-

ſion ausweichen konnte. Der Klä-

ger hatte, wie ſich von ſelbſt ver-

ſtand, die Wahl zwiſchen beider-

ley Anträgen gleich Anfangs in

ſeiner Macht.

(d) Gajus IV. § 93. 94.

32*

|0514 : 500|

Beylage XIII.

Willen des Prätors ſolche Klagen, die an ſich str. j. actio-

nes waren, die Natur von freyen Klagen mitgetheilt be-

kamen, ja es läßt ſich wohl annehmen, daß dieſes überall

geſchah, wo vom Prätor eine Stipulation erzwungen

wurde, die nicht gerade auf eine Strafe gerichtet war

(XVIII.). Die Rechtsform, wodurch dieſe Modification

bewirkt wurde, war dann dieſelbe, wie wenn der Wille

der Parteyen eine ſolche Veränderung herbeyführte (XVII.).

Es wurde nämlich in die erzwungene Stipulation die doli

clausula aufgenommen, wodurch der str. j. actio, die nun

allerdings (vor einem judex) eintreten mußte, derſelbe Er-

folg geſichert war, der bey einer b. f. actio (vor einem

arbiter) eingetreten ſeyn würde.

Ich will hier die Fälle erzwungener Stipulationen zu-

ſammen ſtellen, von welchen wir beſtimmt wiſſen, daß ſie

die doli clausula in ſich ſchloſſen.

 

Die Stipulation von Bürgen, wodurch jeder Fructuar

dem Eigenthümer Sicherheit beſtellen muß (a).

 

Die Bürgſchaft, wodurch die Wirkung einer operis

novi nunciatio abgewendet wird (b).

 

Die Stipulationen wegen damnum infectum (c).

 

(a) L. 5 pr. usufr. quemadm.

cav. (7. 9.).

(b) L. 21 § 2 de op. novi

nunc. (39. 1.).

(c) Hier haben wir kein ſo wört-

liches Zeugniß, wie für die übri-

gen Fälle, allein die in L. 28

L. 40 pr. de damno inf. (39. 2.)

anerkannte freye Beurtheilung läßt

keinen Zweifel, daß auch da die

doli clausula eingerückt zu wer-

den pflegte. Huschke de actio-

num formulis p. 31. — Es war

hier übrigens bald eine bloße re-

promissio, bald eine satisdatio.

|0515 : 501|

Stricti juris, bonae fidei actiones. XIX.

Verſchiedene Bürgſchaften in Beziehung auf Legate (d).

 

Die prozeſſualiſche Bürgſchaft judicatum solvi (e); des-

gleichen ratam rem haberi (f).

 

Außerdem aber, und was noch wichtiger war, kamen

vielleicht ſolche Stipulationen mit doli clausula bey jeder

Litisconteſtation vor, ſolange der ordo judiciorum beſtand,

ſo daß nur durch deſſen Untergang zugleich die Nachricht

von jenen Stipulationen aus unſren Rechtsquellen ver-

ſchwunden ſeyn möchte. Dadurch allein läßt ſich auf un-

gezwungene Weiſe die ſchon oben mitgetheilte Thatſache

erklären, daß für jede stricti juris obligatio, von der Zeit

der Litisconteſtation an, ähnliche Wirkungen eintraten,

wie ſie außerdem nur bey den bonae fidei contractus

wahrgenommen werden, ſo daß von dieſer Zeit an die

omnis causa geleiſtet werden mußte (Num. III. d. e.).

 

Endlich auch, von allen dieſen Modificationen abge-

ſchen, brachte der Prätor in jedem einzelnen Fall ſchon

dadurch die ſtrengen Klagen den freyen näher, daß er

eine doli exceptio gab, ſo oft ſich dazu hinreichende Ver-

anlaſſung darbot. Denn die Beachtung der etwa vorhan-

denen Exceptionen war nur inſofern ein eigenthümlicher

Vorzug der b. f. actiones, als der Richter aus eigener

Macht bey ihnen darauf Rückſicht nehmen ſollte; der Prä-

 

(d) L. 1 pr. § 3 si cui plus

(35. 3.), L. 1 pr. ut legat.

(36. 3.). (Eine Folge aus dieſer

Natur der Stipulation im § 13

eod.).

(e) L. 17 — 19 judic. solvi

(46. 7.), L. 45 de her. pet.

(5. 3.).

(f) L. 22 § 7 ratam rem

(46. 8.).

|0516 : 502|

Beylage XIII. Stricti juris, bonae fidei actiones.

tor aber war an dieſen Unterſchied auf keine Weiſe ge-

bunden (Num. V.).

XX.

Faſſen wir die hier dargeſtellten Übergänge, welche

zwiſchen beiden Klaſſen von Klagen wahrgenommen wer-

den (Num. XVI — XIX.) zuſammen, ſo erſcheint darin das

Beſtreben, den ſtrengen Klagen eine freyere Natur mitzu-

theilen, vorherrſchend vor dem entgegengeſetzten Verfahren.

Wir dürfen alſo wohl annehmen, daß man die Eigenthüm-

lichkeit der stricti juris actiones nicht etwa als das an

ſich Beſſere, Wünſchenswerthe anſah, ſondern nur als die

aus der älteren Zeit als vorherrſchend betrachtete Regel,

von deren Feſſeln man ſich allmälig frey zu machen ſuchte.

Es geſchah aber Dieſes auf dieſelbe Weiſe, die wir auch

in der Entwicklung anderer Inſtitute des Römiſchen Rechts

wahrnehmen; nicht plötzlich, vermittelſt eines durchgreifen-

den Acts der Geſetzgebung, ſondern durch eine Nachhülfe

in einzelnen Fällen, die ſich der älteren Rechtsform unge-

zwungen und fortbildend anſchloß, ſo daß die ſtrengere

und freyere Form lange Zeit neben einander beſtanden,

und auch der individuellen Willkühr ein weiter Spielraum

hierin gelaſſen wurde.

 

|0517 : 503|

Beylage XIV. Die Condictionen. I.

Beylage XIV.

Die Condictionen.

(Zu § 218 — 220.)

I.

Schon oben iſt die Behauptung aufgeſtellt worden, der

Ausdruck condictio ſey völlig gleichbedeutend mit stricti

juris actio, und hierin eben liege der Grund, weshalb die-

ſer letzte Ausdruck ſo ſelten in unſren Rechtsquellen ge-

braucht werde (a). Der Sinn dieſer Behauptung wird

nun durch die in der vorhergehenden Beylage geführte

Unterſuchung näher dahin beſtimmt, daß unter condictio

zu verſtehen iſt die perſönliche Civilklage aus einem Rechts-

geſchäft, inſofern dieſe Klage zugleich ſtrenger Natur, das

heißt nicht durch den Zuſatz ex fide bona in das freyere

Ermeſſen des Judex geſtellt war. Durch dieſe Beſtim-

mungen ſind demnach von dem Gebiet der Condictionen

ausgeſchloſſen: alle honorariae actiones, alle Klagen in

rem, alle Delictsklagen, alle b. f. actiones.

 

Ein unmittelbares Zeugniß für die völlig gleiche Be-

deutung beider Kunſtausdrücke läßt ſich hier noch nicht

 

(a) Beylage XIII. Num. 1.

|0518 : 504|

Beylage XIV.

angeben, da die Stellen des Gajus, die allerdings als Zeug-

niſſe dafür gelten können, erſt noch mancher Vorbereitung

bedürfen, um völlig verſtanden zu werden. An dieſer Stelle

kann ich mich nur erſt darauf berufen, daß in der That

alle bekannte Condictionen stricti juris ſind, und daß die

ſo eben von dem Gebiet der Condictionen ausgeſchloſſenen

Klagen auch in der That den Namen condictio nicht füh-

ren (b). Allerdings wäre es denkbar, daß der Ausdruck

condictio in zufälliger Abwechslung mit actio, und ohne

feſte Gränze nach dieſer Seite hin, gebraucht würde. So

iſt es jedoch nicht, vielmehr wird der Ausdruck außer

dem angegebenen Gebiet ſorgfältig vermieden, ja, was

ganz entſcheidend iſt, es wird in einzelnen Fällen genau

unterſucht, ob die Klage ex empto (welche bekanntlich bo-

nae fidei iſt), oder vielmehr die condictio gelte? Die

Entſcheidung fällt dahin aus, daß beide Klagen völlig

begründet ſeyen, daß alſo der Kläger zwiſchen beiden die

Wahl habe (c). Die Frage ſowohl, als die Entſcheidung,

(b) Man könnte gegen dieſe

letzte Behauptung einwenden: 1)

Aus Delicten entſtehe die condic-

tio furtiva und zuweilen eine

condictio ex L. Aquilia (L. 9

§ 1 de R. C. 12. 1.). Es wird

aber unten gezeigt werden, daß

dieſe Klagen nicht aus Delicten,

ſondern aus contractsähnlichen

Rechtsgeſchäften entſtehen. 2) L.

19 § 2 de prec. (43. 26.) „in-

certi condictione, id est prae-

scriptis verbis,” da nämlich die

zuletzt genannte Klage bonae fidei

iſt; allein in dieſer Stelle muß

nach Handſchriften geleſen werden:

incerta actione. Vgl. Syſtem

§ 217 o.

(c) L. 11 § 6 de act. emti

(19. 1.) „.. qua actione agen-

dum est? utrum condicatur,

quasi ob causam datus sit, et

causa finita sit: an vero ex

empto agendum sit? Et Julia-

nus diceret, ex empto agi posse:

certe etiam condici poterit,

quia jam sine causa apud ven-

ditorem est anulus.”

|0519 : 505|

Die Condictionen. II.

ſetzt einen ſcharfen Gegenſatz zwiſchen beiden ſo bezeichne-

ten Arten der Klagen voraus, und zwar einen ſolchen

Gegenſatz, woran ſich ein practiſches Intereſſe geknüpft

haben muß, da über den leeren Namen ſchwerlich ein ern-

ſter Streit geführt worden wäre.

Es iſt kaum glaublich, und zeugt von der höchſten Un-

klarheit, die in dieſer Lehre herrſcht, daß gerade umgekehrt

von namhaften Schriftſtellern behauptet worden iſt, alle

Condictionen ſeyen b. f. actiones (d); eine beſondere Wi-

derlegung dieſer Behauptung iſt nicht zu verlangen, es iſt

nur dafür zu ſorgen, daß die Möglichkeit derſelben Jedem,

der die gegenwärtige Unterſuchung bis zu Ende verfolgt,

unbegreiflich erſcheine.

 

II.

Obgleich nun alſo die Condictionen auf ein genau be-

gränztes Gebiet eingeſchränkt waren, ſo ſtanden ſie doch,

als einzelne Art, unter der allgemeinen Gattung der ac-

tiones. Dieſes zeigt ſich in folgenden Varietäten ihrer

Bezeichnung:

Actio quae vocatur condictio. pr. J. quib. mod. re

(3. 14.). Actio condictionis L. 1 C. de cond. ind. (4. 5.)

L. 2 C. de cond. ob causam dat. (4. 6.) Condictitia

actio. L. 24 de R. C. (12. 1.), § 1 J. quib. m. re

(3. 14.) L. 7 de cond. causa data (12. 4.), L. 3 C.

 

 

(d) Glück B. 13 S. 8 und §

835. Dieſer Irrthum hängt mit

einem anderen zuſammen, der wei-

ter unten erwähnt werden wird.

Num. III. e.

|0520 : 506|

Beylage XIV.

de don. quae sub mod. (8. 55.) Condictitia § 24 J. de

act. (4. 6.) L. 55 de don. int. vir. (24. 1.). L. 13 § 2

de jurej. (12. 2.).

Ja ſogar wird zuweilen in den Fällen unſtreitiger Con-

dictionen der bloße Name actio, ohne den Zuſatz condic-

tio, gebraucht (a). Dieſes geſchieht jedoch nur da, wo die

Condictionennatur ohnehin ſo unzweifelhaft iſt, daß die

genauere Bezeichnung als überflüſſig erſcheint; dagegen

wird dieſe gewiß nie fehlen, wo es auf die Unterſcheidung

einer Condiction von einer Klage anderer Art ankommt (b).

 

Die eben behauptete gleiche Bedeutung der Ausdrücke

condictio und stricti juris actio iſt jedoch nur wahr für

den ſeit der Einführung des ordo judiciorum, oder des For-

mularprozeſſes, herrſchenden Sprachgebrauch. Zur Zeit der

alten Legis actiones hatte der Ausdruck eine engere Bedeutung,

indem er nur von zwey einzelnen Klagen gebraucht wurde (c).

Es wird jedoch unten gezeigt werden, in welchem hiſtori-

ſchen Zuſammenhang auch dieſe ältere Bedeutung mit der

in unſren Rechtsquellen herrſchenden neueren gedacht wer-

den muß; dieſe letzte übrigens iſt allein der Gegenſtand

der hier aufzuſtellenden Unterſuchung.

 

(a) Actio pecuniae creditae.

L. 70 de proc. (3. 3.), L. 12 § 1

de distr. (20. 5.). — Actio cer-

tae creditae pecuniae. Gajus IV.

§ 13.

(b) Es erſcheint alſo hier eine

ähnliche Zweydeutigkeit wie bey

dem Ausdruck judex, welcher bald

den ſtrengen Gegenſatz gegen ar-

biter bezeichnet, bald den Gat-

tungsbegriff, unter welchem dieſe

beide Arten gemeinſchaftlich ent-

halten ſind. Vgl. Syſtem § 218.

(c) Gajus IV. § 18 — 20.

|0521 : 507|

Die Condictionen. III.

III.

In der Lehre von den Condictionen ſind nunmehr Zwey

gleich wichtige und ſchwierige Fragen zu beantworten:

Erſtlich, welche Rechtsgeſchäfte ſind dazu geeignet, Con-

dictionen (stricti juris actiones) hervorzubringen, oder:

welches ſind die Bedingungen zuläſſiger Condictionen?

 

Zweytens, welche verſchiedene Arten der Condictio-

nen kommen vor, und wie unterſcheiden ſich dieſelben durch

eigenthümliche Wirkungen?

 

Bey der erſten Frage, nach den Bedingungen der Con-

dictionen, muß vor Allem an Dasjenige erinnert werden,

was darüber ſchon vorläufig, bey der Unterſuchung der

b. f. actiones, bemerkt worden iſt (a). Dieſe letzten werden

uns in einer langen Reihe einzelner Fälle aufgezählt, ohne

Zurückführung auf ein Princip; von den Fällen, worin die

str. j. actiones gelten ſollen, wird daneben gar Nichts ge-

ſagt. Dürfen wir nun mit Wahrſcheinlichkeit annehmen,

daß dieſe verſchiedene Behandlung nicht auf gedankenloſer

Willkühr, ſondern auf inneren Gründen, beruht, ſo läßt

ſich aus dieſer unmittelbaren Wahrnehmung ſchließen, daß

die Fälle, worin die Condictionen gelten ſollen, aus ei-

nem einfachen, gemeinſchaftlichen Princip abzuleiten ſind,

welches nur ſtillſchweigend vorausgeſetzt, nicht ausgeſpro-

chen wird.

 

(a) Beylage XIII. Num. XI. XII.

|0522 : 508|

Beylage XIV.

Neuere Schriftſteller haben ein ſolches Princip aufge-

ſtellt, das ſich auf den erſten Blick dadurch empfiehlt, daß

es zugleich auf beide Arten der Klagen anwendbar ſeyn

würde (b). Sie ſetzen das Weſen des Unterſchieds in die

Einſeitigkeit und Gegenſeitigkeit der Rechtsgeſchäfte, ſo

daß die einſeitigen stricti juris, die gegenſeitigen bonae

fidei ſeyn ſollen. Allein wenn wir auf die natürlichen,

ungekünſtelten Anſichten und Erwartungen der Parteyen

ſehen, ſo iſt das Darlehen nicht einſeitiger, als das Com-

modat und das Depoſitum (c). Jedes dieſer drey Rechts-

geſchäfte fängt damit an, daß Einer Etwas hingiebt, und

endigt damit, daß der Andere Etwas zurück geben ſoll

und darauf verklagt werden kann, wenn er es nicht frey-

willig thut; dieſen Zuſammenhang denken ſich die Parteyen

ganz deutlich. Außerdem aber kann allerdings bey den

 

(b) So unter andern Gans

Obligationenrecht S. 15—18, wo

jedoch dieſes Princip noch mit an-

deren gemiſcht erſcheint.

(c) Die Zweydeutigkeit der

Ausdrücke verbirgt und erhält hier

die Unklarheit der Begriffe. Man

kann nämlich die Ausdrücke bezie-

hen: 1) Auf die materiellen Zwecke

und Folgen, den einſeitigen und

gegenſeitigen Vortheil, der bezweckt

wird. In dieſer Hinſicht iſt (mit

ſehr ſeltnen Ausnahmen) das Com-

modat einſeitig zum Vortheil des

Empfängers, das Depoſitum ein-

ſeitig zum Vortheil des Gebers,

der Kauf, der Miethcontract, die

Societät, der Tauſchvertrag, ge-

genſeitig, das Darlehen bald ein-

ſeitig, bald gegenſeitig, je nach-

dem es verzinslich iſt oder nicht.

Hierin alſo kann gewiß nicht das

Unterſcheidende der b. f. contrac-

tus liegen. 2) Auf die juriſti-

ſchen Folgen der Rechtsgeſchäfte d.

h. die daraus entſpringenden Kla-

gen; davon allein kann hier die

Rede ſeyn. — Wenn man auf

das Weſen der Rechtsgeſchäfte

ſieht, ſo muß man eine ſehr eigen-

thümliche Klaſſe in denjenigen er-

kennen, die einen tauſchartigen

Character haben, d. h. worin Je-

der Etwas leiſtet, um gegenſeitig

Etwas zu empfangen, wie in dem

Kauf; allein die Gränze dieſer Ge-

ſchäfte fällt mit der Gränze der b. f.

contractus keinesweges zuſammen.

|0523 : 509|

Die Condictionen. III.

Zwey letzten Geſchäften auch noch eine contraria actio

eintreten, bey dem erſten nicht (d); an dieſen ſeltenen Er-

folg werden die Parteyen, wenn ſie nicht gerade Juriſten

ſind, ſchwerlich denken, er hängt von zufälligen, dem Ge-

ſchäft ſelbſt ganz fremden Umſtänden ab, und es erklärt

ſich alſo dieſe Verſchiedenheit der Behandlung durchaus

nicht aus den gewöhnlichen und wahrſcheinlichen Abſichten

der Parteyen, ſondern aus derſelben freyen Behandlung

der b. f. contractus, wodurch auch der arbiter berechtigt

wird, auf die in der formula nicht ausgedrückten Excep-

tionen Rückſicht zu nehmen. So allein iſt die Gegenſei-

tigkeit in den b. f. contractus zu verſtehen; wollte man alſo

in ihr den Grund und die Gränze der b. f. actiones ſuchen,

ſo würde ſich dieſer Gedanke auch in folgender Formel

ausdrücken laſſen: die freye Beurtheilung eines Rechtsge-

ſchäfts (wovon die Gegenſeitigkeit nur ein einzelnes Stück

(d) Man darf nicht glauben,

die contraria actio ſey an ſich

bey dem Darlehen nicht denkbar.

Bey dem Commodat und Depo-

ſitum freylich bezieht ſie ſich auf

Auslagen für die zurück zu ge-

bende individuelle Sache, wovon

bey dem Darlehen nicht die Rede

ſeyn kann. Wenn aber eine Summe

Geldes als Darlehen gegeben wird,

ſo können darunter erſtlich falſche

Geldſtücke ſeyn, zweytens gute,

aber fremde, die nur mit Verluſt

in gangbares Geld umgeſetzt wer-

den können. Der Empfänger braucht

hier nur gleichartige Stücke zurück

zu geben, und er wird in dem an-

geführten Fall am Sicherſten ge-

hen, wenn er die falſchen oder

fremden Geldſtücke in specie zu-

rück giebt, aber eine contraria ac-

tio hat er in keinem Fall, die ſich

doch, wenn er das Geld mit

Verluſt verwechſelte, wohl denken

ließe. Liegt freylich ein Betrug

zum Grunde, ſo kann er die doli

actio haben, allein dieſe Delicts-

klage hat mit dem Rechtsgeſchäft

keinen inneren Zuſammenhang.

|0524 : 510|

Beylage XIV.

iſt) tritt ein bey denjenigen Rechtsgeſchäften, bey welchen

eine freye Beurtheilung eintritt.

Es iſt auch noch ein anderer Verſuch gemacht worden,

die Unterſcheidung der Condictionen von den b. f. actiones

auf ein Princip zurück zu führen, der aber weit weniger

Schein für ſich hat, als der eben erwähnte. Bonae fidei

ſollen alle Klagen ſeyn, deren Grund ſchon auf der na-

türlichen Billigkeit (dem jus gentium) beruht, stricti juris die,

welche durch willkührliche Vorſchriften des poſitiven Rechts

eingeführt ſind (e); dieſe Behauptung muß bey ernſtlicher

Betrachtung ſogleich verworfen werden. Nichts iſt mehr

in der natürlichen Billigkeit gegründet, als daß das gelie-

hene Geld von dem Schuldner zurückgezahlt werde (f),

und doch iſt die Darlehnsklage ſehr gewiß stricti juris.

Selbſt aus dem nudum pactum entſteht eine Verpflichtung

nach jus gentium (g), und es iſt nicht einzuſehen, warum

dieſe durch die Hinzufügung der Stipulationsform verhin-

dert oder geſchwächt werden ſollte; dennoch iſt die Stipu-

lationsklage stricti juris. Ja wir würden, bey genauer

Erwägung, kaum andere str. j. Klagen nach dieſer Lehre

übrig behalten, als die Klagen auf Geldſtrafen; und ge-

rade dieſe führen wenigſtens den Namen stricti juris ac-

tiones oder condictiones niemals.

 

(e) Glück B. 13 S. 8.

(f) Gajus III. § 132. Eben ſo

wird für die condictio sine causa

u. ſ. w. die Entſtehung aus dem

jus gentium ausdrücklich aner-

kannt. L. 25 de act. rer. amot.

(25. 2.).

(g) L. 84 § 1 de R. J. (50. 17.),

L. 5 § 2 de solut. (46. 3.), L. 7

§ 4 de pactis (2. 14.).

|0525 : 511|

Die Condictionen. IV.

IV.

Betrachten wir die Fälle, in welchen Condictionen un-

zweifelhaft anwendbar ſind, ſo erſcheinen uns dieſe auf

den erſten Blick höchſt mannichfaltig; dennoch laſſen ſich

dieſelben auf ein ſehr einfaches Princip zurück führen,

welches ſich durch bloße organiſche Bildungskraft zu jener

Mannichfaltigkeit entfaltet hat, faſt ohne Eingriff der Ge-

ſetzgebung. Es finden ſich nur ſehr wenige, aus dem Prin-

cip nicht abzuleitende, alſo ganz poſitive Zuſätze; dieſe

aber ſind nicht nur ſo unbedeutend, ſondern auch als bloße

Ausnahmen ſo beſtimmt und deutlich in unſren Rechtsquel-

len anerkannt, daß ſie die Wahrheit des Princips viel-

mehr beſtätigen, als zweifelhaft machen.

 

Um jenes Princip zu finden, gehe ich von der Zerglie-

derung eines einzelnen Rechtsgeſchäfts aus, woraus ſicher-

lich eine Condiction entſpringt, nämlich des Darlehens,

welches ich daher als Ausgangspunkt der ganzen Unter-

ſuchung behandeln will. Ich muß erwarten, daß dieſes

Verfahren als einſeitig und willkührlich getadelt werden

möge; dieſer Vorwurf wird durch die Wahrnehmung wi-

derlegt, daß unſre Rechtsquellen genau denſelben Weg

einſchlagen, indem auch ſie das Darlehen an die Spitze

der geſammten Lehre von den Condictionen ſtellen.

 

In den Digeſten iſt der erſte Titel des zwölften Buchs

überſchrieben: de rebus creditis, si certum petetur, et de

 

|0526 : 512|

Beylage XIV.

condictione (a). Schon aus dieſer Überſchrift erhellt die

innige Verbindung der Condictionen im Allgemeinen mit

dem beſonderen Vertrag des Darlehens. Beynahe der

ganze Titel handelt von dem Darlehen, und zwar (mit

geringen Ausnahmen) von dem Gelddarlehen. Dazwiſchen

aber ſtehen einige Stellen, welche die allgemeine Natur

der Condictionen zum Gegenſtand haben. An dieſen ein-

leitenden Titel ſchließt ſich in zwey Büchern die ganze

Lehre von den Condictionen an.

Eben ſo iſt im Codex der zweyte Titel des vierten

Buchs der Anfang der geſammten Condictionenlehre. Die

Überſchrift lautet: Si certum petatur, und der ganze Titel

enthält nur Conſtitutionen über das Gelddarlehen.

 

Indem ich alſo das Darlehen als die Grundlage der

Condictionen anſehe, und aus ihm das Weſen derſelben

zu erkennen ſuche, ſchließe ich mich ganz an das Verfah-

ren an, welches in den Quellen des Römiſchen Rechts un-

mittelbar wahrzunehmen iſt.

 

V.

Unterſuchen wir nun, was wirklich vorgeht, wenn Geld

als Darlehen gegeben wird. Als Weſen dieſes Geſchäfts

wird durch den Namen pecunia credita ein beſonderer

(b)

 

(a) Die Varianten ſind bey

dieſer Rubrik nicht von Erheblich-

keit, wenigſtens nicht für die hier

vorliegende Frage. Das Dig. ve-

tus ed. Jenson s. a. und cd. Ko-

berger 1482 leſen petatur et de

certi condictione. Ed. Ven. 1484

lieſt petatur ohne certi.

(b) L. 9 L. 24 de reb. cred.

(12. 1.).

|0527 : 513|

Die Condictionen. V.

Grad des Glaubens oder Vertrauens bezeichnet, woher

auch der Geber den Namen creditor erhalten hat (a); ja

die Natürlichkeit dieſer Anſicht bewährt ſich darin, daß

auch in unſrer Sprache der Name Glaubiger allgemein

anerkannt worden iſt, und zwar im gemeinen Leben nicht

weniger als unter den Juriſten. Daher fängt auch der

oben angeführte Digeſtentitel ſehr characteriſtiſch mit einer

Unterſuchung über die Bedeutung des Worts credere an,

deſſen Weſen darin geſetzt wird, daß wir uns der Zuver-

läſſigkeit eines Andern anvertrauen (b). Was iſt nun der

eigentliche Inhalt dieſes Vertrauens?

Vertrauen im Allgemeinen liegt bey allen Geſchäften

des täglichen Verkehrs zum Grunde; da aber hier ſo vor-

 

(a) Die urſprüngliche Bedeu-

tung von creditor und creditum

geht auf die aus einem Gelddar-

lehen entſtandene Forderung; von

da iſt der Ausdruck auf den

abſtracten Begriff der Forderun-

gen überhaupt, wofür man keinen

andern Namen hatte, übertragen

worden, und dieſer ausgedehnte

Sprachgebrauch iſt dann der vor-

herrſchende geworden. L. 10 de

V. S. (50. 16.) „.. Sed et si

non sit mutua pecunia, sed

contractus, creditores accipiun-

tur.” L. 11 eod. Creditorum ap-

pellatione non hi tantum ac-

cipiuntur, qui pecuniam credi-

derunt: sed omnes, quibus ex

qualibet causa debetur.” L. 12.

pr. eod. Die Gegenſätze weiſen

ſichtbar darauf hin, daß die aus-

ſchließende Beziehung des Aus-

drucks auf das Gelddarlehen die

eigentliche, urſprüngliche war, und

daß man nur durch das Bedürf-

niß dahin geführt wurde, die wei-

tere Bedeutung anzunehmen, und

dieſe nun als die regelmäßige zu

behandeln. — Eben ſo in L. 5

§ 3 de O. et A (44. 7.), ſ. u.

Num. VII. b. — Derſelbe Ge-

danke, nur in anderer Art ausge-

drückt, liegt zum Grunde in L. 20

de jud. (5. 1.) „Omnem obli-

gationem pro contractu haben-

dam existimandum est … quam-

vis non ex crediti causa debe-

atur.”

(b) L. 1 de reb. cred. (12. 1.)

„.. credendi generalis appel-

latio est … nam cuicumque

rei adsentiamur, alienam fidem

secuti, mox recepturi quid ex

hoc contractu, credere dicimur.”

V. 33

|0528 : 514|

Beylage XIV.

zügliches Gewicht auf das Vertrauen gelegt wird, ſo muß

wohl ein Vertrauen von beſonderer Art gemeynt ſeyn;

deſſen Natur nun wird durch folgende Betrachtung klar

werden.

Wird eine Geldſumme in verſiegeltem Beutel in fremde

Verwahrung gegeben, ſo vertraut der Eigenthümer der

Redlichkeit des Andern; Dieſe aber vorausgeſetzt, kann

ihm das Schickſal des Vermögens des Empfängers gleich-

gültig ſeyn. Denn wenngleich Derſelbe verarmt, wird

noch immer der verſiegelte Beutel bey ihm gefunden, und

durch Vindication dem Eigenthümer gerettet werden. Nicht

ſo, wenn dieſelbe Geldſumme als Darlehen gegeben war;

denn wenn nun der redliche Empfänger inſolvent wird, ſo

iſt das Geld für den Geber verloren. Die höhere Ge-

fahr alſo, der ſich der Geber bey dem Darlehen unter-

wirft, unabhängig von der redlichen Geſinnung des Em-

pfängers, gründet ſich darauf, daß der Geber das Eigen-

thum des Geldes veräußert, alſo den in der Vindication

enthaltenen Schutz aufgegeben hat.

 

Daß in der That dieſe Veränderung Grund und Be-

dingung der condictio iſt, läßt ſich durch folgende Anwen-

dungen außer Zweifel ſetzen. Da wo dem Empfänger

kein Eigenthum des Geldes verſchafft wird, entſteht auch

keine condictio (c). Iſt der Übergang des Eigenthums

 

(c) L. 2 § 2 de R. C. (12. 1.).

— Damit hängt auch der Aus-

druck aes alienum zuſammen.

L. 213 § 1 de V. S. (50.

16.). „Aes alienum est, quod

nos aliis debemus;” näm-

lich das Geld, welches aus frem-

dem Vermögen in unſer Eigenthum

|0529 : 515|

Die Condictionen. V.

durch den Willen des Gebers auf einen ſpäteren Zeitpunkt

als den der Tradition verſchoben, ſo entſteht auch die

condictio erſt in dieſer ſpäteren Zeit (d). Wird der An-

fangs fehlende Erwerb des Eigenthums durch die ſpätere

Conſumtion des Geldes ergänzt, ſo entſteht in demſelben

Augenblick auch die condictio (e). Überall alſo erſcheint

die condictio als der Erſatz, der anſtatt der verlornen

Vindication eintritt (f), und daſſelbe ausſchließende, alter-

native Verhältniß zwiſchen dieſen beiden Klagen findet ſich

auch in anderen Rechtsverhältniſſen, außer dem Darlehen,

wieder (g).

Dieſer Zuſammenhang der Rechtsverhältniſſe wird noch

beſtätigt durch die Ausdrücke in der formula. Bey dem

Darlehen lautet die Intentio auf dare oportere, das heißt

Übertragung des Eigenthums; ſo lange aber der Geber

aus irgend einem Grunde das Eigenthum noch nicht ver-

loren hat, iſt es unmöglich, ihm Dieſes zu verſchaffen,

weshalb er in dieſer Lage auch nicht auf dare oportere

klagen, das heißt keine Condiction haben kann (h). Es iſt

 

gekommen iſt, und wieder einmal

in des Gebers Eigenthum zurück

kehren ſoll.

(d) L. 8 L. 9 § 9 de R. C.

(12. 1.).

(e) L. 13 pr. § 1 de R. C.

(12. 1.), L. 29 de cond. ind.

(12. 6.), § 2 J. quib. alien. (2. 8.).

(f) L. 11 § 2 de R. C. (12. 1.).

L. 29 de cond. ind. (12. 6.),

§ 2 J. quib. alien. (2. 8.).

(g) L. 22 § 2 de pign. act.

(13. 7.), L. 15 de cond. causa

data (12. 4.), L. 3 C. de cond.

ex lege, (4. 9.), L. 5 § 18 de

don. int. vir. (24. 1.).

(h) Gajus IV. § 4, § 14 J. de

act. (4. 6.). In Juſtinians Inſti-

tutionen iſt freylich dieſe Bemerkung

ſehr unpaſſend, die blos für die

längſt verſchwundene formularum

conceptio Sinn hatte. — Von

33*

|0530 : 516|

Beylage XIV.

derſelbe Grund, welcher die Stipulation in der Formel

dare mihi spondes? unmöglich machte, wenn der Glaubi-

ger das Eigenthum der verſprochnen Sache bereits hatte (i).

Der Anſchaulichkeit wegen iſt bisher blos von dem

Gelddarlehen geſprochen worden; alles hier Geſagte gilt

aber eben ſo von dem Darlehen in anderen verbrauchba-

ren Sachen, wie Weizen, Wein, Oel u. ſ. w. Die Fälle

ſind nur weit ſeltener und für den Verkehr unbedeutender,

und kommen daher auch in unſren Rechtsquellen nicht häu-

fig vor; wo ein praktiſches Bedürfniß auf ſolche Geſchäfte

führen könnte, wird daſſelbe weit häufiger durch Kauf

(etwa durch Gelddarlehen vermittelt), als durch Darlehen

in Sachen ſolcher Art befriedigt werden. Bey den Rö-

 

der Ausnahme bey der condictio

furtiva wird weiter unten die

Rede ſeyn.

(i) Gajus III. § 99, § 2 J. de

inut. stip. (3. 19.), L. 1 § 10 de

O. et A. (44. 7.), L. 82 pr. de

V. O. (45. 1.). Dieſes hängt da-

mit zuſammen, daß im ſtreng ju-

riſtiſchen Sinn, namentlich bey

Stipulationen und in der Intentio

einer Klage, der Ausdruck rem

dare die unmittelbare Übertragung

des Römiſchen Eigenthums be-

zeichnet, welche bey einer dem Sti-

pulator ſchon gehörenden Sache

nicht möglich iſt. L. 75 § 10 de

V. S. (50. 16.), L. 167. pr. de

R. J. (50. 17.). Eben ſo bezeichnet

auch usumfructum und servitu-

tem dare die vollſtändige Errich-

tung der Servitut durch in jure

cessio. L. 19 de S. P. R. (8. 3.),

L. 126 § 1, L. 136 § 1 de V. O.

(45. 1.), L. 3 pr. de O. et A.

(44. 7.). Neben dieſem techniſchen

Sinn des Worts beſteht, hier wie

in vielen anderen Fällen, ein vul-

gärer Sprachgebrauch (juris ver-

ba und factum in L. 38 § 6 de

V. O. 45. 1.), nach welchem dare

ein jedes Verſchaffen bezeichnet.

So kommt ſehr oft operas dare

vor, ſelbſt in Stipulationen. (Ma-

rezoll in Linde’s Zeitſchrift X.

250.). In dieſem freyen Sinn

wurde in einem Teſtament das

dare usumfructum an einem Pro-

vinzialgrundſtück ausgelegt, wobey

nun die Verpflichtung des Erben

auf Übergabe der Sache gieng.

L. 3 pr. de usufr. (7. 1.).

|0531 : 517|

Die Condictionen. V.

mern war übrigens auch die juriſtiſche Behandlung ver-

ſchieden, welches aber erſt weiter unten klar gemacht wer-

den kann.

Es muß aber gleich hier ein möglicher Einwurf ent-

fernt werden. Mit dem Darlehen kommt die fiducia darin

überein, daß dem Andern Eigenthum anvertraut wird,

welches er künftig wieder geben ſoll (k). Nach der hier

aufgeſtellten Lehre alſo müßte aus der fiducia eine Con-

diction entſpringen, und dennoch entſpringt daraus eine

bonae fidei actio (Beyl. XIII. Num. XII.). Es läßt ſich

dieſem Einwurf auf folgende Weiſe begegnen; die fiducia

muß zwey Klagen, zur freyen Wahl des Klägers, erzeugt

haben; eine Condiction, nach dem hier aufgeſtellten Prin-

cip: eine b. f. actio, die dann zugleich arbitraria war, weil

dieſe das einzige Mittel darbot, dem Kläger die Natural-

reſtitution zu verſchaffen (§ 221), worauf er doch, wenn

er ſie vorzog, den natürlichſten und billigſten Anſpruch

hatte. Es iſt ein ähnlicher Fall wie bey einer Ehefrau,

welche die von ihr ſelbſt gegebene Dos zurückfordert; auch

Dieſe hat die Wahl zwiſchen einer Condiction (l), und der

actio rei uxoriae, welche bonae fidei iſt.

 

(k) Gajus II. § 59. 60.

(l) L. 67 de j. dot (23. 3.).

Eben ſo hat auch jeder fremde

Geber einer Dos die Condiction,

wenn er durch Pactum die ſonſt

als regelmäßig anzunehmende

Schenkung an die Frau ausſchließt.

L. 43 § 1 eod., L. 10 C. de pa-

ctis (2. 3.), L. 1 C. de pactis

conv. (5. 14.).

|0532 : 518|

Beylage XIV.

VI.

In unmittelbarer Entwicklung ſchließen ſich an das

Darlehen diejenigen Fälle an, worin dem Andern eine

Sache ohne Übertragung des Eigenthums anvertraut wor-

den iſt, er aber das Eigenthum des Gebers eigenmächtig

zerſtört, und ſich dadurch bereichert hat. Seine wider-

rechtliche Handlung bewirkt hier eine condictio, eben ſo

wie dort das höhere Vertrauen des Gegners, da es un-

natürlich wäre, wenn er durch ſeine Unredlichkeit in eine

günſtigere Lage kommen ſollte, als diejenige, welche ihm

das höhere Vertrauen des Gebers verſchafft hätte.

 

In vollſtändigſter Entwicklung iſt dieſe Regel ausge-

ſprochen bey dem ſchon oben (Num. V.) erwähnten Fall

des Depoſitum. Wer eine Sache in Verwahrung giebt,

hat zunächſt noch die Vindication, weshalb er eine Con-

diction weder bedarf noch bekommt. Wenn aber der Em-

pfänger das deponirte Geld ausgiebt, den deponirten Wei-

zen aufzehrt oder verkauft, ſo hat er des Gebers Vindi-

cation zerſtoͤrt, und nun tritt an ihre Stelle die Condic-

tion (a).

 

(a) L. 13 § 1 depos. (16. 3.).

„Competit etiam condictio de-

positae rei nomine, sed non

antequam quid dolo admissum

sit: non enim quemquam hoc

ipso, quod depositum accipiat,

condictione obligari, verum

quod dolum malum admise-

rit.” Der dolus iſt hier die

Handlung, wodurch der Depoſitar

die Vindication des Gegners un-

möglich macht, indem er ſich ſelbſt

bereichert; er iſt hier nur bey-

ſpielsweiſe genannt, weil eine ſolche

Veränderung ſelten ohne dolus

Statt finden wird, nöthig iſt er

nicht. Wenn ein Bankier einen

verſiegelten Beutel mit Geld als

|0533 : 519|

Die Condictionen. VI.

Daſſelbe, nur in weniger beſtimmten Ausdrücken, wird

in vielen ähnlichen Fällen anerkannt, wobey wir ohne

Zweifel die nähere Beſtimmung aus der für das Depoſi-

tum gegebenen Vorſchrift ergänzen müſſen. So heißt es,

auch das Commodat und das Pfand enthalte ein cre-

dere (b), welches nichts Anderes ſagen will, als es ent-

ſpringe daraus gleichfalls eine Condiction; verſteht ſich,

wenn der Empfänger die ſo gegebene Sache zerſtört hat,

denn ſonſt dauert die urſprüngliche Vindication fort, wo-

durch die Condiction ausgeſchloſſen wird.

 

Eben ſo ſoll eine Condiction entſtehen können bey Ge-

legenheit eines Mandats, einer Societät und ähnlicher

Geſchäfte, ſo wie auch einer Tutel (c); wobey immer wie-

 

Depoſitum erhält, dieſer Beutel

aber aus Verſehen erbrochen und

das Geld in die eigne Kaſſe ge-

worfen wird, ſo entſteht gewiß

eine condictio, und doch iſt hier

kein dolus vorhanden. Es iſt da-

her irrig, wenn Manche dieſe con-

dictio ſtets für furtiva halten

wollen. — Eben ſo iſt in L. 33

cod. nur von einer Vindication

die Rede, nicht von einer Con-

diction, weil die Sache noch vor-

handen iſt. — L. 24 § 2 de reb.

auct. jud. (42. 5.) „aliud est

enim credere, aliud deponere;”

das heißt, das deponere iſt zu-

nächſt, und an ſich ſelbſt, kein

credere, folglich nicht Grund einer

Condiction; es kann aber dazu

werden, theils durch die in der an-

geführten Stelle enthaltenen beſon-

deren Umſtände der Übereinkunft,

theils in allen Fällen durch die

unredliche Handlung des Depoſi-

tars. — Dieſelbe ſcharfe Entge-

genſetzung des credere und de-

ponere findet ſich auch in L. 4

de R. C. (12. 1.).

(b) L. 1 de R. C. (12. 1.).

„.. ideo sub hoc titulo Prae-

tor et de commodato, et de

pignore edixit.” L. 4 § 1 eod.

„Res pignori data, pecunia so-

luta condici potest ..” nämlich

wenn die allgemeine Bedingung

der Condiction vorhanden iſt, ſo

daß alſo die Stelle aus der be-

ſtimmteren über das Depoſitum

(Note a) ergänzt werden muß

(vgl. unten Num. XX. c).

(c) L. 28 § 4 de jurejur.

(12. 2.). „.. forte si actionem

|0534 : 520|

Beylage XIV.

der hinzu gedacht werden muß, daß der Andere das Geld

oder die Waaren, welche ihm aus ſolchen Veranlaſſungen

anvertraut wurden, veruntreut, alſo eigenmächtig und wi-

der des Glaubigers Willen aus Deſſen Eigenthum ge-

bracht hat (d).

Daſſelbe ſoll gelten auch bey der negotiorum gestio

(Note c); dieſer Fall unterſcheidet ſich von den vorherge-

henden noch dadurch, daß der vorige Eigenthümer gar

Nichts anvertraut hat, nicht einmal den Beſitz, ſo daß der

Geſchäftsführer Alles eigenmächtig an ſich zog, den Beſitz

wie das (durch ihn zerſtörte) Eigenthum; der Grund der

Condiction iſt derſelbe wie in den vorhergehenden Fällen.

 

Man ſieht das gewöhnlich ſo an, als habe nun der

Kläger die Wahl zwiſchen mehreren auf denſelben Zweck

gerichteten Klagen; für genau aber kann dieſe Auffaſſung

nicht gelten. Zwar der äußere Erfolg kann zuweilen bey

beiden Klagen ganz derſelbe ſeyn; oft aber wird die Con-

diction nur einen kleinen Theil Desjenigen verfolgen, Was

 

mandati, negotiorum gestorum,

societatis, ceterasque similes,

jusjurandum exactum sit, dein-

de ex iisdem causis certum con-

dicatur: quia per alteram actio-

nem altera quoque consumi-

tur.” Für das Mandat iſt die

Möglichkeit der condictio aner-

kannt auch in L. 5 de exc. rei

jud. (44. 2.). Neben der actio

depositi, commodati, tutelae in

L. 5 de tutelae (27. 3.). Neben

der a. pro socio, mandati, neg.

gestorum, tutelae, und ähnlichen

b. f. actiones in L. 45, 46, 47

pr. pro socio (17. 2.). Neben

der a. locati. L. 34 § 2 de O.

et A. (44. 7.), L. 46 pro socio

(17. 2.).

(d) Es würde alſo ganz irrig

ſeyn, wenn man gegen den Man-

datar oder Socius, der uns durch

Nachläſſigkeit oder durch Leichtſinn

und Übereilung ſchadet, eine con-

dictio geſtatten wollte; hier gilt

blos die Contractsklage.

|0535 : 521|

Die Condictionen. VII.

mit der b. f. actio eingeklagt werden kann, und in jedem

Fall iſt der Entſtehungsgrund beider Obligationen völlig

verſchieden (vgl. § 232.).

VII.

Eine fernere Stufe der Entwicklung des Rechtsſatzes

findet ſich in den zahlreichen Fällen, worin wir dem An-

dern Eigenthum übertragen, nicht in der Abſicht ihm Et-

was anzuvertrauen, ſondern in einer andern Abſicht, die

aber entweder gleich Anfangs auf Irrthum beruht, oder

hinterher ihren Grund, alſo ihre Wahrheit verliert, und

in Irrthum übergeht. Die wichtigen Fälle dieſer Art laſ-

ſen ſich unter den gemeinſamen Namen des Datum ob

causam bringen, wobey die causa als eine irrige, unge-

gründete gedacht werden muß (a). Dahin gehören die

Fälle der condictio indebiti, ob causam datorum, sine

causa, ob injustam causam.

 

In allen dieſen Fällen tritt der Irrthum an die Stelle

des, dem Darlehen zum Grunde liegenden, Vertrauens;

dadurch wird auch auf ſie der Begriff des Creditum, und

die aus demſelben entſpringende condictio, anwendbar.

Dieſer innere Zuſammenhang iſt nicht etwa willkührlich

angenommen, zur Unterſtützung des von mir aufgeſtellten

 

(a) So iſt es nämlich in der

Regel; eine abweichende Natur

hat die condictio ob turpem

causam, worin der Irrthum in

der causa zur Begründung der

Condiction in manchen Fällen nicht

hinreicht, in anderen entbehrlich

iſt; jenes, wenn dem Geber eine

turpitudo vorgeworfen werden

kann, Dieſes, wenn Derſelbe ſchuld-

los iſt.

|0536 : 522|

Beylage XIV.

Grundſatzes für die Anwendung der Condictionen; er wird

vielmehr bey dem Indebitum, dem häufigſten unter den

erwähnten Fällen, ausdrücklich, und an mehreren Orten

unſrer Rechtsquellen, anerkannt (b).

Dieſe wichtige Klaſſe von Anwendungsfällen der Con-

diction iſt zugleich Grundlage einer ganz neuen Entwick-

lung geworden. Eine ſolche irrige Übertragung nämlich

aus unſrem Vermögen in ein fremdes läßt ſich nicht nur

bey dem Eigenthum denken, ſondern auch bey allen ande-

ren Arten von Vermögensrechten. Es läßt ſich Dieſes

am Leichteſten anſchaulich machen durch folgende, von der

condictio indebiti hergenommene, Beyſpiele, die ſich jedoch

eben ſo auch auf die anderen hier genannten Condictionen

anwenden laſſen. So kann die irrige Vorausſetzung einer

Verbindlichkeit die Errichtung eines Niesbrauchs oder einer

Prädialſervitut, oder auch die Aufhebung ſolcher Rechte,

veranlaſſen, worauf die Condiction gebraucht werden kann,

um die Herſtellung des früheren Zuſtandes zu bewirken.

Eben ſo wenn Jemand eine eigene Schuld contrahirt, oder

eine Forderung überträgt, oder eine Schuld erläßt, ent-

weder weil er zu dieſen Handlungen unmittelbar verpflich-

tet zu ſeyn glaubt, oder weil er damit eine vermeyntliche

 

(b) L. 5 § 3 de O. et A.

(44. 7.). „Is quoque qui non

debitum accipit per errorem

solventis, obligatur quidem

quasi ex mutui datione, et ea-

dem actione tenetur, qua de-

bitores creditoribus ..” Eben

ſo Gajus III. § 91, § 1 J. quib.

modis re (3. 14.), § 6 J. de ob-

lig. quasi ex contr. (3. 27.).

Alle dieſe Stellen rühren urſprüng-

lich von Gajus her.

|0537 : 523|

Die Condictionen. VIII.

Geldſchuld tilgen will (c). Ja ſogar eine Arbeit, die ge-

leiſtet wird, weil man dazu irrigerweiſe ſchuldig zu ſeyn

glaubte, kann die Condiction begründen, inſofern ſich dieſe

Arbeit auf einen beſtimmten Geldwerth zurückführen, alſo

mit einer gezahlten Geldſumme vergleichen läßt, die nun

zurück gefordert werden kann (d).

VIII.

Auch Dasjenige aber kann condicirt werden, was aus

meinem Vermögen anders als durch meinen Willen in

fremdes Eigenthum übergeht, ſey es daß der Andere durch

ſeine Handlung, oder durch zufällige Umſtände, auf meine

Koſten bereichert werde. Folgende Fälle ſind dahin zu

rechnen.

 

Gegen den Beſitzer meiner Sache habe ich zunächſt die

Vindication, nach verlornem Beſitz in der Regel keine Klage.

Wenn er jedoch die unentgeldlich erworbene Sache verkauft und

ſich dadurch bereichert hat, die Sache aber untergegangen

iſt, ſo daß ich ſie auch nicht mehr gegen einen Dritten

vindiciren kann, ſo habe ich gegen Jenen eine Condiction

auf die Summe, um welche er reicher geworden iſt (a).

 

Eben ſo, wenn die Bereicherung nicht durch Verkauf,

ſondern durch Verzehren meiner Sache entſtanden iſt, z. B.

 

(c) L. 4. 10 de cond. causa

data (12. 4.), L. 1 pr. § 1. 2 de

cond. sine causa (12. 7.), L. 5

§ 1 de act. emti (19. 1.).

(d) L. 26 § 12 de cond. indeb.

(12. 6.).

(a) L. 23 de R. C. (12. 1.).

|0538 : 524|

Beylage XIV.

wenn der unredliche Beſitzer meines Landgutes die Früchte

verzehrt hat (b).

Die für dieſe Zwecke anwendbare condictio sine causa

umfaßt demnach verſchiedenartige Fälle: ſolche, die auf

dem freyen Willen des gegenwärtigen Klägers, alſo einem

Datum, beruhen (Num. VII.), und ſolche, die durch bloßen

Zufall, oder auch durch die Handlung des Beklagten, her-

beygeführt ſind (c).

 

Faſſen wir die bisher dargeſtellten Fälle der Condic-

tionen in einem gemeinſamen Überblick zuſammen, ſo er-

ſcheint darin folgende ſtufenartige Entwicklung des Grund-

 

(b) L. 4 § 2 fin. reg. (10. 1.),

L. 22 § 2 de pign. act. (13. 7.),

L. 18 de except. (44. 1.), L. 55

in f. de cond. ind. (12. 6.), L. 4

§ 1 de reb. cred. (12. 1.), L. 3

C. de cond. ex lege (4. 9.). —

Eben ſo, wenn mein Purpur in

ein fremdes Kleid eingewirkt und

dadurch als ſelbſtſtändige Sache

zerſtört wird; gegen den Dieb habe

ich die condictio furtiva, gegen

den redlichen Beſitzer, der ſich auf

dieſe Weiſe bereicherte, gleichfalls

eine condictio (sine causa).

§ 26 J. de rer. div. (2. 1.), Ga-

jus II. § 79; (Theophilus giebt

unbegreiflicherweiſe auch gegen Den,

welcher nicht Dieb iſt, die cond.

furtiva. Die Worte: a quibus-

dam aliis possessoribus erklä-

ren ſich aus den in dieſer Num-

mer des Textes vorgetragenen

Sätzen; quidam ſind eben die

sine causa Bereicherten). — Fer-

ner L. 4 § 2 de R. C. (12. 1.).

„Ea quae vi fluminum impor-

tat sunt, condici possunt.”

Verſteht ſich, wenn die Sachen

nicht mehr als ſelbſtſtändig vor-

handene vindicirt werden können,

zugleich aber auch den Grundbe-

ſitzer bereichert haben.

(c) Darauf deutet L. 1 § 3 de

cond. sine causa (12. 7.). „Con-

stat id demum posse condici

alicui, quod vel non ex justa

causa ad eum pervenit, vel re-

dit ad non justam causam.”

Der Ausdruck iſt ſo allgemein

gefaßt, daß es ganz dahin geſtellt

bleibt, ob das pervenire durch

den Willen des urſprünglichen

Eigenthümers herbeygeführt wurde

oder nicht. Eben ſo auch in L. 6

de cond. ob turpem (12. 5.),

und in L. 25 in f. de act. rer.

amot. (25. 2.).

|0539 : 525|

Die Condictionen. VIII.

begriffs. Der urſprüngliche Fall der Condiction beſteht

darin, daß der Eigenthümer durch anvertrautes Eigenthum

das Vermögen des Empfängers erweitert (Num. V.). —

Daran reiht ſich der Fall, da zwar nur der Beſitz dem

Empfänger anvertraut wird, dieſer aber die Erweiterung

ſeines Vermögens durch eigenmächtige Handlung bewirkt

(Num. VI.). — Ferner der Fall, worin die Erweiterung

des Vermögens zwar durch den Willen des vorigen Eigen-

thümers herbeygeführt wird, aber nicht aus Vertrauen,

ſondern aus Irrthum, welcher nun gleiche Wirkung mit

jenem Vertrauen haben ſoll (Num. VII.). — Endlich aber

wird die gleiche Wirkung auch auf die grundloſe zufäl-

lige Bereicherung des Einen aus dem Eigenthum des An-

deren übertragen (Num. VIII.) (d).

Alle dieſe Fälle alſo haben mit einander gemein die

Erweiterung eines Vermögens durch Verminderung eines

andern Vermögens, die entweder ſtets ohne Grund war,

oder ihren urſprünglichen Grund verloren hat. Da die

meiſten und wichtigſten derſelben auf einer freyen Hand-

lung des urſprünglichen Eigenthümers beruhen, woran ſich

die übrigen Fälle blos als Erweiterungen aus innerer

 

(d) Es iſt hierin eine ſehr re-

gelmäßige Entwicklung der Begriffe

unverkennbar. An die Condiction

aus anvertrautem Eigenthum (Num.

V.) ſchließt ſich die aus dem De-

poſitum, worin der Empfänger das

Eigenthum durch einſeitige Will-

kühr an ſich zieht (Num. VI.).

Ganz eben ſo an die condictio

sine causa aus irrigem Geben

(Num. VII.) die auf der einſeiti-

gen Willkühr des Bereicherten,

ohne vorhergegangenes Geben,

beruhende cond. sine causa

(Num. VIII.).

|0540 : 526|

Beylage XIV.

Verwandtſchaft anſchließen, ſo kann man die bisher be-

trachteten Entſtehungsgründe der Condictionen als Datum

bezeichnen. Man kann darauf auch den Ausdruck einer

grundloſen Bereicherung des Andern aus unſrem Vermö-

gen anwenden, wenn nur der Begriff der Bereicherung

auf eine, gerade dieſem Verhältniß angemeſſene, Weiſe be-

gränzt wird. Es kommt nämlich darauf an, daß dem

Übergang eines Rechts aus einem Vermögen in ein an-

deres die causa entzogen ſey, oder ſtets gefehlt habe; ſo

iſt es bey dem Darlehen nach der Kündigung, oder bey

dem irrig bezahlten indebitum. Anders bey einem wohl-

feilen Kauf, wobey zwar auch der Käufer auf Koſten des

Verkäufers bereichert wird, jedoch ohne daß irgend ein

Mangel in der causa wahrzunehmen iſt, indem der hier

obwaltende Irrthum gar nicht die causa, d. h. den Rechts-

grund der Veränderung, betrifft, ſondern nur die materielle

Werthſchätzung, die ganz außer dem Rechtsgebiet liegt.

Noch ſichtbarer iſt Dieſes bey der Schenkung, die ſtets

eine Bereicherung in ſich ſchließt, und dabey auf bloßer

Laune und Willkühr, oder auf irrigen Beweggründen be-

ruhen kann, weshalb man ſie für ein datum sine causa

(grundloſe Bereicherung) halten könnte. Allein das Ju-

riſtiſche dabey iſt lediglich die Abſicht zu ſchenken, die do-

nationis causa, in welcher ſelbſt unter jenen Vorausſetzun-

gen kein Mangel erſcheint, da jene an ſich mangelhaften

Beweggründe mit dem Rechtsgebiet keine Berührung haben.

Eben ſo iſt es aber auch nöthig, daß Dasjenige, welches

 

|0541 : 527|

Die Condietionen. IX.

dem Andern zur Bereicherung diente, vorher ſchon wirk-

lich einmal zum Vermögen Deſſen gehört habe, welcher

darauf eine Condiction gründen will (e).

IX.

Ein fernerer Fall, worin die Anwendung einer con-

dictio keinem Zweifel unterliegt, iſt die alte literarum ob-

ligatio oder die expensilatio. Juſtinian weißt darauf

deutlich hin, indem er der an die Stelle derſelben, freylich

nicht ſehr paſſend, eingeſchobenen neuen literarum obliga-

tio gleichfalls die Wirkung einer condictio zuſchreibt, wo-

durch er offenbar eine gleiche Wirkung beider Rechtsinſti-

tute behaupten, und ſo den Rang rechtfertigen will, den

er dem neu erfundenen Inſtitut zuſchreibt (a). — Eben ſo

wird die expensilatio von Cicero mit dem Gelddarlehen

und der Stipulation in ſolcher Weiſe auf gleiche Linie ge-

ſtellt, daß er dieſen drey Rechtsgeſchäften die ausſchließende

Kraft zuſchreibt, eine certi petitio hervor zubringen, wel-

ches gerade dieſelbe Klage iſt, die in unſren Rechtsquellen

certi condictio genannt wird (b). — In einer anderen

Stelle erzählt Cicero die Geſchichte eines Kaufcontracts,

worin der Verkäufer den Käufer betrogen hatte. Dem

Käufer war hier nicht zu helfen, ſagt Cicero, weil damals

 

(e) L. 55 de cond. ind. (12.

6.), worin dieſer Gegenſatz beſon-

ders ſcharf hervorgehoben iſt; am

beſtimmteſten in den letzten Wor-

ten der Stelle.

(a) pr. J. de lit. oblig. (3. 21.).

„.. Sic fit, ut hodie .. scri-

ptura obligetur, et ex ea na-

scitur condictio …”

(b) Beylage XIII. Num. XI. a.

|0542 : 528|

Beylage XIV.

Aquillius noch nicht die doli actio eingeführt hatte. Man

begreift nicht, warum nicht dem Käufer ſchon durch

die bonae fidei Natur der actio emti (wenn er klagte)

oder venditi (wenn er verklagt wurde) geholfen werden

konnte. Allein Cicero ſagt, nachdem er den Kauf ſelbſt

erzählt hat: „Nomina facit, negotium conficit.” Nun

alſo wurde gegen den Käufer nicht mehr mit der actio

venditi, ſondern aus der Expenſilation, mit der Condiction

geklagt, und dieſe war stricti juris (b¹). — Endlich hat

ſich auch in den Digeſten eine unverkennbare Spur dieſer

Wirkung des alten Rechtsinſtituts erhalten (c).

Dieſer Fall nun ſcheint auf den erſten Blick mit dem

Darlehen, welches oben für die Grundlage der Condictio-

nen erklärt worden iſt, in gar keinem Zuſammenhang zu

ſtehen. Denn bey dem Darlehen verſchafft der Glaubiger

dem Schuldner Eigenthum einer Geldſumme, um künftig

an einer gleich großen Summe Eigenthum zurück zu be-

kommen; bey der expensilatio wird kein Eigenthum gege-

ben, kann alſo auch ein ſolches nicht zurück verlangt wer-

den, vielmehr iſt das künftig zu Leiſtende etwas ganz

 

(b¹) Cicero de officiis III. 14.

— Vgl. Beylage XIII. Num. XVI.

(c) L. 1 de ann. leg. (33.

1.). „Cum in annos singulos

quid legatum sit … sicuti ex

stipulatione, aut nomine

facto petatur.” Aus Stipu-

lationen und Legaten aber ent-

ſprangen unzweifelhaft Condictio-

nen. Die Erwähnung der alten

nomina in dieſer Stelle kann

übrigens nur als ein Verſehen

der Compilatoren angeſehen wer-

den. Vgl. auch die unten Num.

X. h. angeführte Stelle aus L. 3

§ 3 de Sc. Mac. (14. 6.).

|0543 : 529|

Die Condictionen. IX.

Neues, deſſen Nothwendigkeit blos auf dem in gewiſſer

Form ausgeſprochenen Willen der Parteyen beruht.

Und dennoch iſt gerade hier der innere Zuſammenhang

ganz unläugbar.

 

Gajus beſchreibt die expensilatio, als Entſtehungsform

einer beſonderen Art von Obligationen, alſo. Wenn ich

in meinem Hausbuch, welches alle meine Geldgeſchäfte

enthält (d), einem Anderen eine Summe Geldes als ex-

pensum, das heißt als an ihn gezahlt, eintrage, ſo liegt

dabey entweder ein wirkliches Darlehen zum Grunde oder

nicht. Im erſten Fall hat die Eintragung gar keine eigen-

thümliche Wirkung, vielmehr entſteht hier aus dem Dar-

lehen ſelbſt dieſelbe Obligation, die auch ohne Eintragung

entſtanden ſeyn würde (e). Anders im zweyten Fall, in

welchem die bloße Eintragung als ſolche, Entſtehungs-

grund einer ſelbſtſtändigen Obligation iſt, nämlich derſel-

ben ſchon oben nachgewieſenen condictio, die auch aus

dem Darlehen und aus der Stipulation entſteht (f). Die-

ſes geſchah nun zu zweyerley Zwecken. Erſtlich, um ir-

gend einer anderen Schuld, die aus Kauf, Miethe, So-

cietät u. ſ. w. entſtanden ſeyn mochte, dieſe ſtrengere Natur

mitzutheilen, oder mit anderen Worten, um die b. f. actio

 

(d) Vgl. über die alten Haus-

bücher (codices expensi, ac-

cepti) beſonders Cicero pro

Roscio Com. C. 2. 3. 5, in Ver-

rem I. 23. 36, pro Cluentio C.

14. 30. Eine genauere Darſtel-

lung dieſes Rechtsgeſchäfts ent-

hält: Savigny Literalcontract,

Memoiren der Berliner Akademie

vom J. 1816.

(e) Gajus III. § 131.

(f) Gajus III. § 128.

V. 34

|0544 : 530|

Beylage XIV.

in eine condictio umzuwandeln (g). Zweytens, um eine

Schuld von Einem Schuldner auf einen andern zu über-

tragen, indem alſo dem neuen Schuldner (mit deſſen Ein-

willigung) eine Summe Geldes als an ihn baar gezahlt,

eingetragen wird, die er in der That nicht empfangen

hat (h).

Was iſt nun das Weſentliche in dieſen Geſchäften, die

uns zunächſt als leere Formen erſcheinen? Hätte ich dem

Andern die Summe, die ich ihm blos als gegeben einge-

tragen habe, wirklich gegeben, und zwar nicht um zu

ſchenken, oder eine Schuld abzutragen, ſondern um eine

gleiche Summe von ihm künftig zu fordern, ſo würde das

Geſchäft unzweifelhaft ein Gelddarlehen geweſen ſeyn.

Indem nun das Geld nicht wirklich gegeben, ſondern nur

als gegeben eingetragen iſt, ſo liegt dem ganzen Hergang

die unzweifelhafte Abſicht zum Grunde,

irgend ein Rechtsverhältniß, durch den bloßen Wil-

len der Parteyen, ſo zu behandeln, als ob es ein

Gelddarlehen wäre.

 

Indem nun aber die eigenthümliche Wirkung der ex-

pensilatio eine condictio war, und dieſe Wirkung allein

das Intereſſe darbieten konnte, um deſſen Willen dieſer

künſtliche Weg eingeſchlagen wurde, ſo liegt hierin eine

 

(g) Gajus III. § 129. „A re

in personam transscriptio fit,

veluti si id, quod modo ex

emptionis causa, aut conductio-

nis, aut societatis mihi debeas,

id expensum tibi tulero.”

(h) Gajus III. § 130. „A per-

sona in personam transscriptio

fit, veluti si id, quod mihi Ti-

tius debet, tibi id expensum

tulero, id est si Titius te de-

legaverit mihi.”

|0545 : 531|

Die Condictionen. IX.

einleuchtende Beſtätigung der oben aufgeſtellten Behaup-

tung, daß das Darlehen recht eigentlich als Grund und

Bedingung einer anwendbaren Condiction angeſehen wer-

den muß.

Nach dieſer Entwicklung kann man die expensilatio

nicht treffender bezeichnen, als indem ſie ein fingirtes Geld-

darlehen nennt.

 

In Juſtinians Recht iſt die expensilatio verſchwun-

den, und wenn er ſcheinbar eine neue literarum ob-

ligatio (nämlich den gewöhnlichen Schuldſchein nach ver-

jährter exceptio non numeratae pecuniae) an ihre Stelle

ſetzt, und auch dieſer eine Condiction als Folge beylegt

(Note a), ſo darf Dieſes dennoch nicht als ein neues, die

Anwendung der Condictionen wirklich erweiterndes, Rechts-

inſtitut angeſehen werden. Denn in allen Fällen dieſer

Art iſt ohnehin von Anfang an eine Condiction (meiſt aus

einem Darlehen) vorhanden, und das Neue, welches aus

der eben erwähnten Verjährung folgt, betrifft nicht die

Natur der Rechtsverhältniſſe ſelbſt, ſondern nur den Be-

weis der ſtreitigen Thatſachen. Es wäre daher eine eben

ſo gezwungene, als unfruchtbare Anſicht, wenn man, von

jener Verjährung an, die alte Condiction (aus dem Dar-

lehen) als untergegangen, und eine neue (aus der Schrift)

als an ihre Stelle tretend, anſehen wollte. Eine ſo buch-

ſtäbliche Behandlung der Worte Juſtinians iſt überall nicht

zu rechtfertigen.

 

34*

|0546 : 532|

Beylage XIV.

X.

Noch wichtiger iſt die Stipulation, das heißt der auf

der Übereinſtimmung mündlicher Frage und Antwort be-

ruhende Vertrag, deſſen Anwendung das einzige allgemein

zureichende Mittel für die Römer war, jedem beliebigen

Stoff vollſtändige Wirkſamkeit vor Gericht zu verſchaffen

(Beyl. XIII. Num. XI.). Daß nun in der That jede Sti-

pulation eine Condiction zur Folge hatte, iſt unzweifel-

haft (a). Hierin ſcheint aber eine Widerlegung der oben

aufgeſtellten Grundanſicht für die Condictionen zu liegen,

indem die Stipulation auf eine verſprochene neue Leiſtung,

nicht auf ein Zurückgeben, gerichtet iſt, alſo gar keine

Analogie mit dem Darlehen zu haben ſcheint.

 

Dennoch halte ich auch hier denſelben Zuſammenhang

mit dem Darlehen für gewiß, welcher ſo eben für die lit-

terarum obligatio nachgewieſen worden iſt. Wie nämlich

dieſe letzte nichts Anderes iſt, als die freywillige ſchrift-

liche Unterwerfung unter die Folgen, die außerdem in

der Natur des Darlehens gegründet ſind, ſo iſt die Sti-

pulation eine freywillige mündliche Unterwerfung ganz

gleicher Art. Durch beide Handlungen wird alſo die dem

Darlehen natürliche Wirkung mit Willkühr und künſtlich

herbeygeführt, und man kann beide als die Fiction eines

 

(a) L. 9 § 3 L. 24 de R. C. (12.

1.), pr J. de V. O. (3. 15.). — Der

Einwurf, den man dagegen aus

dem Namen der actio ex stipu-

latu verſuchen möchte, wird weiter

unten beſeitigt werden.

|0547 : 533|

Die Condictionen. X.

Darlehens bezeichnen. Dieſe Behauptung iſt nunmehr zu

beweiſen.

Paulus ſagt in L. 2 § 5 de R. C. (12. 1.):

Verbis quoque credimus, quodam actu ad obligatio-

nem comparandam interposito, veluti stipulatione(b).

 

Dieſe Bemerkung ſteht am Ende einer Reihe von Be-

trachtungen (L. 1. 2 eod.) über den Begriff von Credere,

als Grundlage der Condictionen. Was heißt nun hier

verbis credimus? Man könnte es verſtehen von einem

allgemeinen Vertrauen in des Andern Zuverläſſigkeit, wel-

ches freylich bey keinem Vertrag gänzlich fehlen wird.

Allein dieſes allgemeine, unbeſtimmte Vertrauen findet ſich

ja auch bey dem Kauf und der Miethe, und doch heißt

es niemals: consensu credimus, ja es iſt Nichts gewiſſer,

als daß auf die Erfüllung dieſer Contracte keine Condic-

tionen möglich waren. Noch mehr perſönliches Vertrauen

findet ſich bey dem Depoſitum, und doch wird hier, ſo

lange nicht Conſumtion eintritt, die Condiction verſagt, ja

es heißt ausdrücklich: aliud est enim credere, aliud de-

ponere (Num. VI. a.). Alſo will offenbar Paulus der

Stipulation ein Credere im höheren Sinn, wodurch ſie

dem Darlehen verwandt, und von den Conſenſualcontrac-

ten unterſchieden wird, zuſchreiben; Dieſes iſt aber nur

 

(b) Neuerlich iſt folgende Er-

klärung dieſer Stelle verſucht wor-

den, die ich als gezwungen gänz-

lich verwerfen muß: das credere

ſey hier nicht die Handlung des

Stipulator, ſondern die des Pro-

missor, welcher ſich durch die

Stipulation zum Schuldner mache,

alſo dieſes nomen aus ſeinem

Vermögen weggebe, und dem Geg-

ner anvertraue. Liebe Stipula-

tion S. 364.

|0548 : 534|

Beylage XIV.

möglich unter Vorausſetzung der oben aufgeſtellten Be-

hauptung. Der Sinn der Stelle, welchen ich hier darzu-

legen geſucht habe, wird noch anſchaulicher, wenn man

ſich etwa den Verfaſſer in folgenden Worten fortfahrend

denkt: Literis quoque credimus, si id quod ex emptionis

causa, aut conductionis, aut societatis nobis debeatur,

expensum tulerimus (c).

Eine Beſtätigung erhält dieſe Erklärung durch folgende

von Scävola und Ulpian herrührende Stellen. Das Sc.

Macedonianum hatte wörtlich verordnet, es ſolle Keiner

eine Klage erhalten „qui filiofamilias mutuam pecuniam

dedisset” (d). Daraus hatten die Juriſten dieſe Regel

formulirt: „filiofamilias credi non licere.” Nun ſagt Scä-

vola, wenn die Stipulation noch während der väterlichen

Gewalt geſchloſſen, das Geld aber erſt nach deren Auflö-

ſung ausgezahlt werde, ſo ſey das Senatusconſult den-

noch nicht anwendbar, obgleich der in jener Regel vor-

kommende Ausdruck credi auch ſchon auf die Stipulation

bezogen werden könnte (e). — Daſſelbe ſagt, nur noch

ausführlicher, Ulpian (f), deſſen Stelle folgenden Gedan-

ken ausdrückt: Das Senatusconſult darf nicht angewen-

det werden auf Schulden überhaupt, wie Kauf oder Miethe;

 

(c) So lautet, mit Verände-

rung weniger Worte, Gajus III

§ 129.

(d) L. 1 pr. de Sc. Mac.

(14. 6.).

(e) L. 4 de Sc. Mac. (14. 6.).

„Quia, quod vulgo dicitur,

filiofamilias credi non licere,

non ad verba referendum est,

sed ad numerationem,” verbun-

den mit dem vorhergehenden L. 3

§ 5 eod.

(f) L. 3 § 3 de Sc. Mac.

(14. 6.).

|0549 : 535|

Die Condictionen. X.

ja nicht einmal auf alle Fälle, welche unter den wahren

Begriff des Credere fallen; vielmehr erkannte der Senat

nur in dem den Söhnen gegebenen baaren Geld eine Ge-

fahr für das Leben der Väter (g). Wenn daher eine durch

Kauf entſtandene Schuld des Sohnes vermittelſt einer ex-

pensilatio in ein creditum verwandelt wird, ſo iſt das

Senatusconſult dennoch nicht anwendbar, und eben ſo

wenn dieſe Verwandlung durch eine Stipulation ge-

ſchieht (h); denn obgleich in dieſen beiden Fällen eine

wahre Darlehensſchuld entſteht, ſo geſchieht es

doch nicht durch gegenwärtige Baarzahlung (i), welches

Geſchäft allein dem Senat ſo gefährlich erſchien.

Daß die Handlung des Stipulator ein wahres Credere,

im techniſchen Sinn des Worts, war, ſagt auch unmittel-

bar Quinctilian (k), und indirect Gajus; denn Dieſer er-

wähnt die stipulatio tertiae partis bey der Klage de pe-

cunia certa credita (l); wir wiſſen aber aus Cicero, daß

dieſe Sponſion die drey Fälle, adnumeratio, expensilatio,

 

(g) „nam pecuniae datio per-

niciosa parentibus eorum visa

est.”

(h) „et ideo et si in credi-

tum abii filiofamilias vel ex

causa emptionis, vel ex alio

contractu in quo pecuniam non

numeravi, et si stipulatus sim

… cessat Senatusconsultum.”

(i) „licet coeperit esse mutua

pecunia, tamen quia pecuniae

numer atio non concurrit, ces-

sat Senatusconsultum.

(k) Quinctilian. Lib. 4 C. 2

p. 319 ed. Burmann. „certam

creditam pecuniam peto ex

stipulatione.” Über die verſchie-

dene Art, wie hierbey die Formel

gefaßt ſeyn konnte, ſ. u. Num.

XXXII.

(l) Gajus IV. § 171 „ex qui-

busdam causis sponsionem fa-

cere permittit, velut de pecu-

nia certa credita … sed cer-

tae quidem creditae pecuniae

tertiae partis.” Vgl. IV. § 13.

|0550 : 536|

Beylage XIV.

stipulatio, gleichmäßig umfaßte (m), welche alſo insgeſammt

unter dem Ausdruck credita pecunia verſtanden waren. —

In einer anderen Stelle (III. § 124) ſagt derſelbe Gajus,

eine L. Cornelia verbiete höhere Bürgſchaften als auf 20000

Seſterze: „vetatur in ampliorem summam obligari credi-

tae pecuniae, quam in XX. milium.” Zur Erläuterung

dieſes Verbots macht er zwey Bemerkungen. Erſtlich:

„pecuniam autem creditam dicimus non solum eam, quam

credendi causa damus, sed omnem, quam certum est de-

bitum iri,” und namentlich gehöre alſo dahin auch die

durch Stipulation verſprochene pecunia. Zweytens:

„Appellatione autem pecuniae omnes res in ea lege si-

gnificantur;” als Beyſpiele giebt er an: Wein, Weizen,

ein Grundſtück, ein Sklave. Hier iſt nun ganz augen-

ſcheinlich, daß er die ausgedehnte Bedeutung von pecunia

als eigenthümlichen Sprachgebrauch dieſes Geſetzes an-

giebt, dagegen die Bedeutung von credere, da es nicht

auf das bloße Geben beſchränkt iſt, ſondern die Stipula-

tion mit umfaßt, als den regelmäßigen juriſtiſchen Sprach-

gebrauch.

Durch die hier nachgewieſene Bedeutung des Ausdrucks

credere erhalten ein ganz eigenthümliches Licht Zwey

Stellen der Lex Galliae cisalpinae Cap. XXI. XXII., in

welchen zuerſt die Rede iſt von der pecunia certa credita

signata forma publica populi Romani, und nachher von:

quid praeter pecuniam certam creditam signatam forma

 

(m) Cicero pro Roscio Comoedo C. 4. 5.

|0551 : 537|

Die Condictionen. X.

publica populi Romani. Wäre blos geſagt worden: pe-

cunia certa credita, ſo hätte darunter, nach den ſo eben

angeführten Stellen, auch jede aus Expenſilation oder

Stipulation entſtandene Geldſchuld verſtanden werden müſ-

ſen. Die Abſicht gieng aber dahin, lediglich die aus einem

Darlehen in baarem, gemünztem Geld entſtandene Schuld

von allen übrigen Forderungen in der Behandlung zu un-

terſcheiden, und dieſe Abſicht wurde durch die hinzugefüg-

ten Worte ausgedrückt, in welchen der Gedanke auf das

ſinnlich wahrnehmbare Object, das der Obligation zum

Grunde liegt, gelenkt wird. Das Bedürfniß einer ſo um-

ſtändlichen Bezeichnung zeigt deutlich, daß die techniſche

Bedeutung des Ausdrucks credita pecunia umfaſſender war,

als der hier ausſchließend gemeynte Fall. Der hier ge-

wählte Zuſatz hatte alſo denſelben Zweck wie der Ausdruck

adnumerata pecunia bey Cicero, im Gegenſatz der ex-

pensa lata und stipulata, welcher von ihm abſichtlich an-

ſtatt des Ausdrucks credita gewählt war.

Ja ſogar der öfter vorkommende Ausdruck pecunia certa

credita kann ſchon zum Beweiſe dienen, daß unter credita pe-

cunia neben dem Darlehen auch zugleich die Stipulation ver-

ſtanden werden muß. Bey dem Darlehen allein wäre jener

Ausdruck völlig pleonaſtiſch, da das geliehene Geld ſtets

eine gewiſſe Summe iſt (n). Der Zuſatz certa bekommt

 

(n) Man wende nicht ein, daß

im Vertrauen auf die Redlichkeit

des Empfängers auch ungezähltes

Geld ausgeliehen werden könne.

Kann der Creditor gar keine Sum-

me angeben, auch nicht einmal als

|0552 : 538|

Beylage XIV.

nur Bedeutung durch die Beziehung auf die Stipulation,

da dieſe bald certa, bald incerta pecunia zum Gegenſtand

haben kann.

Einige andere Beſtätigungen der hier aufgeſtellten An-

ſicht von der Stipulation will ich nur kurz andeuten, da

ich ſie ſchon an einem andern Ort weiter ausgeführt

habe (o). Die älteſte und wahrſcheinlichſte Etymologie

von Stipulatio iſt die von Stips, Geld (p), ſo daß Stipu-

latio wörtlich ein Geldgeſchäft heißt, welches ſich unge-

zwungen nur dann rechtfertigen läßt, wenn man in ihr

zugleich die Fiction einer durch Gelddarlehen entſtandenen

Verpflichtung anerkennt. — Damit ſtimmt aber auch ganz

beſonders die wahrſcheinliche Entſtehung der Stipulation

zuſammen. Die Zwölf Tafeln hatten im Allgemeinen dem

Nexum eine bindende Kraft beygelegt, und damit die nexi

obligatio begründet, welche nichts Anderes war, als ein

ſymboliſches Gelddarlehen, wie die Mancipation ein ſym-

boliſcher Kauf, beide mit ſcheinbar zugewogenem Geld.

Als ſpäter die nexi obligatio durch die Lex Poetelia ab-

geſchafft wurde, und doch eine allgemeine Contractsform

nicht entbehrt werden konnte, ließ man aus der nexi ob-

ligatio die ſymboliſche Handlung weg, behielt aber die

mündliche Frage und Antwort bey. Das ſo entſtandene

 

ein Minimum, ſo hat er keine

Klage, und muß ſich mit dem Er-

folg ſeines Vertrauens begnügen.

(o) Savigny über das alt-

römiſche Schuldrecht, Abhandlun-

gen der Berliner Akademie von

1833.

(p) Varro de lingua lat. Lib.

5 § 36, Festus v. stipem.

|0553 : 539|

Die Condictionen. X.

Geſchäft war die Stipulation, deren juriſtiſcher Character

nun durch ihren Urſprung beſtimmt wurde. Daher er-

ſcheint ſie als ein dem Darlehen verwandtes, aus ihm

entſprungenes, Geſchäft, und ſie hat mit demſelben die Er-

zeugung der Condiction eben ſo gemein, wie die expensi-

latio. Eine nicht undeutliche Hinweiſung auf dieſen hiſto-

riſchen Zuſammenhang der Stipulation, und dieſen Grund

des in ihr enthaltenen credere, finde ich in den Worten

der oben abgedruckten L. 2 § 5 de R. C. „quodam actu

ad obligationem comparandam interposito, veluti stipula-

tione.” Die allgemein lautenden Worte quodam actu, ſo

wie das verbindende veluti, weiſen darauf hin, daß die

Stipulation nicht der einzige Fall dieſer Art war, dann

aber bleibt uns neben derſelben kein anderer Fall voraus-

zuſetzen übrig, als die alte nexi obligatio, von deren Auf-

hebung wir beſtimmte Nachricht haben, und die in der ur-

ſprünglichen Stelle des Paulus (ehe ſie unter die Hände

der Compilatoren kam) noch deutlicher bezeichnet geweſen

ſeyn mag.

Mit dem hier dargeſtellten hiſtoriſchen Zuſammenhang

iſt aber noch ein zweyter wohl vereinbar. Es iſt möglich,

daß ſchon vor der L. Poetelia die eben beſchriebene Um-

bildung der nexi obligatio in die Stipulation, zum Ge-

brauch der Peregrinen in Rom, vorgenommen wurde.

War Dieſes der Fall, ſo hatte die L. Poetelia, indem ſie

für die Römer die nexi obligatio aufhob, blos die Folge,

daß die bisher von den Peregrinen angewendete freyere

 

|0554 : 540|

Beylage XIV.

Geſchäftsform nun auch von den Römern angenommen

wurde. Das Andenken der alten Verſchiedenheit erhielt

ſich in der ſtets fortdauernden Regel, daß die Formel

dari spondes? spondeo nur von Römiſchen Bürgern an-

gewendet werden könne (q).

XI.

Endlich findet ſich noch eine, von den bisher erklärten

ganz verſchiedene, Veranlaſſung der Condiction in dem le-

gatum per damnationem. Daß hier in der That eine

Condiction zuläſſig war, iſt nach mehreren Stellen un-

zweifelhaft (a). Eben dahin deutet die ſehr häufige Ver-

bindung, worin die Klagen aus einer Stipulation und

aus einem Teſtament neben einander genannt werden (b).

 

Auch dieſe Anwendung ſcheint wiederum der oben auf-

geſtellten Grundlage der Condictionen zu widerſprechen,

da der Legatar keinesweges Dasjenige, Was er früher

gehabt hat, wieder bekommen, ſondern vielmehr etwas

ganz Neues erwerben will. Allein dieſer Einwurf läßt

ſich auf ähnliche Weiſe, wie der aus der Stipulation ent-

 

(q) Gajus III. § 93.

(a) L. 9 § 1 de R. C. (12. 1.)

„Competit haec actio (nämlich

die certi condictio) etiam

ex legati causa.” — Gajus II.

§ 204 „legatarius in personam

agere debet, id est intendere,

heredem sibi dare oportere;”

daß Dieſes eine Haupiform der

Condiction war, wird noch unten

gezeigt werden.

(b) L. 23 de V. O. (45. 1.),

L. 6 de in litem jur. (12. 3.),

L. 27 de solut. (46. 3.) u. ſ. w.

Vgl. Gans Obligationenrecht

S. 31.

|0555 : 541|

Die Condictionen. XI.

nommene, und vielleicht ſelbſt mit noch größerer Entſchie-

denheit, beſeitigen.

Die Grundlage des alten Civilteſtaments war das

Nexum, und aus ihm war die Kraft jeder im Teſtament

enthaltenen Beſtimmung abzuleiten. Der Erbe wurde da-

her angeſehen, als hätte er durch nexi obligatio contra-

hirt, und indem der Legatar aus dieſem, auch für ihn ge-

ſchloſſenen, Contract klagte, mußte ſeine Klage, eben ſo

wie die aus einer Stipulation entſpringende, die Natur

einer Darlehensklage, alſo einer Condiction, annehmen.

 

Dieſer Zuſammenhang läßt ſich hier ſogar unmittelbar

nachweiſen. Die nexi liberatio war die Auflöſung einer

durch nexi obligatio gegründeten Verpflichtung (c). Nun

aber war für den Legatar, der den Erben von einem dam-

nationis legatum frey geben wollte, die nexi liberatio die

eigentliche Rechtsform (d); daher mußte auch die ur-

ſprüngliche Verpflichtung des Erben gegen ihn auf einer

nexi obligatio beruht haben.

 

Allerdings paßt nun dieſe Herleitung der aus den Le-

gaten entſpringenden Condictionen unmittelbar nur auf

das Civilteſtament, und doch haben wir keinen Grund, bey

prätoriſchen Teſtamenten die Zuläſſigkeit jener Condic-

tion in Zweifel zu ziehen. Allein auch in anderen Stü-

 

(c) Gajus III. § 173.

(d) Gajus III. § 175. Nach

dieſer Stelle war es ſtreitig, in

welchen Fällen des Legats die

nexi liberatio anwendbar ſey;

vielleicht bezog ſich dieſer Streit

auch auf die Natur der anzuwen-

denden Condictionen (certi oder

incerti).

|0556 : 542|

Beylage XIV.

cken wurden die aus der Natur des Civilteſtaments ent-

ſprungenen Rechtsregeln ohne Weiteres auf das präto-

riſche Teſtament übertragen; ſo namentlich die Nothwen-

digkeit der testamenti factio in der Perſon des Teſtators,

des Erben, der Legatare, und der Zeugen, obgleich dieſe

urſprünglich auch nur in der Form der Mancipation ihren

Grund hatte.

XII.

Die bisher dargeſtellten Fälle der Anwendung ſind ins-

geſammt auf das allgemeine Princip der Condictionen zu-

rückgeführt worden. Es bleiben jetzt noch Zwey Fälle

übrig, die von dieſem Princip nicht abzuleiten ſind, und

daher als Anomalieen angeſehen werden müſſen. Der

ſehr geringe Umfang der darin enthaltenen Abweichungen

würde allein ſchon den Zweifel beſeitigen, der hieraus ge-

gen die Richtigkeit des Princips ſelbſt erhoben werden

könnte; es kommt aber hinzu, daß in dem wichtigſten die-

ſer Fälle die Ausnahmenatur von den Römern ſelbſt aus-

drücklich anerkannt wird, wodurch derſelbe vielmehr zur

Beſtätigung als zur Widerlegung des Princips dient.

Dieſe beiden Fälle ſind die condictio ex lege und die con-

dictio furtiva.

 

Die Natur der condictio ex lege wird von den Rö-

mern ſelbſt ſo angegeben:

 

L. 1 de cond. ex lege (13. 2.). (Paulus.)

Si obligatio lege nova introducta sit, nec cautum

 

|0557 : 543|

Die Condictionen. XII.

eadem lege quo genere actionis experiamur, ex

lege agendum est.

Die letzten Worte ſprechen freylich nicht ausdrücklich

von einer Condiction; in Verbindung mit der Überſchrift

des Titels muß aber unzweifelhaft eine ſolche Klage un-

ter den Worten agendum est verſtanden werden.

 

Es iſt nicht zu ſagen, welcher Misbrauch von manchen

neueren Schriftſtellern mit dieſem Namen getrieben wor-

den iſt. Wo man nur ein Klagrecht fand, das man nicht

auf anerkannte Rechtsregeln zurück zu führen wußte, theilte

man ihm jenen Namen mit, und ſetzte etwa die Zahl und

Rubrik der Digeſtenſtelle bey, woraus das Daſeyn des

Klagrechts bewieſen werden ſollte (a). Es war nun ein

höchſt bequemer Name geworden, um alle Klagen zu be-

zeichnen, wofür man gerade keinen anderen Namen kannte,

und es war ganz conſequent, dieſen Namen mit dem der

actio in factum abwechſlend zu gebrauchen (b), obgleich

kaum im ganzen Römiſchen Recht ein ſtärkerer Wider-

ſpruch zu finden iſt, als zwiſchen dieſen beiden Arten von

Klagen. Indem man dieſe Bequemlichkeit auf neueres

Recht übertrug, ſprach man auch von einer condictio ex

canone, ex statuto, ex moribus. — Es wird jetzt kaum

mehr nöthig ſeyn zu bemerken, daß Paulus nur an Kla-

gen aus Volksſchlüſſen dachte, alſo nicht an ſolche, die

 

(a) So z. B. condictio ex L.

32 de reb. cred., auch wohl

condictio Juventiana genannt.

Vgl. oben B. 3 § 136. f.

(b) Glück B. 13 S. 238.

|0558 : 544|

Beylage XIV.

aus dem Edict oder durch die fortbildende Interpretation der

Juriſten entſtanden waren; dagegen iſt es ganz in ſeinem

Sinn, wenn wir auch diejenigen Klagen mit hinzu rech-

nen, die erſt nach der Zeit des Paulus durch kaiſerliche

Edicte eingeführt wurden, und es wird ſich ſogleich zeigen,

daß Juſtinian dieſe Conſequenz in mehreren Fällen aus-

drücklich anerkannt hat.

XIII.

Paulus verlangt aber ferner zur Anwendung der con-

dictio ex lege, daß die Klage lege nova eingeführt ſey;

welches iſt nun hier die Gränze der alten und neuen leges,

und worin liegt der Grund dieſer Einſchränkung?

 

Manche haben geſagt, Paulus meyne alle Volksſchlüſſe,

die nach den Zwölf Tafeln erlaſſen waren (a); dann wä-

ren ausgeſchloſſen die in den Zwölf Tafeln eingeführten

furti actiones, dagegen müßte die actio L. Aquiliae eine

condictio ex lege genannt werden, die doch durchaus keine

Condiction war, welches unten dargethan werden wird (b).

Paulus dachte ohne Zweifel an die wichtige Veränderung,

die in Folge der L. Aebutia vorgegangen war, indem da-

 

(a) Glück B. 13 S. 252.

(b) Ich darf kaum erwarten,

daß Jemand die Einwendung ver-

ſuchen möge, die L. Aquilia gebe

deswegen nicht Veranlaſſung zu

einer condictio ex lege, weil ſie

ja das anzuwendende genus ac-

tionis ausdrücklich beſtimmt habe,

nämlich eben die bekannte actio

Legis Aquiliae. Wenn Dieſes

als Beſtimmung des genus actio-

nis gelten dürfte, ſo wäre, nach

der Angabe des Paulus, überhaupt

keine condictio ex lege möglich

geweſen, da es keinen Römiſchen

Volksſchluß gab, der nicht mit

einem ſolchen perſönlichen Namen

hätte bezeichnet werden können.

|0559 : 545|

Die Condictionen. XIII.

mals durch das Edict des Prätors für alle gangbare Kla-

gen eigene formulae aufgeſtellt wurden. Solche formulae

waren nun gewiß für alle aus früheren Volksſchlüſſen ent-

ſpringende Klagen gegeben; wenn aber nachher ein Volks-

ſchluß eine neue Klage einführte, ohne ihr zugleich eine

Klagform anzuweiſen, ſo gab man ihr ohne Weiteres die

condictio ex lege, das heißt die Intentio: dare (oder dare

facere) oportere, ohne Rückſicht darauf, ob das allgemeine

Condictionenprincip dieſe Anwendung rechtfertigte oder

nicht. Dem Princip nach konnte nur in der oben ent-

wickelten Reihe von Fällen ein oportere, das heißt das

Daſeyn einer wahren Obligation nach jus civile, behaup-

tet werden; allein wenn ein Volksſchluß (oder ſpäterhin

ein Kaiſergeſetz) eine ſolche Obligation neu einführte, ſo

war natürlich ihr Daſeyn nicht weniger gewiß, als wenn

ſie aus jenem Princip hätte abgeleitet werden können.

Hierin liegt der Erklärungsgrund der Anomalieen, die

etwa in der Anwendung der condictio ex lege wahrge-

nommen werden mögen. Welchen ſparſamen Gebrauch

die Römer davon gemacht haben, wird ſich gleich zeigen.

 

Die eben verſuchte chronologiſche Beſtimmung führt

nun allerdings nicht weit, da wir das Jahr der L. Aebu-

tia eben ſo wenig kennen, als das der meiſten älteren

Volksſchlüſſe.

 

Ich will jetzt die wenigen ſicheren Anwendungen der

condictio ex lege angeben.

 

Nur ein einziger Volksſchluß kann dahin gerechnet wer-

 

V. 35

|0560 : 546|

Beylage XIV.

den. Nach der L. Julia de adulteriis ſollte, im Fall der

Freyſprechung, dem Eigenthümer der durch die Folter ge-

tödteten oder beſchädigten Sklaven Erſatz gegeben wer-

den; wenn der Sklave blos Zeuge war, einfacher Erſatz,

wenn er ſelbſt des Ehebruchs beſchuldigt war, doppelter

Erſatz. Dabey wird ausdrücklich hinzugeſetzt: per con-

dictionem quae ex lege descendit (c). Dieſe Anwendung

der Condictionen liegt völlig außer dem Condictionenprin-

cip, da der Werth des verletzten Sklaven gar nicht in

das Vermögen Desjenigen gekommen war, welcher jetzt

den einfachen oder doppelten Erſatz leiſten ſollte.

Wenn ein Kläger ſeine Forderung übertreibt, und da-

durch dem Beklagten unnöthige Prozeßkoſten zuzieht, ſo

ſoll er nicht nur Entſchädigung zahlen, ſondern auch noch

die zweyfache Summe derſelben als Strafe zulegen, und

bey dieſer Vorſchrift Juſtinians heißt es ausdrücklich: ex

lege condicticiam emanare (d). Auch dieſe Klage liegt

ganz außer dem Princip der Condictionen.

 

Ein ähnlicher Ausdruck wird gebraucht, wenn der Klä-

ger mit der hereditatis petitio abgewieſen wird, nachdem

er vorher Erbſchaftsſchulden aus ſeinem Vermögen ausbe-

zahlt hatte. Dieſe ſoll er von dem wahren Erben (gegen

welchen er ohne Erfolg geklagt hatte) wieder fordern kön-

nen „negotiorum gestorum, vel ex lege condictione” (e).

 

(c) L. 27 § 15, 16 L. 28 ad

L. J. de adult. (48. 5.).

(d) § 24 J. de act. (4. 6.).

(e) L. 12 § 1 in f. C. de pet.

hered. (3. 31.). — Außerdem kann

ohne Zweifel der abgewieſene Klä-

ger die gezahlte Summe von dem

Empfänger zurück fordern mit der

|0561 : 547|

Die Condictionen. XIV.

Hier möchte jedoch die gewöhnliche condictio sine causa

ausreichen, da unſtreitig der wahre Erbe den Werth die-

ſes ausgelegten Geldes in ſein Vermögen bekommen hat,

ſo daß in dieſer Stelle der Name unrichtig angewendet

zu ſeyn ſcheint.

Kein Bedenken hat ferner die Anwendung der con-

dictio ex lege, wenn durch nudum pactum, ohne Stipu-

lation, entweder eine Dos verſprochen wird (f), oder eine

Schenkung (g). Für beide Fälle nämlich ſind durch die

hier angeführten Kaiſergeſetze Klagen neu eingeführt wor-

den, die ſich auf das allgemeine Condictionenprincip nicht

zurückführen laſſen, und es iſt ganz zufällig, daß der Name

condictio ex lege in dieſen Stellen nicht gebraucht wird.

 

Eben ſo iſt die Klage, womit die Schenkung wegen

Undankbarkeit des Beſchenkten zurückgefordert wird, als

eine condictio ex lege anzuſehen. (Syſtem § 169.)

 

XIV.

Für ungewiß halte ich die Anwendung der condictio

ex lege bey der Klage ex lege Cornelia de injuriis (a);

wir wiſſen nämlich nicht, ob dieſer Volksſchluß in dem

 

condictio indebiti, welches hier

nur nicht erwähnt iſt, und in welchem

Fall der wahre Erbe gar nicht

befreyt wird (L. 19 § 1 de cond.

indeb. 12. 6.). Es wird alſo hier

vorausgeſetzt, daß es der Zahlende

vorzieht, die Zahlung als gültig

anzuerkennen, und ſeinen Regreß

an den wahren Erben zn nehmen.

(f) L. 6 C. de dotis promiss.

(5. 12.).

(g) L. 35 § 5 C. de don. (8.

54.). Vgl. oben B. 4 § 169.

S. 231.

(a) L. 5 de injur. (47. 10.).

35*

|0562 : 548|

Beylage XIV.

oben beſtimmten Sinn eine lex nova war (welches ich je-

doch für wahrſcheinlich halte), und eben ſo wenig, ob er

nicht das genus actionis ſelbſt beſtimmt hatte.

In folgenden Fällen endlich halte ich die Anwendung

der condictio ex lege entſchieden für verwerflich.

 

Zuerſt bey dem damnationis legatum. Die hier un-

ſtreitig geltende Condiction (Num. XI.) könnte man für

eine condictio ex lege XII. tabularum halten, um dadurch

die oben verſuchte, vielleicht zu künſtlich ſcheinende, Erklä-

rung der Condiction des Legatars zu beſeitigen, wenn ir-

gend ein Sprachgebrauch denkbar wäre, nach welchem

jenes Geſetz als lex nova bezeichnet werden könnte.

 

Ferner konnte Derjenige, welcher ſich gegen die Vor-

ſchriften der L. Cincia verpflichtet, und hieraus gezahlt

hatte, das gezahlte Geld zurück fordern, und zwar ohne

Zweifel mit einer Condiction (b); dennoch halte ich die An-

wendung einer condictio ex lege Cincia für ungegründet.

Zwar ob das erwähnte Geſetz als eine lex nova in dem

oben beſtimmten Sinn bezeichnet werden konnte, will ich

dahin geſtellt ſeyn laſſen; allein in jenem Fall möchte wohl

die condictio sine causa, oder ob injustam causam, alſo

das gewöhnliche Condictionenprincip, ausgereicht haben,

ſo daß zur Ergänzung durch die condictio ex lege kein

Bedürfniß vorhanden war.

 

Endlich, was wichtiger iſt, darf durchaus nicht die

actio L. Aquiliae für eine condictio ex lege, oder über-

 

(b) Vatic. Fragm. § 266. S. o. Syſtem B. 4 § 165. d1.

|0563 : 549|

Die Condictionen. XIV.

haupt für eine Condiction, gehalten werden (vgl. Num. XX).

Schon eine lex nova im Sinn des Paulus dürfte die

L. Aquilia ſchwerlich geweſen ſeyn, doch läßt ſich darüber

Nichts unmittelbar beweiſen, da wir über ihr Zeitalter

faſt gar Nichts wiſſen; aber daß ſie keine Condiction war,

muß jedem Unbefangenen einleuchten, der die Digeſtentitel

de condictione furtiva und ad Legem Aquiliam hinter ein-

ander durchlieſt; denn dort iſt faſt in jeder Stelle von

condictio und condicere die Rede, hier in keiner einzigen

Stelle, ſo oft auch die Klagen in den verſchiedenſten

Wendungen und Modificationen erwähnt werden. Die-

ſelbe durchgeführte Verſchiedenheit des Ausdrucks, die hier

bey der Vergleichung ganzer Titel zur unverkennbaren

Anſchauung kommt, findet ſich kürzer zuſammen gedrängt

in einer einzelnen Stelle, worin beide Klagen mit einander

verglichen werden (c).

Ein ſehr ſcheinbarer Zweifel allerdings könnte herge-

nommen werden aus einer in einem andern Digeſtentitel

befindlichen Stelle (d), worin von der certi condictio, das

heißt von der auf eine beſtimmte Geldſumme gerichteten

Condiction, geradezu geſagt wird:

Competit haec actio etiam ex legati causa, et ex

lege Aquilia.

 

(c) L. 2 § 3 de priv. delictis

(47. 1.). „Quaesitum est, si

condictus fuerit ex causa fur-

tiva, an nihilo minus L. Aqui-

lia agi possit. Et scripsit Pom-

ponius, agi posse, quia alte-

rius aestimationis est L. Aqui-

liae actio, alterius condictio ex

causa furtiva” etc.

(d) L. 9 § 1 de R. C. (12. 1.).

|0564 : 550|

Beylage XIV.

Der Fall der Anwendung wird nicht hinzugeſetzt, und

wir haben daher einen ſolchen Fall aufzuſuchen, aus wel-

chem ſich einestheils die Anwendung der Condiction nach

unſrem Condictionenprincip, anderntheils die ſo äußerſt

ſeltene Erwähnung derſelben, befriedigend erklärt.

 

Das Weſen des damnum injuria datum beſteht darin,

daß der Beſchädigte durch die verletzende Handlung eines

Andern ärmer wird; gewöhnlich gewinnt dabey der Ver-

letzer gar Nichts, zuweilen jedoch geſchieht Dieſes aller-

dings, und dann hat dieſer hinzutretende ſeltene Umſtand

manche eigenthümliche Folgen (e). Unter dieſe beſonderen

Folgen kann denn auch die Entſtehung einer Condiction

neben der actio L. Aquiliae gehören, die dem juriſtiſchen

Entſtehungsgrund nach von ihr ganz verſchieden iſt, den

Erfolg aber (die Entſchädigung) mit ihr großentheils ge-

mein hat. Wenn z. B. mein Schuldner den von ihm aus-

geſtellten Schuldſchein über geliehenes baares Geld zer-

ſtört, und mir dadurch den Verluſt der Schuldklage zu-

zieht, ſo habe ich gegen ihn wegen der Zerſtörung die

actio L. Aquiliae (f), wegen ſeiner Bereicherung eine con-

dictio sine causa, die hier allerdings eine certi condictio

ſeyn wird. Eben ſo, wenn mein adstipulator den Schuld-

ner eigenmächtig von der Schuld befreyte, ſo hatte ich

wegen dieſer Beſchädigung gegen ihn eine actio L. Aqui-

 

(e) L. 23 § 8 ad L. Aquil.

(9. 2.), vgl. Syſtem § 212. g.

(f) L. 40. 41. 42 ad L. Aquil.

(9. 2.), L. 27 § 3 L. 3 § 1 de

furtis (47. 2.).

|0565 : 551|

Die Condictionen. XV.

liae (g); wenn er ſich ſelbſt aber dadurch bereicherte,

z. B. indem er nachher des Schuldners Erbe wurde, ſo

hatte ich wegen dieſer Bereicherung gegen ihn gleichfalls

eine certi condictio sine causa auf die Summe der mir

entzogenen Forderung (h). Gerade daß dieſe Fälle ſo

ſelten und verwickelt ſind, paßt vollkommen zu dem ſonſt

räthſelhaften Umſtand, daß die Condiction hier zwar als

unzweifelhaft erwähnt wird, aber nur ein einzigesmal im

ganzen Umfang unſrer Rechtsquellen, und nur ganz bey-

läufig bey der certi condictio, um die große Mannich-

faltigkeit der Fälle bemerklich zu machen, welche zu dieſer

Klage Anlaß geben können.

Es tritt alſo hier ein ganz ähnliches Verhältniß ein

wie bey dem Diebſtahl. Dieſer erzeugt zwey ganz ver-

ſchiedenartige Klagen: aus dem Delict entſteht die furti

actio, aus der grundloſen Bereicherung die condictio fur-

tiva, welches Verhältniß durch die gleich folgende Be-

trachtung deutlicher hervor treten wird. Der Unterſchied

liegt nur darin, daß bey dem damnum die Bereicherung

äußerſt ſelten, bey dem Diebſtahl dagegen jedesmal eintritt.

 

XV.

Es bleibt nun noch übrig, die condictio furtiva zu be-

trachten, als die zweyte unter den Klagen, welche von

der regelmäßigen Natur der Condictionen abweichen (Num.

 

(g) Gajus III. § 215. 216.

(h) Dieſen Fall bezieht hierauf

richtig Heffter Observ. in Gajum

L. 4 p. 66.

|0566 : 552|

Beylage XIV.

XII.). Die genaueſte und häufigſte Bezeichnung derſelben

iſt condictio ex causa furtiva (a); der Name condictio

furtiva findet ſich weit ſeltener (b), und iſt eigentlich nur

eine bequeme Abkürzung jenes erſten Ausdrucks.

Es würde ganz unrichtig ſeyn, wenn man das Daſeyn

dieſer Klage überhaupt, ſo wie die häufigſten Anwendun-

gen derſelben, als Abweichung von dem allgemeinen Con-

dictionenprincip halten wollte. Wenn der Dieb geſtohlenes

Geld in ſeinen Nutzen verwendet, oder den geſtohlenen

Weizen aufzehrt, ſo bereichert er ſich ohne Rechtsgrund

auf Koſten des Beſtohlenen, der ſein Eigenthum durch Zer-

ſtörung der Sache verliert, und für Fälle dieſer Art iſt

die allgemeine condictio sine causa völlig ausreichend

(Num. VIII.). Selbſt wenn der Dieb die Sache wieder

verliert, iſt er zwar ohne Bereicherung dennoch verpflichtet,

aber Dieſes iſt nur eine Folge der den Diebſtahl ſtets be-

gleitenden Mora (c), enthält alſo keine Abweichung von

den für die condictio sine causa als ſolche geltenden

Rechtsregeln.

 

So iſt alſo dieſe Klage eigentlich nur eine einzelne

Anwendung der condictio sine causa, und ſie würde über-

 

(a) L. 2, 3, 5, 8 § 1, 9, 16,

18 de cond. furt. (13. 1.), L. 2

§ 3 de priv. del. (47. 1.), und

viele andere Stellen.

(b) Der Ausdruck kommt vor in

der Titelrubrik der Digeſten (13.

1.) und des Codex (4. 8.), ferner

in L. 3 § 2, L. 21 § 5 rer. amot.

(25. 2.), vielleicht auch ſonſt noch,

aber gewiß nicht häufig. In der

zuletzt angeführten Stelle iſt noch

die Leſeart zweifelhaft, da die Vul-

gata lieſt: ex causa furtiva.

(c) L. 17, 20, 8 pr. de cond.

furt. (13. 1.).

|0567 : 553|

Die Condictionen. XV.

haupt nicht als eine beſondere Klage behandelt, und mit

einem eigenen Namen belegt worden ſeyn, wenn nicht fol-

gender Umſtand dieſe Behandlung nöthig gemacht hätte.

Das Bedürfniß und die Möglichkeit der Condiction iſt nach

allgemeinen Regeln dadurch bedingt, daß der Beklagte

nicht mehr die Sache ſelbſt beſitzt, weil außerdem die Vin-

dication ausreicht, und das dare, als Gegenſtand der Con-

diction, unmöglich iſt. (Num. V.) Eigentlich alſo müßte

der Beſtohlene zuerſt genau unterſuchen, ob das geſtohlene

Geld noch unvermiſcht vorhanden iſt, und wenn er es

hierin verſieht, ſo wird er wegen der unrichtig gewählten

Klage abgewieſen werden; ja die größte Vorſicht kann

ihn hierin nicht ſichern, da es in der Willkühr des Diebes

ſteht, das Geld noch jetzt augenblicklich auszugeben oder

mit anderem Geld zu vermiſchen. Da es nun ſehr billig

iſt, den Beſtohlenen, dem Diebe gegenüber, von dieſer

Verlegenheit und Gefahr zu befreyen, ſo iſt für dieſen

Fall, ausnahmsweiſe, die Condiction geſtattet worden,

auch wenn die Sache noch vorhanden iſt, ſo daß deshalb

auch die Vindication möglich geweſen wäre (d). In dieſer

(d) Gajus IV. § 4. „… certum

est, non posse nos rem nostram

ab alio ita petere: si paret

eum dare oportere, nec enim,

quod nostrum est, nobis dari

potest … Plane odio furum,

quo magis pluribus actionibus

teneantur, effectum est, ut …

ex hac actione etiam tenean-

tur: si paret eos dare opor-

tere: quamvis sit etiam ad-

versus eos haec actio, qua rem

nostram esse petimus.” § 14

J. de act. (4. 6.), L 1 § 1 de

cond. trit. (13. 3.). — Der Vor-

theil, der dem Beſtohlenen durch

die Zulaſſung dieſer Klage zuge-

wendet werden ſoll, muß auf die

oben im Text entwickelte Weiſe ge-

dacht werden, nicht als ob es ihm,

|0568 : 554|

Beylage XIV.

Anwendung allein iſt alſo jene Klage als eine von der

allgemeinen Regel der Condictionen abweichende anzuſehen,

und die Abweichung iſt nur darin zu ſetzen, daß in dieſem

Fall das außerdem geltende alternative Verhältniß der

Condiction zur Vindication (Num. V. f. g.) zum Vortheil

des Klägers aufgegeben wird.

XVI.

Die Condiction, in der hier erklärten abweichenden

Natur, iſt dann auch angewendet worden auf den an ſich

verſchiedenen, aber verwandten, Fall, wenn dem Eigen-

thümer der Beſitz eines Grundſtücks mit Gewalt entzogen

wird; auch hier ſoll er ausnahmsweiſe die eigene Sache

condiciren, alſo zwiſchen der Condiction und Vindication

wählen dürfen. Anfangs war dieſe Ausdehnung beſtritten,

 

wenn wirklich die Sache unzweifel-

haft vorhanden iſt, von beſonderem

Werth ſeyn könnte, gerade auch

eine Condiction, vorzugsweiſe vor

der Vindication, zu erhalten: denn

die eine dieſer Klagen giebt ihm

in einem ſolchen Fall nicht mehr

als die andere. — Es iſt alſo

wohl zu bemerken, daß die ganze

Schwierigkeit und die dadurch nö-

thig befundene Anomalie lediglich

durch die hergebrachten Klagfor-

mulare herbeygeführt wurde. Da-

her iſt es eigentlich ſehr unpaſſend,

daß in Juſtinians Inſtitutionen

die Sache noch ſo, wie bey Gajus,

vorgetragen wird, da man doch zu

ſeiner Zeit die alten formulae

ſchon längſt bey Seite gelegt hatte,

alſo auch nicht mehr mit dare

oportere intendirte. Auch ſchon

zu des Gajus Zeit wäre bey dem

Gebrauch der Formel dare facere

oportere gar keine Schwierigkeit

geweſen, da dieſe auch das bloße

restituere in ſich ſchloß; wahr-

ſcheinlich wollte man aber dem

Beſtohlenen auch die eigenthüm-

lichen Vortheile der Formel dare

oportere nicht entgehen laſſen,

von welchen noch unten die Rede

ſeyn wird. Die Ungewißheit frey-

lich, mit ihren prozeſſualiſchen Ge-

fahren, blieb immer übrig.

|0569 : 555|

Die Condictionen. XVI.

ſpäterhin iſt ſie beſtimmt anerkannt worden (a); es iſt

aber nicht zu läugnen, daß dazu weniger dringender Grund

vorhanden iſt, als bey der geſtohlenen Sache, indem ein

Grundſtück nicht zerſtört, und auch der gegenwärtige Be-

ſitzer leicht erforſcht werden kann.

Andere Ausdehnungen der Condiction ſind nur ſchein-

bar, indem die Fälle, worauf ſie bezogen werden, ſchon

unter dem urſprünglichen Begriff derſelben unmittelbar

enthalten ſind.

 

So gilt zwar unzweifelhaft die Condiction im Fall des

gewaltſamen Raubes (b); aber Dieſes iſt nicht Ausdeh-

nung, da der Raub, eben ſo wie der heimliche Diebſtahl,

ein wahres, eigentliches furtum iſt (c).

 

Eben ſo gilt die Condiction bey der Entwendung unter

Ehegatten (d); aber auch dieſe Handlung iſt ein wahres,

eigentliches furtum, deſſen Folgen nur, aus Schonung des

ehelichen Verhältniſſes, etwas gemildert werden ſollen (e).

 

(a) Labeo war dagegen, Sa-

binus, Celſus, Ulpian dafür, und

ihre Meynung iſt von Juſtinian

durch die Aufnahme folgender Stel-

len anerkannt. L. 25 § 1 de

furtis (47. 2.), L. 2 de cond.

trit. (13. 3.).

(b) L. 2 § 26 vi bon. rapt.

(47. 8.), L. 1 § 1 de cond. trit.

(13. 3.).

(c) L 1, L. 2 § 10. 26 vi bon.

rapt. (47. 8.).

(d) L. 17 § 2 rer. amot. (25. 2.).

Nur darüber kann man zweifelhaft

ſeyn, ob die actio rerum amo-

tarum ſelbſt eine condictio iſt

(L. 26 eod..), oder ob neben ihr

die davon verſchiedene condictio

furtiva gilt (L. 21 § 5 eod.).

Doch iſt es nicht ſchlechthin nöthig,

zwiſchen dieſen Stellen einen Wider-

ſpruch anzunehmen. Das allge-

meine Princip der condictio sine

causa paßt hier, wie bei jedem

anderen Diebſtahl (Num. XV.).

(e) L. 1 L. 29 rer. amot.

(25. 2.).

|0570 : 556|

Beylage XIV.

XVII.

Nach der hier gegebenen Darſtellung iſt alſo die con-

dictio furtiva keine Delictsklage, indem ſie nicht, ſo wie

die furti und doli actio, aus einem Delict entſteht; ſie

entſteht vielmehr, eben ſo wie jede andere condictio sine

causa, aus des Gegners grundloſer Bereicherung durch

unſer Eigenthum, alſo aus einem als Quaſicontract zu

bezeichnenden Rechtsgeſchäft. Daneben ſoll jedoch nicht be-

ſtritten werden, daß ſie bey Gelegenheit eines Delicts ent-

ſteht, ja daß das Daſeyn deſſelben die nothwendige Vor-

ausſetzung iſt, ohne welche ſie, mit der oben dargeſtellten

eigenthümlichen Natur, gar nicht entſtehen kann.

 

Dieſe Meynung aber iſt keinesweges allgemein aner-

kannt, vielmehr iſt die Natur dieſer Klage, und namentlich

die Frage, ob ſie ex delicto entſteht oder nicht, ſeit Jahr-

hunderten Gegenſtand einer großen Controverſe unter den

Rechtslehrern (a). Für die Richtigkeit der hier aufgeſtellten

Lehre von den Condictionen iſt aber dieſe Frage ſehr wichtig.

Denn wenn jene Condiction wirklich eine Delictsklage iſt,

ſo iſt damit jene Lehre ſchwer zu vereinigen. Selbſt die

 

(a) Einer der neueſten Verthei-

diger der Delictsnatur dieſer Klage

iſt Francke Beyträge S. 28—33.

Schriftſteller über dieſe Streitfrage

finden ſich reichlich angeführt bey

Glück B. 13 § 839. Die Ablei-

tung aus einem quasicontractus

findet ſich ſchon bey Anderen, z. B.

Lyclama benedictor. Lib. 1 C.

1—8. — Krug de condict. furt.

Lips. 1830 p. 8—12 hält ſie zwar

für eine Delictsklage, will aber

ihre Entſtehung (ohne hinreichende

Gründe) aus der Fiction eines

Abfindungsvertrags ableiten, und

daraus ihre Eigenthümlichkeiten

erklären, z. B. den Übergang auf

die Erben des Diebes.

|0571 : 557|

Die Condictionen. XVII.

exceptionelle Natur der condictio furtiva würde dagegen

wenig Schutz gewähren, da ich ſelbſt darzuthun geſucht

habe, daß dieſe Natur keinesweges der Klage überhaupt,

ſondern nur einer einzelnen Anwendung derſelben zuzu-

ſchreiben iſt (Num. XV.). Durch folgende Gründe nun

glaube ich die Delictsnatur der Klage völlig widerlegen

zu können.

Zuerſt ſetzt ſie Ulpian in folgender Stelle wörtlich und

ganz beſtimmt allen Klagen ex maleficio entgegen, indem er

jedoch bemerkt, daß die Compenſation auf ſie, eben ſo wie

auf jene Klagen (zu welchen ſie alſo nicht gehört) an-

wendbar ſey (b):

Quotiens ex maleficio oritur actio, utputa ex causa

furtiva, ceterorumque maleficiorum, si de ea pecu-

niarie agitur, compensatio locum habet. Idem est

et si condicatur ex causa furtiva.

 

Es giebt alſo nach dieſer Stelle, aus Veranlaſſung des

Diebſtahls (ex causa furtiva), zwey verſchiedene Klagen.

Die eine iſt ex maleficio (unzweifelhaft die furti actio);

die andere (die alſo nicht ex maleficio oritur) iſt die con-

dictio furtiva.

 

Das in dem Diebſtahl enthaltene Delict wird ganz auf

gleiche Weiſe angenommen bey dem Diebe ſelbſt, und bey

deſſen Gehülfen und Rathgebern, und dieſe alle werden

von derſelben Strafe betroffen, wie der Dieb (c). Die

 

(b) L. 10 § 2 de compens.

(16. 2.).

(c) § 11 J. de oblig. ex del.

(4. 1.).

|0572 : 558|

Beylage XIV.

Condiction aber geht gegen ſie nicht (d), und dieſe Ver-

ſchiedenheit iſt nur daraus zu erklären, daß die Condiction

gar nicht aus dem Delict entſpringt, ſondern aus der

Thatſache der grundloſen Bereicherung, einer Thatſache,

die von dem zugleich vorhandenen Delict völlig verſchieden,

und dagegen mit vielen anderen Fällen der Bereicherung,

die keine Beziehung auf ein Delict haben, ganz gleich-

artig iſt.

Ganz entſcheidend ſind ferner die Rechtsverhältniſſe,

welche eintreten, wenn der Diebſtahl von einem Sklaven,

(oder auch von einem filiusfamilias) begangen wird. Hier

ſind die allgemeinen Rechtsregeln über die verpflichtenden

Handlungen ſolcher abhängigen Menſchen folgende (e):

 

1) Verhältniſſe zu fremden Perſonen.

a) Der Herr des Sklaven kann belangt werden bald

mit der actio de peculio, bald mit der actio noxalis, und

zwar ſo, daß dieſe beide Klagen in einem ausſchließenden

Verhältniß zu einander ſtehen. Aus Contracten (und Quaſi-

contracten) entſteht eine actio de peculio, niemals actio

noxalis: aus Delicten actio noxalis, niemals de peculio (f).

 

b) Der Sklave ſelbſt kann nach der Freylaſſung be-

langt werden aus Delicten, nicht aus Contracten; oder

mit andern Worten, ſeine Obligationen aus Delicten ſind

nun civiles, die aus Contracten naturales (g).

 

(d) L. 6 de cond. furt. (13. 1.).

(e) Die Beweiſe dieſer Sätze

ſind ſchon oben zuſammen geſtellt

worden in der Beylage IV, Bd. 2

S. 424—428, und im Syſtem

§ 211. a.

(f) L. 49 de O. et A. (44. 7.).

(g) L. 1 § 18 depos. (16. 3.).

|0573 : 559|

Die Condictionen. XVII.

2) Verhältniſſe zu dem eigenen Herrn.

Aus Contracten entſpringen naturales obligationes,

welche während der Gewalt und nach der Freylaſſung

wirkſam ſind. Aus Delicten entſpringen hier gar keine

Obligationen, weder civiles noch naturales, weder im

Sklavenſtand, noch nach der Freylaſſung.

 

In allen dieſen Beziehungen nun zeigt ſich die condictio

furtiva durchaus als eine Contractsklage (h), alſo in einer,

der furti actio gänzlich entgegengeſetzten, Weiſe.

 

1) Wenn der Sklave oder Sohn einen Dritten be-

ſtiehlt, ſo geht:

 

a) Gegen den Herrn oder Vater die Klage de peculio,

alſo nicht noxalis, und auch de peculio nur, inſofern der

Herr oder Vater durch den Diebſtahl reicher geworden

iſt (i). Dieſe Beſchränkung aber iſt ſo zu erklären. Wenn

das geſtohlene Geld ſogleich verſchwendet wird, ſo daß

kein Werth im Vermögen zurück bleibt, ſo müßte auch

gegen den gewöhnlichen Dieb eigentlich keine Klage gelten,

 

(h) Nämlich eigentlich quasi ex

contractu, ganz wie die condictio

indebiti, sine causa u. ſ. w., die

durchaus denſelben allgemeinen

Charaeter an ſich tragen, wie die

wahren Contractsklagen.

(i) L. 3 § 12 de peculio (15. 1.)

„… et est verius, in quan-

tum lecupletior factus esset …

actionem de peculio dandam”

(nämlich die condictio, nach deren

Zuläſſigkeit vorher gefragt worden

war). — L. 30 pr. de act. emti

(19. 1.) „… si jam traditus

furtum mihi fecisset (nämlich

wenn mich mein geweſener Sklave

beſtahl, nachdem ich ihn veräußert

hatte), aut omnino condictionem

eo nomine de peculio non ha-

berem, aut eatenus haberem,

quatenus ex re furtiva auctum

peculium fuisset.” — L. 4 de

cond. furt. (13. 1.) „quod ad

eum pervenit” ſ. u. Num. XVIII,

wo dieſe Stelle erklärt werden wird.

|0574 : 560|

Beylage XIV.

weil er nicht mehr bereichert iſt; daß ſie gegen ihn dennoch

gilt, kommt nur daher, daß er als Dieb beſtändig in

Mora iſt. Iſt nun der Dieb ein Sklave, ſo geht die Klage

gegen den Herrn als actio de peculio, aber ohne dieſe

ſchärfende Modification; denn da der Herr nicht Dieb iſt,

ſo iſt er auch nicht in Mora, und kann alſo auch nur

verklagt werden, inſofern er eine gegenwärtige Bereiche-

rung hat. Genauer muß man Dieſes ſo ausdrücken: gegen

den Herrn geht zwar die condictio, aber nicht als furtiva,

ſondern als die gewöhnliche, unmodificirte, sine causa (k).

b) Gegen den ſtehlenden Sklaven ſelbſt geht die Con-

diction nach der Freylaſſung gar nicht, weil die ihr zum

Grund liegende Obligation, als contractliche, nur natu-

ralis iſt, während die furti actio, als Delictsklage, aller-

dings gegen ihn geht (l).

 

(k) L. 30 pr. de act. emti

(19. 1.) „ .. condictio eo no-

mine mihi adversus te compe-

tat, quasi res mea ad te sine

causa pervenerit.” Genau ge-

nommen iſt es hier auch deswegen

keine eigentliche actio de peculio,

weil dieſe Klage wegen Bereiche-

rung des Herrn aus dem Diebſtahl

ſeines Sklaven ſelbſt dann gelten

muß, wenn der Sklave gar kein

Peculium hatte. Darauf geht

vielleicht der ſchwankende Ausdruck

(aut omnino … non haberem)

der L. 30 cit. in Note i, und

eben ſo auch der ſonſt zu unein-

geſchränkte Ausdruck der L. 5 de

cond. furt. (13. 1.) „… num-

quam enim ea condictione alius,

quam qui fecit, tenetur, aut

heres ejus.” Gewiß iſt durch

dieſe Worte auch die Möglichkeit

verneint, die Condiction als actio

noxalis anzuſtellen.

(l) L. 15 de cond. furt. (13.

1.) „Quod ab alio servus sub-

ripuit, ejus nomine liber furti

tenetur: condici autem ei non

potest, nisi liber contrectavit.”

Dieſe Stelle iſt eigentlich die ent-

ſcheidendſte unter allen, und mit

ihr läßt ſich die Delictsnatur der

condictio furtiva durchaus nicht

vereinigen, da die Regel: noxa

caput sequitur allgemein und

durchgreifend für alle Delictsklagen

|0575 : 561|

Die Condictionen. XVII.

2) Wenn der Sklave den eigenen Herrn beſtiehlt, ſo

entſteht daraus die der Condiction eigene Obligation als

naturalis, ſo daß durch ſie das Peculium ipso jure ver-

mindert wird, und ſie wirkt als ſolche auch nach der

Freylaſſung fort (m).

 

Endlich liegt ein entſcheidender Grund gegen die Delicts-

natur der Condiction auch in dem Umſtand, daß ſie un-

bedingt gegen den Erben des Diebes geht (n). Wäre ſie

eine Delictsklage, ſo würde der Erbe nur inſoweit ver-

pflichtet ſeyn, als er durch den Diebſtahl bereichert wäre (o);

ſie hat aber eine contractliche Natur, und ihre Unabhän-

gigkeit von fortdauernder Bereicherung gründet ſich bey

dem Diebe ſelbſt auf deſſen ſtete Mora: contractliche Klagen

aber gehen regelmäßig gegen die Erben, und eben ſo wirkt

die einmal begründete Mora von ſelbſt fort (p), weshalb

ſie weder durch des Glaubigers, noch durch des Schuld-

ners Tod unterbrochen wird (q).

 

gilt. — Die Schlußworte machen

keine Schwierigkeit, denn die nach

der Freylaſſung wiederholte Con-

trectation iſt ein neuer Diebſtahl,

welcher, unabhängig von den vor-

hergegangenen Handlungen, die

gewöhnlichen Folgen nach ſich zieht.

(m) L. 30 pr. de act. emti

(19. 1.) „… ipso jure ob id

factum minutum esse peculium,

eo scilicet, quod debitor meus ex

causa condictionis sit factus.”

(n) L. 5 L. 7 § 2 de cond.

furt. (13. 1.).

(o) Syſtem § 211. h.

(p) L. 87 § 1 de leg. 2. (31. un.).

(q) L. 27 de usuris (22. 1.).

V. 36

|0576 : 562|

Beylage XIV.

XVIII.

Es dürfen jedoch Zwey Stellen nicht verſchwiegen

werden, die gegen die Wahrheit der hier vorgetragenen

Lehre Zweifel erregen könnten.

 

Die eine, von Ulpian herrührend, lautet alſo (a):

Si servus vel filiusfamilias furtum commiserit, con-

dicendum est domino id, quod ad eum pervenit: in

residuum, noxae servum dominus dedere potest.

 

Auf den erſten Blick ſcheint dieſe Stelle die Condiction für

eine Delictsklage zu erklären, die als actio noxalis gegen

den Herrn angeſtellt werden könne. Da ſie aber, ſo ver-

ſtanden, allen vorher angeführten Beweisſtellen geradezu

widerſprechen würde, ſo muß vermittelſt einer andern Er-

klärung die Vereinigung geſucht werden. Ulpian warf ſich

die Frage auf, inwieweit das Vermögen eines Herrn durch

den von ſeinem Sklaven begangenen Diebſtahl gefährdet

werden könne, und er beruhigt den Herrn damit, daß er

niemals unbedingt für die durch den Diebſtahl herbeyge-

führten Obligationen zu haften brauche; durch die Con-

diction könne er gar Nichts verlieren, da ſie ihn nur

nöthigen könne, Dasjenige heraus zu geben, Was ihm

durch den Diebſtahl als Bereicherung zugekommen ſey;

dann ſey nur noch die furti actio übrig, die er allerdings

als actio noxalis übernehmen, und wodurch er den noch

übrigen Werth des Diebſtahls (ſogar erhöht, durch die

 

(a) L. 4 de cond. furt. (13. 1.).

|0577 : 563|

Die Condictionen. XVIII.

Strafe) herauszahlen müſſe; davon aber könne er ſich in

jedem Fall durch noxae datio frey machen, ſo daß alſo

der Werth des Sklaven das Äußerſte ſey, welches er aus

ſeinem Vermögen durch den Diebſtahl einbüßen könne. —

Allerdings wird hier Manches in die Stelle hinein getra-

gen, wovon ſie Nichts ſagt, und dieſes Verfahren kann

hier nur durch die Nothwendigkeit der Vereinigung ge-

rechtfertigt werden. Ohne Zweifel iſt der Schein eines

Widerſpruchs nur durch die ungeſchickte Art entſtanden,

wie die Compilatoren die Stelle excerpirt haben (b).

Die zweyte Stelle iſt ein Reſcript von Diocletian (c),

nach welchem mehrere zugleich Stehlende mit der Con-

diction ſo belangt werden können, daß der Beſtohlene von

jedem Einzelnen nach freyer Auswahl das Ganze fordern

darf, jedoch ſo daß die Zahlung des Einen die Andern

befreyt. Dieſes ſcheint auf eine Delictsklage, nämlich eine

einſeitige Strafklage, wie etwa die doli actio zu deuten,

bey welcher Art der Klagen in der That dieſe Regel

gilt (d). Wenn dagegen die Condiction, nach meiner Be-

hauptung, durch die Bereicherung des Beklagten begründet

wird, ſo ſcheint es, ſie müſſe ausſchließend gegen Den-

jenigen unter den Dieben gelten, der allein das Geld an

ſich genommen hat, oder, wenn ſie es getheilt haben, gegen

Jeden für ſeinen Antheil. — Dieſer allerdings ſcheinbare

 

(b) Weſentlich dieſelbe Erklä-

rung giebt Pothier Pand. Just.

XIII. 1. Art. 1. Num. VIII. not. f.

(c) L. 1 C. de cond. furt.

(4. 8.). Die Stelle iſt oben ab-

gedruckt, Syſtem § 211. b.

(d) Syſtem § 211. c.

36*

|0578 : 564|

Beylage XIV.

Einwurf verſchwindet durch dieſelbe Betrachtung, wodurch

dem Eigenthümer geſtattet worden iſt, ſeine noch vorhan-

dene Sache mit der Condiction einzuklagen (Num. XV.).

Denn wenn der Beſtohlene genöthigt ſeyn ſollte zu unter-

ſuchen, wie viel jeder einzelne Dieb von dem geſtohlenen

Gut erhalten hat, ſo würde für ihn dieſelbe Verlegenheit

und Prozeßgefahr entſtehen, von welcher er dort befreyt

werden ſollte. Es erfordert alſo auch hier die einleuch-

tendſte, unabweislichſte Billigkeit, von der Strenge des

Grundſatzes abzugehen, und dem Beſtohlenen die freye Wahl

des Beklagten unter allen einzelnen Dieben zu überlaſſen.

XIX.

Ich faſſe das bisher im Einzelnen Dargeſtellte zu einem

allgemeinen Überblick zuſammen. Grund und Bedingung

der Condictionen iſt die mit der Entſtehung einer Obliga-

tion verknüpfte Bereicherung des gegenwärtigen Schuld-

ners aus dem Vermögen des Glaubigers, welche jetzt

wieder rückgängig gemacht werden ſoll (a): und zwar bald

 

(a) Alſo nicht jede Bereicherung

des Andern aus meinem Ver-

mögen giebt mir ein Recht zur

Rückforderung, ſondern wenn ich

für die eingetretene Bereicherung

ein Recht zur Rückforderung habe,

ſo iſt die darauf zu richtende Klage

eine Condiction. Dieſes Recht

zur Rückforderung wird hauptſäch-

lich begründet durch den vorbehal-

tenen Willen (Darlehen), durch

Irrthum (Indebitum u. ſ. w.), durch

des Andern Eigenmacht (c. sine

causa und furtiva). Entſteht aber

die Bereicherung aus Liberalität

(Schenkung), oder als Äquivalent

für eine Gegenleiſtung (Kaufgeld,

Miethgeld u. ſ. w.), ſo iſt über-

haupt keine Rückforderung zuläſſig,

alſo auch nicht durch eine Con-

diction.

|0579 : 565|

Die Condictionen. XIX.

wirkliche Bereicherung, wie bey dem Darlehen, oder dem

gezahlten Indebitum (Num. IV—VIII.), bald eine fingirte,

wie bey der expensilatio, der Stipulation, dem Legat

(Num. IX—XI.). Dazu kommen noch einige, nicht be-

deutende, ganz poſitive Erweiterungen, die auf jenen Grund-

begriff nicht zurück geführt werden können (Num. XII—

XVIII.). Damit aber der Sinn dieſer Regel ſchärfer

hervor trete, iſt es nöthig, nun noch die entgegengeſetzten

Fälle von Obligationen in’s Auge zu faſſen, die eben durch

jenen Grundbegriff von der Anwendung der Condictionen

ausgeſchloſſen, und auf andere Actionen verwieſen wer-

den ſollen.

Dieſe ausgeſchloſſenen Obligationen laſſen ſich auf Zwey

Klaſſen zurück führen. Das Recht nämlich, deſſen Genuß

der Kläger durch eine Klage ſucht, kann entweder noch

jetzt in ſeinem Vermögen ſich befinden, oder es kann noch

niemals zu ſeinem Vermögen gehört haben. In beiden

Fällen kann der Kläger nicht behaupten, daß er ein Stück

ſeines Vermögens an den Gegner verloren habe, welches

eben als Grundbedingung der Condictionen oben aufge-

ſtellt worden iſt.

 

Die erſte Klaſſe von Fällen iſt ſchon oben erwähnt

worden, und ſie macht am Wenigſten Schwierigkeit. Es ge-

hört dahin das Darlehen, ſolange das Geld aus irgend einem

Grund noch nicht in des Empfängers Eigenthum überge-

gangen iſt; hier wird vindicirt, nicht condicirt, denn beide

Klagen ſtehen zu einander in einem ausſchließenden Ver-

 

|0580 : 566|

Beylage XIV.

hältniß (Num. V.). Eben ſo das Depoſitum, Commodat,

Pfand, vorausgeſetzt, daß die Sache noch unzerſtört bey

dem Empfänger vorhanden iſt; in dieſen Fällen gelten,

außer der Vindication, auch b. f. actiones, aber zu einer

Condiction iſt kein Grund vorhanden (b). Durch die Con-

ſumtion der Sache kann allerdings eine Bereicherung ent-

ſtehen, und nun concurrirt die b. f. actio mit einer Con-

diction, ſo wie ſie vorher mit der Vindication concurrirte

(Num. VI.).

Auf gleiche Weiſe müßte eigentlich die condictio fur-

tiva nicht gelten, ſolange der Dieb die geſtohlene Sache

in ſeinem Beſitz behält, und es geſchieht blos als Ano-

malie, daß ſie hier dennoch zugelaſſen wird (Num. XV.).

 

XX.

Die zweyte Klaſſe von Fällen, worin die Anwendung

der Condiction durch das aufgeſtellte Princip ausgeſchloſſen

wird, beruht darauf, daß der Gegenſtand der Forderung

niemals zu des Klägers Vermögen gehört hat, folglich

 

(b) Man könnte einwenden, bey

dem Pfandcontract wenigſtens werde,

wenn auch nicht Eigenthum, doch

wenigſtens ein jus in re, an den

Empfänger veräußert, auf deſſen

Rückgabe alſo eine Condiction an-

geſtellt werden könne. Allein ſo-

lange die Schuld unbezahlt iſt,

kann das Pfand mit keiner Klage

zurück gefordert werden; wird ſie

aber bezahlt, ſo iſt in demſelben

Augenblick auch das jus in re

von ſelbſt erloſchen, ohne daß es

dazu einer Rückübertragung be-

darf. Anders war es bey der

Fiducia, und auf deren Rückgabe

(durch Remaneipation) nach be-

zahltem Geld konnte ohne Zweifel

mit einer Condiction geklagt wer-

den, weil hier übertragenes Eigen-

thum zurück gefordert wurde (Num.

V.). Vielleicht bezog ſich urſprüng-

lich auf eine Fiducia die L. 4 § 1

de R. C. (12. 1.), ſ. v. Num. VI. b.

|0581 : 567|

Die Condictionen. XX.

als etwas ganz Neues geleiſtet, nicht zurück gegeben wer-

den ſoll; denn dieſes Zurückfordern des aus unſrem

Vermögen Ausgegangenen iſt eben der wahre Grund aller

regelmäßigen Condietionen, wie es in Stellen des Römi-

ſchen Rechts ausdrücklich anerkannt wird (a).

Dahin gehören zwey wichtige Arten der Obligationen;

zuerſt der größte Theil der bonae fidei contractus. In

dieſen, wie bey Kauf und Miethe, kommen ganz gleich-

artige Gegenſtände der Forderung vor, wie bey den

Condictionen, denn überall iſt es ein dare oder facere,

welches verlangt wird, zuweilen ſogar ein reines dare (b),

das doch ſonſt als der vorzüglichſte und älteſte Gegenſtand

der Condictionen gilt. Dasjenige nun, was hier gefordert

wird, iſt etwas ganz Neues, wie die Zahlung des Kauf-

und Miethgeldes, die Tradition der verkauften Sache, die

Beſorgung und Vertretung von Geſchäften bey der So-

cietät und dem Mandat.

 

Aus demſelben Grunde aber iſt noch eine zweyte Art

der Obligationen von der Anwendung der Condiction aus-

geſchloſſen: die Civilklagen aus Delicten (c), ſie mögen

nun auf Geldſtrafe, oder auf Entſchädigung gerichtet ſeyn.

 

(a) L 1 de R C. „mox re-

cepturi quid ex hoc contractu,

credere dicimur” (ſ. v. Num. V.

b.). L. 2 pr. eod. „Mutuum

damus recepturi non eandem

speciem, … sed idem genus”

etc. — Liebe Stipulation S. 364

erklärt das recipere vom Empfang

einer Gegenleiſtung; aber dann

wäre auch der Kauf ein credere,

und Grundlage von Condictionen.

(b) L. 11 § 2 de act. emti

(19. 1.) „Emtor autem numos

venditoris facere cogitur.” Die-

ſes iſt aber das eigentliche dare,

im ſtrengſten Sinn des Worts

(Num. V. i.).

(c) Ich ſage Civilklagen,

|0582 : 568|

Beylage XIV.

Bey der furti actio kommt Vieles zuſammen, welches

uns geneigt machen könnte, ihr den Character einer Con-

diction beyzulegen: ſie entſpringt aus dem jus civile, aus

einer lex, ja aus derjenigen lex, die als die Grundlage

des jus civile betrachtet wird, ſie wurde endlich ohne

Zweifel nicht vor einem arbiter, ſondern vor einem judex

verhandelt. Daß ſie dennoch in der That keine Condiction

war, folgt unwiderſprechlich aus den unzähligen Stellen,

worin ſie erwähnt wird, ohne jemals den Namen con-

dictio zu führen: noch mehr aus den Stellen, worin ſie

neben der condictio (furtiva) genannt, und ſtets von dieſer

unterſchieden, ihr entgegengeſetzt wird (d). Es erklärt ſich

Dieſes aber lediglich daraus, daß die mit dieſer Klage

eingeforderte Geldſtrafe niemals in des Beſtohlenen Ver-

mögen war, ſondern erſt jetzt dazu dienen ſoll, Denſelben

zu bereichern.

 

denn bey den prätoriſchen Delicts-

klagen verſteht es ſich ſchon wegen

dieſer ihrer Entſtehung von ſelbſt,

daß ſie nicht Condictionen ſeyn

konnten.

(d) Vgl. oben Num. XVII. 1,

ferner L. 7 § 1 de cond. furt.

(13. 1.) „Furti actio poenam

petit legitimam, condictio rem

ipsam.” L. 14 de cond. causa

data (12. 4.) „… cum quo non

tantum furti agi, sed etiam con-

dici ei posse.” L. 13 § 2 de jurej.

(12. 2.) „et ideo neque furti,

neque condicticia tenetur.” L. 17

§ 2 de praescr. verb. (19. 5.)

„furti agere possum, vel con-

dicere.” — Es iſt jedoch zu be-

merken, daß in einigen wenigen

Stellen für die condictio furtiva

der Name furti actio gebraucht

wird, während gewiß in keiner

einzigen Stelle die wahre furti

actio den Namen condictio führt.

Dieſer abweichende Sprachgebrauch

erklärt ſich, wenn man das Bey-

wort: condictitia zu actio ſtill-

ſchweigend hinzu denkt. Der Aus-

druck iſt alſo nicht ſowohl falſch,

als unvollſtändig, und dadurch

allerdings zweydeutig, zu Misver-

ſtändniſſen verleitend und tadelns-

werth. Die Stellen hierüber ſind

ſchon oben angeführt § 232. h.

|0583 : 569|

Die Condictionen. XX.

Eben ſo könnte man die actio L. Aquiliae für eine

Condiction halten wollen, da ſie gleichfalls aus einer lex

alter Zeit herrührt, dennoch iſt ſie es nicht, man mag

nun in ihr auf die Straferhöhung ſehen, oder auf die

reine Entſchädigung. Der Strafzuſatz nämlich hat, eben

ſo wie die Strafe des Diebſtahls, niemals zu dem Ver-

mögen des Beſchädigten gehört. Die Entſchädigung, das

heißt der Werth der zerſtörten Sache, gehörte zwar zu

dieſem Vermögen, geht aber in den meiſten Fällen nicht

in das Vermögen des Thäters über. In den ſeltenen

Fällen, worin dennoch ein ſolcher Übergang erfolgt, ent-

ſpringt auch wirklich aus der That eine Condiction; allein

dieſe iſt dann keinesweges mit der actio L. Aquiliae iden-

tiſch, vielmehr ſteht ſie neben ihr, und der Beſchädigte

hat zwiſchen beiden die Wahl (Num. XIV.).

 

Der hier erklärte durchgreifende Unterſchied der Con-

dictionen von den civilen Delictsklagen wird in den For-

meln dadurch ausgedrückt, daß die Intentio in jenen lau-

tete: dare, oder dare facere oportere, in dieſen: damnum

decidere oportere.

 

Dieſe letzte Formel, da ſie in ſolcher Allgemeinheit

nicht angenommen zu werden pflegt, bedarf einer genaueren

Eroͤrterung.

 

Als Intentio der furti actio kommt bey Gajus die

Formel vor: pro fure damnum decidi oportere (e), und

mit dieſen Ausdrücken ſtimmen mehrere Digeſtenſtellen völ-

 

(e) Gajus IV. § 37. 45.

|0584 : 570|

Beylage XIV.

lig überein (f). Damnum decidere heißt hier: dem Be-

ſtohlenen gerecht werden, genug thun, ſich mit ihm abfin-

den, und daher wird derſelbe Ausdruck auch für den Ver-

gleich, das heißt die Abfindung ohne Prozeß, gebraucht (g).

Ja ſogar kommt er vor, um die Handlung des Beſtohle-

nen, der die Abfindung erhält, zu bezeichnen (h). Die re-

gelmäßige Beziehung aber war die, in der angegebenen

Formel enthaltene, auf die Verpflichtung des Diebes, und

hier hatte der Ausdruck offenbar eine allgemeinere Bedeu-

tung als der Ausdruck dare, da er auch die Addiction des

fur manifestus in ſich zu ſchließen fähig war, wofür doch

unmöglich das Wort dare gebraucht werden konnte.

Von der Aquiliſchen Klage haben wir keine Formel

übrig, ich halte aber für ihre Formel den Ausdruck dam-

num decidi oportere ohne allen Zuſatz. Denn damnum

war der eigenthümliche Name gerade dieſes Delicts (i),

und die umſtändliche Formel pro fure damnum decidere

erklärt ſich am Natürlichſten aus der Abſicht, den Ausdruck

damnum decidere auf einen Fall zu übertragen, für wel-

chen derſelbe nur durch einen individuellen Zuſatz brauch-

bar und verſtändlich werden konnte. Man könnte gegen

dieſe Behauptung einwenden, daß in der L. Aquilia ſelbſt

zweymal der Ausdruck vorkam: tantum aes dare damnas

 

(f) L. 61 § 1. 2. 5 de furtis

(47. 2.), L. 7 pr. de cond. furt.

(13. 1.); daneben auch noch das

unbeſtimmtere damnum praestare

in L. 61 cit. § 3. 5.

(g) L. 9 § 2 de minor. (4. 4.),

L. 13 C. de furtis (6. 2.).

(h) L. 46 § 5 de furtis (47. 2.).

(i) Gajus III. § 210—219, be-

ſonders § 116 „damni nomine.”

|0585 : 571|

Die Condictionen. XX.

esto (alſo nicht damnum decidere) (k). Allein wenn man

aus den erhaltenen Worten des Geſetzes die Formel

conſtruiren wollte, ſo würde Dieſes die Condemnatio ſeyn

müſſen, und die Intentio müßte ſo lauten: Si paret, ho-

minem Agerii a Negidio occisum esse, welche factiſche

Faſſung für eine alte Civilklage doch unmöglich anzuneh-

men iſt. Ich denke mir die ganze Formel der Aquiliſchen

Klage etwa ſo: 1) (Demonstratio:) Quod Negidius ho-

minem Agerii injuria occidit. 2) (Intentio:) Si paret,

Negidium ob eam rem Agerio damnum decidere oportere.

3) (Condemnatio:) Iudex quanti is homo in eo anno

plurimi fuit tantum aes Agerio condemna, si non paret

absolve (l).

Von den Formeln der übrigen Delictsklagen aus dem

alten Civilrecht haben wir keine Spur; nach der Analo-

gie der beiden angeführten, die unter allen die häufigſten

und wichtigſten waren, können wir mit Wahrſcheinlichkeit

annehmen, daß auch ihre Intentio auf damnum decidere

oportere gieng (m), woraus dann der Vortheil entſtand,

daß jede civile Delictsklage ſchon auf den erſten Blick von

 

(k) L. 2 pr. L. 27 § 5 ad L.

Aquil. (9. 2.).

(l) Eine Beſtätigung dieſer Be-

hauptung über die Formel der

Aquiliſchen Klage, liegt noch in

Dem, was aus Gajus IV. § 5

gefolgert werden muß, ſ. u. Num.

XXV. XXVI.).

(m) Ich finde dieſen Ausdruck

nur noch in Anwendung auf einen

Fall, der kein eigentliches Delict,

aber doch ein verwandtes Rechts-

verhältniß betrifft, nämlich bey der

m. f. possessio, gegenüber der rei

vindicatio, worauf die 12 Tafeln

den doppelten Erſatz der Früchte

als Strafe geſetzt hatten. Fes-

tus v. Vindiciae: „Si vindi-

ciam falsum tulit, … fructus

duplione damnum decidito.”

|0586 : 572|

Beylage XIV.

den Contractsklagen unterſchieden werden konnte. Vielleicht

hatte jede dieſer übrigen Delictsklagen noch einen charac-

teriſtiſchen Zuſatz in der Intentio, ähnlich dem Zuſatz pro

fure bey der furti actio; es iſt aber auch möglich, daß

nur bey dieſer Klage (der wichtigſten unter allen Delicts-

klagen) ein ſolcher unterſcheidender Zuſatz nöthig gefunden

wurde, ſo daß alle außer der furti actio blos den generi-

ſchen Ausdruck damnum decidere oportere in der Formel

gehabt haben mögen.

Aus demſelben Grunde nun, wie bey den bisher be-

trachteten Klagen, könnte man eigentlich auch der Stipu-

lationsklage den Character einer Condiction verſagen wol-

len, da wir mit ihr gleichfalls meiſt etwas ganz Neues,

das nie zu unſrem Vermögen gehört hat, einfordern. Daß

ſie dennoch ſtets eine Condiction iſt, erklärt ſich lediglich

aus der Natur der Stipulation als eines fingirten Dar-

lehens (Num. X.). Ja das Bedürfniß dieſer Erklärung,

wenn nicht die ganze Condictionenlehre in haltungsloſe

Inconſequenz zerfallen ſoll, iſt eine ſtarke Beſtätigung für

die Richtigkeit dieſer Auffaſſung der Stipulation.

 

XXI.

Die hier aufgeſtellte Lehre von den Condictionen ſoll

nunmehr mit einigen beſonders wichtigen Stellen alter

Schriftſteller zuſammen gehalten werden, um durch dieſe

Vergleichung theils Beſtätigung, theils Schutz gegen mög-

liche Einwürfe zu erhalten.

 

|0587 : 573|

Die Condictionen. XXI.

Die erſte dieſer Stellen, von Cicero herrührend, ſagt:

er kenne nur Drey Gründe, aus welchen baares Geld in

beſtimmter Summe durch ein ſtrenges judicium gefordert

werden könne: adnumeratio (datio), expensilatio, stipu-

latio (a). Der Name condictio kommt darin nicht vor,

aber daß Cicero von derſelben Klage reden will, die in

unſren Rechtsquellen als certi condictio, oder condictio

si certum petatur bezeichnet wird, iſt nicht zu bezweifeln.

Es fragt ſich nun, inwiefern Cicero’s Angabe der Fälle

dieſer Klage mit der hier vorgetragenen Lehre überein-

ſtimmt.

 

Für die meiſten Fälle iſt die Übereinſtimmung ganz

einleuchtend. Denn adnumeratio umfaßt wörtlich nicht

blos das Gelddarlehen, ſondern auch das Depoſitum, wel-

ches der Empfänger angreift (Num. VI.), ſo wie die Aus-

zahlung eines Indebitum und ähnliche Fälle (Num. VII.).

Daß die Fälle der incerti condictio nicht erwähnt werden,

macht keine Schwierigkeit, da Cicero, nach ſeiner eigenen

Erklärung, nur von der auf eine beſtimmte Geldſumme

gerichteten ſtrengen Klage reden will, das heißt alſo nur

von der certi, nicht von der incerti condictio. Dagegen

fehlen allerdings bey ihm einige Fälle, in welchen nach

der oben vorgetragenen Lehre eine certi condictio vorkom-

men kann. Dahin gehören die Fälle, worin mein Geld in

des Andern Hände kommt nicht durch meine Handlung,

 

(a) Cicero pro Roscio Comoedo C. 4. 5. Die Stelle iſt

ſchon oben abgedruckt Beylage XIII. Num. XI.

|0588 : 574|

Beylage XIV.

ſondern durch des Andern Eigenmacht, wie der Diebſtahl

(Num. VIII. XV.); ferner fehlt bey ihm das Legat (Num.

XI.). Um die von mir aufgeſtellte Lehre gegen dieſe Ein-

wendung zu vertheidigen, könnte man ſagen, dieſe Anwen-

dungen der Condiction ſeyen erſt nach Cicero’s Zeit auf-

gekommen. Für das Legat wenigſtens müſſen wir dieſe

Auskunft ganz beſtimmt verwerfen, da die Begründung

der in ihm enthaltenen Rechte aus den Zwölf Tafeln her-

kam; daher haben wir denn auch keinen Grund, für die

übrigen hier genannten Fälle, wie die condictio furtiva,

deren Entſtehungszeit wir allerdings nicht kennen, eine

ſolche chronologiſche Löſung des ſcheinbaren Widerſpruchs

anzunehmen. Auch dazu aber iſt keine Veranlaſſung, jene

Stelle aus des Verfaſſers Mangel an Rechtskenntniß, oder

Ungenauigkeit des Ausdrucks zu erklären, um auf dieſem

Wege den Widerſpruch zu beſeitigen, da eine andere Aus-

kunft weit näher liegt. Cicero wollte keine allgemeine

Theorie der Actionen vortragen, ſondern daraus jetzt nur

Dasjenige heraus nehmen, Was zu dem vorliegenden

Rechtsfall dienen konnte. Indem er alſo ſagt, adnume-

ratio, expensilatio, stipulatio, ſeyen die Drey einzigen

Wege zu einer certi condictio, muß ſehr natürlich hin-

zugedacht werden: in Fällen wie der hier vorliegende. Der

vorliegende Fall war aber ein contractliches, ein Geſchäfts-

verhältniß, und es wäre eine pedantiſche Vorſicht gewe-

ſen, wenn Cicero noch beſonders bemerkt hätte, daß hier

die condictio furtiva und die Condiction aus einem Legat

|0589 : 575|

Die Condictionen. XXI.

nicht anwendbar ſey, da ja in der ganzen Sache an einen

Diebſtahl oder an ein Teſtament gar nicht gedacht wor-

den war (b).

Das aber iſt in jedem Fall unwiderſprechlich, daß Ci-

cero jedes der drey von ihm genannten Rechtsgeſchäfte

als ſelbſtſtändigen, unabhängigen Entſtehungsgrund einer

certi condictio anerkennt, jedes einzeln für ſich, alſo na-

mentlich die Stipulation für ſich allein, ohne daß dabey

etwa wieder ein Darlehen als Grundlage vorausgeſetzt

würde, von welchem ohnehin in dem vorliegenden Fall gar

nicht die Rede war (c). Für jedes derſelben erkennt er

die sponsio tertiae partis als angemeſſene, wohlbegründete

Einleitung des Rechtsſtreits an, denn ſie war bereits ab-

geſchloſſen worden, und er erkennt an, daß ſie in jedem

der drey Fälle verwirkt ſeyn würde, da er das Daſeyn

eines jeden derſelben beſonders zu widerlegen ſucht.

 

Wenn man die Stelle des Cicero auf dieſe, gewiß un-

gezwungene, Weiſe erklärt, ſo kann ſie, weit entfernt die

hier vorgetragene Lehre von den Condictionen zu wider-

legen, nur als eine Beſtätigung derſelben angeſehen werden.

 

(b) Weſentlich dieſelbe Erklä-

rung findet ſich bey Hollweg

Verſuche S. 40, und Gans Ob-

ligationenrecht S. 30.

(c) Die Grundlage des ganzen

Rechtshandels war eine Societät

geweſen, und die aus derſelben

entſprungene Schuld hätte nur ver-

mittelſt einer Expenſilation oder

Stipulation die certi petitio be-

gründen können. Vgl. Puchta,

neues Rheiniſches Muſeum. B. 1.

Num. XII.

|0590 : 576|

Beylage XIV.

XXII.

Zur Zeit der Legis actiones wurde der Name con-

dictio für Zwey Klagen gebraucht, deren Form auf einer

denuntiatio beruhte, welches die eigentliche Wortbedeutung

von condictio geweſen ſeyn ſoll: lege quidem Silia cer-

tae pecuniae, lege vero Calpurnia de omni certa re (a).

Indem nun dieſer Name nachher auf eine gewiſſe Art der

formulae angewendet wurde, können wir doch nicht an-

nehmen, daß Dieſes ganz zufällig und gedankenlos geſche-

hen ſey, vielmehr muß ein innerer Zuſammenhang die An-

wendung des alten Kunſtausdrucks auf einen neuen Rechts-

begriff veranlaßt haben. In der Form der Klage lag

dieſer Zuſammenhang gewiß nicht, denn die Form der al-

ten condictio war eben die denuntiatio, und gerade des-

wegen, weil dieſe bey der neuen condictio nicht vorkam,

wird von dieſer geſagt, daß ſie ihren Namen non pro-

prie, abusive, führe (b). Alſo kann der Zuſammenhang

nur in den Entſtehungsgründen geſucht werden, in der

beſondern Natur der Rechtsverhältniſſe, wofür die alte

und die neue condictio gleichmäßig anzuwenden war.

Hierin finden wir nun in der That einen völlig befriedi-

genden Zuſammenhang, wenn wir nur den Worten: de

omni certa re den erklärenden, näher beſtimmenden Zuſatz

geben: mutuo data. Dann war die alte condictio nichts

 

(a) Gajus IV. § 19.

(b) Gajus IV. § 18, § 15 J. de act. (4. 6.).

|0591 : 577|

Die Condictionen. XXII.

Anderes als die Klage aus dem Darlehen, und zwar ſo-

wohl aus dem in Geld (L. Silia), als aus anderen Sachen

(L. Calpurnia), unter welchen das Getreide ohne Zweifel

der anwendbarſte Gegenſtand des Darlehens ſeyn wird (c).

Gerade ſo aber iſt ja auch die neue condictio die Klage

aus dem Darlehen, und aus denjenigen Rechtsverhält-

niſſen, deren Klagrecht als eine freyere Entwicklung der

Darlehensklage angeſehen werden kann.

Eine auffallende Beſtätigung dieſer hiſtoriſchen Herlei-

tung liegt in dem Umſtand, daß dem ſo aufgefaßten Ge-

genſatz der condictio ex L. Silia und ex L. Calpurnia ge-

nau entſpricht der neue Gegenſatz der certi und triticaria

condictio, von welchem weiter unten noch beſonders die

Rede ſeyn wird. Der räthſelhafte Name der triticaria

erhält auf dieſe Weiſe eine ſo einfache und natürliche Deu-

tung, wie ſie auf anderem Wege ſchwerlich wird gefunden

werden können.

 

Selbſt die Formel der neueren Condictionen iſt gro-

ßentheils aus der alten legis actio herüber genommen.

Valerius Probus hat nämlich folgende Sigle: A. T. M. D. O.,

d. h. Ajo te mihi dare oportere (d), welche nach ihren

 

(c) Das Darlehen außer dem

baaren Gelde kommt überhaupt

nicht ſehr häufig vor (Num. IV.),

ſowohl in unſren Rechtsquellen, als

im wirklichen Lebensverkehr. Der

gewöhnlichſte Fall der Anwendung

wird noch der ſeyn, wenn der

Landmann, deſſen Erndte von

einem Unglück betroffen wird, für

ſeine Haushaltung und für die

Ausſaat Getreide borgt, um es

im nächſten Jahr, wenn die Erndte

beſſer gelingt, wieder zu geben.

(d) Auctores latinae linguae

ed. D. Gothofredus 1602 pag.

1453.

V. 37

|0592 : 578|

Beylage XIV.

Anfangsworten aus einer legis actio hergenommen ſeyn

muß, da in den formulae ſtets der Prätor, nicht der Klä-

ger, als redend erſcheint.

Es läßt ſich aber hieran noch folgende allgemeinere

Bemerkung anknüpfen. Die älteſten Legis Actionen (Sa-

cramentum und Judicis postulatio) waren rein formeller

Art, alſo auf den verſchiedenſten Inhalt gleich anwendbar.

Die Legis actio per condictionem nahm ſchon auf das

eigenthümliche Bedürfniß mancher materiellen Rechtsver-

hältniſſe beſondere Rückſicht, worin ein Fortſchritt juriſti-

ſcher Ausbildung wahrzunehmen iſt. In dem neueren Sy-

ſtem der formulae nahm der Prätor dieſe Condictionen

als Grundlage ſeines Actionenſyſtems auf, nur mit freye-

rer, vollſtändigerer Entwicklung ihres Princips. Inſofern

kann die Legis actio per condictionem als Vorbereitung

und Übergang zu dem neueren Actionenſyſtem angeſehen

werden. Nimmt man dieſen inneren Zuſammenhang an,

ſo liegt darin zugleich eine Antwort auf die von Gajus

als räthſelhaft aufgeworfene Frage: warum die Legis

actio per condictionem nöthig gefunden worden ſey, da

doch für ihre Zwecke das Sacramentum und die Judicis

postulatio ausgereicht hätten (e).

 

XXIII.

Die L. 9 de R. C. (12. 1.) fängt, indem ſie die An-

wendung der certi condictio feſtſtellen will, ſo allgemein

 

(e) Gajus IV. § 20.

|0593 : 579|

Die Condictionen. XXIII.

an, daß man glauben möchte, es könnten alle andere per-

ſönliche Klagen entbehrt werden, indem die certi con-

dictio zum Schutz aller Obligationen völlig ausreiche; ja

ſelbſt die incerti condictio erſcheint nach der allgemeinen

Faſſung dieſer Stelle entbehrlich.

Certi condictio competit ex omni causa, ex omni

obligatione, ex qua certum petitur: sive ex certo

contractu petatur, sive ex incerto: licet enim nobis

ex omni contractu certum condicere.

 

Einigen Halt könnte man nun wohl noch in dem Aus-

druck contractu ſuchen, wodurch die Klage wenigſtens auf

Vertragsverhältniſſe beſchränkt zu werden ſcheint. Allein

ſelbſt dieſer Schutz wird uns wieder entzogen, theils durch

die viel allgemeineren Ausdrücke ex omni causa, ex omni

obligatione, theils dadurch daß der § 1 derſelben Stelle

ſagt, die Klage könne auch auf ein Legat und auf das

Delict der L. Aquilia angewendet werden.

 

Indeſſen muß uns gerade die durch den Schein jener

Worte begründete übertriebene Ausdehnung wieder Beru-

higung gewähren, indem es dennoch die Römer nöthig ge-

funden haben, neben jener Klage noch viele andere per-

ſönliche Klagen genau auszubilden. In der That iſt denn

die Meynung Ulpians folgende. Damit die certi con-

dictio gelte, ſind gewiſſe poſitive Bedingungen nöthig;

worin dieſe beſtehen, drückt er hier nicht aus, es ſind aber

Diejenigen, welche oben, der Reihe nach, aufgeſtellt wor-

 

37*

|0594 : 580|

Beylage XIV.

den ſind (a). Wo ſich nun dieſe Bedingungen finden, da

kommt Nichts darauf an, welcher Art übrigens das unter

den Parteyen obwaltende Rechtsverhältniß ſeyn möge,

denn jene Bedingungen ſind mit den allerverſchiedenſten

Rechtsverhältniſſen vereinbar. Die Entſtehung der certi

condictio (das Daſeyn ihrer eigenthümlichen Bedingungen

vorausgeſetzt) iſt alſo überall möglich, ohne Unterſchied

ob ein Contract oder ein anderes Verhältniß zum Grund

liege, und wenn es ein Contract iſt, kann dieſer certus

oder incertus ſeyn, ohne die Entſtehung der certi con-

dictio zu hindern.

Dieſe letzte Beſtimmung („sive ex incerto”) hat, nicht

mit Unrecht, von jeher die allergrößten Zweifel erregt,

und der wahre Grund derſelben liegt in der Zweydeutig-

keit des Ausdrucks, indem man dieſen an ſich ſowohl auf

die Unbeſtimmtheit des Gegenſtandes, als auf die der

Contractsart beziehen kann. Entſchieden in dem erſten

Sinn heißt incerta stipulatio eine Stipulation von unge-

wiſſem Gegenſtand, wohin unter andern das Verſprechen

einer Arbeit gehört, die immer erſt durch eine noch unge-

wiſſe Schätzung in einen beſtimmten Werth verwandelt

 

(a) Auf den erſten Blick ſcheint

dieſer Theil der Erklärung will-

kührlich in die Stelle hinein ge-

tragen; allein eine ſehr beſtimmte

Hinweiſung darauf liegt in den

Worten: ex omni obligatione,

ex qua certum petitur (i. e.

peti potest.). Das will ſagen:

wenn das Rechtsverhältniß ſo ge-

eignet iſt, daß daraus die Zuläſ-

ſigkeit einer condictio certae pe-

cuniae hergeleitet werden kann,

ſo kommt dann auf die übrige

Natur und Benennung deſſelben

Nichts an.

|0595 : 581|

Die Condictionen. XXIII.

werden kann (b). Dieſe Bedeutung iſt in unſrer Stelle

völlig unmöglich, denn wenn man den incertus contractus

in dieſem Sinn als Grundlage einer möglichen certi con-

dictio anſehen wollte, ſo bliebe für die incerti condictio

gar kein Raum mehr übrig. Ulpian denkt alſo an die

Unbeſtimmtheit der Contractsart, mit welcher die Be-

gründung einer beſtimmten Geldforderung, alſo einer certi

condictio, wohl vereinbar iſt. In dieſem Sinn ſind certi

contractus die Stipulation, das Darlehen, der Kauf u. ſ. w.,

incerti ſolche Verträge, die entweder gar keinen indivi-

duellen Namen führen, oder, wegen ihrer zweydeutigen

Natur, zwiſchen mehreren beſtimmten Contracten in der

Mitte ſchweben (c); von ſolchen incerti contractus redet

hier Ulpian.

Die ſcheinbare Allgemeinheit der hier behandelten Stelle

iſt vom Mittelalter her den Juriſten ſehr bedenklich er-

ſchienen. Schon ſeit der Gloſſe war es gewöhnlich, um

dieſer Stelle Willen, neben der condictio certi ex mutuo,

eine condictio certi generalis anzunehmen (d). Theils

 

(b) L. 74. 75 de V. O. (45. 1.).

— Die Ausdrücke certus, incer-

tus contractus kommen noch in

einigen anderen Stellen vor, in

welchen es mir zweifelhaft iſt, ob

ſie in dem einen oder dem ande-

ren Sinn gebraucht werden. L. 18

pr. de acceptil. (46. 4.), L. 1

§ 6 de pec. const. (13. 5.). Vgl.

Heffter in Gajum Lib. 4 p. 68.

(c) L. 1—4 de praescr. verb.

(19. 5.). Es iſt alſo ungefähr

das, Was die neueren Innomi-

natcontracte nennen, doch nur un-

gefähr, weil dieſe letzten wieder

zu ſehr auf das do ut des aut

facias, facio ut des aut facias,

beſchränkt ſind.

(d) Glossa in L. 9 de R. C.

(12. 1.). — Cujacius in Opp. V.

399, VII. 650, X. 164.

|0596 : 582|

Beylage XIV.

waren dieſe Namen unächt, theils wußte man der zwey-

ten unter dieſen Klagen gar keine beſtimmte Gränzen an-

zuweiſen. — Weit irriger aber und folgenreicher iſt die von

neueren Schriftſtellern aufgeſtellte Anſicht (e), nach wel-

cher es ſtets in der Willkühr eines Glaubigers geſtanden

haben ſoll, Forderungen irgend einer Art in ein certum

zu verwandeln, und mit einer certi condictio zu verfol-

gen, wenn er es nur darauf wagen wollte, ob die richter-

liche Schätzung geringer ausfallen würde, als die von

ihm ausgeſprochene Summe, in welchem Fall er freylich,

als plus petens, ſein ganzes Recht verlieren mußte. So

hätte alſo z. B. Jeder, Welchem in einer Stipulation Ar-

beit verſprochen war, auf eine Geldſumme von 100 con-

diciren können, und er hätte den Prozeß gewonnen, wenn

der Richter jene Arbeit zu 100 oder noch höher taxirte.

Dieſe Anſicht nun muß durchaus verworfen werden. Schon

im Allgemeinen war eine ſo regelloſe Willkühr in dem Ge-

brauch der verſchiedenen Formeln ganz gegen den Sinn

des älteren Rechts, indem die Formeln gerade dazu dienen

ſollten, jedes Rechtsverhältniß in ſeinen individuellen Grän-

zen feſt zu halten (f). Ganz entſcheidend aber gegen jene

Meynung iſt der Umſtand, daß in dem angeführten Fall

die Intentio auf Centum dare oportere deswegen ver-

(e) Am Beſtimmteſten von Haſſe

Weſen der actio S. 75.

(f) Allerdings kamen auch man-

cherley Umbildungen der Formeln

vor (Beylage XIII. Num. XVI—

XIX.), allein dieſe ſtanden gleich-

falls unter beſtimmten Regeln, und

hiengen keinesweges von dem blo-

ßen Gutfinden des Klägers in je-

dem einzelnen Falle ab.

|0597 : 583|

Die Condictionen. XXIV.

worfen werden muß, weil eine Geldſchuld gegenwärtig

gar nicht vorhanden iſt, ſondern erſt künftig durch das

richterliche Urtheil entſtehen kann (g). Es würde alſo hier

aliud pro alio eingeklagt ſeyn, Welches ſtets die Folge

hatte, daß die angeſtellte Klage abgewieſen wurde, eine

neue aber, auf den wahren Gegenſtand der Schuld, mög-

lich blieb, indem in jenem Misgriff kein plus petere ent-

halten war (h). Daher würde es auch ganz unzuläſſig

ſeyn, zur Unterſtützung dieſer Meynung die in unſrer

Stelle vorkommende Worte: ex qua certum petimus

geltend zu machen, gleich als wollten dieſe Worte ſagen:

„ſobald es uns nur gefällt, unſere Forderung auf eine

genau beſtimmte Geldſumme zu richten.“ Der wahre

Sinn dieſer Worte iſt ſchon oben angegeben worden

(Note a).

XXIV.

Die bis jetzt verſuchte Erklärung der angeführten Di-

geſtenſtelle hat, in Beziehung auf die oben aufgeſtellte

Lehre von den Condictionen, eine blos abwehrende Natur

gehabt, ich will aber nunmehr denjenigen Theil der Stelle

 

(g) L. 37 de V. S. (50. 16.).

„Verbum oportere non ad fa-

cultatem judicis pertinet, qui

potest vel pluris vel minoris

condemnare, sed ad veritatem

refertur.” Vgl. Syſtem § 216.

(h) Gajus IV. § 55. — Nicht

unmittelbar hierher gehört § 53

„sicut ipsa stipulatio concepta

est, ita et intentio formulae

concipi debet,” denn Dieſes geht,

nach den vorhergehenden Worten,

lediglich auf die Gefahr des plus

petere.

|0598 : 584|

Beylage XIV.

anführen, welcher unmittelbar als Beſtätigung jener Lehre

angeſehen werden kann.

L. 9 § 3 de R. C. (12. 1.).

Quoniam igitur ex omnibus contractibus haec certi

condictio competit, sive re fuerit contractus factus,

sive verbis, sive conjunctim ....

Der Sinn dieſer Worte iſt folgender: Die Condiction

überhaupt kann begründet werden re (durch Darlehen,

Indebitum u. ſ. w.), oder durch Stipulation, oder auch

durch die Verbindung beider Vertragsformen; eine certi

condictio insbeſondere, wenn das Geben oder die Stipu-

lation baares Geld zum Gegenſtand hat. — Ich halte es

für unzweifelhaft, daß Ulpian noch hinzugeſetzt hatte: sive

literis, und daß dieſe Worte von den Compilatoren aus

dem ſehr nahe liegenden Grunde weggelaſſen wurden, weil

die expensilatio aus dem wirklichen Leben verſchwunden

war. Nimmt man nun Dieſes an, ſo ſtimmt die Stelle

völlig mit den oben dargeſtellten Bedingungen und Grän-

zen der Condictionen, und eben ſo ſehr mit der Stelle des

Cicero (Num. XXI.) überein. Ja ihr Ausdruck iſt ſogar

noch genauer und vollſtändiger, als der des Cicero. Denn

die condictio sine causa, mit Einſchluß derjenigen Geſtalt

ihrer Anwendung, worin ſie den beſonderen Namen con-

dictio furtiva führt, kann nicht wohl auf eine datio oder

adnumeratio zurück geführt werden (welches Cicero’s Aus-

druck iſt), anſtatt daß der von Ulpian gebrauchte allgemeinere

 

|0599 : 585|

Die Condictionen. XXIV.

Ausdruck re contractus factus auf ſie völlig anwend-

bar iſt (a).

Durch dieſe Erklärung des Ulpian ſind nun von der

Anwendung der certi condictio (wir dürfen hinzu ſetzen,

jeder Condiction überhaupt) völlig ausgeſchloſſen zuerſt

alle Delictsobligationen. Denn wenngleich von ihnen ge-

ſagt wird: re consistunt obligationes, oder ex re actio

venit (b), ſo wird doch gewiß niemals der Ausdruck: re

contractus factus von ihnen gebraucht. Ferner ſind da-

durch ausgeſchloſſen die consensu contractus facti, denn

dieſe waren von ſolcher Wichtigkeit, daß ſie unmöglich

von Ulpian aus Verſehen weggelaſſen werden konnten,

und eben ſo iſt kein Grund denkbar, weshalb die Compi-

latoren ſie weggeſtrichen haben ſollten, wenn Ulpian ſie

wirklich erwähnt hätte. Hierin alſo liegt eine augenſchein-

liche Übereinſtimmung mit den für die Condictionen oben

vorgezeichneten Gränzen.

 

Eben darin aber möchte man nun auch einen Wider-

ſpruch finden zwiſchen den hier von Ulpian aufgeſtellten

engen Gränzen, und der im Anfang der ganzen Stelle

ausgedrückten gränzenloſen Ausdehnung (ex omni causa,

ex omni obligatione). Dieſer ſcheinbare Widerſpruch aber

löſt ſich theils durch den ſchon oben bemerkten Zuſatz: ex qua

certum petitur, theils durch folgende Betrachtung. Wenn

 

(a) Nämlich in derjenigen ſehr

gewöhnlichen Bedeutung von con-

tractus, worin das Wort auch die

Quaſicontracte, wie Tutel, nego-

tiorum gestio u. ſ. w. umfaßt,

wie z. B. in L. 23 de R. J. (50. 17.).

(b) L. 4 L. 46 de O. et A.

(44. 7.).

|0600 : 586|

Beylage XIV.

irgend ein außer jenen engen Gränzen liegendes Rechts-

verhältniß dennoch eine Condiction erzeugt, ſo liegt der

Grund ſtets darin, daß demſelben eine re contracta obli-

gatio wirklich beygemiſcht iſt. Wenn z. B. bey Gelegen-

heit einer Societät oder eines Mandats die Condiction

entſpringt (Num. VI.), ſo finden ſich zwey ganz verſchie-

dene Obligationen vereinigt, die aus dem Conſens und die

aus dem anvertrauten Geld. Jede derſelben hat ihre

eigene Natur, Wirkung, Klage; ſoweit aber die eine Klage

den Gegenſtand der anderen bereits erſchöpft hat, iſt die

andere nicht mehr möglich. Eben ſo, bey der körperlichen

Beſchädigung, die Obligation aus dem Delict (actio L.

Aquiliae) und die aus der zufällig daraus entſprungenen

Bereicherung (condictio). — Die Annahme ſolcher zuſam-

mengeſetzten Obligationen, die aus einer und derſelben

Thatſache entſpringen, iſt auch nicht etwa zur Vertheidi-

gung der aufgeſtellten Condictionenlehre erfunden, viel-

mehr kommt ſie auch anderwärts in ganz unzweifelhaften

Fällen vor (c).

Aus der wichtigen und ſchwierigen L. 9 de R. C.

(12. 1.) bleibt nun noch ein einziger Fall für unſren Zweck

zu erklären übrig. Nach dem § 1 ſoll die certi condictio

 

(c) Vgl. z. B. L. 18 § 1 com-

mod. (13. 6.), wenn nämlich der

Empfänger eines Depoſitum oder

eines Commodats die Sache zer-

ſtört oder verdirbt. Hier concur-

rirt mit der actio L. Aquiliae die

Contractsklage auf dieſelbe Weiſe,

wie in den oben angeführten Fäl-

len die condictio wegen der Be-

reicherung.

|0601 : 587|

Die Condictionen. XXV.

auch ex Senatusconsulto eintreten können, wenn nämlich

Derjenige die Klage anſtellt, Welchem eine Erbſchaft ex

Trebelliano Sc. reſtituirt iſt (d). Dieſes läßt ſich ſchwer-

lich anders erklären, als von einer in der Erbſchaft ent-

haltenen Condiction, die etwa aus einem Darlehen oder

einer Stipulation des Verſtorbenen entſtanden war. In

dieſem Fall iſt nun freylich der Entſtehungsgrund jener

Condiction der Vertrag, und das Senatusconſult iſt nur

das Mittel der Übertragung auf den gegenwärtigen Klä-

ger, ſo daß der Ausdruck: ex Senatusconsulto agetur

nicht ganz genau iſt. Allein er iſt nicht ungenauer, als

der vorhergehende Ausdruck: ex lege Aquilia, welcher

eigentlich ſagen ſoll: ex causa legis Aquiliae, oder ex eo

facto, quod lege Aquilia coercetur; denn die Lex Aquilia

ſelbſt hatte über die beſondere Befugniß zur Condiction ſo

wenig Etwas beſtimmt, als das Sc. Trebellianum.

XXV.

Die wichtigſten Stellen aber über die Natur der Con-

diction ſind die des Gajus, die um ſo mehr eine genaue

Auslegung erfordern, als das mangelhafte Verſtändniß

derſelben neuere Schriftſteller bald zu Irrthümern über

die Condiction verleitet hat, bald zu dem ungegründeten

Vorwurf, daß jene Stellen ungenau, ſchwankend, wider-

ſprechend abgefaßt ſeyen.

 

Die Hauptſtelle iſt folgende.

 

(d) Vgl. Heffter in Gajum lib. IV. p. 67.

|0602 : 588|

Beylage XIV.

Gajus IV. § 5.

Appellantur autem in rem quidem actiones, vindica-

tiones; in personam vero actiones, quibus dari fie-

rive oportere intendimus, condictiones(a).

Alles kommt darauf an, in welchem Sinn der Zwi-

ſchenſatz: (quibus .. intendimus) aufgefaßt wird. Auf den

erſten Blick möchte man geneigt ſeyn, ihm eine blos erklä-

rende Bedeutung beyzulegen, als ob geſagt wäre: „alle

perſönliche Klagen, das heißt die mit dari fierive, wer-

den condictiones genannt.“ Dann würde die Stelle nicht

blos die oben aufgeſtellte Lehre widerlegen, ſondern mit

dem ganzen Sprachgebrauch der Digeſten im Widerſpruch

ſtehen, nach welchem nur ein mäßiger Theil der perſön-

lichen Klagen den Namen der Condictionen führt. Daher

iſt denn jener Zwiſchenſatz vielmehr in einer einſchränken-

den Bedeutung zu verſtehen, ſo daß die ganze Stelle die-

ſen Sinn hat:

Condictiones heißen diejenigen perſönlichen Klagen,

deren Intentio auf dari oder fieri gerichtet iſt.

 

So verſtanden aber iſt der Satz durchaus richtig, und

 

(a) Faſt ganz gleichlautend iſt

§ 15 J. de act. (4. 6.), nur mit

folgenden, wenig bedeutenden, Ab-

weichungen: „Appellamus in rem

(ohne autem) … dare facere

oportere intenditur.” Die un-

veränderte Aufnahme dieſer Stelle,

zu einer Zeit worin alle Intentio-

nes längſt verſchwunden waren,

iſt freylich unglaublich gedankenlos.

Man muß nun den Zwiſchenſatz

in der That als bloße Erklärung

auffaſſen, ſo daß es bey Juſtinian

wirklich ſo viel heißt, als: alle

perſönlichen Klagen führten den

Namen condictiones; Welches

aber freylich zu dem Sprachge-

brauch der Digeſten, und ſelbſt

mancher Inſtitutionenſtellen, wenig

paßt.

|0603 : 589|

Die Condictionen. XXV.

ſtimmt zugleich mit der oben vorgetragenen Lehre völlig

überein. Um Dieſes beweiſen zu können, muß ich folgende

Bemerkungen über den Sprachgebrauch vorausſchicken.

Dare heißt, im ſtrengen Sinn der formulae, Ver-

ſchaffen des Eigenthums ex jure quiritium (Num. V. i.),

alſo eine ganz beſchränkte Art der Thätigkeit. Facere

dagegen iſt der umfaſſende Ausdruck für jedes Thun oder

Laſſen, ſey es juriſtiſcher oder faktiſcher Art, ſo daß dar-

unter unter andern auch zu verſtehen iſt das dare, sol-

vere, numerare, judicare, ambulare, reddere, non facere,

curare ne fiat (b).

 

Bey contractlichen Verhältniſſen nun, das heißt bey

Rechtsgeſchäften, kommen nur zweyerley intentiones in jus

conceptae vor: si paret, centum (oder fundum, servum)

dari oportere, und: quidquid dari fieri oportet; irgend

eine andere Formel, und namentlich ein bloßes facere oder

fieri oportere, kommt nicht vor (c). — Dieſes hängt aber

ſo zuſammen. Eigentlich wäre überall das bloße facere

 

(b) L. 218. 175. 189 de V. S.

(50. 16.).

(c) Nur die Verſchiedenheit findet

ſich noch, daß die Condictionen

blos die oben angegebenen Aus-

drücke hatten, die b. f. actiones

hinter dem oportet noch den Zu-

ſatz: ex fide bona. — Einen An-

ſtoß könnte man finden an der bald

activen, bald paſſiven Form des

dare facere; damit verhält es ſich

ſo. In den wirklichen Formeln

wurde ſtets eine beſtimmte Perſon

als Schuldner bezeichnet, und da-

zu paßte natürlich nur die active

Form (z. B. quidquid Negidium

dare facere oportet); wenn aber

auf abſtracte Weiſe von ſolchen In-

tentionen geſprochen wurde, konnte

ſowohl die eine als die andere

Form gebraucht werden, wie es

oben (Note a.) an dem Beyſpiel

des Gajus, verglichen mit den

Juſtinianiſchen Inſtitutionen, ge-

zeigt worden iſt.

|0604 : 590|

Beylage XIV.

oportere ausreichend geweſen, da es das dare mit um-

faßte. Da aber die Formel mit dare manche eigenthüm-

liche Wirkungen und Vortheile mit ſich führte, wie ſich

unten zeigen wird, ſo intendirte man auf dare, wo ein

Rechtsgrund hierzu vorhanden war, um den Prätor und

den Judex darauf hinzuweiſen, daß er dieſe Folgen zur

Anwendung bringe. Dare facere aber hieß ſoviel als

dare aut facere (d), war alſo alternativ zu verſtehen, und

drückte daher aus, daß dem Judex freye Hand gelaſſen

werde, auf dare, oder auf irgend ein anderes Thun, oder

auch auf Beides neben einander, zu erkennen. Dieſes war

auch für die Fälle hinreichend, worin die Obligation gar

nicht auf dare, ſondern etwa blos auf Arbeit gerichtet

war; es war kein Intereſſe dabey, Formeln mit einem

bloßen facere oportere aufzuſtellen, da mit dieſen nicht,

ſo wie bey dem bloßen dare, beſondere Vortheile ver-

bunden waren.

XXVI.

Dieſes vorausgeſetzt, ſoll nun gezeigt werden, daß die

Erklärung der condictio, welche ſo eben aus Gajus an-

gegeben worden iſt, völlig hinreicht, alle die Klagen von

den Condictionen auszuſchließen, die ich oben davon aus-

 

(d) L. 53 pr. de V. S. (50. 16.)

„Saepe ita comparatum est, ut

conjuncta pro disjunctis acci-

piantur … Cum vero dicimus,

quod eum dare facere oportet,

quodvis eorum sufficit probare.”

Es braucht alſo nicht Beides ver-

bunden, als rechtlich begründet,

nachgewieſen zu werden, ſondern

nur Eines oder das Andere.

|0605 : 591|

Die Condictionen. XXVI.

geſchloſſen habe (a). Es ſind nämlich dadurch ausge-

ſchloſſen:

1) alle prätoriſche Klagen, da dieſe überhaupt nur

eine Intentio in factum concepta hatten (Syſtem § 216.).

 

2) alle Civilklagen in rem, denn deren Intentio lautete

auf rem (servitutem, hereditatem) suam esse.

 

3) alle civile Delictsklagen, denn deren Intentio lautete

bey der furti actio ganz ſicher: pro fure damnum decidere

oportere; bey der actio L. Aquiliae höchſt wahrſcheinlich

blos: damnum decidere oportere; bey anderen Civil-

delicten wahrſcheinlich auf ähnliche Weiſe (b).

 

4) alle bonae fidei actiones, denn deren Intentio hatte

am Schluß noch den Zuſatz: ex fide bona (c).

 

Bey dieſer Art, die einzelnen Klaſſen der Klagen durch

beſondere Formen der Intentio zu unterſcheiden, ſcheint

ſehr willkührlich und grundlos die Faſſung der civilen

Delictsklagen, da man glauben ſollte, das ganz allgemeine

facere hätte auch für dieſe ausgereicht, ja ſogar ſchon

das bloße dare, indem der Erfolg dieſer Klagen, und ſelbſt

der urſprüngliche Inhalt der ihnen zum Grund liegenden

Obligation, ſtets in einer Geldzahlung beſtand. Allein

jene eigenthümliche Intentio hatte eben den Zweck, dieſe

Klagen auf eine recht anſchauliche Weiſe von den übrigen

 

(a) Vgl. oben Num. I. und

Beylage XIII. Num. VI.

(b) Vgl. oben Num. XX.

(c) Vgl. oben Note c. — Man

muß alſo bey Gajus die Worte

quibus dari … intendimus ganz

ſtreng nehmen, nämlich ſo: mit

dieſen Worten, und zwar mit ihnen

allein, ohne allen weiteren Zuſatz.

|0606 : 592|

Beylage XIV.

zu unterſcheiden. Dieſes konnte unter andern bey einer

Novation von Wichtigkeit ſeyn; wenn nämlich expromittirt

wurde quidquid furem dare facere oportet, ſo war blos

der Inhalt der condictio furtiva gemeynt, und die furti

actio blieb daneben noch beſtehen, ſo daß durch dieſes

Mittel die zwey verſchiedenen Obligationen des Diebes

recht augenſcheinlich abgeſondert, und Misverſtändniſſe

hierüber leichter vermieden wurden (d).

Im älteſten Recht beſtand noch ein anderer, und nicht

unwichtiger Grund, weshalb die furti actio nicht mit dare

facere oportere gefaßt wurde. Nach den Zwölf Tafeln

nämlich ſollte der fur manifestus nicht an Geld, ſondern

durch den Verluſt der Freyheit beſtraft werden, er ſollte

die Addiction erleiden. Dieſes Übel konnte man weder

dare noch facere nennen, der unbeſtimmte Ausdruck deci-

dere war auch darauf anwendbar, und ſo lag hierin das

Mittel, die verſchiedenen Arten der furti actio unter Einer

paſſenden Formel zuſammen zu faſſen. Seitdem der Prä-

tor für das furtum manifestum die Geldſtrafe des vier-

fachen Werthes eingeführt hatte, fiel dieſer Beweggrund

freylich hinweg.

 

So erſcheint alſo die Definition der condictio bey

Gajus ſehr präcis und völlig befriedigend. Nicht daſſelbe

Lob verdient eine Stelle des Ulpian, worin geradezu con-

dictio für ganz gleichbedeutend mit in personam actio er-

 

(d) Ein ſolcher Fall wird erwähnt in L. 72 § 3 de solut.

(46. 3.).

|0607 : 593|

Die Condictionen. XXVI.

klärt wird (e). Dieſes wird auch dadurch nicht gebeſſert,

daß nachher, ſcheinbar übereinſtimmend mit Gajus, hinzu-

geſetzt wird: In personam actio est, qua cum eo agimus,

qui obligatus est nobis ad faciendum aliquid vel dandum.

Denn eine ſolche Verpflichtung auf dare oder facere

findet ſich in der That bey allen Obligationen ohne Aus-

nahme, iſt alſo nicht der unterſcheidende Character der

Condictionen. Da aber dieſe Stelle des Ulpian mit ſo

vielen anderen Stellen deſſelben Verfaſſers in entſchiedenem

Widerſpruch ſteht, ſo iſt mit großer Wahrſcheinlichkeit an-

zunehmen, daß ſie von den Compilatoren ſtark umgeändert

worden iſt. — Von einer Inſtitutionenſtelle iſt ſchon oben

(Num. XXV. a.) bemerkt worden, daß ſie den Worten

nach mit Gajus gleichlautend iſt, dem Sinne nach die

condictio für jede perſönliche Klage überhaupt erklärt. —

Eine ähnliche Erweiterung des Sprachgebrauchs, doch

weniger entſchieden, findet ſich in einer Stelle des Codex (f).

Weit wichtiger und bedenklicher würde es ſeyn, wenn

ſich Stellen der alten Juriſten nachweiſen ließen, worin

bey einzelnen Rechtsverhältniſſen der Ausdruck condictio

gebraucht würde, um eine wirkliche bonae fidei actio,

namentlich die actio praescriptis verbis, zu bezeichnen.

 

(e) L. 25 pr. de O. et A.

(44. 7.), vgl. Syſtem § 206.

(f) L. 1 C. de don. q. sub

modo (8. 55.) „… condictio

quidem tibi in hoc casu, id est

in personam actio, jure pro-

cedit” … Man kann die Worte

id est etc. als Erklärung des

Ausdrucks condictio verſtehen,

(alſo in demſelben Sinn wie L. 25

pr. de V. O.), ſie können aber

auch ſagen wollen: „welche per-

ſönliche Klage im vorliegenden Fall

eine condictio ſeyn würde.“

V. 38

|0608 : 594|

Beylage XIV.

Dieſes wird nun in der That von folgenden zwey Stellen

behauptet:

a) L. 19 § 2 de praescriptis verbis (19. 5.)

Cum quid precario rogatum est, non solum inter-

dicto uti possumus, sed et incerti condictione, id est

praescriptis verbis.

Es iſt jedoch ſchon oben bemerkt worden, daß die

Vulgata anſtatt condictione lieſt actione; da nun incerti

actio eine ganz regelmäßige Bezeichnung der a. praescriptis

verbis iſt, dieſe letzte Leſeart aber handſchriftliche Beglau-

bigung hat, ſo iſt es unbedenklich, dieſelbe vorzuziehen,

wodurch die aus dieſer Stelle hergeleitete Einwendung

verſchwindet (§ 217. o.).

 

b) L. 3 § 4 de cond. causa data (12. 4.). Unmittelbar

vorher war geſagt, wenn Jemand einem Andern Geld

gebe, damit Dieſer binnen einer beſtimmten Zeit einen

Sklaven frey laſſe, der Sklave aber vor Ablauf der Zeit

ſterbe, ſo daß den Empfänger noch kein Vorwurf treffe,

ſo gelte die regelmäßige Rückforderung des Gegebenen

nicht (g). Hieran ſchließt ſich nun die angeführte Stelle:

Quinimo et si nihil tibi dedi ut manumitteres, pla-

 

 

(g) L. 3 § 3 de cond. causa

data (12. 4.) „… Proculus ait,

si post id temporis decesserit,

quo manumitti potuit, repeti-

tionem esse: si minus, cessare.”

Bey den letzten Worten muß nun

aus dem Vorhergehenden (§ 2 und

§ 3) ergänzend hinzu gedacht wer-

den: nisi poeniteat, welches Ul-

pian nur nicht jedesmal wieder-

holen wollte. Dieſes poenitere

aber hat wieder eigenthümliche Be-

ſchränkungen, wodurch es im letzten

Erfolg oft ganz wirkungslos wer-

den kann. L. 5 pr. § 2. 3. 4. eod

|0609 : 595|

Die Condictionen. XXVI.

cuerat tamen ut darem, ultro tibi competere actio-

nem quae ex hoc contractu nascitur, id est con-

dictionem, defuncto quoque eo.

Hier ſagen die Meiſten, es ſey die a. praescriptis

verbis als condictio bezeichnet. Dieſe kann aber ſchon

deshalb nicht gemeynt ſeyn, weil der Herr, der den Sklaven

nicht manumittirt hat, unmöglich ſagen kann: feci ut dares.

Deswegen haben Andere angenommen, die Worte id est

condictionem ſeyen von Tribonian, oder gar von Abſchrei-

bern, eingeſetzt. Allein ſelbſt durch dieſes gewaltſame

Verfahren iſt nur die Hälfte der Schwierigkeit beſeitigt,

nämlich die Bedeutung des Ausdrucks condictio, der Grund

einer Klage erhellt daraus nicht. Offenbar aber ſollen die

Worte ex hoc contractu nur als Wiederholung dienen für

die vorhergehenden Worte placuerat tamen ut darem. Das

placitum nun kann nur unter der Vorausſetzung contractus

heißen und eine Klage erzeugen, wenn es durch Stipula-

tion beſtärkt war. Dieſes alſo hat Ulpian gedacht, und

zwar nicht unmittelbar geſagt, wohl aber durch das wie-

derholende ex hoc contractu angedeutet (h). Die Con-

diction iſt alſo die certi condictio aus der Stipulation.

Und nun will Ulpian, mit ſtrengem innerem Zuſammen-

hang der Gedanken, Folgendes ſagen. So wie bey dem

früheren Tod des Sklaven der Empfänger das Geld be-

 

(h) In anderen Stellen wird

neben dem placitum die Stipu-

lation ausdrücklich genannt (L. 27

C. de pactis 2. 3, L. 4 C. de

rer. perm. 4. 64.); hier wird ſie

durch das Wort contractu außer

Zweifel geſetzt.

38*

|0610 : 596|

Beylage XIV.

halten darf (§ 3: si minus, cessare), ſo darf er es ſelbſt

noch einklagen, wenn es ihm nicht bezahlt, ſondern nur

durch Stipulation verſprochen war (i).

XXVII.

Einige andere Stellen des Gajus ſcheinen für die Con-

diction nur die Intentio mit dare oportere (ohne facere)

anzugeben, und die ſcheinbare Differenz derſelben von der

oben angegebenen Stelle (Num. XXV.) bedarf einer Er-

klärung und Rechtfertigung.

 

Gajus IV. § 18. (a)

Nunc vero non proprie(b)condictionem dicimus

actionem in personam, qua intendimus, dari nobis(c)

oportere: nulla enim hoc tempore eo nomine denun-

tiatio fit.

Gajus wollte die neuen Condictionen mit den alten

Legis actiones vergleichen, die dieſen Namen führten; da

nun dieſe nur auf dare giengen (d), ſo konnte er natürlich

 

(i) Auch hier muß ergänzend

hinzu gedacht werden: nisi poeni-

teat (Note g.). — Die hier ver-

ſuchte Erklärung hat im Weſent-

lichen ſchon Chesius jurispr. Rom.

et Att. II. p. 786. Andere Er-

klärungen werden angeführt bey

Glück B. 13 S. 41, Schulting

notae ad Digesta III. p. 74. Eine

neue Erklärung verſucht Pfordten

Abhandlungen S. 278.

(a) Er hatte vorher von der

alten Legis actio per condictio-

nem geſprochen, und dabey be-

merkt, condicere heiße eigentlich

ſo viel als denuntiare, und bey

der alten condictio ſey eine de-

nuntiatio auf 30 Tage üblich ge-

weſen. Die hier im Text abge-

druckte Stelle ſteht auch, mit ge-

ringen Abweichungen, in dem § 15

J. de act. (4. 6.).

(b) Inst. abusive.

(c) Inst. actor intendit, dari

sibi oportere (weil der Kaiſer

nicht ſeine eigene Perſon in die

Erklärung einflechten wollte).

(d) Gajus IV. § 19.

|0611 : 597|

Die Condictionen. XXVII.

von den neuen Condictionen nur diejenigen erwähnen, die

ihnen durch ihren Inhalt entſprachen, alſo nur die mit

dare, nicht die mit dare facere.

Ganz dieſelbe Bewandniß, und noch augenſcheinlicher,

hat es mit der folgenden Stelle, worin er vor dem mög-

lichen Misverſtändniß warnen will, als ob die neuen Con-

dictionen auf einer Fiction der alten beruhten, und dieſe

Fiction in ihrer Formel ausgedrückt enthielten. Ein ſolches

Misverſtändniß war natürlich nur denkbar bey denjenigen

neuen Condictionen, die auf dare, nicht die auf dare facere

giengen, da dieſe mit den alten Condictionen ſchon ihres

Inhaltes wegen gar keine Verwandtſchaft hatten.

 

Gajus IV. § 33.

Nulla autem formula ad condictionis fictionem ex-

primitur. Sive enim pecuniam, sive rem aliquam

certam debitam nobis petamus, eam ipsam dari nobis

oportere intendimus, nec ullam adjungimus condictio-

nis fictionem.

So iſt die wörtliche Differenz dieſer zwey Stellen von

der zuerſt angeführten völlig erklärt und gerechtfertigt,

und wir haben keinen Grund, deshalb dem Gajus unge-

naue und ſchwankende Rede vorzuwerfen (e). Eben ſo

aber haben wir auch keinen Grund, in jenen Stellen des

 

(e) Dieſe Rechtfertigung kommt

freylich dem § 15 J. de act. (4. 6.)

nicht zu Statten; denn Dieſer iſt

ungeſchickt compilirt aus Gajus

IV. § 5 und § 18, ſo daß in ihm

gar kein Grund ſichtbar wird, wes-

halb die Formel der Condiction

in der erſten Hälfte mit dare fa-

cere, in der zweyten mit dare,

angegeben wird, ſo daß hier dieſe

Verſchiedenheit als blos nachläſ-

ſige Rede erſcheint.

|0612 : 598|

Beylage XIV.

Gajus die Angabe mehrerer ſucceſſiven Entwicklungsſtufen

der Condiction anzunehmen, gleich als ob auf die alte

condictio erſt blos die neue auf dare, dann die neueſte

auf dare facere gefolgt wäre (f). Bey Gajus iſt viel-

mehr blos von Zwey Zeiten die Rede: der Zeit der Legis

actiones (vor der L. Aebutia), und der Zeit, welche ſeit

Aufhebung der L. actiones und Einführung der formulae

eingetreten war, und die er als unverändert fortdauernd

mit nunc bezeichnet. Indem er den heutigen Sprachge-

brauch mit dem Beywort non proprie (bey Juſtinian

abusive) belegt, will er damit keinen Tadel ausſprechen,

ſondern nur die Abweichung von dem älteren Sprachge-

brauch, und zugleich von der etymologiſchen Wortbedeu-

tung bemerklich machen, weil condicere ſo viel heiße als

denuntiare, da doch die denuntiationes bey den neueren

Condictionen nicht mehr vorkämen.

XXVIII.

Die letzte Stelle des Gajus, die hier in Betracht

kommt, lautet ſo:

 

Gajus IV. § 2.

In personam actio est, quotiens cum aliquo agimus,

qui nobis vel ex contractu, vel ex delicto obligatus

est, id est cum intendimus, dare, facere, praestare

oportere.

Hier macht die wörtliche Abweichung von den drey

 

(f) Heffter in Gajum lib. 4 p. 65.

|0613 : 599|

Die Condictionen. XXVIII.

oben angeführten Stellen keine Schwierigkeit, denn in

dieſen iſt die Rede von Condictionen allein, hier aber von

den perſönlichen Klagen im Allgemeinen, von welchen ja

die Condictionen nur eine einzelne Art ausmachen. — Auch

Das iſt auf den erſten Blick einleuchtend, und macht da-

her keine Schwierigkeit, daß die in den Worten: id est

… oportere enthaltene Erklärung nicht alle perſönliche

Klagen überhaupt zum Gegenſtand hat, ſondern nur die-

jenigen, welche mit einer Intentio in jus concepta verſehen

ſind; denn die in factum gefaßten waren ja einer ſolchen

gemeinſchaftlichen Angabe ihres Inhalts nicht empfänglich,

da jede derſelben ganz anders lautete als die übrigen.

Alle Schwierigkeit liegt in dem Wort praestare. Da

nämlich den vorhergehenden Worten dare facere ganz be-

kannte und ſichere Intentionsformen entſprechen, ſo er-

wartet man, daß bey manchen Klagen die Intentio auf

praestare oportere gelautet haben möge. Nun kommt

aber eine ſolche Intentio in dem ganzen Umfang unſrer

Quellen nicht vor, und es läßt ſich mit Wahrſcheinlichkeit

nicht annehmen, daß Gajus, der ſo reich an mannichfal-

tigen Beyſpielen iſt, gerade dieſe Form in einem Beyſpiel

anzuführen vergeſſen haben ſollte; ganz unzuläſſig aber

würde die Annahme ſeyn, daß die Römer mit dieſen Aus-

drücken nach Gutdünken abgewechſelt haben ſollten, da

vielmehr hierin die Beobachtung der ſtrengſten Gleichför-

migkeit unverkennbar iſt.

 

Alles aber erklärt ſich daraus, daß Gajus von allen

 

|0614 : 600|

Beylage XIV.

perſönlichen Klagen überhaupt ſprechen will, alſo auch

(wie er noch ausdrücklich hinzufügt) von den Delictsklagen,

bey welchen der Ausdruck dare facere in der That nicht

üblich war (Num. XXVI.); auf Dieſe alſo geht der Aus-

druck praestare (a). Freylich auch nicht praestare als ein

in der Intentio derſelben wirklich vorkommender Ausdruck,

ſondern nur als allgemeine Hinweiſung auf dieſen, von

dare facere verſchieden lautenden, Ausdruck. Demnach

läßt ſich die angeführte Stelle des Gajus ſo umſchreiben:

„Die perſönlichen Klagen haben als Intentio entweder ein

bloßes Geben (dare), oder noch ein anderes, von dem

Geben verſchiedenes, Thun (facere), oder ein ſolches Lei-

ſten, welches nicht mit dem Ausdruck dare facere bezeichnet

wird.“ Hierin iſt alſo das praestare nicht von dem fa-

cere der Sache nach verſchieden (ſo daß es nicht unter

facere mit verſtanden werden könnte), ſondern nur wörtlich

verſchieden, und es bezieht ſich auf die Intentio der De-

(a) Weſentlich dieſelbe Erklä-

rung, nur kurz angedeutet, findet

ſich bey Puchta Lehrbuch der

Pandekten S. 213 Note b. — Eine

andere Meynung hat Marezoll,

Über Dare, Facere, Präſtare, in

Linde’s Zeitſchrift B. 10 Num. VIII.

Nach ihm geht praestare auf die

b. f. actiones, und iſt gleich dem

zuſammen gefaßten dare facere,

anſtatt daß die str. j. actiones

ein abgeſondertes dare oder fa-

cere zum Gegenſtand haben ſollen

(S. 275. 280. 286. 297. 309. 310.).

Allein wenn Dieſem ſo wäre, läge

darin kein Grund, noch neben dem

dare facere das praestare aus-

zudrücken, da M. ſelbſt nicht an-

nimmt, daß in der Intentio je-

mals das Wort praestare ge-

ſtanden habe. Dare facere (für

dare aut facere) hat überall

dieſelbe Bedeutung, in den Con-

dictionen, wie in den b. f. actiones,

und der Unterſchied dieſer beiden

Klagarten wird blos durch den

Zuſatz ex fide bona bezeichnet.

|0615 : 601|

Die Condictionen. XXVIII.

lictsobligationen: damnum decidere, oder pro fure damnum

decidere (b).

Man könnte einwenden, wenn Dieſes die Meynung

des Gajus geweſen wäre, ſo hätte er ja beſtimmter ſagen

können: dare facere damnum decidere oportere. Dieſes

gieng aber deswegen nicht an, weil die Intentionen der

einzelnen Delictsklagen wieder ihre Eigenthümlichkeiten

hatten (Num. XXVI.), die nur durch eine ſo abſtracte

Benennung, wie praestare, kurz umfaßt werden konnten.

 

Eine beſondere Beſtätigung erhält dieſe Erklärung des

Gajus durch den etwas veränderten Ausdruck in Juſti-

nians Inſtitutionen.

 

§ 1 J. de act. (4. 6.).

Actiones in personam sunt, per quas intendit, ad-

versarium ei dare facere oportere, et aliis quibus-

dam modis.

Die alii modi, die hier für praestare geſetzt werden,

ſind nun eben: damnum decidere, pro fure damnum de-

cidere, und vielleicht noch manche andere, uns unbekannte,

Wendungen bey anderen Delictsklagen (c).

 

(b) Africanus braucht mehrmals

damnum praestare, ganz will-

kührlich abwechſlend mit damnum

decidere, für die der furti actio

entſprechende Leiſtung. L. 61 pr.

§ 1. 2. 3. 5 de furtis (47. 2.).

(c) Nämlich man darf durchaus

nicht dieſe Schlußworte mit den

früher vorangehenden Worten: vel

ex contractu, vel ex maleficio

verbinden, als ob darin eine er-

gänzende Hinweiſung auf die Quaſi-

contracte und Quaſidelicte läge,

wie es z. B. von Otto in Inst.

l. c. geſchieht. Dann würde ja

die in die Mitte eingeſchobene

Parentheſe ſagen, nur die Con-

tracte und Delicte, nicht die Quaſi-

contracte, erzeugten Klagen in per-

sonam, mit dare facere oportere.

|0616 : 602|

Beylage XIV.

XXIX.

Mit der zuletzt erklärten Stelle des Gajus ſind noch

folgende Stellen durch die Erwähnung des praestare ver-

wandt, welche erklärt werden müſſen, um nicht manchen

Zweifeln und Misverſtändniſſen Raum zu laſſen.

 

Paulus ſagt in L. 3 pr. de O. et A. (44. 7.):

Obligationum substantia .. in eo consistit … ut alium

nobis obstringat ad dandum aliquid, vel faciendum,

vel praestandum.

In dieſem Zuſammenhang wäre das faciendum oder das

praestandum (neben dem dandum) allein völlig hinreichend ge-

weſen; die an ſich überflüſſige Zuſammenſtellung der drey

möglichen Gegenſtände enthält eine augenſcheinliche Anſpie-

lung auf die drey gleichnamigen Arten der Intentio in den

Klagformeln, wie ſie in der zuletzt erklärten Stelle des Gajus

vorkommen, und wahrſcheinlich auch von den anderen

Schriftſtellern angegeben zu werden pflegten.

 

Die Lex Iulia oder Papia hatte beſtimmt, jeder Frey-

gelaſſene, welcher wenigſtens Zwey Kinder in väterlicher

Gewalt habe, ſolle dadurch befreyt ſeyn von allen Ver-

pflichtungen, die er etwa früher gegen ſeinen Patron durch

Eid, Stipulation, oder auf andere Weiſe, übernommen

haben möchte. Dieſes wird in dem Volksſchluß ſelbſt ſo

ausgedrückt:

 

Die richtige Erklärung wird vertheidigt von Vinnius und Schrader

in § cit.

|0617 : 603|

Die Condictionen. XXIX.

L. 37 pr. de operis libert. (38. 1.).

Ne quis eorum … quicquam … dare, facere, prae-

stare debeto.

In dieſem Zuſammenhang, da blos von Verträgen die

Rede iſt, kann praestare unmöglich von Delictsobligatio-

nen verſtanden werden. Allein die Stelle ſpricht auch

überhaupt nicht von Klagformeln, ſondern von eingegange-

nen Stipulationen, und deren Faſſung war völlig der

Willkühr der Parteyen überlaſſen. Demnach iſt der Sinn

der Stelle dieſer: „er ſoll frey ſeyn von Allem, was er

verſprochen haben mag, ohne Unterſchied, ob dieſes Ver-

ſprechen auf ein Geben, oder ein Thun, oder irgend ein

anderes Leiſten durch den wörtlichen Ausdruck gerichtet

ſeyn möchte.“

 

Die Lex Galliae cisalpinae Cap. XXII. verordnet, daß

bey allen Klagen, die nicht auf baares Geld gehen, die

in einem Municipium vorgekommene in jure confessio

dieſelben Folgen gegen den Geſtändigen haben ſoll, wie

wenn ſie in Rom vorgekommen wäre. Dieſe Vorſchrift

wird in den Zeilen 31—34 ſo ausgedrückt:

Sei is eam rem … dare, facere, praestare, restitue-

reve oportere, aut se debere, ejusve eam rem esse,

aut se eam habere, eamve rem, de qua arguetur, se

fecisse, obligatumve se ejus rei noxiaeve esse, con-

fessus erit, deixeritve .....

 

Hier geht das praestare, neben dare facere, wiederum

auf die Delictsobligationen. Das folgende restituereve,

 

|0618 : 604|

Beylage XIV.

aut se debere, würde in Beziehung auf eine Klagformel

nicht noch beſonders, neben jenen Drey Stücken, genannt

werden können, eben ſo wie das ſpäter folgende: eamve

rem .. se fecisse, obligatumve se … esse. Allein es iſt

ja auch hier nicht von (feſtſtehenden) Klagformeln die

Rede, ſondern von Confeſſionen, die eben ſo willkührlich

und zufällig verſchieden im Ausdruck gefaßt ſeyn konnten,

wie es oben von den Stipulationen bemerkt worden iſt.

Das Geſetz will alſo ſagen: es iſt gleichgültig, ob der

Ausdruck der confessio ſo gefaßt war, wie es in den Klag-

formeln üblich iſt (dare, facere, praestare oportere), oder

in anderen, das Daſeyn einer Verpflichtung bezeichnenden

Worten (restituere oportere, se debere, obligatum se

esse). Dagegen gehen die Worte: ejusve eam rem esse,

aut se eam habere augenſcheinlich auf den Fall einer in

rem actio, wobey bekanntlich zwey Stücke Gegenſtände

des Beweiſes, alſo auch eines möglichen Geſtändniſſes

ſind: das Eigenthum des Klägers (ejus eam rem esse),

und der Beſitz des Beklagten, der das Geſtändniß ablegt

(se eam habere) (a).

(a) Marezoll bey Linde, Zeit-

ſchrift B. 10 S. 283 erklärt das

restituere oportere von der Vin-

dication; der Ausdruck restituere

würde Das wohl zulaſſen, aber

oportere geht durchaus nur auf

Obligationen, von der Vindication

reden alſo nur die Worte: ejus

eam rem esse, se eam habere.

Das restituere oportere geht

daher auf die Reſtitution einer

res commodata, deposita, Io-

cata, wobey auch das Geſtändniß

mit dare facere, debere, obli-

gatum esse, genügt haben würde.

|0619 : 605|

Die Condictionen. XXX.

XXX.

Die bisher vorgetragene Verſchiedenheit und Verwandt-

ſchaft zwiſchen den Condictionen und anderen perſönlichen

Klagen wird noch deutlicher hervortreten durch Zuſam-

menſtellung derjenigen Intentiones in jus conceptae, die

uns, mehr oder weniger vollſtändig, in Beyſpielen perſön-

licher Klagen erhalten ſind:

 

A) Condictionen (stricti juris actiones).

Si paret, X. Millia dari oportere. Gajus IV. § 41. 86.

Si paret, fundum Cornelianum dari oportere(a).

Quidquid dari fieri oportet. Gajus IV. § 136. L. 29

§ 1 de V. O. (45. 1.), L. 72 § 3 de sol. (46. 3.).

B) Bonae fidei actiones.

Sie haben ſtets die Intentio: Quidquid dari fieri

oportet ex fide bona, keine andere (b). Es kommen

davon folgende Beyſpiele wirklich vor:

Depositi actio. Gajus IV. § 47. 60.

Emti. Gajus IV. § 131 (in der zweyten Formel).

(a) Eine vollſtändige Formel

dieſer Art kommt nicht vor, aber

daß ſie wirklich auf ein bloßes

dare oportere lautete, iſt nach

Gajus IV. § 33 und II. § 204

nicht zu bezweifeln.

(b) So vollſtändig ſteht dieſe

Formel nur bey Gajus IV. § 47,

Cicero de off. III. 16 und Va-

lerius Maximus VIII. 2 § 1. In

den übrigen Stellen, worin die

Formel nur beyläufig angeführt

wird, ſind die Schlußworte wegge-

laſſen, deren wirkliche Hinzufügung

ſich bey allen b. f. Actionen ohne-

hin von ſelbſt verſtand. Dagegen

haben alle dieſe Stellen das dare

facere oportet, nie blos facere,

oder praestare, oder einen an-

deren Ausdruck, und Dieſes durch

eine ſolche Zahl von Zeugniſſen

belegen zu können, iſt nicht un-

wichtig.

|0620 : 606|

Beylage XIV.

Cicero de offic. III. 16. Valerius Maximus

VIII. 2. § 1.

Venditi. L. 27 de novat. (46. 2.).

Locati. L. 89 de V. O. (45. 1.).

Pro socio. L. 71 pro socio (17. 2.).

Tutelae. L. 11 rem pupilli (46. 6.).

C) Delictsobligationen.

Furti actio mit pro fure damnum decidi oportere.

Gajus IV. § 37. 45.

Einige Beyſpiele, mit unvollſtändigen Formeln, ſind

unbeſtimmt, indem in ihnen das dare facere ſowohl auf

eine Condiction, als auf eine b. f. actio, gehen kann. Ga-

jus IV. § 41. § 131 (in der erſten Formel).

 

Beſonders wichtig in dieſer Hinſicht iſt das vollſtändig

erhaltene Formular der Aquiliana stipulatio. Dieſe ſollte

dazu dienen, verſchiedene, vielleicht ſehr mannichfaltige Ge-

ſchäftsverhältniſſe aus früherer Zeit in ſich aufzunehmen,

und ſo durch novatio zu tilgen, damit eine darauf fol-

gende einfache acceptilatio jeden künftigen Anſpruch ſicher

ausſchließen könnte. Zu dieſem Zweck drückte ſie ſich, in

Beziehung auf Obligationen, alſo aus (c):

Quidquid te mihi ex quacumque causa dare facere

oportet, oportebit, praesens in diemve …

 

Gewiß war hier die Abſicht, alle beſtehende contract-

liche Verhältniſſe, mochten ſie aus Stipulationen oder aus

anderen Contracten herrühren, alſo stricti juris oder bonae

 

(c) L. 18 § 1 de accept. (46. 4.), § 2 J. quibus modis. oblig. (3. 29.).

|0621 : 607|

Die Condictionen. XXXI.

fidei ſeyn, recht ſicher zu umfaſſen, und da zu dieſem Zweck

der Ausdruck dare facere für hinreichend erachtet wurde,

ſo muß es in der That keine contractliche Obligationen

gegeben haben, die nicht durch dieſen Ausdruck erſchöpfend

bezeichnet geweſen wären. Daß hier das praestare nicht

vorkommt, iſt ſehr natürlich, da in jener Stipulation nicht

an Schulden aus Diebſtählen oder anderen Delicten, ſon-

dern nur an die aus Verträgen und ähnlichen Geſchäften,

gedacht war.

XXXI.

Nachdem bisher die Condictionen im Allgemeinen be-

trachtet worden ſind, ſollen nunmehr die einzelnen Arten

derſelben unterſucht und feſtgeſtellt werden.

 

Die meiſten Schriftſteller haben dadurch Verwirrung

in dieſe Lehre gebracht, daß ſie alle ſpecielle Bezeichnungen

von Condictionen, wie ſie irgendwo vorkommen mögen,

als gleichartig betrachtet und daher auf eine Linie geſtellt

haben, gleich als ob ſie Glieder einer und derſelben Ein-

theilung wären. Es ſind aber hier vielmehr Zwey Ge-

ſichtspunkte zu unterſcheiden, nach welchen einzelne Arten

der Condictionen aufgeſtellt werden (a).

 

(a) Ganz unrichtig alſo ſtellte

man in Eine Reihe: Condictio

indebiti, triticaria, furtiva u. ſ. w.

Den hier gerügten Fehler hat

richtig bemerkt Gans Obligatio-

nenrecht S. 87. 132. Er geht aber

auf der anderen Seite zu weit,

indem er irrigerweiſe Drey Ge-

ſichtspunkte unterſcheiden will (wo-

zu in unſren Quellen kein Grund

vorhanden iſt), und dadurch neue

Verwirrung in die an ſich einfache

Sache bringt.

|0622 : 608|

Beylage XIV.

Erſtlich, nach den Entſtehungsgründen, kommen fol-

gende beſondere Bezeichnungen vor: Condictio indebiti,

sine causa, ob causam datorum, ob injustam causam, ex

causa furtiva, ex lege. Dieſe Namen aber beruhen nicht

auf einer durchgeführten Eintheilung, ſondern ſie ſollen

blos dazu dienen, einige Fälle kurz zu bezeichnen; es iſt

hauptſächlich ein theoretiſches Erleichterungsmittel, prak-

tiſche Folgen knüpfen ſich an dieſe einzelnen Arten weni-

ger (b). Ein beſonderer Werth wird von den Alten nicht

darauf gelegt, die Namen werden oft nicht gebraucht, oder

nicht genau gebraucht; beſonders aber haben gerade die

wichtigſten Fälle gar keine habituelle Namen ähnlicher Art,

ſo die Condictionen aus dem Darlehen, der Stipulation (c),

der Expenſilation, dem Legat, obgleich es auch bey dieſen

gar nicht unrichtig iſt, den Entſtehungsgrund daneben aus-

zudrücken, wo gerade das Bedürfniß darauf führt. Der

Name condictio ob turpem causam bezeichnet keinen eige-

nen Entſtehungsgrund, ſondern eine beſondere Modification,

die bey der condictio sine causa oder ob causam datorum

eintreten kann, wenn der Zweck einen unſittlichen Cha-

racter hat.

 

Zweytens, nach den Klagformeln, woran ſich zugleich

wichtige praktiſche Folgen anſchließen (d). Um dieſen

 

(b) Manche praktiſche Eigen-

thümlichkeiten finden ſich hie und

da allerdings, wie z. B. bey der

condictio indebiti die ſehr in’s

Einzelne gehende Beweisregeln.

(c) Von dem allerdings techni-

ſchen Namen actio ex stipulatu

wird weiter unten die Rede ſeyn,

aber condictio ex stipulatu iſt

nicht üblich. — Über den Namen

condictio ex mutuo ſ. u. XLII. a.

(d) Die gänzliche Verſchieden-

|0623 : 609|

Die Condictionen. XXXII.

ſchwierigen und beſtrittenen Gegenſtand mit Sicherheit be-

handeln zu können, iſt es nöthig, zuerſt die Klaſſen der

Condictionen ſelbſt, unbekümmert um die Namen, aufzu-

ſtellen, und dann über die Namen eine beſondere Unter-

ſuchung anzuſtellen.

XXXII.

In Beziehung auf die Klagformeln und deren Wirkun-

gen kommen folgende Drey Klaſſen von Condictionen vor,

nicht mehr, nicht weniger.

 

I. Condiction auf eine beſtimmte Summe in baarem

Geld. Sie war nur möglich, wenn der angebliche Ent-

ſtehungsgrund (Darlehen, Stipulation u. ſ. w.) auf eine

baare Geldſumme hinführte, dann aber auch nothwendig,

ſo daß hierin durchaus keine Willkühr Statt fand. War

alſo in dieſer Hinſicht eine falſche Formel gewählt, ſo

mußte ohne Zweifel die Klage abgewieſen werden.

 

Die Formel war: Si paret, Centum dare oportere,

Judex Centum condemna (a), alſo certa Intentio und certa

Condemnatio. Voran gieng vielleicht eine Demonstratio,

die den Entſtehungsgrund bezeichnete, z. B. Quod Agerius

Negidio Centum mutuos dedit, oder: de Negidio Centum

stipulatus est. Allgemein war wohl eine ſolche nicht, und

 

heit beider Klaſſificationen erhellt

daraus, daß aus der Stipulation,

dem Indebitum, dem Diebſtahl

u. ſ. w., je nach den zufällig ver-

ſchiedenen Gegenſtänden, bald eine

certi, bald eine incerti condictio

entſteht.

(a) Gajus IV. § 41. 43. 86,

ſ. o. Num. XXX.

V. 39

|0624 : 610|

Beylage XIV.

namentlich mag ſie wohl in dem Prozeß des Roscius nicht

vorgekommen ſeyn, da ſonſt Cicero nicht hätte in Frage

ſtellen können, ob ein Darlehn, eine Stipulation, oder

eine Expenſilation, der Klage zum Grunde liege. Viel-

leicht hing es alſo von der Willkühr des Klägers ab, ob

eine Demonstratio hinzugefügt werden ſollte oder nicht.

Wo dieſe Condiction eine ſpecielle Veranlaſſung hatte, wie

z. B. Diebſtahl, Indebitum u. ſ. w., da mag wohl die De-

monstratio ſtets hinzugefügt worden ſeyn. — Sogar müſ-

ſen wir annehmen, daß dieſe nähere Bezeichnung des Ent-

ſtehungsgrundes einer Forderung unmittelbar in der In-

tentio ausgedrückt werden konnte (Si paret, ex stipulatu

centum dari oportere) (b), ſo daß alſo in dieſer Bezie-

hung ein freyer Spielraum für die Faſſung der Formeln

geſtattet worden iſt. In dem Prozeß des Roscius kann,

aus dem eben angegebenen Grunde, dieſe nähere Bezeich-

nung auch in der Intentio nicht enthalten geweſen ſeyn.

Dagegen wird in der oben aus Quinctilian angeführten

Stelle (X. k.) vorausgeſetzt, daß die Stipulation als Kla-

gegrund in der Formel ausgedrückt war; ſey es nun in

der Demonstratio, oder in der Intentio, welches bey Quinc-

tilian unbeſtimmt bleibt.

Die eigenthümliche, höchſt wichtige, Wirkung dieſer

 

(b) Gajus IV. § 55. „Item

palam est, si quis aliud pro

alio intenderit, nihil eum pe-

reclitari (velut) … si quis ex

testamento dari sibi oportere

intenderit, cui ex stipulatu de-

bebatur.” Daß er in der That

eine in die Intentio aufgenom-

mene Bezeichnung meint, zeigt un-

widerſprechlich die Vergleichung

mit § 58.

|0625 : 611|

Die Condictionen. XXXII.

Art der Condiction war die sponsio tertiae partis, die

keinesweges blos bey dem Gelddarlehen, ſondern bey einer

jeden auf baares Geld gerichteten Condiction Statt fand

(Num. X. I. m). Cicero nennt ſie auch legitimae partis

sponsio, ohne Zweifel weil ſie durch die Lex Silia für die

alte Legis actio auf baares Geld eingeführt, und von die-

ſer auf die neuere Condiction herüber genommen wor-

den war.

Der Sinn dieſer Sponſion war der, daß der Kläger

den Beklagten zwingen konnte, für den Fall der Verur-

theilung, außer der Hauptſumme, noch den dritten Theil

derſelben als Strafe zu bezahlen. Allerdings mußte auch

der Kläger ſich bequemen, eine gleiche Summe für den

Fall der Abweiſung zu verſprechen (c); bey einer wohlbe-

gründeten, mit guten Beweiſen verſehenen, Klage aber

war dieſe Gefahr nicht bedeutend.

 

Dieſe Eigenthümlichkeit der Condiction auf baares Geld

war praktiſch wichtiger, als man auf den erſten Blick

glauben möchte, ja ſie war ohne Zweifel das wichtigſte

Moment, welches noch in ſpäterer Zeit, als die Verſchie-

denheiten des Richterperſonals mehr zurück traten, zwiſchen

den Condictionen und anderen Klagen einen namhaften

Unterſchied aufrecht hielt. Man denke ſich, welchen Nach-

druck auch im heutigen Rechtszuſtand eine Klage dadurch

erhalten würde, wenn ihr eine Succumbenzſtrafe von

33⅓ Procent des Streitsgegenſtandes beygelegt wäre.

 

(c) Gajus IV. § 13. 180.

39*

|0626 : 612|

Beylage XIV.

XXXIII.

II. Condiction einer beſtimmten Sache außer dem baa-

ren Geld.

 

Die Formel war: Si paret, fundum Cornelianum

(oder Stichum servum, oder auch tritici optimi modios

Centum) dari oportere, Judex quanti ea res erit tantam

pecuniam condemna, alſo certa Intentio, aber incerta

Condemnatio (Num. XXX.). Auch hier konnten die ver-

ſchiedenſten Entſtehungsgründe vorkommen, ſelbſt ein Dar-

lehen, welches nur nicht in baarem Gelde beſtand, ſo daß

alſo hier der Unterſchied der Gegenſtände des Darle-

hens (Num. V.) praktiſche Wichtigkeit erhält. Der Ent-

ſtehungsgrund mag hier, eben ſo wie bey der Condiction

auf baares Geld (Num. XXXII.) ſehr häufig, aber nicht

allgemein, durch eine vorhergehende Demonstratio, oder

auch in der Intentio ſelbſt, bezeichnet worden ſeyn.

 

Auch dieſe Formel war wieder nicht blos zuläſſig, ſon-

dern nothwendig, wenn die vom Kläger angegebene Sti-

pulation u. ſ. w. darauf führte, ſo daß alſo auch bey der

Wahl dieſer Formel keine Willkühr Statt fand.

 

Sie war minder begünſtigt als die vorhergehende For-

mel, weil ihr die Sponſion des dritten Theils des Streit-

gegenſtandes nicht zur Seite ſtand. Dagegen war ſie,

eben ſo wie jene, der Gefahr des plus petere ausgeſetzt,

da ſie gleichfalls eine certa Intentio hatte (a).

 

(a) Gajus IV. § 53. 54.

|0627 : 613|

Die Condictionen. XXXIII.

Die zweifelhafteſte Frage bey dieſer Art der Klage iſt

der Umfang der vom Judex auszuſprechenden Condemna-

tion. Dieſe geht, nach der Formel, auf quanti res est,

Welches in mehreren Stellen als aestimatio bezeichnet

wird (b). Es fragt ſich aber, ob dieſe aestimatio auf den

reinen Sachwerth zu beſchränken, oder vielmehr auf das

vielleicht viel höhere Intereſſe des Klägers auszudehnen

iſt. Man möchte das Erſte annehmen wegen der buchſtäb-

lichen Natur einer stricti juris actio, und weil ſonſt in

dieſer Beziehung der Unterſchied zwiſchen ſtrengen und

freyen Klagen verſchwinden würde. Dennoch halte ich

für wahrſcheinlicher, daß das vollſtändige Intereſſe des

Klägers in die Verurtheilung aufgenommen wurde, und

zwar aus folgenden Gründen.

 

Der Ausdruck: quanti res est hatte allmälig durch

Interpretation immer mehr die Bedeutung des quanti in-

terest angenommen, und namentlich ganz ſicher in den

Condemnationsformeln ſehr vieler Klagen (Beylage XII.).

Nun wäre es allerdings denkbar, daß bey den Condictio-

nen die beſchränktere Schätzung des reinen Sachwerths

nöthig gefunden worden wäre; es iſt aber höchſt unwahr-

ſcheinlich, daß man in dieſem Fall dennoch unvorſichtiger-

weiſe denſelben Ausdruck, wie in jenen anderen Klagen,

gebraucht haben ſollte, anſtatt durch die Verſchiedenheit

 

(b) L. 39 § 1 de leg. 1 (30. un.) (da wo ſie die Stipulation

erwähnt), L. 98 § 8 de solut. (46. 3.), Gajus II. § 202.

|0628 : 614|

Beylage XIV.

der in der Condemnationsformel gebrauchten Ausdrücke

das ſehr verſchiedene Recht deutlich zu bezeichnen.

Ferner iſt ſchon oben bemerkt worden, daß die einzel-

nen, durch die Entſtehungsgründe bezeichneten, Condictio-

nen nicht als verſchiedene Klagen zu betrachten waren,

alſo auch nicht verſchiedenes Recht mit ſich führen konn-

ten (Num. XXXI.). Nun wurde aber ganz beſtimmt Der-

jenige, welcher einen Sklaven geſtohlen hatte, auf das

volle Intereſſe verurtheilt (c), alſo liegt Dieſes in der Na-

tur der Condiction, und mußte auch eben ſo gelten, wenn

der durch Stipulation verſprochene Sklave nicht gegeben

wurde (d). Man könnte einwenden, Dieſes geſchehe bey

der condictio furtiva zur Beſtrafung der beſonderen

Schlechtigkeit des Diebes. Allein erſtlich iſt der Natur

der Condiction dieſe Betrachtungsweiſe fremd, und zwey-

tens iſt ja um Nichts weniger ſchlecht Derjenige, welcher

den verſprochenen Sklaven aus Bosheit tödtet, um ihn

nicht geben zu müſſen, oder den lebenden Sklaven blos

hartnäckig zu geben verweigert, und dadurch die Verur-

theilung in baares Geld erzwingt.

 

Dann kommen noch folgende nahe liegende Fälle vor.

War ein Sklave durch Stipulation verſprochen, dann vom

Schuldner vergiftet, und nun noch vor der Wirkung des

Giftes mancipirt worden, ſo war buchſtäblich die Stipu-

lation erfüllt, und dadurch die Stipulationsklage ausge-

 

(c) L. 3 de cond. furt. (13. 1.).

(d) Die Intentio gieng ja in

beiden Fällen, bey dem Diebſtahl

und bey der Stipulation, gleicher-

weiſe auf: Stichum servum dare

oportere.

|0629 : 615|

Die Condictionen. XXXIII.

ſchloſſen, wenn auch gleich nachher der Sklave an dem

Gift ſtarb (e). Wegen des augenſcheinlichen Dolus aber

bekam nun der Stipulator die doli actio, und durch dieſe

das volle Intereſſe (Beyl. XII. Num. VIII. a. b.). War

nun aber der Sklave vor der Mancipation geſtorben,

alſo die Stipulation unerfüllt, ſo galt die Condiction auf

den Sklaven (f), und es iſt doch kaum denkbar, daß er

nun eine geringere Entſchädigung als in jenem Fall hätte

erhalten ſollen. — Wenn der verſprochene Sklave durch

einen Dritten getödtet wird, ſo iſt der dabey unſchuldige

Promiſſor frey, aber es geht gegen den Dritten die doli

actio auf volles Intereſſe (g), und auch hier muß man

fragen, warum wohl der Stipulator weniger bekommen

ſollte, wenn die Tödtung durch den Schuldner ſelbſt ver-

übt wurde. — Wenn in einem ſolchen Fall der Bürge den

verſprochenen Sklaven tödtete, ſo war die Hauptſchuld ge-

tilgt, folglich auch die Schuld des Bürgen vernichtet, aber

gegen Dieſen gieng nun die doli actio auf das volle In-

tereſſe (h), und auch dabey drängt ſich wieder die ſo eben

aufgeworfene Frage auf.

(e) L. 7 § 3 de dolo (4. 3.).

(f) L. 91 pr. de V. O. (45. 1.).

(g) L. 18 § 5 de dolo (4. 3.).

(h) Wenigſtens nach der Mey-

nung des Papinian in L. 19 de

dolo (4. 3.). Die meiſten freylich

nahmen an, die Stipulationsklage

ſelbſt daure gegen den Bürgen

fort, jedoch nur als utilis actio,

mit Hülfe einer Reſtitution. Auf

dieſe Weiſe ſind folgende ſcheinbar

widerſprechende Stellen zu vereini-

gen. L. 88. 91 § 4 de V. O.

(45. 1.), L. 95 § 1 de solut.

(46. 3.). — L. 32 § 5 de usuris

(22. 1.), L. 49 pr. de V. O. (45. 1.),

L. 38 § 4 de solut. (46. 3.). Vgl.

Ribbentrop Correalobligationen

S. 32.

|0630 : 616|

Beylage XIV.

Man möchte nun freylich ſagen, in allen dieſen Fällen

könne der Stipulator gleichfalls die doli actio noch nach-

träglich gebrauchen, um die Differenz des Sachwerths und

des Intereſſe’s nachzufordern; allein die angeführten Stellen

ſcheinen ganz abſichtlich die doli actio nur gegen entfernter

ſtehende Perſonen zuzulaſſen, gegen den Hauptſchuldner

ſelbſt aber, durch ſtillſchweigende Übergehung Deſſelben zu

verſagen, gerade deswegen weil gegen Dieſen die Stipu-

lationsklage genügen müſſe: auch ſcheint überhaupt ein

ſolcher Gebrauch der doli actio, zur bloßen Ergänzung

einer anderen, ſchon vorhandenen Klage, nicht zuläſſig (i).

 

Endlich möchte wohl folgender Grund die bisher zu-

ſammen geſtellten noch überwiegen. Wenn die Stipulation

eines Grundſtücks auf einen beſtimmten Tag gerichtet iſt,

dieſer aber durch des Schuldners Mora nicht eingehalten

wird, ſo kann der Glaubiger das volle Intereſſe dieſer

Verzögerung fordern (k). Es wäre aber ganz inconſequent,

das Intereſſe für die weit ſtärkere Verletzung zu verſagen,

wenn die Erfüllung durch den Willen des Schuldners nicht

blos verzögert, ſondern völlig verhindert wird.

 

Obgleich es nun aus dieſen Gründen für ſehr wahr-

ſcheinlich gehalten werden muß, daß die hier behandelte

Art der Condiction, namentlich alſo auch im Fall einer

Stipulation, auf das volle Intereſſe gieng, ſo wäre es

 

(i) L. 1 § 4 de dolo (4. 3.).

(k) L. 114 de V. O. (45. 1.)

„Si fundum certa die praestari

stipuler, et per promissorem

steterit, quo minus ea die prae-

stetur: consecuturum me, quanti

mea intersit, moram factam

non esse.”

|0631 : 617|

Die Condictionen. XXXIV.

dennoch wünſchenswerth, daß auch noch unmittelbare Zeug-

niſſe hierüber aufgefunden werden möchten.

XXXIV.

III. Condiction irgend eines Gegenſtandes außer dem

Geben einer beſtimmten Sache.

 

Die Formel war: Quidquid ob eam rem dare facere

oportet, ejus Judex condemna (Num. XXX.), alſo in-

certa Intentio und incerta Condemnatio. Der Entſtehungs-

grund muß hier ganz allgemein durch eine vorhergehende

Demonstratio ausgedrückt worden ſeyn, da es außerdem der

Klage, wegen des höchſt allgemeinen Ausdrucks der angeführ-

ten Intentio, an jeder individuellen Bezeichnung gefehlt haben

würde. Auch giebt Gajus in den Fällen dieſer Condiction

jedesmal eine Demonstratio ausdrücklich an (a). Wegen

der incerta Intentio war hier ein plus petere unmöglich,

dieſe Gefahr alſo für den Kläger nicht vorhanden (b).

 

Dieſe Art der Condiction war, eben ihrer Unbeſtimmt-

heit wegen, auf die mannichfaltigſten Gegenſtände an-

wendbar. Zuerſt auf das Geben einer Sache, die von

irgend einer Seite unbeſtimmt geblieben war, ſo daß die

 

(a) Gajus IV § 136. 137 giebt

als Beyſpiel an: Quod A. Age-

rius de N. Negidio incertum

stipulatus est. Man muß aber

nur nicht glauben, als ob jemals

in einer wirklichen Klagformel der

abſtracte Ausdruck incertum ge-

ſtanden hätte; an deſſen Stelle

ſtand der wirkliche Gegenſtand der

geſchloſſenen incerta stipulatio,

z. B. possessionem tradi, insu-

lam fabricari u. ſ. w. Es iſt

alſo damit ganz wie mit den Na-

men Agerius und Negidius, die

auch niemals in einer wirklichen

Klagformel ſtanden.

(b) Gajus IV. § 54.

|0632 : 618|

Beylage XIV.

Gränzen der zur Erfüllung dienenden Handlung nicht aus

der Formel völlig erkennbar waren (c). Ferner auf eine

Tradition, das heißt die Übertragung des Beſitzes (d).

Eben ſo auf die Eingehung eines obligatoriſchen Rechts-

geſchäfts, z. B. Bürgſchaft, Expromiſſion, Acceptilation,

oder darauf, daß ein Rechtsgeſchäft in ſeinen Folgen wie-

der rückgängig gemacht werde (e). Endlich auf Arbeit

irgend einer Art, oder auch auf eine bloße Unterlaſſung (f).

Die Wirkung dieſer Art der Condiction war die, daß

der Beklagte das volle Intereſſe bezahlen mußte, ja Dieſes

 

(c) L. 75 § 1. 2. 4. 5. 8 de

V. O. (45. 1.), L. 60 de leg. 1

(30. un.). Hier fällt nämlich der

Begriff der incerta stipulatio mit

dem der incerta Intentio in den

meiſten Fällen zuſammen, jedoch

wohl nicht in allen. Die Stipu-

lation: usumfructum fundi Cor-

neliani dare spondes? war in-

certa (L. 75 § 3 eod.), ohne

Zweifel weil wegen der ungewiſſen

Lebensdauer der Geldwerth dieſes

Niesbrauchs ungewiß war. Allein

die Intentio wurde wahrſcheinlich

ſo geſaßt: Si paret usumfructum

dare oportere, ſo daß die Con-

diction zur zweyten Klaſſe gehörte

(Num. XXXIII.), worin ein plus

petere möglich war. Denn die

Gränzen der Handlung, wozu der

Schuldner verpflichtet war, hatten

durchaus nichts Ungewiſſes: er

ſollte den Niesbrauch gerade dieſer

Sache durch in jure cessio be-

ſtellen, nichts Anderes, nicht mehr

noch weniger.

(d) L. 75 § 7 de V. O. (45. 1.),

L. 4 pr. de usuris (22. 1.). War

der Gegenſtand eine res mancipi,

ſo mußte Dieſes ganz unzweifelhaft

ſeyn, weil hieran die Tradition

niemals Eigenthum verſchaffen

konnte. Allein auch bey einer res

nec mancipi möchte wohl Daſſelbe

gegolten haben; denn obgleich hier

die Form der Tradition zur Über-

tragung des Eigenthums zureichte,

ſo lag doch in dem Ausdruck dare

mehr als in dem Ausdruck tra-

dere, weil das Letzte ſchon voll-

ſtändig erfüllt wurde, ſelbſt wenn

die Sache einem Dritten gehörte,

in welchem Fall das dare nicht

vollzogen war. Dieſer Unterſchied

iſt angedeutet in L. 11 § 2 de

act. emti (19. 1.).

(e) L. 3 de cond. sine causa

(12. 7.), L. 2 § 4 de don. (39. 5.),

L. 12 de nov. (46. 2.), L. 68 de

V. O. (45. 1.).

(f) L. 75 § 7 de V. O. (45. 1.).

|0633 : 619|

Die Condictionen. XXXIV.

war hier nicht anders möglich, da ein beſtimmter Sach-

werth (als Gegenſatz des Intereſſe) durch den unbeſtimmten

Gegenſtand dieſer Klagen von ſelbſt ausgeſchloſſen war.

Indeſſen lag hierin, nach der über die zweyte Klaſſe der

Condictionen oben aufgeſtellten Anſicht (Num. XXXIII.),

kein praktiſcher Unterſchied zwiſchen dieſen beiden Klaſſen. —

Dagegen war allerdings ein ſolcher Unterſchied darin an-

erkannt, daß die zweyte Klaſſe, eben ſo wie die erſte,

niemals die omnis causa, alſo die Früchte, mit umfaßte,

welche in den Condictionen der dritten Klaſſe allerdings

mit begriffen war (g).

Wenn man ſo die Wirkungen der drey Klaſſen von

Condictionen mit einander vergleicht, ſo iſt darin eine ge-

wiſſe Abſtufung unverkennbar, wodurch die dritte Klaſſe

der freyen Natur der b. f. actiones ſich annähert, ohne

jedoch zu wirklicher Gleichheit mit Denſelben zu gelangen (h).

Es würde aber ganz unrichtig ſeyn, deswegen die Con-

dictionen dieſer dritten Klaſſe für uneigentliche zu halten,

da ſie die allgemeine Natur der Condictionen oder stricti

juris actiones mit den übrigen völlig gemein haben, und

unter dem von Gajus aufgeſtellten Begriff der condictiones

unzweifelhaft enthalten ſind: eben ſo unrichtig, als wenn

auf der anderen Seite Manche behaupten, der Begriff der

Condictionen ſey auch wohl, in uneigentlichem Sprachge-

 

(g) L. 4 pr. de usuris (22. 1.).

(h) Beylage XIII. Num. XV.

Dieſe vermittlende Natur der Con-

dictionen dritter Klaſſe iſt richtig

bemerkt von Zimmern Rechts-

geſchichte B. 3 S. 184.

|0634 : 620|

Beylage XIV.

brauch, über die hier gezogenen Gränzen hinaus erweitert

worden (i).

XXXV.

Wenn man ſo die aufgeſtellten drey Klaſſen der Con-

dictionen, nach ihren praktiſchen Eigenthümlichkeiten, ver-

gleicht, ſo iſt es einleuchtend, daß die der erſten Klaſſe

dem Kläger den großen Vortheil der Sponſion einer Suc-

cumbenzſtrafe verſchafften, wodurch ſie ſich vor allen übri-

gen auszeichneten. Dagegen waren ihm die der zweyten

Klaſſe nachtheiliger als die der dritten. Sie führten die

Gefahr des plus petere mit ſich, und ſie verſchafften ihm

nicht, neben der Hauptſache, noch die Früchte derſelben;

vielleicht auch verſchafften ſie ihm nur den reinen Sach-

werth, nicht das Intereſſe, welche Meynung jedoch oben

bekämpft worden iſt.

 

Außer und über dieſen drey Klaſſen der Condictionen

 

(i) Zimmern Rechtsgeſchichte

B. 3 S. 185. Haſſe Weſen der

actio S. 84. 85. Ganz irrig wird

von Dieſem der Ausdruck abusive

oder non proprie mit einem ſol-

chen vermeyntlichen uneigentlichen

Sprachgebrauch in Verbindung

geſetzt, vgl. oben Num. XXVII. —

Wenn ich aber behaupte, daß der

Ausdruck condictio nie über die hier

gezogenen Gränzen hinaus erweitert

worden ſey, ſo iſt Dieſes von wirk-

lichem, beſonnenem Sprachgebrauch

zu verſtehen. Der falſche Schein

größerer Allgemeinheit des Be-

griffs, der aus der unvorſichtigen

Faſſung einiger Stellen der Juſti-

nianiſchen Compilation entſteht

(Num. XXV. a, XXVI. f. g.),

kann dagegen nicht als Einwen-

dung gelten, und darf nicht als ein

wahrhaft veränderter Sprachge-

brauch der Juſtinianiſchen Zeit an-

geſehen werden, indem der alte

Begriff der condictio unzähligen

Stellen der Digeſten ſo beſtimmt

zum Grunde liegt, daß ſie ohne

deſſen Vorausſetzung ganz unver-

ſtändlich ſeyn würden.

|0635 : 621|

Die Condictionen. XXXV.

aber ſteht eine noch hinzutretende Wirkung, die mit einem

einzigen Fall der erſten Klaſſe der Condictionen verbunden

iſt, die ſtrenge Exſecution nämlich, die durch die Zwölf

Tafeln eingeführt war, und wodurch der Schuldner ur-

ſprünglich Leben oder Freyheit verlieren, ſpäterhin in

Schuldknechtſchaft gerathen ſollte. Dieſe ſollte urſprüng-

lich nur bey dem wahren Gelddarlehen Statt finden,

ſpäter wurde ſie auf das in der nexi obligatio enthaltene

ſymboliſche Gelddarlehen ausgedehnt, und nahm alſo, wie-

wohl nur beſchränkt und theilweiſe, einen ähnlichen Ent-

wicklungsgang, wie er hier für die Condictionen überhaupt

durchgeführt worden iſt. Die Lex Poetelia hob dieſe Er-

weiterung (die nexi obligatio) für immer auf, und ſeit

dieſer Zeit iſt der in der Schuldknechtſchaft liegende Zuſatz

zu der allgemeinen Wirkung der Condictionen, auf das

Gelddarlehen im ſtrengſten Sinn eingeſchränkt geblieben,

ohne irgend eine der Erweiterungen dieſes Rechtsverhält-

niſſes in ſich aufzunehmen, welche hier als Grundlage der

Condictionen (Num. VI—XI.) dargeſtellt worden ſind (a).

— Außerdem aber war die nexi obligatio, ſolange ſie

beſtand, dadurch noch beſonders geſchützt, daß der Ab-

läugnende zur Strafe den doppelten Betrag bezahlen

mußte (b).

(a) Dieſe hier nur kurz ange-

deutete Lehre von der Schuldknecht-

ſchaft iſt von mir ausführlich dar-

geſtellt worden in einer ſchon oben

angeführten Schrift (Num. X. n.)

(b) Cicero de officiis III. 16.

|0636 : 622|

Beylage XIV.

XXXVI.

Nachdem jetzt die Klaſſen der Condictionen nach ihren

Gränzen, Formeln, und Wirkungen, dargeſtellt worden

ſind, iſt noch die Terminologie zu unterſuchen. Ich will

eine Überſicht des Sprachgebrauchs, ſo wie ich ihn für

richtig halte, vorausſchicken, und dann die Beweiſe nach-

folgen laſſen.

 

Certi condictio, und actio oder condictio si certum

petetur (oder petatur) iſt ganz gleichbedeutend, und be-

zeichnet ſtets und ausſchließend eine Condiction erſter Klaſſe,

alſo auf baares Geld.

 

Triticaria condictio heißt jede andere Condiction, der

Ausdruck umfaßt alſo die zweyte und dritte Klaſſe.

 

Incerti condictio iſt der Name einer Condiction der

dritten Klaſſe, welcher alſo einen Theil Desjenigen be-

zeichnet, worauf der allgemeinere Name der triticaria geht.

 

Actio ex stipulatu iſt die triticaria condictio in be-

ſonderer Anwendung auf die durch Stipulation begründete

Condiction zweyter oder dritter Klaſſe.

 

Dieſe Behauptungen ſind nunmehr einzeln zu beweiſen.

 

XXXVII.

Daß die erſte Klaſſe der Condictionen (auf beſtimmte

Geldſumme) den Namen führt, si certum petetur, gründet

ſich auf das unmittelbare Zeugniß des Ulpian, in der be-

 

|0637 : 623|

Die Condictionen. XXXVII.

ſtimmteſten und unzweydeutigſten unter allen hier ein-

ſchlagenden Stellen.

L. 1 pr. de cond. tritic. (13. 1.).

Qui certam pecuniam numeratam petit, illa actione

utitur, si certum petetur(a). Qui autem alias res,

per triticariam condictionem petet.

Dieſe Stelle iſt deswegen entſcheidender als alle übrigen,

weil ſie geradezu eine erſchöpfende Eintheilung aller Con-

dictionen aufſtellt, und dieſe mit Kunſtausdrücken belegt.

 

Ganz derſelbe Ausdruck findet ſich in den Rubriken

der hier einſchlagenden Titel der Digeſten (XII. 1.) und

des Codex (IV. 2.); auch handelt der erſte faſt blos, der

zweyte ganz ausſchließend, von Forderungen beſtimmter

Geldſummen.

 

Anderwärts kommt derſelbe Ausdruck mit geringen

wörtlichen Varietäten vor. In zwey Stellen des Ulpian,

als: condicticia actio per quam certum petitur (b), und

causa, obligatio ex qua certum petitur (c). Bey Gajus

IV. § 50 als formula qua certam pecuniam petimus.

 

In dieſem Ausdruck heißt alſo certum ſo viel als certa

pecunia, im Gegenſatz aller anderen beſtimmten oder un-

beſtimmten Gegenſtände einer Forderung; es wird aber

 

(a) Die Vulgata lieſt hier pe-

tatur, und eben ſo ſteht in der

Rubrik von Cod. IV. 2. In den

weiter unten angeführten Stellen

ſteht petitur und petimus. Pe-

tetur ſteht in den Rubriken der

Digeſten XII. 1, und möchte wohl

der unmittelbare Ausdruck des

Edicts ſeyn.

(b) L. 24 de R. C. (12. 1.).

(c) L. 9 pr. de R. C. (12. 1.).

|0638 : 624|

Beylage XIV.

unten gezeigt werden, daß derſelbe Ausdruck bey der Sti-

pulation eine andere Bedeutung hat.

Dieſe Art der Condiction von allen anderen durch

einen eigenthümlichen Kunſtausdruck zu unterſcheiden, wur-

den die Römer durch mehrere Gründe beſtimmt. Ein

hiſtoriſcher Grund lag in dem unmittelbaren Zuſammen-

hang derſelben mit der alten condictio ex L. Silia (Num.

XXII.); ein praktiſcher in der wichtigen, nur hier gelten-

den, sponsio tertiae partis (Num. XXXII.); ein formeller

Grund endlich lag darin, daß hier allein nicht nur die

Intentio, ſondern auch die Condemnatio, völlig beſtimmt,

alſo von jeder freyen Beurtheilung völlig unabhän-

gig war.

 

XXXVIII.

Der Name Certi condictio iſt mit der eben erklärten

Benennung völlig gleichbedeutend, alſo gleichfalls bey der

Klage auf baares Geld ausſchließend anwendbar, ſo daß

auch hier certum ſo viel heißt als certa pecunia.

 

Dieſes folgt ſchon aus den Worten; denn certum pe-

tere ſagt Daſſelbe wie certum condicere, und certum

condicere kann unmöglich eine andere Bedeutung haben

als certi condictio.

 

Es wird aber auch die Identität beider Ausdrücke un-

mittelbar in folgender Stelle des Ulpian bezeugt:

 

L. 9 pr. de R. C. (12. 1.).

Certi condictio competit ex omni causa, ex omni

 

|0639 : 625|

Die Condictionen. XXXVIII.

obligatione, ex qua certum petitur, sive ex certo

contractu petatur, sive ex incerto: licet enim nobis

ex omni contractu certum condicere(a).

Die Hauptſache in dieſer Erklärung der certi condictio

beſteht offenbar darin, daß der Ausdruck ausſchließend für

die Klagen auf baares Geld, nicht für die auf das Eigen-

thum anderer beſtimmter Sachen, bezogen werden ſoll.

Eine Beſtätigung dieſer beſchränkenden Erklärung liegt in

folgendem Umſtand. Ohne Zweifel will hier Ulpian bemerklich

machen, daß der Gebrauch dieſer Klage in vielen Fällen

zu geſtatten ſey, worin auch ſchon andere Klagen gelten,

weshalb man die Zuläſſigkeit jener Klage wohl bezweifeln

konnte. Es muß alſo oft für den Kläger vortheilhaft ge-

weſen ſeyn, dieſe Klage vorzugsweiſe vor anderen Con-

tractsklagen anzuwenden. Dieſer Vortheil nun liegt für

die Condiction auf baares Geld am Tage, anſtatt daß die

Condiction eines Sklaven, eines Pferdes u. ſ. w., da wo

ſie mit einer b. f. actio concurrirte, nur nachtheiliger als

dieſe für den Kläger ſeyn konnte (Num. XXXV.), alſo

keine Veranlaſſung zu der Frage gab, ob man wohl auch

ſie vor anderen Klagen zu erwählen befugt ſeyn möchte (b).

 

(a) Ausführlich iſt die Stelle

ſchon oben, Num. XXIII., erklärt.

(b) Auf ähnliche Weiſe verhält

es ſich mit der L. 28 § 4 de jure-

jur. (Num. VI. c.), worin auch

nur die certi condictio in Con-

currenz mit manchen b. f. actiones

erwähnt wird, nämlich weil nur

deren Concurrenz praktiſch erheb-

lich war. — Noch anſchaulicher

wird Dieſes bey der mit der actio

L. Aquiliae concurrirenden Con-

diction (L. 9 § 1 de R. C. 12. 1.).

Ulpian erwähnt dieſe Concurrenz

nur bey der certi condictio;

dennoch konnte ſie eben ſo bey der

triticaria vorkommen, wenn z. B.

der von dem Gegner zerſtörte

V. 40

|0640 : 626|

Beylage XIV.

XXXIX.

Triticaria(a)condictio heißt jede, die nicht auf baares

Geld geht, alſo ſowohl die auf beſtimmte, als die auf

unbeſtimmte Gegenſtände, ſo daß ſie die zweyte und dritte

Klaſſe der Condictionen gemeinſchaftlich bezeichnet, und

daß durch ſie und die certi condictio der ganze Umkreis

der Condictionen erſchöpft wird.

 

Dieſes ſagt ausdrücklich Ulpian in den Worten: Qui

autem alias res, per triticariam condictionem petet (Num.

XXXVII.). Der einzige Zweifel gegen die Allgemeinheit

des Sinnes dieſer Stelle könnte etwa noch aus dem Wort

res hergenommen werden, ſo daß der Name dennoch auf

Condictionen mit dare oportere (nur außer dem baaren

Geld) beſchränkt wäre. Allein dieſer Schein verſchwindet

durch die von Ulpian hinzugefügten einzelnen Anwendun-

gen. Mit dieſer Klage nämlich ſoll man einen fundus

einfordern können „etsi vectigalis sit” (b). Bey einer ge-

waltſamen Dejection aus einem Grundſtück kann der vo-

rige Beſitzer den fundus ſelbſt condiciren, wenn er Eigen-

 

Schuldſchein auf die über ein Grund-

ſtück geſchloſſene Stipulation ge-

richtet war (Num. XIV.). Allein

in dieſem Fall war durchaus kein

Vortheil denkbar, der nicht eben

ſo durch die actio L. Aquiliae

erreicht werden konnte; umgekehrt

konnte Dieſe größeren Vortheil

bringen.

(a) Triticaria ſteht im Flo-

rentiniſchen Text der L. 1 de cond.

trit. (13. 3.), triticiaria in der

Rubrik (doch mit alter Correctur);

eben ſo bey Haloander im Text.

Triticaria iſt ohne Zweifel vor-

zuziehen, da zu dem eingeſchobenen

Vocal kein Grund vorhanden iſt.

(b) L. 1 pr. de cond. trit.

(13. 3.).

|0641 : 627|

Die Condictionen. XL.

thümer iſt; außerdem aber die possessio (c). In dieſen

beiden Fällen nun werden Condictionen der zweyten und

dritten Klaſſe ohne Unterſchied zuſammengeſtellt, ſo daß

auf die einen, wie auf die anderen, die condictio triticaria

gleichmäßig anwendbar ſeyn ſoll. Denn die Klage auf

fundum dare oportere gehört zur zweyten Klaſſe; dagegen

die auf den fundus vectigalis, an welchem kein Eigenthum

verſchafft werden kann, und beſonders die auf die possessio,

gehört zur dritten Klaſſe, da die Übertragung des Beſitzes

ein facere iſt (nicht dare), Welches nur durch eine incerti

condictio (quidquid dare facere oportet) eingeklagt wer-

den kann (XXXIV. d.).

Wie ſich die certi condictio an die alte condictio ex

L. Silia anſchloß, ſo die triticaria an die ex L. Calpurnia,

über deren urſprünglichen Gegenſtand hinaus ſie jedoch

weit ausgedehnt wurde. Nur den Namen hat ſie ohne

Zweifel von ihr erhalten, da die condictio ex L. Calpurnia

hauptſächlich auf ein in Getreide gegebenes Darlehen ge-

richtet worden ſeyn mag (d).

 

XL.

Incerti condictio heißt jede zur dritten Klaſſe gehörende,

deren Intentio, auf Quidquid dare facere oportet lautend,

eben ſo unbeſtimmt iſt, als die Condemnatio. Dieſer

 

(c) L. 2 de cond. trit. (13. 3.).

(d) S. o. Num. XXII. In Er-

klärungen des ſeltſamen Namens

hat man ſich von jeher erſchöpft,

und es finden ſich auch ſehr ab-

geſchmackte darunter. Vgl. Glück

B. 13 § 843.

|0642 : 628|

Beylage XIV.

Sprachgebrauch wird wohl am Wenigſten bezweifelt wer-

den, und daher ſind von mir auch ſchon bisher, ehe noch

der Sprachgebrauch beſonders unterſucht war, die von

einer incerti condictio redende Stellen unbedenklich auf

Condictionen der dritten Klaſſe bezogen worden (a).

Hieraus folgt alſo, daß die incerti condictio einen

Theil der triticaria in ſich ſchließt, ein anderer Theil der-

ſelben aber, nämlich die Condiction der zweyten Klaſſe,

gar keinen beſonderen Namen führt. Ohne Zweifel aber

liegt hierin der Hauptgrund, welcher bisher die Anerken-

nung der richtigen Terminologie verhindert hat. Denn es

hat einen täuſchenden Schein logiſcher Nothwendigkeit, daß

alle Condictionen entweder certi oder incerti ſeyn müßten;

nach der hier vorgetragenen Lehre liegt zwiſchen beiden

eine Klaſſe in der Mitte, welcher weder der eine, noch

der andere Name zukommt (b). Der Grund dieſer auf-

fallenden Erſcheinung aber liegt darin, daß die Natur

dieſer Mittelklaſſe in der That zweydeutig, und aus beiden

Eigenſchaften gemiſcht iſt, da ſie nämlich eine incerta

 

(a) So z. B. Num. XXXIV. e.

— Nicht gleichbedeutend mit der

incerti condictio iſt die incerta

formula bey Gajus IV. § 54.

131, denn darunter ſind auch die

b. f. actiones mit begriffen.

(b) Ein ſcheinbarer Einwurf

liegt in L. 12 de nov. (46. 2)

„tenetur condictione vel incerti,

si non pecunia soluta esset, vel

certi si soluta esset.” Allein hier

gründet ſich das wirklich Ausſchlie-

ßende dieſes Gegenſatzes auf die

Umſtände des beſonderen Rechts-

falles. Denn es mußte entweder

auf liberatio geklagt werden,

welches als facere durch die in-

certi condictio gefordert wurde,

oder auf Baarzahlung. Eine Con-

diction der zweyten Klaſſe konnte

hier in keinem Fall vorkommen.

|0643 : 629|

Die Condictionen. XLI.

condemnatio neben einer certa intentio hat (Num. XXXIII.

und Syſtem § 215.).

XLI.

Um dieſe Behauptung gegen Zweifel und Einwendun-

gen zu ſichern, iſt es nöthig darauf aufmerkſam zu machen,

daß der Gegenſatz des certum und incertum in verſchie-

denen Anwendungen verſchiedene Bedeutungen, nach dem

jedesmal eintretenden Bedürfniß, annimmt.

 

So hat er eine andere Bedeutung bey der Stipulation.

Hier konnte man in der That ſagen, jede Stipulation iſt

entweder certa oder incerta (auch certi oder incerti ge-

nannt) (a). Certa hieß jede, deren Umfang und Geld-

werth aus den Worten, ohne Rückſicht auf künſtliche Er-

mittlung und zufällige Umſtände erkennbar war (b). Da-

her war ganz ſicher certa stipulatio nicht nur die auf

Geld, ſondern auch die auf das Eigenthum eines be-

ſtimmten Ackers, Sklaven, Pferdes gerichtete, ſo daß aus

der certa stipulatio Condictionen bald der erſten, bald

der zweyten Klaſſe (alſo certi und triticariae condictiones)

entſprangen, nie der dritten. Aus der incerta stipulatio

dagegen entſprangen faſt immer Condictionen der dritten

Klaſſe, alſo incerti condictiones, doch nicht ganz allge-

mein; denn die Stipulation des Niesbrauchs war incerta,

und erzeugte dennoch eine Condiction der zweyten Klaſſe,

auf si paret dare oportere gerichtet (Num. XXXIV. c.).

 

(a) L. 68 de V. O. (45. 1.).

(b) L. 74. 75 de V. O. (45. 1.).

|0644 : 630|

Beylage XIV.

Dagegen hatte bey der in jure confessio das Certum

dieſelbe Bedeutung, welche ihm oben in Anwendung auf

die Condictionen beygelegt worden iſt (Num. XXXVI —

XXXVIII.), ſo daß dieſe Analogie ſehr zur Unterſtützung

des hier behaupteten Sprachgebrauchs dient. In dieſem

Sinn nämlich heißt es: Certum confessus pro judicato

erit, incertum non erit (c). Das will ſagen: nur wenn

das vor dem Prätor abgelegte Geſtändniß auf eine be-

ſtimmte Geldſumme gerichtet iſt, wird dadurch jedes

fernere Urtheil entbehrlich, ſo daß unmittelbar die Exſecu-

tion erfolgen kann. Geht dagegen das Geſtändniß auf

das Eigenthum eines Hauſes, oder auf die Verpflichtung

zum Geben eines Landguts u. ſ. w., ſo iſt Daſſelbe zwar

von Wirkung, indem der Inhalt als Wahrheit gilt, aber

es muß noch immer ein richterliches Urtheil hinzukommen,

wodurch der Geldwerth jenes Eigenthums, oder jener

Forderung, feſtzuſtellen iſt (d). — Auch hier alſo heißt

certum ſo viel als certa pecunia, ganz wie es oben bey

den Condictionen behauptet worden iſt.

 

XLII.

In beſonderer Anwendung auf die Stipulation hat

ſich der Sprachgebrauch folgendermaßen feſtgeſtellt.

 

Aus ihr, wie aus anderen Thatſachen, konnte bald

 

(c) L. 6 pr. de confessis (42. 2.).

(d) L. 6 § 1. 2 de confessis

(42. 2.), L. 25 § 2 ad L. Aquil.

(9. 2.) — Die hier aufgeſtellten

Regeln ſind auf überzeugende Weiſe

dargethan worden von Beth-

mann-Hollweg Verſuche über

Civilprozeß S. 264—270.

|0645 : 631|

Die Condictionen. XLII.

eine certi, bald eine triticaria condictio entſtehen. Die

certi condictio aber war von ſo eigenthümlicher Natur

und Wichtigkeit, daß man da, wo ſie begründet war,

meiſt nur dieſen Namen zu gebrauchen pflegte, ohne da-

neben den Entſtehungsgrund auszudrücken (a). Wo aber

nicht ſie, ſondern eine Condiction der zweyten oder drit-

ten Klaſſe Statt fand, da war die Bezeichnung des Ent-

ſtehungsgrundes (condictio indebiti, sine causa, ex causa

furtiva u. ſ. w.) üblicher. Nach dieſer Analogie hätte man

alſo auch von einer condictio ex stipulatu ſprechen kön-

nen, es iſt aber üblich geworden, dafür den Namen actio

ex stipulatu zu gebrauchen, vielleicht aus keinem andern

Grunde, als um hier die Unterſcheidung von der certi

condictio ex stipulatu ſchon durch den Ausdruck ſchärfer

zu bezeichnen.

So iſt alſo die actio ex stipulatu nichts Anderes, als

die triticaria condictio aus einer Stipulation. Und eben

aus dem hier bemerkten Umſtand, daß bey den Condictio-

nen zweyter und dritter Klaſſe die Beyfügung des Ent-

ſtehungsgrundes häufiger vorkam, erklärt ſich wohl die

ſonſt räthſelhafte Seltenheit des Ausdrucks triticaria con-

dictio in unſren Rechtsquellen. Es kam bey einzelnen

 

(a) Dieſer Sprachgebrauch tritt

ſehr deutlich hervor in L. 9 pr.

de R. C. (12. 1.), ſ. o. Num.

XXIII. — Daher führt auch die

Darlehensklage zwar bey neueren

Schriftſtellern den techniſchen Na-

men condictio ex mutuo, aber

nicht bey den Römern; denn da

faſt immer nur von dem Darlehen

in Geld die Rede iſt, ſo iſt die

daraus entſpringende Condiction

ſtets certi, wobey eben die causa

nicht ausgedrückt zu werden pflegt.

Vgl. oben Num. XXXI.

|0646 : 632|

Beylage XIV.

Rechtsverhältniſſen vorzüglich darauf an, das Daſeyn

einer condictio überhaupt, im Gegenſatz anderer Klagen,

feſtzuſtellen; dann auch wohl die certi condictio, oder die

incerti condictio, wo die eine oder die andere begründet

war; endlich nicht ſelten den Entſtehungsgrund. Dagegen

machte ſich nur ſelten das Bedürfniß fühlbar, das ſpe-

cielle Daſeyn der triticaria, das heißt eigentlich, die bloße

Negation der certi condictio, allgemein auszuſprechen;

denn triticaria heißt nur: eine Condiction, die nicht certi

iſt, übrigens aber von der verſchiedenſten Beſchaffenheit

ſeyn kann.

Dabey müſſen noch zwey, von neueren Schriftſtellern

aufgeſtellte, Behauptungen abgewehrt werden.

 

Erſtlich iſt geſagt worden, actio ex stipulatu werde

in einem uneigentlichen Sinn auch wohl für jede Stipu-

lationsklage, mit Einſchluß der certi condictio, gebraucht (b).

Ich glaube im Gegentheil, daß dieſer Ausdruck meiſt ganz

beſtimmt und erweislich eine Sache außer dem baaren

Geld bezeichnet, oder, wo das Object unbeſtimmt gelaſ-

ſen wird, eben ſo gut eine ſolche Sache, als baares Geld,

bezeichnen kann (c). Anders iſt es mit dem verbalen Aus-

druck: agere, consequi, petere ex stipulatu; dieſer hat

gar keine techniſch beſtimmte Natur, und wird daher öfter

 

(b) Schrader p. 495 ed. Inst.

in 4°.

(c) L. 51 de V. O. (45. 1.),

L. 7 C. de pactis (2. 3.), L. 6

C. de transact. (2. 4.), L. un.

pr. C. de r. ux. act. (5. 13.).

|0647 : 633|

Die Condictionen. XLIII.

auch von der Stipulationsklage auf baares Geld, alſo

der certi condictio, gebraucht (d).

Erheblicher iſt die zweyte Behauptung, nach welcher

die actio ex stipulatu gar nicht die Natur einer wahren

Condiction haben ſoll. Daß ſie dieſe Natur hat, wird

durch die beſtimmteſten Stellen bezeugt (e). Der Name

actio kann dagegen keinen Zweifel erregen (Num. I.). Der

aus einer Inſtitutionenſtelle entſtehende Zweifel aber wird

ſogleich näher erwogen werden.

 

XLIII.

Es bleibt nun noch die Angabe und Erklärung einiger

Stellen übrig, die an manchen der hier aufgeſtellten Be-

hauptungen Zweifel erregen können.

 

Die erſte iſt eine Stelle deſſelben Ulpian, von welchem

die entſcheidendſten Zeugniſſe für den oben feſtgeſtellten

Sprachgebrauch herrühren.

 

L. 24 de R. C. (12. 1.).

Si quis certum stipulatus fuerit, ex stipulatu actio-

nem non habet: sed illa condictitia actione id per-

sequi debet, per quam certum petitur.

(d) L. 21 § 12 de receptis

(4. 8.), L. 42 pro socio (17. 2),

L. 28 de act. emti (19. 1.), L. 57

de solut. (46. 3.), L. 14 C. de

pactis (2. 3.).

(e) L. 1 pr. de cond. trit.

(13. 1.), worin bey dem ususfru-

ctus und der Servitut die Stipu-

lation namentlich erwähnt wird,

bey den übrigen Gegenſtänden aber

eben ſo hinzu zu denken iſt. Fer-

ner Gajus IV. § 136, welcher für

die incerti stipulatio eine For-

mel angiebt, die nach § 5 deſſelben

Buchs nothwendig für eine Con-

dietion gehalten werden muß.

V. 41

|0648 : 634|

Beylage XIV.

Wenn man hier die Bedeutung des Ausdrucks certum

stipulari zum Grunde gelegt, die anderwärts, und zwar

gleichfalls in Stellen des Ulpian, vorkommt (Num. XLI.),

ſo würde die vorliegende Stelle ſagen, daß die condictio

si certum petetur bey der Stipulation auf ein Haus oder

Pferd eben ſo gut angeſtellt werden könne, als bey der

auf baares Geld gerichteten. Da aber dadurch Ulpian

mit ſich ſelbſt, und zwar gerade mit der unzweydeutigſten

aller dieſen Gegenſtand betreffenden Stellen (Num. XXXVII.)

in unauflöslichen Widerſpruch gerathen würde, ſo muß

man annehmen, daß er in der gegenwärtigen Stelle unter

dem Ausdruck certum stipulatus blos eine Geldſtipulation

verſtanden hat. Dann ſcheint ihn allerdings noch der

Vorwurf eines in dieſer Hinſicht ſchwankenden Sprachge-

brauchs zu treffen; allein auch dieſer Vorwurf würde viel-

leicht verſchwinden, wenn wir die ſo eben mitgetheilte

Stelle in ihrem urſprünglichen Zuſammenhang leſen könn-

ten, der ſich aus ihrer höchſt fragmentariſchen Geſtalt un-

möglich errathen läßt.

 

XLIV.

Calliſtratus ſagt, wenn ein Glaubiger einen Erben ſei-

nes Schuldners verklagen wolle, und über den Umfang

des Erbtheils ungewiß ſey, ſo ſolle er den Beklagten hier-

über vor dem Prätor befragen.

 

L. 1 pr. de interrog. (11. 1.).

Est autem interrogatio tunc necessaria, cum in per-

 

|0649 : 635|

Die Condictionen. XLIV.

sonam sit actio, et ita, si certum petetur: ne dum

ignoret actor, qua ex parte adversarius defuncto

heres exstiterit, interdum plus petendo aliquid damni

sentiat.

Die Gefahr des plus petere aber war bey der zwey-

ten Klaſſe der Condictionen eben ſo groß, als bey der er-

ſten (Num. XXXIII.). Daher ſcheint alſo dieſe Stelle die

Klage si certum petetur als gemeinſchaftliche Bezeichnung

beider erſten Klaſſen zu erwähnen, ganz im Widerſpruch

mit der oben vorgetragenen Lehre. — Indeſſen iſt doch

dieſe Folgerung weniger nothwendig als ſie auf den erſten

Blick ſcheinen möchte. Es iſt nämlich wohl denkbar, daß

in dieſem Fall die Intentio mit völliger Sicherheit ſo ge-

faßt werden konnte: si paret, Negidium fundum Corne-

lianum, qua ex parte heres Seji est, dare oportere, ganz

wie in ähnlichen Fällen ſchuldloſer Ungewißheit auch die

Vindication auf eine unbeſtimmte Quote zugelaſſen wurde (a).

Bey einer Geldſtipulation dagegen war dieſe Auskunft un-

möglich, wenn der Kläger den Vortheil der certi con-

dictio genießen wollte, da hierzu gewiß der unbedingte

Ausdruck einer beſtimmten Geldſumme erforderlich war.

 

(a) L. 76 § 1 de rei vind.

(6. 1.). „Incertae partis vindi-

catio datur, si justa causa in-

interveniat.” Eine justa causa

iſt es gewiß, wenn der Kläger

über die Erbſchaftsverhältniſſe des

Beklagten zweifelhaft iſt. — L. 8

§ 1 comm. div. (10. 3.), Gajus

IV. § 54. — Es wäre auch mög-

lich, daß man in ſolchen Fällen

dem Glaubiger eine incerti con-

dictio (mit Quidquid .. opor-

tet) geſtattet hätte; auch dieſe

konnte ihm, bey einer Geldſtipula-

tion, wenigſtens nicht die sponsio

tertiae partis verſchaffen.

41*

|0650 : 636|

Beylage XIV.

XLV.

Größere Zweifel erregt folgende Stelle aus Juſtinians

Inſtitutionen.

 

pr. J. de verb. oblig. (3. 15.).

Verbis obligatio contrahitur ex interrogatione et re-

sponsione … Ex qua duae proficiscuntur actiones,

tam condictio, si certa sit stipulatio, quam ex stipu-

latu, si incerta.

Lieſt man die Stelle ſo, wie ſie hier abgedruckt iſt, ſo

würde darin der actio ex stipulatu die Eigenſchaft einer

Condiction abgeſprochen ſeyn, wodurch die Stelle mit den

unzweifelhafteſten Zeugniſſen in Widerſpruch treten würde

(Num. XLII. e). Dieſe Schwierigkeit verſchwindet, wenn

man die durch mehrere und gute Handſchriften bewährte

Leſeart certi condictio oder condictio certi vorzieht (a),

wodurch von dieſer Seite eine völlige Übereinſtimmung

der verſchiedenen Zeugniſſe entſteht. Dann bleibt aber

noch die zweyte Schwierigkeit übrig, daß nun die certi

condictio auf den Fall jeder certa stipulatio bezogen wer-

den müßte, alſo auch auf die Stipulation eines Ackers

oder eines Buchs, wie Dieſes Theophilus ausdrücklich

ſagt. Hier ſcheint mir kein anderer Ausweg übrig, als

die Annahme, daß ſich die Verfaſſer der Inſtitutionen,

getäuſcht durch die Zweydeutigkeit des Ausdrucks certi,

 

(a) Schrader p. 495 ed. Inst. in 4°. Theophilus freylich beſtä-

tigt die hier im Text abgedruckte Leſeart.

|0651 : 637|

Die Condictionen. XLVI.

wie in ſo manchen anderen Stellen, eine Übereilung haben

zu Schulden kommen laſſen. Es konnte Dieſes gerade

hier leicht geſchehen, da, ſeit der Abſchaffung des Formu-

larprozeſſes, der Unterſchied aus der Praxis verſchwunden

war, und nur noch aus Büchern erlernt werden konnte.

Wollte man in dieſer Auskunft eine Verletzung der Auto-

rität Juſtinians finden, ſo muß erwogen werden, daß die

Sammlung der Digeſten, woraus ich meine Beweiſe her-

genommen habe, unter derſelben Autorität veranſtaltet

worden iſt, und daß die logiſchen Geſetze, die uns zu die-

ſer Auskunft, als der natürlichſten und wahrſcheinlichſten,

nöthigen, die Autorität der Geſetzgeber nicht anerkennen.

XLVI.

Wer ſich nun durch dieſen Verſuch, die ſcheinbar wider-

ſprechenden Zeugniſſe zu beſeitigen (Num. XLIII. XLIV.

XLV.), nicht befriedigt finden ſollte, Der würde wohl

anzunehmen genöthigt ſeyn, daß die Römiſchen Juriſten in

dem Sprachgebrauch geſchwankt hätten, indem ſie den

Ausdruck condictio certi oder si certum petetur bald auf

die erſte Klaſſe der Condictionen allein (baares Geld),

bald auch auf die zweyte (andere beſtimmte Sachen) be-

zogen. Es iſt aber nicht unwichtig zu bemerken, daß hier-

auf allein eine Meynungsverſchiedenheit mit einigem Schein

bezogen werden kann; alſo nicht auf die übrigen Stücke

des oben feſtgeſtellten Sprachgebrauchs; noch weniger auf

das Daſeyn, die Begränzung, und die praktiſche Verſchie-

 

|0652 : 638|

Beylage XIV.

denheit der drey Klaſſen der Condictionen ſelbſt, Welches

viel wichtiger iſt als der Sprachgebrauch.

XLVII.

Am Schluß dieſer Unterſuchung über die Condictionen

iſt nun noch die hiſtoriſche Frage zu berühren, wann und

wie dieſe Begriffe und Rechtsregeln entſtanden ſind. Dar-

über iſt oben nur Das behauptet worden, daß die Con-

dictionen, wie wir ſie in unſren Rechtsquellen vorfinden,

dem mit der L. Aebutia anfangenden Zeitalter der formu-

lae angehören, daß ſie ſich aber, dem Namen und zum

Theil auch der Sache nach, an die alte Legis actio per

condictionem anſchließen.

 

Neuere Schriftſteller haben ſehr beſtimmte Behauptun-

gen über die hiſtoriſche Entwicklung der Condictionen auf-

geſtellt. Nach ihnen hat zuerſt lange Zeit keine andere

Condiction beſtanden, als die auf beſtimmte Gegenſtände

gerichtete; Stipulationen alſo auf irgend eine Handlung,

ſey es Arbeit oder ein Rechtsgeſchäft, ſollen damals un-

möglich geweſen ſeyn, und man ſoll ſich anſtatt Derſelben

lediglich mit ſtipulirten Geldſtrafen, für den Fall der un-

terbleibenden Handlung, beholfen haben. Erſt weit ſpäter

ſoll die Erweiterung des Rechtsinſtituts eingetreten ſeyn,

die durch die incerti condictio auf Quidquid dare facere

oportet ausgedrückt werde (a).

 

(a) Gans Obligationenrecht S. 84. 85. Haſſe Weſen der actio

S. 68. 77.

|0653 : 639|

Die Condictionen. XLVII.

In Beziehung auf dieſe Frage muß ich meine Unwiſ-

ſenheit bekennen. Es iſt nicht gerade unmöglich, daß es

ſich ſo zugetragen hat, wie Jene meynen, an Zeugniſſen

darüber fehlt es uns gänzlich, und nicht einmal für wahr-

ſcheinlich kann ich jenen Hergang halten, da das Bedürf-

niß von Verträgen der oben beſchriebenen Art ein ſehr

natürliches und allgemeines iſt, die ausſchließende Befrie-

digung deſſelben durch Strafſtipulationen aber (ſo zweck-

mäßig ſie in einzelnen Fällen ſeyn mögen) für ſo unbe-

hülflich gehalten werden muß, daß ohne Zweifel eine be-

quemere Auskunft ſich bald Bahn gebrochen haben müßte.

— Die entgegengeſetzte Möglichkeit würde demnach ſo zu

denken ſeyn, daß das ganze Syſtem der Condictionen, wie

wir es kennen, mit einemmal entſtanden ſeyn mag. Auch

damit iſt die Annahme wohl vereinbar, daß einige Zeit

nöthig war, ehe die Begriffe, Formeln, Kunſtausdrücke,

zu ihrer völligen, planmäßigen Ausbildung gelangten,

worin ſie ſich dann für immer fixirten. Allein eine ſolche

nicht ganz augenblickliche formelle Entwicklung würde noch

immer ſehr verſchieden ſeyn von derjenigen ſucceſſiven Ver-

änderung der Rechtsregeln ſelbſt, die von jenen Schrift-

ſtellern als Thatſache angenommen wird; verſchieden be-

ſonders auch darin, daß eine Veränderung wie dieſe viel-

leicht erſt durch lange Zeiträume hervorgebracht wird, an-

ſtatt daß jene Entwicklung in kurzer Zeit vollbracht wer-

den kann.

 

Denjenigen insbeſondere, Welche etwa geneigt ſeyn

 

|0654 : 640|

Beylage XIV.

möchten, die Entſtehung der incerti condictio in ſehr neue

Zeit, etwa in die Kaiſerzeit, zu verſetzen, würden folgende

Gründe entgegen ſtehen.

Will man überhaupt hierin einen ſucceſſiven Fortſchritt

von buchſtäblicher Beſchränktheit zu freyerer Befriedigung

praktiſcher Bedürfniſſe annehmen, ſo würde die natürliche

Folge dieſe ſeyn müſſen: Condictio auf baares Geld und

andere beſtimmte Sachen. Incerti condictio. Bonae fidei

actio. Denn wenn man die b. f. actiones für alt, die

incerti condictio aber für eine neuere Rechtsbildung hal-

ten wollte, ſo würde Dieſes mit aller Analogie im Wider-

ſpruch ſtehen. — Allein das Syſtem der b. f. actiones

war ſchon zur Zeit des Cicero nicht nur vollſtändig aus-

gebildet, ſondern er erwähnt dieſelben auch auf eine Weiſe,

daß die alte Herkunft ihrer Formeln, ſelbſt in den theil-

weiſe alterthümlichen Ausdrücken, unverkennbar hervor-

tritt (b). In einer Erzählung, worin die Formel der emti

actio mit dem Zuſatz ex fide bona wörtlich erwähnt

wird, erſcheint der Vater des Cato als handelnd (c), Wel-

ches alſo in die Zeit vor Cicero hinauf weiſt (d). — Eine

Beſtätigung des alten Urſprungs der b. f. actiones im

Allgemeinen drängt ſich uns auch auf, wenn wir den

größten Theil derſelben (z. B. Kauf, Depoſitum u. ſ. w.)

mit denjenigen unter ihnen vergleichen, die in der That

 

(b) Cicero de off. III. 15. 17,

topica C. 17.

(c) Cicero de off. III. 16,

Valerius Naximus VIII. 2. § 1.

(d) Vgl. oben Beylage XIII.

Num. XIII.

|0655 : 641|

Die Condictionen. XLVII.

erſt in etwas neuerer Zeit anerkannt wurden, wie die aus

den ſogenannten Innominatcontracten. Die völlig ver-

ſchiedene Behandlung der einen und der anderen bey den

alten Juriſten tritt hier unverkennbar hervor.

Was aber noch unmittelbar die incerti condictio be-

trifft, ſo iſt folgende wohl beglaubigte Erzählung zu be-

achten. Vor dem Jahr der Stadt 664, in welchem die

L. Julia der Latiniſchen Nation das Römiſche Bürgerrecht

verlieh, wurde in derſelben das Eheverlöbniß vermittelſt

einer Sponſion geſchloſſen, aus welcher, im Fall der will-

kührlichen Aufkündigung, auf Entſchädigung geklagt wer-

den konnte; „litem pecunia (Iudex) aestimabat: quantique

interfuerat eam uxorem accipi aut dari .. condemna-

bat” (e). Dieſes iſt das vollſtändigſte Bild einer damals

geltenden, und gewiß aus weit früherer Zeit herrühren-

den, incerti condictio. Man wende nicht ein, Dieſes ſey

Latiniſches Recht geweſen nicht Römiſches, ja es habe

gerade durch die Ertheilung der Römiſchen Civität auch

bey den Latinern aufgehört. Das iſt wahr in Anſehung

der Klagbarkeit des Verlöbniſſes, deren gänzliche Verwer-

fung allerdings als ein eigenthümlicher Satz des Römi-

ſchen Rechts betrachtet werden muß (f); aber die in die-

ſer Erzählung ganz gelegentlich hervortretende, auch das

 

(e) Gellius IV. 4 aus Nera-

tius de nuptiis.

(f) Der Grund dieſes Rechts-

ſatzes iſt ausgeſprochen in L. 134

pr. de V. O. (45. 1.). In älte-

rer Zeit mag auch in Rom eine

Sponſion vorgekommen ſeyn, und

die Wirkung einer Klage hervor-

gebracht haben. L. 2 de sponsal.

(23. 1.).

|0656 : 642|

Beylage XIV.

bloße facere umfaſſende, Natur der Stipulation überhaupt,

und der aus ihr entſpringenden incerti condictio, deutet

auf einen ähnlichen Rechtszuſtand hin, der für die Römer

deſſelben Zeitalters mit der größten Wahrſcheinlichkeit an-

zunehmen iſt.

Endlich iſt noch zu erwägen, daß die Vertheidiger der

hier in Zweifel gezogenen Meynung zu einſeitig an die

Stipulation, als Entſtehungsgrund der Condiction, zu den-

ken pflegen. Die Meynung geht alſo dahin, daß eine in-

certa stipulatio lange Zeit wirkungslos geweſen, und an

ihrer Stelle nur eine Strafſtipulation auf Geld gebraucht

worden ſey. Dabey wird überſehen, daß die incerti con-

dictio auch ganz andere Entſtehungsgründe haben kann.

Wenn Jemand, in der irrigen Vorausſetzung einer Schuld,

baar zahlt, ſo hat er eine (indebiti) certi condictio; ex-

promittirt er, anſtatt zu zahlen, ſo iſt ſeine Condiction in-

certi. Nun wird wohl Niemand annehmen, daß er in die-

ſem letzten Fall lange Zeit gar keine Klage gehabt hätte,

blos weil es an einer paſſenden formula fehlte. Nimmt

man aber für dieſen Fall eine von jeher geltende incerti

condictio an, ſo iſt nicht einzuſehen, warum dieſelbe nicht

auch für die incerta stipulatio von jeher gegolten ha-

ben ſollte.

 

|0657 : [643]|

Nachtrag

zu § 218.

In der angeführten Stelle iſt der Satz aufgeſtellt, daß

der von Cicero durchgeführte umfaſſende Unterſchied der

judicia und arbitria, welcher ſich bey den alten Juriſten

in dem engeren Gegenſatz der condictiones (str. j. actio-

nes) und b. f. actiones wiederholt, im Zuſammenhang ſtand

mit der perſönlichen Verſchiedenheit der Richter, indem

das judicium durch einen einzelnen judex aus dem Album,

das arbitrium durch frey gewählte arbitri (einen oder

mehrere) entſchieden wurde. Als Beweis dieſes Zuſam-

menhanges wird daſelbſt blos die Stelle aus Seneca de

benef. III. 7 angeführt.

 

Nachdem der Druck dieſes Bandes ſchon vollendet war,

bin ich von Rudorff auf eine Stelle der Zueignung zur

Naturgeſchichte des Plinius aufmerkſam gemacht worden,

die eine unverkennbare Beſtätigung jener Behauptung

enthält.

 

Plinius widmet ſein Werk dem K. Titus, und führt

weitläufig den Gedanken aus, daß dieſes Werk nicht des

Kaiſers würdig ſey. „Hätte ich nun (ſagte er), dieſes

 

|0658 : 644|

Nachtrag zu § 218.

Buch blos herausgegeben, ſo brauchte ich dein Urtheil

nicht zu ſcheuen; ich könnte ſagen, daſſelbe ſey unter dei-

ner Würde, und nicht für dich geſchrieben. Dieſe Ent-

ſchuldigung entgeht mir dadurch, daß ich es dir zueigne.“

Er benutzt, als Ausdruck dieſes Gedankens, das durchge-

führte Bild eines Rechtsſtreits. Die Bekanntmachung des

Buchs behandelt er als eine angeſtellte Condiction. Dar-

über könne der Kaiſer nicht Richter ſeyn, erſtlich weil er

geiſtig zu hoch ſtehe; das wird ſo ausgedrückt, er habe

einen zu hohen Cenſus, um in dieſem Album der judices ſtehen

zu können. Zweytens, weil Plinius ihn als Richter ver-

werfen könne. Dieſes Alles aber falle jetzt weg, weil er

den Kaiſer nicht durch das Loos, ſondern durch eigene

Wahl (die Zueignung) zum Richter erhalten habe; jetzt

ſey das ganze Verhältniß nicht mehr einer Condiction, mit

einem aus dem Album gelooſten judex, zu vergleichen,

ſondern vielmehr einem Arbitrium, worin er ſelbſt den

arbiter vorgeſchlagen habe. — Hier ſind die Worte, deren

Sinn ich ſo eben dargeſtellt habe.

Tum possem dicere, quid ista legis Imperator? Hu-

mili vulgo scripta sunt … quid te judicem facis?

Cum hanc operam condicerem, non eras in hoc albo.

Majorem te sciebam, quam ut descensurum huc pu-

tarem. Praeterea est quaedam publica etiam erudi-

torum rejectio. .... Sed haec ego mihi nunc pa-

trocinia ademi nuncupatione, quoniam plurimum re-

fert, sortiatur aliquis judicem, an eligat.

|0659 : 645|

Nachtrag zu § 218.

In dieſer ſpitzfindig durchgeführten Anſpielung auf den

Civilprozeß ſind augenſcheinlich folgende Sätze enthalten.

Bey der Condiction wird der judex durch das Loos be-

ſtimmt (sortiatur), er kann aber von jeder Partey ver-

worfen werden (rejectio). Gelooſt wird übrigens nur

aus denjenigen Perſonen, deren Namen im Album ſtehen,

und damit verhält es ſich auf folgende Weiſe.

 

Seit Cäſar ſollten nur Senatoren und Ritter in das

Album aufgenommen werden, welche unter Auguſt in Drey

Decurien vertheilt waren. Dieſer ſetzte eine vierte Decurie

hinzu, die Ducenarii, welche einen geringeren als den Rit-

tercenſus hatten, und nur in geringen Sachen (de levio-

ribus summis) als judices dienen ſollten; Caligula fügte

in gleicher Weiſe eine fünfte hinzu, wobey es dann blieb (a).

Plinius nun will ſagen: mein Buch iſt eine ſo geringe

Sache, daß zu ihrer Beurtheilung ein Mann wie der Kai-

ſer, der durch ſeinen Geiſt in den drey höheren Decurien

der Richter ſteht, nicht berufen ſeyn kann; ſie gehört viel-

mehr vor die Richter der vierten oder fünften Decurien.

Das drückt er ſo aus: Non eras in hoc albo (dein Name

ſtand nicht in dem Album der vierten oder fünften De-

curie, vor welche mein Buch gehört). Majorem te scie-

 

(a) Sueton. Julius 41. Oc-

tav. 32. Calig. 16: Gabba 14.

Vgl. Puchta Curſus der Inſti-

tutionen B. 1 S. 270. 381. 382. —

Wenn daher Seneka de benef.

III. 7 ſagt: judex ex turba se-

lectorum, quem census in al-

bum, et equestris hereditas

misit, ſo meynt er damit die drey

höheren Decurien, die ein min-

deſtens rittermäßiges Vermögen

haben mußten, und deren Mitglie-

der allein fähig waren, in größe-

ren Rechtsſachen zu richten.

|0660 : 646|

Nachtrag zu § 218.

bam (Du gehörſt zu den Richtern der vornehmſten Decu-

rien, die nur über größere Sachen urtheilen).

Das Loos als Beſtimmung der Richter, welches im

Criminalprozeß ſehr bekannt iſt, wird im Civilprozeß ſelt-

ner erwähnt; es war hier nur möglich bey denjenigen

Klagen, deren Richter aus einer geſchloſſenen Zahl von

Perſonen (dem Album) genommen wurden, alſo nur bey

den Condictionen. Erwähnt aber wird dieſes Loos der

Civilrichter, außer unſrer Stelle, auch noch in einer übri-

gens dunklen Stelle des Simplicius bey Goesius p. 79:

„solent quidem per imprudentiam mensores arbitros con-

scribere aut sortiri judices finium regundorum causa.”

Auch hier wird es beſchränkt auf die, den arbitri entgegen

geſetzten, judices im engeren Sinn, das heißt die im Al-

bum verzeichneten Richter.

 

Gedruckt bei den Gebr. Unger.

 

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Druckfehler.

S. 90 Z. 12 ſtatt: in rem actio lies: in personam actio.

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