Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft.

Von D. Friedrich Carl von Savigny, ordentl. Professor der Rechte an der Königl. Universität zu Berlin, und ordentl. Mitglied der Königl. Akademie der Wissenschaften daselbst.

Heidelberg, bey Mohr und Zimmer. 1814.
Inhalt.

Seite

1) Einleitung (1) 98

2) Entstehung des positiven Rechts (8) 101

3) Gesetze und Rechtsbücher (16) 106

4) Römisches Recht (27) 113

5) Bürgerliches Recht in Deutschland (37) 118

6) Unser Beruf zur Gesetzgebung (45) 123

7) Die drey neuen Gesetzbücher (54) 128

8) Was wir thun sollen wo keine Gesetzbücher sind (111) 162

9) Was bey vorhandenen Gesetzbüchern zu thun ist (135) 176

10) Das Gemeinsame (151) 186

11) Thibauts Vorschlag (155) 188

12) Schluß (161) 192
(98) 1.

Einleitung.

(1) In vielen deutschen Ländern hat jetzt ein äußeres Bedürfniß die Frage nach der besten Einrichtung des bürgerlichen Rechts angeregt, und so ist diese Frage, welche unsere Staaten lange Zeit auf sich beruhen lassen konnten, zur gemeinsamen Berathung der Staatsmänner und der Gelehrten gediehen. Aber noch ein edlerer Grund als das bloße Bedürfniß hat zu dieser öffentlichen Berathung gewirkt: das Gefühl, daß in der abgewendeten Unterdrückung der deutschen Nation eine dringende Aufforderung an jede lebendige Kraft liegt, sich dieser Zeit nicht unwerth zu zeigen. Darum ist es nicht Anmaaßung, sondern recht und gut, wenn jeder, der ein Herz hat für seinen Beruf, und eine klare Anschauung von demselben, diese Anschauung öffentlich mittheilt, und (2) die Rechtsgelehrten dürfen darin am wenigsten zurück bleiben. Denn gerade im bürgerlichen Rechte ist der Unterschied der gegenwärtigen und der vergangenen Zeit recht augenscheinlich. Ohne Zweifel kann auch hierin im einzelnen noch viel Verkehrtes geschehen aus Unverstand oder bösem Willen. Aber die erste Frage darf doch wieder seyn: was ist recht und gut? Die Sache trägt doch wieder ihren Zweck und ihre Bestimmung in sich selbst, die Fürsten können wieder thun nach ihrer Ueberzeugung, und ihre Ehre setzen in das gemeine Wohl. Das wird von der vergangenen Zeit niemand behaupten. Als der Code in Deutschland eindrang, und krebsartig immer weiter fraß, war von inneren Gründen nicht die Rede, kaum hie und da in leeren Phrasen: ein äußerer Zweck bestimmte alles, dem eigenen Werthe des Gesetzbuchs völlig fremd, ein an sich selbst heilloses Verhältniß, selbst abgesehen davon, daß es der verderblichste unter allen Zwecken war. Darum war es bis jetzt fruchtlos darüber zu reden. Die in dieser Zeit geredet haben, waren theils eigennützig der schlechten Sache hingegeben, theils in unbegreiflicher Gutmüthigkeit von ihr bethört, die meisten blos zur Ausführung mitwirkend als Geschäftsmänner, ohne sich in ein Urtheil einzulassen:
(99) einzelne ehrenwerthe Stimmen ließen sich hören, strafend und warnend, andere andeutend und winkend, an Erfolg aber konnte keiner denken. Daß wieder eine Verschiedenheit der Meynungen (3) wirksam werden, daß wieder Streit und Zweifel entstehen kann über die Entscheidung, gehört zu den Wohlthaten, womit uns jetzt Gott gesegnet hat, denn nur aus dieser Entzweyung kann eine lebendige und feste Einheit hervorgehen, die Einheit der Ueberzeugung, nach welcher wir in allen geistigen Dingen zu streben durch unsre Natur gedrungen sind.

Aber es giebt einen zweyfachen Streit, einen feindlichen und einen friedlichen. Jenen führen wir, wo wir Ziel und Zweck verwerflich finden, diesen wo wir Mittel suchen zu gemeinsamen löblichen Zwecken. Jener wäre auch jetzt noch, da nicht mehr vom Code die Rede ist, an seiner Stelle, wenn Einer behaupten wollte, jetzt sey die rechte Zeit, wo alle einzelne Staaten in Deutschland sich fest abschließen müßten: dazu sey auch das Recht gut zu gebrauchen, und jede Regierung müsse für ein recht eigenthümliches Gesetzbuch sorgen, um auch hierin alles gemeinsame aufzuheben, was an den Zusammenhang der Nation erinnern könnte. Diese Ansicht ist nichts weniger als willkührlich ersonnen, vielmehr sind ihr manche Regierungen offenbar günstig: wohl aber hindert eine gewisse Scheu, sie jetzt laut werden zu lassen, und ich wüßte nicht, daß sie in Schriften für das bürgerliche Recht benutzt worden wäre. Ganz anders ist es mit den Vorschlägen, die bis jetzt für dieses kund geworden sind, denn mit ihnen ist, wo wir (4) nicht übereinstimmen, ein friedlicher Streit möglich, und ein solcher führt, wo nicht zur Vereinigung der Streitenden, doch zu besserer Einsicht im Ganzen.

Von zwey Meynungen über die Einrichtung des bürgerlichen Rechts, die mir bekannt geworden sind, geht die eine auf Herstellung des alten Zustandes 1), die zweyte auf Annahme eines gemeinschaftlichen Gesetzbuches für die Deutschen Staaten 2). Zur

1) Rehberg über den Code Napoleon. Hannover 1814.

2) K. E. Schmid Deutschlands Wiedergeburt. Jena 1814. S. 135  (et)c. Thibaut über die Nothwendigkeit eines allg. bürgerlichen Rechts für Deutschland. Heidelberg 1814. Jener wünscht für den Augenblick Annahme des Oesterreichischen Gesetzbuchs, dieser sogleich ein neues.
(100) Erläuterung dieser zweyten Meynung sind gleich hier einige Bemerkungen nöthig, indem sie in einem doppelten historischen Zusammenhang betrachtet werden muß.

Erstens nämlich steht sie in Verbindung mit vielen ähnlichen Vorschlägen und Versuchen seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. In dieser Zeit hatte sich durch ganz Europa ein völlig unerleuchteter Bildungstrieb geregt. Sinn und Gefühl für die Größe und Eigentümlichkeit anderer Zeiten, so wie für die naturgemäße Entwicklung der Völker und Verfassungen, also alles was die Geschichte heilsam und fruchtbar machen muß, war verloren: an die Stelle getreten war eine gränzenlose Erwartung von der (5) gegenwärtigen Zeit, die man keinesweges zu etwas geringerem berufen glaubte, als zur wirklichen Darstellung einer absoluten Vollkommenheit. Dieser Trieb äußerte sich nach allen Richtungen: was er in Religion und Staatsverfassung gewirkt hat, ist bekannt, und es ist unverkennbar, wie er hier durch eine natürliche Gegenwirkung aller Orten einer neuen, lebendigeren Liebe die Stäte bereiten mußte. Auch im bürgerlichen Rechte war er thätig. Man verlangte neue Gesetzbücher, die durch ihre Vollständigkeit der Rechtspflege eine mechanische Sicherheit gewähren sollten, indem der Richter, alles eigenen Urtheils überhoben, blos auf die buchstäbliche Anwendung beschränkt wäre: zugleich sollten sie sich aller historischen Eigenthümlichkeit enthalten, und in reiner Abstraktion für alle Völker und alle Zeiten gleiche Brauchbarkeit haben. Es würde sehr irrig seyn, jenen Trieb und diese Anwendungen desselben einzelnen Irrlehrern zuzuschreiben: es war, nur mit sehr achtungswerten Ausnahmen, die Meynung der Völker. Darum stand es nicht in der Macht der Regierungen, allen Anwendungen auszuweichen, und die bloße Milderung und Beschränkung derselben konnte oft schon als sehr verdienstlich und als Beweis innerer Kraft gelten. Vergleichen wir mit diesen vergangenen Zuständen die gegenwärtige Zeit, so dürfen wir uns freuen. Geschichtlicher Sinn ist überall erwacht, und neben diesem hat jener bodenlose Hochmuth (6) keinen Raum. Und wenn auch angehende Schriftsteller oft noch einen ähnlichen Anlauf nehmen, so ist es doch gar nicht mehr herrschender Geist. Auch in den oben genannten
(101) Vorschlägen von Gesetzbüchern ist zum Theil diese erfreuliche Vergleichung bewährt. Frey von jenen übertriebenen Ansprüchen gehen sie auf ein bestimmtes praktisches Ziel, und auch ihre Motive stehen auf festem Boden. Das Durchlaufen jener Periode aber gewährt uns den großen Vortheil, daß wir ihre Erfahrungen zu Rathe ziehen können. Aus den Ansichten derselben sind nach einander Gesetzbücher für drey große Staaten hervor gegangen. Diese, und zum Theil ihre Wirkungen, liegen vor uns, und es würde unverzeihlich seyn, die Lehre zu verschmähen, die sie uns aufmunternd oder warnend geben können.

Zweytens stehen jene Vorschläge in Verbindung mit einer allgemeinen Ansicht von der Entstehung alles positiven Rechts, die von jeher bey der großen Mehrzahl der deutschen Juristen herrschend war. Nach ihr entsteht im normalen Zustande alles Recht aus Gesetzen, d. h. ausdrücklichen Vorschriften der höchsten Staatsgewalt. Die Rechtswissenschaft hat lediglich den Inhalt der Gesetze zum Gegenstand. Demnach ist die Gesetzgebung selbst, so wie die Rechtswissenschaft, von ganz zufälligem, wechselndem Inhalt, und es ist sehr möglich, daß das Recht von morgen dem von heute gar nicht ähnlich sieht. Ein (7) vollständiges Gesetzbuch ist demnach das höchste Bedürfniß, und nur bey einem lückenhaften Zustande desselben kann man in die traurige Nothwendigkeit kommen, sich mit Gewohnheitsrecht, als einer schwankenden Ergänzung, behelfen zu müssen. Diese Ansicht ist viel älter als die oben dargestellte, beide haben sich auf manchen Punkten feindlich berührt, weit öfter aber sehr gut vertragen. Als Vermittlung diente häufig die Ueberzeugung, daß es ein praktisches Naturrecht oder Vernunftrecht gebe, eine ideale Gesetzgebung für alle Zeiten und alle Fälle gültig, die wir nur zu entdecken brauchten, um das positive Recht für immer zu vollenden.

Ob diese Ansicht von der Entstehung des positiven Rechts Realität habe, wird sich aus der folgenden Untersuchung ergeben.

2. Entstehung des positiven Rechts.

(8) Wir befragen zuerst die Geschichte, wie sich bey Völkern edler Stämme das Recht wirklich entwickelt hat: dem Urtheil, was
(102) hieran gut, vielleicht nothwendig, oder aber tadelnswerth seyn möge, ist damit keinesweges vorgegriffen.

Wo wir zuerst urkundliche Geschichte finden, hat das bürgerliche Recht schon einen bestimmten Character, dem Volk eigenthümlich, so wie seine Sprache, Sitte, Verfassung. Ja diese Erscheinungen haben kein abgesondertes Daseyn, es sind nur einzelne Kräfte und Thätigkeiten des einen Volkes, in der Natur untrennbar verbunden, und nur unsrer Betrachtung als besondere Eigenschaften erscheinend. Was sie zu einem Ganzen verknüpft, ist die gemeinsame Ueberzeugung des Volkes, das gleiche Gefühl innerer Nothwendigkeit, welches allen Gedanken an zufällige und willkührliche Entstehung ausschließt.

Wie diese eigenthümlichen Funktionen der Völker, wodurch sie selbst erst zu Individuen werden, entstanden sind, diese Frage ist auf geschichtlichem Wege nicht zu beantworten. In neueren Zeiten ist die Ansicht herrschend gewesen, daß alles zuerst in (9) einem thierähnlichen Zustand gelebt habe, und von da durch allmähliche Entwicklung zu einem leidlichen Daseyn, bis endlich zu der Höhe gekommen sey, auf welcher wir jetzt stehen. Wir können diese Ansicht unberührt lassen, und uns auf die Thatsache jenes ersten urkundlichen Zustandes des bürgerlichen Rechts beschränken. Wir wollen versuchen, einige allgemeine Züge dieser Periode darzustellen, in welcher das Recht wie die Sprache im Bewußtseyn des Volkes lebt.

Diese Jugendzeit der Völker ist arm an Begriffen, aber sie genießt ein klares Bewußtseyn ihrer Zustände und Verhältnisse, sie fühlt und durchlebt diese ganz und vollständig, während wir, in unsrem künstlich verwickelten Daseyn, von unserm eigenen Reichthum überwältigt sind, anstatt ihn zu genießen und zu beherrschen. Jener klare, naturgemäße Zustand bewährt sich vorzüglich auch im bürgerlichen Rechte, und so wie für jeden einzelnen Menschen seine Familienverhältnisse und sein Grundbesitz durch eigene Würdigung bedeutender werden, so ist aus gleichem Grunde möglich, daß die Regeln des Privatrechts selbst zu den Gegenständen des Volksglaubens gehören. Allein jene geistigen Functionen bedürfen eines körperlichen Daseyns, um festgehalten zu werden. Ein solcher Körper ist für die Sprache ihre stete,


(103) ununterbrochene Uebung, für die Verfassung sind es die sichtbaren öffentlichen Gewalten, was vertritt aber diese Stelle (10) bey dem bürgerlichen Rechte? In unsren Zeiten sind es ausgesprochene Grundsätze, durch Schrift und mündliche Rede mitgetheilt. Diese Art der Festhaltung aber setzt eine bedeutende Abstraktion voraus, und ist darum in jener jugendlichen Zeit nicht möglich. Dagegen finden wir hier überall symbolische Handlungen, wo Rechtsverhältnisse entstehen oder untergehen sollen. Die sinnliche Anschaulichkeit dieser Handlungen ist es, was äußerlich das Recht in bestimmter Gestalt festhält, und ihr Ernst und ihre Würde entspricht der Bedeutsamkeit der Rechtsverhältnisse selbst, welche schon als dieser Periode eigenthümlich bemerkt worden ist. In dem ausgedehnten Gebrauch solcher förmlichen Handlungen kommen z. B. die germanischen Stämme mit den altitalischen überein, nur daß bey diesen letzten die Formen selbst bestimmter und geregelter erscheinen, was mit den städtischen Verfassungen zusammen hangen kann. Man kann diese förmlichen Handlungen als die eigentliche Grammatik des Rechts in dieser Periode betrachten, und es ist sehr bedeutend, daß das Hauptgeschäft der älteren Römischen Juristen in der Erhaltung und genauen Anwendung derselben bestand. Wir in neueren Zeiten haben sie häufig als Barbarey und Aberglauben verachtet, und uns sehr groß damit gedünkt, daß wir sie nicht haben, ohne zu bedenken, daß auch wir überall mit juristischen Formen versorgt sind, denen nur gerade die Hauptvortheile der alten Formen (11) abgehen, die Anschaulichkeit nämlich und der allgemeine Volksglaube, während die unsrigen von jedem als etwas willkührliches und darum als eine Last empfunden werden. In solchen einseitigen Betrachtungen früher Zeiten sind wir den Reisenden ähnlich, die in Frankreich mit großer Verwunderung bemerken, daß kleine Kinder, ja ganz gemeine Leute, recht fertig französisch reden.

Aber dieser organische Zusammenhang des Rechts mit dem Wesen und Character des Volkes bewährt sich auch im Fortgang der Zeiten, und auch hierin ist es der Sprache zu vergleichen. So wie für diese, giebt es auch für das Recht keinen Augenblick eines absoluten Stillstandes, es ist derselben Bewegung und Entwicklung unterworfen, wie jede andere Richtung des Volkes, und
(104) auch diese Entwicklung steht unter demselben Gesetz innerer Nothwendigkeit, wie jene früheste Erscheinung. Das Recht wächst also mit dem Volke fort, bildet sich aus mit diesem, und stirbt endlich ab, so wie das Volk seine Eigenthümlichkeit verliert. Allein diese innere Fortbildung auch in der Zeit der Cultur hat für die Betrachtung eine große Schwierigkeit. Es ist nämlich oben behauptet worden, daß der eigentliche Sitz des Rechts das gemeinsame Bewußtseyn des Volkes sey. Dieses läßt sich z. B. im Römischen Rechte für die Grundzüge desselben, die allgemeine Natur der Ehe, des Eigenthums u. s. w. recht wohl denken, aber für das (12) unermeßliche Detail, wovon wir in den Pandekten einen Auszug besitzen, muß es jeder für ganz unmöglich erkennen. Diese Schwierigkeit führt uns auf eine neue Ansicht der Entwicklung des Rechts. Bey steigender Cultur nämlich sondern sich alle Thätigkeiten des Volkes immer mehr, und was sonst gemeinschaftlich betrieben wurde, fällt jetzt einzelnen Ständen anheim. Als ein solcher abgesonderter Stand erscheinen nunmehr auch die Juristen. Das Recht bildet sich nunmehr in der Sprache aus, es nimmt eine wissenschaftlich Richtung, und wie es vorher im Bewußtseyn des gesammten Volkes lebte, so fällt es jetzt dem Bewußtseyn der Juristen anheim, von welchen das Volk nunmehr in dieser Function repräsentirt wird. Das Daseyn des Rechts ist von nun an künstlicher und verwickelter, indem es ein doppeltes Leben hat, einmal als Theil des ganzen Volkslebens, was es zu seyn nicht aufhört, dann als besondere Wissenschaft in den Händen der Juristen. Aus dem Zusammenwirken dieses doppelten Lebensprincips erklären sich alle spätere Erscheinungen, und es ist nunmehr begreiflich, wie auch jenes ungeheure Detail ganz auf organische Weise, ohne eigentliche Willkühr und Absicht, entstehen konnte. Der Kürze wegen nennen wir künftig den Zusammenhang des Rechts mit dem allgemeinen Volksleben das politische Element, das abgesonderte wissenschaftliche Leben des Rechts aber das technische Element desselben.

(13) In verschiedenen Zeiten also wird bey demselben Volke das Recht natürliches Recht (in einem andern Sinn als unser Naturrecht) oder gelehrtes Recht seyn, je nachdem das eine oder das


(105) andere Princip überwiegt, wobey eine scharfe Gränzbestimmung von selbst als unmöglich erscheint. Bey republikanischerVerfassung wird das politische Princip länger als in monarchischen Staaten unmittelbaren Einfluß behalten können, und besonders in der Römischen Republik wirkten viele Gründe zusammen, diesen Einfluß noch bey steigender Cultur lebendig zu erhalten. Aber in allen Zeiten und Verfassungen zeigt sich dieser Einfluß noch in einzelnen Anwendungen, da wo in engeren Kreisen ein oft wiederkehrendes gleiches Bedürfniß auch ein gemeinsames Bewußtseyn des Volkes selbst möglich macht. So wird sich in den meisten Städten für Dienstboten und Miethwohnungen ein besonderes Recht bilden und erhalten, gleich unabhängig von ausdrücklichen Gesetzen und von wissenschaftlicher Jurisprudenz: es sind dieses einzelne Ueberreste der früheren allgemeinen Rechtsbildung. Vor der großen Umwälzung fast aller Verfassungen, die wir erlebt haben, waren in kleineren Deutschen Staaten diese Fälle weit häufiger als jetzt, indem sich Stücke altgermanischer Verfassungen häufig durch alle Revolutionen hindurch gerettet hatten.

Die Summe dieser Ansicht also ist, daß alles Recht auf die Weise entsteht, welche der herrschende, (14) nicht ganz passende, Sprachgebrauch als Gewohnheitsrecht bezeichnet, d. h. daß es erst durch Sitte und Volksglaube, dann durch Jurisprudenz erzeugt wird, überall also durch innere, stillwirkende Kräfte, nicht durch die Willkühr eines Gesetzgebers. Dieser Zustand ist bis jetzt nur historisch aufgestellt worden, ob er löblich und wünschenswerth ist, wird die folgende Untersuchung zeigen. Aber auch als historische Ansicht bedarf dieser Zustand noch einiger näheren Bestimmungen. Zuerst ist dabey eine ganz ungestörte einheimische Entwicklung vorausgesetzt worden; der Einfluß früher Berührung mit fremdem Rechte wird weiter unten an dem Beyspiel von Deutschland klar werden. Eben so wird sich zeigen, daß allerdings ein theilweiser Einfluß der Gesetzgebung auf bürgerliches Recht, bald löblich, bald tadelnswerth, statt finden kann. Endlich finden sich große Verschiedenheiten in den Gränzen der Gültigkeit und Anwendung des Rechts. Wie nämlich dasselbe Volk sich in viele Stämme verzweigt, Staaten sich vereinigen oder zerfallen,
(106) so muß bald dasselbe Recht mehreren unabhängigen Staaten gemein seyn, bald in verschiedenen Theilen desselben Staates, neben gleichen Grundzügen des Rechts, eine große Mannichfaltigkeit einzelner Bestimmungen gelten.

Unter den Deutschen Juristen hat Hugo das große Verdienst, in den meisten seiner Schriften die herrschenden Ansichten gründlich bekämpft zu haben 1) (15) Hohe Ehre gebührt auch hierin dem Andenken Mösers, der mit großartigem Sinn überall die Geschichte zu deuten suchte, oft auch in Beziehung auf bürgerliches Recht; daß dieses Beyspiel den Juristen größtentheils unbemerkt geblieben ist, war zu erwarten, da er nicht zünftig war und weder Vorlesungen gehalten, noch Lehrbücher geschrieben hat.

3.

Gesetze und Rechtsbücher.

(16) Der Einfluß eigentlicher Gesetzgebung auf bürgerliches Recht ist in einzelnen Stücken desselben nicht selten, aber die Gründe dieses Einflusses sind sehr verschiedener Art. Zunächst kann nämlich gerade die Abänderung des bestehenden Rechts Absicht des Gesetzgebers seyn, weil höhere politische Zwecke dieses fordern. Wenn in unsren Tagen Nichtjuristen von dem Bedürfniß neuer Gesetzgebung sprechen, so ist gewöhnlich blos dieses gemeynt, wovon die Bestimmung der gutsherrlichen Rechte eines der wichtigsten Beispiele ist. Auch die Geschichte des Römischen Rechts liefert Beyspiele dieser Art, wenige aus der freyen Republik, unter August die wichtige Lex Iulia et Papia Poppaea, seit den christlichen Kaisern eine große Anzahl. Daß die Gesetze dieser Art leicht eine fruchtlose Corruption des Rechts sind, und daß gerade in ihnen die höchste Sparsamkeit nöthig ist, wird jedem einleuchten, der die Geschichte zu Rathe zieht. Die technische Seite des Rechts wird bey ihnen bloß für die Form, und für den Zusammenhang mit dem ganzen übrigen Rechte in Anspruch genommen, welcher Zusammenhang diesen Theil der (17) Gesetzgebung schwieriger macht, als er gewöhnlich gedacht zu werden

1) Vorzüglich in der Encyclopädie ed. 4. §. 21. 22. Naturrecht ed. 3. § 130. Civilist. Magazin B. 4. Num. 4.
(107) pflegt. Weit unbedenklicher ist ein zweyter Einfluß der Gesetzgebung auf das bürgerliche Recht. Einzelne Rechtssätze nämlich können zweifelhaft seyn, oder sie können ihrer Natur nach schwankende, unbestimmte Gränzen haben, wie z. B . alle Verjährung, während die Rechtspflege durchaus scharfe Gränzen fodert. Hier kann allerdings eine Art von Gesetzgebung eintreten, welche der Gewohnheit zu Hülfe kommt, jene Zweifel und diese Unbestimmtheiten entfernt, und so das wirkliche Recht, den eigentlichen Willen des Volks, zu Tage fördert, und rein erhält. Die Römische Verfassung hatte für diesen Zweck eine treffliche Einrichtung in den Edicten der Prätoren, eine Einrichtung, welche auch in monarchischen Staaten unter gewissen Bedingungen statt finden könnte.

Aber diese Arten eines theilweisen Einflusses sind gar nicht gemeynt, wenn so wie in unsern Tagen von dem Bedürfniß allgemeiner Gesetzbücher die Rede ist. Hier ist vielmehr folgendes gemeynt. Der Staat soll seinen gesammten Rechtsvorrath untersuchen und schriftlich aufzeichnen lassen, so daß dieses Buch nunmehr als einzige Rechtsquelle gelte, alles andere aber, was bisher etwa gegolten hat, nicht mehr gelte. Zuvörderst läßt sich fragen, woher diesem Gesetzbuch der Inhalt kommen solle. Nach einer oben dargestellten Ansicht ist von vielen behauptet worden, das allgemeine (18) Vernunftrecht, ohne Rücksicht auf etwas bestehendes, solle diesen Inhalt bestimmen. Die aber mit der Ausführung zu thun hatten, oder sonst das Recht praktisch kannten, haben sich dieser großsprechenden, völlig hohlen Ansicht leicht enthalten, und man ist darüber einig gewesen, das ohnehin bestehende Recht solle hier aufgezeichnet werden, nur mit den Abänderungen und Verbesserungen, welche aus politischen Gründen nöthig seyn möchten. Daß dieses gerade bei den neueren Gesetzbüchern die herrschende Ansicht war, wird sich unten zeigen. Demnach hätte das Gesetzbuch einen doppelten Inhalt: theils das bisherige Recht, theils neue Gesetze. Was diese letzten betrifft, so ist es offenbar zufällig, daß sie bey Gelegenheit des Gesetzbuchs vorkommen, sie könnten auch zu jeder anderen Zeit einzeln gegeben werden, und eben so könnte zur Zeit des Gesetzbuchs kein Bedürfniß derselben vorhanden seyn. In Deutschland
(108) besonders würden diese neuen Gesetze oft nur scheinbar vorkommen, da das, was einem Lande neu wäre, in einem andern meist schon gegolten haben würde, so daß nicht von neuem, sondern von schon bestehendem Rechte verwandter Stämme die Rede wäre, nur mit veränderten Gränzen der Anwendung. Um also unsere Untersuchung nicht zu verwirren, wollen wir die neuen Gesetze ganz bey Seite setzen, und blos auf den wesentlichen und Hauptinhalt des Gesetzbuchs sehen. Demnach müssen wir das Gesetzbuch als (19) Aufzeichnung des gesammten bestehenden Rechts denken, mit ausschließender Gültigkeit vom Staate selbst versehen.

Daß wir dieses letzte als wesentlich bey einer Unternehmung dieser Art voraussetzen, ist in unsren schreibthätigen Zeiten natürlich, da bey der Menge von Schriftstellern und dem schnellen Wechsel der Bücher und ihres Ansehens, kein einzelnes Buch einen überwiegenden und dauernden Einfluß anders als durch die Gewalt des Staates erhalten kann. An sich aber läßt es sich gar wohl denken, daß diese Arbeit ohne Aufforderung und ohne Bestätigung des Staates von einzelnen Rechtsgelehrten vollbracht würde. Im altgermanischen Rechte war dieses häufig der Fall, und wir würden viele Mühe gehabt haben, unsren Vorfahren den Unterschied eines Rechtsbuchs als einer Privatarbeit von einem wahren Gesetzbuche deutlich zu machen, den wir uns als so natürlich und wesentlich denken. Wir bleiben aber jetzt bey dem Begriffe stehen, welcher unsren Zeiten angemessen ist. Jedoch ist es klar, daß der Unterschied lediglich in der Veranlassung und Bestätigung von Seiten des Staates liegt, nicht in der Natur der Arbeit selbst, denn diese ist auf jeden Fall ganz technisch und fällt als solche den Juristen anheim, indem bey dem Inhalte des Gesetzbuchs, den wir voraussetzen, das politische Element des Rechts längst ausgewirkt hat, und blos diese Wirkung zu erkennen und (20) auszusprechen ist, welches Geschäft zur juristischen Technik gehört.

Die Forderungen an ein solches Gesetzbuch und die Erwartungen von demselben sind von zweyerley Art. Für den innern Zustand des Rechts soll dadurch die höchste Rechtsgewißheit entstehen, und damit die höchste Sicherheit gleichförmiger
(109) Anwendung. Die äußeren Gränzen der Gültigkeit sollen dadurch gebessert und berichtigt werden, indem an die Stelle verschiedener Localrechte ein allgemeines Nationalrecht treten soll. Wir beschränken uns hier noch auf den ersten Vortheil, indem von dem zweyten besser unten in besonderer Anwendung auf Deutschland geredet werden wird.

Daß jener innere Vortheil von der Vortrefflichkeit der Ausführung abhange, leuchtet jedem sogleich ein, und es ist also von dieser Seite eben so viel zu verlieren als zu gewinnen möglich. Sehr merkwürdig ist, was Baco aus der Fülle seines Geistes und seiner Erfahrung über diese Arbeit sagt 1). Er will, daß sie nicht ohne dringendes Bedürfniß geschehe, dann aber mit besonderer Sorgfalt für die bisher gültigen Rechtsquellen: zunächst durch wörtliche Aufnahme alles anwendbaren aus ihnen, dann indem sie im Ganzen aufbewahrt und fortwährend zu Rathe (21) gezogen werden. Vorzüglich aber soll diese Arbeit nur in solchen Zeiten unternommen werden, die an Bildung und Sachkenntniß höher stehen, als die vorhergehenden, denn es sey sehr traurig, wenn durch die Unkunde der gegenwärtigen Zeit die Werke der Vorzeit verstümmelt werden sollten 2). Worauf es dabey ankommt, ist nicht schwer zu sagen: das vorhandene, was nicht geändert, sondern beybehalten werden soll, muß gründlich erkannt und richtig ausgesprochen werden. Jenes betrifft den Stoff, dieses die Form.

In Ansehung des Stoffs ist die wichtigste und schwierigste Aufgabe die Vollständigkeit des Gesetzbuchs, und es kommt nur darauf an, diese Aufgabe, worin Alle einstimmen, recht zu verstehen. Das Gesetzbuch nämlich soll, da es einzige Rechtsquelle zu seyn bestimmt ist, auch in der That für jeden vorkommenden Fall im voraus die Entscheidung enthalten. Dieses hat man

1) Baco de fontibus juris, aphor. 59-64 (de augmentis scient. L. 8 C. 3).

2) l. c. aph. 64. „Optandum esset, ut hujusmodi legum instauratio illis temporibus suscipiatur, quae antiquioribus, quorum acta et opera tractant, literis et rerum cognitione praestiterint ... Infelix res namque est, cum ex judicio et delectu aetatis minus prudentis et e ditae (!)… antiquorum opera mutilantur et recomponuntur.“
(110) häufig so gedacht, als ob es möglich und gut wäre, die einzelnen Fälle als solche durch Erfahrung vollständig kennen zu lernen, und dann jeden durch eine entsprechende Stelle des Gesetzbuchs zu entscheiden. Allein wer mit Aufmerksamkeit (22) Rechtsfälle beobachtet hat, wird leicht einsehen, daß dieses Unternehmen deshalb fruchtlos bleiben muß, weil es für die Erzeugung der Verschiedenheiten wirklicher Fälle schlechthin keine Gränze giebt. Auch hat man gerade in den allerneuesten Gesetzbüchern allen Schein eines Bestrebens nach dieser materiellen Vollständigkeit völlig aufgegeben, ohne jedoch etwas anderes an die Stelle derselben zu setzen. Allein es giebt allerdings eine solche Vollständigkeit in anderer Art, wie sich durch einen Kunstausdruck der Geometrie klar machen läßt. In jedem Dreyeck nämlich giebt es gewisse Bestimmungen, aus deren Verbindung zugleich alle übrige mit Nothwendigkeit folgen: durch diese, z. B. durch zwey Seiten und den zwischenliegenden Winkel, ist das Dreyeck gegeben. Auf ähnliche Weise hat jeder Theil unsres Rechts solche Stücke, wodurch die übrigen gegeben sind: wir können sie die leitenden Grundsätze nennen. Diese heraus zu fühlen, und von ihnen ausgehend den innern Zusammenhang und die Art der Verwandschaft aller juristischen Begriffe und Sätze zu erkennen, gehört eben zu den schwersten Aufgaben unsrer Wissenschaft, ja es ist eigentlich dasjenige, was unsrer Arbeit den wissenschaftlichen Character giebt. Entsteht nun das Gesetzbuch in einer Zeit, welche dieser Kunst nicht mächtig ist, so sind folgende Uebel ganz unvermeidlich. Die Rechtspflege wird scheinbar durch das Gesetzbuch, in der That aber durch etwas anderes, (23) was außer dem Gesetzbuch liegt, als der wahrhaft regierenden Rechtsquelle, beherrscht werden. Dieser falsche Schein aber ist höchst verderblich. Denn das Gesetzbuch wird unfehlbar durch seine Neuheit, seine Verwandtschaft mit herrschenden Begriffen der Zeit, und sein äußeres Gewicht alle Aufmerksamkeit auf sich und von der wahren Rechtsquelle ablenken, so daß diese in dunklem, unbemerktem Daseyn gerade der geistigen Kräfte der Nation entbehren wird, wodurch sie allein in einen löblichen Zustand kommen könnte. Daß diese Gefahr nicht grundlos ist, wird unten aus der Betrachtung der neuen Gesetzbücher klar
(111) werden, und es wird sich zeigen, daß nicht blos der einzelne Inhalt, sondern selbst der Begriff und die allgemeine Natur dieser eigentlich regierenden Rechtsquelle verkannt wird, wie sie denn unter den verschiedensten Namen, bald als Naturrecht, bald als jurisprudence, bald als Rechtsanalogie vorkommt. Kommt nun zu dieser mangelnden Erkenntniß der leitenden Grundsätze das oben beschriebene Bestreben nach materieller Vollständigkeit hinzu, so werden sich sehr häufig die einzelnen Entscheidungen, den Verfassern unbemerkt, durchkreuzen und widersprechen, was erst allmählich durch die Anwendung, und bey gedankenlosem Zustand der Rechtspflege auch hier nicht, offenbar werden wird 1). Dieser Erfolg ist gleich (24) für die Gegenwart unvermeidlich, wenn auf diese Weise ein Zeitalter ohne innern Beruf seine Ansicht des Rechts durch das Ansehen der Gesetzgebung fixiert; eben so nachtheilig aber ist die Wirkung auf die folgende Zeit. Denn wenn in dieser günstigere Bedingungen für die Behandlung des Rechts eintreten, so ist nichts förderlicher, als die vielseitige Berührung mit früheren einsichtsvollen Zeiten: das Gesetzbuch aber steht nun in der Mitte und hemmt und erschwert diese Berührung auf allen Seiten. Ohnehin liegt in der einseitigen Beschäftigung mit einem gegebenen positiven Rechte die Gefahr, von dem bloßen Buchstaben überwältigt zu werden 2), und jedes Erfrischungsmittel muß dagegen sehr willkommen seyn: das mittelmäßige Gesetzbuch aber muß mehr als alles andere diese Herrschaft einer unlebendigen Ansicht des Rechts befestigen.

Außer dem Stoff muß aber auch die Form des Gesetzbuchs in Erwägung gezogen werden, denn der Verfasser des Gesetzbuchs kann das Recht, welches er bearbeitet, völlig durchdrungen haben, und seine Arbeit wird dennoch ihren Zweck verfehlen, wenn er nicht (25) zugleich die Fähigkeit der Darstellung hat. Wie diese

1) Hugo Naturrecht § 130 N. 7. „Wenn alle Rechtsfragen von oben herab entschieden werden sollten, so würde es solcher Entscheidungen so viele geben, daß es kaum möglich wäre, sie alle zu kennen, und für die unentschiedenen Fälle, deren doch immer noch genug übrig blieben, gäbe es nur um so mehr widersprechende Analogien.“

2) Baco de augm. scient. L. 8. C.3. ,,Jurisconsulti autem ... tanquam e vinculis sermocinantur.“
(112) Darstellung beschaffen seyn müsse, läßt sich leichter in gelungenen oder verfehlten Anwendungen fühlen, als durch allgemeine Regeln aussprechen. Gewöhnlich fordert man, daß sich die Sprache der Gesetze durch besondere Kürze auszeichne. Allerdings kann Kürze große Wirkung thun, wie sich durch das Beyspiel Römischer Volksschlüsse und des Römischen Edicts anschaulich machen läßt. Allein es giebt auch eine trockene, nichtssagende Kürze, zu welcher derjenige kommt, der die Sprache als Werkzeug nicht zu führen versteht, und die durchaus ohne Wirkung bleibt; in den Gesetzen und Urkunden des Mittelalters finden sich davon Beyspiele in Menge. Auf der andern Seite kann Weitläufigkeit in Rechtsquellen völlig verwerflich, ja ganz unerträglich seyn, wie in vielen Constitutionen von Justinian und in den meisten Novellen des Theodosischen Codex: allein es giebt auch eine geistvolle und sehr wirksame Weitläufigkeit, und in vielen Stellen der Pandekten ist diese unverkennbar.

Fassen wir dasjenige, was hier über die Bedingungen eines vortrefflichen Gesetzbuchs gesagt worden ist, zusammen, so ist es klar, daß nur in sehr wenigen Zeiten die Fähigkeit dazu vorhanden seyn wird. Bey jugendlichen Völkern findet sich zwar die bestimmteste Anschauung ihres Rechts, aber den Gesetzbüchern fehlt es an Sprache und logischer Kunst, und (26) das Beste können sie meist nicht sagen, so daß sie oft kein individuelles Bild geben, während ihr Stoff höchst individuell ist. Beyspiele sind die schon angeführten Gesetze des Mittelalters, und wenn wir die zwölf Tafeln ganz vor uns hätten, würden wir vielleicht nur in geringerem Grade etwas ähnliches empfinden. In sinkenden Zeiten dagegen fehlt es meist an allem, an Kenntniß des Stoffs wie an Sprache. Also bleibt nur eine mittlere Zeit übrig, diejenige, welche gerade für das Recht, obgleich nicht nothwendig auch in anderer Rücksicht, als Gipfel der Bildung gelten kann. Allein eine solche Zeit hat für sich selbst nicht das Bedürfniß eines Gesetzbuchs; sie würde es nur veranstalten können für eine folgende schlechtere Zeit, gleichsam Wintervorräthe sammlend. Zu einer solchen Vorsorge aber für Kinder und Enkel ist selten ein Zeitalter aufgelegt.
(113) 4.

Römisches Recht.

(27) Diese allgemeinen Ansichten von Entstehung des Rechts und von Gesetzbüchern werden durch die Anwendung auf Römisches Recht und auf das Recht in Deutschland klarer und überzeugender werden.

Die Vertheidiger des Römischen Rechts haben nicht selten den Werth desselben darin gesetzt, daß es die ewigen Regeln der Gerechtigkeit in vorzüglicher Reinheit enthalte, und so gleichsam selbst als ein sanctionirtes Naturrecht zu betrachten sey. Erkundigt man sich genauer, so wird freylich wieder der größte Theil als Beschränktheit und Spitzfindigkeit aufgegeben, und die Bewunderung bleibt meist auf der Theorie der Contracte haften: wenn man hier die Stipulationen und einigen andern Aberglauben abrechne, so sey im übrigen die Billigkeit dieses Rechts über die Maaßen groß, ja es sey zu nennen l’expression des sentimens mis par Dieu même dans le coeur des hommes 1). Allein gerade dieses übrig bleibende materielle des Römischen Rechts, was man so für seine wahre Vortrefflichkeit ausgiebt, ist so allgemeiner Natur, daß es meist schon (28) durch gesunden Verstand ohne alle juristische Bildung gefunden werden könnte, und um einen so leichten Gewinn lohnt es sich nicht, Gesetze und Juristen von zweytausend Jahren her zu unsrer Hülfe zu bemühen. Wir wollen versuchen, das eigenthümliche des Römischen Rechts etwas genauer ins Auge zu fassen. Daß es damit eine andere als die hier angedeutete Bedeutung habe, läßt sich im Voraus schon darum vermuthen, weil es das einzige Recht eines großen, lange bestehenden Volkes ist, welches eine ganz nationale, ungestörte Entwicklung gehabt hat, und zugleich in allen Perioden dieses Volkes mit vorzüglicher Liebe gepflegt worden ist.

Betrachten wir zuerst die Justinianischen Rechtsbücher, also diejenige Form, in welcher das Römische Recht zu den neueren Staaten in Europa gekommen ist, so ist in ihnen eine Zeit des Verfalls nicht zu verkennen. Der Mittelpunkt dieser Rechtsbücher

1) Motifs de la loi du 3. Sept. 1807 vor dem Code Nap. ed. Paris 1807. 8. p. IX. (von Bigot-Preameneu).
(114) ist eine Compilation aus Schriften einer klassischen Zeit, die als verloren und jetzt unerreichbar dasteht, und Justinian selbst hat dessen kein Hehl. Diese klassische Zeit also, die des Papinian und Ulpian ist es, worauf wir unsre Blicke zu richten haben, und wir wollen versuchen, von der Art und Weise dieser Juristen ein Bild zu entwerfen.

Es ist oben (S. 22) gezeigt worden, daß in unsrer Wissenschaft aller Erfolg auf dem Besitz der leitenden Grundsätze beruhe, und gerade dieser Besitz (29) ist es, der die Größe der Römischen Juristen begründet. Die Begriffe und Sätze ihrer Wissenschaft erscheinen ihnen nicht wie durch ihre Willkühr hervorgebracht, es sind wirkliche Wesen, deren Daseyn und deren Genealogie ihnen durch langen vertrauten Umgang bekannt geworden ist. Darum eben hat ihr ganzes Verfahren eine Sicherheit, wie sie sich sonst außer der Mathematik nicht findet, und man kann ohne Uebertreibung sagen, daß sie mit ihren Begriffen rechnen. Diese Methode aber ist keinesweges das ausschließende Eigenthum eines oder weniger großen Schriftsteller, sie ist vielmehr Gemeingut Aller, und obgleich unter sie ein sehr verschiedenes Maaß glücklicher Anwendung vertheilt war, so ist doch die Methode überall dieselbe. Selbst wenn wir ihre Schriften vollständig vor uns hätten, würden wir darin weit weniger Individualität finden, als in irgend einer andern Literatur, sie alle arbeiten gewissermaaßen an einem und demselben großen Werke, und die Idee, welche der Compilation der Pandekten zum Grunde liegt, ist darum nicht völlig zu verwerfen. Wie tief bey den Römischen Juristen diese Gemeinschaft des wissenschaftlichen Besitzes gegründet ist, zeigt sich auch darin, daß sie auf die äußeren Mittel dieser Gemeinschaft geringen Werth legen; so z. B. sind ihre Definitionen größtentheils sehr unvollkommen, ohne daß die Schärfe und Sicherheit der Begriffe im geringsten darunter leidet. Dagegen steht ihnen (30) ein viel wichtigeres, mehr unwillkührliches Mittel zu Gebot, eine treffliche Kunstsprache, die mit der Wissenschaft so zusammenfällt, daß beide ein unauflösliches Ganze (!) zu bilden scheinen. Mit diesen Vorzügen aber könnte sich eine schneidende Einseitigkeit sehr wohl vertragen. Das Recht nämlich hat kein Daseyn für sich, sein Wesen vielmehr ist das Leben
(115) der Menschen selbst, von einer besondern Seite angesehen. Wenn sich nun die Wissenschaft des Rechts von diesem ihrem Objecte ablöst, so wird die wissenschaftliche Thätigkeit ihren einseitigen Weg fortgehen können, ohne von einer entsprechenden Anschauung der Rechtsverhältnisse selbst begleitet zu seyn; die Wissenschaft wird alsdann einen hohen Grad formeller Ausbildung erlangen können, und doch alle eigentliche Realität entbehren. Aber gerade von dieser Seite erscheint die Methode der Römischen Juristen am vortrefflichsten. Haben sie einen Rechtsfall zu beurtheilen, so gehen sie von der lebendigsten Anschauung desselben aus, und wir sehen vor unsern Augen das ganze Verhältniß Schritt vor Schritt entstehen und sich verändern. Es ist nun, als ob dieser Fall der Anfangspunkt der ganzen Wissenschaft wäre, welche von hier aus erfunden werden sollte. So ist ihnen Theorie und Praxis eigentlich gar nicht verschieden, ihre Theorie ist bis zur unmittelbarsten Anwendung durchgebildet, und ihre Praxis wird stets durch wissenschaftliche Behandlung geadelt. In jedem (31) Grundsatz sehen sie zugleich einen Fall der Anwendung, in jedem Rechtsfall zugleich die Regel, wodurch er bestimmt wird, und in der Leichtigkeit, womit sie so vom allgemeinen zum besondern und vom besondern zum allgemeinen übergehen, ist ihre Meisterschaft unverkennbar. Und in dieser Methode, das Recht zu finden und zu weisen, haben sie ihren eigenthümlichsten Werth, darin den germanischen Schöffen unähnlich, daß ihre Kunst zugleich zu wissenschaftlicher Erkenntniß und Mittheilung ausgebildet ist, doch ohne die Anschaulichkeit und Lebendigkeit einzubüßen, welche früheren Zeitaltern eigen zu seyn pflegen.

Diese hohe Bildung der Rechtswissenschaft bey den Römern im Anfang des dritten Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung ist etwas so merkwürdiges, daß wir auch die Geschichte derselben in Betracht ziehen müssen. Es würde sehr irrig seyn, wenn man dieselbe als die reine Erfindung eines sehr begünstigten Zeitalters, ohne Zusammenhang mit der Vorzeit, halten wollte. Vielmehr war der Stoff ihrer Wissenschaft den Juristen dieser Zeit schon gegeben, größtentheils noch aus der Zeit der freyen Republik. Aber nicht blos dieser Stoff, sondern auch jene bewundernswürdige Methode selbst hatte ihre Wurzel in der Zeit der Freyheit.
(116) Was nämlich Rom groß gemacht hat, war der rege, lebendige, politische Sinn, womit dieses Volk die Formen seiner Verfassung stets (32) auf solche Weise zu verjüngen bereit war, daß das neue blos zur Entwicklung des alten diente, dieses richtige Ebenmaaß der beharrlichen und der fortbewegenden Kräfte. Dieser Sinn war in der Verfassung wie im bürgerlichen Rechte wirksam, aber dort war er schon vor dem Ende der Republik erloschen, während er hier noch Jahrhunderte lang fortwirken konnte, weil hier nicht dieselben Gründe der Corruption statt fanden wie in der Verfassung. Also auch im bürgerlichen Rechte war der allgemeine Römische Character sichtbar, das Festhalten am Herkömmlichen, ohne sich durch dasselbe zu binden, wenn es einer neuen, volksmäßig herrschenden Ansicht nicht mehr entsprach. Darum zeigt die Geschichte des Römischen Rechts bis zur klassischen Zeit überall allmähliche, völlig organische Entwicklung. Entsteht eine neue Rechtsform, so wird dieselbe unmittelbar an eine alte, bestehende angeknüpft, und ihr so die Bestimmtheit und Ausbildung derselben zugewendet. Dieses ist der Begriff der Fiction, für die Entwicklung des Römischen Rechts höchst wichtig und von den Neueren oft lächerlich verkannt: so die bonorum possessio neben der hereditas, die publiciana actio neben der rei vindicatio, die actiones utiles neben den directae. Und indem auf diese Weise das juristische Denken von der größten Einfachheit zur mannichfaltigsten Ausbildung ganz stetig und ohne äußere Störung oder Unterbrechung fortschritt, wurde (33) den Römischen Juristen auch in der späteren Zeit die vollendete Herrschaft über ihren Stoff möglich, die wir an ihnen bewundern. So wie nun oben bemerkt worden ist, daß die Rechtswissenschaft in ihrer klassischen Zeit Gemeingut der Juristen war, so erkennen wir jetzt auch eine ähnliche Gemeinschaft zwischen den verschiedensten Zeitaltern, und wir sind genöthigt, das juristische Genie, wodurch die Trefflichkeit des Römischen Rechts bestimmt worden ist, nicht einem einzelnen Zeitalter, sondern der Nation überhaupt zuzuschreiben. Allein wenn wir auf die literarische Ausbildung sehen, durch welche allein dem Römischen Recht eine bleibende Wirkung auf andere Völker und Zeiten gesichert werden konnte, so müssen wir das Zeitalter des
(117) Papinian und Ulpian als das vornehmste erkennen, und wenn wir juristische Bücher aus der Zeit des Cicero oder des August übrig hätten, so würden wir schwerlich die Unvollkommenheit derselben neben jenem Zeitalter verkennen können, so wichtig sie auch für unsere Kenntniß seyn müßten.

Aus dieser Darstellung ist von selbst klar, daß das Römische Recht sich fast ganz von innen heraus, als Gewohnheitsrecht, gebildet hat, und die genauere Geschichte desselben lehrt, wie gering im Ganzen der Einfluß eigentlicher Gesetze geblieben ist, so lange das Recht in einem lebendigen Zustande war. Auch für (34) dasjenige, was oben über das Bedürfniß eines Gesetzbuchs gesagt wurde, ist die Geschichte des Römischen Rechts sehr lehrreich. So lange das Recht in lebendigem Fortschreiten war, wurde kein Gesetzbuch nöthig gefunden, selbst da nicht, als die Umstände dafür am günstigsten waren. Nämlich zur Zeit der classischen Juristen hätte es keine Schwierigkeit gemacht, ein treffliches Gesetzbuch zu verfassen. Auch waren die drey berühmtesten Juristen, Papinian, Ulpian und Paulus praefecti praetorio; diesen fehlte es sicher weder an Interesse für das Recht, noch an Macht, ein Gesetzbuch zu veranlassen, wenn sie es gut oder nöthig fanden: dennoch sehen wir keine Spur von einem solchen Versuche. Aber als früher Cäsar im Gefühl seiner Kraft und der Schlechtigkeit des Zeitalters nur seinen Willen in Rom gelten lassen wollte, soll er auch auf ein Gesetzbuch in unserm Sinne bedacht gewesen seyn 1). Und als im sechsten Jahrhundert alles geistige Leben erstorben war, suchte man Trümmer aus besseren Zeiten zusammen, um dem Bedürfniß des Augenblicks abzuhelfen. So entstanden in einem kurzen Zeitraum verschiedene Römische Gesetzbücher: das Edict des Theoderich, das Westgothische Breviarium (35), der sogenannte Papian, und die Rechtsbücher von Justinian . Schwerlich hätten sich Bücher über Römisches Recht erhalten, wenn nicht diese Gesetzbücher gewesen wären, und schwerlich hätte Römisches Recht im neueren Europa Eingang gefunden, wären nicht unter diesen Gesetzbüchern die von

1) Sueton. Caesar. C. 44. Jus civile ad certum modum redigere, atque ex immensa diffusaque legum copia, optima quaeque et necessaria in paucissimos conferre libros.
(118) Justinian gewesen, in welchen unter jenen allein der Geist des Römischen Rechts erkennbar ist. Der Gedanke zu diesen Gesetzbüchern aber ist augenscheinlich nur durch den äußersten Verfall des Rechts herbeygeführt worden.

Ueber den materiellen Werth des Römischen Rechts können die Meynungen sehr verschieden seyn, aber über die hier dargestellte Meisterschaft in der juristischen Methode sind ohne Zweifel alle einig, welche hierin eine Stimme haben. Eine solche Stimme aber kann offenbar nur denjenigen zukommen, welche unbefangen und mit literarischem Sinn die Quellen des Römischen Rechts lesen. Die es blos aus Compendien oder Vorlesungen kennen, also von Hörensagen, selbst wenn sie einzelne Beweisstellen nachgeschlagen haben mögen, haben keine Stimme: für sie ist jegliche Ansicht möglich, unter andern die eines trefflichen Französischen Redners. Dieser behauptet, das Römische Recht habe zur Zeit der alten Juristen aus einer unzählbaren Menge einzelner Entscheidungen und Regeln bestanden, die ein Menschenleben nicht habe erfassen können: unter Justinian (36) aber „la legislation romaine sortit du chaos,“ und sein Werk war das am wenigsten unvollkommene, bis in dem Code Napoleon ein ganz vollkommenes erschien 1).

5.

Bürgerliches Recht in Deutschland.

(37) Bis auf sehr neue Zeiten war in ganz Deutschland ein gleichförmiges bürgerliches Recht unter dem Namen des gemeinen Rechts in Uebung, durch Landesrechte mehr oder weniger modificirt, aber nirgends in allen seinen Theilen außer Kraft gesetzt. Die Hauptquelle dieses gemeinen Rechts waren die Rechtsbücher von Justinian, deren bloße Anwendung auf Deutschland indessen von selbst schon wichtige Modifikationen herbeigeführt hatte. Diesem gemeinen Rechte war von jeher die wissenschaftliche Thätigkeit der deutschen Juristen größtentheils zugewendet.

1) Motifs de la loi du 3. 8ept. 1807 vor den Ausgaben des Code seit t807, von Bigot-Preameneu.
(119) Aber eben über dieses fremde Element unsers Rechts sind auch schon längst bittere Klagen erhoben worden. Das Römische Recht soll uns unsre Nationalität entzogen haben, und nur die ausschließende Beschäftigung unsrer Juristen mit demselben soll das einheimische Recht gehindert haben, eine eben so selbstständige und wissenschaftliche Ausbildung zu erlangen. Beschwerden dieser Art haben schon darin etwas leeres und grundloses, daß sie als zufällig und willkührlich voraussehen, was ohne innere Nothwendigkeit nimmermehr geschehen oder doch nicht bleibend geworden wäre. Auch liegt überhaupt eine abgeschlossene nationale Entwicklung, wie die der Alten, nicht auf dem Wege, welchen die Natur den neueren Völkern angewiesen hat; wie ihre Religion nicht Eigenthum der Völker ist, ihre Literatur eben so wenig frey von den mächtigsten äußeren Einflüssen, so scheint ihnen auch ein fremdes und gemeinsames bürgerliches Recht nicht unnatürlich. Ja sogar nicht blos fremd überhaupt war dieser Einfluß auf Bildung und Literatur, sondern größtentheils Römisch, eben so Römisch als jener Einfluß auf unser Recht. Allein in diesem Falle liegt noch ein besonderer Irrthum bey jener Ansicht zum Grunde. Nämlich auch ohne Einmischung des Römischen wäre eine ungestörte Ausbildung des Deutschen Rechts dennoch unmöglich gewesen, indem alle die Bedingungen fehlten, welche in Rom das bürgerliche Recht so sehr begünstigt hatten. Dahin gehörte zuerst die unverrückte Localität, indem Rom, ursprünglich der Staat selbst, bis zum Untergang des westlichen Reichs der Mittelpunkt desselben blieb, während die Deutschen Stämme auswanderten, unterjochten und unterjocht wurden, so daß das Recht unter alle vertheilt war, aber nirgends eine unverrückte Stelle, noch weniger einen einzelnen Mittelpunkt fand. Dann haben schon sehr frühe die Deutschen Stämme Revolutionen erfahren von so durchgreifender Art, wie sie die ganze Römische Geschichte nicht kennt. Denn selbst die Aenderungen der Verfassung unter August und unter (39) Constantin wirkten auf das bürgerliche Recht nicht unmittelbar und ließen selbst Grundbegriffe des öffentlichen Rechts, wie z. B. den der Civität, unberührt. In Deutschland dagegen, als das Lehenwesen ganz ausgebildet war, blieb von
(120) der alten Nation eigentlich nichts mehr übrig, alles bis auf Formen und Namen war von Grund aus verändert, und diese gänzliche Umwälzung war schon entschieden, als das Römische Recht Eingang fand.

Im vorigen Abschnitt ist gezeigt worden, wie wichtig das Römische Recht als Muster juristischer Methode sey: für Deutschland ist es nun auch historisch, durch sein Verhältniß zum gemeinen Recht, von großer Wichtigkeit. Es ist ganz falsch, wenn man diese historische Wichtigkeit des Römischen Rechts auf die Fälle einschränken wollte, welche unmittelbar aus demselben entschieden werden. Nicht nur ist in den Landesrechten selbst sehr vieles blos Römisches Recht und nur in seinem ursprünglichen Römischen Zusammenhang verständlich, sondern auch da, wo man absichtlich seine Bestimmungen verlassen hat, hat es häufig die Richtung und Ansicht des neu eingeführten Rechts bestimmt, so daß die Aufgabe, die durch dieses neue Recht gelöst werden soll, ohne Römisches Recht gar nicht verstanden werden kann. Diese historische Wichtigkeit aber theilt mit dem Römischen Recht das Deutsche, welches überall in den Landesrechten erhalten ist, so daß diese ohne Zurückführung (40) auf die gemeinsame Quelle unverständlich bleiben müssen.

Gegen diesen nicht wenig verwickelten Zustand der Rechtsquellen in Deutschland, wie er aus der Verbindung des schon an sich sehr zusammen gesetzten gemeinen Rechts mit den Landesrechten hervorgieng, sind die größten Klagen geführt worden. Diejenigen, welche das Studium betreffen, werden besser unten ihre Stelle finden: einige aber betreffen die Rechtspflege selbst.

Erstlich soll dadurch die übermäßig lange Dauer der Prozesse in vielen Deutschen Ländern bewirkt worden seyn. Dieses Uebel selbst wird niemand abläugnen oder für unbedeutend erklären können, aber man thut den Richtern in solchen Ländern in der That zu viel Ehre an, wenn man glaubt, auf das ängstliche Grübeln über der schweren Theorie werde so viele Zeit verwendet. Ueber diese Theorie hilft das erste Compendium oder Handbuch hinweg, welches zur Hand ist: schlecht vielleicht, aber gewiß mit nicht mehr Aufwand von Zeit als das vortrefflichste
(121) Gesetzbuch. Jenes Uebel entspringt vorzüglich aus der heillosen Prozeßform vieler Länder, und deren Reform gehört allerdings zu den dringendsten Bedürfnissen: die Quellen des bürgerlichen Rechts sind daran schuldlos. Daß dem so ist, wird jeder Unbefangene zugeben, welcher Acten aufmerksam gelesen hat. Auch die Erfahrung einzelner Länder spricht dafür, so z. B. war schon (41) längst in Hessen die Rechtspflege gut und schnell, obgleich da gerade in demselben Verhältniß gemeines Recht und Landesrecht galt, wie in den Landern, in welchen die Prozesse nicht zu Ende gehen.

Zweytens klagt man über die große Verschiedenheit der Landesrechte, und diese Klage geht noch weiter als auf das Verhältniß verschiedener Deutscher Länder, da häufig auch in demselben Lande Provinzen und Städte wiederum besonderes Recht haben. Daß durch diese Verschiedenheit die Rechtspflege selbst leide und der Verkehr erschwert werde, hat man häufig gesagt, aber keine Erfahrung spricht dafür, und der wahre Grund ist wohl meist ein anderer. Er besteht in der unbeschreiblichen Gewalt, welche die bloße Idee der Gleichförmigkeit nach allen Richtungen nun schon so lange in Europa ausübt: eine Gewalt, gegen deren Mißbrauch schon Montesquieu warnt 1). Es lohnt wohl der Mühe, diese Gleichförmigkeit in dieser besondern Anwendung näher zu betrachten. Das wichtigste, was man für die Gleichförmigkeit des Rechts sagt, ist dieses: die Liebe zum gemeinsamen Vaterland werde durch sie erhöht, durch die Mannichfaltigkeit der Particularrechte aber geschwächt. Ist diese Voraussetzung (42) wahr, so wird jeder wohlgesinnte Deutsche wünschen, daß Deutschland in allen seinen Theilen gleiches Recht genießen möge. Aber eben diese Voraussetzung ist nun der Gegenstand unsrer Prüfung.

In jedem organischen Wesen, also auch im Staate, beruht die Gesundheit darauf, daß beides, das Ganze und jeder Theil, im Gleichgewicht stehe, daß jedem sein Recht widerfahre. Daß ein Bürger, eine Stadt, eine Provinz den Staat vergessen, dem sie angehören, ist eine sehr gewöhnliche Erscheinung, und jeder

1) Montesquieu XXIX, 18.
(122) wird diesen Zustand für unnatürlich und krankhaft erkennen. Aber eben so kann die lebendige Liebe zum Ganzen blos aus der lebendigen Theilnahme an allen einzelnen Verhältnissen hervorgehen, und nur wer seinem Hause tüchtig vorsteht, wird ein trefflicher Bürger seyn. Darum ist es ein Irrthum, zu glauben, das Allgemeine werde an Leben gewinnen durch die Vernichtung aller individuellen Verhältnisse. Könnte in jedem Stande, in jeder Stadt, ja in jedem Dorfe ein eigenthümliches Selbstgefühl erzeugt werden, so würde aus diesem erhöhten und vervielfältigten individuellen Leben auch das Ganze neue Kraft gewinnen. Darum, wenn von dem Einfluß des bürgerlichen Rechts auf das Vaterlandsgefühl die Rede ist, so darf nicht geradezu das besondere Recht einzelner Provinzen und Städte für nachtheilig gehalten werden. Lob in dieser Beziehung (43) verdient das bürgerliche Recht, insoferne es das Gefühl und Bewußtseyn des Volkes berührt oder zu berühren fähig ist: Tadel, wenn es als etwas fremdartiges, aus Willkühr entstandenes, das Volk ohne Theilnahme läßt. Jenes aber wird öfter und leichter bey besonderen Rechten einzelner Landstriche der Fall seyn, obgleich gewiß nicht jedes Stadtrecht etwas wahrhaft volksmäßiges seyn wird. Ja für diesen politischen Zweck scheint kein Zustand des bürgerlichen Rechts günstiger, als der, welcher vormals in Deutschland allgemein war: große Mannichfaltigkeit und Eigenthümlichkeit im einzelnen, aber als Grundlage überall das gemeine Recht, welches alle Deutschen Volksstämme stets an ihre unauflösliche Einheit erinnerte. Das verderblichste aber von diesem Standpuncte aus ist leichte und willkührliche Aenderung des bürgerlichen Rechts, und selbst wenn durch dieselbe für Einfachheit und Bequemlichkeit gut gesorgt wäre, so könnte dieser Gewinn gegen jenen politischen Nachtheil nicht in Betracht kommen. Was so vor unsern Augen von Menschenhänden gemacht ist, wird im Gefühl des Volkes stets von demjenigen unterschieden werden, dessen Entstehung nicht eben so sichtbar und greiflich ist, und wenn wir in unserm löblichen Eifer diese Unterscheidung ein blindes Vorurtheil schelten, so sollten wir nicht vergessen, daß aller Glaube und alles Gefühl für das was nicht (44) unsres gleichen ist, sondern höher als wir, auf einer
(123) ähnlichen Sinnesart beruht. Eine solche Verwandtschaft könnte uns über die Verwerflichkeit jener Unterscheidung wohl zweifelhaft machen 1).

6.

Unser Beruf zur Gesetzgebung.

(45) Von den Gründen, auf welche das Bedürfniß eines Gesetzbuchs für Deutschland gebaut zu werden pflegt, ist im vorigen Abschnitt gesprochen worden: wir haben jetzt die Fähigkeit zu dieser Arbeit zu untersuchen. Sollte es an dieser fehlen, so müßte durch ein Gesetzbuch unser Zustand, den wir bessern wollen, nothwendig verschlimmert werden.

Baco forderte, daß die Zeit, in welcher ein Gesetzbuch gemacht werde, an Einsicht die vorhergehenden Zeiten übertreffe, wovon die nothwendige Folge ist, daß manchem Zeitalter, welches in anderer Rücksicht für gebildet gelten mag, gerade diese Fähigkeit abgesprochen werden muß. In den neuesten Zeiten haben sich besonders die Gegner des Römischen Rechts über solche Ansichten nicht selten entrüstet: denn die Vernunft sey allen Völkern und allen Zeiten gemein, und da wir überdem die Erfahrung voriger Zeiten benutzen können, so müsse unfehlbar, was wir verfertigen, besser als alles vorige werden. Aber eben diese Meynung, daß jedes Zeitalter zu allem berufen sey, ist das verderblichste Vorurtheil. In den schönen Künsten müssen wir wohl das Gegentheil (46) anerkennen, warum wollen wir uns nicht dasselbe gefallen lassen, wo von Bildung des Staates und des Rechts die Rede ist?

Sehen wir auf die Erwartungen der Nichtjuristen von einem Gesetzbuch, so sind diese sehr verschieden nach den verschiedenen Gegenständen des Rechts, und auch hierin zeigt sich das zweyfache Element alles Rechts, welches ich oben das politische und das technische genannt habe. An einigen Gegenständen nehmen sie unmittelbar lebhaften Antheil, andere werden als gleichgültig der juristischen Technik allein überlassen: jenes ist mehr im

1) Man vergleiche was über die Gleichförmigleit des Rechts Rehberg über den Code Nap. S. 33 und f., so wie über die wichtigen Folgen der gänzlichen Umwandlung des Rechts derselbe S. 57 u. f. sagt.
(124) Familienrecht, dieses mehr im Vermögensrecht der Fall, am meisten in den allgemeinen Grundlagen desselben 1). Wir wollen als Repräsentanten dieser verschiedenartigen Gegenstände die Ehe und das Eigenthum wählen, was aber von ihnen gesagt werden wird, soll zugleich für die ganze Classe gelten, wozu sie gehören.

Die Ehe gehört nur zur Hälfte dem Rechte an, zur Hälfte aber der Sitte, und jedes Eherecht ist unverständlich, welches nicht in Verbindung mit dieser seiner nothwendigen Ergänzung betrachtet wird. Nun ist in neueren Zeiten aus (47) Gründen, die mit der Geschichte der christlichen Kirche zusammenhangen, die nichtjuristische Ansicht dieses Verhältnisses theils flach, theils im höchsten Grade schwankend und unbestimmt geworden, und jene Flachheit, wie dieses Schwanken, haben sich dem Recht der Ehe mitgetheilt. Wer die Gesetzgebung und das practische Recht in Ehesachen aufmerksam betrachtet, wird darüber keinen Zweifel haben. Diejenigen nun, welche glauben, daß jedes Uebel nur auf ein abhelfendes Gesetz warte, um dann auf der Stelle zu verschwinden, werden diesen traurigen Zustand gern anerkennen, um dadurch das Bedürfniß einer kräftigen, durchgreifenden Gesetzgebung in helles Licht zu setzen. Aber eben die Hoffnung, die sie hierin auf Gesetze bauen, halte ich für ganz grundlos. Ist einmal in der allgemeinen Ansicht eine bestimmte und löbliche Richtung sichtbar, so kann diese durch Gesetzgebung kräftig unterstützt werden, aber hervorgebracht wird sie durch diese nicht, und wo sie gänzlich fehlt, wird jeder Versuch einer erschöpfenden Gesetzgebung den gegenwärtigen Zustand nur noch schwankender machen und die Heilung erschweren.

Wir betrachten ferner diejenigen Gegenstände, welche (wie das Eigenthum) im nichtjuristischen Publikum mit Gleichgültigkeit betrachtet werden, und wovon selbst Juristen urtheilen, daß sie unter allen Umständen dieselben seyn können 2), so daß sie (48) lediglich der juristischen Technik anheim fallen. Daß wir diese Ansicht von ihnen haben, ist eigentlich selbst schon Zeichen eines

1) Die Diskussionen des französischen Staatsraths über den Code geben eine bequeme Uebersicbt über das Verhältniß dieser Theile: bey jenen konnten die Nichtjuristen kein Ende finden, von diesen war oft gar nicht die Rede.

 2) Tbibaut a. a. O. p. 51 (?).
(125) öffentlichen Zustandes, welchem die rechtsbildende Kraft fehlt; denn wo diese lebendig ist, werden alle diese Verhältnisse nichts weniger als gleichgültig, sondern vielmehr ganz eigenthümlich und nothwendig seyn, wie die Geschichte jedes ursprünglichen Rechts beweist. Jenen Zustand aber als den unsrigen vorausgesetzt, wird unsre Fähigkeit zur Gesetzgebung von dem Werthe und der Ausbildung unsrer juristischen Technik abhangen, und auf diese muß demnach unsre Untersuchung zunächst gerichtet seyn.

Unglücklicherweise nun ist das ganze achtzehente Jahrhundert in Deutschland sehr arm an großen Juristen gewesen. Fleißige Männer zwar fanden sich in Menge, von welchen sehr schätzbare Vorarbeiten gethan wurden, aber weiter als zu Vorarbeiten kam es selten. Ein zweyfacher Sinn ist dem Juristen unentbehrlich: der historische, um das eigenthümliche jedes Zeitalters und jeder Rechtsform scharf aufzufassen, und der systematische, um jeden Begriff und jeden Satz in lebendiger Verbindung und Wechselwirkung mit dem Ganzen anzusehen, d. h. in dem Verhältniß, welches das allein wahre und natürliche ist. Dieser zweyfache wissenschaftliche Sinn findet sich ungemein wenig in den Juristen des achtzehnten Jahrhunderts, und vorzüglich ein vielfältiges flaches Bestreben in der Philosophie wirkte sehr ungünstig. Ueber (49) die Zeit, in welcher man selbst lebt, ist ein sicheres Urtheil sehr schwer: doch, wenn nicht alle Zeichen trügen, ist ein lebendigerer Geist in unsre Wissenschaft gekommen, der sie künftig wieder zu einer eigenthümlichen Bildung erheben kann. Nur fertig geworden ist von dieser Bildung noch sehr wenig, und aus diesem Grunde läugne ich unsre Fähigkeit, ein löbliches Gesetzbuch hervorzubringen. Viele mögen dieses Urtheil für übertrieben halten, aber diese fordere ich auf, mir unter der nicht geringen Zahl von Systemen des Römisch-Deutschen Rechts eines zu zeigen, welches nicht etwa blos zu diesem oder jenem besondern Zwecke nützlich dienen könne, denn deren haben wir viele sondern welches als Buch vortrefflich sey; dieses Lob aber wird nur dann gelten können, wenn die Darstellung eine eigene, selbstständige Form hat, und zugleich den Stoff zu lebendiger Anschauung bringt. So z. B. im Römischen Rechte würde es darauf ankommen, daß die Methode der alten Juristen, der Geist,
(126) der in den Pandekten lebt, erkennbar wäre, und ich würde mich sehr freuen, dasjenige unsrer Systeme kennen zu lernen, worin dieses der Fall seyn möchte. Hat nun diese Arbeit bey vielem Fleiße und guten Talenten bis jetzt nicht gelingen wollen, so behaupte ich, daß in unsrer Zeit ein gutes Gesetzbuch noch nicht möglich ist, denn für dieses ist die Arbeit nicht anders, nur schwerer. Es giebt noch eine andere Probe für unsre Fähigkeit: vergleichen wir (50) unsre juristische Literatur mit der literarischen Bildung der Deutschen überhaupt, und sehen wir zu, ob jene mit dieser gleichen Schritt gehalten hat, das Urtheil wird nicht günstig ausfallen, und wir werden ein ganz anderes Verhältniß finden, als das der Römischen Juristen zur Literatur der Römer. In dieser Ansicht liegt keine Herabsetzung, denn unsre Aufgabe ist in der That sehr groß, ohne Vergleichung schwerer als die der Römischen Juristen war. Aber eben die Größe dieser Aufgabe sollen wir nicht verkennen aus Bequemlichkeit oder Eigendünkel, wir sollen nicht am Ziel zu seyn glauben, wenn wir noch weit davon entfernt sind.

Haben wir nun in der That nicht was nöthig ist, damit ein gutes Gesetzbuch entstehe, so dürfen wir nicht glauben, daß das wirkliche Unternehmen eben nichts weiter seyn würde, als eine fehlgeschlagene Hoffnung, die uns im schlimmsten Fall nur nicht weiter gebracht hätte. Von der großen Gefahr, die unvermeidlich eintritt, wenn der Zustand einer sehr mangelhaften unbegründeten Kenntniß durch äußere Autorität fixiert wird, ist schon oben (S. 22) gesprochen worden, und diese Gefahr würde hier um so größer seyn, je allgemeiner die Unternehmung wäre und je mehr sie mit dem erwachenden Nationalinteresse in Verbindung gebracht würde. Nahe liegende Beyspiele geben in solchen Dingen oft ein weniger deutliches Bild: ich will also, um (51) anschaulich zu machen, was auf solche Weise entstehen kann, an die Zeit nach der Auflösung des weströmischen Reichs erinnern, wo eben so ein unvollkommner Zustand der Rechtskenntniß fixirt worden ist (S. 34). Der einzige Fall, der hier eine Vergleichung darbietet, ist das Edict des Ostgothischen Theoderich, weil hier allein das vorhandene Recht in einer eigenen, neuen Form dargestellt werden sollte. Ich bin weit entfernt zu
(127) glauben, daß, was wir hervorbringen könnten, diesem Edict völlig gleich sehen würde, denn der Unterschied der Zeiten ist in der That sehr groß: die Römer im Jahr 500 hatten Mühe zu sagen was sie dachten, wir verstehen gewissermaaßen zu schreiben: ferner gab es damals gar keine juristische Schriftsteller, wir haben daran keinen Mangel. Allein darin ist die Ähnlichkeit unverkennbar, daß dort ein historischer Stoff dargestellt werden sollte, den man nicht übersah und nicht regieren konnte, und den wir Mühe haben in dieser Darstellung wieder zu erkennen. Und darin ist der Nachteil (!) entschieden auf unsrer Seite, daß im Jahr 500 nichts zu verderben war. In unsrer Zeit dagegen ist ein lebendiges Bestreben nicht abzuläugnen, und niemand kann wissen, wie viel besseres wir der Zukunft entziehen, indem wir gegenwärtige Mängel befestigen. Denn „ut corpora lente augescunt, cito extinguuntur; sic ingenia studiaque oppresseris facilius quam revocaveris. 1)

(52) Ein wichtiger Punkt ist noch zu bedenken, die Sprache nämlich. Ich frage jeden, der für würdigen, angemessenen Ausdruck Sinn hat, und der die Sprache nicht als eine gemeine Geräthschaft, sondern als Kunstmittel betrachtet, ob wir eine Sprache haben, in welcher ein Gesetzbuch geschrieben werden könnte. Ich bin weit entfernt, die Kraft der edlen Deutschen Sprache selbst in Zweifel zu ziehen; aber eben daß sie jetzt nicht dazu taugt, ist mir ein Zeichen mehr, daß wir in diesem Kreise des Denkens zurück sind. Kommt nur erst unsre Wissenschaft weiter, so wird man sehen, wie unsre Sprache durch frische, ursprüngliche Lebenskraft förderlich seyn wird. Noch mehr, ich glaube wir sind in diesem Stücke noch in neueren Zeiten rückwärts gegangen. Ich kenne aus dem achtzehnten Jahrhundert kein Deutsches Gesetz, welches in Ernst und Kraft des Ausdrucks mit der peinlichen Gerichtsordnung Karls des fünften verglichen werden könnte.

Ich weiß, was man auf diese Gründe antworten kann, selbst wenn man sie alle zugiebt: die Kraft des menschlichen Geistes sey unendlich, und bey redlichem Streben könne auch jetzt plötzlich ein Werk hervorgehen, woran von allen diesen

1) Tacitus, Agricola C. 3.
(128) Mängeln keiner verspürt würde. Wohl: der Versuch steht jedem frey, an Aufmerksamkeit fehlt es unsrer Zeit nicht, und es hat keine Gefahr, daß das wirkliche Gelingen übersehen werde.

(53) Ich habe bis jetzt die Fähigkeit unsrer Zeit zu einer allgemeinen Gesetzgebung untersucht, als ob dergleichen noch nicht unternommen worden wäre. Ich wende mich jetzt zu den Gesetzbüchern, welche die neueste Zeit wirklich hervorgebracht hat.

7.

Die drey neuen Gesetzbücher.

(54) Die vollständige Kritik eines Gesetzbuchs, die von größerem Umfang seyn muß, als das Gesetzbuch selbst, kann eben deshalb in den Gränzen einer kleinen Schrift nicht versucht werden. Auch kommt es hier auf diese Gesetzbücher nicht sowohl in ihrem Werthe im einzelnen an, als in der Wahrscheinlichkeit, die sie uns für oder wider das Gelingen einer neuen Unternehmung dieser Art darbieten. Sie sind nämlich sämtlich aus demjenigen Zustande juristischer Bildung hervorgegangen, für welchen oben die Fähigkeit zur Verfertigung eines guten Gesetzbuchs verneint worden ist, und sie werden folglich historisch zur Bestätigung oder Widerlegung unsrer Behauptung dienen können. Ich stelle den Code Napoleon zuerst, weil über ihn allein ausführliche Verhandlungen bekannt gemacht sind, welche recht unmittelbar zu unsrem Zwecke führen können. 1)

(55) Bey dem Code sind die politischen Elemente der Gesetzgebung vor den technischen von Einfluß gewesen, und er hat deshalb in dem bestehenden Rechte mehr als die deutschen Gesetzbücher geändert. Die Gründe und die Natur dieses überwiegenden Einflusses sind neuerlich in einer sehr geistreichen

1) Ich werde dabey auf folgende Schriften verweisen: Conférence du code civil avec la disccussion … du conseil d'etat et du tribunat. Paris Didot 1805. 8. vol. in 12. - Code civil suivi de l’exposé des motifs (die Reden im corps legislatif). Paris Didot 1804. 8. vol. in 12. - (Crussaire) Analyse des observations des (55) tribunaux d’appel et du tribunal de cassation sur le projet de code civil. Paris 1802. 4. - Maleville analyse raisonnée de la discussion du code eivil, ed. 2. Paris 1807. 4. vol. in 8. Der Code und das Projet de code civil sind ohnehin bekannt.
(129) Schrift so gründlich dargestellt worden 1), daß ich mich begnügen kann, ihre Ansichten hier kurz zusammen zu fassen. Die Revolution nämlich hatte zugleich mit der alten Verfassung auch einen großen Theil des bürgerlichen Rechts vernichtet, beides mehr aus blindem Trieb gegen das bestehende und in ausschweifenden, sinnlosen Erwartungen von einer unbestimmten Zukunft, als von dem Wahn eines bestimmten, für treffiich gehaltenen Zustandes geleitet. Als nun Bonaparte alles unter militärischen Despotismus zwang, hielt er den Theil der Revolution, der ihm diente, und die Rückkehr der alten Verfassung ausschloß, begierig fest, das übrige, was nun schon Alle anekelte, und was ihm selbst entgegen gewesen wäre, sollte verschwinden, nur war dies nicht überall möglich, da (56) die Wirkung der vergangenen Jahre auf Bildung, Sitten und Gesinnungen nicht auszulöschen war. Diese halbe Rückkehr zu den vorigen ruhigen Zuständen war allerdings wohlthätig, und sie gab dem Gesetzbuch, das in dieser Zeit entstand, seine Hauptrichtung. Aber diese Rückkehr war Ermüdung und Ueberdruß, nicht der Sieg edlerer Kräfte und Gesinnungen, auch wäre für diese in dem öffentlichen Zustand, der sich nun zur Plage von Europa bildete, kein Raum gewesen. Diese innere Bodenlosigkeit ist in den Diskussionen des Staatsraths unverkennbar, und muß auf jeden aufmerksamen Leser einen trostlosen Eindruck machen. Dazu kam nun der unmittelbare Einfluß der Staatsverfassung. Diese war, als der Code gemacht wurde, der Theorie nach republikanisch im Sinn der Revolution, in der That aber neigte sich schon alles zu dem später entwickelten Despotismus. Daher entstand in den Grundsätzen selbst Schwanken und Veränderlichkeit, so z. B. erklärte Bonaparte selbst 1803 im Staatsrathe dieselben Familienfideicommisse für schädlich, unsittlich und unvernünftig 2), welche 1806 wieder eingeführt und 1807 in den Code aufgenommen wurden. Weit gefährlicher aber für die Gesinnung war es, daß durch diesen schnellen (57) Wechsel der letzte so oft beschworene Gegenstand

1) Rehberg über den Code Napoleon. Hannover i814. 8.

2) Conférence T. 4. p. 126. „Ces substitutions étaient contraires à l'intérêt de l’agriculture, aux bonne» moeurs, à la raison; personne ne pense à les rétablir.”


(130) des Glaubens und der Verehrung wieder vernichtet wurde, und daß Ausdrücke und Formen nunmehr beständig mit den Begriffen in Widerspruch kamen, wodurch in den Meisten auch der letzte Rest von Wahrheit und sittlicher Haltung verschwinden mußte. Es würde schwer seyn, einen öffentlichen Zustand zu erfinden, welcher für die Gesetzgebung nachtheiliger als dieser wirkliche wäre. Auch blickt bey den Franzosen selbst nicht selten durch die stehenden Lobpreisungen ein Gefühl dieses unseeligen Zustandes und der Unvollkommenheit der auf denselben gegründeten Arbeit hervor 1). Für Deutschland aber, das der Fluch dieser Revolution nicht getroffen hatte, war der Code, der Frankreich einen Theil des Weges zurück führte, vielmehr ein Schritt vorwärts in den Zustand der Revolution hinein, folglich verderblicher und heilloser als für Frankreich selbst 2). - Doch alle diese Ansichten haben glücklicherweise für uns Deutsche nur noch ein historisches Interesse. Napoleon zwar hatte es anders gemeynt. Ihm diente der Code als ein Band mehr, die Völker zu umschlingen, und darum (58) wäre er für uns verderblich und abscheulich gewesen, selbst wenn er allen innern Werth gehabt hätte, der ihm fehlt. Von dieser Schmach sind wir erlöst, und es wird bald wenig mehr davon übrig seyn, als die Erinnerung, daß so manche Deutsche Juristen, selbst ohne allen äußeren Beruf, recht vergnügt mit diesem Instrument gespielt, und uns Heil verkündigt haben von dem was uns zu verderben bestimmt war. Jetzt hat der Code eine andere Stellung gegen Europa angenommen, und wir können ihn ruhig und unparteyisch als ein Gesetzbuch für Frankreich beurtheilen.

Wir betrachten nunmehr den technischen Theil des Code, welcher gedacht werden könnte ohne alle Revolution, indem er schon bestehendes Recht enthält 3). Dieses bestehende Recht aber

1) Einige Stellen s. bey Rehberg S. 141. 163. 177. 187.

2) Dieses sind im wesentlichen die Ansichten von Rehberg, und ich sehe nicht, wie man diesen ungerechte Bitterkeit vorwerfen kann: die Anwendung auf manche einzelne Stellen läßt sich freylich bestreiten.

3) Die Beurtheiluug des Code von dieser Seite lag außer Rehbergs Zweck. Viel treffliches hierüber enthält Thibauts Rec. von Rehbergs Schrift in den Heidelb. Jahrb. 1814. Jan. S. 1 u. f.


(131) ist theils Römisches, theils Französisches (coutumes), so daß auch dieser Theil des Code in jedem einzelnen Stücke von Frankreich zur Hälfte neues Recht einführte, und nirgends willkommen war 1); derselbe Erfolg würde bey einem ähnlichen Versuche in Deutschland unvermeidlich seyn. Davon abgesehen, wenden wir uns nun zur Arbeit selbst. Es ist selbst in Deutschland (59) nicht selten der Ernst und die Gründlichkeit gerühmt worden, womit man diese Arbeit betrieben habe 2). Daß die vier Redactoren mit der Grundlage des ganzen (dem projet de code civil) in wenigen Monaten zu Stande kamen, war freylich nicht zu läugnen: aber alles, was hier mangeln mochte, sollte in der Discussion des Staatsraths, diesem Stolze der Französischen Administration, vollendet worden seyn. Daß in dieser Discussion öfters auch gute Gedanken vorkamen, ist wahr, aber den allgemeinen Character derselben hat Thibaut sehr richtig in oberflächliches Hin- und Herreden und Durcheinandertappen gesetzt 3). Doch, was hier die Hauptsache ist, das eigentlich technische, wovon der wahre Werth abhieng, ist so gut als gar nicht zur Sprache gekommen. Und wie konnte es auch anders seyn! Einem sehr zahlreichen und sehr gemischten Collegium konnten wohl Fragen begreiflich gemacht werden, wie diese, ob der Vater seine Tochter ausstatten müsse, und ob der Kauf wegen großer Läsion angefochten werden könne, aber die allgemeine Theorie des Sachenrechts und der Obligationen ist nun einmal nicht ohne wissenschaftliche Vorbereitung zu verstehen, ja sie (60) konnte nicht einmal zur Sprache kommen bey einer Discussion, die den Entwurf blos nach der Reihe der einzelnen Artikel prüfte, ohne den Inhalt und die Behandlung ganzer Abschnitte zu untersuchen. So ist es denn gekommen, daß z. B. die Discussion über die Anfechtung des Kaufs wenigstens viermal so stark ist, als die über die zwey ersten Kapitel der Verträge 4). Und doch wird mir jeder Sachkundige zugeben, daß

1) Vgl. hierüber die ungemein vortrefflichen Bemerkungen des Appellationsgerichts von Montpellier bey Crussaire p. 5-9.

2) Z. B. von Seidensticker Einleitung in den Codex. Napoleon S. 221-224.

3) Heidelb. Jahrb. 1814. Jan. S. 12.

4) Jene, über art. 1674-1685, steht conférence T. 6. p. 48-94, diese über a. 1101-1133, T. 5. p. 1-21, und davon nimmt der Text wenigstens die Hälfte ein.
(132) für den Werth und die Brauchbarkeit des Gesetzbuchs überhaupt jene isolirte Fragen gegen diese allgemeinen Lehren ganz unbedeutend sind. Der Staatsrath also hat an dem Code, soweit er technisch ist, keinen Theil, und der Code ist und bleibt die sehr schnelle Arbeit der bekannten Redactoren, eigentlicher Juristen. Und wie stand nun die Rechtswissenschaft in Frankreich, als diese Männer sich bildeten? Es ist allgemein bekannt, daß für das Römische Recht Pothier der Leitstern der neuern Französischen Juristen ist, und daß seine Schriften den unmittelbarsten Einftuß auf den Code gehabt haben. Ich bin weit entfernt, Pothier gering zu schätzen, vielmehr wäre die Jurisprudenz eines Volkes, worin er einer von vielen wäre, recht gut berathen. Aber eine juristische Literatur, in welcher er allein steht, (61) und fast als Quelle verehrt und studiert wird, muß doch Mitleid erregen. Betrachten wir ferner diese juristische Gelehrsamkeit, wie sie in unläugbaren Thatsachen vor uns liegt, so ist sie in der That merkwürdig. Sehr bedeutend sind schon solche Erscheinungen wie Desquiron 1), der von einem Römischen Juristen Justus Lipsius bald nach den zwölf Tafeln und von dem berühmten Sicardus unter Theodosius ll., Verfasser des Codex Theodosianus, erzählt; selbst solche Monstrositäten verstatten einen Schluß auf den mittleren Durchschnitt des wissenschaftlichen Zustandes. Allein wir wollen uns unmittelbar an die Verfasser des Gesetzbuchs wenden, an Bigot-Preameneu, Portalis und Maleville. Von den gelehrten Ansichten des ersten ist bereits oben (35) eine Probe vorgekommen. Von Portalls mag die folgende Probe genügen. Der art 6. enthält die Regel: jus publicum privatorum pactis mutari nun potest. Man hatte den Einwurf gemacht, jus publicum heiße nicht das Recht was den Staat interessirt, sondern jedes Gesetz ohne Unterschied, jedes jus publice stabilitum. Darauf antwortet Portalis 2) : im allgemeinen seyen (62) beide Bedeutungen des Worts zuzugeben, aber es frage sich, was es eben in dieser Stelle des Römischen Rechts heiße. „Or, voici comment est conçu

1) Desquiron esprit des Institutes de Justinien conféré avec le code Nap. Paris Renauidière, 1807. 2 vol. 4., in der historischen Einleitung.

2) Moniteur an X. N. 86. p. 339. Die Rede gehört zu den nachher unterdrückten Verhandlungen.
(133) le sommaire de la loi 31me au Digeste de pactis: contra tenorem legis privatam utilitatem continentis pacisci licet. … Ainsi, le droit public est ce qui intéresse plus directement la société que les particuliers.” Ich will nicht davon reden, daß hier jus publicum oberflächlich und schief verstanden ist, aber ich frage: was lag bey dieser allgemeinen Regel daran, wie sich die Römer eine ähnliche Regel dachten? und wenn daran etwas lag, wie war es möglich, den Sprachgebrauch der Römer aus einer Stelle des Bartolus (denn von diesem ist das summarium) darzuthun, d. h. diesen mit den Römischen Juristen für Eine Masse zu halten? Das heißt doch wohl tamquam e vinculis sermocinari! Maleville zeigt sich in seinem Buche durchaus als ein ehrenwerther und verständiger Mann: aber einige Spuren seiner juristischen Gelehrsamkeit sind um so entscheidender, da er gerade unter die Repräsentanten des Römischen Rechts bey der Redaktion des Code gehörte. So z. B. giebt er eine kleine Uebersicht der Geschichte der Usucapion und der res mancipi, die einzig in ihrer Art ist 1): so (63) lange die Römer nur kleines und nahes Landeigenthum hatten, sagt er, waren zwey Jahre zur Verjährung hinreichend, als sie aber in den Provinzen, also in großer Entfernung von Rom, Land erwarben, wurden zehen Jahre erfodert (die longi temporis praescriptio). Res mancipi hießen die Italischen Grundstücke und alle bewegliche Sachen, bey beweglichen Sachen gieng durch bloße Tradition Eigenthum über und Usucapion ging nur auf res mancipi; bey res nec mancipi aber, d. h. bey Provinzialgrundstücken, gab es eine longi temporis praescriptio, wozu kein Titel gehörte; der Inhaber derselben hieß dominus bonitarius. An einer andern Stelle ist von der Justinianischen Usucapion die Rede: man müsse unterscheiden zwischen dem Diebe selbst und dem dritten, welcher von dem Diebe kaufe, jener brauche 30 Jahre, bey diesem komme die L. un. C. de usuc. transform. in Anwendung, also dreyjährige Verjährung 2), ganz als ob von res furtiva bey den Römern niemals die Rede gewesen wäre. Ein anderer sehr merkwürdiger Fall betrifft Portalis und Maleville zugleich. Bey der Ehescheidung nämlich wird beständig Römisches Recht

1) Maleville analyse T. 4. p. 358. 359.

2) l. c. p. 407.
(134) mit zur Sprache gebracht, aber Portalis und Maleville gehen aus von einer Geschichte der Römischen Ehescheidung, welche nicht etwa blos falsch, (64) sondern ganz unmöglich ist; so z. B. glauben beide, die Ehe habe nicht von einem Ehegatten einseitig, sondern nur durch Uebereinkunft getrennt werden können, wodurch in der That das ganze Recht der Pandekten, ja selbst das von Justinian über diesen Gegenstand, vollkommen sinnlos wird; selbst die Scheidung durch Uebereinkunft sey bey den Römern blos eine Folge der irrigen Ansicht, daß die Ehe mit anderen Contracten auf gleicher Linie stehe 1)! Und dieses betraf hier nicht etwa eine geschichtliche Curiosität, sondern Grundsätze, welche auf die Discussion unmittelbaren Einfluß hatten, wie denn z. B. gerade das unverständigste in der ganzen Geschichte der Römischen Ehescheidung zum allgemeinen Ekel in den Art. 230 aufgenommen ist. Dieser Zustand juristischer Gelehrsamkeit aber ist nicht als Hochmuth oder Verstockung auszulegen; bey den Debatten über die Rescission des Kaufs führte einem Staatsrath der Zufall die Dissertation von Thomasius über die L. 2. C. de resc. vend. in die Hände, und es ist ordentlich rührend zu sehen, mit welchem Erstaunen diese Schrift aufgenommen, excerpirt und discutirt wird 2). Mit ähnlicher und besserer Gelehrsamkeit (65) könnten wir freilich noch in anderen Materien dienen! auch kann man dieser literarischen Unschuld keine nationale Parteylichkeit vorwerfen, denn bekanntlich lebten in Frankreich im 16ten Jahrhundert einige Leute, von denen man noch jetzt Römisches Recht lernen kann. Aber ich selbst habe einen juristischen Professor in Paris sagen hören, die Werke des Cujaz dürften zwar in einer sehr vollständigen Bibliothek nicht fehlen, gebraucht würden sie indessen nicht mehr, weil alles gute aus ihnen bey Pothier stehe.

So viel von dem Boden, worauf der Code gewachsen ist, nun von der Frucht selbst. Materielle Vollständigkeit lag nicht im Plane, es kam daher auf folgende drey Stücke an: Auswahl der Gegenstände, Auswahl der Bestimmungen über jeden Gegenstand, und Verhältniß zu demjenigen, was in subsidium gelten

1) Conférence T. 2 p. 123. 124. 136. Der Irrthum von Emmery p. 139 ist um einige Grade geringer.

2) Conférence T. 6 p. 44.
(135) sollte, wo der Code nicht zureichen würde. - Die Auswahl der Gegenstände war für den praktisch gebildeten Juristen das leichteste, aber gerade diese ist hier so ungeschickt ausgefallen, daß für die Anwendung die fühlbarsten Lücken im großen entstehen. Nicht Erfahrung und praktischer Sinn hat sie bestimmt, sondern der Anstoß, welchen herkömmliche Lehrart gegeben hatte, und geht man weiter zurück, so wird man häufig finden, daß wichtige Gegenstände blos deswegen fehlen, weil sie auch gar nicht oder nur beyläufig in Justinians Institutionen vorkommen, die ja so vielen neueren Systemen oft (66) unbemerkt zum Grunde liegen 1). Doch dieser Mangel kann uns gleichgültiger seyn, da er in jedem künftigen Fall leicht zu vermeiden wäre.

Weit wichtiger in dieser Rücksicht, und weit schwerer an sich, ist die Auswahl der Bestimmungen über die wirklich abgehandelten Gegenstände, also das Finden der Regel, wodurch künftig die Masse des einzelnen regiert werden soll. Hier kam es darauf an, selbst im Besitz der leitenden Grundsätze zu seyn, worauf alle Sicherheit und Wirksamkeit im Geschäft des Juristen beruht (22), und worin die Römer so groß als Muster vor uns stehen. Gerade von dieser Seite aber erscheint die Arbeit der Franzosen am allertraurigsten, wie nunmehr in einigen Beyspielen gezeigt werden soll.

Ein Hauptfehler, der überall fühlbar wird, ist dieser. Die Theorie des Vermögensrechts ist im Ganzen die Römische. Bekanntlich beruht aber das Römische Vermögensrecht auf zwey Grundbegriffen, der dinglichen Rechte nämlich und der Obligationen, und jeder weiß, wie viel die Römer mit der Schärfe und Bestimmtheit dieser Begriffe ausrichten. Diese Grundbegriffe nun sind hier nicht etwa blos nirgends definirt, was ich gar nicht tadeln wollte, sondern sie kennen sie gar nicht in dieser Allgemeinheit, und diese (67) Unkunde verbreitet über das ganze Werk mehr Dämmerung, als man glauben sollte. Allein dieser Punkt, so wichtig er ist, bleibt doch zu sehr im allgemeinen stehen; die Lehre von der Ungültigkeit juristischer Handlungen in Anwendung auf die Verträge, auf die actes de l’état civil

1) Beyspiele wichtiger Materien, die im Code ganz oder größtentheili fehlen, stehen in den Heidelb. Jahrb. 1814 Januar S. t3.
(136) und auf die Ehe, wird Gelegenheit geben, mehr in das besondere einzugehen. Für die Ungültigkeit der Verträge hat das Römische Recht den bekannten Unterschied von ipso jure und per exceptionem, der im alten Recht mit der höchsten Bestimmtheit ausgebildet war, und noch im Justinianischen Recht wohl mehr, als man gewöhnlich annimmt, wirksam geblieben ist. Im Code kommt ein Gegensatz von convention nulle de plein droit und action en nullité ou en rescision vor (a. 1117). Ob die Verfasser diesen Gegensatz für einerley mit jenem Römischen gehalten haben, kann uns gleichgültig seyn: aber sehr wichtig ist es, daß die Theorie dieser indirecten Ungültigkeit (durch action en nullité) ganz unbestimmt gelassen ist. Es kommt fast nichts davon vor, als die Zeit der Verjährung (a. 1304), während sehr viele und sehr wichtige Verschiedenheiten der Wirkung gerade so noch jetzt statt finden können, wie sie bey den Römern statt fanden, also auf irgend eine Weise bestimmt werden mußten, da die Sache einmal angeregt war. - Für die actes de l’état civil ist eine Menge von Förmlichkeiten vorgeschrieben, die ihrer (68) Natur nach ganz willkührlich sind (.. l. T. 2. Ch. 1.). Aber eben deshalb war es doppelt nöthig zu bestimmen, was für Folgen die Vernachlässigung dieser Formen haben sollte. Mehrere Gerichtshöfe machten auf diese Notwendigkeit aufmerksam 1), dennoch enthält der Code davon gar nichts. Man sollte nun denken, in Paris sey man über die Sache selbst so sicher und einig gewesen, daß man eine ausdrückliche Bestimmung für überflüssig gehalten hätte; keinesweges. Cambaceres nimmt an, die Nichtbeobachtung jeder Form erzeuge Nullität, d. h. sie vernichte alle Beweiskraft der Urkunde. Tronchet dagegen meynt, bey Geburt und Tod komme auf die Formen gar nichts an, und Falsum allein könne entkräften: bey Ehe hingegen, lasse sich allerdings eine solche Nullität wegen fehlender Form denken. 2) Simeon aber nimmt an, die nichtbeobachtete Form entkräfte niemals den Beweis, also auch nicht bey Ehe. 3) Ist nun diese Meynung richtig, so gehörten alle diese Formen gar nicht in

1) Lyon und Rouen, bey Crussaire p. 43. 52.

2) Conférence T. 1. p. 204. 267.

3) Motifs T. 2. p. 115
(137) den Code, sondern in die bloße Instruction der Beamten, die Fassung des Code also spricht eigentlich gegen diese Meynung. Die Sache ist aber um so schlimmer, da diese Formen bey den Todtenlisten wenigstens (69) in Paris ganz unausführbar sind, und auch in den Provinzen ihre Aufrechthaltung nur gewünscht wird. 1). - Noch weit wichtiger aber ist die Lehre von der Ungültigkeit der Ehe. Das Römische Recht hatte hier einen sehr einfachen und sehr klaren Weg eingeschlagen. Fehlte eine Bedingung gültiger Ehe, so hieß es: non est matrimonium, und auf dieses Nichtdaseyn konnte sich zu jeder Zeit jeder berufen, der Lust dazu hatte; eine besondere Klage zur Aufhebung war nicht nöthig, ja nicht denkbar, also gab es auch keine Verjährung noch andere Beschränkung dieses Rechts. Diese Einfachheit genügte, weil für jeden andern Fall die einseitige Ehescheidung aushalf; daß man in unsern Zeiten damit nicht auskam, war natürlich, und man konnte also außer den Fällen jener Nullität (welche ich die Römische Nullität nennen will) noch ein besonderes Recht auf Anfechtung aufstellen, was man (da es auf das Wort nicht ankommt) immerhin action en nullité nennen mochte. Wie verhält sich nun dazu der Code? er nimmt zweyerlei Nullitäten an, absolute und relative (L. 1. T. 5 Ch. 4.). Dieses möchte man wohl gerade für den hier beschriebenen Gegensatz halten, so daß z. B. Vernachlässigung der Trauungsform eine Römische Nullität wäre. Genau so versteht es auch Portalis 2), der eben für diesen speciellen Fall (70) die wahre, ächte Nullität mit lebhaften Farben ausmahlt. Allein Maleville nimmt die Römische Nullität (das non est matrimonium) außer allen diesen Anfechtungsrechten (mariage qui peut être cassé) und verschieden von denselben an, so daß es dreyerley gäbe: 1. non est matrimonium; 2. absolute Nullität des Code; 3. relative Nullität 3). Auch bey Nr. 2 läßt sich wohl etwas denken, nämlich es wäre ein Klagerecht auf Vernichtung, was jeder hätte, aber doch ein bloßes Klagerecht, so daß ohne alle Klage, und wenn z. B. ein Ehegatte gestorben wäre, die Ehe mit allen Folgen gültig bliebe;

1) Maleville T. 1. p. 104.

2) Motifs T. 2. p. 255.

3) Maleville T. 1. p. 165.
(138) nur wäre das freylich eine überflüssige Subtilität. Aber noch verwickelter ist die Ansicht von Maleville in dem speciellen Fall, wenn die Trauungsform fehlt. Diese Ehe, sagt der Art. 191. peut être attaqué von jedermann; aber Art. 193. läßt merken, es werde Fälle dieser Art geben, in welchen die Ehe nicht werde aufgehoben werden, doch ohne diese Fälle zu nennen. Aus beiden Stellen zieht Maleville folgendes Resultat 1): die Ehe peut être attaqué, d. h. man kann auf Aufhebung klagen, das Gesetz verwehrt die Klage nicht, aber was der Richter thun will, ist seine Sache, oder mit andern Worten, die Aufhebung der Ehe hangt von der (71) Willkühr des Richters ab. Das wäre folglich noch eine vierte Art der Ungültigkeit, verschieden von den drey oben angegebenen. Schwerlich giebt es einen Fall, in welchem richterliche Willkühr gefährlicher und unpassender ist als in diesem. Ob sie gilt, steht freylich dahin, denn das Gesetz sagt davon eigentlich nichts, und zwey Redactoren haben darüber, wie ich gezeigt habe, ganz entgegen gesetzte Meynungen. Aus zwey Gründen aber wird diese Ungewißheit noch besonders hart: erstlich, weil sich in Paris (und wahrscheinlich nicht bloß da) die meisten Armen der Kosten wegen gar nicht trauen lassen 1), zweytens weil die Form der Trauung selbst eine höchst schwankende Bedingung in sich faßt. Nämlich die Trauung muß nothwendig von dem officier de domicile eines der beyden Ehegatten geschehen, so daß nicht einmal Delegation zulässig ist 2). Aber das domicile ist hier nicht das sonst gewöhnliche (Art. 102), sondern ein besonderes, für die Trauung allein erfundenes, nämlich Aufenthalt von 6 Monaten (Art. 74), so daß man nicht einmal zwischen beiden Arten von domicile zu diesem Zwecke die Wahl hat 4). Wie oft nun muß es bey manchen Gewerben zweifelhaft seyn, ob man auch bey dem besten (72) Willen den rechten Beamten getroffen hat! In jedem Falle dieser Art aber ist das ganze Schicksal einer Familie der völlig blinden Willkühr eines Gerichts überlassen, welchem bey keiner möglichen Entscheidung ein

1). Maleville T. 1. p. 206.

2) Maleville T. 1. p. 327.

3) Maleville T. 1. p. 96.

4) Maleville T. 1. p. 182.
(139) Vorwurf gemacht werden kann, da jede Entscheidung die angesehensten Autoritäten für sich hat. Und der erste Grund dieses heillosen Schwankens ist, daß man nicht von einem bestimmten, entscheidenden Begriffe ausgegangen ist, sondern sich in steter Verwirrung zwischen wahrer Nullität und Anfechtungsrecht hin und her bewegt hat, ohne jemals aus der Unklarheit heraus kommen zu können 1), wodurch die gänzliche Unnützlichkeit der Staatsrathsdiscussionen in technischen Dingen recht anschaulich wird. Bey den Römern waren solche Dinge gar nicht möglich, und es war diese Unmöglichkeit nicht etwa der Gipfel ihrer Kunst, sondern der erste Anfang: das heißt, sie waren Männer vom Fach, während diese Redactoren und Staatsräte reden und schreiben wie (73) Dilettanten, oder mit anderen Worten, jene brauchten kein Gesetzbuch, diese sollten keines machen wollen. Noch wird durch diesen Fall recht anschaulich, was oben über die Gefährlichkeit unnöthiger und unberufener Gesetzgebung gesagt worden ist. Eine Verwirrung der Begriffe, wie die hier beschriebene, kann viele Jahre da seyn, unbemerkt und unschädlich, weil sich durch Gebrauch das alles in ein gewisses leidliches Gleichgewicht gesetzt hat. Aber jetzt wird sie gesetzlich ausgesprochen, und wohl gar durch Discussionen ohne Erfolg zur allgemeinen Kenntniß gebracht, und nun wird sie gefährlich, nun wird sie in der Hand des Ungerechten ein Mittel, Andere zu bestricken und zu übervortheilen. Dieses wäre eine politische Deutung der Regel: Omnis definitio in jure civili periculosa est.

Zuletzt ist noch bey dem Code über dasjenige zu sprechen, was in subsidium gelten soll, wo er nicht zureicht. Ueber den Umfang und die Wichtigkeit desselben haben sich die Franzosen nicht getäuscht, sie haben eingesehen, daß eigentlich die

1) Die vergeblichen Bemühungen stehen conférence T. 2. p. 79-90. Der Gipfel der Verwirrung ist in der Bemerkung von Tronchet p. 84 que jamais le mariage n’est nul de plein droit; il y a toujours un titre et une apparence qu'il faut détruire. Wenn jemand mein Haus besitzt, so giebt es auch une apparence à detruire, (etwas blos faktisches), dazu dient die Vindication; aber sein angebliches Recht des Eigenthums ist dennoch nul de plein droit, d. h. es ist gar nicht da, und dieses aufzuheben brauche ich keine Klage. Bey Testamenten läßt es sich durch den Gegensatz der alten Nullitat wegen eines präterirten Sohnes, und der querela inofficiosi, recht deutlich machen.
(140) allerwenigsten Rechtsfälle unmittelbar durch eine Stelle des Code entschieden werden können, daß also fast überall jenes unbekannte das wahrhaft entscheidende seyn müsse 1). Aber über die Natur desselben erklären (74) sie sich etwas mannichfaltig, sie behandeln es wie eine unbestimmte Größe, welche viele Werthe haben kann. Als solche Werthe nämlich kommen vor 2): 1. equité naturelle, loi naturelle; 2. Römisches Recht; 3. die alten coutumes; 4. uzsages, exemples, décisions, jurisprudence; 5. droit commun 3); 6. principes generaux, maximes, doctrine, science. Ueber das Verhaltniß dieser sehr verschiedenen Werthe zu einander wird gar nichts gesagt, außer einmal, daß das Naturrecht nur in subsidium gelte, wenn selbst usage und doctrine nicht ausreiche 4). Wir wollen es versuchen, bestimmte Resultate hieraus zu ziehen.

Zuvörderst ist es auffallend, daß Eine Art der Ergänzung gar nicht vorkommt, die organische nämlich, welche von einem gegebenen Punkt (also von einem Grundsatz des Gesetzbuchs) mit wissenschaftlicher Sicherheit auf einen nicht gegebenen schließt. Unsere Juristen haben davon unter den Namen Analogie (75) und argumentum legis etwas beschränkte Begriffe, und auch bey den Franzosen findet sich einmal beyläufig eine Ahnung davon 5). Aber daß nicht eigentlich Gebrauch davon gemacht wird, ist wohl

1) Portalis in conférence T. l. p. 29.- Boulay im Moniteur an X. N. 86. p. 343. „On sait que jamais, ou presque (74) jamais, dans aucun procés, on ne peut citer un texte bien clair et bien precis de loi, en sorte que ce n’est jamais que par le bon sens et par l’équité que l’on peut décider.”

2) Conférence T. l. p. 27. 29. Motifs. T. 2. p. 17. 18. Maleville T. 1. p. 13. Projet, discours préliminaire p. XI. XII. XIII.

3) Bonaparte in conférence T. 2. p. 327. Avis du conseil d’état im Bulletin des lois und bey Locré I. 3. p. 104, „les divers cas que la loi .. a laissés à la disposition des principes generaux et du droit commun."

4) Projet l. c.

5) Projet, discours préliminaire, p. XIX. „Dans cette immensité d’objets divers, qui composent les matières civiles, et sont le jugement, dans le plus grand nombre de cas, est moins l’application d’un texte que la combination de plusieurs textes qui conduisent à la décision bien plus qu’ils ne la renferment, on ne peut pas plus se passer de jurisprudence que de lois.”
(141) nicht zufällig. Dieses Verfahren setzt in dem Gesetzbuch selbst eine organische Einheit voraus. An eine solche aber ist hier auch nicht entfernt zu denken, weder materiell, noch formell. Nicht materiell, denn der Code enthält blos mechanisch vermengt die Resultate der Revolution und das vorige Recht (S. 56), ja auch das vorige Recht ist in ihm nichts in sich verbundenes, da er eine transaction zwischen Römischem Recht und coutumes seyn soll, wie öfters von ihm gerühmt worden ist. Formelle Einheit würde er seyn, wenn er von den Juristen, seinen Verfassern, durch die verarbeitende Kraft des Gedankens zu einem logischen Ganzen geworden wäre, aber daß man sich nicht so hoch verstiegen hat, wird durch die bisherige Darstellung klar geworden seyn. Demnach blieb freylich nichts übrig, als eine Ergänzung von außen zu suchen.

Die oben angegebenen Ergänzungsmittel, welche (76) bey den französischen Schriftstellern selbst vorkommen, lassen sich noch sehr reduciren. Das Naturrecht ist wohl mehr zum Staat als zu ernstlichem Gebrauch mit aufgeführt; wo von besondern Anwendungen die Rede ist, wird keine Notiz davon genommen, und nur in Deutschland hat man den Zustand der Französischen Richter wegen des freyen Gebrauchs dieser Rechtsquelle glücklich gepriesen 1); ich wünschte aber wohl gegenwärtig zu seyn, wenn ein Französisches Gericht nach dem Naturrecht entscheidet, ob eine Ehe wegen unvollkommener Form der Trauung ungültig ist. Die übrigen Stücke kommen zurück auf diese zwey: 1. bisheriges Recht; 2. wissenschaftliche Theorie. Diese sind nun einzeln zu prüfen.

Das bisherige Recht ist bekanntlich nicht blos, wo es dem Code widerspricht, sondern in allen Materien, die der Code berührt, aufgehoben (Art. 4), also so gut als überall. Indessen sind die Franzosen über die Bedeutung dieser Aufhebung mehr im klaren, als die Deutschen Juristen, welche aus Haß oder Neigung gegen das Römische Recht viel darüber gestritten haben. Jene nehmen an, das Römische Recht sowohl als die coutumes zu befolgen, sey dem Richter erlaubt, aber es sey ihm nicht

1) Schmid Einleitung in das bürgerl. Recht des Franz. Reichs B. 1. S. 21-23. 373. 374.
(142) geboten, und zwar habe das den Sinn, daß ein (77) richterliches Urtheil nicht deswegen cassirt werden könne, weil es diesen Rechtsquellen widerspreche 1). Dasselbe gilt nun auch vom vormaligen Gerichtsgebrauch 2), wie denn unzähligemal die alte jurispruclence als Quelle angeführt wird. Ohne Zweifel denkt man sich das nicht so, daß jeder Richter in einem Fall, den der Code unentschieden läßt, zwischen Römischem Recht und irgend einer coutume wählen dürfe, denn sonst wäre die Willkühr zu ungeheuer, sondern jeder soll das Recht befolgen, was in dieser Gegend vormals galt, d. h. entweder Römisches Recht, durch den alten Gerichtsgebrauch modificirt, oder eine specielle coutume mit derselben Modifikation. Die nothwendige Folge davon wird wiederum eine große Rechtsverschiedenheit in den Sprengeln der einzelnen Appellationsgerichte seyn, und diese Verschiedenheit wird jetzt, wo sie in der Stille, gegen die Absicht des Gesetzes, und mit Verwirrung der vorigen Gränzen statt finden muß, ein wahres Uebel seyn, was sie vormals nicht war. Dabey wird aber schon der günstige Fall vorausgesetzt, daß die Gerichte auf diese regelmäßige Weise von der Erlaubniß jener entfernten Rechtsquellcn Gebrauch machen wollen. Aber wer bürgt dafür, da es ihnen nicht geboten ist? Wenn also in einem (78) Rechtsfall ein Gericht vorzieht, irgend eine beliebige équité oder loi naturelle anzuwenden aus besonderer Ueberzeugung, oder als Vorwand einer Ungerechtigkeit, so kann ihm durchaus kein Vorwurf gemacht werden, denn das Gesetz läßt dieses alles gelten. Man sage nicht, das Cassationsgericht werde die künftige Praxis in Ordnung, ja sogar in Gleichförmigkeit erhalten: das Cassationsgericht soll ja blos cassiren, wo gegen ein Gesetz des Code oder ein neueres Gesetz gesprochen wird: der Spruch für oder wider loi naturelle, Römisches Recht, coutume oder jurisprudence liegt also ganz außer der Wirksamkeit jenes Gerichtshofes. Endlich ist auch noch der wichtige Umstand zu bemerken, daß in allen aus der Revolution hervorgegangenen Stücken des Code das vorige Recht gar keinen Schutz gegen die blindeste Willkühr gewährt. Auch dafür mag wiederum das oben gewählte Beyspiel von Ungültigkeit der Ehe zur Erläuterung dienen.

1) Maleville T. 4. p. 414-417.

2) Locré T. 3 p. 443 ed. Paris 1805. 8.
(143) Das zweite, was als Supplement des Code gelten kann, ist die wissenschaftliche Theorie. Portalis beschreibt diese einmal sehr prächtig: sie sey wie das Meer, die Gesetze seyen die Ufer 1). In Frankreich hat es nun freylich mit diesem Meere nicht viel zu bedeuten, denn eine Rechtswissenschaft, die nicht auf dem Boden gründlich historischer Kenntniß ruht, (79) versieht eigentlich nur Schreibersdienst bey dem Gerichtsgebrauch. So ist es in Frankreich in der That, und eine von dem Gerichtsgebrauch verschiedene Theorie existirt da eigentlich nicht, so daß alles, was über die Unsicherheit des praktischen Rechts gesagt worden ist, auch die Theorie trifft. Die Lehranstalten allein haben ihrer Natur nach eine ganz theoretische Form: von diesen wird im folgenden Abschnitt bequemer gesprochen werden können.

Allerdings können einige Umstände eintreten, wodurch der Zustand der praktischen Rechtspflege günstiger ausfällt, als hier angedeutet worden ist. Durch Unkenntniß und Geistesträgheit kann es dahin kommen, daß einzelne Quellen und Schriftsteller in vielen Gerichten gleichförmig befolgt werden, so z. B. kann man die coutume von Paris mit ihrem Commentator Ferriere weit und breit bequem finden, auch wo sie sonst nicht gegolten hat. Auch mögen in der alten jurisprudence gar manche Sätze ziemlich allgemein angenommen gewesen seyn. Vielleicht ist es etwas der Art, was man sich unter dem oben genannten droit commun (S. 74) denkt. Ferner muß man nicht glauben, daß gerade alle hier genannte Uebel als solche empfunden werden müssen; die Römer des vierten und fünften Jahrhunderts nach Christus haben auch nicht daran gedacht, daß wir sie wegen ihres tiefen Verfalls bedauern würden. Im Ganzen aber ist doch nicht zu läugnen, (80) daß ein Zustand sehr großer Rechtsungewißheit zu befürchten ist. Dieser Zustand nun ist unerträglich; denn ob an verschiedenen Orten verschiedenes Recht gilt, daran liegt wenig, aber wenn für einen gegebenen einzelnen Fall das Recht dem Zufall und der Willkühr preis gegeben ist, so ist das schlimmste eingetreten, was für die Rechtspflege gedacht werden kann, und dieses Uebel wird gewiß von jedem empfunden.

Es verdient die rühmlichste Anerkennung, daß in Frankreich

1) Moniteur an. X. p. 327.
(144) wenigstens Eine wahre und gründliche Stimme über das, was man thun wollte, gehört worden ist: aber diese Stimme ist verhallt ohne Spur einer Wirkung. Das Tribunal von Montpellier spricht über den künftigen Gerichtsgebrauch, wodurch der Code ergänzt werden soll, also 1): „Mais quelle jurisprudence! n’ayant d’autre règle que l’arbitraire sur l’immensité d’objets à co-ordonner au systême de la législation nouvelle, à quelle unité, à quel concert faudrait-il s’attendre de la part d’une pareille jurisprudence, ouvrage de tant de juges et de tant de tribunaux, dont l’opinion ébranlée, par les secousses révolutionaires, serait encore si diversement modifiée! quelle serait enfin le régulateur de cette jurisprudence disparate, qui devrait nécessairement se (81) composer de jugements non sujets à cassation, puisqu’ils ne reposeraient pas sur la base fixe des lois, mais sur de principes indéterminés d’équité, sur des usages vagues, sur des idées logiciennes, et, pour tout dire en un mot, sur l’arbitraire! A un systême incomplet de législation, serait donc joint pour supplément une jurisprudence défectueuse.” Diesem Uebel zu begegnen, heißt es weiter, könne man zwey Wege einschlagen. Entweder den Code blos betrachten als Institutionen, und ihm ein zweytes, ausführlicheres Werk beygeben, was den Zweck von Justinians Pandekten und Codex hätte. Oder man könnte zweytens und besser als Regel das bisherige, verschiedene Recht bestehen lassen, und blos in einzelnen bestimmten Stücken neues und gleichförmiges Recht durch ganz Frankreich einführen, das heißt also, kein Gesetzbuch machen. Dieses ist der eigentliche Vorschlag, und die ganze Art, wie er ausgeführt und begründet wird, ist so gediegen und ächt praktisch, daß man in dieser Umgebung durch so frische Gedanken zwiefach erfreut wird.

Ich wende mich nun zum Preußischen Landrecht. Zur Geschichte desselben dienen zunächst die officiellen Bekanntmachungen über diesen Gegenstand 1), dann (82) einige Stellen aus Kleins

1) Crussaire p. 8.

2) Cabinetsordre von 1780 vor dem Corpus Juris Fridericianum B. 1. Berlin 1781. 8. - Die Vorerinnerungen vor dem Entwurf des Gesetzbuchs Th. 1. Abth. 1. und Th. 2. Abth. 1. und 3. - Cabinetsordre von 1786 in Kleins Annalen Th. l. S. XLIX. - Publicationspatente von 1791 und 1794 vor dem Gesetzbuch (1791) und dem Landrecht (1794).
(145) Schriften 1), der wichtigste Beytrag aber von Simon ist erst 1811 durch folgende Veranlassung erschienen 2). Die Materialien der gesammten neuen Gesetzgebung nämlich sind noch größtentheils vorhanden; diese zu ordnen und dadurch erst brauchbar zu machen, wurde dem eben genannten Rechtsgelehrten übertragen, und dessen Bericht über dieses Geschäft giebt eine so gründliche und vollständige Geschichte der ganzen Unternehmung, daß dagegen die bisherigen Nachrichten fragmentarisch und zum Theil unzuverlässig erscheinen. Es ist nicht möglich, in dieser trefflichen Schrift zu sehen, wie durch vereinte und stets wiederholte Arbeit der eigentlichen Redactoren, der Gesetzcommission, der Landescollegien, der ständischen Deputirten, und vieler Gelehrten und Geschäftsmänner aus allen Theilen von Deutschland das Landrecht entstanden ist, ohne vor (83) dem Ernst und der Ausdauer, die darin bewiesen worden sind, große Achtung zu empfinden; die Seele des Ganzen aber war der geistreiche Suarez, durch welchen Einheit in der Wirksamkeit so vieler und verschiedener Mitarbeiter erhalten wurde. Gleich von dieser Seite wird kein Unbefangener den Code mit dem Landrecht vergleichen wollen: nicht blos die Gewissenhaftigkeit und Liebe zur Sache, die den besseren Deutschen natürlich ist, erklärt diesen Unterschied, sondern auch die ganz verschiedene äußere Lage, aus welcher beide Gesetzbücher hervorgiengen: der Code sollte schnell fertig seyn, um manches drückende Uebel aus der Revolution zu mildern, und um alles auf gleichen Fuß zu setzen, während das Landrecht blos mit dem Zweck und dem Gefühl, etwas treffliches zu leisten, ohne äußere Noth, die dazu drang, bearbeitet wurde. Was ich als einen zweyten großen Vorzug des Landrechts betrachte, ist das Verhältniß desselben zu den localen Quellen; es sollte blos als subsidiarisches Recht an die Stelle des „Römischen, gemeinen Sachsen- und andrer fremden

1) Kleins Annalen B. 1. und B. 8., gleich im Anfang beider Bände. - Kleins Selbstbiographie. Berlin 1806. 8. S. 47.

2) Bericht des Justizcommissarius Simon üb. Redaktion der Materialien der preuss. Gesetzgebung, in Mathis jur. Monatsschrift B. 11 Heft 3. S. 191 bis 286 nebst einem Konspektus der Materialien. - Die Materialien zum Landrecht allein (ohne die Gerichtsordnung) betragen 1500-2000 einzelne Stücke in 88 Folianten.
(146) subsidiarischen Rechte und Gesetze treten 1), und alle Provincialrechte sollten fort bestehen, aber auch binnen drey Jahren zu besonderen Gesetzbüchern verarbeitet werden 2). (84) Andere werden dieses Verhältniß vielmehr als eine Unvollkommenheit des Landrechts betrachten.

Sehen wir aber auf die innere Entstehung des Landrechts, so wird auch dadurch unsre Ansicht bestätigt, nach welcher in dieser Zeit kein Gesetzbuch unternommen werden sollte. Der Plan, nach welchem gearbeitet wurde, liegt vor Aller Augen. Das Justinianische Recht sollte dergestalt Grundlage des Ganzen seyn, daß davon nur aus besonderen Gründen abgewichen werden sollte. Diese Gründe wurden darin gesetzt, wenn ein Satz des Römischen Rechts aus der stoischen Philosophie, oder der besondern Verfassung, z. B. der Politik der Kaiser, oder aus den spitzfindigen Fictionen und Subtilitäten der alten Juristen entstanden wäre 3). Dadurch zerfällt das Römische Recht im Verhältniß zum Landrecht in zwey Theile, einen anwendbaren als Regel, und einen unanwendbaren als Ausnahme, und es entstand die doppelte Aufgabe, die Ausnahme gehörig abzusondern, und die Regel gründlich zu verstehen. Nämlich was in der That auf stoischer Philosophie oder (85) besonderer Verfassung beruht, und was eine verwerfliche Subtilität ist, kann offenbar nur von einer sehr gründlichen Rechtsgeschichte aus erkannt werden; dieselbe geschichtliche Kenntniß und zugleich ein lebendiges Quellenstudium ist nöthig, wenn das anwendbare Recht verstanden und zu wirklicher Anwendung ersprieslich verarbeitet werden soll. Ob nun die Schulen von Nettelbladt und Darjes, in welchen gewiß die Meisten gebildet worden sind, die auf das Landrecht großen Einfluß gehabt haben, im Besitz dieser geschichtlichen Kenntnisse und dieses Quellenstudiums waren, überlasse ich jedem aus

1) Publicationspatent §. 1.

2) Dieses ist indessen für Ostpreussen etwas später geschehen (Ostpreussisches Provinzialrecht. Berlin 1801. 8), für die übrigen Provinzen gar nicht. Es gilt also da das besondere Recht in seiner alten Form.

3) Entwurf des Gesetzbuchs Th. 5. Abth. 1. S. 5. 6. Kleins Annalen B. 8. S. XXVI-XXIX. Simon S. 197-199. Mehrere der wichtigsten Neuerungen wurden noch in der allerletzten Revision des Landrechts weggelassen. Simon S. 235.
(147) den Schriften dieser Schulen und ihrer Meister zu beurtheilen 1). Der Anfang des Ganzen sollte ein vollständiger Auszug der Justinianischen Rechtsbücher seyn. Dazu war Anfangs an Schlosser der Antrag gemacht worden, mit welchem man aber über die Bedingungen nicht einig werden konnte 2). Der Auszug selbst wurde nun von 3). Volkmar nach einem systematischen Plane von Suarez gemacht; zur Kontrolle der Vollständigkeit verfertigte Volkmar ein Verzeichniß aller Stellen des Corpus Juris nach Ordnung der Quellen, so daß bey jeder Stelle bemerkt wurde, wo sie in jenem Systeme (86) vorkomme, oder warum sie da fehle. Dieser systematische Auszug wurde dann von Volkmar und Pachaly verarbeitet, welche Verarbeitung als das erste Material der eigentlichen Redaktion anzusehen ist 4) Dieses Material ist allerdings unglaublich oft geprüft und wieder bearbeitet worden, und gewiß ist im Landrecht davon sehr wenig unmittelbar übrig geblieben. Aber nicht blos hangt in der Richtung jedes Geschäfts von großem Umfang ungemein viel von dem ersten Anstoß ab, sondern gerade hier konnte gar vieles beynahe nur in dieser ersten Grundlage geschehen, und was von Volkmar gethan und unterlassen worden ist, muß wohl für alle nachfolgende Arbeiten sehr bestimmend gewesen seyn. Sollte dieser überwiegende Einfluß vermieden werden, so hätte ein Anderer, unabhängig von Volkmars Arbeit, und unmittelbar aus den Quellen selbst, das erste Material nochmals aufstellen müssen, und darin allein hätte eine durchgreifende Probe für Volkmars Arbeit, was die Kenntniß und den Gebrauch der Quellen betrifft, bestehen können. Dieses ist nicht geschehen, alle folgende Revisionen sind wahrscheinlich hierauf am wenigsten gerichtet gewesen, und so steht Volkmars Arbeit sehr allein, obgleich man ihn blos als Sammler betrachtet, auch nicht vorzüglich geschätzt (87) zu haben scheint 4). Gerade für diese Stelle

1) Hugo über Daniel Nettelbladt, civilist. Magazin B. 2. N. 1.

2) Simon S. 498.

3) Simon S. 200-202.

4) Simon S. 202. - Von Volkmar existiren folgende Schriften: 1) De condictionum indole. Hal. 1777 (Simon S. 200). 2) De intestatorum Atheniensium hereditatibus. Traj. ad Viad. 1778. (Schott Critik. B. 10. S. 29).
(148) wäre ein Mann von Geist und Gelehrsamkeit sehr wünschenswerth gewesen, und es wäre interessant, wenn man wenigstens nach einzelnen Proben vergleichen könnte, wie Schlosser die Aufgabe gelöst haben würde. Vielleicht lag aber in dem Mechanismus des ganzen Geschäfts ein Grund, warum dieser Auftrag für einen Mann von Bedeutung und Selbstständigkeit nicht passend gewesen wäre.

Sieht man auf das Resultat, wie es vor uns liegt, so ist ein bestimmtes Urtheil schwerer als bey dem Code, weil die Verhandlungen, woraus dieses Resultat hervorgegangen ist, nicht bekannt gemacht sind. Auch scheint es, daß der Plan des Werks, so wie der ganzen Rechtspflege, die darauf gegründet werden sollte, nicht immer derselbe gewesen ist. Ursprünglich hatte unläugbar Friedrich II. die Absicht, daß das Gesetzbuch höchst einfach, populär und zugleich materiell vollständig seyn sollte, so daß das Geschäft des Richters in einer Art mechanischer (88) Anwendung bestehen könnte 1). Diesem gemäß verbot er schlechthin alle Interpretation, und wollte, daß bey unzulänglichen oder zweifelhaften Gesetzen, in jedem einzelnen Fall bey der gesetzgebenden Gewalt angefragt würde 2). Auch noch im Entwurf des Gesetzbuchs ist die Interpretation dem Richter eigentlich ganz untersagt, und alles an die Gesetzcommission auch für einzelne Fälle gewiesen 3). Ganz anders nach dem Landrechte; dieses will, daß der Richter auch auf den Grund des Gesetzes sehe, vorzüglich aber, daß er jeden Fall, für welchen er kein Gesetz findet, nach den allgemeinen

3) Erörterung der Begriffe Erbschaft ex asse (et)c. Breslau 1780. (ib. S. 82).

4) Varia quae ad leges Romuleas et magistratus pertinent. Vratislav. 1779. 8.

5) Ueber ursprüngliche Menschenrechte. Breslau 1798. 8. (Ersch Literatur der Jurisprud. S. 272). Ich kenne davon nur die vierte, und diese ist allerdings wenig bedeutend.

1) Cabinetsordre von 1780 S. XII. XIII. „Wenn Ich .. . Meinen Endzweck … erlange, so werden freylich viele Rechtsgelehrten bey der Simplifikation dieser Sache ihr geheimnißvolles Ansehen verlieren, um ihren ganzen Subtilitäten-Kram gebracht, und das ganze Corps der bisherigen Advokaten unnütz werden. Allein ich werde dagegen ... desto mehr geschickte Kaufleute, Fabrikanten und Künstler gewärtigen können, von welchen sich der Staat mehr Nutzen zu versprechen hat."

2) a. a. O. S. XIII.

3) Entwurf Einl. §. 34-36.
(149) Grundsätzen des Gesetzbuchs und nach den Gesetzen ähnlicher Fälle entscheide 1); die Anfrage bey der Gesetzcommission war schon dadurch äußerst beschränkt und selbst wo sie statt fand, war doch nur der anfragende Richter an den Ausspruch gebunden, und es galten Rechtsmittel (89) gegen das Urtheil 2). In der neuesten Ausgabe des Landrechts aber ist auch diese beschränkte Anfrage aufgehoben, und die Interpretation des Richters für jede Art von Fällen gestattet 3). Dadurch ist denn allerdings die ganze Lage des Richters anders, als Friedrich II. sie gedacht zu haben scheint, und dem ganzen Richteramte wird dadurch ein mehr wissenschaftlicher und weniger mechanischer Character zuerkannt. Dennoch ist dieses nur eine einzelne Abweichung von der Regel, es soll offenbar nur von den als selten gedachten Ausnahmen gelten, in welchen ein unmittelbar bestimmendes Gesetz fehlen würde, ja ein Fall dieser Art soll, sobald er vorkommt, angezeigt und durch ein neues Gesetz entschieden werden 4). Die eigentliche Tendenz des bestehenden Gesetzes selbst also geht auch jetzt noch darauf, daß die einzelnen Rechtsfälle als solche vollständig aufgezählt, und einzeln entschieden werden. Und gerade darin ist die Methode des Landrechts der oben beschriebenen, welche wir in den übrig gebliebenen Schriften der Römischen Juristen finden, entgegen gesetzt; nicht zum Vortheil des Landrechts, wie es mir scheint. (90) Bey den Römern beruht alles darauf, daß der Jurist durch den lebendigen Besitz des Rechtssystems in den Stand gesetzt wird, für jeden gegebenen Fall das Recht zu finden. Dazu führt die scharfe, individuelle Anschauung der einzelnen Rechtsverhältnisse, so wie die sichere Kenntniß der leitenden Grundsätze, ihres Zusammenhangs und ihrer Unterordnung, und wo wir bey ihnen Rechtsfälle in der bedingtesten Anwendung finden, dienen sie doch stets als verkörperter Ausdruck jenes allgemeinen. Diesen Unterschied wird mir jeder zugeben, der das Landrecht unbefangen mit den Pandekten vergleicht, und eine solche Vergleichung ist hier gewiß zulässig, da ja nicht von

1) Landrecht Einl. §. 46. 49.

2) Landrecht Einl. §. 47. 48.

3) Erster Anhang zum Landrecht. Berlin 1803. §. 2.

4) Landrecht Einl. §. 50.
(150) eigenthümlicher Römischer Verfassung, sondern von allgemeiner Methode die Rede ist. Was insbesondere die scharfe, individuelle Auffassung der Begriffe betrifft, so ist der nicht seltene Mangel derselben im Landrecht weniger auffallend und fühlbar, weil eben die materielle Vollständigkeit des Details ihrer Natur nach dahin strebt, diese Lücke auszufüllen. Was aber die praktischen Regeln selbst, als den eigentlichen Zweck jedes Gesetzbuchs anlangt, so ist die Folge des hier beschriebenen Characters, daß die meisten Bestimmungen des Landrechts weder die Höhe allgemeiner, leitender Grundsätze, noch die Anschaulichkeit des individuellen erreichen, sondern zwischen beiden Endpunkten in der Mitte schweben, während die Römer beide in ihrer naturgemäßen Verknüpfung (9l) besitzen. Es darf aber auch nicht übersehen werden, daß eine große, vielleicht unübersteigliche Schwierigkeit in der gegenwärtigen Stufe der deutschen Sprache lag, welche überhaupt nicht juristisch, und am wenigsten für Gesetzgebung, ausgebildet ist; wie sehr dadurch die lebendige Darstellung individueller Rechtsverhältnisse erschwert, ja unmöglich gemacht wird, kann jeder finden, der irgend einen eigenen Versuch der Art, z. B. eine Uebersetzung aus den Pandekten, unternehmen will. Ja hierin hatten sogar die Franzosen in der größeren Bestimmtheit der Formen und in der lateinischen Abstammung ihrer Sprache vor uns einen großen Vorzug: daß sie ihn nicht besser benutzt haben, erklärt sich aus dem oben dargestellten traurigen Zustand ihrer Sachkenntnis - Man würde diese Bemerkungen sehr misverstehen, wenn man sie so deuten wollte, als ob die Verfasser des Landrechts gegen das künftige wissenschaftliche Studium desselben gleichgültig gewesen wären, was gar nicht meine Meynung ist. Sehr merkwürdig ist in dieser Rücksicht die bekannte Preisaufgabe von 1788 1), welche ein Lehrbuch in zwey Theilen forderte, deren erster ein aus dem Gesetzbuch selbst abstrahirtes Naturrecht, der zweite einen Auszug des positiven Rechts selbst enthalten sollte. Man hat diese Ansicht des (92) Naturrechts mitunter sehr vornehm angelassen und ihr damit Unrecht gethan; offenbar sollte unter diesem Namen dasjenige

1) Entwurf Th. 2 Abth. 3. Vorerinnerung.
(151) dargestellt werden, was der Gesetzgeber selbst in seinen Gesetzen für allgemein und nicht für positiv ansehe, eine interessante historische Aufgabe, der des Römischen jus gentium ganz ähnlich. Also gering geschätzt hatte man die wissenschaftliche Kenntniß des praktischen Rechts keinesweges, vielmehr erkennt das Landrecht in seiner neuesten Gestalt das dringende Bedürfniß dieser wissenschaftlichen Kenntniß an: aber es ist unverkennbar, daß ein innerer Widerstreit zwischen dieser Anerkennung und der Construction des Werkes selbst obwaltet, indem diese Construction selbst nach der ursprünglichen Idee von Friedrich ll. hinneigt, woraus sie ja auch hervorgegangen ist.

Jede Regierung ist zu tadeln, welche die Einsichten ihres Zeitalters nicht kennt oder verschmäht. Von dieser Seite aber ist die Preussische Gesetzgebung gewiß keinem Vorwurf ausgesetzt. Die Stimme nicht blos der eigenen Geschäftsmänner, sondern aller Deutschen Gelehrten 1), ist aufgerufen und gehört worden, und jeder unbefangene Beobachter wird einräumen, daß, was gethan und unterlassen worden ist, dem Sinn und der Einsicht des Zeitalters (93) vollkommen entsprach. Selbst die bedeutendste Stimme, welche sich gleichzeitig dagegen erhoben hat 2), beweist mehr für als wider diese Behauptung. Ich verkenne nicht, wie viel treffliches in Schlossers Ansichten und Urtheilen enthalten ist, allein das beste darin betrifft den allgemeinen politischen Character unsrer Zeiten, und mit den eigenthümlichen Bedürfnissen des bürgerlichen Rechts war er selbst keineswegs im reinen. Dieses erhellt theils aus der von ihm entworfenen Einleitung eines Gesetzbuchs 3), theils und noch weit mehr aus seinem Plan, das corpus juris auf ein caput mortuum eigentlicher Gesetze von weniger als zehn Bogen zu reduciren 4). Daß es ihm an Sinn

1) Bey Simon S. 213. 220 stehen die Namen derer, welche Bemerkungen eingesandt, und welche Preise erhalten haben.

2) Schlossers Briefe über die Gesetzgebung (et)c. Frankfurt l789, und: Fünfter Brief (et)c. Frankfurt 1790. 8.

3) Briefe S. 246.

4) Schlossers Vorschlag und Versuch einer Verbesserung des Deutschen bürgerlichen Rechts (et)c. Leipzig 1777. 8. - Schlossers Briefe S. 46. 342. in welcher letzten Stelle er sogar Westphals Schriften als sehr brauchbar für diesen Zweck rühmt.
(152) für das rechte nicht fehlte, zeigt sein geistreicher und durchaus vortrefflicher Aufsatz über das Studium des reinen Römischen Rechts 1).

Ein vollständiges Urtheil über das technische des Landrechts würde erst dann möglich seyn, wenn die oben erwähnten Materialien verarbeitet und zur (94) allgemeinen Kenntniß gebracht würden. Alles, was für Erhaltung und Verbreitung wichtiger geschichtlicher Quellen geschieht, verdient ehrenvolle Anerkennung; so die Organisation jener Materialien, welche von dem Chef der Preussischen Justiz, dem Herrn Justizminister von Kircheisen, verfügt und dann aufs trefflichste ausgeführt worden ist. Allein noch ist zu hoffen, daß dasselbe liberale Interesse an der innern Geschichte des Landrechts auch die Bekanntmachung eines zweckmäßigen Auszugs aus denselben veranlassen wird. Zu befürchten ist dabey gewiß nichts, denn was mit solchem Ernst gethan worden ist, kann sehr ruhig jedem Urtheil entgegen sehen. Daß auf diesem Wege, selbst von dem zugegebenen Gesichtspunkte des Ganzen aus, manches einzelne als unhaltbar erkannt werden könnte, ist wahr, aber dieses würde offenbar ein sehr glücklicher Erfolg seyn, denn jeder Gesetzgebung ist ein solches Mittel zu wünschen, wodurch sie von innen heraus gereinigt werden kann. Diese Materialien müssen ungleich lehrreicher seyn als die gedruckten über den Code, denn diese betreffen doch meist nur den Uebergang vom projet zum Code, über die Entstehung des projet selbst, was bey weitem die Hauptsache ist, geben sie keine Aufschlüsse, man müßte denn die leere Declamation der meisten Reden für solche Aufschlüsse halten wollen; jene Materialien dagegen würden bis auf die erste Entstehung der Gedanken zurück führen können. Ein (95) besonderer Vortheil aber würde darin bestehen, daß das Landrecht dadurch ein geschichtliches und literarisches Leben erhalten würde, welches ihm bis jetzt ganz fehlt. Damit, daß es von einseitigen Gegnern ungerecht leiden könnte, hat es keine Noth, denn unter den geistreichen und gebildeten Männern, auf deren Anzahl die Preußische Justiz stolz seyn darf, würden sich gewiß Mehrere finden, die ein solches Unrecht abzuwehren vermöchten.

1) In Hugos civilist. Magazin B. 1. N. 6. (1790).
(153) Die Geschichte des Oesterreichischen Gesetzbuchs 1) hat mit der des Preussischen Landrechts die Ähnlichkeit, daß zu beiden der erste Anstoß um die Mitte des vorigen Jahrhunderts gegeben worden ist 2), so daß eben derselbe Zustand der Deutschen juristischen Literatur auf beyde einwirken konnte. Die Grundlage war eine handschriftliche Arbeit von acht starken Folianten, größtentheils aus den Commentatoren des Römischen Rechts gezogen, und schon im Jahre 1767 vollendet. Hieraus machte Horten einen Auszug, welcher von Martini zu einem Gesetzbuche verarbeitet wurde; diese Arbeit von Martini wurde dann öffentlich bekannt gemacht, und von den (96) Oesterreichischen Landescollegien und Universitäten geprüft und beurtheilt 3), aus welcher Revision endlich das gegenwärtige Gesetzbuch entstanden ist. Die Mitwirkung der Rechtsgelehrten des übrigen Deutschlands scheint sehr unbedeutend gewesen zu seyn, ja man scheint sie nicht für sehr wünschenswerth gehalten zu haben, theils wegen des schlechten Erfolgs einer Preisaufgabe über den Wucher, theils weil das Preussische Landrecht schon solche Beyträge erhalten hatte, die also in ihm zugleich mit benutzt werden konnten, deshalb sind nicht so, wie im Preussischen, für die Beurtheilung öffentlich Preise ausgesetzt worden 4). Daß man keine Preise aussetzte, konnte sehr gute Gründe haben, aber auch ohne Preise waren Gutachten und Urtheile leicht zu erlangen, nur war freylich bey dem sehr geringen literarischen Verkehr des übrigen Deutschlands mit Oesterreich der bloße Abdruck des Entwurfs nicht hinreichend; ein Circular an alle Deutsche Universitäten wäre gewiß nicht ohne Erfolg geblieben. So ist diese Unternehmung, die ihrer Natur nach nur auf den wissenschaftlichen Zustand der ganzen Nation gegründet werden konnte, als ein gewöhnliches Geschäft des einzelnen Landes (97) vollführt worden, und jede Absonderung dieser Art ist für den Erfolg, wenn gleich nicht entscheidend, doch immer sehr gefährlich.

1) Die Nachrichten darüber sind genommen aus Zeillers Vorbereitung zur neuesten Oesterreichischen Gesetzkunde. Wien und Triest l810. Bd. 1. S. 19-20.

2) Nämlich l746 zur Preussischen, 1753 zur Oesterreichischen Gesetzgebung. Simon S. 194. Zeiller S. 19.

3) Zeiller S. 23. 26-30.

4) Zeiller S. 27. 28.
(154) Was den Stoff betrifft, so könnte man nach den Vorschriften der Kaiserin Maria Theresia eine größere Originalität als im Preussischen Rechte erwarten, da die Verfasser sich nicht an das Römische Recht binden, sondern überall die natürliche Billigkeit walten lassen sollten 1). Allein was über die Entstehung der ersten Grundlage aus den Commentatoren gesagt worden ist, so wie die Betrachtung des Gesetzbuchs selbst, zeigt, daß dennoch aus derselben Quelle, nur noch weniger rein und unmittelbar, als bey dem Landrecht geschöpft worden ist. In der Behandlung zeigt sich sogleich der Hauptunterschied, daß man im Oesterreichischen Gesetzbuch nicht so, wie im Preussischen, die Rechtsfälle selbst zu erschöpfen, sondern nur die Begriffe der Rechtsverhältnisse und die allgemeinsten Regeln für dieselben aufzustellen gesucht hat 2). In der ganzen Form und Anlage ist das Werk einem etwas ausführlichen Institutionencompendium sehr ähnlich. Die Ausführung soll nun theils für die Begriffe (das formelle oder theoretische), theils für die praktischen Regeln besonders geprüft werden.

(98) Daß die Begriffe der Rechtsverhältnisse bey einem Werk von diesem Plan und Umfang vorzugsweise wichtig seyn müssen, leuchtet von selbst ein; im Preussischen Landrecht treten sie wegen des Reichthums an praktischen Regeln mehr zurück, und ihre fehlerhafte Behandlung ist weniger nachtheilig. Und gerade von dieser Seite ist gar vieles gegen das Oesterreichische Gesetzbuch einzuwenden. Die Begriffe der Rechte nämlich sind theils zu allgemein und unbestimmt, theils zu sehr auf den bloßen Buchstaben des Römischen Rechts, oder auch auf das Misverständmß neuerer Commentatoren desselben gegründet, was bey gründlicher Quellenkenntniß nicht möglich gewesen wäre. Beiderley Fehler hat das Gesetzbuch nicht blos mit dem Landrecht gemein (welchem sie, wie schon bemerkt ist, weniger schaden), sondern noch vor demselben voraus, wie nunmehr in einigen Beyspielen gezeigt werden soll. Von der Construction der Begriffe selbst aber ist hier die Rede, nicht von Definitionen, denen als bloßen Symptomen

1) Zeiller S. 24.-

2) Die drey Theile des Gesetzbuchs enthalten zusammen 561 Seiten, sehr weitläufig gedruckt.
(155) jener Construction nur ein bedingter und untergeordneter Werth zugeschrieben werden muß, und welche nur in dieser Beziehung und nicht um ihrer selbst willen, Gegenstand der folgenden Beurtheilung seyn werden. - Zuvörderst ist schon oben (S. 66) bey dem Code bemerkt worden, wie wichtig und überall eingreifend im Römischen Rechte die höchst bestimmten Begriffe von dinglichen Rechten und Obligationen sind. (99) Dasselbe gilt vom Begriff des Status. Hier nun liegt die Unterscheidung von Personenrechten und Sachenrechten zum Grunde (§. 14. 15), die aber weder auf Römische, noch auf irgend eine andere Weise bestimmt gedacht sind. Das Landrecht (I. 2. §. 122-130) ist darin genauer. - Der Begriff der Sache (§. 285 vgl. §. 303) wird in solcher Allgemeinheit genommen, daß kaum etwas ist, was nicht Sache heißen könnte: Künste, Wissenschaften, Fertigkeiten, Begriffe sind insgesammt Sachen in diesem allgemeinen Sinne. Nun werden aber unmittelbar auf den Begriff der Sache zwey der allerwichtigsten Rechtsbegriffe gegründet: Besitz (§. 309) und Eigenthum (§. 353. 354). Allein es ist einleuchtend, daß eben dadurch diese Begriffe durchaus gestaltlos und unbrauchbar werden; so müßten wir z. B. nach §. 309 einem Gelehrten den juristischen Besitz seiner Wissenschaft zuschreiben, denn er hat sie in seiner Macht, und er hat den Willen, sie zu behalten. Unvermerkt wird deshalb in der Behandlung dieser Lehren ein engerer, nirgends bestimmter Begriff von Sache untergelegt, allein auch dieser stillschweigend eingeführte Begriff ist nicht zulänglich, denn nach ihm müßte es doch noch z. B. an einer Forderung (obligatio) Besitz und Eigenthum geben, was zwar uneigentlich gesagt werden kann, wozu aber die ganze Theorie von Besitz und Eigenthum gar nicht paßt. Das Landrecht (I. 2. § 3) hilft hier durch einen besonders (100) aufgestellten engeren Begriff der Sachen, worauf sich nachher die Rechtsverhältnisse beziehen. Ein noch allgemeinerer Nachtheil jenes unbrauchbaren Begriffs der Sache zeigt sich schon bey der Eintheilung der Sachenrechte in dingliche und persönliche (§. 307): zu den dinglichen werden die bekannten fünf Arten gerechnet, Besitz, Eigenthum, Pfand, Dienstbarkeit und Erbrecht (§. 308), deren Zusammenstellung allein schon hinreicht, jeden bestimmten Gattungsbegriff ganz unmöglich zu
(156) machen.  Die Objecte der Ersetzung werden so allgemein angegeben (§. 1455), daß man viele Rechte, z. B . Forderungen, darunter rechnen müßte, auf welche doch diese Art des Erwerbs nur auf sehr gezwungene und überflüssige Weise angewendet werden könnte, eine Anwendung, die wahrscheinlich gar nicht einmal gemeynt ist. Das Landrecht (I. 9) verhütet diesen Zweifel dadurch, daß es die ganze Lehre unter den Erwerbungen des Eigenthums abhandelt. - Unter den persönlichen Servituten werden das Recht des Gebrauchs und das der Fruchtnießung dadurch unterschieden, daß jenes auf das bloße Bedürfniß des Berechtigten beschränkt seyn soll, dieses aber nicht (§. 504. 509). Der praktische Sinn davon ist dieser, daß Verträge und Testamente, wenn sie von einem Recht des Gebrauchs reden, von einem solchen auf das Bedürfniß beschränkten Nutzungsrecht ausgelegt werden sollen. Allein diese Interpretation ist gewiß nicht natürlich, (101) da es gar nicht gewöhnlich ist, gerade dieses mit dem Worte Gebrauch zu bezeichnen. Wie dieser Begriff entstanden ist, kann nicht zweifelhaft seyn; es ist der usus, im Gegensatz des ususfructus, aber nicht der usus der Römischen Juristen selbst, sondern der, welcher in unsern Compendien bis auf die neuesten Zeiten fälschlich angenommen war. Die Römer verstehen unter usus den Gebrauch ohne allen Fruchtgenuß, z. B. bey einem Pferde das Reiten und Fahren, aber nicht die Füllen und das Miethgeld. Nur wenn aus Versehen ein usus an einer solchen Sache gegeben ist, an welcher ganz oder zum Theil dieser reine Gebrauch unmöglich ist, interpretiren sie ausnahmsweise den usus wie vollen oder theilweisen ususfructus, indem sie nothgedrungen annehmen, daß man sich schlecht ausgedrückt habe, weshalb durch Interpretation nachgeholfen werden müsse. Das eigenthümliche Daseyn dieses usus beruht auf Römischem Sprachgebrauch, und da wir kein Wort von entsprechender Bestimmtheit haben, so schlägt das Landrecht den richtigern Weg ein, den usus ganz zu ignoriren, und außer dem Nießbrauch zuerst im allgemeinen zu bemerken, daß man auch nach Belieben eingeschränkte Nutzungsrechte geben könne (I. 21. §. 227), dann aber solche Fälle dieser Art abzuhandeln, die noch bey uns gewöhnlich sind. - Den Unterschied des Vormundes vom Curator (§. 188) möchte
(157) man auf den ersten Blick darin (102) setzen, daß jener auf Minderjährige, dieser auf alle übrige Hülfsbedürftige bezogen würde. Diese Terminologie wäre zwar neu und dem Gesetzbuch eigen, doch tadellos. So ist es aber nicht, denn auch Minderjährige erhalten sehr oft einen Curator, und nicht einen Vormund (§. 270-272). Unverkennbar ist dieses aus dem Römischen Rechte beybehalten, das ja auch häufig dem Pupillen einen blosen Curator giebt: nur daß hier überhaupt an die Stelle der Pupillen mit Recht alle Minderjährige getreten sind. Allein das Römische Recht hat zu dieser scharfen Unterscheidung der Tutel und Curatel einen besonderen Grund. Der Tutor nämlich ist ihm diejenige Person, durch deren auctoritas der sonst zum Handeln unfähige Pupill ergänzt werden kann, während jeder Curator nichts als gemeiner Verwalter fremder Rechte ist. Das also ist das eigenthümliche und wichtige des Römischen Tutors, daß mit seiner Hülfe für den Pupillen Mancipationen, Stipulationen, Vindicationen u. s. w. möglich sind, welche Handlungen durch freye Stellvertreter, also auch durch Curatoren, gar nicht vorgenommen werden können. Der Schlüssel der ganzen Tutel also, insofern sie etwas eigenthümliches, von der Curatel verschiedenes war, lag in der Regel: per extraneam personam nihil adquiri (neque alienari) potest 1); diese Regel wurde (103) zwar später auf civile Handlungen beschränkt'), aber bey diesen erhielt sie sich noch in Justinians Zeit, wie die angeführten Stellen seiner Rechtsbücher beweisen. Wir dagegen in unserm praktischen Rechte, haben davon keine Spur mehr, also auch keinen Grund, zwischen Tutor und Curator die Römische Gränze zu behalten, die für uns ihren Sinn verloren hat. Das Gesetzbuch sucht nun gleich bey der ersten Einführung des Vormundes (§. 188) die Fälle auszuschließen, in welchen der Pfleger eines Minderjährigen blos Curator heißt; dieses geschieht durch die Bestimmung: „Ein Vormund hat vorzüglich für die Person des Minderjährigen zu sorgen, zugleich aber dessen Vermögen zu verwalten.“ In der vorzugsweisen Beziehung auf die Person also (obgleich nach §. 282 dieselbe Beziehung auch bey Curatoren statt finden kann) läge

1) § 5 l. per quas pers.

2) §. l. cit. L. 53 D. de adqu. rer. dom.
(158) das unterscheidende des Vormundes. Dieses ist nun unverkennbar die Römische Regel: personae, non rei vel causae (tutor) datur 1), die in unsern neueren Compendien ganz auf dieselbe Weise wie in dem Gesetzbuch modificirt worden ist, weil man sich doch nicht verbergen konnte, daß der Tutor allerdings auch mit dem Vermögen einiges Geschäft habe 2). (104) Ganz consequent wird daher dem Vormund das Recht und die Verbindlichkeit der Erziehung „gleich dem Vater“ übertragen (§. 216), wobey er nur in wichtigen und bedenklichen Angelegenheiten an die Genehmigung des Gerichts gebunden ist. Allein der Sinn jener Römischen Regel ist ein ganz anderer: die persona, von welcher darin gesprochen wird, ist die juristische Persönlichkeit des Pupillen, die Fähigkeit desselben zu förmlichen Handlungen. Diese Fähigkeit für alle Anwendungen zu ergänzen (will die Stelle sagen) ist der Hauptberuf des Tutors, darum muß sich sein Amt allgemein auf alle Theile des Vermögens erstrecken, und kann nicht auf einzelne Rechtsverhältnisse des Pupillen beschränkt werden. Darum hat denn auch der Römische Tutor mit der Erziehung des Pupillen durchaus gar nichts zu schaffen, sondern über diese verfügt der Prätor ganz frey nach den Umständen, wobei zufällig seine Wahl auf den Tutor wie auf jeden Andern fallen kann 3). Man wird dagegen einwenden, eben diesen Satz des Römischen Rechts habe man aus guten Gründen abändern wollen. Wohl: aber der übrige Zusammenhang macht dabey eine nicht geringe Schwierigkeit. Denn das Gesetzbuch hat aus dem Römischen Rechte das strenge Recht der nächsten Verwandten auf tutela legitima angenommen (105 § 198), und diese allgemeine Gewalt des künftigen Intestaterben 4) über die Person des Minderjährigen ist sehr bedenklich. Man braucht nicht gerade den äußersten Fall anzunehmen,

1) L. 14 D. de testam. tut.

2) Hellfeld § 1298 „Ipsa vero tutela consistit in defensione personae pupilli principaliter, et secundario in defensione bonorum pupillarium.”

3) Digest. lib. 27 tit. 2.

4) Nämlich nach Römischem Rechte war allgemein und absichtlich der Intestaterbe zur Tutel berufen; im Oesterreichischen Gesetzbuch kann es wegen der Linealerbfolge kommen, daß der Intestaterbe und der zur Vormundschaft berufene nächste Verwandte verschiedene Personen sind, in den meisten Fällen aber wird es auch hier dieselbe Person seyn.
(159) daß der Vormund den Mündel umbringt, um ihn zu beerben: auch in vielen anderen unbemerkteren Fällen wird in der persönlichen Leitung und Erziehung das Interesse des Mündels von dem seines künftigen Erben sehr verschieden seyn. Dagegen schützen weder die gesetzlichen Gründe der Unfähigkeit zur Vormundschaft (§. 191.193), die immer sehr selten nachzuweisen seyn werden, noch die Genehmigung des Gerichts, die ja nur in bedenklichen Angelegenheiten eingeholt zu werden braucht (§. 216), noch endlich die Anzeige, die hinterher von wirklichem Misbrauch der Gewalt gemacht werden kann (§. 217). In diesem Fall ist der organische Zusammenhang verschiedener Rechtssätze recht merkwürdig. Das Römische Recht macht seine tutela legitima dadurch unschädlich, daß es die Erziehung davon absondert: der Hauptberuf des Tutors ist der, zu auctoriren, und gewiß ist von keinem Menschen weniger als von dem künftigen Erben zu befürchten, daß er in leichtsinnige (106) Veräußerungen oder Versprechungen einwilligen werde. Nach dem Preussischen Landrecht bestimmt auf gleiche Weise, wie nach dem Römischen Rechte, das Gericht unmittelbar den Erzieher, ohne an den Vormund gebunden zu seyn (II. 18. §. 320); und überdem gilt gar kein Recht bestimmter Verwandten auf tutela legitima (II. 18.§. 194), was unsrer heutigen Ansicht der Vormundschaft gewiß angemessen ist. Auch in Bestimmung des Begriffs der Vormundschaft geht das Landrecht freyer zu Werke: Vormund heißt ihm derjenige, welcher alle, Curator der, welcher nur gewisse Angelegenheiten zu besorgen hat (II. 18. §. 3. 4). Dabey ist die Römische Terminologie mit Recht ganz verlassen, dafür aber innerer Zusammenhang erlangt. So z. B. hat nun auch der Wahnsinnige einen Vormund (II. 18. §. 12), der nach dem Oesterreichischen Gesetzbuch nur einen Curator hat (§. 270). Dieses folgt darin dem Römischen Rechte; aber der Grund des Römischen Rechts, den Schutz der Pupillen von dem der Wahnsinnigen streng zu unterscheiden, lag darin, daß bey Pupillen und nicht auch bey Wahnsinnigen eine auctoritas möglich war, und dieser Grund existirt nicht mehr. Daß Dinge solcher Art geringfügig und unbedeutend seyen, wird niemand behaupten, der aufmerksam den großen Einfluß dieser Verknüpfung und Bezeichnung der Begriffe auf die Rechtssätze selbst beobachtet hat.
(160) Bisher ist von der Construction der Begriffe im (107) Oesterreichischen Gesetzbuch die Rede gewesen, und nur beyläufig auch von praktischen Sätzen, insofern nämlich jene Construction unmittelbaren Einfluß auf dieselben ausgeübt hat. Nun ist noch besonders von den praktischen Sätzen zu sprechen. Es ist schon bemerkt worden, daß die materielle Vollständigkeit, welche im Preussischen Landrechte gesucht war, hier gar nicht zur Aufgabe gehörte: die Entscheidung der einzelnen Rechtsfälle wird demnach meistens, so wie bey dem Code (S. 73), nicht unmittelbar durch das Gesetzbuch bestimmt werden können, und das außer ihm liegende, wodurch sie in der That bestimmt werden wird, verdient auch hier die allergrößte Aufmerksamkeit. Das Gesetzbuch selbst (§. 7) schreibt eine doppelte Quelle dieser Ergänzung vor: zunächst die wirklich im Gesetzbuch enthaltene Entscheidung ähnlicher Fälle, und, wo diese nicht ausreicht, das Naturrecht. Allein die erste Quelle wird wenig sichere Hülfe geben: denn materieller Reichthum des Gesetzbuchs war, wie schon bemerkt, gar nicht gesucht, und von der formellen Unzulänglichkeit desselben ist so eben ausführlich die Rede gewesen. Die zweyte Quelle aber (das Naturrecht) ist selbst von den würdigen Männern, welche zuletzt zur Entstehung des Gesetzbuchs mitgewirkt haben, als sehr gefährlich für die Rechtspflege anerkannt 1). Der Erfolg wird also auch (108) hier, wie bey dem Code, ein ganz anderer seyn, als ihn das Gesetzbuch anzunehmen scheint, indem unvermeidlich und ganz in der Stille die wissenschaftliche Theorie den Einfluß auf die Rechtspflege behaupten wird, den ihr das Gesetzbuch zu entziehen bestimmt war. Ob also die wirklich verbreitete Theorie gut oder schlecht ist, davon wird in der That das meiste abhangen, und der Zustand der Lehranstalten (wovon der folgende Abschnitt reden soll) wird für die Rechtspflege noch in ganz anderer Rücksicht, als wegen der bloßen Kenntniß des Gesetzbuches selbst, entscheidend seyn.

Ist dieses Urtheil über die drey neuen Gesetzbücher gegründet,

1) Zeiller a. a. O., S. 38. „Da nun aber auf dem philosophischen Gebiete jedermann nach seiner Ueberzeugung urtheilet; so ist leicht zu erachten, daß die Urtheile oft nach einer eingebildeten Billigkeit (aequitas cerebrina) und im Grunde nach Willkühr gefället werden.“
(161) so liegt darin eine Bestätigung meiner Ansicht, daß die gegenwärtige Zeit keinen Beruf hat, ein Gesetzbuch zu unternehmen: und gewiß eine sehr starke Bestätigung. Denn wie viel die Franzosen durch Gewandtheit und Leichtigkeit im praktischen Leben auszurichten vermögen, ist uns allen oft genug wiederholt worden: welche Zeiträume hindurch von verdienten, einsichtsvollen Männern an den Deutschen Gesetzbüchern mit ernstlichem Eifer gearbeitet worden ist, wissen wir. Ist also durch so verschiedenartige Bemühungen das Ziel dennoch nicht erreicht worden, so muß es in der juristischen Bildung eines ganzen (109) Zeitalters Hindernisse geben können, welche nicht zu übersteigen sind. Diese Ueberzeugung aber ist entscheidend, da ohne Zweifel die eifrigen Freunde der Gesetzbücher die Bürgschaft eines glücklichen Erfolgs blos in ihrem lebhaften Bestreben nach diesem Gegenstande finden, was doch nach jenen Erfahrungen nicht hinreichend ist. Es würde also nur noch darauf ankommen, die gegenwärtige Bildung der Rechtswissenschaft mit derjenigen zu vergleichen, aus welcher die vorhandenen Gesetzbücher hervorgegangen sind: und bey unbefangener Selbstprüfung müssen wir bekennen, daß beide vielleicht wohl dem Grade nach, aber nicht generisch verschieden sind.

Alle diese Erinnerungen übrigens betreffen nicht etwa einzelne Mängel, durch deren Verbesserung dem Ganzen leicht ein wahrhaft treffliches und genügendes Daseyn verschafft werden könnte: sie betreffen vielmehr den Character des Ganzen selbst, und alles einzelne, was herausgehoben worden ist, sollte blos dazu dienen, diesen allgemeinen Charakter anschaulich zu machen, und ein Urtheil über denselben zu begründen. Anderer Meynung ist ein neuerer Schriftsteller 1), welcher von dem Code glaubt, die wenigen Flecken, welche denselben verunstalten, könnten leicht abgewischt werden, worauf er allerdings zu einer dankenswerthen Wohlthat werden würde. Allein (110) es sey uns diese fremde Weisheit überflüssig, denn, sagt er, „wir haben kürzlich ein bürgerliches Gesetzbuch in Oesterreich erhalten, welches dem Französischen wenigstens an die Seite gesetzt werden kann und für uns den Vorzug hat, ohne alle weitere Vorbereitung in ganz Deutschland anwendbar zu seyn.“ Sein Rath geht dahin, daß dieses Gesetzbuch

1) K. E. Schmid Deutschlands Wiedergeburt, S. 131. 134. 135.
(162) augenblicklich angenommen, und dann den Regierungen überlassen werde, ihre Vorschläge einzelner Abänderungen einer Gesetzcommission vorzulegen. Diese Ansicht scheint mir schon aus sich selbst und ohne Prüfung des innern Werthes der Gesehbücher widerlegt werden zu können: denn wenn es wahr wäre, daß der Code vortrefflich und mit geringen Modifikationen eine Wohlthat, das sehr verschiedene Oesterreichische Gesetzbuch aber auch vortrefflich, ja noch besser und völlig anwendbar wäre, so müßte den Gesetzbüchern überhaupt eine völlig fabrikmäßige Vortrefflichkeit zugeschrieben werden, und es wäre unmöglich, sie für etwas großes und höchst wünschenswerthes zu halten.

8.

Was Wir thun sollen wo keine Gesetzbücher sind.

(111) Bey der Untersuchung dessen, was geschehen soll, müssen vor allem diejenigen Länder, in welchen bis jetzt gemeines Recht und Landesrecht (nur etwa unterbrochen durch die kurze Herrschaft des Code) galt, von denen getrennt werden, welche bereits unter einheimischen Gesetzbüchern leben.

In den Ländern des gemeinen Rechts wird, so wie überall, ein löblicher Zustand des bürgerlichen Rechts von drey Stücken abhängig seyn: erstlich einer zureichenden Rechtsquelle, dann einem zuverlässigen Personal, endlich einer zweckmäßigen Form des Prozesses. Ich werde in der Folge auf diese drey Stücke zurückkommen, um die Zulänglichkeit meines Plans darnach zu prüfen.

Was zuerst die Rechtsquelle anlangt, wozu eben das neu einzuführende Gesetzbuch bestimmt seyn sollte, so würde nach meiner Ueberzeugung wieder einzuführen seyn an die Stelle des Code, oder beyzubehalten, wo der Code nicht galt, dieselbe Verbindung des gemeinen Rechts und der Landesrechte, welche früher in ganz Deutschland herrschend war: diese Rechtsquelle halte ich für hinreichend, ja für (112) vortrefflich, sobald die Rechtswissenschaft thut, was ihres Amtes ist, und was nur durch sie geschehen kann.

Betrachten wir nämlich unsern Zustand, wie er in der That ist, so finden wir uns mitten in einer ungeheuern Masse juristischer
(163) Begriffe und Ansichten, die sich von Geschlecht zu Geschlecht fortgeerbt und angehäuft haben 1). Wie die Sache jetzt steht, besitzen und beherrschen wir diesen Stoff nicht, sondern wir werden von ihm bestimmt und getrieben nicht wie wir wollen. Darauf gründen sich alle Klagen über unsern Rechtszustand, deren Gerechtigkeit ich nicht verkenne, und daher ist alles Rufen nach Gesetzbüchern entstanden. Dieser Stoff umgiebt und bestimmt uns auf allen Seiten, oft ohne daß wir es wissen: man könnte darauf denken, ihn zu vernichten, indem man alle historische Fäden zu durchschneiden und ein ganz neues Leben zu beginnen versuchte, aber auch diese Unternehmung würde auf einer Selbsttäuschung beruhen. Denn es ist unmöglich, die Ansicht und Bildung der jetztlebenden Rechtsgelehrten zu vernichten: unmöglich, die Natur der bestehenden Rechtsverhältnisse umzuwandeln; und auf diese doppelte Unmöglichkeit gründet sich der unauflösliche organische Zusammenhang der Geschlechter und Zeitalter, zwischen welchen nur Entwicklung aber (143) nicht absolutes Ende und absoluter Anfang gedacht werden kann. Insbesondere damit, daß einzelne, ja viele Rechtssätze abgeändert werden, ist für diesen Zweck gar nichts gethan: denn, wie schon oben bemerkt worden ist (S. 39), die Richtung der Gedanken, die Fragen und Aufgaben werden auch da noch durch den vorhergehenden Zustand bestimmt seyn, und die Herrschaft der Vergangenheit über die Gegenwart wird sich auch da äußern können, wo sich die Gegenwart absichtlich der Vergangenheit entgegen setzt. Dieser überwiegende Einfluß des bestehenden Stoffs also ist auf keine Weise vermeidlich: aber er wird uns verderblich seyn, solange wir ihm bewußtlos dienen, wohlthätig, wenn wir ihm eine lebendig bildende Kraft entgegen setzen, durch historische Ergründung ihn unterwerfen, und so den ganzen Reichthum der vergangenen Geschlechter uns aneignen. Wir haben also nur die Wahl, ob wir wollen, nach Baco’s Ausdruck, sermocinari tamquam e vinculis, oder ob eine gründliche Rechtswissenschaft uns lehren soll, diesen historischen Stoff frey als unser Werkzeug zu gebrauchen: ein drittes giebt es nicht. Bey dieser Wahl möchte die Wissenschaftlichkeit schon von selbst, als der edlere Theil, für sich gewinnen:

1) Vergl. Rehberg über den Code Napoleon S. 8-l0.
(164) aber es kommen noch besondere Gründe aus unsrer Lage hinzu. Zuerst die allgemeine wissenschaftliche Richtung, die den Deutschen natürlich ist, und wodurch sie es andern Nationen in vielen (114) Dingen zuvor zu thun berufen sind: dann auch manches in unsren politischen Verhältnissen. Darum wird nicht die Erfahrung anderer Nationen oder Zeiten zur Widerlegung angeführt werden können, nicht der Zustand des bürgerlichen Rechts in England, noch der bey unsren Vorfahren. Was unsre Vorfahren betrifft, so hat Möser in einem trefflichen Aufsatz den Unterschied zwischen dem, was er Willkühr, und was er Weisheit nennt, entwickelt 1): bey jener konnte Freiheit und Gerechtigkeit bestehen, solange ebenbürtige genosse Richter urtheilten, wir können Weisheit durchaus nicht entbehren. Als Surrogat derselben verdient in dieser Rücksicht selbst das Hangen an mittelmäßigen Autoritäten (so schlecht dieses in anderer Rücksicht ist) alle Achtung 2), und kann als ein Schutzmittel gegen die verderbliche Verwechslung von Willkühr und Weisheit dienen.

Erst wenn wir durch ernstliches Studium vollständigere Kenntniß erworben, vorzüglich aber unsren geschichtlichen und politischen Sinn mehr geschärft haben, wird ein wahres Urtheil über den überlieferten Stoff möglich seyn. Bis dahin dürfte es gerathener seyn, etwas zu zweifeln, ehe wir vorhandenes für schlaffe Angewohnheit, unkluge Abgeschiedenheit (115) und blose Rechtsfaulheit halten 3): vorzüglich aber mit der Anwendung des wundärztlichen Messers 4) auf unsern Rechtszustand zu zögern. Wir könnten dabey leicht auf gesundes Fleisch treffen, das wir nicht kennen, und so gegen die Zukunft die schwerste aller Verantwortungen auf uns laden. Auch ist der geschichtliche Sinn der einzige Schutz gegen eine Art der Selbsttäuschung, die sich in einzelnen Menschen, wie in ganzen Völkern und Zeitaltern, immer wiederholt, indem wir nämlich dasjenige, was uns eigen

1) Ueber die Art und Weise, wie unsre Vorfahren die Processe abgekürzet haben; patriotische Phantasien Th. 1. N.. 51.

2) Mösers Schreiben eines alten Rechtsgelehrten über das sogenannte Allegiren, a. a. O. Th. l. N. 22.

3) Thibaut a. a. O., S. 52. 55. 60.

4) Thibaut S. 60.
(165) ist, für allgemein menschlich halten. So hatte man ehemals aus den Institutionen mit Weglassung einiger hervorstehenden Eigenthümlichkeiten ein Naturrecht gemacht, was man für unmittelbaren Ausspruch der Vernunft hielt: jetzt ist niemand, der nicht über dieses Verfahren Mitleid empfände, aber wir sehen noch täglich Leute, die ihre juristischen Begriffe und Meynungen blos deshalb für rein vernünftig halten, weil sie deren Abstammung nicht kennen. Sobald wir uns nicht unsres individuellen Zusammenhangs mit dem großen Ganzen der Welt und ihrer Geschichte bewußt werden, müssen wir nothwendig unsre Gedanken in einem falschen Lichte von Allgemeinheit und Ursprünglichkeit erblicken. Dagegen schützt nur der geschichtliche Sinn, welchen gegen uns selbst zu kehren gerade die schwerste Anwendung ist.

(116) Man könnte versucht seyn, die Notwendigkeit dieser historischen Ergründung des Stoffs, in welchem wir unwillkührlich befangen sind, zwar für unsre Lage zuzugeben, aber zugleich für ein Uebel zu halten, indem dadurch Kräfte in Anspruch genommen werden, die zu nützlicheren Zwecken verwendet werden könnten. Diese Ansicht wäre traurig, weil sie das Gefühl eines unvermeidlichen Nebels erregen würde, aber wir können uns damit trösten, daß sie falsch ist. Vielmehr ist diese Nothwendigkeit auch an sich für ein großes Gut zu achten. In der Geschichte aller bedeutenden Völker nämlich finden wir einen Uebergang von beschränkter, aber frischer und lebensvoller, Individualität zu unbestimmter Allgemeinheit. Auf diesem Wege geht auch das bürgerliche Recht, und auch in ihm kann zuletzt das Bewußtseyn der Volkseigentümlichkeit verloren gehen: so geschieht es, wenn bejahrte Völker darüber nachdenken, wie viele Eigenheiten ihres Rechts sich bereits abgeschliffen haben, daß sie leicht zu dem so eben dargestellten Irrthum kommen, indem sie ihr ganzes noch übriges Recht für ein jus quod naturalis ratio apud omnes homines constituit halten. Daß damit zugleich der eigenthümliche Vorzug verloren geht, welchen das Recht in frühen Zeiten hat (S. 9), ist unverkennbar. Zu diesem vergangenen Zustande zurück zu kehren, würde ein fruchtloser und thörichter Rath seyn: aber etwas anderes (117) ist es, den eigenen Werth desselben in frischer Anschauung gegenwärtig erhalten, und sich so vor der
(166) Einseitigkeit der Gegenwart bewahren, welches allerdings möglich und heilsam ist. Wenn überhaupt die Geschichte auch im Jünglingsalter der Völker eine edle Lehrerin ist, so hat sie in Zeitaltern, wie das unsrige, noch ein anderes und heiligeres Amt. Denn nur durch sie kann der lebendige Zusammenhang mit den ursprünglichen Zuständen der Völker erhalten werden, und der Verlust dieses Zusammenhangs muß jedem Volk den besten Theil seines geistigen Lebens entziehen.

Dasjenige also, wodurch nach dieser Ansicht das gemeine Recht und die Landesrechte als Rechtsquellen wahrhaft brauchbar und tadellos werden sollen, ist die strenge historische Methode der Rechtswissenschaft. Der Charakter derselben besteht nicht, wie einige neuere Gegner unbegreiflicherweise gesagt haben, in ausschließender Anpreisung des Römischen Rechts: auch nicht darin, daß sie die unbedingte Beybehaltung irgend eines gegebenen Stoffs verlangte, was sie vielmehr gerade verhüten will, wie sich dieses oben bey der Beurtheilung des Oesterreichischen Gesetzbuchs gezeigt hat. Ihr Bestreben geht vielmehr dahin, jeden gegebenen Stoff bis zu seiner Wurzel zu verfolgen, und so sein organisches Princip zu entdecken, wodurch sich von selbst das, was noch Leben hat, von demjenigen absondern muß, was schon (118) abgestorben ist, und nur noch der Geschichte angehört. Der Stoff aber der Rechtswissenschaft, welcher auf diese Weise behandelt werden soll, ist für das gemeine Recht dreyfach, woraus sich drey Haupttheile unsrer Rechtswissenschaft ergeben: Römisches Recht, Germanisches Recht, und neuere Modifikationen beider Rechte. Das Römische Recht hat, wie schon oben bemerkt worden, außer seiner historischen Wichtigkeit noch den Vorzug, durch seine hohe Bildung als Vorbild und Muster unsrer wissenschaftlichen Arbeiten dienen zu können. Dieser Vorzug fehlt dem Germanischen Rechte, aber es hat dafür einen andern, welcher jenem nicht weicht. Es hangt nämlich unmittelbar und volksmäßig mit uns zusammen, und dadurch, daß die meisten ursprünglichen Formen wirklich verschwunden sind, dürfen wir uns hierin nicht irre machen lassen. Denn der nationale Grund dieser Formen, die Richtung woraus sie hervor giengen, überlebt die Formen selbst, und es ist nicht vorher zu bestimmen, wie viel von altgermanischen Einrichtungen,
(167) wie in Verfassung so im bürgerlichen Recht, wieder erweckt werden kann. Freylich nicht dem Buchstaben, sondern dem Geiste nach, aber den ursprünglichen Geist lernt man nur kennen aus dem alten Buchstaben. Endlich die Modifikation beider ursprünglichen Rechte ist gleichfalls nicht zu vernachlässigen. Auf dem langen Wege nämlich, welchen jene ursprünglichen Rechte bis zu uns gehen mußten, (119) hat sich natürlich vieles ganz anders gestaltet und entwickelt, theils nach wirklich volksmäßigem Bedürfniß, theils auf mehr literarische Weise, unter den Händen der Juristen. Dieses letzte ist hier überwiegend, und die Grundlage davon ist eine Geschichte unsrer Rechtswissenschaft vom Mittelalter herab. Ein vorzügliches Bestreben dieses dritten Theiles unsrer Wissenschaft muß darauf gerichtet seyn, den gegenwärtigen Zustand des Rechts allmählich von demjenigen zu reinigen, was durch bloße Unkunde und Dumpfheit literarisch schlechter Zeiten, ohne alles wahrhaft praktische Bedürfniß, hervorgebracht worden ist.

Es kann nicht meine Absicht seyn, diese historische Behandlung aller Theile unsres Rechts hier in einer ausführlichen Methodik darzustellen; allein über das Römische Recht muß noch einiges hinzugefügt werden, da gerade dessen Behandlung neuerlich in Frage gekommen ist. Was ich für den einzig möglichen Standpunkt dieses Studiums halte, wird aus der oben gegebenen Darstellung des Römischen Rechts einleuchtend seyn: es ist das Recht der Pandekten, von welchem aus dann die Uebergänge zu den neueren Modifikationen bis Justinian zu bestimmen sind. Willkührlich wird diese Ansicht niemand finden, welcher bedenkt, daß schon Justinian sie gehabt hat, und daß sie wenigstens dem Namen nach dem Hauptunterricht auf Universitäten, und den (120) ausführlichsten Werken über das Römische Recht seit Jahrhunderten zum Grunde liegt. Wie nun die alten Juristen zu studieren sind, läßt sich leicht sagen, obgleich schwer ohne wirkliche Probe anschaulich machen: sie sollen nicht blos die Schule hüten, sondern wieder belebt werden: wir sollen uns in sie hinein lesen und denken, wie in andere mit Sinn gelesene Schriftsteller, sollen ihnen ihre Weise ablernen, und so dahin kommen, in ihrer Art und von ihrem Standpunkt aus selbst zu erfinden und so ihre unterbrochene Arbeit in gewissem Sinne fortzusetzen. Daß

(168) dieses möglich ist, gehört zu meinen lebendigsten Ueberzeugungen. Die erste Bedingung dazu ist freylich eine gründliche Rechtsgeschichte, und, was aus dieser folgt, die völlige Gewöhnung, jeden Begriff und jeden Satz sogleich von seinem geschichtlichen Standpunkte aus anzusehen. Viel ist hierin noch zu leisten: aber wer bedenkt, was unsre Rechtsgeschichte vor fünf und zwanzig Jahren war, und wie vieles nun in Kenntniß und Behandlung, hauptsächlich durch Hugos Verdienst, anders geworden ist, der kann auch für die Folge den besten Hoffnungen Raum geben. Wer nun auf diese Weise in den Quellen des Römischen Rechts wahrhaft einheimisch geworden ist, dem wird das Studium unsrer neuern juristischen Literatur, vom Mittelalter bis auf uns herab, zwar noch Arbeit und oft unerfreuliche Arbeit geben, aber er wird dadurch nur noch seine Ansichten vervollständigen und auf (121) keine Weise irre gemacht werden können, also keine innere Schwierigkeit darin finden; wer dagegen das Römische Recht nicht so an der Wurzel angreift, der wird fast unvermeidlich durch jene neuere Literatur immer mehr in Schwanken und Unsicherheit gerathen, er müßte sie denn im Ganzen ignoriren, und es dem Zufall überlassen, welches einzelne, neue, vielleicht sehr flache Resultat dieser literarischen Entwicklung auf ihn einwirken soll, und hierin ist allerdings in den neuesten Zeiten viel geleistet worden. Die hier angedeutete literarische Ausfüllung indessen gehört zur allmählichen Vollendung und nicht zum nothwendigen Grund des Studiums. Der Grund aber muß allerdings in den Vorträgen der Universitäten gelegt werden, und dazu dürften anderthalb bis zwey Jahre (die man ja auch bis jetzt darauf zu verwenden pflegte) hinreichend seyn. Nämlich hinreichend nicht zu vollendeter Gelehrsamkeit, was ohnehin kein vernünftiger Mensch von irgend einem Universitätsunterricht verlangen wird: wohl aber hinreichend, um in den Quellen zu Hause zu seyn, um sie selbst lesen zu können, und um neuere Schriftsteller unabhängig und mit eigenem Urtheil zu lesen, und ihnen nicht mehr preis gegeben zu seyn. Es ist einleuchtend, daß dagegen die Erfahrung eines wirklichen Unterrichts nicht angeführt werden kann, sobald in diesem Unterricht die unmittelbare Einführung in die Quellen gar nicht versucht worden ist.
(169) (122) In neueren Zeiten sind über die Bedingungen unsres Studiums zwey von dieser Ansicht abweichende, völlig entgegengesetzte Meynungen gehört worden. Thibaut nämlich 1) stellt die Schwierigkeit desselben fast schauderhaft dar, und so, daß allerdings jedem, der es unternehmen wollte, der Muth entfallen müßte; so z. B. sollen wir vielleicht erst nach tausend Jahren so glücklich seyn, über alle Lehren des Römischen Rechts erschöpfende Werke zu erhalten. Das ist zu wenig oder zu viel, je nachdem man es nimmt. Ganz erschöpfen und völlig abthun, so daß kein Weiterkommen möglich wäre, läßt sich eine würdige historische Aufgabe niemals, auch nicht in tausend Jahren; aber um zu sicherer Anschauung und zur Möglichkeit unmittelbarer, verständiger Anwendung des Römischen Rechts zu gelangen, brauchen wir so lange Zeit nicht, dies ist größtentheils schon jetzt möglich, obgleich mit stetem Fortschreiten nach innen, was ich unsrer Wissenschaft nicht zum Tadel, sondern zu wahrer Ehre rechne. Es kommt alles auf die Art an, wie das Studium behandelt wird. Vor hundert Jahren hat man in Deutschland viel mehr Mühe und Zeit an das Römische Recht gesetzt als jetzt, und es ist unläugbar, daß man in eigentlicher Kenntniß nicht so weit kommen konnte, als es jetzt (123) bey guten Lehrern möglich ist. Vollends mit den kritischen Schwierigkeiten, die Thibaut für ganz unübersteiglich erklärt 2), hat es so große Noth nicht. Wer es recht angreift, kann sich mit einer ganz schlechten Ausgabe der Pandekten in die Methode der Römischen Juristen einstudieren: es werden ihm zwar manche Irrthümer im einzelnen übrig bleiben, aber auch diese wird er größtentheils bey etwas kritischem Sinn mit Hülfe von drey, vier Ausgaben, wie sie jeder leicht finden kann, mit Sicherheit zu berichtigen im Stande sey(n). Auch hierin sind zwey Dinge gänzlich verwechselt: dasjenige nämlich, was zur allmählichen und ganz erschöpfenden Entwicklung einer großen historischen Aufgabe allerdings gehört, mit dem was nothwendige Bedingung eines unmittelbar möglichen, in gewissem Sinne befriedigenden Grades sicherer Kenntniß ist. Alles, was hier

1) a. a. O., S. 15-22.

2) a. a. O., S. 20. 21.
(170) Thibaut über die Unsicherheit unsres Textes sagt, gilt eben so von unsren heiligen Büchern; auch da wird die Kritik niemals ein Ende finden, aber wer überhaupt Nahrung und Freude in ihnen finden kann, wird dadurch gewiß nicht gestört werden. - Eine gerade entgegen gesetzte und viel verbreitetere Ansicht geht darauf, daß das Römische Recht viel leichter genommen werden könne und müsse, und daß nur wenig Zeit (124) darauf zu wenden sey. Dieses ist theils behauptet, theils (wie sich noch unten zeigen wird) praktisch ausgeführt worden, besonders wo bey eingeführten neuen Gesetzbüchern das Römische Recht bloßes Hülfsstudium werden sollte; desgleichen wenn von der Bildung künftiger Gesetzgeber die Rede war. Zu diesen Zwecken, glaubte man, sey das mühselige Detail entbehrlich, man könne sich mit dem, was man den Geist dieses Rechts nannte, begnügen. Dieser Geist nun besteht in dem, was sonst Institutionen heißt und was zum ersten Orientiren ganz gute Dienste leisten kann: die allgemeinsten Begriffe und Sätze ohne kritische Prüfung, ohne Anwendung und besonders ohne Quellenanschauung, wodurch alles erst wahres Leben erhält. Dieses nun ist ganz umsonst, und wenn man nicht mehr thun will, so ist selbst diese wenige Zeit völlig verloren: der einzige Nutzen, den ein solches Studium haben kann, ist die Erhaltung des Namens und der äußeren Form unsrer Wissenschaft, wodurch vielleicht in einer künftigen, besseren Zeit ihre Wiederbelebung erleichtert werden kann. Ganz heillos ist besonders die Ansicht, als ob ein künftiger Gesetzgeber, für welchen doch überhaupt dieser Stoff als wichtig und bildend anerkannt wird, mit einer solchen leichten, vornehmen Kenntniß, wofür das französische teinture die glücklichste Bezeichnung ist, auskommen könnte. Gerade für diese Anwendung auf eigene, neue Production ist noch weit mehr gründliche (125) Kenntniß nöthig, als für das gewöhnliche Geschäft des Juristen; man muß über den Buchstaben des historischen Materials sehr Herr geworden seyn, um dasselbe frey als Werkzeug zur Darstellung neuer Formen gebrauchen zu können, sonst ist das sermocinari tamquam e vinculis unvermeidlich. Jene verkehrte Ansicht ließe sich auf die Sprache ungefähr so anwenden, als ob man zwar für den Umgang und das gemeine Leben den Reichthum, die
(171) Kraft und die Fülle der Sprache kennen müßte, für die Poesie aber mit oberflächlicher Kenntniß genug haben könnte.

Was nun hier von dem Studium des Rechts verlangt worden ist, soll nicht etwa in Büchern aufbewahrt, auch nicht einzelnen Gelehrten anvertraut, sondern Gemeingut aller Juristen werden, die mit Ernst und mit offenem Sinn für ihren Beruf arbeiten wollen. Es soll also eine lebendige Schule entstehen, so wie sämmtliche Römische Juristen, nicht blos die Sabinianer und eben so die Proculianer für sich, in der That Eine große Schule gebildet haben. Auch können nur aus einer solchen über die Gesammtheit der Juristen verbreiteten lebendigen Bearbeitung selbst die Wenigen hervorgehen, die durch ihren Geist zu eigentlicher Erfindung berufen sind, und es ist ein schädliches Vorurtheil, als ob diese sich immer finden würden, der Zustand der Schule möchte seyn welcher er wollte. Das Beyspiel von Montesquieu (126) ist in diesem Stück sehr lehrreich; niemand kann die unabhängige Kraft verkennen, womit er sich von der Beschränktheit seiner Zeit und Nation frey zu erhalten gestrebt hat: nun war er Jurist vom Handwerk und in einem pays de droit écrit, auch haben die Römer keinen eifrigern Verehrer als ihn gehabt, so daß es ihm an Veranlassung und Neigung, Römisches Recht zu kennen, nicht fehlen konnte; dennoch waren seine Kenntnisse hierin sehr mittelmäßig, und ganze Stücke seines Werkes werden dadurch völlig bodenlos, wovon seine Geschichte des Römischen Erbrechts 1) als Beyspiel dienen kann. Dies war die Folge der gänzlichen Nullität der juristischen Schule seiner Zeit, welche er nicht zu überwinden vermochte. Ueberhaupt wird sich Jeder durch gründliches Studium der Literargeschichte überzeugen, wie weniges in ihren Erscheinungen ganz den einzelnen Individuen, unabhängig von den Kräften und Bestrebungen des Zeitalters und der Nation, mit Wahrheit zugeschrieben werden kann. - Aber diese Gemeinschaft unsrer Wissenschaft soll nicht blos unter den Juristen von gelehrtem Beruf, den Lehrern und Schriftstellern, statt finden, sondern auch unter den praktischen Rechtsgelehrten. Und eben diese Annäherung der Theorie und Praxis ist es, wovon die eigentliche

1) Esprit des lois liv. 27.
(172) Besserung der Rechtspflege ausgehen muß, und worin wir 127) vorzüglich von den Römern zu lernen haben: auch unsere Theorie muß praktischer und unsere Praxis wissenschaftlicher werden, als sie bisher war. Leibniz urtheilte, daß unter den juristischen Schriftstellern fast nur die Verfasser von Consilien die Rechtswissenschaft wahrhaft erweiterten und durch Beobachtung neuer Fälle bereicherten 1): zugleich wünscht er, daß eine Gesellschaft von etwa 30 Juristen neue Pandekten als Auszug alles wahrhaft praktischen und eigenthümlichen in neueren Schriftstellern verfassen möchte 2). Unabhängig von Leibniz, aber in ähnlichem Sinne, schlägt Möser vor, durch planmäßige Sammlung wirklicher Rechtsfälle eines Landes neue Pandekten anzulegen 3). Beides sehr schön; nur ist eine nothwendige Bedingung nicht mit in Rechnung gebracht, die Fähigkeit nämlich wahre Erfahrungen zu machen. Denn man muß das klare, lebendige Bewußtseyn des Ganzen stets gegenwärtig haben, um von dem individuellen Fall wirklich lernen zu können, und es ist also wieder nur der theoretische, wissenschaftliche Sinn, wodurch auch die Praxis erst fruchtbar und lehrreich erscheint. Allerdings ist in dem Mannichfaltigen die Einheit enthalten, aber wir sehen sie darin nicht, wenn wir nicht den ausgebildeten Sinn für dieselbe (128) mit hinzubringen: ja, wir werden ohne diesen Sinn die individuelle Gestalt des Mannichfaltigen selbst nicht mit Sicherheit unterscheiden. Darum hat in den Pandekten jeder Rechtsfall eine bestimmte Individualität: dagegen, wenn man Urteilssprüche des achten und neunten Jahrhunderts liest, so lautet einer wie der andere, und es ist, als wenn sich nur immer derselbe Rechtsfall wiederholt hätte. Nicht als ob in der That die Verhältnisse selbst bis zu diesem Grad der Einförmigkeit herabgesunken wären; aber die Fähigkeit der Unterscheidung war verloren, und je mehr diese fehlt, desto unmöglicher ist sicheres und gleiches Recht. Ein treffliches Mittel zu dieser Annäherung der Theorie und Praxis würde ein zweck mäßiger Verkehr der Juristenfakultäten mit den Gerichtshöfen

1) Nova methodus. P. 2. §. 82.

2) l. c. §. 85-90.

3) Mösers Vorschlag zu einer Sammlung einheimischer Rechtsfälle; patriot. Phantasien Th. 2. N. 53. (3te Ausgabe N. 44).
(173) seyn, welcher neuerlich vorgeschlagen ist 1). Die Juristenfakultäten als Spruchcollegien konnten dazu dienen, und thaten es wohl ursprünglich nach ihrer Weise: aber nachdem sie zu allgemeinen Urtheilsfabriken geworden, mußte ihre Arbeit meist handwerksmäßiger ausfallen, als die der bessern Gerichte, ja es stand nun bey alten Fakultäten nicht mehr in der Macht einsichtsvoller Mitglieder, dieses Verhältniß zu reinigen; nicht zu gedenken, daß durch die nothwendige Uebung dieses unersprieslichen Handwerks der gelehrten Jurisprudenz die (129) besten Kräfte entzogen wurden und zum Theil noch entzogen werden. Zugleich ist diese Verknüpfung der Praxis mit einer lebendigen, sich stets fortbildenden Theorie das einzige Mittel, geistreiche Menschen für den Richterberuf wahrhaft zu gewinnen. Zwar Ehre und Rechtlichkeit kann der Richterstand auch ohne dieses haben, auch kann er sich fortwährend bilden durch Beschäftigungen außer seinem Beruf, wie sie jeden nach seiner Eigenthümlichkeit vorzugsweise ansprechen: aber ganz anders wird es seyn, wenn der eigene Beruf selbst durch seinen Zusammenhang mit dem Ganzen einen wissenschaftlichen Character annimmt, und selbst zu einem Bildungsmittel wird. Ein solcher Zustand allein wird alle Forderungen befriedigen können: der Einzelne wird nicht als bloßes Werkzeug dienen, sondern in freyem, würdigem Berufe leben, und die Rechtslehre wird wahre, kunstmäßige Vollendung erhalten. Auch die Franzosen haben dieses Bedürfniß anerkannt, nur freylich auf ihre eigene etwas unedle Weise. 2) Das nachtheiligste Verhältniß in dieser Rücksicht ist unläugbar dasjenige, worin der Richter darauf beschränkt seyn (130) soll, einen gegebenen Buchstaben, den er nicht interpretiren darf, mechanisch anzuwenden: betrachtet man dieses Verhältniß als den äußersten Punkt auf einer Seite, so würde das entgegen gesetzte äußerste darin bestehen, daß für jeden Rechtsfall der Richter das Recht zu finden hätte, wobey

1) Schmid Deutschlands Wiedergeburt, S. 278. 279.

2) Projet de code civil p. Xlll. „Dans l’état de nos sociétés, il est trop heureux que la jurisprudence forme une science qui puisse fixer le talent, flatter l’amour propre et reveiller l’émulation.” - P. XlV. „On ne saurait comprendre combien cette science et de raison adoucit et règle le pouvoir.”
(174) durch die Sicherheit einer streng wissenschaftlichen Methode dennoch alle Willkühr ausgeschlossen wäre. Zu diesem zweyten Endpunkte aber ist wenigstens eine Annäherung möglich, und in ihm wäre die älteste Deutsche Gerichtsverfassung in verjüngter Form wieder erweckt.

Ich bin oben von einem dreyfachen Bedürfniß ausgegangen: Rechtsquelle, Personal, und Prozeßform, alle in löblichem Zustande. Wie die Rechtsquelle auf gründlicher und verbreiteter Wissenschaft beruhen solle, ist gezeigt worden: desgleichen wie eben dadurch das Personal der Rechtspflege für diesen Beruf wahrhaft gewonnen werden könne. Allein beides wird allerdings nicht zureichen, wenn die Form des Prozesses schlecht ist. Von dieser Seite aber bedürfen manche Deutsche Länder einer schnellen und gründlichen Hülfe. Die allgemeinsten Gebrechen sind: Anarchie der Advokaten, Misbrauch der Fristen und ihrer Verlängerungen, Vervielfältigung der Instanzen und vorzüglich der Aktenversendung, die auf verständige Weise angewendet die trefflichsten Dienste leisten würde. Dagegen muß allerdings durch Gesetzgebung geholfen werden: auch ist gemeinsame (131) Berathung und Mitteilung der Deutschen Länder hierüber sehr wünschenswerth. Nur ist nicht nothwendig, daß gerade Eine allgemeine Form sogleich überall eingeführt werde. Mögen doch verschiedene Erfahrungen gemacht werden, was sich als das beste bewährt, wird dann wohl allgemeinen Eingang finden. Zwischen dem Preussischen und dem bisherigen gemeinen Prozeß, deren Idee man als entgegengesetzt betrachten kann, liegen noch manche Abstufungen in der Mitte, über deren Werth wohl nur Erfahrung entscheiden kann.

Nach dieser Ansicht also würde in den Ländern des gemeinen Rechts zwar kein Gesetzbuch gemacht werden: aber die bürgerliche Gesetzgebung überhaupt ist damit keinesweges für entbehrlich erklärt. Außer den Gesetzen von politischem Grunde (welche nicht hierher gehören), würde sie ein doppeltes Object haben können: Entscheidung von Controversen, und Verzeichnis alter Gewohnheiten. Mit der gesetzlichen Entscheidung von Controversen wäre ein Haupteinwurf beseitigt, wodurch man bisher die praktische Anwendbarkeit des Römischen Rechts ohne weitere Untersuchung
(175) zu widerlegen geglaubt hat. Ueberdem ist es aber mit diesen Controversen so schlimm in der That nicht. Man muß erstlich nicht gerade alles für controvers halten, woran sich irgend einmal Unwissenheit oder Geistlosigkeit versucht hat, ohne sonderlichen Eingang zu finden. Zweytens braucht sich (132) die Gesetzgebung auch mit solchen Controversen nicht zu bemühen, die zwar in unsern Lehrbüchern stehen, aber in der Praxis sehr selten vorkommen. Rechnet man beide Fälle ab, so bleibt allerdings noch manches zu thun übrig, allein der Code Napoleon, so jung er ist, kann sich darin schon recht gut neben dem Römischen Rechte sehen lassen. Diese Controversen indessen wären vielleicht besser in Form provisorischer Verfügungen oder Anweisungen an die Gerichte zu entscheiden, als durch eigentliche Gesetze, indem durch jene der möglichen besseren Ergründung durch Theorie weniger vorgegriffen würde. - Das zweyte Objekt der Gesetzgebung wäre die Verzeichnung des Gewohnheitsrechts, über welches auf diese Weise eine ähnliche Aufsicht wie in Rom durch das Edict ausgeübt würde. Man darf nicht glauben, daß so das bisher bestrittene Gesetzbuch doch wieder zugelassen würde, nur unter anderem Namen: der Unterschied betrifft vielmehr gerade das Wesen der Sache. Nämlich in dieses Gewohnheitsrecht wird nur dasjenige aufgenommen, was durch wirkliche Uebung entschieden ist, und dieses wird ohne Zweifel jetzt, da man diese Entscheidung vor sich hat, völlig begriffen: das Gesetzbuch dagegen ist genöthigt, über alles zu sprechen, auch wenn kein Trieb dazu da ist, und keine specielle Anschauung dazu fähig macht, blos in Erwartung künftiger möglicher Fälle. Daß über die Art der Ausführung dieser übrig (133) bleibenden Zweige bürgerlicher Gesetzgebung hier nicht gesprochen werden kann, wird jedem von selbst einleuchten.

Ich habe bis jetzt für die Länder des gemeinen Rechts untersucht, welcher Weg für das bürgerliche Recht zunächst zu betreten ist, wenn dasselbe in einen löblichen Zustand kommen soll. Ich will noch das höhere Ziel hinzufügen, dessen Möglichkeit auf demselben Wege liegt. Ist einmal Rechtswissenschaft auf die hier beschriebene Weise Gemeingut der Juristen geworden, so haben wir in dem Stand der Juristen wiederum ein Subject für lebendiges Gewohnheitsrecht, also für wahren Fortschritt, gewonnen; von
(176) diesem Gewohnheitsrecht war unser Gerichtsgebrauch nur ein kümmerliches Surrogat, am kümmerlichsten der Gerichtsgebrauch der Juristenfakultäten. Der historische Stoff des Rechts, der uns jetzt überall hemmt, wird dann von uns durchdrungen seyn und uns bereichern. Wir werden dann ein eigenes, nationales Recht haben, und eine mächtig wirksame Sprache wird ihm nicht fehlen. Das Römische Recht können wir dann der Geschichte übergeben, und wir werden nicht blos eine schwache Nachahmung Römischer Bildung, sondern eine ganz eigene und neue Bildung haben. Wir werden etwas höheres erreicht haben, als blos sichere und schnelle Rechtspflege: der Zustand klarer, anschaulicher Besonnenheit, welcher dem Recht jugendlicher Völker eigen zu seyn pflegt, wird sich (134) mit der Höhe wissenschaftlicher Ausbildung vereinigen. Dann kann auch für zukünftige schwächere Zeiten gesorgt werden, und ob dieses durch Gesetzbücher oder in anderer Form besser geschehe, wird dann Zeit seyn zu berathen. Daß dieser Zustand jemals eintreten werde, sage ich nicht: dieses hangt von der Vereinigung der seltensten und glücklichsten Umstände ab. Was wir Juristen hinzu bringen können, ist offener Sinn, und treue tüchtige Arbeit: haben wir diese gethan, so mögen wir den Erfolg ruhig abwarten, vor allem aber uns hüten, dasjenige zu zerstören, was näher zu jenem Ziele führen kann. Als das Jüdische Volk am Berge Sinai das göttliche Gesetz nicht erwarten konnte, machte es aus Ungeduld ein goldenes Kalb, und darüber wurden die wahren Gesetztafeln zerschlagen.

9. Was bey vorhandenen Gesetzbüchern zu thun ist.

(135) Ich komme nun zu den Deutschen Ländern, in welchen Gesetzbücher schon vorhanden sind: es versteht sich, daß darunter nur das Preussische Landrecht und das Oesterreichische Gesetzbuch gedacht werden kann, nicht der Code, welcher als eine überstandene politische Krankheit betrachtet werden muß, wovon wir freylich noch manche Uebel nachempfinden werden.
(177) Ueber jene Deutschen Gesetzbücher nun habe ich meine Meynung schon geäußert; aber man würde mich misverstehen, wenn man diese Meynung so deuten wollte, als ob damit die Abschaffung der Gesetzbücher für etwas wünschenswerthes erklärt wäre. Diese sind vielmehr als eigene, neue Thatsachen in der Geschichte des Rechts zu behandeln, und ihre Aufhebung würde nicht nur unvermeidlich große Verwirrung zur Folge haben, sondern es müßte auch nachtheilig auf den öffentlichen Geist wirken, wenn dasjenige, was mit der besten Absicht und großer Anstrengung kaum vollendet war, plötzlich zurückgenommen werden sollte. Auch tritt ein großer Theil des Nebels, welches aus einem allgemeinen Gesetzbuche folgen würde, bey ihnen nicht ein, so lange in (136) andern Deutschen Ländern das gemeine Recht fortdauert. Also von Aufhebung ist nicht die Rede, wohl aber ist ernstlich zu bedenken, wie die Uebel vermieden werden können, die bey unrichtiger Behandlung der Gesetzbücher eintreten dürften.

Wen nämlich dasjenige, was über die Natur und Entstehung unsrer Gesetzbücher gesagt worden ist, überzeugt hat, der wird nicht zweifeln, daß dasselbe historisch begründete Rechtsstudium, welches vor ihrer Einführung nothwendig war, auch durch sie nicht im geringsten entbehrlicher geworden ist, und daß insbesondere gar nichts geleistet wird, wenn man glaubt, sich um ihretwillen nun mit einer oberflächlichen Darstellung des bisherigen Rechts behelfen zu können. Diese fortdauernde Nothwendigkeit ist für die unmittelbare Anwendung dringender bey dem Oesterreichischen Gesetzbuch (S. 108): aber sie ist aus anderen Gründen auch bey dem Preussischen Landrecht nicht geringer. Die häufig gehegte Erwartung also, daß das Rechtsstudium dadurch leichter und einfacher werden könne, ist irrig: soll es nicht schlecht und für den gegebenen Rechtszustand unzureichend werden (denn alsdann ist jeder Grad der Vereinfachung möglich), so bleibt alle vorige Arbeit, und es kommt noch eine neue hinzu, die wegen Zerstörung der ursprünglichen Form unerfreulicher ist, als die vorige. Aber nicht blos für die gründliche Kenntniß und Anwendung der Gesetzbücher ist das vorige (137) Studium unentbehrlich, sondern auch für ihre Fortbildung und Vervollkommnung, die doch jeder für nothwendig erkennen wird, er mag
(178) auch den Werth derselben noch so hoch anschlagen. Denn die Gesetzbücher selbst sind auf theoretischem Wege entstanden, und nur auf diesem Wege können sie mit Sicherheit geprüft, gereinigt und vervollkommt werden. Für diese Arbeit scheint ein bloßes Collegium von Geschäftsmännern, die durch ihren Beruf und die Menge übriger Arbeiten ihren lebendigen Verkehr mit der Theorie zu beschränken genöthigt sind, nicht hinreichend. Auch die fortgesetzte Prüfung des Gesetzbuchs durch Achtsamkeit der Gerichte auf die Anwendung ist zwar vortrefflich, aber nicht hinlänglich: viele Mängel werden auf diesem Wege entdeckt werden können, dennoch bleibt der Weg selbst zufällig, und eben so viele Mängel können von ihm unberührt bleiben. Die Theorie steht zur Praxis nicht ganz in demselben Verhältniß, wie ein Rechnungsexempel zu seiner Probe.

Es ist interessant, zu betrachten, wie man in den Staaten, worin Gesetzbücher eingeführt sind, das Studium angesehen und geordnet hat. Dabey mag denn auch wieder der Zustand der Dinge in Frankreich, und zwar die gegenwärtige Einrichtung der Pariser Rechtsschule, in Betracht kommen 1). Zu dieser (138) Schule gehören drey Professoren für den Code, einer für den Prozeß, einer für das Römische Recht, und diese sollen sich in jeder Rechtsschule finden; aber Paris hat noch außerdem zwey besondere Lehrstellen, für den code civil approfondi und für den code de commerce. Criminalrecht und Criminalprozeß, Rechtsgeschichte und altfranzösisches Recht werden nicht gelesen. Jeder Professor hält stets Einen Cursus, welcher einjährig ist (mit Abzug von 3 Monaten Ferien in Paris, an andern Orten aber nur von 2 Monaten), und wöchentlich aus drey anderthalbstündigen Vorlesungen besteht: dieser Umfang ist bey allen Vorlesungen derselbe. Der Code also wird in drey solchen Cursen gelehrt, indem jeder Lehrer nur ein Drittheil des Ganzen abhandelt. Jeder Professor hat einen suppleant, der für ihn eintritt, wenn er zu lesen verhindert ist. Das Römische Recht las Berthelot über die Institutionen des Heineccius, denen er eine französische Uebersetzung beygegeben hatte, damit die Zuhörer sie verstehen

1) Ich benutze die handschriftliche und mündliche Mitteilung eines Doctors dieser Rechtsschule.
(179) könnten; seit Berthe lots Tode liest es dessen bisheriger Suppleant Blondeau, aber, was man nicht glauben sollte, über den Code, indem er bey jedem Artikel die Abweichungen bemerkt. Der Baccalaureus muß zwey Jahre, der Licentiat drey, der Doctor vier Jahre studiert haben; dem ersten ist der Cursus des Römischen Rechts vorgeschrieben, für den zweyten ist dessen Wiederholung eigenem Gutdünken überlassen, dem (139) dritten ist diese Wiederholung wiederum vorgeschrieben: was aber wohlgemerkt immer nur die Wiederholung derselben Institutionen bey demselben Lehrer ist. Es wird nicht nöthig seyn, nach dem, was bisher ausgeführt worden ist, noch besondere Gründe gegen diesen Studienplan vorzubringen; aber besonders merkwürdig ist der greifliche Zirkel, worin man sich befindet. Die Redactoren selbst haben oft erklärt, daß der Code zur Anwendung nicht hinreiche, sondern für diese die Ergänzung durch Wissenschaft nothwendig sey. Und doch dreht sich der wissenschaftliche Unterricht wieder ganz um den Code, denn das wenige Römische Recht ist gar nicht zu rechnen. Welches ist denn also die factische Grundlage dieser Wissenschaft? ohne Zweifel der Gerichtsgebrauch, derselbe Gerichtsgebrauch, dessen Verschiedenheit aufzuheben das wichtigste Bestreben schien, und der durch Auflösung der alten Gerichte und Vermischung ihrer Sprengel alle Haltung verloren hat! Daß nun ein solcher Zustand nicht stehen bleibt, sondern immer weiter rückwärts führt, ist handgreiflich. Es liegt in der Natur, daß in jedem Zeitalter der Zustand der Rechtswissenschaft durch den Wert (!) desjenigen bestimmt wird, was dieses Zeitalter als nächstes Object des Studiums in der That (wenn gleich nicht immer den Worten nach) betrachtet und behandelt; stets wird die Rechtswissenschaft etwas und vielleicht viel tiefer stehen, als dieses Object. So z. B. hatten die ersten (140) Glossatoren den Vortheil, daß sie aus den Quellen selbst zu schöpfen genöthigt waren, diese waren also ihr Object; Bartolus dagegen hatte schon die Schriften der Glossatoren zum Object, die sich nunmehr zwischen die gegenwärtigen Juristen und die Quellen gestellt hatten, und dieses ist ein Hauptgrund, warum die Schule des Bartolus so viel schlechter ist, als die der Glossatoren. Derselbe Rückschritt wird überall statt finden,
(180) wo nicht der Grundsatz befolgt wird, jeden Stoff bis zu seiner Wurzel zu verfolgen, welcher Grundsatz oben als der Character der historischen Methode angegeben worden ist. So denn auch bey dem Code; wenn z. B . einer der Redactoren auch die übertriebenste Meynung vom Werthe des Code hegte, so würde er doch im Vertrauen bekennen, daß er selbst höher stehe, als dieses sein Werk: er würde einräumen, daß er selbst seine Bildung unabhängig von dem Code erhalten habe, und daß die gegenwärtige Generation, die durch den Code erzogen werden soll, nicht auf den Punkt kommen würde, worauf er selbst steht, und worauf er fähig war, ein solches Werk hervorzubringen. Diese einfache Ueberlegung wird dasselbe Resultat überall haben, wo man mit Einführung des neuen Gesetzbuchs zugleich das vorige Studium zerstört, gleichsam die Brücke hinter sich abwerfend, auf welcher man über den Strom gekommen ist.

Die neue Oesterreichische Studienordnung (von [141] 1810) verbindet das juridische und politische Studium zu einem Ganzen 1), welches in vier Jahren dergestalt geendigt wird, daß diese ganze Zeit hindurch täglich drey Stunden den Vorlesungen bestimmt sind 2). Jeder Lehrgegenstand wird nur einmal gehört. Deutsches Recht kommt nicht vor, ohne Zweifel deshalb, weil es auch vor dem neuen Gesetzbuch in Oesterreich wenig verbreitet war 2). Dagegen wird allerdings Römisches Recht gelehrt, und die Gründe, welche die Aufnahme desselben in den Lehrplan bewirkt haben, sind die trefflichsten und liberalsten. Der erste ist die Entstehung des neuen Gesetzbuchs aus dem Römischen Recht: der zweyte, daß das bisherige gemeine Recht (und besonders der Römische Theil desselben) zu jeder positiven Rechtswissenschaft in einem ähnlichen Verhältniß stehe, wie die alten Sprachen zur allgemeinen Bildung: nämlich als das eigentlich gelehrte Element, wodurch

1) Als Quellen sind hierüber benutzt worden: Instruktion zur Ausführung des Lehrplanes (et)c. im 35ten Bande von K. Franz I. Gesetzsammlung. - A. von Heß encycl. methodol. Einleitung in das juridisch-politische Studium. Wien u. Triest 1843. 8. Dem Vf. sind laut S. 9. die Acten über den Studienplan mitgetheilt worden, so daß seine Darstellung der Gründe desselben gewissermaaßen als officiell zu betrachten ist.

2) Heß §. 39.

3) Heß §. 13.


(181) unser Fach zur Wissenschaft werde, und zugleich als das Gemeinsame unter den Juristen verschiedener Völker 1). Diese Ansicht, die ohne Zweifel die der Studiencommission selbst ist 2), verdient gewiß den größten Beyfall: allein ob die gewählten Mittel zu diesem anerkannten Zweck hinreichen, muß ich bezweifeln. Zwar soll der Lehrer des Römischen Rechts eine Geschichte desselben voraus schicken, und dahin trachten, daß der Zuhörer „das System desselben in seinen Grundzügen und aus seinen Quellen kennen lerne“ 3): allein bey der vorgeschriebenen beschränkten Zeit ist es ganz unmöglich, mehr als gewöhnliche Institutionen vorzutragen, da für das ganze Fach nur eine halbjährige Vorlesung von zwey Stunden täglich (nach schriftlichen Nachrichten eigentlich neun Stunden die Woche) bestimmt ist, also genau dieselbe Zeit wie in Paris. Was in einer so kurzen Zeit möglich ist, kann jeder leicht berechnen: auch ist bereits ein Lehrbuch für die Vorlesungen nach diesem Plane erschienen 4), an welchem deutlich zu sehen ist, wie unbefriedigend dieser Unterricht bleiben muß, und gewiß ohne Schuld des Verfassers, dessen Fleiß und Kenntniß neuerer Fortschritte der Rechtswissenschaft (143) vielmehr das beste Lob verdient. Es käme nur darauf an, sich von der Unzulänglichkeit dieses Planes zu überzeugen, und dabey die Erfahrung anderer Deutschen Länder unbefangen zu Rathe zu ziehen: an Mitteln zu einer andern Einrichtung würde es nicht fehlen, am wenigsten an Zeit. Der Plan ist darauf berechnet, daß jeder Studierende täglich drey Stunden höre; nimmt man anstatt dessen fünf Stunden an, so werden in vier Jahren 16 einfache Collegien gewonnen, und es können dann nicht nur alle zum gelehrten Studium unentbehrliche Fächer, sondern auch die Hauptvorlesungen bey mehreren Lehrern gehört werden, wodurch erst rechtes Leben in den Unterricht der Universitäten kommt. Zwar glaubte man, daß fünf Stunden täglich nach der Localität zu viel sey, indem es z. B. zu viel Anstrengung kosten würde, drey Stunden

1) Heß §. 16.

2) s. o. S. 141. Note 1.

3) Heß §. 40. 41.

4) Kaufmann Anfangsgründe des Römischen Privatrechts. Erste Abtheilung. Wien u. Triest 1814. 8.
182 unterbrochen zu hören 1): allein ich berufe mich auch hierüber auf die Erfahrung anderer Deutschen Universitäten, wo dieses niemals die geringste Schwierigkeit macht. Davon, daß es Universitäten giebt, wo manche Studenten 10-11 Stunden täglich hören, will ich nicht sprechen, denn dieses wird auch dort für einen sehr schädlichen Misbrauch erkannt, dem man entgegen zu arbeiten sucht.

(144) In den Preußischen Staaten ist auch seit Einführung des Landrechts niemals eine Studienordnung vorgeschrieben worden, und diese durch alte Erfahrung Deutscher Universitäten bewährte Freyheit ist stets unversehrt geblieben. Auch die Anzahl der Lehrer, wie sie vorher durch das gemeine Recht nöthig war, ist nicht vermindert worden, und die Curatoren der Universitäten haben niemals in den Lehrern oder den Studierenden die Meynung erregt, als wäre ein Theil der vorher nöthigen Vorlesungen für entbehrlich zu achten. Ursprünglich hielt man es für räthlich, daß auf jeder Universität wenigstens Eine Hauptstelle für das Preußische Recht bestimmt würde, und es wurde ein ansehnlicher Preiß für das beste Lehrbuch ausgesetzt 2). Allein selbst dieses wurde in der Folge nicht mehr befördert, wie denn die Universität zu Berlin das Preußische Recht bis jetzt nicht gelehrt hat. Dieselbe Ansicht liegt den eingeführten Prüfungen zum Grunde, indem die erste Prüfung, bey dem Eintritt in wirkliche Geschäfte, blos auf gemeines Recht gerichtet wird: die nächste Zeit ist nun für die unmittelbar praktische Bildung des Rechtsgelehrten bestimmt 3), und erst die nun folgenden zwey (145) Prüfungen haben auch das Landrecht zum Gegenstande, jedoch ohne daß das gemeine Recht dabey ausgeschlossen wäre. Offenbar ist also gegenwärtig die Bildung des Juristen, als aus zwey Hälften bestehend, gedacht, so daß die erste Hälfte (die Universität) nur die gelehrte Grundlage, die zweyte dagegen die Kenntniß des Landrechts, die des Preußischen Prozesses, und die praktische Fertigkeit zur Aufgabe hat. Dafür, daß die erste Hälfte nicht aus Bequemlichkeit verkürzt werde, hat man nicht durch eine

1) Eggers Anhang zu Heß S. 83.

2) Vorerinnerung zum Entwurf des Gesetzbuchs Th. 2. Abth. 3.

3) Ein sehr lehrreicher Aufsatz hierüber von dem Hrn. Justizminister von Kircheisen steht in Mathis jurist. Monatsschrift B. 4 S. 65.
(183) specielle Studienordnung gesorgt, wohl aber erstlich durch das vorgeschriebene Triennium 1), so daß die Anwendung dieser Zeit, wie billig, der eigenen Wahl und dem Rathe der Lehrer überlassen blieb; zweytens durch die Vorschrift, bey der Zulassung zum Staatsdienste auch auf das Zeugniß der Universitätslehrer, und selbst auf das frühere Schulzeugniß, Rücksicht zu nehmen 2). Man muß bedenken, mit welchem Ernst und welcher Anstrengung das Landrecht gemacht worden ist, um die ganze Achtung zu empfinden, welche diesem Verfahren der Preußischen Regierung gebührt. Denn auch bey der festen Ueberzeugung, daß das neu eingeführte ein unbedingter (146) Fortschritt sey, hat sie dennoch mit edler Scheu sich enthalten, der fest gewurzelten wissenschaftlichen Gewohnheit zu gebieten, die durch das Bedürfniß und die Einsicht der Zeiten allmählich entstanden und entwickelt war. Rühmliche Erwähnung verdient auch der gründliche Sinn des Kammergerichts, auf dessen Veranlassung im Jahr 1801. den juristischen Fakultäten der Gebrauch lateinischer Lehrbücher empfohlen wurde, weil seit Einführung der Deutschen Lehrbücher die juristische Kunstsprache den Juristen weniger geläufig war 3) ; noch sicherer und vollständiger als durch Lehrbücher dürfte freylich dieser Zweck durch die Quellen selbst erreicht werden. - Was insbesondere die Vorlesungen über das Landrecht betrifft, so glaube ich allerdings, daß diese in der gegenwärtigen Lage besser nicht gehalten werden, indem zum praktischen Bedürfniß die spätere Einübung hinreicht, eine wissenschaftliche Seite aber dem Gegenstande abzugewinnen, aus Mangel an speciellen geschichtlichen Quellen, schwer seyn dürfte. Anders würde es vielleicht seyn, wenn der oben (S. 94) ausgesprochene Wunsch öffentlicher Mittheilung von Materialien des Landrechts in Erfüllung gehen sollte.

Betrachten wir nun nochmals die drey genannten Gesetzbücher im Zusammenhang, und in besonderer Beziehung auf das Studium des Rechts, so ist (147) einleuchtend, daß ein eigenthümliches

1) Die Rescripte hierüber von 1804. 1809 und 18l2 sind an folgenden Orten zu finden:

Mathis Monatsschrift Bd. 1 S. 56. 61; B. 8. S. 352. 462. Kamptz Monatsschrift Heft 1 S. 18.

2) Rescript von 1813. in Kamptz Monatsschrift Heft 3. S. 14.

3) Stengels Beyträge B. l3. S. 214. 218.
(184) wissenschaftliches Leben aus ihnen nicht entspringen kann, und daß sich auch neben ihnen wissenschaftlicher Geist nur in dem Maaße lebendig erhalten wird, als die geschichtlichen Quellen dieser Gesetzbücher selbst fortwährend Gegenstand aller juristischen Studien bleiben. Derselbe Fall aber müßte unfehlbar eintreten, wenn wir ein Gesetzbuch für Deutschland aufstellen wollten. Thibaut, welcher dieses anräth, will, wie sich bey ihm von selbst versteht, nicht die Wissenschaftlichkeit aufheben, vielmehr hofft er gerade für diese großen Gewinn. Welches nun die Basis der künftigen Rechtsstudien seyn soll, ob (wie in Preußen) die alten Quellen, oder (wie in Frankreich und Oesterreich) das neue Gesetzbuch selbst, sagt er nicht deutlich, doch scheint mehr das letzte seine Meynung 1). Ist aber dieses der Fall, so fordere ich jeden auf, bey sich zu erwägen, ob auf eines der drey schon vorhandenen neuen Gesetzbücher, unabhängig von den Quellen des bisherigen Rechts und dieser Gesetzbücher selbst, eine wirklich lebendige Rechtswissenschaft möglicherweise gegründet werden könne. Wer aber dieses nicht für möglich erkennt, der kann es auch nicht für das vorgeschlagene Gesetzbuch behaupten. Denn ich halte es, aus den oben entwickelten Gründen, für ganz unmöglich, daß dasselbe von den (148) bisherigen Gesetzbüchern nicht blos durch Vermeidung einzelner Mängel (was allerdings gedacht werden kann), sondern generisch verschieden ausfalle; ohne eine solche generische Verschiedenheit aber wird die Untauglichkeit zu Begründung einer selbstständigen Rechtswissenschaft stets dieselbe seyn. Was alsdann eintreten wird, läßt sich leicht vorhersehen. Wir werden entweder gar keine juristische Literatur haben, oder (was wahrscheinlicher ist) eine so flache, fabrikmäßige, unerträgliche, wie sie uns unter der Herrschaft des Code zu überschütten angefangen hatte, und wir werden dann alle Nachtheile eines cultivirten, verwickelten, auf literarisches Bedürfniß gebauten Zustandes empfinden, ohne durch die eigenthümlichen Vortheile desselben entschädigt zu werden. Ja, um alles mit Einem Worte zu sagen, es könnte leicht kommen, daß der Zustand des bürgerlichen Rechts bey uns schlechter würde, als er in

1) Thibaut a. a. O., S. 29-32.
(185) Frankreich ist; denn das Streben nach wissenschaftlicher Begründung gehört nicht zu den nationalen Bedürfnissen der Franzosen, wohl aber zu den unsrigen, und ein so tief wurzelndes Bedürfniß läßt sich nicht ungestraft hintansetzen.

Wollte man dagegegen die Rechtswissenschaft auch neben dem neuen Gesetzbuch auf die alten Quellen gründen, so würden die oben 1) angegebenen Schwierigkeiten eintreten, und man würde das Studium, anstatt es zu vereinfachen, vielmehr verwickeln (149) und weniger belohnend einrichten, also dem wahren Zwecke gerade entgegen arbeiten. Man möchte etwa glauben, der Erfolg würde ganz derselbe seyn, wie er bey einem ähnlichen Verfahren in den Preussischen Staaten wirklich vor Augen liegt, wo gewiß das Personal der Rechtspflege trefflich ist und allgemeine Achtung genießt und verdient; aber auch diese Erwartung halte ich für eine leere Täuschung. Denn zwey Umstände dürfen dabey nicht übersehen werden, die den Erfolg in anderen Deutschen Ländern leicht ungünstiger bestimmen dürften: erstlich, daß der allgemeine Character der Preußischen Einrichtungen auch dieser einzelnen Einrichtung zusagt, und ihre Ausführung in gesundem Zustande erhält, was sich in anderen Deutschen Ländern schwerlich so zeigen würde: zweytens aber und weit mehr dieses, daß selbst in den Preussischen Staaten die Lage des Rechts durch das vorgeschlagene Gesetzbuch der übrigen Deutschen Länder anders werden würde. Denn die Bildung der Preußischen Juristen wird begründet auf den Universitäten, also durch die Quellen des gemeinen Rechts: das Studium auf den Universitäten also macht mit dem der übrigen Deutschen Ein Ganzes aus. Es ist aber nicht zu bestimmen, wie viel Lebenskraft dieses Studium noch dadurch zieht, daß seine Quellen im übrigen Deutschland geltendes Recht sind, und wie ihm allmählich Kraft und Leben schwinden würde, wenn diese Quellen überall unmittelbar (150) zu gelten aufhören sollten. Dann also würde durch das Deutsche Gesetzbuch selbst für die Preussischen Staaten das Studium entkräftet seyn, und gegen dieses zu befürchtende Uebel kann uns begreiflich die Erfahrung nicht sicher stellen, die bis jetzt der Preussische Staat gemacht hat.

1) Abschn. 8.
(186) 10.

Das Gemeinsame.

(151) Die Folge dieser Ansichten ist, daß das wissenschaftliche Studium des Rechts, als welchem alle Erhaltung und Veredlung desselben obliegt, in beiderley Ländern, denen die Gesetzbücher haben, und die sie nicht haben, dasselbe seyn müsse. Ja nicht auf das gemeine Recht allein beschränke ich diese Gemeinschaft, sie muß vielmehr auch auf die Landesrechte erstreckt werden aus zwey Gründen. Erstlich weil die Landesrechte großentheils nur durch Vergleichung und durch Zurückführung auf alte nationale Wurzeln verstanden werden können: zweytens weil schon an sich alles geschichtliche der einzelnen Deutschen Länder für die ganze Nation ein natürliches Interesse hat. Daß die Landesrechte bisher am wenigsten auf diese Weise behandelt worden sind, wird niemand läugnen 1); aber viele Gründe lassen für die Zukunft allgemeinere Theilnahme an der vaterländischen Geschichte hoffen, und davon wird auch das Studium der Landesrechte belebt werden, die eben so wenig als das gemeine Recht dem blosen Handwerk anheim fallen dürfen. Und so führt unsre Ansicht auf einem (152) anderen Wege zu demselben Ziel, welchem die Freunde des allgemeinen Gesetzbuchs nachstreben, aus dem bürgerlichen Recht nämlich eine gemeinsame Angelegenheit der Nation, und damit zugleich eine neue Befestigung ihrer Einheit zu machen; nur führt unsre Ansicht vollständiger dahin, indem sie in der That alle Deutschen Lande umfaßt, während durch das vorgeschlagene Gesetzbuch Deutschland in drey große Ländermassen zerfallen würde, die durch das bürgerliche Recht sogar schärfer als vorhin geschieden wären: Oesterreich nämlich, Preußen, und die Länder des Gesetzbuchs 2).

1) Thibaut a. a. O., S. 27. 28.

2) Nämlich die gegenwärtigen Vorschläge eines neu einzuführenden Gesetzbuchs sind lediglich veranlaßt durch den Zustand der Länder, worin bis jetzt das gemeine Recht oder der Code galt, und ich habe stillschweigend angenommen, daß der Vorschlag selbst nicht weiter gehe als diese seine Veranlassung. Sollte aber auch Oesterreich und Preussen darin mitbegriffen seyn, so wäre allerdings von der politischen Seite diese Vollständigkeit sehr zu loben, aber für diese Länder selbst wäre wohl zu bedenken, was oben (Abschn. 8.) in anderer Rücksicht gegen die Abschaffung ihrer Gesetzbücher gesagt worden ist.
(187) Daß nun diese Gemeinschaft des bürgerlichen Rechts in allen wirklichen Einrichtungen anerkannt und vorausgesetzt werde, halte ich eben wegen jener durch sie mit zu begründenden Vereinigung für eine der wichtigsten Angelegenheiten der Nation. Wie es keine Preussische und Bairische Sprache oder Literatur giebt, sondern eine Deutsche, so ist es auch mit den Urquellen unsres Rechts und mit deren geschichtlicher (153) Erforschung; daß es so ist, hat kein Fürst mit Willkühr gemacht, und keiner kann es hindern, nur kann es verkannt werden: aber jeder Irrthum über das, was wahrhaft der Nation angehört, und fälschlich als dem einzelnen Stamme eigen behandelt wird, bringt Verderben.

Sehen wir nun um uns, und suchen ein Mittel, wodurch dieses gemeinsame Studium äußerlich begründet und befördert werden könne, so finden wir ein solches, nicht mit Willkühr ersonnen, sondern durch das Bedürfniß der Nation seit Jahrhunderten bereitet, in den Universitäten. Die tiefere Begründung unsres Rechts, und vorzüglich des vaterländischen, für welches noch am meisten zu thun ist, ist von ihnen zu erwarten, aber auch mit Ernst zu fordern. Allein damit sie diesem Beruf ganz genügen könnten, müßte ein Wunsch erfüllt werden, in welchen gewiß auch diejenigen herzlich einstimmen werden, welchen bis jetzt unsre Ansicht entgegen gesetzt war. Oesterreich, Baiern und Würtemberg, diese trefflichen, gediegenen Deutschen Stämme, stehen (theils von jeher, theils gegenwärtig) mit dem übrigen Deutschland nicht in dem vielseitigen Verkehr des Universitätsunterrichts, welcher den übrigen Ländern so großen Vortheil bringt; theils Gewohnheit, theils beschränkende Gesetze hemmen diesen Verkehr. Die Erfahrung dieser letzten Zeit hat gezeigt, welches Zutrauen die Deutschen Völker zu einander fassen (154) dürfen, und wie nur in der innigsten Vereinigung ihr Heil ist. Darum scheint es an der Zeit, daß jener Verkehr nicht nur völlig frey gestattet, sondern auf alle Weise begünstigt und befördert werde: für gefährlich kann ihn jetzt niemand halten, und wie er wohlthätig für die Verbrüderung der Völker wirken könne, muß jedem einleuchten. Aber nicht blos politisch würde dieser unbeschränkte und vielseitige Verkehr höchst wichtig seyn, sondern
(188) auch noch mehr für den innern, wissenschaftlichen Werth der Lehranstalten selbst. Wie sich bey dem allgemeinen Welthandel ein irriges Münzsystem einzelner Staaten nicht halten kann, ohne bald in schlimmen Folgen empfunden und entdeckt zu werden, so würde eine mangelhafte Einrichtung einzelner Universitäten durch diesen erwünschten Verkehr bald erkannt und verbessert werden können; alle Universitäten würden sich gegenseitig halten und heben, und die Erfahrung einer jeden würde ein Gemeingut aller werden.

11.

Thibauts Vorschlag.

(155) Thibaut versichert im Eingang seiner Schrift, daß er als warmer Freund seines Vaterlandes rede, und gewiß, er hat ein Recht, dieses zu sagen. Denn er hat zur Zeit des Code in einer Reihe von Recensionen auf die Würde der Deutschen Jurisprudenz gehalten, während Manche die neue Weisheit, Manche selbst die Herrschaft, wozu diese führte, mit thörichtem Jubel begrüßten. Auch das Ziel seines Vorschlags, die festere, innigere Vereinigung der Nation, bestätigt diese gute Gesinnung, die ich mit Freuden anerkenne. Bis auf diesen Punkt also sind wir einig, und darum ist unser Streit kein feindseeliger, uns liegt derselbe Zweck ernsthaft am Herzen, und wir berathen und besprechen uns über die Mittel. Aber freylich über diese Mittel sind unsre Ansichten sehr entgegen gesetzt. Vieles davon ist schon oben im Zusammenhang dieser Schrift abgehandelt worden, der eigentliche Vorschlag selbst ist nun noch zu prüfen.

Thibaut nimmt an, das vorgeschlagene Gesetzbuch könne in zwey, drey, vier Jahren gemacht werden 1), nicht als bloser Behelf, sondern als ein (156) Ehrenwerk, welches als Heiligthum auf Kinder und Kindeskinder vererbt werden möge 2), und woran auch in Zukunft nur noch in einzelnen Stellen nachzubessern seyn würde 3). Für leicht hält er die Arbeit keinesweges, vielmehr für

1) A. a. O. S. 64.

2) S. 59. 60.

3) S. 41.
(189) das schwerste unter allen Geschäften 1). Natürlicherweise ist die Hauptfrage die, wer dieses Werk machen soll, und dabey ist es höchst wichtig, daß wir uns nicht durch übertriebene Erwartungen von der Gegenwart täuschen lassen, sondern ruhig und unparteyisch überschlagen, welche Kräfte uns zu Gebote stehen. Dieses hat auch Thibaut gethan; auf zwey Classen von Arbeitern müssen wir rechnen, Geschäftsmänner und Juristen von gelehrtem Beruf, und beide verlangt, wie sich von selbst versteht, auch er. Aber von den Geschäftsmännern im einzelnen ist seine Erwartung sehr mäßig 2), und auch auf die Gelehrten setzt er nach einigen Äußerungen keine übertriebene Hoffnung 3). Eben deshalb fordert er eine collegialische Verhandlung: nicht Einer, auch nicht Wenige, sondern Viele und aus allen Ländern sollen das Gesetzbuch machen 4).

Allerdings giebt es Geschäfte im Leben, worin sechs Menschen genau sechsmal so viel ausrichten als Einer, andere worin sie sogar mehr, noch andere (157) dagegen worin sie weit weniger als dieses leisten. Das Gesetzbuch nun ist eine solche Arbeit, worin die vereinigte Kraft Vieler keinesweges eine nach Verhältniß erhöhte Kraft seyn würde. Noch mehr: es wird als ein löbliches, treffliches Werk auf diesem Wege gar nicht entstehen können, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil es nach seiner Natur weder eine einzelne Bestimmung, noch ein Aggregat solcher einzelnen Bestimmungen ist, sondern ein organisches Ganze. Ein Richtercollegium z. B. ist deshalb möglich, weil über Condemnation oder Absolution in jedem einzelnen Fall die Stimmen abgegeben und gezählt werden können. Daß damit die Verfertigung des Gesetzbuchs keine Ähnlichkeit hat, leuchtet von selbst ein. Ich komme auf dasjenige zurück, was oben erörtert worden ist. Unter den Römern zur Zeit des Papinian war ein Gesetzbuch möglich, weil ihre gesammte juristische Literatur selbst ein organisches Ganze war: man könnte (mit einem Kunstausdruck der neueren Juristen) sagen, daß damals die einzelnen Juristen fungible Personen waren. In einer solchen Lage gab es sogar mehrere

1) S. 35.

2) S. 36-39.

3) S. 17. 29.

4) S. 35. 36. 40.
(190) Wege, die zu einem guten Gesetzbuch führen konnten: entweder Einer konnte es machen, und die Andern konnten hinterher einzelne Mängel verbessern, was deswegen möglich war, weil in der That jeder einzelne als Repräsentant ihrer juristischen Bildung überhaupt gelten konnte: oder auch Mehrere konnten, (190) unabhängig von einander, jeder das Ganze ausarbeiten, und durch Vergleichung und Verbindung dieser Werke würde ein neues entstanden seyn, vollkommner als jedes einzelne, aber mit jedem gleichartig.

Nun bitte ich jeden, mit diesem Zustand den unsrigen zu vergleichen, der jenem gerade hierin völlig entgegen gesetzt ist. Um mit dem geringeren anzufangen, wähle jeder in Gedanken eine Anzahl der jetztlebenden Juristen aus, und frage sich, ob aus deren gemeinschaftlicher Arbeit auch nur ein System des bestehenden Rechts hervorgehen könne: er wird sich bald von der völligen Unmöglichkeit überzeugen. Daß aber ein Gesetzbuch eine viel größere Arbeit ist, und daß von ihm besonders ein höherer Grad organischer Einheit verlangt werden muß, wird gewiß niemand läugnen. In der That also würde das Gesetzbuch, wenn es nicht durch blos mechanische Zusammensetzung unlebendig und darum völlig verwerflich seyn soll, doch nicht von jenem Collegium gemacht werden können, sondern nur von einem Einzelnen; die übrigen aber würden nur untergeordnete Dienste leisten können, indem sie bey einzelnen Zweifeln Rath und Gutachten ertheilten, oder die fertige Arbeit durch Entdeckung einzelner Mängel zu reinigen suchten. Wer uns aber dieses zugiebt, der muß für die gegenwärtige Zeit an der Möglichkeit überhaupt verzweifeln; denn eben jenen einzelnen, den wahren Gesetzgeber, zu finden, ist ganz unmöglich, (159) weil wegen der völligen Ungleichartigkeit der individuellen Bildung und Kenntniß unsrer Juristen kein einzelner als Repräsentant der Gattung betrachtet werden kann.

Wer auch nach dieser Betrachtung noch an die Möglichkeit einer wirklich collegialischen Verfertigung des Gesetzbuchs glauben möchte, der wolle doch die Diskussionen des Französischen Staatsraths, die Thibaut so treffend geschildert hat 1), auch nur in

l) s. o. S. 59.
(191) einem einzelnen Abschnitt durchlesen. Ich zweifle nicht, daß unsre Discussionen in manchen Stücken besser seyn würden; aber, auf die Gefahr hin, der Parteylichkeit für die Franzosen beschuldigt zu werden, kann ich die Ueberzeugung nicht verbergen, daß die unsrigen in anderer Rücksicht hinter diesem Vorbild zurück bleiben dürften.

Es ist oft verlangt worden, daß ein Gesetzbuch populär seyn solle, und auch Thibaut kommt einmal auf diese Forderung zurück 1). Recht verstanden, ist diese Forderung wohl zuzugeben. Die Sprache nämlich, die das wirksamste Mittel ist, wodurch Ein Geist zum andern kommen kann, hemmt und beschränkt auch diesen geistigen Verkehr vielfältig; oft wird der beste Theil des Gedankens von diesem Medium absorbirt, wegen der Ungeschicklichkeit entweder des Redenden, oder des Hörers. Aber durch (160) Naturanlage oder Kunst kann dieses Medium so unterworfen werden, daß beiderley Ungeschicklichkeit nicht mehr im Wege steht. Der Gedanke schreitet dann weg über die verschiedene Art und Bildung der hörenden Individuen, und ergreift sie in dem gemeinsamen geistigen Mittelpunkt. Dann kommt es, daß die Hohen befriedigt werden, während auch den Geringen alles klar ist: beide sehen den Gedanken über sich als etwas höheres, bildendes, und beiden ist er erreichbar. So ist irgendwo ein wunderthätiges Christusbild gewesen, das die Eigenschaft hatte, eine Hand breit höher zu seyn, als der größte Mann, der sich daran stellen mochte: kam aber ein Mann von mäßiger Größe, oder ein kleiner, so war der Unterschied dennoch derselbe, nicht größer. Diesen einfältigen, einzig populären Styl sehen wir (um nur von der einheimischen Literatur zu reden) in unsren besseren Chroniken, aber er kann auch in mancherley anderen Arten erscheinen. Wenn wir ihn einmal wieder finden, dann wird manches treffliche möglich seyn, unter andern eine gute Geschichtschreibung, und unter andern auch ein populäres Gesetzbuch.

1) A. a. O. S. 23.
(192)

12.

Schluß.

(161) Ich fasse nochmals in kurzen Worten zusammen, worin meine Ansicht mit der Ansicht der Freunde eines Gesetzbuchs übereinstimmt, und worin sich beide unterscheiden.

In dem Zweck sind wir einig: wir wollen Grundlage eines sicheren Rechts, sicher gegen Eingriff der Willkühr und ungerechter Gesinnung; desgleichen Gemeinschaft der Nation und Concentration ihrer wissenschaftlichen Bestrebungen auf dasselbe Object. Für diesen Zweck verlangen sie ein Gesetzbuch, was aber die gewünschte Einheit nur für die Hälfte von Deutschland hervorbringen, die andere Hälfte dagegen schärfer als vorher absondern würde. Ich sehe das rechte Mittel in einer organisch fortschreitenden Rechtswissenschaft, die der ganzen Nation gemein seyn kann.

Auch in der Beurtheilung des gegenwärtigen Zustandes treffen wir überein, denn wir erkennen ihn beide für mangelhaft. Sie aber sehen den Grund des Uebels in den Rechtsquellen, und glauben durch ein Gesetzbuch zu helfen: ich finde ihn vielmehr in uns, und glaube, daß wir eben deshalb zu einem Gesetzbuch nicht berufen sind.

(162) Wie in unsrer Zeit gesprochen sind die Worte eines der edelsten Deutschen des sechzehenten Jahrhunderts 1):

Nam mihi aspicienti legum libros, et cognita pericula Germaniae, saepe totum corpus cohorrescit, cum reputo quanta incommoda secutura sint, si Germania propter bella amitteret hanc eruditam doctrinam juris et hoc curiae ornamentum … Non igitur deterreamur periculis, non frangamur animis, … nec possessionem studii nostri deseramus. - - Itaque Deus flectat animos principum ac potentum ad hujus doctrinae conservationem, magnopere decet optare bonos et prudentes. Nam hac remota, se dici potest quanta in aulis tyrannis, in judiciis barbaries, denique confusio in tota civili vita secutura esset, quam ut Deus prohibeat, ex animo petamus.

1) Melanchthon, oratio de dignitate legum; in select. declamat. T. 1. Servestae 1587. p. 247 und Or. de vita Irnerii et Bartoli. T. 2. p. 411.