(1) Einleitung.

Die von der Kaiserin Maria Theresia bald nach dem Ende des Successionskrieges verfaßte Denkschrift, welche Arneth in seiner Geschichte der großen Kaiserin, B. 4, S. 3 ff., auszugsweise mittheilt, läßt deutlich erkennen, daß die Kaiserin die Hauptursache der erlittenen Mißerfolge darin erblickte, daß es in den österreichischen Ländern an einer Gewalt fehlte, welche die Sonderinteressen den Bedürfnissen des Reiches unterzuordnen und den ärmeren, schwächeren Theil der Bevölkerung gegenüber den in jeder Richtung bevorzugten Kreisen zu schützen vermocht hätte. Sie erachtete es für ihre Regentenpflicht, diese Gewalt zu schaffen, um das Reich vertheidigungsfähig zu machen, und um das von ihr mit der Erhaltung des Staates identificirte Wohl ihrer Unterthanen zu wahren. Mit glücklicher Hand wußte sie die zur Ausführung ihrer Pläne geeigneten Männer zu finden, sie verstand es auch, so lange ihre Kraft nicht gebrochen war, die Männer ihres Vertrauens  zu halten. Die Lösung der Aufgabe, welche sie sich gestellt hatte, war ihr eine Herzensangelegenheit. Herzgewinnend sind darum die spontanen Aeußerungen, mit denen sie den Gang aller wichtigen Angelegenheiten begleitete, rührend die Worte des Dankes, welche sie für jedes Verdienst fand, bewundernswerth die Entschlossenheit und die Festigkeit der hohen Frau, welche nie aufhörte, jedes offene Wort hoch zu achten, und auch die Würdigkeit Derjenigen, die ihren Reformplänen hemmend in den Weg traten, unbefangen zu beurtheilen.

Im Kampfe mit den Ständen, in welchen die Kaiserin bei den auf die Schöpfung einer kräftigen Staatsverwaltung gerichteten Bestrebungen gerathen war, hatte sie die Besonderheiten der provinziellen Einrichtungen, die gegenseitige Abschließung der Länder, die Sonderstellung der höheren Stände nur als Stützpunkte egoistischer Interessen, als Vorwände für das Abwälzen der zur Erhaltung des Reiches zu tragenden Lasten, als Mittel der Unterdrückung der Schwachen kennen gelernt. Dadurch mußte sich ihr die Mission, ausgleichend zu wirken, und die Erkenntniß des Werthes gleichförmiger Staatseinrichtungen aufdrängen. Für ihre Sinnesart ist es sehr bezeichnend, daß sie der in jener Zeit üblichen Ausdrucksweise „von der Gott gefälligen Justiz“ folgend, aussprach, die beschlossenen Maßnahmen „zu Gott gefälliger Gleichheit“ durchführen zu wollen.

Bald nachdem die Kaiserin die entscheidenden Schritte zur Centralisirung der Civilverwaltung bei gleichzeitiger Trennung der Justiz von der politischen Verwaltung durch Gründung des Directoriums und der obersten Justizstelle unternommen hatte, tauchte der Plan auf, die Civilgesetzgebung für die Gesammtheit der deutschen Erblande zu codificiren. Die Zeit, in welcher dieser Plan angeregt wurde, war für dessen Ausführung überaus günstig. In einzelnen Ländern waren Codificationsarbeiten, welche der beklagten Unsicherheit des Rechtes abhelfen sollten, im Zuge. Die für Böhmen und Mähren eingeleiteten Arbeiten gingen über den

(2) Zweck der Feststellung des ungewissen Rechtes hinaus und strebten die Unificirung des Rechtes in doppelter Beziehung an. Es sollte nämlich für diese Ländergruppe nicht blos die territoriale Verschiedenheit der Gesetze verschwinden, sondern auch die Verschmelzung des für den Bürgerstand und für die höheren Stände geltenden Rechtes – die für die bäuerliche Bevölkerung geltenden Normen wurden überhaupt nicht in Betracht gezogen – stattfinden. Dazu kam, daß die aus der Rechtsunsicherheit, sowie aus der Rechtsverschiedenheit entspringenden Uebelstände nach Errichtung der obersten Justizstelle naturgemäß mehr in den Vordergrund treten mußten. Entscheidend war aber wohl der Umstand, daß jener Plan der Richtung, welche die Kaiserin hinsichtlich der Reorganisirung der Staatsverwaltung verfolgte, homogen war.

Bei dieser Sachlage scheint es erklärlich, daß eine im Jahre 1753 überreichte Denkschrift eines unbekannt gebliebenen Mannes genügte, um den Entschluß hervorzurufen, die Codification des Civilrechtes für die Gesammtheit der deutschen Erblande in Angriff zu nehmen. Die Wichtigkeit, welche dieser Angelegenheit beigelegt wurde, erhellt schon daraus, daß der Präsident des Directoriums, Graf Haugwitz, die bedeutendste Stütze der von der Kaiserin angebahnten Reformbewegung, die Leitung in die Hand nahm.

Mit Raschheit und Energie schritt man zur Ausführung. Der Erlaß des Directoriums vom 14. Februar 1753 traf die ersten einleitenden Verfügungen und am 3. Mai 1753 fand in Wien die erste Berathung über den bei den Codificationsarbeiten einzuhaltenden Vorgang unter Mitwirkung der aus Böhmen, Mähren, Schlesien, Niederösterreich und Innerösterreich einberufenen Compilatoren statt.

Das Resultat der in Wien gepflogenen Berathungen bestand in der Feststellung der von Azzoni vorgeschlagenen Eintheilung des ganzen Gesetzwerkes.

(3) An der Hand dieser Eintheilung sollte jeder Compilator das in seiner Heimat geltende Recht darstellen und dadurch der Commission eine Basis für die Lösung der in der Ausgleichung der Verschiedenheiten bestehenden Aufgabe liefern. Für die Ausführung dieser Arbeit waren aber den Compilatoren kaum vier Monate gegönnt, so daß es erklärlich ist, daß die gelieferten Operate trotz ihrer Weitläufigkeit auf Vollständigkeit keinen Anspruch machen können, und Spuren der Eile, mit welcher sie zu Stande gebracht werden mussten, an sich tragen.

Die Compilatoren begannen ihre Thätigkeit in Brünn am 5. November 1753, nachdem sie den Gang der Berathungen in einer Weise geregelt hatten, die für die Zeit, in welcher Azzoni das Referat führte, das Vorwalten des böhmischen Rechtes zur Folge hatte, mit der Feststellung der Grundsätze, nach denen die Commission vorzugehen hatte, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Diese wurde mit folgenden Worten gekennzeichnet: „Es sollen die heilsamsten Ländergesetze gegeneinander gehalten, das Natürlichste und Billigste ausgewählet, der Abgang nach der gefunden Vernunft, dem allgemeinen Natur- und Völkerrecht ergänzet, nach Bedürfniß neue Satzungen vorgeschlagen und sogestalt die Länderrechte, ohne allen Vorurtheil für eines oder das andere, in Gleichförmigkeit gebracht werden.“

In der später weggelassenen Einleitung des Gesetzwerkes, mit deren Redaction man sich am 7. December 1753 beschäftigte, wurde der Kaiserin, die man im ganzen Codex Theresianus redend anzuführen beschloß, die eben angeführte Stelle im Zusammenhange mit der Betonung der Nothwendigkeit in den Mund gelegt, „zu Beförderung Gott gefälliger Gerechtigkeit“ auf „Gleichheit des Rechtens und auf Einförmigkeit des rechtlichen Verfahrs“ hinzuwirken.

Mit der Berathung des Gesetzwerkes selbst begann die Commission am 10. December 1753, und legte als Ergebniß ihrer Arbeit nach Verlauf eines Jahres einen starken Folioband vor, welchem im Februar 1755 ein zweiter und im Juni 1755 ein dritter folgten. Diese drei Bände umfaßten den ersten, dem Personenrechte gewidmeten Theil.

Die Weitläufigkeit des von der Compilations-Commission gelieferten Operates mußte bei den entscheidenden Kreisen Bedenken erregen. Dies gab den principiellen Gegnern der von der Kaiserin geplanten Reformen Anlaß, die auf die Erziehung der Rechtseinheit abzielenden Bestrebungen zu bekämpfen und auf das Aufgeben

(4) derselben hinzuarbeiten. Der beabsichtigte Erfolg wurde zwar nicht erreicht, allein man entzog der Compilations-Commission das zur Durchführung ihrer Aufgabe unentbehrliche Vertrauen wenn auch nicht ganz, so doch theilweise, und gerieth hinsichtlich der Behandlung des vorliegenden Gesetzentwurfes ins Schwanken.

(5) Bald nach dem Einlangen des zweiten Bandes forderte Blümegen, welcher nach Wien gereist war, um für eine günstige Aufnahme des Operates der Commission zu wirken, am 1. März 1755 Azzoni auf, ihm sofort nachzureisen, um die nöthigen Aufklärungen über den Entwurf der Commission zu geben. Allein schon nach zwei Tagen widerrief er diese Aufforderung und theilte mit, daß zur Ueberprüfung des Entwurfes eine besondere Commission berufen worden sei, welche unter dem Vorsitze des Baron Buol aus Räthen des Directoriums und der obersten Justizstelle gebildet wurde.

Diese Commission, welche so wie die Compilations-Commission der Aufsicht des Grafen Haugwitz unmittelbar untergeordnet war, sollte nach der ihr ertheilten Instruction, ohne in eine Würdigung der Redaction einzugehen, sich bei der Prüfung nur auf das Meritorische beschränken. Ueber minder erhebliche Anstände hatte sie der Compilations-Commission eine schriftliche Aufklärung abzufordern; zur Erörterung wichtigerer Bedenken war nach Beendigung der Prüfung des ganzen ersten Theiles die Einberufung von Blümegen und Azzoni in Aussicht genommen. Gleichzeitig wurde aber auch angeordnet, daß in der Sitzung der Commission nicht blos die Gutachten der Referenten – jedem der neun Räthe wurde eine Abhandlung des ersten Theiles zur Berichterstattung zugewiesen – sondern auch das Operat der Compilations-Commission vollständig zum Vortrag zu bringen seien, und daß das Resultat der Berathungen einer Superrevision durch Buol zu unterziehen sei.

Diesem Geschäftsgange ist es wohl zuzuschreiben, daß die Commission die Grenzen ihrer Aufgabe überschritt und in eine vollständige Umarbeitung des Entwurfes der Compilations-Commission gerieth. Diese Umarbeitung wurde capitelweise der Compilations-Commission zugeschickt, um dieser Gelegenheit zu geben, sich hierüber auszusprechen.

Vergeblich bemühten sich die Compilatoren, deren Lebensstellung derjenigen der Mitglieder der Revisions-Commission in Wien untergeordnet war, in einer Denkschrift darzulegen, daß die Vertheilung der Arbeit unter zwei getrennt von einander wirkende Commissionen nicht förderlich sein könne, daß sie sich dadurch entmuthigt fühlen müssen, daß man ihre Arbeit, ohne sie auch nur anzuhören, verworfen habe, und daß sie erbötig wären, um dem Vorwurfe der Weitläufigkeit zu begegnen, durch eine gedrängtere Redaction den Umfang des Entwurfes auf weniger als die Hälfte zu reduciren.

(6) Da das gegenseitige Verhältniß der beiden Commissionen ungeändert blieb, so bemühte sich die Compilations-Commission, ihre Arbeit in ausführlichen Aeußerungen zu vertheidigen, welche bei der Revisions-Commission in Wien zum Gegenstande neuer Berathungen gemacht, jedoch nur selten berücksichtigt wurden.

Mehr als ein Jahr war nach der Einsetzung der Revisions-Commission verstrichen, ohne daß der Text des ersten Theiles festgestellt worden wäre. Während dieser ganzen Zeit hatte auch die Compilations-Commission keine Fortschritte in der Verfassung des zweiten Theiles nachgewiesen, obgleich sie wiederholt betrieben und obgleich ihr insbesondere durch eine specielle Weisung der Kaiserin vom 22. Februar 1755 aufgetragen worden war, vor Allem das Erbrecht festzustellen. Diese Sachlage erregte den Unmuth der Kaiserin, welche ihr Mißfallen beiden Commissionen am 29. Mai 1756 deutlich zu erkennen gab.

Die Vorstände beider Commissionen beeilten sich, der Kaiserin die Masse der Arbeit vorzustellen, welche von jedem einzelnen Commissionsmitgliede bewältigt worden sei; Blümegen führte insbesondere aus, daß die Compilations-Commission mit dem zweiten Theile, zu welchem schon Vorarbeiten vorliegen, nicht vorwärts kommen konnte, weil der erste Theil noch nicht feststehe; Beide aber vereinigten sich in dem Vorschlage, die Compilations-Commission aufzulösen und die Arbeit durch die nach Wien einzuberufenden Compilatoren Azzoni und Holger, welche hiebei als Repräsentanten des böhmischen und des österreichischen Rechtes in Betracht kamen, fortsetzen zu lassen.

Auf Grund der von der Kaiserin ertheilten Genehmigung wurde am 9. Juli 1756 angeordnet, daß Azzoni und Holger die Arbeit unter sich theilen sollen, und daß Jeder die von ihm entworfenen Theile des Werkes der beibehaltenen Revisions-Commission vorzutragen habe. Von Thinnfeld und Hormayer behielt man sich vor, schriftliche Aeußerungen einzuholen, in denen sie aber nur darauf aufmerksam zu machen hätten, was in den ihnen mitgetheilten Operaten „etwa wider die ober- oder innerösterreichische Landesverfassung in publicis et politicis“ verstoßen würde; die auf privatrechtlichem Gebiete bestehenden Besonderheiten des in diesen Ländern geltenden Rechtes sah man als minder wesentlich an. In Beziehung auf Mähren und Schlesien hielt man eine besondere Vorkehrung zur Erlangung einer Information für überflüssig, da man annahm, daß die Verschiedenheiten gegenüber dem in Böhmen geltenden Rechte gering und von Azzoni gekannt seien. Auf die Meinung Blümegen’s wurde aber so viel Gewicht gelegt, daß ihm – vielleicht um die Enthebung von der Leitung der Compilations-Commission minder unangenehm zu machen – eröffnet wurde, daß man über jede Arbeit sein schriftliches Gutachten abfordern und ihn überdies der Schlußberathung beiziehen werde.

Die Mitwirkung von Blümegen, Thinnfeld und Hormayer kam in der Folge nicht mehr zur Sprache.

Bald nachdem Azzoni und Holger, welche sich geeinigt hatten, daß Holger das Materiale sammle, Azzoni aber die Ausarbeitung des Entwurfes übernehme, in Wien eingetroffen waren, erwirkten sie ihre Aufnahme in die Commission selbst, welche dadurch die Functionen einer Revisions-Commission mit denen einer Compilations-Commission vertauschte. Diese Aenderung verschaffte ihren Ansichten eine erhöhte Geltung, so daß bei der im Jahre 1757 begonnenen neuen Umarbeitung des ersten Theiles mehrere Vorschläge, welche die in Brünn tagende Compilations-Commission vergeblich gegenüber der Wiener Revisions-Commission vertheidigt hatte, nunmehr Billigung fanden.

(7) Das Ergebniß dieser Umarbeitung wurde der Kaiserin als erster Theil des Codex Theresianus im Juni 1758 vorgelegt.

Die den zweiten Theil betreffenden Arbeiten, die schon in Brünn begonnen worden waren, gelangten zur Zeit Azzoni’s nicht zum Abschlusse. Es kamen zwar in jener Zeit die Entwürfe mehrerer Capitel zu Stande und Azzoni sprach am 15. Jänner 1760 in der ersten Sitzung nach der Uebertragung des Präsidiums der Compilations-Commission an Graf Althann die Hoffnung aus, daß der ganze Codex Theresianus bis zu Ende des Jahres 1761 beendet sein werde, allein die zunehmende Kränklichkeit Azzoni’s nöthigte noch im Jahre 1760, eine neue Kraft, und zwar Zencker zu der Compilationsarbeit heranzuziehen.

So lange Azzoni lebte, welcher am zweiten Theile arbeitete, beschäftigte sich Zencker mit dem dritten Theile, ging nach dessen Beendigung im Jahre 1763 zum zweiten Theile und schließlich im Jahre 1766 zu einer Umarbeitung des der Kaiserin im Jahre 1758 vorgelegten ersten Theiles über. Der von Zencker, welcher nach dem am 25. November 1760 erfolgten Tode Azzoni’s allein mit der Aufgabe betraut war, den Codex Theresianus zu Stande zu bringen, beobachtete Vorgang bestand darin, daß er, so weit nicht ausgearbeitete Capitel aus der Zeit Azzoni’s vorlagen, ein größtentheils lateinisch geschriebenes Referat verfaßte, in welchem er den Inhalt der einzelnen Capitel detaillirt darlegte. Nach der Genehmigung seiner Anträge durch die Compilations-Commission, welche nur in seltenen Fällen von den Vorschlägen Zencker’s abwich, schritt dieser zur Redaction des Textes, welchen er sohin der Commission vortrug. Vor der commissionellen Berathung hatte Zencker mit Cetto und Mühlensdorff zu conferiren, mit denen er sich, wie es scheint, ohne Schwierigkeit verständigte. Der von Zencker entworfene Text wurde, soweit sich nach dem vorhandenen Manuscripte Zencker’s urtheilen läßt, - die Protokolle über die Berathungen der Compilations-Commission liegen nicht vor – fast ausnahmslos unverändert angenommen.

Von Azzoni, welcher das in der böhmischen Ländergruppe geltende Recht vertreten und sich bemüht hatte, alle aus dem Lateinischen herrührenden Ausdrücke durch deutsche Worte zu ersetzen, unterschied sich Zencker vornehmlich dadurch, daß er die gemeinrechtliche Auffassung zur Geltung brachte, und sich der in den juristischen Kreisen jener Zeit herrschenden Vorliebe für lateinische Ausdrücke accommodirte. Zu besonderem Verdienste wurde es ihm in einem Vortrage des Präsidenten der Commission vom 3. November 1762 angerechnet, daß er dem Texte „zu desto leichterem Begriff“ lateinische Marginal-Rubriken beisetzte.

(8) Vor dem Ablaufe des Jahres 1766 war der Codex Theresianus beendet. Die letzte Abtheilung desselben mit dem – Proëmium oder Einführungs-Rescript genannten – Kundmachungs-Patente wurde der Kaiserin am 25. November 1766 vorgelegt.

So lange die Ausarbeitung des Codex Theresianus im Zuge war, verlor die Kaiserin dieselbe nicht aus dem Auge, obgleich sie durch andere Angelegenheiten vollauf in Anspruch genommen war. In jene Zeit fiel ja der siebenjährige Krieg mit seinen Consequenzen, welche für die Gestaltung der inneren Verwaltung sehr fühlbar waren. Die Kaiserin ermüdete nicht, zu drängen. Von dem Werthe, den sie auf das baldige Zustandekommen des Codex Theresianus legte, geben die aus ihrer Initiative hervorgegangenen Resolutionen Zeugniß, in denen sie Auskunft über den Stand der Arbeiten begehrt, ihrem Unmuthe über die lange Dauer derselben Ausdruck gibt und alle Mittel anwendet, welche eine Beschleunigung der Arbeiten hoffen ließen. Nach der Vorlage des dritten Theiles im Jahre 1763 mußte Zencker wöchentlich über das Fortschreiten seiner Arbeit berichten.

Die Beendigung des Codex Theresianus fiel aber in eine Zeit, in welcher der Lebensmuth der Kaiserin in Folge des am 18. August 1765 eingetretenen Todes ihres Gatten gebrochen, ihre Willenskraft erschüttert war. Hiezu kam, daß in der Zwischenzeit solche Aenderungen in der Centralverwaltung eingetreten waren, welche die Zahl der Fälle, in denen die Entscheidung der Kaiserin eingeholt werden mußte, ungemein vervielfältigten, und überdies die Entscheidung selbst dadurch erschwerten, daß sie die Anlässe zur Aeußerung von Meinungsverschiedenheiten vermehrten und die Reibung in der Staatsmaschine steigerten.

Einer raschen Entscheidung über das Schicksal des Codex Theresianus stand auch der Umstand hinderlich entgegen, daß Haugwitz, welcher die Codificationsarbeiten mit großem Eifer eingeleitet und gefördert hatte, nicht mehr an der Spitze der politischen Verwaltung war, und daß den Centralstellen im Staatsrathe eine Körperschaft zur Seite stand, welche berufen wurde, die Monarchin in großen Fragen zu berathen, die aber thatsächlich zu einer sich in Detailfragen erschöpfenden Revisionsbehörde geworden war.

Ueber die Beschaffenheit sowie über den Umfang des Codex Theresianus konnte während der Ausarbeitung desselben in den leitenden Kreisen Niemand im Zweifel sein, denn die einzelnen Theile desselben sind unmittelbar nach ihrer Beendigung vorgelegt worden. Da diese Vorlagen von Niemandem bemängelt wurden, und da unausgesetzt auf Beschleunigung der Arbeiten gedrängt wurde, so war es zu erwarten, daß die Publication des Codex Theresianus der Beendigung desselben bald nachfolgen werde.

Anfangs schien es allerdings, daß die Genehmigung des Gesetzwerkes als eine selbstverständliche Sache angesehen werde, und es wurde die Uebersetzung desselben in die böhmische und in die italienische Sprache im Auftrage der Kaiserin noch im Jahre 1766 eingeleitet.

(9) Mit dem Handbillete vom 25. Juli 1767 verlangte die Kaiserin aber von der obersten Justizstelle ein Gutachten darüber, ob nicht mit den Uebersetzungen des Codex Theresianus, da dieser noch nicht bestätigt sei, inne zu halten wäre.

Einstimmig empfahl die oberste Justizstelle in dem Vortrage vom 27. Juli 1767 die Suspendirung der Uebersetzungen, da, falls irgend eine Aenderung des Textes angeordnet werden sollte, dieselbe viele andere Aenderungen nach sich ziehen müßte. Die Kaiserin folgte aber diesem Rathe nicht, indem sie, laut ihrer am 15. August 1767 herabgelangten Entschließung meinte, man könne nicht früh genug mit den Uebersetzungen, welche mehrere Jahre erheischen würden, beginnen, und es dürfte nicht schwer fallen, wenn sie finden sollte, „noch ein so anderes abzuändern,“ diese Aenderung nachträglich in den Uebersetzungen durchzuführen.

In dem eben erwähnten Vortrage gab die oberste Justizstelle wiederholt dem Gedanken Ausdruck, daß es nicht nöthig sei, mit der Genehmigung und Publication des Gesetzwerkes bis zu Beendigung der Uebersetzungen zu warten. Der hierin liegenden Anregung zur Fassung eines baldigen Entschlusses folgten jedoch die Rathgeber der Kaiserin nicht und zogen es vor, eine Ueberprüfung des von der Compilations-Commission gelieferten Operates einzuleiten.

Zunächst wurde Waldstätten, welcher der im Jahre 1753 eingesetzten Commission angehört hatte, zur Abgabe seines Gutachtens aufgefordert. Die von ihm gelieferten Anmerkungen gelangten am 7. April 1769 an den Staatsrath und bald darauf an die Compilations-Commission, welche sich in dem Vortrage vom 23. Mai 1769 bemühte, ihre Ausarbeitung fast in allen Punkten gegenüber den Anmerkungen Waldstätten’s, dessen Name der Compilations-Commission nicht bekannt gegeben worden war, zu vertheidigen.

Der vorliegende Widerstreit der Ansichten hatte zunächst zur Folge, daß die Acten nebst dem Codex Theresianus unter den Staatsräthen in Circulation gesetzt wurden, welche aber ausnahmslos betonten, daß ihre sonstigen Geschäfte ihnen nicht gestatten, eine Detailprüfung des Entwurfes vorzunehmen. Einer solchen Prüfung wurde dagegen der Entwurf durch Horten, damals Hilfsabeiter des Staatsrathes, unterzogen. Dessen zu allen drei Theilen des Entwurfes verfaßte allgemeine und specielle Anmerkungen, welchen Staatsrath Stupan einige eigene Bemerkungen beifügte, wurden bei den Berathungen des Staatsrathes benützt. Bei diesen Berathungen übte der vom Staatskanzler Kaunitz hochgehaltene Staatsrath Binder einen überwiegenden Einfluß. Derselbe widerrieth die Sanctionirung des Entwurfes, welchen er übrigens dem Wesen nach nur

(10) darum bekämpfte, weil er die Kenntniß des römischen Rechtes nicht entbehrlich mache, zu ausführlich sei und die Eigenschaften eines Lehrbuches mit denen eines Gesetzes in sich vereinige. Er schlug zugleich vor, die gegen den Entwurf vorgebrachten meritorischen Bedenken nach Anhörung der Compilations-Commission zur Entscheidung zu bringen, sodann den Entwurf zum Zwecke der Kürzung nach dem Vorbilde des von Horten, im Auftrage Binder’s, bearbeiteten Capitels über letztwillige Anordnungen umarbeiten zu lassen und den umgearbeiteten Entwurf den Landesstellen zur Begutachtung mitzutheilen. Der Compilations-Commission sollte ferner aufgetragen werden, die Gerichtsordnung, welche nach dem ursprünglichen Arbeitsplane den vierten Theil des Codex Theresianus zu bilden bestimmt war, auszuarbeiten, dann die bestehenden Straf-, Handels- und Wechselgesetze einer Revision zu unterziehen. Auf diese Weise sollte ein alle Civil- und Strafgesetze umfassendes „vollkommenes Gesetzbuch zur Verewigung des Nachruhms der allerhöchsten Gesetzgeberin“ zu Stande kommen und nicht blos in den deutschen Erblanden, sondern auch in Ungarn und Siebenbürgen, in der Lombardie und „vielleicht auch“ in den Niederlanden eingeführt werden. Mit Entschiedenheit sprach sich Staatsrath Blümegen gegen diese Art des Vorganges aus, nach welchem „kaum Kindskinder das Ende erleben“ dürfte; insbesondere bekämpfte er die Vorschläge, vor der Genehmigung die Landesstellen zu vernehmen, denn „wenn dieses geschähe, so würden unendliche Ausstellungen gemacht werden,“ ferner das Gesetzbuch in Ungarn einzuführen, denn „die Landesverfassung ist ganz unterschieden, und ad legislationem concurriren die Stände, welche von ihrem tripartito nie abgehen werden.“ Er war der Einzige unter den Staatsräthen, welcher der Genehmigung des Entwurfes das Wort sprach. Hiebei betonte er namentlich, daß die Compilatoren nach den ihnen ertheilten Aufträgen bei der Abfassung des Codex, der „zugleich für das richterliche und Lehramt bestimmt ist,“ nicht anders vorgehen konnten, als sie thatsächlich gethan haben, ferner daß die breite Diction des Entwurfes unentbehrlich sie, denn derselbe habe auch „für untere Richter und herrschaftliche Beamte in prima instantia zu dienen, welche keine jura gehört haben,“ endlich daß „der Codex Fridericianus für Schlesien auf die nämliche Art verfasset“ wurde.

Fast vier Jahre waren seit der Beendigung des Codex Theresianus verstrichen, ehe Fürst Kaunitz am 14. October 1770 sein Ausschlag gebendes Votum niederschrieb. Die Bemerkung vorausschickend, daß er nicht die Zeit hatte, den Entwurf im Detail zu studiren, - er gab sogar die Zahl der Bände, aus denen der Entwurf bestand, irrig an – wiederholte er die schon von Binder geäußerten Bedenken, daß man durch den entworfenen Codex vom römischen Rechte nicht emancipirt werde, sowie daß der Entwurf zu ausführlich sei und das Gesetz mit einem Lehrbuche vermenge. Er empfahl die Anordnung einer Umarbeitung, bei welcher „das Lehrbuch von dem Gesetzbuch zu trennen“ wäre, die sich zu einander zu verhalten hätten, wie „ein vollständiges systema theologicum zu einem catechismus romanus.“ Besonderes Gewicht legte er auf die Gefahr, daß der Codex Theresianus einer abfälligen Kritik unterzogen werden könnte, und wies einerseits auf die Lobsprüche, welche die gelehrte Welt der von der Kaiserin Katharina II. erlassenen „Instruction für die zur Verfertigung des Entwurfes zu einem neuen Gesetzbuche verordnete Commission“ spendete, andererseits aber auf die Kritiken hin, welche die Nemesis Theresiana erfahren hatte. Gegen dieses

(11) Gesetz hatte Kaunitz ursprünglich schwerwiegende meritorische und redactionelle Einwendungen erhoben, dieselben jedoch am 22. Februar 1769 mit der Motivirung zurückgezogen, daß den Redactoren des Gesetzes nur eine compilatorische Arbeit aufgetragen wurde, daß man es ihnen daher nicht zum Vorwurfe machen könne, daß sie sich bei ihrer Arbeit an den ertheilten Auftrag gehalten haben.

Für die von ihm empfohlene Umarbeitung stellte Kaunitz eine Frist von längstens zwei Jahren in Aussicht.

Fast zwei Jahre verstrichen aber, ehe der Compilations-Commission die definitive Entscheidung über ihre Arbeit bekannt gegeben wurde. Zunächst ist der Commission mit dem Handschreiben vom 30. November 1770, welches mit den Worten beginnt: „Bevor Ich noch über die Mir vorgelegten drei erstern Theile des Codicis und wie solche in das Publicum hinauszugeben seien, Meine Entschließung ertheile,“ aufgetragen worden, den vierten, von der Proceß-Ordnung handelnden Theil zu verfassen und sich über die beim Staatsrathe verfaßten Anmerkungen, über deren Ursprung die Commission in Unkenntniß gelassen wurde, auszusprechen. Während die Commission mit der Beantwortung dieser Anmerkungen, welchen am 12. März und am 2. Mai 1771 weitere, den ersten Theil betreffende, von Horten verfaßte Anmerkungen nachfolgten, beschäftigt war, arbeitete Horten an einer Umgestaltung des ersten Theiles, welche er bis zum 20. Mai 1771 beendet hatte.

Diese Umarbeitung und die von der Compilations-Commission erstatteten Gutachten wurden, soweit diese den ersten Theil betrafen, beim Staatsrathe im Sommer 1771 einer Berathung unterzogen, in Folge welcher Horten seine Arbeit neuerlich umgestalten mußte.

Dieses Operat erfuhr wieder in Folge der Berathungen, welche zuerst ein Comité und dann das Plenum des Staatsrathes im Sommer 1772 vornahm, verschiedene Modificationen, wurde sohin endlich von der Kaiserin genehmigt und der Compilations-Commission mit folgendem Handschreiben vom 4. August 1772 zugeschickt: „Ich habe bei dem Mir von der Compilations-Commission vor einigen Jahren vorgelegten Entwurf des Codicis Theresiani nothwendig befunden, denselben nach folgenden Grundsätzen umarbeiten zu lassen: 1. Solle das Gesetz und Lehrbuch nicht miteinander vermenget, mithin alles Jenes, was nicht in den Mund des Gesetzgebers, sondern ad cathedram gehöret, als Definitionen, Divisionen und dergleichen aus dem Codice ausgelassen werden. 2. Solle Alles in möglichster Kürze, so viel es, ohne undeutlich zu werden, geschehen kann, gefasset, anbei sich in kein allzu genaues Detail, besonders wo dieses dem Gesetzgeber gleichgiltig sein kann, eingelassen, und die casus rarioris (!) entweder übergangen oder unter allgemeinen Sätzen begriffen werden. 3. Alle Zweideutigkeit und Undeutlichkeit solle sorgfältig vermieden werden. Doch ist in Betreff der Deutlichkeit die behörige Maß zu halten, und sich unter diesem Vorwande weder in

(12) unnütze Wiederholungen, noch allda in Erläuterungen einzulassen, wo ohnehin bei einem vernünftigen Menschen kein Zweifel vorwalten kann. 4. In den Gesetzen selbst solle sich nicht an die römischen Rechte gebunden, sondern überall die natürliche Billigkeit zum Grunde geleget werden. Die Gesetze sollen so viel möglich simplificiret, dahero ohne Noth nicht vermehret noch auch bei solchen Fällen, so wesentlich einerlei sind, wegen einer etwa unterwaltenden Subtilität vervielfältiget werden. Ich theile anbei der Compilations-Commission den ersten Theil dieser Umarbeitung zu dem Ende mit, um denselben nach Maß der obigen Grundsätze, welche ich von nun an festgestellet haben will, in behörige Erwägung zu ziehen; und obwohl Ich diesen Aufsatz in so weit bereits begnehmiget habe, so verstatte ich doch, wenn sich über einen oder den anderen Punkt wichtige Anstände vorfinden sollten, Mir selbe zu Meiner Entscheidung vorzulegen. Es wird aber zu den diesfälligen und im Verfolge über die drei ersten Theile des Codicis weiter vorkommenden Deliberationen jedesmal Mein n. ö. Regierungsrath Horten zuzuziehen sein. Gleich wie Ich übrigens dieses Werk beschleuniget wissen will, also verstehe Ich Mich gnädigst, daß dasselbe ohne Noth nicht werde verzögert noch auch erschweret werden.“

Während der Dauer dieser Verhandlungen wurden die seit 1766 im Zuge befindlichen Uebersetzungen des Codex Theresianus fortgesetzt und erst am 14. August 1771 suspendirt.

Auffallen muß es, daß in den staatsräthlichen Gutachten, auf Grund welcher die Umarbeitung des Codex Theresianus angeordnet wurde, alle meritorischen Fragen unberührt blieben, und daß insbesondere der Reformvorschläge, welche die Commission hinsichtlich des Familienrechtes und des Erbrechtes der höheren Stände gemacht hatte, mit keinem Worte gedacht wurde. Diese Vorschläge konnten den Mitgliedern des Staatsrathes nicht unbekannt geblieben sein; denn es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß sie wegen ihrer Tragweite im mündlichen Verkehre zwischen den Mitgliedern der Commission und des Staatsrathes zur Sprache gebracht wurden. Sie konnten überdies umsoweniger ignorirt werden, als die dem Staatsrathe vorgelegten Anmerkungen in eine Erörterung derselben eingingen.

Gedenkt man der Gegensätze, welche in Beziehung auf die Würdigung ständischer Verhältnisse im Staatsrathe vertreten waren, und die bei anderen Anlässen zu sehr deutlichen Ausdrucke gelangten, so läßt es sich nicht annehmen, daß man im Staatsrathe die Bedeutung jener Reformvorschläge unterschätzt habe. Man wird vielmehr zur Vermuthung gedrängt, daß über diese Fragen geschwiegen wurde, weil ihre Entscheidung hinausgeschoben werden sollte.

Alle seit der Beendigung des Codex Theresianus ergriffenen Maßregeln, die Einleitung der Ueberprüfung, die Anordnung der – wiederholten – Umarbeitung, die Verweisung der bereits genehmigten Umarbeitung an die Commission zu neuerlicher Berathung stellen sich als Auskunftsmittel dar, welche ergriffen wurden, um Conflicten aus dem Wege zu gehen.

Peinlich ist der Contrast zwischen dieser Art der Beendigung der vor 19 Jahren begonnenen Arbeit und der freudigen Energie, mit welcher sie eingeleitet worden war. Die Compilatoren besaßen allerdings nicht die umfassenden Kenntnisse und die hohe Einsicht, welche ihnen hätten eigen sein müssen, um das von ihnen aufgestellte Programm ausführen zu können. Von den Quellen des geltenden Rechtes, soweit dieses nicht auf dem gemeinen Rechte beruhte, hatten

(13) sie keine Kunde; halb unbewußt folgten sie theils den geistigen Strömungen ihrer Zeit, theils aber, unsicher tastend, einer vermittelnden Tendenz und hatten kaum eine klare Anschauung davon, daß sie an dem Zersetzungsproceß der im Mittelalter ausgebildeten ständischen Gliederung der Gesellschaft und an der Vorbereitung neuer socialer Verhältnisse mitarbeiteten. Tiefere Kenntniß und überlegene Einsicht waren aber nicht die Factoren, welche die Ausarbeitung des Codex Theresianus zu einer resultatlosen machten.

Den mit dieser Ausarbeitung betrauten Männern kann man die Anerkennung nicht versagen, daß sie mit äußerster Anstrengung und mit unermüdlichem Eifer ihrer Aufgabe oblagen. Sympathisch berührt ihr bei jeder Gelegenheit zum Ausdruck gelangendes Bestreben, das Wohl der Menschen zu fördern. In Beziehung auf Richtung und Ziel ihrer Arbeit waren sie unter sich einig. Ihre Gesinnung hatte für Sonderinteressen, für particularistische Bestrebungen kein Verständniß. Sie waren aufrichtige, wenn auch etwas ängstliche Vertreter der Rechtseinheit und der Rechtsgleichheit. Sie waren wahrhaftig und machten sich nie einer tendenziösen Darstellung schuldig, sie waren gerechten Sinnes und boten nie einen Anlaß, die Objectivität ihres Urtheils in Zweifel zu ziehen, sie waren selbstlos und pflichtgetreu. In ihrer Macht lag es natürlich nicht, zu verhindern, daß auf ihre mit großer Hast betriebene Arbeit eine Periode der Stagnation folgte, in welcher man sich mit sterilen Arbeiten abmühte, die nur dazu führen konnten, die zu lösenden Fragen zu verwirren und dadurch die Entscheidung zu erschweren.

Dieses Resultat wäre kaum abzuwenden gewesen, denn die leitenden Kreise waren in Beziehung auf grundsätzliche Anschauungen in’s Schwanken gerathen, und schwankten darum auch in der Würdigung der ihnen vorgelegten Arbeiten. Mit Bereitwilligkeit ging man auf entgegengesetzte Bestrebungen ein, vertraute Jedem halb, Niemandem aber ganz.

Die Vertreter principieller Gegensätze, die sich gegenseitig zu verdrängen suchten, bemühten sich, die Kaiserin in ihre Kämpfe hineinzuziehen, und zur Parteinahme zu veranlassen. Die hohe Frau aber, durch den Verlust ihres Gatten gebeugt, und durch die sich mehrenden Conflicte mit ihrem Sohne und Mitregenten verwirrt, büßte immer mehr von dem Selbstvertrauen ein, welches sie in der Zeit der höchsten Gefahr des Reiches das Richtige finden ließ.

Wenn auch der Codex Theresianus nicht zum Gesetze wurde, so war doch die auf seine Verfassung verwandte Mühe nicht nutzlos, denn er bildet die Grundlage der folgenden Codificationsarbeiten, die nach langer Zeit und nach verschiedenen Wandlungen zum Zustandekommen unseres allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches führten. Dieses Operat und die mit demselben im Zusammenhange stehenden Verhandlungen sind übrigens auch darum von Werth, weil sie ein getreues Bild der Zustände jener Zeit bieten, das für Juristen sowie für Politiker und für Culturhistoriker von Interesse sein dürfte.

Seit der Zeit, in welcher der Codex Theresianus ausgearbeitet wurde, haben sich gewaltige Aenderungen vollzogen; die Erfahrungen jener Tage lassen sich aber auch noch heute sowohl für das Stellen als für das Lösen legislativer Aufgaben verwerthen.