Gesetz vom 1. Oktober 1920, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (Bundes-Verfassungsgesetz)

Die Nationalversammlung hat beschlossen:

Erstes Hauptstück.
Allgemeine Bestimmungen.

Artikel 1. Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.

Artikel 2. (1) Österreich ist ein Bundesstaat.

(2) Der Bundesstaat wird gebildet aus den selbständigen Ländern: Burgenland, Kärnten, Niederösterreich (Niederösterreich-Land und Wien), Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg.

Artikel 3. (1) Das Bundesgebiet umfaßt die Gebiete der Bundesländer.

(2) Eine Änderung des Bundesgebietes, die zugleich Änderung eines Landesgebietes ist, ebenso die Änderung einer Landesgrenze innerhalb des Bundesgebietes kann - abgesehen von Friedensverträgen - nur durch übereinstimmende Verfassungsgesetze des Bundes und jenes Landes erfolgen, dessen Gebiet eine Änderung erfährt.

(3) Die für Niederösterreich-Land und Wien geltenden Sonderbestimmungen enthält das vierte Hauptstück.

Artikel 4. (1) Das Bundesgebiet bildet ein einheitliches Währungs-, Wirtschafts- und Zollgebiet.

(2) Innerhalb des Bundes dürfen Zwischenzollinien oder sonstige Verkehrsbeschränkungen nicht errichtet werden.

Artikel 5. (1) Bundeshauptstadt und Sitz der obersten Organe des Bundes ist Wien.

Artikel 6. (1) Für jedes Land besteht eine Landesbürgerschaft. Voraussetzung der Landesbürgerschaft ist das Heimatrecht in einer Gemeinde des Landes. Die Bedingungen für Erwerb und Verlust der Landesbürgerschaft ist in jedem Land gleich.

(2) Mit der Landesbürgerschaft wird die Bundesbürgerschaft erworben.

(3) Jeder Bundesbürger hat in jedem Land die gleichen Rechte und Pflichten wie die Bürger des Landes selbst.

Artikel 7. (1) Alle Bundesbürger sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen.

(2) Den öffentlichen Angestellten, einschließlich der Angehörigen des Bundesheeres, ist die ungeschmälerte Ausübung ihrer politischen Rechte gewährleistet.

Artikel 8. Die deutsche Sprache ist, unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte, die Staatssprache der Republik.

Artikel 9. (1) Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechtes gelten als Bestandteile des Bundesrechtes.

Artikel 10. (1) Bundessache ist die Gesetzgebung und die Vollziehung in folgenden Angelegenheiten:

1. Bundesverfassung, insbesondere Wahlen zum Nationalrat, Volksabstimmungen auf Grund der Bundesverfassung; Verfassungsgerichtsbarkeit;

2. äußere Angelegenheiten mit Einschluß der politischen und wirtschaftlichen Vertretung gegenüber dem Ausland, insbesondere Abschluß aller Staatsverträge; Grenzvermarkung; Waren- und Viehverkehr mit dem Ausland; Zollwesen;

3. Regelung und Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm; Ein- und Auswanderungswesen; Paßwesen; Abschiebung, Abschaffung, Ausweisung und Auslieferung aus dem Bundesgebiet sowie Durchlieferung;

4. Bundesfinanzen, insbesondere öffentliche Abgaben, die ausschließlich oder teilweise für den Bund einzuheben sind; Monopolwesen;

5. Geld-, Kredit-, Börse- und Bankwesen; Maß- und Gewichts-, Normen- und Punzierungswesen;

6. Zivilrechtswesen einschließlich des wirtschaftlichen Assoziationswesens; Strafrechtswesen mit Ausschluß des Verwaltungsstrafrechtes und Verwaltungsstrafverfahrens in Angelegenheiten, die in den selbständigen Wirkungsbereich der Länder fallen; Justizpflege; Verwaltungsgerichtsbarkeit; Urheberrecht; Pressewesen; Enteignung, soweit sie nicht Angelegenheiten betrifft, die in den selbständigen Wirkungsbereich der Länder fallen; Angelegenheiten der Notare, der Rechtsanwälte und verwandter Berufe;

7. Vereins- und Versammlungsrecht;

8. Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie; Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes; Patentwesen sowie Schutz von Mustern, Marken und anderen Warenbezeichnungen; Angelegenheiten der Patentanwälte; Ingenieur- und Ziviltechnikerwesen; Kammern für Handel, Gewerbe und Industrie;

9. Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen, der Schiffahrt und der Luftfahrt; Angelegenheiten der wegen ihrer Bedeutung für den Durchzugsverkehr durch Bundesgesetz als Bundesstraßen erklärten Straßenzüge; Strom- und Schiffahrtspolizei; Post-, Telegraphen- und Fernmeldewesen;

10. Bergwesen; Regulierung und Instandhaltung der schiffbaren und flösbaren Gewässer, dann solcher Gewässer, die die Grenze gegen das Ausland oder zwischen Ländern bilden oder die zwei oder mehrere Länder durchfließen; Bau und Instandhaltung derjenigen Wasserstraßen, die das Inland mit dem Ausland oder mehrere Länder verbinden; allgemeine technische Maßnahmen für die zweckdienliche Nutzbarmachung der Wasserkräfte ausschließlich der landwirtschaftlichen und kleingewerblichen Triebwerke; Normalisierung und Typisierung elektrischer Anlagen und Einrichtungen, Sicherheitsmaßnahmen auf diesem Gebiete; Starkstromwegerecht, soweit sich die Leitungsanlage auf zwei oder mehrere Länder erstreckt; Dampfkessel- und Kraftmaschinenwesen; Vermessungswesen; Vermessungswesen;

11. Arbeitsrecht, sowie Arbeiter- und Angestelltenschutz, soweit es sich nicht um land- und forstwirtschaftliche Arbeiter handelt; Sozial- und Vertragsversicherungswesen;

12. Gesundheitswesen mit Ausnahme des Leichen- und Bestattungswesens sowie des Gemeindesanitätsdienstes und Rettungswesens, hinsichtlich der Heil- und Pflegeanstalten, des Kurortewesens und der Heilquellen jedoch nur die sanitäre Aufsicht; Veterinärwesen; Ernährungswesen einschließlich der Nahrungsmittelkontrolle;

13. wissenschaftlicher und fachtechnischer Archiv- und Bibliotheksdienst; Angelegenheiten der künstlerischen und wissenschaftlichen Sammlungen und Einrichtungen; Denkmalschutz; Angelegenheiten des Kultus; Volkszählungswesen sowie sonstige Statistik, soweit sie nicht nur den Interessen eines einzelnen Landes dient; Stiftungs- und Fondswesen, soweit es sich um Stiftungen und Fonds handelt, die nach ihren Zwecken über den Interessenbereich eines Landes hinausgehen und nicht schon bisher von den Ländern autonom verwaltet wurden;

14. Bundespolizei und der Bundesgendarmerie;

15. militärische Angelegenheiten; Kriegsschadenangelegenheiten und Fürsorge für Kriegsteilnehmer und deren Hinterbliebene; aus Anlaß eines Krieges oder im Gefolge eines solchen zur Sicherung der einheitlichen Führung der Wirtschaft notwendig erscheinende Maßnahmen, insbesondere auch hinsichtlich der Versorgung der Bevölkerung mit Bedarfsgegenständen;

16. Einrichtung der Bundesbehörden und sonstigen Bundesämter; Dienstrecht der Bundesangestellten;

Artikel 11. (1) Bundessache ist die Gesetzgebung, Landessache die Vollziehung in folgenden Angelegenheiten:

1. Staatsbürgerschaft und Heimatrecht; Personenstandsangelegenheiten einschließlich des Matrikenwesens und der Namensänderung; Fremdenpolizei;

2. berufliche Vertretungen, soweit sie nicht unter Art. 10 fallen, jedoch mit Ausnahme jener auf land- und forstwirtschaftlichem Gebiet;

3. öffentliche Agentien und Privatgeschäftsvermittlung;

4. hinsichtlich der öffentlichen Abgaben, die nicht ausschließlich oder teilweise für den Bund eingehoben werden: Anordnungen zur Verhinderung von Doppelbesteuerungen oder sonstigen übermäßigen Belastungen, zur Verhinderung von Erschwerungen des Verkehres oder der wirtschaftlichen Beziehungen im Verhältnis zum Ausland oder zwischen den Ländern und Landesteilen, zur Verhinderung von übermäßigen oder verkehrserschwerenden Belastung der Benutzung öffentlicher Verkehrswege und Einrichtungen mit Gebühren und zur Verhinderung der Schädigung der Bundesfinanzen;

5. Munitions-, Schieß- und Sprengmittelwesen, soweit es nicht dem Monopol unterliegt, sowie Waffenwesen; Kraftfahrwesen;

6. Volkswohnungswesen;

7. Verwaltungs- und Verwaltungsstrafverfahren einschließlich der Zwangsvollstreckung sowie die allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsstrafrechtes auch in Angelegenheiten, in denen die Gesetzgebung den Ländern zusteht.

(2) Die Durchführungsverordnungen zu den nach dem Absatz 1 ergehenden Bundesgesetzen sind, soweit in diesen Gesetzen nicht anderes bestimmt ist, vom Bund zu erlassen.

Artikel 12. (1) Bundessache ist die Gesetzgebung über die Grundsätze, Landessache die Erlassung von Ausführungsgesetzen und die Vollziehung in folgenden Angelegenheiten:

1. Organisation der Verwaltung in den Ländern;

2. Armenwesen; Bevölkerungspolitik; Volkspflegestätten; Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge; Heil- und Pflegeanstalten; Kurortewesen und Heilwesen;

3. Einrichtungen zum Schutz der Gesellschaft gegen verbrecherische, verwahrloste oder sonst gefährliche Personen, wie Zwangsarbeits- und ähnliche Anstalten; Abschiebung und Abschaffung aus einem in ein anderes Land;

4. öffentliche Einrichtungen zur außergerichtlichen Vermittlung von Streitigkeiten;

5. Arbeiterrecht sowie Arbeiter- und Angestelltenschutz, soweit es sich um land- und forstwirtschaftliche Arbeiter und Angestellte handelt;

6. Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen und Wiederbesiedelung;

7. Forstwesen einschließlich des Triftwesens; Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge;

8. Elektrizitätswesen und Wasserrecht, soweit sie nicht unter Artikel 10 fallen;

9. Bauwesen;

10. Dienstrecht der Angestellten der Länder, die behördliche Aufgaben zu besorgen haben.

(2) Die Entscheidung oberster Instanz in Angelegenheiten der Bodenreform (Absatz 1, Z. 6) wird einer vom Bund eingesetzten, aus Richtern, Verwaltungsbeamten und Sachverständigen bestehenden Kommission übertragen.

Artikel 13. (1) Bundessache ist die Gesetzgebung und die Vollziehung hinsichtlich der Regelung, welche Abgaben dem Bund, den Ländern und den Gemeinden zustehen, der Regelung der Anteilnahme der Länder und der Gemeinden an den Einnahmen des Bundes und der  Regelung der Beiträge und Zuschüsse aus Bundesmitteln zu den Ausgaben der Länder und der Gemeinden.

(2) Landessache ist die Gesetzgebung und die Vollziehung hinsichtlich der Regelung, welche Abgaben der Länder den Gemeinden übertragen werden, der Regelung der Anteilnahme der Gemeinden an den Einnahmen der Länder und der Regelung der Beiträge und der Zuschüsse aus Landesmitteln zu den Ausgaben der Gemeinden.

Artikel 14. Auf dem Gebiet des Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesens wird der Wirkungsbereich des Bundes und der Länder durch ein besonderes Bundesverfassungsgesetz geregelt.

Artikel 15. (1) Soweit eine Angelegenheit nicht ausdrücklich durch die Bundesverfassung der Gesetzgebung oder auch der Vollziehung des Bundes übertragen ist, verbleibt sie im selbständigen Wirkungsbereich der Länder.

(2) Soweit dem Bund bloß die Gesetzgebung über die Grundsätze vorbehalten ist, liegt innerhalb des bundesgesetzlich festgelegten Rahmens die nähere Ausführung der Landesgesetzgebung ob. Das Bundesgesetz kann für die Erlassung der Ausführungsgesetze eine Frist bestimmen, die ohne Zustimmung des Bundesrates nicht kürzer als sechs Monate und nicht länger als ein Jahr sein darf. Wird diese Frist von einem Land nicht eingehalten, so geht die Zuständigkeit zur Erlassung des Ausführungsgesetzes für dieses Land auf den Bund über. Sobald das Land das Ausführungsgesetz erlassen hat, tritt das Ausführungsgesetz des Bundes außer Kraft.

(3) Wenn ein Akt der Vollziehung eines Landes in den Angelegenheiten der Artikel 11 und 12 für mehrere Länder wirksam werden soll, so haben die beteiligten Länder zunächst einvernehmlich vorzugehen. Falls sie sich nicht einigen können, geht die Zuständigkeit zu einem solchen Akt auf Antrag eines Landes an das zuständige Bundesministerium über. Das Nähere können die nach den Artikeln 11 und 12 ergehenden Bundesgesetze regeln.

(4) In den Angelegenheiten, die nach Artikel 11 und 12 der Bundesgesetzgebung vorbehalten sind, steht dem Bund das Recht zu, die Einhaltung der von ihm erlassenen Vorschriften wahrzunehmen.

(5) Die Länder sind im Bereich ihrer Gesetzgebung befugt, die zur Regelung des Gegenstandes erforderlichen Bestimmungen auch auf dem Gebiet des Straf- und Zivilrechtes zu treffen.

Artikel 16. (1) Die Länder sind verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, die in ihrem selbstständigen Wirkungsbereich zur Durchführung von Staatsverträgen erforderlich werden; kommt ein Land dieser Verpflichtung nicht rechtzeitig nach, so geht die Zuständigkeit zu solchen Maßnahmen, insbesondere zur Erlassung der notwendigen Gesetze, auf den Bund über.

(2) Ebenso hat der Bund bei Durchführung von völkerrechtlichen Verträgen das Überwachungsrecht auch in solchen Angelegenheiten, die zum selbständigen Wirkungsbereich der Länder gehören. Hiebei stehen dem Bund die gleichen Rechte gegenüber den Ländern zu wie bei den Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung (Art. 102).

Artikel 17. (1) Durch die Bestimmungen der Artikel 10 bis 15 über die Zuständigkeit in Gesetzgebung und Vollziehung wird die Stellung des Bundes und der Länder als Träger von Privatrechten in keiner Weise berührt.

(2) Der Bund kann in allen diesen Rechtsbeziehungen durch die Landesgesetzgebung niemals ungünstiger gestellt werden als das betreffende Land selbst.

Artikel 18. (1) Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden.

(2) Jede Verwaltungsbehörde kann im Rahmen der Gesetze innerhalb ihres Wirkungsbereiches Verordnungen erlassen.

Artikel 19. (1) Mit der Leitung der Vollziehung des Bundes und der Länder sind Volksbeauftragte betraut, die von den Vertretungen des Volkes im Bund und in den Ländern bestellt werden. Volksbeauftragte sind der Bundespräsident, die Bundesminister und Staatssekretäre und die Mitglieder der Landesregierungen.

(2) Die Geschäftsführung der Volksbeauftragten steht unter der Aufsicht der Volksvertretung, von der sie bestellt sind.

(3) Sie können wegen ihrer Handlungen und Unterlassungen, soweit es die Bundesverfassung oder die Landesverfassungen bestimmen, vor dem Verfassungsgerichtshof zur Verantwortung gezogen werden.

Artikel 20. Unter der Leitung der Volksbeauftragten führen nach den Bestimmungen der Gesetze auf Zeit gewählte Organe oder ernannte berufsmäßige Organe die Bundes- oder die Landesverwaltung. Sie sind, soweit nicht durch die Verfassung des Bundes oder der Länder anderes bestimmt wird, an die Weisungen ihrer vorgesetzten Volksbeauftragten gebunden und diesen für ihre amtliche Tätigkeit verantwortlich.

Artikel 21. (1) Das Dienstrecht, einschließlich des Besoldungssystems und des Disziplinarrechtes, wird für jene Angestellten des Bundes und der Länder, die behördliche Aufgaben zu besorgen haben, nach einheitlichen Grundsätzen durch Bundesgesetz geregelt (Artikel 10, Z. 16 und Artikel 12, Z. 10). Hiebei wird insbesondere auch festgesetzt, inwieweit bei der Regelung der Rechte und Pflichten dieser Abgestellten, unbeschadet der Diensthoheit des Bundes und der Länder, Personalvertretungen teilzunehmen haben.

(2) Die Diensthoheit des Bundes gegenüber seinen Angestellten wird von den Volksbeauftragten des Bundes, die Diensthoheit der Länder gegenüber ihren Angestellten von den Volksbeauftragten der Länder ausgeübt.

(3) Die Bestellung und das Dienstrecht jener Angestellten der Gebiets- und Ortsgemeinden, die behördliche Aufgaben zu vollziehen haben, werden im Zusammenhang mit der Organisation der Verwaltung geregelt.

(4) Die Möglichkeit des Wechsels zwischen dem Dienst beim Bund, den Ländern, den Gemeinden und Gemeindeverbänden bleibt den öffentlichen Angestellten jederzeit gewahrt. Der Dienstwechsel wird im Einvernehmen der zur Ausübung der Diensthoheit berufenen Stellen vollzogen. Durch Bundesgesetz können besondere Einrichtungen zur Erleichterung des Dienstwechsels geschaffen werden.

(5) Amtstitel für die Organe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände können durch Bundesgesetz einheitlich festgesetzt werden. Sie sind gesetzlich geschützt.

Artikel 22. Alle Organe des Bundes, der Länder und der Gemeinden sind im Rahmen ihres gesetzmäßigen Wirkungsbereiches zur wechselseitigen Hilfeleistung verpflichtet.

Artikel 23. (1) Alle mit Aufgaben des Bundes, Landes- oder Gemeindeverwaltung oder der Gerichtsbarkeit betrauten Personen sind für jeden bei der Ausübung ihrer Tätigkeit durch vorsätzliche oder grobfahrlässige Rechtsverletzung wem immer zugefügten Schaden haftbar. Der Bund, die Länder oder die Gemeinden haften für die Rechtsverletzungen der von ihnen bestellten Personen.

(2) Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

 

Zweites Hauptstück.
Gesetzgebung des Bundes.

A. Nationalrat.

Artikel 24. Die Gesetzgebung des Bundes übt der vom ganzen Bundesvolk gewählte Nationalrat gemeinsam mit dem von den Landtagen gewählten Bundesrat aus.

Artikel 25. (1) Der Sitz des Nationalrates ist die Bundeshauptstadt Wien.

(2) Für die Dauer außerordentlicher Verhältnisse kann der Bundespräsident auf Antrag der Bundesregierung den Nationalrat in einen anderen Ort des Bundesgebietes berufen.

Artikel 26. (1) Der Nationalrat wird vom Bundesvolk auf Grund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Wahlrechtes der Männer und Frauen, die vor dem 1. Jänner des Jahres der Wahl das zwanzigste Lebensjahr überschritten hatten, nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt.

(2) Das Bundesgebiet wird innerhalb der Landesgrenzen in räumlich geschlossene Wahlkreise geteilt. Die Zahl der Abgeordneten ist auf die Wahlberechtigten des Wahlkreises (Wahlkörper) im Verhältnis der Zahl der Bürgerzahl der Wahlkreise, das ist die Zahl der Bundesbürger zu verteilen, die nach dem Ergebnis der letzten Volkszählung in den Wahlkreisen ihren ordentlichen Wohnsitz hatten. Eine Gliederung der Wählerschaft in andere Wahlkörper ist nicht zulässig.

(3) Der Wahltag muß ein Sonntag oder ein anderer öffentlicher Ruhetag sein.

(4) Wählbar ist jeder Wahlberechtigte, der vor dem 1. Jänner des Jahres der Wahl das vierundzwanzigste Lebensjahr überschritten hat.

(5) Die Ausschließung vom Wahlrecht und von der Wählbarkeit kann nur die Folge einer gerichtlichen Verurteilung sein.

Artikel 27. (1) Die Gesetzgebungsperiode des Nationalrates dauert vier Jahre, vom Tag seines ersten Zusammentrittes an gerechnet, jedenfalls aber bis zu dem Tag, an dem der neue Nationalrat zusammentritt.

(2) Der neugewählte Nationalrat ist vom Bundespräsidenten längstens innerhalb dreißig Tagen nach der Wahl einzuberufen. Diese ist von der Bundesregierung so anzuordnen, daß der neugewählte Nationalrat am Tag nach dem Ablauf des vierten Jahres der Gesetzgebungsperiode zusammentreten kann.

Artikel 28. Der Nationalrat kann nur durch seinen Beschluß vertagt werden. Die Wiedereinberufung erfolgt durch seinen Präsidenten. Dieser ist verpflichtet, den Nationalrat sofort einzuberufen, wenn wenigstens ein Viertel seiner Mitglieder oder die Bundesregierung es verlangt.

Artikel 29. Vor Ablauf der Gesetzgebungsperiode kann der Nationalrat durch einfaches Gesetz seine Auflösung beschließen. Auch in diesem Fall dauert die Gesetzgebungsperiode bis zum Zusammentritt des neugewählten Nationalrates.

Artikel 30. (1) Der Nationalrat wählt aus seiner Mitte den Präsidenten, den zweiten und dritten Präsidenten.

(2) Die Geschäfte des Nationalrates werden auf Grund eines besonderen Gesetzes und einer im Rahmen dieses Gesetzes vom Nationalrat zu beschließenden autonomen Geschäftsordnung geführt. Das Gesetz über die Geschäftsordnung kann nur bei Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden.

Artikel 31. Zu einem Beschluß des Nationalrates ist, soweit in diesem Gesetz nicht anderes bestimmt ist, die Anwesenheit von mindestens einem Drittel der Mitglieder und die unbedingte Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich.

Artikel 32. (1) Die Sitzungen des Nationalrates sind öffentlich.

(2) Die Öffentlichkeit wird ausgeschlossen, wenn es vom Vorsitzenden oder einem Fünftel der anwesenden Mitglieder verlangt und vom Nationalrat nach Entfernung der Zuhörer beschlossen wird.

Artikel 33. Wahrheitsgetreue Berichte über die Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des Nationalrates und seiner Ausschüsse bleiben von jeder Verantwortung frei.

 

B. Bundesrat.

Artikel 34. (1) Im Bundesrat sind die Länder im Verhältnis zur Bürgerzahl im Land gemäß den folgenden Bestimmungen vertreten.

(2) Für die Vertretung und Stellung im Bundesrat gelten Wien und Niederösterreich-Land (Artikel 108 bis 114) als selbständige Länder.

(3) Das Land mit der größten Bürgerzahl entsendet zwölf, jedes andere Land so viele Mitglieder, als dem Verhältnis seiner Bürgerzahl zur erstangeführten Bürgerzahl entspricht, wobei Reste über die Hälfte der Verhältniszahl als voll gelten. Jedem Land gebührt jedoch eine Vertretung von wenigstens drei Mitgliedern. Für jedes Mitglied wird ein Ersatzmann bestellt.

(4) Die Zahl der demnach von jedem Land zu entsendenden Mitglieder wird vom Bundespräsidenten nach jeder allgemeinen Volkszählung festgesetzt.

Artikel 35. (1) Die Mitglieder des Bundesrates und ihre Ersatzmänner werden von den Landtagen für die Dauer ihrer Gesetzgebungsperiode nach dem Grundsatz der Verhältniswahl gewählt, jedoch muß wenigstens ein Mandat der Partei zufallen, die die zweithöchste Anzahl von Sitzen im Landtag oder, wenn mehrere Parteien die gleiche Anzahl von Sitzen haben, die zweithöchste Zahl von Wählerstimmen bei der letzten Landtagswahl aufweist. Bei gleichen Ansprüchen mehrerer Parteien entscheidet das Los.

(2) Die Mitglieder des Bundesrates müssen nicht dem Landtag angehören, der sie entsendet; sie müssen jedoch zu diesem Landtag wählbar sein.

(3) Nach Ablauf der Gesetzgebungsperiode eines Landtages oder nach seiner Auflösung bleiben die von ihm entsendeten Mitglieder des Bundesrates so lange in Funktion, bis der neue Landtag die Wahl in den Bundesrat vorgenommen hat.

(4) Die Bestimmungen dieses Artikels können nur abgeändert werden, wenn im Bundesrat - abgesehen von der für seine Beschlußfassung überhaupt erforderlichen Stimmenmehrheit - die Mehrheit der Vertreter von wenigstens vier Ländern die Änderung angenommen hat.

Artikel 36. (1) Im Vorsitz des Bundesrates wechseln die Länder halbjährlich in alphabetischer Reihenfolge.

(2) Als Vorsitzender fungiert der an erster Stelle entsendete Vertreter des zum Vorsitz berufenen Landes; die Bestellung der Stellvertreter regelt die Geschäftsordnung des Bundesrates.

(3) Der Bundesrat wird von seinem Vorsitzenden an den Sitz des Nationalrates einberufen. Der Vorsitzende ist verpflichtet, den Bundesrat sofort einzuberufen, wenn wenigstens ein Viertel seiner Mitglieder oder die Bundesregierung es verlangt.

Artikel 37. (1) Zu einem Beschluß des Bundesrates ist, soweit in diesem Gesetz nicht anders bestimmt ist, die Anwesenheit von mindestens einem Drittel der Mitglieder und die unbedingte Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich.

(2) Der Bundesrat gibt sich seine Geschäftsordnung durch Beschluß. Dieser Beschluß kann nur bei Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen gefaßt werden.

(3) Die Sitzungen des Bundesrates sind öffentlich. Die Öffentlichkeit kann jedoch gemäß den Bestimmungen der Geschäftsordnung durch Beschluß aufgehoben werden. Die Bestimmungen des Artikel 33 gelten auch für öffentliche Sitzungen des Bundesrates und seiner Ausschüsse.

 

C. Bundesversammlung.

Artikel 38. Nationalrat und Bundesrat treten als Bundesversammlung in gemeinsamer öffentlicher Sitzung zur Wahl des Bundespräsidenten und zu dessen Angelobung, ferner zur Beschlußfassung über eine Kriegserklärung am Sitz des Nationalrates zusammen.

Artikel 39. (1) Die Bundesversammlung wird - abgesehen von den Fällen des Artikels 63, Absatz 2, des Artikels 64, Absatz 2 und des Artikels 68, Absatz 2 - vom Bundespräsidenten einberufen. Der Vorsitz wird abwechselnd vom Präsidenten des Nationalrates und vom Vorsitzenden des Bundesrates, das erstemal von jenem, geführt.

(2) In der Bundesversammlung wird die Geschäftsordnung des Nationalrates sinngemäß angewendet.

(3) Nationalrat und Bundesrat können den Gegenstand der Abstimmung vorher auch gesondert beraten.

(4) Die Bestimmungen des Artikels 33 gelten auch für die Sitzungen der Bundesversammlung.

Artikel 40. (1) Die Beschlüsse der Bundesversammlung werden von ihrem Vorsitzenden beurkundet und vom Bundeskanzler gegengezeichnet.

(2) Die amtliche Kundmachung liegt dem Bundeskanzler ob.

 

D. Der Weg der Bundesgesetzgebung.

Artikel 41. (1) Gesetzesvorschläge gelangen an den Nationalrat als Anträge seiner Mitglieder oder als Vorlagen der Bundesregierung. Der Bundesrat kann durch Vermittlung der Bundesregierung Gesetzesanträge im Nationalrat stellen.

(2) Jeder von 200 000 Stimmberechtigten oder von je der Hälfte der Stimmberechtigten dreier Länder gestellte Antrag (Volksbegehren) ist von der Bundesregierung  dem Nationalrat zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung vorzulegen. Das Volksbegehren muß in Form eines Gesetzentwurfes gestellt werden.

Artikel 42. (1) Jeder Gesetzesbeschluß des Nationalrates ist unverzüglich von dessen Präsidenten dem Bundeskanzler zu übermitteln, der ihn sofort dem Bundesrat bekanntzugeben hat..

(2) Ein Gesetzesbeschluß kann, soweit nicht verfassungsgesetzlich anderes bestimmt ist, nur dann beurkundet und kundgemacht werden, wenn der Bundesrat gegen diesen Beschluß keinen mit Gründen versehenen Einspruch erhoben hat.

(3) Dieser Einspruch muß durch Vermittlung des Bundeskanzlers dem Nationalrat innerhalb acht Wochen nach Einlangen des Gesetzesbeschlusses beim Bundesrat schriftlich mitgeteilt werden.

(4) Wiederholt der Nationalrat seinen ursprünglichen Beschluß bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder, so ist dieser zu beurkunden und kundzumachen. Beschließt der Bundesrat keinen Einspruch zu erheben, oder wird innerhalb der im Absatz 3 festgesetzten Frist kein mit Begründung versehener Einspruch erhoben, so ist der Gesetzesbeschluß zu beurkunden und kundzumachen.

(5) Gegen Beschlüsse des Nationalrates, die ein Gesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates, die Auflösung des Nationalrates, ein Bewilligung des Bundesvoranschlages, die Genehmigung des Bundesrechnungsabschlusses, die Aufnahme oder Konvertierung von Bundesanleihen oder die Verfügung über Bundesvermögen betreffen, kann der Bundesrat keinen Einspruch erheben. Diese Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates sind ohne weiteres zu beurkunden und kundzumachen.

Artikel 43. Einer Volksabstimmung ist jeder Gesetzesbeschluß des Nationalrates vor seiner Beurkundung durch den Bundespräsidenten, zu unterziehen, wenn der Nationalrat es beschließt oder die Mehrheit der Mitglieder des Nationalrates es verlangt.

Artikel 44. (1) Verfassungsgesetze oder in einfachen Gesetzen enthaltene Verfassungsbestimmungen können vom Nationalrat nur in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden; sie sind als solche ("Verfassungsgesetz", "Verfassungsbestimmung") ausdrücklich zu bezeichnen.

(2) Jede Gesamtänderung der Bundesverfassung, eine Teiländerung aber nur, wenn dies von einem Drittel der Mitglieder des Nationalrates oder des Bundesrates verlangt wird, ist nach Beendigung des Verfahrens gemäß Artikel 42, jedoch vor der Beurkundung durch den Bundespräsidenten, einer Abstimmung des gesamten Bundesvolkes zu unterziehen.

Artikel 45. (1) In der Volksabstimmung entscheidet die unbedingte Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen.

(2) Das Ergebnis der Volksabstimmung ist amtlich zu verlautbaren.

Artikel 46. (1) Das Verfahren für das Volksbegehren und die Volksabstimmung wird durch Bundesgesetz geregelt.

(2) Stimmberechtigt ist jeder zum Nationalrat wahlberechtigte Bundesbürger.

(3) Der Bundespräsident ordnet die Volksabstimmung an.

Artikel 47. (1) Das verfassungsmäßige Zustandekommen der Bundesgesetze wird durch die Unterschrift des Bundespräsidenten beurkundet.

(2) Die Vorlage zur Beurkundung erfolgt durch den Bundeskanzler.

(3) Die Beurkundung ist vom Bundeskanzler und den zuständigen Bundesministern gegenzuzeichnen.

Artikel 48. Bundesgesetze und die in Artikel 50 bezeichneten Staatsverträge werden mit Berufung auf den Beschluß des Nationalrates, Bundesgesetze, die auf einer Volksabstimmung beruhen, mit Berufung auf das Ergebnis der Volksabstimmung kundgemacht.

Artikel 49. (1) Die Bundesgesetze und die in Artikel 50 bezeichneten Staatsverträge sind vom Bundeskanzler im Bundesgesetzblatt kundzumachen. Ihre verbindende Kraft beginnt, wenn nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, nach Ablauf des Tages, an dem das Stück des Bundesgesetzblattes, das die Kundmachung enthält, herausgegeben und versendet wird, und erstreckt sich, wenn nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, auf das gesamte Bundesgebiet

(2) Über das Bundesgesetzblatt ergeht ein besonderes Bundesgesetz.
 

E. Mitwirkung des Nationalrates und des Bundesrates an der Vollziehung des Bundes.

Artikel 50. (1) Alle politische Staatsverträge, andere nur, sofern sie gesetzändernden oder gesetzesergänzenden Inhalt haben, bedürfen zu ihrer Gültigkeit der  Genehmigung durch den Nationalrat

(2) Auf Beschlüsse des Nationalrates über die Genehmigung von Staatsverträgen werden die Bestimmungen des Artikels 42. Absatz 1 bis 4, und, wenn durch den Staatsvertrag ein Verfassungsgesetz geändert wird, die Bestimmungen des Artikels 44, Absatz 1, sinngemäß angewendet.

Artikel 51. Dem Nationalrat ist spätestens acht Wochen vor Ablauf des Finanzjahres von der Bundesregierung ein Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben des Bundes für das folgende Finanzjahr vorzulegen.

Artikel 52. Der Nationalrat und der Bundesrat sind befugt, die Geschäftsführung der Bundesregierung zu überprüfen, deren Mitglieder über alle Gegenstände der Vollziehung zu befragen und alle einschlägigen Auskünfte zu verlangen sowie ihren Wünschen über die Ausübung der Vollziehung in Entschließungen Ausdruck zu geben.

Artikel 53. (1) Der Nationalrat kann durch Beschluß Untersuchungsausschüsse einsetzen.

(2) Die Gerichte und alle anderen Behörden sind verpflichtet, dem Ersuchen dieser Ausschüsse um Beweiserhebungen Folge zu leisten; alle öffentlichen Ämter haben auf Verlangen ihre Akten vorzulegen.

(3) Das Verfahren der Untersuchungsausschüsse wird durch das Gesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates geregelt.

Artikel 54. Der Nationalrat wirkt an der Festsetzung von Eisenbahntarifen, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgebühren und Preisen der Monopolgegenstände sowie von Bezügen der in Betrieben des Bundes ständig beschäftigten Personen mit. Diese Mitwirkung wird durch Bundesverfassungsgesetz geregelt.

Artikel 55. An der Vollziehung des Bundes wirkt der Nationalrat auch durch den aus seiner Mitte nach dem Grundsatz der Verhältniswahl gewählten  Hauptausschuß in den durch dieses Gesetz bestimmten Fällen mit. Dem Hauptausschuß liegt insbesondere die Mitwirkung an der Bestellung der Bundesregierung ob (Artikel 70). Außerdem kann durch Bundesgesetze festgesetzt werden, daß bestimmte Verordnungen der Bundesregierung des Einvernehmens mit de Hauptausschusses bedürfen.

 

F. Stellung der Mitglieder des Nationalrates und des Bundesrates.

Artikel 56. Die Mitglieder des Nationalrates und die Mitglieder des Bundesrates sind bei der Ausübung dieses Berufes an keinen Auftrag gebunden.

Artikel 57. (1) Die Mitglieder des Nationalrates können wegen der in Ausübung ihres Berufes geschehenen Abstimmungen niemals, wegen der in diesem Beruf gemachten Äußerungen nur vom Nationalrat verantwortlich gemacht werden.

(2) Kein Mitglied des Nationalrates darf wegen einer strafbaren Handlung - den Fall der Ergreifung auf frischer Tat bei Verübung eines Verbrechens ausgenommen - ohne Zustimmung des Nationalrates verhaftet oder sonst behördlich verfolgt werden.

(3) Im Fall der Ergreifung auf frischer Tat hat die Behörde dem Präsidenten des Nationalrates sogleich die geschehene Verhaftung bekanntzugeben.

(4) Wenn es der Nationalrat verlangt, muß die Haft aufgehoben oder die Verfolgung überhaupt auf die Dauer der Gesetzgebungsperiode aufgeschoben werden.

(5) Die Immunität der Organe des Nationalrates, deren Funktion über die Gesetzgebungsperiode hinausgeht, bleibt für die Dauer dieser Funktion bestehen.

Artikel 58. Die Mitglieder des Bundesrates genießen während der ganzen Dauer ihrer Funktion die Immunität von Mitgliedern des Landtages, der sie entsendet hat.

Artikel 59. (1) Niemand kann gleichzeitig dem Nationalrat und dem Bundesrat angehören.

(2) Öffentliche Angestellte, einschließlich der Angehörigen des Bundesheeres, bedürfen zur Ausübung eines Mandates im Nationalrat oder im Bundesrat keines Urlaubs. Bewerben sie sich um Mandate im Nationalrat, ist ihnen die dazu erforderliche freie Zeit zu gewähren. Das Nähere bestimmen die Dienstvorschriften.

 

Drittes Hauptstück.
Vollziehung des Bundes.

A. Verwaltung.

1. Bundespräsident.

Artikel 60. (1) Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung gemäß Artikel 38 in geheimer Abstimmung gewählt.

(2) Seit Amt dauert vier Jahre. Eine Wiederwahl für die unmittelbar folgende Funktionsperiode ist nur einmal zulässig.

(3) Zum Bundespräsidenten kann nur gewählt werden, wer das Wahlrecht zum Nationalrat hat und vor dem 1. Jänner des Jahres der Wahl das fünfunddreißigste  Lebensjahr überschritten hat.

(4) Ausgeschlossen von der Wählbarkeit sind Mitglieder regierender Häuser oder solcher Familien, die ehemals regiert haben.

(5) Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte aller abgegebenen Stimmen für sich hat. Die Wahlgänge werden so lange wiederholt, bis sich eine unbedingte Mehrheit für eine Person ergibt.

Artikel 61. Der Bundespräsident darf während seiner Amtstätigkeit keinem allgemeinen Vertretungskörper angehören und keinen anderen Beruf ausüben.

Artikel 62. Der Bundespräsident leistet bei Antritt seines Amtes vor der Bundesversammlung das Gelöbnis:
"Ich gelobe, daß ich die Verfassung und alle Gesetze der Republik getreulich beobachten und meine Pflicht nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen werde."

Artikel 63. (1) Eine behördliche Verfolgung des Bundespräsidenten ist nur zulässig, wenn ihr die Bundesversammlung zugestimmt hat.

(2) Der Antrag auf Verfolgung des Bundespräsidenten ist von der zuständigen Behörde beim Nationalrat zu stellen, der beschließt, ob die Bundesversammlung damit zu befassen ist. Spricht sich der Nationalrat dafür aus, hat der Bundeskanzler die Bundesversammlung sofort einzuberufen.

Artikel 64. (1) Wenn der Bundespräsident verhindert oder wenn seine Stelle dauernd erledigt ist, gehen alle seine Funktionen des Bundespräsidenten auf den Bundeskanzler über.

(2) Dieser hat im Fall der dauernden Erledigung der Stelle des Bundespräsidenten sofort die Bundesversammlung zur Neuwahl des Bundespräsidenten einzuberufen.

Artikel 65. (1) Der Bundespräsident vertritt die Republik nach außen, empfängt und beglaubigt die Gesandten, genehmigt die Bestellung der fremden Konsuln, bestellt die konsularischen Vertreter der Republik im Ausland und schließt die Staatsverträge ab.

(2) Weiter stehen ihm - außer den ihm nach anderen Bestimmungen dieser Verfassung übertragenen Befugnissen - zu:
a) die Ernennung der Bundesangestellten, einschließlich der Offiziere, und der sonstigen Bundesfunktionäre, die Verleihung von Amtstiteln an solche;
b) die Schaffung und Verleihung von Berufstiteln;
c) für Einzelfälle: die Begnadigung der von den Gerichten rechtskräftig Verurteilten, die Milderung und Umwandlung der von den Gerichten ausgesprochenen Strafen, die Nachsicht von Rechtsfolgen und die Tilgung von Verurteilungen im Gnadenweg, ferner die Niederschlagung des strafgerichtlichen Verfahrens bei den von Amts wegen zu verfolgenden strafbaren Handlungen;
d) die Erklärung unehelicher Kinder zu ehelichen auf Ansuchen der Eltern.

(3) Inwieweit dem Bundespräsidenten außerdem noch Befugnisse hinsichtlich Gewährung von Ehrenrechten, außerordentlichen Zuwendungen, Zulagen und Versorgungsgenüssen, Ernennungs- oder Bestätigungsrechten und sonstigen Befugnissen in Personalangelegenheiten zustehen, bestimmen besondere Gesetze.

Artikel 66. (1) Der Bundespräsident kann das ihm zustehende Recht der Ernennung von Bundesangestellten bestimmter Kategorien den zuständigen Mitgliedern der Bundesregierung übertragen.

(2) Der Bundespräsident kann zum Abschluß bestimmter Kategorien von Staatsverträgen, die nicht unter die Bestimmung des Artikels 50 fallen, die Bundesregierung oder die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung ermächtigen.

Artikel 67. (1) Alle Akte des Bundespräsidenten erfolgen, soweit nicht verfassungsmäßig anderes bestimmt ist, auf Vorschlag der Bundesregierung oder des von ihr ermächtigten Bundesministers. Inwieweit die Bundesregierung oder der zuständige Bundesminister hiebei selbst an Vorschläge anderer Stellen gebunden ist, bestimmt das Gesetz.

(2) Alle Akte des Bundespräsidenten bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Bundeskanzlers oder der zuständigen Bundesminister.

Artikel 68. (1) Der Bundespräsident ist für die Ausübung seiner Funktionen der Bundesversammlung gemäß Artikel 142 verantwortlich.

(2) Zur Geltendmachung dieser Verantwortung ist die Bundesversammlung auf Beschluß des Nationalrates oder des Bundesrates vom Bundeskanzler einzuberufen.

(3) Zu einem Beschluß, mit dem eine Anklage im Sinne des Artikel 142 erhoben wird, bedarf es der Anwesenheit von mehr als der Hälfte der Mitglieder jedes der beiden Vertretungskörper und einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen.

 

2. Bundesregierung.

Artikel 69. (1) Mit den obersten Verwaltungsgeschäften des Bundes sind, soweit diese nicht dem Bundespräsidenten übertragen sind, der Bundeskanzler, der Vizekanzler und die übrigen Bundesminister betraut. Sie bilden in ihrer Gesamtheit die Bundesregierung unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers.

(2) Der Vizekanzler ist zur Vertretung des Bundeskanzlers in dessen gesamtem Wirkungsbereich berufen.

Artikel 70. (1) Die Bundesregierung wird vom Nationalrat in namentlicher Abstimmung aus einen vom Hauptausschuß zu erstattenden Gesamtvorschlag gewählt.

(2) In die Bundesregierung kann nur gewählt werden, wer zum Nationalrat wählbar ist; die Mitglieder der Bundesregierung müssen nicht dem Nationalrat angehören.

(3) Ist der Nationalrat nicht versammelt, wird die Bundesregierung vorläufig vom Hauptausschuß bestellt; sobald der Nationalrat zusammentritt, hat die Wahl zu erfolgen.

(4) Auf die Bestellung einzelner Mitglieder der Bundesregierung finden die Bestimmungen der Absätze 1 bis 3 sinngemäße Anwendung.

Artikel 71. Ist die Bundesregierung aus dem Amt geschieden, hat der Bundespräsident bis zur Bildung der neuen Bundesregierung Mitglieder der scheidenden Bundesregierung oder höhere Beamte mit der Fortführung der Verwaltung und einen von ihnen mit dem Vorsitz in der einstweiligen Bundesregierung zu betrauen. Diese Bestimmung wird sinngemäß angewendet, wenn einzelne Mitglieder aus der Bundesregierung ausgeschieden sind.

Artikel 72. (1) Die Mitglieder der Bundesregierung werden vor Antritt ihres Amtes vom Bundespräsidenten angelobt.

(2) Die Bestallungsurkunden des Bundeskanzlers, des Vizekanzlers und der übrigen Bundesminister werden vom Bundespräsidenten mit dem Tag der Angelobung ausgefertigt und vom neu bestellten Bundeskanzler gegengezeichnet.

(3) Diese Bestimmungen sind auch auf die Fälle des Artikels 71 sinngemäß anzuwenden.

Artikel 73. Im Falle der zeitweiligen Verhinderung eines Bundesministers betraut der Bundespräsident einen der Bundesminister oder einen höheren Beamten eines Bundesamtes mit der Vertretung. Dieser Vertreter trägt die gleiche Verantwortung wie ein Bundesminister (Artikel 76).

Artikel 74. (1) Versagt der Nationalrat der Bundesregierung oder einzelnen ihrer Mitglieder durch ausdrückliche Entschließung das Vertrauen, so ist die Bundesregierung oder der betreffende Bundesminister des Amtes zu entheben.

(2) Zu einem Beschluß des Nationalrates, mit dem das Vertrauen versagt wird, ist die Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder des Nationalrates erforderlich. Doch ist, wenn es es Fünftel der anwesenden Mitglieder verlangt, die Abstimmung auf den zweitnächsten Werktag zu vertagen. Eine neuerliche Vertagung der Abstimmung kann nur durch Beschluß des Nationalrates erfolgen.

(3) Die Bundesregierung und ihre einzelnen Mitglieder werden in den gesetzlich bestimmten Fällen oder auf ihren Wunsch vom Bundespräsidenten ihres Amtes  enthoben.

Artikel 75. Die Mitglieder der Bundesregierung sowie die von ihnen entsendeten Vertreter sind berechtigt, an allen Beratungen des Nationalrates, des Bundesrates und der Bundesversammlung sowie der Ausschüsse dieser Vertretungskörper teilzunehmen, an den Beratungen des Hauptausschusses des Nationalrates nur auf besondere Einladung. Sie müssen auf ihr Verlangen jedesmal gehört werden. Der Nationalrat, der Bundesrat und die Bundesversammlung sowie deren Ausschüsse können die Anwesenheit der Mitglieder der Bundesregierung verlangen.

Artikel 76. (1) Die Mitglieder der Bundesregierung (Artikel 69 und 71) sind dem Nationalrat gemäß Artikel 142 verantwortlich.

(2) Zu einem Beschluß, mit dem eine Anklage gemäß Artikel 142 erhoben wird, bedarf es der Anwesenheit von mehr als der Hälfte der Mitglieder.

Artikel 77. (1) Zur Besorgung der Geschäfte der Bundesverwaltung sind die Bundesministerien und die ihnen unterstellten Ämter berufen.

(2) Die Zahl der Bundesministerien, ihr Wirkungsbereich und ihre Einrichtung werden durch Bundesgesetz bestimmt.

(3) Mit der Leitung des Bundeskanzleramtes ist der Bundeskanzler, mit der Leitung der anderen Bundesministerien je ein Bundesminister betraut.

(4) Der Bundeskanzler und die übrigen Bundesminister können ausnahmsweise auch mit der Leitung eines zweiten Bundesministeriums betraut werden.

Artikel 78. (1) In besonderen Fällen können Bundesminister auch ohne gleichzeitige Betrauung mit der Leitung eines Bundesministeriums bestellt werden.

(2) Den Bundesministern können zur Unterstützung in der Geschäftsführung und zur parlamentarischen Vertretung Staatssekretäre beigegeben werden, die in gleicher Weise wie die Bundesminister bestellt werden und aus dem Amt scheiden.

(3) Der Staatssekretär ist dem Bundesminister unterstellt und an seine Weisungen gebunden.
 

3. Bundesheer.

Artikel 79. (1) Dem Bundesheer liegt der Schutz der Grenzen der Republik ob.

(2) Das Bundesheer ist, soweit die gesetzmäßige bürgerliche Gewalt seine Mitwirkung in Anspruch nimmt, zum Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen sowie zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Innern überhaupt und zur Hilfeleistung bei Elementarereignissen und Unglücksfällen außergewöhnlichen Umfanges bestimmt.

Artikel 80. (1) Über das Heer verfügt der Nationalrat. Insoweit diesem nicht durch das Wehrgesetz die unmittelbare Verfügung vorbehalten ist, wird mit der Verfügung die Bundesregierung oder innerhalb der von dieser erteilten Ermächtigungen der zuständige Bundesminister betraut.

(2) Inwieweit auch die Behörden der Länder und Gemeinden die Mitwirkung des Bundesheeres zu den im Artikel 79, Absatz 2, erwähnten Zwecken unmittelbar in Anspruch nehmen können, bestimmt das Wehrgesetz.

Artikel 81. Durch Bundesgesetz wird geregelt, inwieweit die Länder bei der Ergänzung, Verpflegung und Unterbringung des Heeres und der Beistellung seiner sonstigen Erfordernisse mitwirken.
 

B. Gerichtsbarkeit.

Artikel 82. (1) Alle Gerichtsbarkeit geht vom Bund aus.

(2) Die Urteile und Erkenntnisse werden im Namen der Republik verkündet und ausgefertigt.

Artikel 83. (1) Die Verfassung und Zuständigkeit der Gerichte wird durch Bundesgesetz festgestellt.

(2) Niemand darf seinem ordentlichen Richter entzogen werden.

(3) Ausnahmegerichte sind nur in den durch die Gesetze über das Verfahren in Strafsachen geregelten Fällen zuständig.

Artikel 84. Die Militärgerichtsbarkeit ist - außer für Kriegszeiten - aufgehoben.

Artikel 85. Die Todesstrafe im ordentlichen Verfahren ist abgeschafft.

Artikel 86. (1) Die Richter werden, sofern nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist, gemäß dem Antrag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten oder auf Grund seiner Ermächtigung vom zuständigen Bundesminister ernannt; die Bundesregierung oder der Bundesminister hat Besetzungsvorschläge der durch die Gerichtsverfassung hiezu berufenen Senate einzuholen.

(2) Der dem zuständigen Bundesminister vorzulegende und der von ihm an die Bundesregierung zu leitende Besetzungsvorschlag hat, wenn genügend Bewerber vorhanden sind, mindestens drei Personen, wenn aber mehr als eine Stelle zu besetzen ist, mindestens doppelt so viele Personen zu umfassen, als Richter zu ernennen sind.

Artikel 87. (1) Die Richter sind in Ausübung ihres richterlichen Amtes unabhängig.

(2) In Ausübung seines richterlichen Amtes befindet sich ein Richter bei Besorgung aller ihm nach dem Gesetz und der Geschäftsverteilung zustehenden gerichtlichen Geschäfte, mit Ausschluß der Justizverwaltungssachen, die nicht nach Vorschrift des Gesetzes durch Senate oder Kommissionen zu erledigen sind.

(3) Die Geschäfte sind unter die Richter eines Gerichtes für die in der Gerichtsverfassung bestimmte Zeit im voraus zu verteilen. Eine nach dieser Einteilung einem Richter zufallende Sache darf ihm nur durch Verfügung der Justizverwaltung nur im Fall seiner Verhinderung oder dann abgenommen werden.

Artikel 88. (1) In der Gerichtsverfassung wird eine Altersgrenze bestimmt, nach deren Erreichung die Richter in den dauernden Ruhestand zu versetzen sind.

(2) Im übrigen dürfen Richter nur in den vom Gesetz vorgeschriebenen Fällen und Formen und auf Grund eines förmlichen richterlichen Erkenntnisses ihres Amtes entsetzt oder wider ihren Willen an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. Diese Bestimmungen finden jedoch auf Übersetzungen und Versetzungen in den Ruhestand keine Anwendung, die durch Veränderungen in der Verfassung der Gerichte nötig werden. In einem solchen Fall wird durch das Gesetz festgestellt, innerhalb welchen Zeitraumes Richter ohne die sonst vorgeschriebenen Förmlichkeiten übersetzt und in den Ruhestand versetzt werden können.

(3) Die zeitweise Enthebung der Richter vom Amt darf nur durch Verfügung des Gerichtsvorstandes oder der höheren Gerichtsbehörde bei gleichzeitiger Verweisung der Sache an das zuständige Gericht stattfinden.

Artikel 89. (1) Die Prüfung der Gültigkeit gehörig kundgemachter Gesetze steht den Gerichten nicht zu.

(2) Hat ein Gericht gegen die Anwendung einer Verordnung aus dem Grund der Gesetzwidrigkeit Bedenken, so hat es das Verfahren zu unterbrechen, und den Antrag auf Aufhebung dieser Verordnung beim Verfassungsgerichtshof zu stellen.

Artikel 90. (1) Die Verhandlungen in Zivil- und Strafrechtssachen vor dem erkennenden Gericht sind mündlich und öffentlich. Ausnahmen bestimmt das Gesetz.

(2) Im Strafverfahren gilt der Anklageprozeß.

Artikel 91. (1) Das Volk hat an der Rechtsprechung mitzuwirken.

(2) Bei den mit schweren Strafen bedrohten Verbrechen, die das Gesetz zu bezeichnen hat, sowie bei allen politischen Verbrechen und Vergehen entscheiden Geschworene über die Schuld des Angeklagten.

(3) Im Strafverfahren wegen anderer strafbarer Handlungen nehmen Schöffen an der Rechtsprechung teil, wenn die zu verhängende Strafe ein vom Gesetz zu bestimmendes Maß überschreitet.

Artikel 92. Oberste Instanz in Zivil- und Strafrechtssachen ist der Oberste Gerichtshof in Wien.

Artikel 93. Amnestien wegen gerichtlich strafbarer Handlungen werden durch Bundesgesetz erteilt.

Artikel 94. (1) Die Justiz ist von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt.

(2) Wenn eine Verwaltungsbehörde über Privatrechtsansprüche zu entscheiden hat, steht es dem durch diese Entscheidung Benachteiligten frei, falls nicht im Gesetz anderes bestimmt ist, Abhilfe gegen die andere Partei im ordentlichen Rechtsweg zu suchen.

(3) In den Angelegenheiten der Bodenreform (Artikel 12, Absatz 1, Zahl 6) steht den aus Richtern, Verwaltungsbeamten und Sachverständigen bestehenden Kommissionen das ausschließliche Entscheidungsrecht zu.

 

Viertes Hauptstück.
Gesetzgebung und Vollziehung der Länder.

A. Allgemeine Bestimmungen.

Artikel 95. (1) Die Gesetzgebung der Länder wird von den Landtagen ausgeübt. Deren Mitglieder werden auf Grund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Verhältniswahlrechtes aller nach den Landtagswahlordnungen wahlberechtigten männlichen und weiblichen Bundesbürger gewählt, die im Land ihren ordentlichen Wohnsitz haben.

(2) Die Landtagswahlordnungen dürfen die Bedingungen des aktiven und passiven Wahlrechtes nicht enger ziehen als die Wahlordnung zum Nationalrat.

(3) Die Wähler üben ihr Wahlrecht in Wahlkreisen aus, von denen jeder ein geschlossenes Gebiet umfassen muß. Die Zahl der Abgeordneten ist auf die Wahlkreise im Verhältnis der Bürgerzahl zu verteilen. Eine Gliederung der Wählerschaft in andere Wahlkörper ist nicht zulässig.

Artikel 96. (1) Die Mitglieder des Landtages genießen die gleiche Immunität wie die Mitglieder des Nationalrates; die Bestimmungen des Artikels 57 sind sinngemäß anzuwenden.

(2) Die Bestimmungen der Artikel 32 und 33 gelten auch für die Sitzungen der Landtage und ihrer Ausschüsse.

Artikel 97. (1) Zu einem Landesgesetz ist der Beschluß des Landtages, die Beurkundung und Gegenzeichnung nach den Bestimmungen der Landesverfassung und die Kundmachung durch den Landeshauptmann im Landesgesetzblatt erforderlich.

(2) Insoweit ein Landesgesetz bei der Vollziehung die Mitwirkung von Bundesbehörden vorsieht, muß zu dieser Mitwirkung die Zustimmung der Bundesregierung eingeholt werden. Vor Erteilung der Zustimmung kann ein solches Landesgesetz nicht kundgemacht werden.

Artikel 98. (1) Alle Gesetzesbeschlüsse der Landtage sind unmittelbar nach der Beschlußfassung des Landtages vor ihrer Kundmachung vom Landeshauptmann dem zuständigen Bundesministerium bekanntzugeben.

(2) Wegen Gefährdung von Bundesinteressen kann die Bundesregierung gegen den Gesetzesbeschluß eines Landtages binnen acht Wochen von dem Tag, an dem der Gesetzesbeschluß beim Bundeskanzleramt eingelangt ist, einen mit Gründen versehenen Einspruch erheben. In diesem Fall darf der Gesetzesbeschluß nur kundgemacht werden, wenn ihn der Landtag bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder wiederholt.

(3) Vor Ablauf der Einspruchsfrist ist die Kundmachung nur zulässig, wenn die Bundesregierung ausdrücklich zustimmt.

Artikel 99. (1) Die durch Landesgesetz zu erlassende Landesverfassung kann, insoweit dadurch die Bundesverfassung nicht berührt wird, durch Landesgesetz abgeändert werden.

(2) Ein Landesverfassungsgesetz kann nur bei Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder des Landtages und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden.

Artikel 100. (1) Jeder Landtag kann auf Antrag der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates vom Bundespräsidenten aufgelöst werden. Die Zustimmung des Bundesrates muß bei Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden. An der Abstimmung dürfen die Vertreter des aufzulösenden Landtages nicht teilnehmen.

(2) Im Fall der Auflösung sind nach den Bestimmungen der Landesverfassung binnen drei Wochen Neuwahlen auszuschreiben; die Einberufung des neugewählten Landtages hat binnen vier Wochen nach der Wahl zu erfolgen.

Artikel 101. (1) Die Vollziehung jedes Landes übt eine vom Landtag zu wählende Landesregierung aus.

(2) Die Mitglieder der Landesregierung müssen nicht dem Landtag angehören. Jedoch kann in die Landesregierung nur gewählt werden, wer zum Landtag wählbar ist.

(3) Die Landesregierung besteht aus dem Landeshauptmann, der erforderlichen Zahl von Stellvertretern und weiteren Mitgliedern.

(4) Der Landeshauptmann wird vom Bundespräsidenten, die anderen Mitglieder der Landesregierung werden vom Landeshauptmann vor Antritt des Amtes auf die Bundesverfassung angelobt.

Artikel 102. (1) Im Bereich der Länder üben die Vollziehung des Bundes, soweit nicht eigene Bundesbehörden bestehen (unmittelbare Bundesverwaltung), der Landeshauptmann und die ihm unterstellten Landesbehörden aus (mittelbare Bundesverwaltung).

(2) Folgende Angelegenheiten können im Rahmen des verfassungsmäßig festgestellten Wirkungsbereiches unmittelbar von Bundesbehörden versehen werden:
Grenzvermarkung, Waren- und Viehverkehr mit dem Ausland, Zollwesen, Bundesfinanzen, Monopolwesen, Maß-, Gewichts-, Normen- und Punzierungswesen,
technisches Versuchswesen, Justizwesen, Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie, Patentwesen, Schutz von Mustern, Marken und anderen Warenbezeichnungen, Ingenieur- und Ziviltechnikerwesen, Verkehrswesen, Bundesstraßen, Strom- und Schiffahrtspolizei, Post-, Telegraphen- und Fernsprechwesen, Bergwesen, Regulierung und Instandhaltung von Gewässern, Bau und Instandhaltung von Wasserstraßen, hydrographischer Dienst, Vermessungswesen, Arbeitsrecht, Arbeiter- und Angestelltenschutz, Sozialversicherungswesen, Denkmalschutz, Bundespolizei, Bundesgendarmerie, militärische Angelegenheiten, Fürsorge für Kriegsteilnehmer und deren Hinterbliebene.

(3) Dem Bund bleibt es vorbehalten, auch in den im Absatz 2 aufgezählten Angelegenheiten den Landeshauptmann mit der Vollziehung des Bundes zu beauftragen.

(4) Die Errichtung von eigenen Bundesbehörden für andere als die im Absatz 2 bezeichneten Angelegenheiten kann nur mit Zustimmung der beteiligten Länder erfolgen.

(5) Inwieweit die Landeshauptmänner über die Bundespolizei und die Bundesgendarmerie verfügen, regelt das im Artikel 120, Absatz 1, bezeichnete Gesetz.

Artikel 103. In den Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung ist der Landeshauptmann an die Weisungen der Bundesregierung sowie der einzelnen Bundesminister gebunden; der administrative Instanzenzug geht in diesen Angelegenheiten, wenn nicht durch Bundesgesetz ausdrücklich anderes bestimmt ist, bis zu den zuständigen Bundesministerien.

Artikel 104. Die Bestimmungen des Artikels 102 sind auf Einrichtungen zur Besorgung der im Artikel 17 bezeichneten Geschäfte des Bundes nicht anzuwenden.

Artikel 105. (1) Der Landeshauptmann vertritt das Land. Er trägt in den Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung die Verantwortung gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 142. Der Geltendmachung dieser Verantwortung steht die Immunität nicht im Weg.

(2) Die Mitglieder der Landesregierung sind dem Landtag gemäß Artikel 142 verantwortlich.

(3) Zu einem Beschluß, mit dem eine Anklage im Sinne des Artikels 142 erhoben wird, bedarf es der Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder.

Artikel 106. Zur Leitung des inneren Dienstes des Amtes der Landesregierung wird ein rechtskundiger Verwaltungsbeamter als Landesamtsdirektor bestellt. Er ist auch in den Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung das Hilfsorgan des Landeshauptmannes.

Artikel 107. Vereinbarungen der Länder untereinander können nur über Angelegenheiten ihres selbständigen Wirkungsbereiches getroffen werden und sind der Bundesregierung unverzüglich zur Kenntnis zu bringen.
 

B. Die Bundeshauptstadt Wien und das Land Niederösterreich.

Artikel 108. (1) Der Landtag von Niederösterreich gliedert sich in zwei Kurien. Die eine (Kurie Land) wird gebildet von den Abgeordneten des Landes ausschließlich Wien. Die Wahl der anderen (Kurie Stadt) wird durch die Verfassung der Bundeshauptstadt Wien geregelt.

Artikel 109. Als Landtag von Niederösterreich treten beide Kurien zur Gesetzgebung in allen Angelegenheiten der ehemals autonomen Landesverwaltung zusammen, die von der gemeinsamen Landesverfassung für gemeinsam erklärt werden. Zu diesen Angelegenheiten gehört insbesondere die gemeinsame Landesverfassung selbst.

Artikel 110. (1) Zu den nicht gemeinsamen Angelegenheiten hat jeder der beiden Landesteile die Stellung eines selbständigen Landes.

(2) In diesen Angelegenheiten hat für Wien der Gemeinderat der Stadt Wien, für Niederösterreich-Land die Kurie Land die Stellung des Landtages. Die Bestimmungen des Artikels 57 gelten sinngemäß auch für die Mitglieder des Wiener Gemeinderates.

Artikel 111. (1) Zu den nicht gemeinsamen Angelegenheiten gehören die Verfassung jedes der beiden Landesteile sowie die Wahl der Mitglieder zum Bundesrat (Artikel 35).

(2) Ebenso steht die Gesetzgebung hinsichtlich der Abgaben, soweit sie in den Wirkungsbereich der Länder fällt, dem Gemeinderat der Stadt Wien und dem Landtag (Kurie Land) zu.

(3) Die Aufbringung der Kosten für die gemeinsamen Angelegenheiten regelt die gemeinsame Landesverfassung.

Artikel 112. Für beide Landesteile gelten die allgemeinen Bestimmungen dieses Hauptstückes. Für Wien hat dabei der vom Gemeinderat gewählte Bürgermeister auch die Stellung eines Landeshauptmannes, der vom Gemeinderat gewählte Stadtsenat auch die Stellung einer Landesregierung und der Magistratsdirektor auch die Stellung eines Landesamtsdirektors.

Artikel 113. (1) Die gemeinsamen Angelegenheiten werden durch eine vom Landtag von Niederösterreich aus seiner Mitte nach dem Verhältniswahlrecht zu wählende Verwaltungskommission verwaltet.

(2) Der Bürgermeister der Stadt Wien und der Landeshauptmann von Niederösterreich-Land gehören der Verwaltungskommission an und führen abwechselnd den Vorsitz.

Artikel 114. Ein  selbständiges Land Wien kann durch übereinstimmende Gesetze des Wiener Gemeinderates und des Landtages von Niederösterreich-Land gebildet werden.

 

C. Gemeinden.

Artikel 115. Die allgemeine staatliche Verwaltung in den Ländern wird gemäß den nachfolgenden Bestimmungen nach dem Grundsatz der Selbstverwaltung eingerichtet.

Artikel 116. (1) Verwaltungssprengel und Selbstverwaltungskörper, in die sich die Länder gliedern, sind die Ortsgemeinden und die Gebietsgemeinden.

(2) Die Gemeinde sind den Gebietsgemeinden und diese den Ländern untergeordnet.

Artikel 117. (1) Ortsgemeinden mit mehr als 20.000 Einwohnern sind auf ihren Antrag zu Gebietsgemeinden zu erklären. Bei ihnen fällt die Bezirksverwaltung mit der Gemeindeverwaltung zusammen.

(2) Die bisherigen Städte mit eigenem Statut werden Gebietsgemeinden.

Artikel 118. Die Ortsgemeinden und Gebietsgemeinden sind auch selbständige Wirtschaftskörper; sie haben das Recht, Vermögen aller Art zu besitzen und zu erwerben und innerhalb der Schranken der Bundes- und Landesgesetze darüber zu verfügen, wirtschaftliche Unternehmungen zu betreiben, ihren Haushalt selbständig zu führen und Abgaben einzuheben.

Artikel 119. Die Organe der Ortsgemeinde sind die Ortsgemeindevertretung und das Ortsgemeindeamt, die Organe der Gebietsgemeinde die Gebietsgemeindevertretung und das Gebietsgemeindeamt.

(2) Die Wahlen in alle Vertretungen finden auf Grund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Verhältniswahlrechts aller Bundesbürger statt, die im Bereich der zu wählenden Vertretung ihren ordentlichen Wohnsitz haben. Die Erlassung der Wahlordnungen liegt der Landesgesetzgebung ob; in diesen Wahlordnungen dürfen die Bedingungen des aktiven und passiven Wahlrechtes nicht enger gezogen sein als in der Wahlordnung zum Landtag. Die Wahlordnung kann bestimmen, daß die Wähler ihr Wahlrecht in Wahlkreisen ausüben, von denen jeder ein geschlossenes Gebiet umfassen muß. Eine Gliederung der Wählerschaft in andere Wahlkörper ist nicht zulässig. Für die Wahlen in die Gebietsgemeindevertretungen ist der Gerichtsbezirk Wahlkreis. Die Zahl der Abgeordneten ist auf die Wahlkreise im Verhältnis der Bürgerzahl zu verteilen.

(3) In die Gebietsgemeindevertretungen sind nur Personen wählbar, die im Bereich der Gebietsgemeinde ihren ordentlichen Wohnsitz haben und zum Landtag wählbar sind.

(4) Die Vertretungen können nach dem Grundsatz der Verhältniswahl aus ihrer Mitte für die einzelnen Zweige der Verwaltung besondere Verwaltungsausschüsse bestimmen, die, soweit bestimmte Berufs- oder Interessentengruppen in Betracht kommen, auch noch durch die Heranziehung von Vertretern dieser Berufs- oder Interessengruppen erweitert werden können.

(5) Die Leiter der Gebietsgemeindeämter müssen rechtskundige Verwaltungsbeamte sein.

Artikel 120. (1) Die Festsetzung der weiteren Grundsätze für die Organisation der allgemeinen staatlichen Verwaltung in den Ländern nach den Artikeln 115 bis 119 ist Sache der Bundesverfassungsgesetzgebung; die Ausführung liegt den Landesgesetzgebungen ob.

(2) Welche Verwaltungsgeschäfte sachlich und instanzenmäßig den Vertretungen und Verwaltungsausschüssen sowie den Ämtern zukommt, bestimmen die Bundesgesetzgebung und die Landesgesetzgebungen innerhalb ihrer verfassungsmäßigen Zuständigkeit.

(3) Hiebe ist jedoch den Ortsgemeinden ein Wirkungsbereich in erster Instanz in folgenden Angelegenheiten gewährleistet:
1. Obsorge für die Sicherheit der Person und des Eigentums (örtliche Sicherheitspolizei);
2. Hilfs- und Rettungswesen;
3. Sorge für die Erhaltung der Straßen, Wege, Plätze und Brücken der Gemeinde;
4. örtliche Straßenpolizei;
5. Flurschutz und Flurpolizei;
6. Markt- und Lebensmittelpolizei;
7. Gesundheitspolizei;
8. Bau- und Feuerpolizei.
 

Fünftes Hauptstück.
Rechnungskontrolle des Bundes.

Artikel 121. (1) Zur Überprüfung der Gebarung der gesamten Staatswirtschaft des Bundes, ferner der Gebarung der von Organen des Bundes verwalteten Stiftungen, Fonds und Anstalten ist der Rechnungshof berufen. Ihm kann auch die Überprüfung der Gebarung von Unternehmungen übertragen werden, an denen der Bund finanziell beteiligt ist.

(2) Der Rechnungshof verfaßt den Bundesrechnungsabschluß und legt ihn dem Nationalrat vor.

(3) Alle Urkunden über Staatsschulden (Finanz- und Verwaltungsschulden) sind, insoweit sie eine Verpflichtung des Bundes beinhalten, vom Präsidenten des Rechnungshofes gegenzuzeichnen; durch diese Gegenzeichnung wird lediglich die Gesetzmäßigkeit und rechnungsmäßige Richtigkeit der Gebarung bekräftigt.

Artikel 122. (1) Der Rechnungshof untersteht unmittelbar dem Nationalrat.

(2) Der Rechnungshof besteht aus einem Präsidenten und den erforderlichen Beamten und Hilfskräften.

(3) Der Präsident des Rechnungshofes wird auf Vorschlag des Hauptausschusses vom Nationalrat gewählt.

(4) Der Präsident des Rechnungshofes darf keinem allgemeinen Vertretungskörper angehören und in den letzten fünf Jahren nicht Mitglied der Bundesregierung oder einer Landesregierung gewesen sein.

Artikel 123. (1) Der Präsident des Rechnungshofes ist hinsichtlich der Verantwortlichkeit den Mitgliedern der Bundesregierung gleichgestellt.

(2) Er kann durch Beschluß des Nationalrates abberufen werden.

Artikel 124. (1) Der Präsident des Rechnungshofes wird von dem nächsten Beamten des Rechnungshofes vertreten.

(2) Im Falle der Stellvertretung des Präsidenten gelten für den Stellvertreter die Bestimmungen des Art. 123.

Artikel 125. (1) Die Beamten des Rechnungshofes ernennt auf Vorschlag und unter Gegenzeichnung des Präsidenten des Rechnungshofes der Bundespräsident; das gleiche gilt für die Verleihung der Amtstitel. Doch kann der Bundespräsident den Präsidenten des Rechnungshofes ermächtigen, Beamte bestimmter Kategorien zu ernennen.

(2) Die Hilfskräfte ernennt der Präsident des Rechnungshofes.

Artikel 126. Kein Mitglied des Rechnungshofes darf an der Leitung und Verwaltung von Unternehmungen beteiligt sein, die dem Bund oder den Ländern Rechnung zu legen haben oder zum Bund oder einem Land in einem Subventions- oder Vertragsverhältnis stehen. Ausgenommen sind Unternehmungen, die ausschließlich die Förderung humanitärer Bestrebungen oder der wirtschaftlichen Verhältnisse von öffentlichen Angestellten oder deren Angehörigen zum Zwecke haben.

Artikel 127. Durch die Landesverfassungsgesetze können dem Rechnungshof die ihm nach diesem Gesetz bezüglich der Gebarung des Bundes zustehenden Funktionen auch bezüglich der Gebarung des Landes übertragen werden.

Artikel 128. Die näheren Bestimmungen über die Tätigkeit des Rechnungshofes erfolgen durch Bundesgesetz.
 

Sechstes Hauptstück.
Garantien der Verfassung und Verwaltung.

A. Verwaltungsgerichtshof

Artikel 129. (1) Wer durch rechtswidrige Entscheidung oder Verfügung einer Verwaltungsbehörde in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, kann nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erheben.

(2) Erachtet in den Angelegenheiten der Artikel 11 und 12 der zuständige Bundesminister die Interessen des Bundes durch eine rechtswidrige Entscheidung oder Verfügung einer Landesbehörde für verletzt, so kann auch er namens des Bundes wegen der Rechtsverletzung beim Verwaltungsgerichtshof Beschwerde erheben.

(3) Eine Rechtsverletzung liegt nicht vor, soweit die Behörde nach den Bestimmungen des Gesetzes zur Entscheidung oder Verfügung nach freiem Ermessen befugt war und von diesem Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat.

Artikel 130. Für Angelegenheiten, in denen die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zulässig ist, kann der administrative Instanzenzug durch Bundes- oder Landesgesetz gemäß den Zuständigkeitsbestimmungen der Artikel 10 bis 15 abgekürzt werden.

Artikel 131. Von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes sind ausgeschlossen die Angelegenheiten:
1. die zur Kompetenz des Verfassungsgerichtshofes gehören;
2. über die den ordentlichen Gerichten die Entscheidung zusteht;
3. über die eine Kollegialbehörde zu entscheiden oder zu verfügen hat, der in erster oder höherer Instanz wenigstens ein Richter angehört.

Artikel 132. Jedem Senat des Verwaltungsgerichtshofes, der über die angefochtene Entscheidung oder Verfügung der Verwaltungsbehörde eines Landes zu erkennen hat, soll in der Regel ein Richter angehören, der aus dem Justiz- oder Verwaltungsdienst in diesem Land hervorgegangen ist.

Artikel 133. (1) Das stattgebende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes bewirkt die Aufhebung der rechtswidrigen Entscheidung oder Verfügung.

(2) Die Verwaltungsbehörden sind bei der neu zu treffenden Entscheidung oder Verfügung an die Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes gebunden.

(3) Der Verwaltungsgerichtshof kann in der Sache selbst entscheiden, soweit nicht die Behörde nach den Bestimmungen des Gesetzes zur Entscheidung oder Verfügung nach freiem Ermessen befugt ist.

Artikel 134. (1) Der Verwaltungsgerichtshof hat seinen Sitz in der Bundeshauptstadt Wien.

(2) Er besteht aus einem Präsidenten, einem Vizepräsidenten und der erforderlichen Anzahl von Senatspräsidenten und Räten.

(3) Wenigstens die Hälfte der Mitglieder muß die Eignung zum Richteramt haben.

Artikel 135. Der Präsident, der Vizepräsident und die Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofes werden auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten ernannt. Der Vorschlag der Bundesregierung bedarf bezüglich des Präsidenten und der Hälfte der Mitglieder der Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates, bezüglich des Vizepräsidenten und der anderen Hälfte der Mitglieder der Zustimmung des Bundesrates.

Artikel 136. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die Organisation des Verwaltungsgerichtshofes werden durch Bundesgesetz geregelt.

 

B. Verfassungsgerichtshof

Artikel 137. Der Verfassungsgerichtshof erkennt über alle Ansprüche an den Bund, die Länder, die Bezirke oder die Gemeinden, die im ordentlichen Rechtsweg nicht auszutragen sind.

Artikel 138. Der Verfassungsgerichtshof erkennt ferner über Kompetenzkonflikte
a) zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden;
b) zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und allen anderen Gerichten, insbesondere auch zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und dem Verfassungsgerichtshof selbst;
c) zwischen den Ländern untereinander sowie zwischen einem Land und dem Bund.

Artikel 139. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Gesetzwidrigkeit von Verordnungen einer Bundes- oder Landesbehörde auf Antrag eines Gerichtes, sofern aber eine solche Verordnung die Voraussetzung eines Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs bilden soll, von Amts wegen;
über Gesetzwidrigkeit von Verordnungen einer Landesbehörde auch auf Antrag der Bundesregierung;
über Gesetzwidrigkeit von Verordnungen einer Bundesbehörde auch auf Antrag einer Landesregierung.

(2) Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, mit dem die Verordnung als gesetzwidrig aufgehoben wird, verpflichtet die zuständige oberste Behörde zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung; die Aufhebung tritt am Tage der Kundmachung in Kraft.

Artikel 140. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Verfassungswidrigkeit von Landesgesetzen auf Antrag der Bundesregierung, über Verfassungswidrigkeit von Bundesgesetzen auf Antrag einer Landesregierung, sofern aber ein solches Gesetz die Voraussetzung eines Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes bilden soll, von Amts wegen.

(2) Der im Absatz 1 erwähnte Antrag kann jederzeit gestellt werden; er ist vom Antragsteller sofort der zuständigen Landesregierung oder der Bundesregierung bekanntzugeben.

(3) Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, mit dem ein Gesetz als verfassungswidrig aufgehoben wird, verpflichtet den Bundeskanzler oder den zuständigen Landeshauptmann zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung; die Aufhebung tritt am Tage der Kundmachung in Kraft, wenn nicht der Verfassungsgerichtshof für das Außerkrafttreten eine Frist bestimmt. Diese Frist darf sechs Monate nicht überschreiten.

(4) Die Bestimmung des Artikels 89, Absatz 1, gilt nicht für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von gesetzen durch den Verfassungsgerichtshof.

Artikel 141. Der Verfassungsgerichtshof erkennt über die Anfechtung der Wahlen zum Nationalrat, zum Bundesrat, zu den Landtagen und zu allen anderen allgemeinen Vertretungskörpern und auf Antrag eines dieser Vertretungskörper auf Erklärung des Mandatsverlustes eines seiner Mitglieder.

Artikel 142. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über die Anklage, mit der die verfassungsmäßige Verantwortlichkeit der obersten Bundes- und Landesorgane für die durch ihre Amtstätigkeit erfolgten schuldhaften Rechtsverletzungen geltend gemacht wird.

(2) Die Anklage kann erhoben werden:
a) gegen den Bundespräsidenten wegen Verletzung der Bundesverfassung: durch Beschluß der Bundesversammlung;
b) gegen die Mitglieder der Bundesregierung und die ihnen hinsichtlich der Verantwortlichkeit gleichgestellten Organe wegen Gesetzesverletzung: durch Beschluß des Nationalrates;
c) gegen die Mitglieder einer Landesregierung und die ihnen hinsichtlich der Verantwortlichkeit durch die Landesverfassung gleichgestellten Organe wegen Gesetzesverletzung: durch Beschluß des zuständigen Landtages;
d) gegen einen Landeshauptmann wegen Gesetzesverletzung sowie wegen Nichtbefolgung der Verordnungen oder sonstigen Anordnungen des Bundes in Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung: durch Beschluß der Bundesregierung;

(3) Das verurteilende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes hat auf Verlust des Amtes, unter besonders erschwerenden Umständen auch auf zeitlichen Verlust der politischen Rechte zu lauten; bei geringfügigen Rechtsverletzungen in den in Absatz 2 unter d) erwähnten Fällen kann sich der Verfassungsgerichtshof auf die Feststellung beschränken, daß eine Rechtsverletzung vorliegt.

Artikel 143. Die Anklage gegen die in Artikel 142 Genannten kann auch wegen strafgerichtlich zu verfolgender Handlungen erhoben werden, die mit der Amtstätigkeit des Anzuklagenden in Verbindung stehen. In diesem Falle wird der Verfassungsgerichtshof allein zuständig; die bei den ordentlichen Strafgerichten etwa bereits anhängige Untersuchung geht auf ihn über. Der Verfassungsgerichtshof kann in solchen Fällen neben dem Artikel 142, Absatz 3, auch die strafgesetzlichen Bestimmungen anwenden.

Artikel 144. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Beschwerden wegen Verletzung der verfassungsmäßig gewährleisteten Rechte durch die Entscheidung oder Verfügung einer Verwaltungsbehörde nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges.

(2) Das stattgebende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes bewirkt die Aufhebung der verfassungswidrigen Entscheidung oder Verfügung. Die Behörden sind bei der neu zu treffenden Entscheidung oder Verfügung an die Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes gebunden.

Artikel 145. Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Verletzungen des Völkerrechtes nach den Bestimmungen eines besonderen Bundesgesetzes.

Artikel 146. Die Exekution der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes liegt dem Bundespräsidenten ob.

Artikel 147. (1) Der Verfassungsgerichtshof hat seinen Sitz in Wien.

(2) Er besteht aus einem Präsidenten, einem Vizepräsidenten, ferner der erforderlichen Anzahl von Mitgliedern und Ersatzmitgliedern.

(3) Der Präsident, der Vizepräsident sowie die Hälfte der Mitglieder und Ersatzmitglieder werden vom Nationalrat, die andere Hälfte der Mitglieder und Ersatzmitglieder vom Bundesrat auf Lebensdauer gewählt.

Artikel 148. Die nähere Organisation und das Verfahren des Verfassungsgerichtshofes wird durch Bundesgesetz geregelt.

 

Siebentes Hauptstück.
Schlußbestimmungen.

Artikel 149. (1) Neben diesem Gesetz haben im Sinne des Artikels 44, Absatz 1, unter Berücksichtigung der durch dieses Gesetz bedingten Änderungen als Verfassungsgesetze zu gelten:
    Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867, RGBl. Nr. 142, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder;
    Gesetz vom 27. Oktober 1862, RGBl. Nr. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit;
    Gesetz vom 27. Oktober 1862, RGBl. Nr. 88, zum Schutze des Hausrechtes;
    Beschluß der provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918, StGBl. Nr. 3;
    Gesetz vom 3. April 1919, StGBl. Nr. 209, betreffend die Landesverweisung und die Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen;
    Gesetz vom 3. April 1919, StGBl. Nr. 211, über die Aufhebung des Adels, der weltlichen Ritter- und Damenorden und gewisser Titel und Würden;
    Gesetz vom 8. Mai 1919, StGBl. Nr. 257, über das Staatswappen und das Staatssiegel der Republik Deutschösterreich mit den durch die Art. 2, 5 und 6 des Gesetzes vom 21. Oktober 1919, StGBl. Nr. 484, bewirkten Änderungen;
    Abschnitt V des III. Teiles des Staatsvertrages von St. Germain vom 10. September 1919, StGBl. Nr. 303 aus 1920.

(2) Artikel 20 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867, RGBl. Nr. 142, sowie das auf Grund dieses Artikels erlassene Gesetz vom 5. Mai 1869, RGBl. Nr. 66, treten außer Kraft.

Artikel 150. Der Übergang zu der durch dieses Gesetz eingeführten bundesstaatlichen Verfassung wird durch ein eigenes, zugleich mit diesem Gesetz in Kraft tretendes Verfassungsgesetz geregelt.

Artikel 151. (1) Dieses Gesetz tritt am Tag der ersten Sitzung des Nationalrates in Kraft, soweit nicht durch das im Artikel 150 bezeichnete Gesetz Ausnahmen festgesetzt werden.

(2) Die Bestimmungen des Artikels 50, Absatz 1, und des Artikels 66, Absatz 2, treten jedoch am Tag der Kundmachung in Kraft, wobei bis zum Inkrafttreten der anderen Bestimmungen dieses Gesetzes das dem Nationalrat zustehende Genehmigungsrecht von der Nationalversammlung ausgeübt wird.

Artikel 152. Mit der Vollziehung dieses Bundesverfassungsgesetzes ist die Staatsregierung betraut.
 

Seitz  m.p.

Mayr  m.p.
Hanusch  m.p.
Renner  m.p.
Breisky  m.p.
Reisch  m.p.
Heinl  m.p.
Haueis  m.p.
Deutsch  m.p.
Ellenbogen  m.p.
Roller m.p.
Pesta  m.p.
Grünberger  m.p.