Allgemeine Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten.

Erster Theil.

Prozeßordnung.

Neue unveränderte mit dem Abdruck der letzt vorhergehenden vom Jahre 1816 wörtlich übereinstimmende Auflage.

Berlin, 1822.

Bei G. Reimer.


(I)


(II)

(III) Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen (et)c.

Thun kund und fügen hierdurch jedermann zu wissen:

Die Wiedereinführung unserer Gesetze in die von unserer Monarchie getrennt gewesenen, mit derselben wieder vereinigten Provinzen hat nicht allein das Bedürfniß einer neuen Auflage der Allgemeinen Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten herbei geführt, sondern auch eine vollständige Publikation aller seit dem Jahre 1793 erfolgten Abänderungen, Ergänzungen und Erläuterungen der auf das Verfahren in Prozessen und bei den Handlungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, so wie auf die allgemeine Verfassung der gerichtlichen Behörden Bezug habenden Vorschriften nöthig gemacht. Wir haben daher Veranstaltung treffen lassen, daß jene Abänderungen, Ergänzungen und Erläuterungen verkürzt gesammelt, der neuen Auflage der allgemeinen Gerichtsordnung, welche mit der frühern wörtlich übereinstimmt, gehörigen Orts eingeschaltet, und außerdem unter dem Titel: Anhang zur allgemeinen Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten, besonders gedruckt worden. Dieser neuen Auflage und dem angefertigten Anhange geben Wir hierdurch Unsere Allerhöchste Sanction,


(IV) und wollen, daß die darin gesammelten neueren Vorschriften von unseren sämmtlichen Gerichten, Behörden und Unterthanen auf das genaueste befolgt werden.

Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Königlichen Insiegel.

Wien, den 4ten Februar 1815.

(L. S.) Friedrich Wilhelm

Patent

zur Publikation der neuen Auflage der allgemeinen Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten, und des Anhanges zur allgemeinen Gerichtsordnung.

C. F. von Hardenberg. Kircheisen. Bülow. Schuckmann. Boyen.


(V) Patent zur Publikation der revidirten Gerichts- und Prozeßordnung.

Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen (et)c.

Thun kund und fügen hierdurch jedermann zu wissen: Obgleich die Regeln und Grundsätze, worauf die in Unseren Staaten eingeführte gerichtliche Prozeßordnung beruhet, durch eine vieljährige Erfahrung dergestalt bewährt erfunden worden, daß nach selbiger der Zweck einer gründlichen und prompten Justizpflege vollständig erreicht werden kann; so hat dennoch Unsere fortwährende Aufmerksamkeit auf die möglichste Beförderung und Erleichterung dieses Zwecks verschiedene Deklarationen und Erläuterungen über einzelne Materien an die Hand gegeben; auch sind Uns von Unseren Landesjustizkollegiis einige Bemerkungen vorgelegt worden, welche die Hebung von Dunkelheiten oder Mißverständnissen über gewisse Stellen der Prozeßordnung, oder die Ergänzung der hie und da für besondere Fälle noch ermangelndenVorschriften zur Absicht haben.

Wir haben daher für gut gefunden, bei Gelegenheit einer ohnehin nöthig gewordenen neuen Auflage gedachter Prozeßordnung, derselben die seit ihrer ersten Publikation ergangenen besonderen Deklarationen gehörigen Orts sofort einrücken, und die nach den Bemerkungen der


(VI) Collegiorum für nöthig erachteten näheren Bestimmungen einzelner Vorschriften darin ergänzen zu lassen; mithin eine revidirte Ausgabe dieser Unserer Gerichts- und Prozeßordnung zu veranstalten, deren Publikation Wir hiedurch verfügen, und sowohl Gerichte als Parteien anweisen, sich nach dem Inhalte derselben, von Zeit der Publikation an, gebührend zu achten.

Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift, und beigedrucktem Insiegel.

Gegeben Berlin, den 6ten Jul. 1793.

(L. S.) Friedrich Wilhelm.


(VII) Inhalt.

Einleitung. Seite 3-16.

Erster Titel. Von den Personen, welche vor Gerichten klagen, und belangt werden können. S. 17-26.

Zweiter Titel. Vom Gerichtsstande. S. 26-70.

Dritter Titel. Von Rechtsbeiständen und Bevollmächtigten. S. 70-94.

Vierter Titel. Von der Anmeldung der Klage. S. 95-100.

Fünfter Titel. Von Aufnehmung der Klage. S. 100-118.

Sechster Titel. Von der Verordnung auf die Klage. S. 119-126.

Siebenter Titel. Von Abfassung und Insinuation gerichtlicher Verordnungen. S. 126-147.

Achter Titel. Von Kontumacien. S. 147-166.

Neunter Titel. Von der Antwort auf die Klage. S. 166-186.

Zehnter Titel. Von der Instruktion der Sache. S. 186-337.

Erster Abschnitt. Von der Regulirung des Status causae et controversiae. §. 20-81 b.

Zweiter Abschnitt. Vom Beweise durch Zugeständniß. §. 82-88.

Dritter Abschnitt. Vom Beweise durch Urkunden. §. 89-168.

Vierter Abschnitt. Vom Beweise durch Zeugen. §. 169-244.

Fünfter Abschnitt. Vom Beweise durch den Eid. §. 245-379.

Sechster Abschnitt. Vom Beweise durch Okularinspektion. §. 380-390.

Siebenter Abschnitt. Von dem Verfahren bei einem Widerspruche der Beweismittel. §. 391-397.

Vorhaltung bei Zeugeneiden. S. 335 u. f.

Vorhaltung bei gerichtlichen Eiden. S. 337 u. f.

Elfter Titel. Vom Versuche der Sühne. S. 338-343.

Zwölfter Titel. Vom Beschlusse der Sache. S. 344-352.


(VIII) Inhalt.

Dreizehnter Titel. Von Abfassung und Publikation der Erkenntnisse. S. 353-374.

Vierzehnter Titel. Von Appellationen. S. 374-414.

Erster Abschnitt. Von der Zulässigkeit und Wirkung der Appellation. §. 1-15.

Zweiter Abschnitt. Vom Verfahren bei der Appellation. §. 16-68.

Dritter Abschnitt. Von dem Rechtsmittel gegen Kontumacialerkenntnisse. §. 69-79.

Fünfzehnter Titel. Von Revisionen. S. 414-427.

Sechszehnter Titel. Von Nullitäts- und Restitutionsklagen. S. 427-446.

Siebenzehnter Titel. Von der Litisdenunciation, Adcitation, und Nomination. S. 446-461.

Achtzehnter Titel. Von Interventionen. S. 461-464.

Neunzehnter Titel. Von der Rekonvention. S. 465-473.

Zwanzigster Titel. Von der Litis-Reassumtion. S. 473-481.

Ein und zwanzigster Titel. Von Kautionen. S. 481-487.

Zwei und zwanzigster Titel. Von nothwendigen Eiden. S. 488-500.

Drei und zwanzigster Titel. Von Kosten (et)c. S. 500-535.

Vier und zwanzigster Titel. Von Exekutionen. S. 535-590.

Erster Abschnitt. Von Nachsuchung und Verfügung der Exekution. §. 1-44.

Zweiter Abschnitt. Von Vollstreckung der Exekution. §. 45-150.

Fünf und zwanzigster Titel. Von dem Verfahren bei Untergerichten. S. 590-619.

Erster Abschnitt. Von Untergerichten der Ersten Klasse. §. 4-44.

Zweiter Abschnitt. Von Untergerichten der Zweiten Klasse. §. 45-82.

Sechs und zwanzigster Titel. Von Bagatellsachen. S. 619-627.

Sieben und zwanzigster Titel. Vom Wechselprozesse. S. 628-644.

Acht und zwanzigster Titel. Vom exekutivischen Prozesse. S. 644-653.

Neun und zwanzigster Titel. Von Arresten. S. 654-684.


(IX) Inhalt.

Dreißigster Titel. Vom Merkantil-Prozesse. S. 684-701.

Ein und dreißigster Titel. Vom Possessorio Summariissimo. S. 701-706.

Zwei und dreißigster Titel. Vom Diffamations- und Provokationsprozesse. S. 707-717.

Drei und dreißigster Titel. Vom Beweise zum ewigen Gedächtnisse. S. 718-726.

Vier und dreißigster Titel. Von Injuriensachen. S. 726-739.

Fünf und dreißigster Titel. Von fiskalischen Prozessen. S. 739-779.

Erster Abschnitt. Von fiskalischen Zivilprozessen. §. 1-33.

Zweiter Abschnitt. Von fiskalischen Untersuchungen. §. 34-107.

Sechs und dreißigster Titel. Von dem Verfahren gegen ausgetretene Vasallen und Unterthanen. S. 780-797.

Sieben und dreißigster Titel. Von Todeserklärungen. S. 797-802.

Acht und dreißigster Titel. Von Prodigalitätserklärungen. S. 803-814.

Neun und dreißigster Titel. Von vormundschaftlichen Prozessen. S. 815-823.

Vierzigster Titel. Von Sponsalien- und Ehesachen. S. 823-840.

Ein und vierzigster Titel. Von Unterthanen-Prozessen. S. 840-870.

Zwei und vierzigster Titel. Von Grenz- und Bausachen. S. 870-883.

Drei und vierzigster Titel. Von Gemeinheitstheilungen. S. 883-896.

Vier und vierzigster Titel. Von Pacht- und Miethsachen. S. 897-918.

Fünf und vierzigster Titel. Von Rechnungssachen. S. 918-925.

Sechs und vierzigster Titel. Von Erbtheilungen und Auseinandersetzungen. S. 925-938.

Sieben und vierzigster Titel. Von Moratoriensachen. S. 939-975.

Erster Abschnitt. Vom Specialmoratorio. §. 7-45.

Zweiter Abschnitt. Vom Generalmoratorio. §. 46-116.


(X) Inhalt.

Acht und vierzigster Titel. Von dem Beneficio cessionis bonorum. S. 975-987.

Neun und vierzigster Titel. Vom Beneficio competentiae. S. 988-997.

Fünfigster Titel. Vom Konkursprozesse. S. 997-1225.

Erster Abschnitt. Von dem Kurator und Kontradiktor. §. 64-97.

Zweiter Abschnitt. Von Vorladung der Gläubiger und Konstituirung der Passivmasse. §. 98-193.

Dritter Abschnitt. Von Ausmittelung und Konstituirung der Aktivmasse. §. 194-266.

Vierter Abschnitt. Von der Prioritätsordnung der Gläubiger. §. 267-488.

Fünfter Abschnitt. Von der Distribution der Masse. §. 489-587.

Sechster Abschnitt. Von der Behandlung der Gläubiger. §. 588-629.

Siebenter Abschnitt. Vom Verfahren in Konkurssachen bei Untergerichten. §. 630-646.

Achter Abschnitt. Von Konkursen über Auswärtige und Fremde. §. 647-671.

Neunter Abschnitt. Von Konkursen über Bergtheile, Schiffe und Militairverlassenschaften. §. 672-707.

Ein und fünfzigster Titel. Von Liquidationsprozessen. S. 1225-1282.

Erster Abschnitt. Vom Liquidationsprozesse über Grundstücke. §. 2-52.

Zweiter Abschnitt. Vom erbschaftlichen Liquidationsprozesse. §. 53-98.

Dritter Abschnitt. Vom Aufgebote liegender Gründe und eingetragener Forderungen. §. 99-144.

Vierter Abschnitt. Von gerichtlicher Aufforderung unbekannter Interessenten. S. 145-181.

Zwei und fünfzigster Titel. Vom Subhastationsprozesse. S. 1282-1308.

Erster Abschnitt. Von der nothwendigen Subhastation. S. 3-65.

Zweiter Abschnitt. Von freiwilligen Subhastationen. S. 66-74.


(1) Allgemeine Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten.

Erster Theil.

Prozeßordnung.


(2)


(3) Einleitung in die Prozeßordnung.

I. Allgemeine Grundsätze.

1.

Alle Streitigkeiten über Sachen und Rechte, welche einen Gegenstand des Privateigenthums ausmachen, müssen, wenn kein gütliches Uebereinkommen statt findet, durch richterlichen Ausspruch entschieden werden.

2.

Die gerichtliche Verhandlung, durch welche der Richter in den Stand gesetzt werden soll, eine solche Streitigkeit nach den Gesetzen zu entscheiden, wird Prozeß genannt.

3.

Jeder Rechtsstreit setzt eine Thatsache voraus, aus welcher die streitige Befugniß oder Obliegenheit entspringen, oder worauf sie sich gründen soll.

4.

Der Streit betrifft entweder die Richtigkeit der Thatsache; oder die Herleitung der daraus nach den Gesetzen fließenden Folgen; oder beides zugleich.

5.

Zu jedem Prozesse muß also vor allen Dingen untersucht werden: was für Thatsachen dabei zum Grunde liegen, und wie sich dieselben nach der Wahrheit verhalten.


(4) Prozeßordnung.

6.

Der vom Staat geordnete Richter, welcher den Streit durch richtige Anwendung des Gesetzes auf die dabei zum Grunde liegenden Thatsachen entscheiden soll, hat die nächste Pflicht, folglich auch das nächste Recht, sich von der wahren und eigentlichen Bewandniß dieser Thatsachen zu versichern.

7.

Der Richter ist also schuldig und befugt, den Grund oder Ungrund der in einem Prozesse vorkommenden Thatsachen selbst und unmittelbar (zu) untersuchen, und so weit es zur richtigen Anwendung der Gesetze auf den vorliegenden Fall erforderlich ist, ins Licht zu setzen.

8.

Die Aufnehmung und Untersuchung der in einem Prozesse vorkommenden und zu dessen Entscheidung gehörigen Thatsachen wird die Instruktion des Prozesses genannt.

9.

Das allgemeine Beste erfordert es, daß die Prozesse, so weit es ohne Nachtheil der Rechte der Parteien geschehen kann, abgekürzt, und die Kosten dabei möglichst gespart werden.

10.

Die Pflichten des Richters bei der Instruktion eines Prozesses beruhen also auf dem wesentlichen Grundsatze:

daß er sich bemühen müsse, die Wahrheit der dabei zum Grunde liegenden erheblichen Thatsachen auf dem sichersten und zugleich nächsten Wege zu erforschen und auszumitteln.

11.

Erheblich ist eine Thatsache, wenn der rechtliche Grund oder Ungrund des streitigen Anspruchs


(5) Einleitung

von ihrer Wahrheit oder Falschheit unmittel- oder mittelbar, ganz oder zum Theil, abhängt.

12.

Gewöhnlich sind die Parteien selbst am besten im Stande, dem Richter über ihre Angelegenheiten Auskunft zu ertheilen; sie sind also die Instruktion ihres Prozesses so viel als möglich in Person abzuwarten verbunden.

Anh. §. 1. Auf das Erscheinen der Parteien in Person ist nur alsdann zu dringen, wenn es zur Ausmittelung der Wahrheit durchaus erforderlich ist. Sobald dieser Hauptzweck nicht vereitelt wird, haben die Parteien die Befugniß, sich durch zufällige Bevollmächtigte vertreten zu lassen.

13.

Durch unerlaubte Handlungen darf niemand Seinen Vortheil befördern. Die Parteien sind also schuldig, die zur Entscheidung ihres Prozesses gehörenden Thatsachen, dem Richter, der Wahrheit und ihrer besten Wissenschaft gemäß, vorzutragen.

14.

Vorsetzliche Verstellung oder Verschweigung der Wahrheit wird von dem Gesetze mit nachdrücklichen Strafen geahndet. Beharrliche Weigerung, sich über die in dem Prozesse vorkommenden Thatsachen auf Erfordern des Richters zu erklären, hat die Folge, daß die Thatsache selbst, ohne weitere Untersuchung für wahr, oder nicht wahr angenommen wird, je nachdem es dem Ungehorsam am nachtheiligsten ist.

Diese Strafe des Ungehorsams setzt jedoch die Gewißheit voraus: daß die Aufforderung des Richters, sich über diese oder jene Thatsache zu erklären, zur Kenntniß der Partei zeitig genug gelangt sey.


(6) Prozeßordnung.

16.

Wenn eine erhebliche Thatsache geleugnet wird, so ist zwar vornehmlich derjenige Theil, welcher darauf sich gründet, schuldig, dem Richter die Mittel anzuzeigen, durch welche die Wahrheit derselben an den Tag gebracht werden könne.

17.

Der Richter ist jedoch an diese Angabe nicht gebunden; sondern er hat das Recht und die Pflicht, auch andere Mittel, die aus dem Vortrage der Parteien, und aus dem Zusammenhange ihrer Verhandlungen sich ergeben, zur Erforschung der Wahrheit, selbst ohne das ausdrückliche Verlangen der Parteien, anzuwenden.

18.

Die allgemeine Bürgerpflicht verbindet einen jeden, wenn er auch nicht in den Prozeß mit verwickelt ist, auf Erfordern des Richters, seine Wissenschaft von den darin streitig gewordenen Thatsachen getreulich anzugeben, und die in seiner Gewalt stehenden Mittel zur Aufklärung der Wahrheit vorzulegen.

19.

Doch müssen demjenigen, welcher diese Pflicht erfüllt, alle daraus erwachsende Schäden und Kosten vergütet werden.

20.

Der Richter muß die Instruktion des Prozesses so lange fortsetzen, bis der Grund oder Ungrund aller dabei vorkommenden erheblichen Thatsachen hinlänglich ins Licht gesetzt, oder doch alle dazu vorhandene Mittel erschöpft worden.

21.

Die Anwendung der Gesetze auf die ausgemittelten Thatsachen, und die Herleitung der daraus

fließenden rechtlichen Folgen, gehört zu dem Amte des erkennenden Richters.


(7) Einleitung.

22.

Auch bei der zweckmäßigsten Behandlung bleiben Prozesse, wegen des nachtheiligen Einflusses, welchen sie nicht nur auf die Glücksumstände, sondern auch auf den sittlichen Charakter der Parteien haben können, stets ein in der bürgerlichen Gesellschaft möglichst zu vermeidendes Uebel. Der Richter muß sich daher bemühen, die entstehenden Prozesse durch gütliches Uebereinkommen beizulegen.

23.

Doch muß er nicht eher Vergleichsvorschläge machen, als bis er durch hinlängliche Vernehmung der Parteien sich in den Stand gesetzt hat, über das Gewicht der gegenseitigen Gründe, und über den vermuthlichen Erfolg des Prozesses, mit Wahrscheinlichkeit urtheilen zu können.

24.

Die Vorschläge selbst müssen so eingerichtet seyn, daß dadurch keinem Theile die Aufopferung klarer und ihm unstreitig zukommender Rechte angemuthet werde.

II. Gang des Verfahrens.

25. Nach vorstehenden Grundsätzen muß der instruirende Richter in jedem Prozesse zuerst den Kläger über seinen Anspruch; über die Thatsachen, auf welche er dabei sich gründet; und über die Mittel, die Wahrheit dieser Thatsachen, wenn sie geleugnet würden, nachzuweisen, umständlich vernehmen.

26.

Hiernächst muss er dafür sorgen, daß der Beklagte von dem Anspruche des Klägers und dessen Gründen hinlänglich unterrichtet, und zur Erklärung darüber gehörig aufgefordert werde.


(8) Prozeßordnung.

27.

Weigert sich der Beklagte, den Anspruch des Klägers einzuräumen, und denselben seinem Verlangen gemäß zu befriedigen; so muß er von dem Richter über dasjenige, was er an Behauptungen des Klägers zugestehe oder leugne; über die Einwendungen, welche er demselben entgegen zu setzen habe; über die Thatsachen, auf welchen diese Einwendungen beruhen; und über die Mittel, die Wahrheit dieser Thatsachen im Leugnungsfalle nachzuweisen, eben so genau und ausführlich, wie der Kläger, vernommen werden.

28.

Alsdann muß der Richter die Parteien zusammen bringen, und durch ihre Gegeneinanderstellung theils noch näher in den wahren Zusammenhang der Sache einzudringen, theils sie über die streitigen Thatsachen zu vereinigen bemüht seyn.

29.

Wenn dies geschehen ist, so muß der Richter eine zusammenhängende Geschichtserzählung über die bei dem Prozesse zum Grunde liegenden Thatsachen, so weit die Parteien darüber einig sind, aufzunehmen; die noch streitig gebliebenen Umstände besonders bemerken; und die erheblichen, welche durch Beweis noch näher auszumitteln sind, von den unerheblichen absondern.

30.

Wenn der instruirende Richter durch diese Verhandlung den Zusammenhang der Sache, und worauf es dabei eigentlich ankomme, näher zu übersehen in Stand gesetzt worden; so muß er vorzüglich alsdann den Streit durch Vergleich beizulegen suchen.

31.

Wenn diese Bemühung fruchtlos ist, so müssen die streitig gebliebenen erheblichen Thatsachen durch


(9) Einleitung.

Aufnehmung der vorhandenen Beweismittel ins Licht gesetzt werden.

32.

Wenn dieß hinreichend geschehen ist, oder doch alle vorhandenen Mittel zur Erforschung der Wahrheit erschöpft sind; so muß der instruirende Richter die Instruktion schließen, und alle bisherigen Verhandlungen müssen dem erkennenden Richter vollständig vorgelegt werden.

33.

Die Beurtheilung des instruirenden Richters, welche Thatsachen erheblich sind, und welche Mittel zu deren Aufklärung angewendet werden sollen, bestimmt nur den fernern Gang der von ihm zu führenden Instruktion. Der erkennende Richter ist daran nicht gebunden; sondern er muß, wenn erhebliche Thatsachen in der Instruktion als unerheblich bei Seite gesetzt, oder wirklich vorhandene Mittel zur Erforschung der Wahrheit von dem instruirenden Richter übersehen worden, die Ergänzung der mangelhaften Instruktion verfügen, und bis dahin sein

Erkenntniß aussetzen.

34.

Alle übrigen Vorschriften, welche das Verfahren des Richters bei der Instruktion näher bestimmen, und die Schritte, welche er dabei zu thun hat, bezeichnen, sind nur als Mittel zum Zweck anzusehen, und müssen diesem Zwecke einer gründlichen, vollständigen, und möglichst schnellen Erforschung der Wahrheit stets untergeordnet bleiben; also, daß in jedem vorkommenden Falle diese Anweisungen nur so weit, als es nach den Umständen des Falles erforderlich und hinreichend ist, angewendet werden sollen.

35.

In besonderen Arten der Prozesse, wo das Gesetz die Thatsache, auf die es bei einem solchen


(10) Prozeßordnung.

Prozesse nur ankommen soll, genau bestimmt hat, findet eine besondere oder abgekürzte Verfahrungsart Statt.

36.

Wenn über ein Vermögen oder einen Nachlaß, die zur Befriedigung aller, welche daran sich halten wollen, unzureichend sind, ein Konkurs- oder Liquidations-Prozeß entsteht, so wird derselbe, so weit es die Richtigkeit der einzelnen Forderungen betrifft, nach den allgemeinen Grundsätzen, so weit es aber dabei auf die Bestimmung des Vorzugsrechts unter diesen Forderungen, und auf die Ausmittelung und Vertheilung des vorhandenen Objekts der Befriedigung ankommt, nach besondern Vorschriften behandelt.

37. III. Maaßregeln zur Sicherheit der Parteien gegen die Willkühr des Richters.

Die Gesetze des Staats sorgen dafür, daß der Richter die zur Erforschung der Wahrheit ihm anvertraute Macht nicht mißbrauche, und daß die Rechte seiner Bürger weder durch bloße Willkühr oder parteiische Einseitigkeit, noch durch Leichtsinn und Uebereilung des Richters, gefährdet werden.

38.

Die gerichtliche Verfahrungsart muß daher so eingerichtet seyn, daß der Richter bei allen zur Instruktion gehörenden Verhandlungen unter beständiger Aufsicht und Beobachtung stehe, und keinen seiner Schritte einer nach den Vorschriften des Gesetzes anzustellenden Prüfung entziehen könne.

39.

Der instruirende Richter muß alle Verhandlungen bei der Instruktion in ein darüber zu haltendes Protokoll treulich und vollständig niederschreiben.


(11) Einleitung.

40.

Wenn der Gegenstand des Prozesses nicht ganz unbedeutend ist; so muß in allen von dem Gesetze nicht besonders ausgenommenen Fällen, außer dem Richter, welcher die Instruktion führt, noch eine zweite vereidete Gerichtsperson zur Haltung des Protokolls zugezogen werden.

Anh. § 2. Der Zuziehung einer zweiten vereideten Gerichtsperson zur Führung des Protokolls bedarf es zur

Gültigkeit der Verhandlung nicht.

41.

Jede Partei hat das Recht zu verlangen, daß der Richter ihre Angaben und Anführungen, auch wenn sie ihm entbehrlich zu seyn, oder zur Sache nicht zu gehören scheinen, dennoch in das Protokoll aufnehme.

42.

Jede Partei muß durch Vorlesung des Protokolls, durch Vorlegung desselben zum eignen

Durchlesen, oder auf andere hinreichende Art, in den Stand gesetzt werden, sich zu überzeugen, daß darin die Verhandlungen bei der Instruktion, so wie sie in ihrer Gegenwart wirklich vorgefallen sind, niedergeschrieben worden; sie muß aber auch alsdann das Protokoll ohne Widerrede unterzeichnen.

43.

Jede Partei hat das Recht, bei der Instruktion ihres Prozesses einen rechtskundigen Beistandes

sich zu bedienen.

44.

Einen solchen Beistand kann sie sich entweder unter den vom Staate zu diesem Geschäfte besonders bestellten und angewiesenen Rechtsgelehrten selbst wählen; oder die Zuordnung desselben bei dem Richter nachsuchen.


(12) Prozeßordnung.

45.

Parteien, welche die persönliche Abwartung der Instruktion aus gesetzmäßigen Gründen ablehnen, sind befugt, sich auf gleiche Art durch rechtskundige Bevollmächtigte vertreten zu dürfen.

46.

Dergleichen Bevollmächtigte treten bei der ganzen Instruktion des Prozesses an die Stelle ihrer Machtgeber, und müssen nach eben den Gesetzen, an welche die Parteien selbst gebunden sind, sich achten.

47.

Sie müssen sich also der richterlichen Vernehmung über die vorkommenden Thatsachen, so wie Parteien selbst, unterwerfen, und die dazu erforderlichen Nachrichten von ihrer Partei, gleich im ersten Anfange des Prozesses, mit gewissenhafter Sorgfalt einziehen.

48.

Vernachlässigung dieser Pflicht macht den Bevollmächtigten seines Amts unwürdig, und zieht die im Gesetz bestimmte Ahndung gegen ihn nach sich. Wenn aber der Bevollmächtigte die nöthigen Nachrichten durch die Schuld der Partei nicht erhalten kann, so trifft diese die Strafe des Ungehorsams. (§ 4.)

49.

Der instruirende Richter muß die von den Parteien gewählten, oder auf ihr Verlangen ihnen

zugeordneten Beistände und Bevollmächtigten der Parteien, bei allen die Instruktion betreffenden Verhandlungen zuziehen.

50.

Diese müssen alle seine Schritte beobachten, und sind berechtigt, ihn zu erinnern und zu warnen, wenn er die Schranken der ihm anvertrauten


(13) Einleitung.

Gewalt überschreiten, oder etwas, das zum Zwecke der Erforschung der Wahrheit gehört, vernachlässigen, oder sonst auf irgend eine Art die Rechte der Parteien gefährden wollte.

51.

Sobald die Parteien oder deren Beistände etwas dergleichen wahrzunehmen glauben, sind sie

berechtigt, dem versammelten Gerichte, oder wenn dieses nur aus dem instruirenden Richter besteht, den ihm vorgesetzten Behörden davon Anzeige zu machen.

52.

Diese müssen dergleichen Anbringen sorgfältig prüfen, und wenn sie finden, daß es nicht ohne Grund sey, den instruirenden Richter zurecht weisen.

53.

Nach geschlossener Instruktion steht es den Parteien frei, rechtliche Ausführungen ihrer aus den erörterten Thatsachen entspringenden Ansprüche oder Einwendungen, durch sich selbst, durch die bei der Instruktion zugezogenen Beistände oder Bevollmächtigten, oder auch durch andere Rechtsgelehrte anfertigen zu lassen, und zu den Akten zu geben.

54.

Diese Erlaubniß muß aber zu unnöthigen Verzögerungen der Sache nicht gemißbraucht; sondern die von dem Richter nach dem Gesetze dazu bestimmten Fristen müssen genau beobachtet werden.

55.

Bei allen aus mehrern Personen zusammen gesetzten Gerichten, vor welchen die wichtigern Prozesse verhandelt werden, muß der Vortrag aus den geschlossenen Akten, zur Abfassung eines Erkenntnisses darüber, von einem andern Mitgliede, als


(14) Prozeßordnung.

demjenigen, welches die Instruktion besorgt hat, geschehen.

56.

Damit das Schicksal eines Prozesses nicht von der Beurtheilung und Entscheidung eines einzigen, menschlichen Irrthümern und Fehlern unterworfenen, Gerichts abhangen möge, so steht den Parteien in allen nicht ganz unbedeutenden Sachen, gegen ein zu ihrem Nachtheil ausgefallenes Urtel, das Rechtsmittel der Appellation an einen zweiten Richter offen.

57.

Die Gesetze bestimmen aber zur Ergreifung dieses Rechtsmittels eine gewisse Frist, welche von dem Zeitpunkte an, da das nachtheilige Urtel zur Kenntniß der Partei gelangt ist, gerechnet wird.

58.

In der Appellationsinstanz, kann die Partei alle ihre Beschwerden, welche sie gegen das Verfahren des vorigen Richters zu haben glaubt, anbringen; sie kann neue Thatsachen, die von ihr in der ersten Instanz vergessen, oder von dem vorigen Richter übersehen worden, anzeigen; sie kann neue Beweismittel über schon vorgekommene, aber noch nicht hinreichend aufgeklärte Thatsachen vorschlagen.

59.

Mit der Untersuchung solcher neuen Thatsachen, und mit der Aufnehmung der angegebnen neuen Beweismittel, muß eben so, wie wegen der ersten Instanz vorgeschrieben ist, verfahren werden.

60.

Doch soll diejenige Partei, welche dergleichen neue Thatsachen oder Beweismittel in der ersten Instanz gehörig anzuzeigen vernachlässigt hat,


(15) Einleitung.

zur Tragung der Kosten der neuen Untersuchung, und zur Entschädigung des Gegentheils angehalten werden.

61.

Hat der erste Richter die Instruktion dergestalt ordnungswidrig geführt, daß dadurch in der zweiten Instanz neue Untersuchungen nothwendig werden, so muß er die daraus den Parteien erwachsenden mehrern Kosten aus eignen Mitteln ersetzen.

62.

Das Erkenntniß der zweiten Instanz muß allemal von andern Gerichtspersonen, als denen, welche in der ersten Instanz entschieden, und die Instruktion der zweiten Instanz geführt haben, abgefaßt werden.

63.

Auch gegen das Appellationsurtel steht in allen wichtigern Sachen der Partei, zu deren Nachtheil selbiges ausgefallen ist, die Revision an ein drittes, von den vorigen ganz verschiedenes, Gericht offen.

64. IV. Folgen und Wirksamkeit der richterlichen Entscheidung.

Wenn ein Rechtsstreit, nach vorstehenden Grundsätzen, von dem gehörigen Richter untersucht, und durch die nach den Gesetzen zulässigen Instanzen entschieden worden, so muss der Richter dem obliegenden Theile zu demjenigen, was ihm zuerkannt ist, nöthigen Falls durch den Zwang der Exekution, in der dazu vorgeschriebenen Ordnung verhelfen.

65.

Die Ruhe und Ordnung in der bürgerlichen Gesellschaft gestattet es nicht, daß die Prozesse verewigt, und die von dem Richter, nach gesetzmäßiger Untersuchung, anerkannten und festgestellten


(16) Prozeßordnung. Einleitung.

Rechte der Parteien unter irgend einem Vorwande weiter angefochten werden.

66.

Ein unter den gesetzmäßigen Erfordernissen gefälltes, rechtskräftiges Urtel sichert also den, der es erstritten hat, für immer, wider alle fernere Anfechtungen seines Gegners, und derjenigen, die an dessen Stelle treten.

67.

Nur in den Fällen, da es an einem wesentlichen Erfordernisse der gesetzmäßigen Untersuchung mangelt, kann ein solches Erkenntniß, als nichtig, nach näherer Bestimmung der Gesetze, angefochten werden.


(17)

Erster Titel.

Von den Personen, welche vor Gerichten klagen und belangt werden können.

Wer überhaupt klagen, oder

§. 1. Jeder, welcher, den Gesetzen nach, sich und seinem eignen Vermögen vorzustehen fähig ist, kann sein Recht durch Anstellung einer gerichtlichen Klage verfolgen.

belangt werden könne.

§. 2. Jeder Unterthan und Einwohner des Staats, er sey wes Standes oder Würden er wolle, kann gerichtlich belangt werden; dergestalt, daß auch Vornehme gegen Niedrige und Geringe, Dienstherrschaften gegen ihr Gesinde, Obrigkeiten gegen ihre Unterthanen, und Eltern gegen ihre Kinder, wenn sie von denselben verklagt werden, sich bei den dazu verordneten Gerichten einzulassen, und daselbst Recht zu nehmen schuldig sind. Doch es hat in der Ansehung der Injurienprozesse bei den Vorschriften des Allgemeinen Landrechts Th. II. Tit. XX. § 557-560. sein Bewenden.

Von Wahn- u. Blödsinnigen, Taubstummen und Kindern

§. 3.

Wahn- und Blödsinnige, Taubstumme, ingleichen Kinder und Unmündige (A. L. R. Th. I. Tit. I. § 25.) werden vor Gerichten weder als Kläger noch Beklagte zugelassen, sondern müssen durch ihre natürlichen oder gerichtlich bestellten Vormünder vertreten werden.

Von Minderjährigen und Verschwendern.§. 4.

Minderjährige und Verschwender können unter dem Beitritt ihrer Vormünder oder Kuratoren selbst vor Gericht erscheinen; doch ist ihre Gegenwart, Zuziehung, oder Einstimmung zur Gültigkeit einer mit


(18) Prozeßordnung. Erster Titel.

letztern gepflogenen gerichtlichen Verhandlung nicht nothwendig.

§. 5.

Wenn Unterthanen fremder Staaten vor hiesigen Gerichten als Kläger oder Beklagte erscheinen, so ist die Fähigkeit derselben, in Rücksicht auf das Alter, nach den Gesetzen ihres Wohnorts zu beurtheilen.

§. 6.

Hat jedoch ein solcher Fremder das fünf und zwanzigste Jahr zurück gelegt; so schadet es der Gültigkeit der vor hiesigen Gerichten mit ihm gepflogenen Verhandlungen nicht, wenn sich auch in der Folge finden sollte, daß die Gesetze seines Wohnorts, oder des Gerichtsstandes der Sache, oder auch besondere Willenserklärungen, welche dem hiesigen Richter nicht vorgelegt werden, einen spätern Termin zur Volljährigkeit bestimmen.

§. 7.

Diejenigen, welche die Majorennitätserklärung erhalten zu haben behaupten, müssen das darüber ausgefertigte Patent vorlegen, und werden nach dem Inhalte desselben beurtheilt.

Von Verschollenen.

§. 8.

Wenn ein Verschollener belangt werden soll, so ist die Klage gegen ihm gerichtlich bestellten Vormund zu richten.

Allgemeine Regeln wegen vorstehend benannter Personen.

§. 9.

Wenn eine der §. 3. 4. benannten Personen sich zum Klagen meldet, oder wenn dergleichen Personen, oder auch Verschollene (§. 8.) gerichtlich belangt werden, und noch mit keinem natürlichen oder gerichtlich bestellten Vormunde versehen sind; so muß das Gericht wegen dessen Bestellung das Erforderliche vor allen Dingen veranlassen.

§. 10.

Wenn das Gericht, vor welchem die Sache verhandelt werden soll, nicht selbst dasjenige ist, dem


(19) Personen, welche Prozesse führen können.

die Bevormundung zukommt und obliegt, so muß dasselbe diesem Gericht, falls es ein inländisches ist, von dem Vorfalle zur weitern Verfügung Nachricht geben

§. 11.

Gebührt die Bevormundung einem ausländischen Gerichte, so bleibt der weitere Betrieb derselben den Interessenten überlassen.

§. 12.

In beiden Fällen ruht der Prozeß so lange, bis die Bevormundung erfolgt ist.

Wenn jedoch Fälle vorkommen sollten, wo Gefahr im Verzuge obwaltete, dergestalt, daß ohne erheblichen Nachtheil für eine oder die andere der Parteien, die Regulirung der Vormundschaft bei dem auswärtigen, in- oder ausländischen, Gerichte nicht abgewartet werden könnte, so ist dasjenige Gericht, bei welchem der Prozeß schwebt, berechtigt, der Partei, welche der Bevormundung bedarf, einen Interims-Kurator zum Betrieb der Sache zuzuordnen.

Von Personen, die noch unter väterlicher Gewalt sind.

§. 13.

Volljährige, aber noch unter väterlicher Gewalt stehende Personen können, in Ansehung ihres nicht freien Vermögens, nur unter Beitritt ihres Vaters vor Gerichten erscheinen.

§. 14.

Der Vater hingegen ist bei solchen Verhandlungen die großjährigen Kinder nur alsdann zuzuziehen verbunden, wenn die Verhandlung unbewegliche Sachen, deren Pertinenzstücke, oder auch Gerechtigkeiten betrifft. (A. L. R. Th. II. Tit. II. §. 171.) Sind Vater und Kind über den Betrieb und die Fortsetzung des Prozesses nicht einverstanden, so giebt die Meinung des großjährigen Kindes, als Eigenthümers, den Ausschlag. Doch kann der Vater wegen seines eigenen dabei vorwaltenden Interesse, als Nießbraucher, den Prozeß fortsetzen; und der Gegentheil ist


(20) Prozeßordnung. Erster Titel.

sich in so weit mit ihm einzulassen verbunden. (A. L. R. Th. I. Tit. XXI. §. 85.)

§. 15.

In Ansehung des freien Vermögens sind Kinder, wenn sie auch übrigens noch unter väterlicher Gewalt stehen, so bald sie die Volljährigkeit erreicht haben, einem andern nicht unter väterlicher Gewalt stehenden Menschen, auch bei gerichtlichen Verhandlungen, überall gleich zu achten.

Von Ehefrauen.

§. 16.

Ehefrauen können ohne Beitritt ihrer Männer vor Gericht nicht erscheinen; es wäre denn, daß der Gegenstand der Verhandlung zu ihrem durch Vertrag vorbehaltenen Vermögen gehörte; oder daß sie wider ihren Ehemann klagen, oder Verträge mit ihm schließen wollten.

§. 17.

In Fällen, wo die Frau zu dem Prozesse des Beitritts ihres Mannes bedarf, muß, wenn dieser selbst unter Vormundschaft stehet, der Kurator des Mannes zugezogen werden. Kann ihr dieser in einem oder dem anderen Falle nicht assistiren, so ist zu einer solchen Sache ein besonderer Kurator anzuordnen.

§. 18.

In Fällen hingegen, wo nach §. 16. der Beitritt des Mannes nicht Statt findet, bedarf die Ehefrau auch keines anderen Beistandes; selbst alsdann nicht, wenn sie mit dem Ehemann vor Gerichten handelt. Findet sich aber der Richter zu der Besorgniß veranlaßt, daß die Frau bei einer solchen Verhandlung übereilt oder hintergangen werden möchte; so steht ihm frei, einer solchen Ehefrau einen Beistand von Amts wegen zu verordnen.

Anh. §. 3. Diese Vorschrift bezieht sich bloß auf prozessualische Verhandlungen und auf die bei dieser Gelegenheit zwischen dem Manne und der Frau geschlossenen Vergleiche. In Absicht der bei den übrigen Verträgen zwischen Eheleuten erforderlichen Zuziehung eines


(21) Personen, welche Prozesse führen können.

Beistandes der Frau hat es bei der Verordnung des Allgemeinen Landrechts Theil II. Titel I. §. 200. sein Bewenden.

§. 19.

Bei gerichtlichen Verhandlungen, welche das gesetzlich vorbehaltene Vermögen der Frau, ingleichen die zur Substanz des Eingebrachten gehörigen Grundstücke und Gerechtigkeiten, oder solche eingebrachte Kapitalien betreffen, welche auf den Namen der Frau, oder ihres Erblassers oder Geschenkgebers geschrieben sind, müssen beide Eheleute zugezogen werden; zumal in allen diesen Fällen der Mann die Prozeßkosten aus seinem eigenen, oder aus dem Nießgebrauche des eingebrachten Vermögens zu tragen, nach den Gesetzen verpflichtet ist. (A. L. R. Th. II. Tit. I. §. 228-230.)

§. 20.

Wie es zu halten sey, wenn die Frau zu Prozessen, welche die Substanz des eingebrachten Vermögens betreffen, ihren Beitritt versagt, ist im Allgemeinen Landrechte bestimmt. (Th. II. Tit. I. §. 239.)

§. 21.

Versagt der Mann den Beitritt, so muß die Frau, wenn die Weigerung bescheinigt ist, auf ihre Kosten allein zugelassen werden. Kann oder will sie aber für diese Kosten eine von dem Nießgebrauche des Mannes unabhängige Kaution nicht bestellen; so muß das Gericht den Mann über die Ursachen seiner Weigerung vernehmen, und wenn es dieselben nicht offenbar erheblich findet, denselben zum Beitritt und zur Beobachtung seiner Schuldigkeit, in Ausführung oder Vertheidigung der Gerechtsame seiner Ehefrau, anhalten.

§. 22.

Außer diesen Fällen (§. 19.) können gerichtliche Verhandlungen, welche das Eingebrachte der Frau betreffen, auch ohne deren Zuziehung von dem Manne betrieben werden.


(22) Prozeßordnung. Erster Titel.

§. 23.

Bei vorwaltender Gütergemeinschaft bedarf es zu Prozessen, welche das Eingebrachte der Frau betreffen, der Zuziehung der Frau nur alsdann, wenn der Gegenstand des Streits ein Grundstück, oder eine Gerechtigkeit, oder ein auf den Namen der Frau, ihres Erblassers oder Geschenkgebers, oder auf den Namen beider Eheleute geschriebenes Kapital betrifft. (Allgemeines Landrecht Th. II. Tit. I. §. 378. 379.)

§. 24.

So lange in gewissen Provinzen die Geschlechtsvormundschaft annoch beibehalten wird, bedarf dennoch eine Ehefrau der Zuordnung eines Geschlechtsvormundes nur in denjenigen Fällen, in welchen sie ohne den Ehemann bei Gerichten zugelassen wird. (§. 16.)

Von unverheiratheten Frauenspersonen.

§. 25. Unverheirathete Frauenzimmer haben, in Ansehung der Befugniß, vor Gericht zu erscheinen, mit den Mannspersonen gleiche Rechte.

§. 26.

In Provinzen aber, wo bisher die Geschlechtsvormundschaft Statt gefunden hat, bleibt es vor der Hand, wegen der Zuziehung solcher erbetener oder gerichtlich bestellter Geschlechtsvormünder, bei den Vorschriften der Provinzialgesetze.

27.

Doch bedarf auch in solchen Provinzen eine zur Vormünderin bestellte Frau, zum Betrieb der gerichtlichen Angelegenheiten ihrer Pflegbefohlenen, keines Geschlechtsvormundes.

§. 28.

Wenn an dem Wohnorte der Frauensperson, welche eine Vollmacht ausstellt, die Zuziehung eines Geschlechtsvormundes nicht erforderlich ist, so bedarf es deren auch alsdann nicht, wenn gleich die Rechte des Orts, wo der Prozeß vor Gericht verhandelt wird,


(23) Personen, welche Prozesse führen können.

dergleichen Zuziehung verordnen. Doch kann das Gericht, bei welchem eine solche Vollmacht eingereicht wird, einen Nachweis darüber fordern, daß die Ausstellerin nach den Gesetzen ihres Wohnorts seines Geschlechtsvormundes bedürfe, in so fern dieses nicht etwa dem Gerichte ohnehin schon hinreichend bekannt ist.

§. 29.

Ein Geschlechtsvormund, welcher die Rechte seiner Pflegbefohlenen ohne deren Beiseyn wahrnehmen will, muß außer seinem Kuratorio noch besondere Vollmacht beibringen; doch bedarf die Pflegebefohlene zur Ausstellung dieser Vollmacht auf ihren eignen Geschlechtsvormund keines besondern Kurators.

Von Theilnehmern bei getheiltem Eigenthum.

§. 30. Wo ein getheiltes Eigenthum vorhanden ist, da können Angelegenheiten, welche die Substanz, die unbeweglichen Pertinenzstücke, und die Gerechtigkeiten der Sache betreffen, sowohl von dem Ober- als auch von dem nutzbaren Eigenthümer verhandelt werden.

§. 31.

Wie weit aber die Verhandlungen des einen für den andern verbindlich sind, ist nach den Vorschriften der Gesetze zu beurtheilen. (Allg. L. R. Th. I. Tit. XVIII. §. 258. Th. II. Tit. IV. §. 117. sq.)

§. 32 a.

In wie fern Prozesse, die eine in Erbpacht, oder zum Nießgebrauch eingeräumte Sache betreffen, von dem Eigenthümer, oder von dem Erbpächter oder Nießbraucher allein, oder von beiden gemeinschaftlich zu betreiben sind, ist ebenfalls in den Gesetzen bestimmt.

(Allg. L. R. Th. I. Tit. XXI. §. 82. sqq. §. 225. 226.)

§. 32 b.

Mit wem Prozesse, die ein dingliches Recht auf fremdes Eigenthum zum Gegenstande haben, zu verhandeln sind, verordnet das allgemeine Landrecht Th. I. Tit. XIX. §. 10.


(24) Prozeßordnung. Erster Titel.

Von moralischen Personen.

§. 33. Kirchen, Schulen, Hospitäler und andere Armenanstalten, und milde Stiftungen, ingleichen Stadt- und Dorfgemeinen, und überhaupt alle Korporationen und Gesellschaften, welche in den Rechten als Eine moralische Person betrachtet werden, können gleich einzelnen Personen klagen und belangt werden.

§. 34.

In wie fern aber zu den Prozessen und andern gerichtlichen Verhandlungen solcher moralischen Personen höhere Anweisung ohne Genehmigung erforderlich sey, ist nach Verschiedenheit derselben, und der vorkommenden Angelegenheiten, nach ihren besondern Statuten und Verfassungen, oder, in deren Ermangelung, nach den Vorschriften des Landrechts zu beurtheilen.

Anh. §. 4. Zu Prozessen, welche Stadtgemeinen führen, bedarf es der Genehmigung der Regierung nicht.

Bei Prozessen, woran Dorfgemeinen Theil nehmen, und welche die Substanz ihres Vermögens betreffen, muß die Genehmigung der Gutsherrschaft zur Anstellung der Klage und deren Beantwortung beigebracht werden, in so fern nicht die Gutsherrschaft selbst als Gegner der Gemeine dabei ein eignes Interesse hat. Verweigert oder verzögert die Gutsherrschaft die nachgefragte Genehmigung, und verlangt die Gemeine dagegen rechtliche Hülfe; so ist es hinreichend, daß die erstere zur Wahrnehmung ihrer Gerechtsame bei der von der letztern angestellten Klage adcitirt wird.

§. 35.

Mehrere Personen, die weder als Korporationen und Gemeinen, noch sonst, z. B. als Erben, als Handlungsgenossen (et)c. nach den Rechten für Eine Person zu achten sind, können weder ihre Forderungen in einem Prozesse gegen eben denselben Schuldner einklagen, noch auch in Einer Klage zugleich belangt werden.

§. 36.

Wenn jedoch mehrere Personen als Mitberechtigte oder Mitverpflichtete zu betrachten sind, die aus


(25) Personen, welche Prozesse führen können.

einerlei Geschäfte, Verträge, oder unerlaubten Handlung, etwas fordern; so kann in Ansehung solcher Forderungen und Ansprüche ein gemeinschaftlicher Prozeß Statt finden.

§. 37.

Es bleibt aber in diesem Falle (§. 36.) richterlichem Ermessen anheim gestellt, so bald aus einer solchen gemeinschaftlichen Ausführung in der Sache selbst Verwirrungen zu besorgen sind, die Forderungen dieser mehrern Konsorten, oder die Ansprüche gegen sie, zu besondern Prozessen zu verweisen.

§. 38.

Welche Klagen auf den Erben übergehen oder nicht, und in wie fern mehrere Miterben, wegen Forderungen oder Schulden des gemeinschaftlichen Erblassers, zusammen oder einzeln klagen, oder belangt werden können, ist nach den Vorschriften des Allgemeinen Landrechts zu beurtheilen. (Th. I. Tit. IX. §. 482. sq. Tit. XVII. Abschnitt II. Th. II. Tit. I. §. 827. sq.; Tit. XX. § 603 – 606 [et]c.)

Allgemeine Anweisung für diejenigen, welche in Prozesse sich einlassen wollen.

§. 39. Wer sich entschließen will, eine Klage anzustellen, muß weder seinen Leidenschaften oder seinem Eigendünkel, noch unverständigen oder gewinnsüchtigen Rathgebern blindlings folgen; vielmehr wohl erwägen, ob seine Forderungen in Rechten gegründet, und er solche zu beweisen im Stande sey.

Eben so muß auch der Beklagte, sich nicht leichtsinniger und unbedachtsamer Weise in den Prozeß einlassen, sondern zuvor sowohl die Ansprüche des Klägers und deren Grund, als die dagegen zu machenden Einwendungen, und ob er sie werde darthun können, reiflich überlegen.

Denn außerdem, daß aus unnützen Prozessen nicht allein Verdruß, Zeitverlust und Kosten entspringen, haben auch diejenigen, welche entweder


(26) Prozeßordnung. Zweiter Titel.

ungegründete Ansprüche, aus Zanksucht, Chikane oder andern unerlaubten Absichten, gerichtlich rügen, oder rechtmäßige Anforderungen wider besseres Wissen ableugnen; und überhaupt alle diejenigen, welche ihren Gegner ohne Grund in Prozessen aufhalten und zu ermüden suchen, die strengste Ahndung der Gesetze, nach den unten folgenden nähern Bestimmungen, ohne alle Nachsicht, oder Ansehn der Person, ganz unfehlbar zu gewärtigen.

Zweiter Titel.

Von dem Gerichtsstande.

Begriffe und Grundsätze.

§. 1. Eine jede Klage muß bei denjenigen Gerichten verhandelt werden, an welche sie entweder durch allgemeine Gesetze, oder durch besondere in einer Provinz oder an einem Orte bestehende Vorschriften gewiesen ist.

§. 2.

Derjenige Gerichtsstand, welchem alle an einem Orte, in einem Distrikte, oder in einer Provinz befindlichen Personen oder Sachen, oder alle daselbst vorkommende Geschäfte von einer gewissen Art, nach gesetzlichen Vorschriften unterworfen sind, wird der ordentliche Gerichtsstand derselben genannt. (§. 7.)

§. 3.

Der persönliche Gerichtsstand eines Menschen wird entweder durch den Ort, wo jemand wohnt, oder durch persönliche Eigenschaften bestimmt, mit welchen die Gesetze die Unterordnung unter dieses oder jenes von denen im Lande bestellten Gerichten verbunden haben.

§. 4.

Der dingliche Gerichtsstand wird durch den Ort bestimmt, wo eine Sache sich befindet.


(27) Gerichtsstand.

§. 5.

Der für einen Ort oder Bezirk unmittelbar und zunächst bestellte Richter hat die Vermuthung für sich, daß alle in diesem Orte oder Bezirke befindliche Sachen seiner dinglichen Gerichtsbarkeit unterworfen sind.

§. 6.

Diejenigen Gerichte, welchen gewisse in einem Gerichtsbezirk vorfallende Rechtsangelegenheiten, ihrer besonderen Beschaffenheit wegen, ohne Rücksicht auf den sonstigen persönlichen oder dinglichen Gerichtsstand, beigelegt worden, heißen Fora specialia causae.

§. 7.

Ein außerordentlicher Gerichtsstand ist vorhanden:      

1) wenn der Staat in einzelnen Fällen, zur Beförderung einer schleunigen und unparteiischen Rechtspflege, oder um die Vervielfältigung der Prozesse zu verhüten, eine Ausnahme von dem ordentlichen Gerichtsstande zu machen für gut findet;

2) wenn die Parteien mit Erlaubniß des Staats, einem andern, als dem ordentlichen Gerichtsstande, entweder durch ausdrückliche Erklärungen, oder durch vorhergehende Handlungen, woraus das Gesetz ihre Einwilligung folgert, sich unterwerfen.

A. Vom ordentlichen Gerichtsstande. 1. von den persönlichen, welcher 1. durch den Wohnsitz des Beklagten; -

§. 8. In der Regel steht ein jeder unter demjenigen Gerichte, welches für den Ort oder Bezirk, in welchem er wohnt, zunächst und unmittelbar bestellt ist.

§. 9.

Dieser ordentliche persönliche Gerichtsstand wird jedoch noch nicht durch den bloßen Aufenthalt, sondern nur dadurch begründet, daß jemand an einem Orte seinen beständigen Wohnsitz aufgeschlagen hat.

§. 10.

Die Absicht, seinen beständigen Wohnsitz an einem Orte nehmen zu wollen, kann sowohl ausdrücklich,


(28) Prozeßordnung. Zweiter Titel.

als durch Handlungen oder Thatsachen geäußert werden.

§. 11.

Für eine solche stillschweigende Aeußerung ist es zu achten, wenn jemand an einem gewissen Orte ein Amt, welches seine beständige Gegenwart daselbst erfordert, übernimmt, Handel oder Gewerbe daselbst zu treiben anfängt, oder sich daselbst alles, was zu einer eingerichteten Wirthschaft gehört, anschafft.

§. 12.

Auch die Uebernehmung einer Pacht, verbunden mit dem persönlichen Aufenthalte auf dem gepachteten Gute, begründet den Wohnsitz des Pächters, in so fern nicht besondere Verabredungen wegen der Gerichtsbarkeit getroffen worden.

Anh. § 5. Ist in dem Pachtkontrakte verabredet, daß der für seine Person nicht schon aus andern Gründen unter dem Obergericht stehende Pächter von der Gerichtsbarkeit des Verpächters ausgenommen seyn soll: so gilt diese Verabredung in Absicht aller Civilprozesse zwischen dem Verpächter und Pächter als ein Kompromiß, und das Obergericht muß solche zu seiner Kognition ziehen.

Bei andern Klagen gegen den Pächter hängt es - einer Verabredung ungeachtet - von den Gutfinden des Obergerichts ab, ob es sich der Kognition unterziehen oder solche an dasjenige Gericht, vor welches die Sache sonst gehören würde, zurück weisen will.

Anh. § 6. In der Regel muß der Pächter auch nach seinem Abzuge bei Prozessen über die Rückgewähr bei denselben Gerichten Recht nehmen, welchen er während der Dauer der Pacht in den darüber entstandenen Prozessen unterworfen war.

§. 13.

Das Gesinde ist in der Regel dem ordentlichen Gerichte seiner Herrschaft unterworfen. Doch werden dadurch bei Dienstboten, welche noch unter väterlicher Gewalt, unter Vormundschaft, oder unter einer Gutsherrschaft stehen, die auf ihre Person sich beziehenden Rechte ihres Geburtsorts nicht verändert. (cf. §. 18 sq.)


(29) Gerichtsstand.

§. 14.

Außerdem kann daraus, daß jemand, selbst eine geraume Zeit hindurch, wegen seiner Geschäfte oder Gesundheit, oder wegen Studirens, oder um einen drohenden Arrest, einer Kriegs- oder anderen Gefahr zu entgehen, an einem Orte sich aufhält, die Aufschlagung eines beständigen Wohnsitzes daselbst noch nicht gefolgert werden.

§. 15.

Wer an zwei verschiedenen Orten völlig eingerichtete Wirthschaften hat, und abwechselnd bald an dem einen, bald an dem andern Orte sich aufhält, oder Gewerbe treibt, muß die Gerichte beider Orte als seinen persönlichen Gerichtsstand anerkennen; und es hängt von der Wahl des Klägers ab, wo ihn derselbe belangen will.

§. 16.

Der durch den Wohnort begründete persönliche Gerichtsstand verändert sich, wenn jemand diesen Ort gänzlich verläßt, und auf die §. 10. sq. beschriebene Art seinen Wohnsitz anderswo aufschlägt.

2. durch den Ort seiner Herkunft; -

§. 17. So lange, bis jemand obgedachtermaßen einen eignen Wohnsitz genommen hat, bleibt er unter dem Gerichtsstand seiner Eltern. (Forum originis.)

§. 18.

Ist der Vater noch am Leben, so begründet der jedesmalige Wohnsitz desselben zugleich den ordentlichen Gerichtsstand des noch unter seiner Gewalt befindlichen Kindes; ohne Rücksicht auf den Ort, wo dasselbe geboren worden; oder wo das Kind sich nur auf eine Zeitlang aufhält. Doch müssen Kinder unterthäniger Landbewohner, ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des Vaters, so lange sie der Unterthänigkeit für ihre Person noch nicht entlassen worden, da, wo sie unterthänig sind, belangt werden.


(30) Prozeßordnung. Zweiter Titel.

Anh. §. 7. Auskultatoren und Referendarien stehen, wenn sie auch noch minderjährig oder der väterlichen Gewalt unterworfen sind, unter der Gerichtsbarkeit desjenigen Gerichts, von dem die Mitglieder der Behörde, bei welcher sie arbeiten, Recht zu nehmen haben. Die Väter und Vormünder müssen sich daher bei diesem Gericht auf die aus Handlungen ihrer Söhne und Pflegebefohlenen wider sie angestellten Klagen einlassen. In der Leitung der Vormundschaft wird hierdurch nichts geändert.

Gehören solche Auskultatoren und Referendarien wegen ihrer Geburt oder aus anderen Gründen zu den Eximirten, so haben sie in allen Fällen ihren Gerichtsstand bei demjenigen Obergericht, in dessen Bezirk sie angestellt sind.

§. 19.

Ist der Vater mit Zurücklassung des Kindes aus dem Lande gegangen, so wird derjenige persönliche Gerichtsstand, welchem er zuletzt vor seinem Abzuge unterworfen war, für den ordentlichen Gerichtsstand des Kindes, solange dasselbe noch keinen eigenen Wohnsitz genommen hat, angesehen.

§. 20.

Ist der Vater bereits verstorben, so verbleibt der Gerichtsstand, unter welchem derselbe zur Zeit seines Ablebens innerhalb Landes seinen Wohnsitz hatte, der ordentliche Gerichtsstand des Kindes, so lange dasselbe noch keinen eigenen Wohnsitz genommen hat.

§. 21.

Ist der Vater unbekannt, oder das Kind nicht aus einer Ehe zur rechten Hand erzeugt, so richtet sich der Gerichtsstand eines solchen Kindes auf gleiche Art nach dem persönlichen Gerichtsstande der Mutter.

§. 22.

Wenn ein Mensch seinen vorigen Wohnsitz aufgegeben hat, und, ohne anderswo eine feste Wohnung zu nehmen, im Lande herum irrt; so wird derselbe, im rechtlichen Sinne als ein Vagabunde betrachtet.


(31) Gerichtsstand.

§. 23.

Eben dafür ist derjenige anzusehen, welcher, ohne irgendwo einen Wohnsitz genommen zu haben, den Gerichtsstand seiner Herkunft schon seit länger als drei Jahren verlassen hat, oder dessen Geburtsort unbekannt; oder außerhalb der Königlichen Lande gelegen ist.

§. 24.

Doch sind hievon solche Personen, die unter Eltern, Vormündern, oder Gutsherrschaften stehen, und daher ihren ordentlichen Gerichtsstand eigenmächtig nicht verändern können, ingleichen das Gesinde nach §. 13. auszunehmen.

§. 25.

Ein Vagabunde (§. 22. 23. 24.) kann vor jedem Gericht in Anspruch genommen werden, wo er angetroffen wird; oder es kann durch Arrestschlag bei jedem Gericht wider ihn verfahren werden, unter welchem sich einige ihm gehörende Grundstücke, Effekten, Baarschaften oder Kapitalien befinden.

§. 26.

Fremde, die in hiesigen Landen sich niederzulassen im Begriffe stehen, aber darin noch keinen bestimmten Wohnsitz genommen haben, können bei den ordentlichen Gerichten des Orts, wo sie sich aufhalten, belangt werden. Gehören sie aber, nach ihren persönlichen Eigenschaften, zu den Eximirten, so sind sie bei dem Obergerichte der Provinz, in welcher sie sich befinden, in Anspruch zu nehmen.

§. 27.

Hat ein solcher Fremder sich über den Ort, wo er in hiesigen Landen seinen Wohnsitz nehmen will, schon deutlich geäußert, so kann er bei den ordentlichen Gerichten dieses Orts belangt werden, selbst wenn er nur noch erst auf der Reise dahin begriffen wäre.


(32) Prozeßordnung. Zweiter Titel.

§. 28.

Durchreisende Fremde haben in hiesigen Landen keinen ordentlichen persönlichen Gerichtsstand; wie weit aber gegen sie der Gerichtsstand durch Arrestanlegung, oder durch Kontrakt, Verwaltung, nothwendige oder freiwillige Prorogation, oder durch Schadenszufügung begründet werden könne, ist nach den unten erfolgenden Vorschriften zu beurtheilen.

Anh. §. 8. Auch Injurien, die ein durchreisender Fremder begehet, begründen gegen ihn einen Gerichtsstand in hiesigen Landen.

§. 29.

In jedem Falle, wo ein hiesiger Gerichtsstand über einen durchreisenden Fremden auf solche Art begründet ist, muß derselbe bei demjenigen hiesigen Gerichte, welchem hiesige Einwohner von gleichem Stande und Range unterworfen sind, belangt werden.

3. durch persönliche Eigenschaften,

und zwar

a. durch

die Na

tion, von

welcher

jemand

abstammt.

 
3. durch persönliche Eigenschaften, und zwar a. durch die Nation, von welcher jemand abstammt.

§. 30.

Vermöge persönlicher Eigenschaften (§. 3.) ist zuvörderst der Gerichtsstand der Mitglieder der Französischen und Pfälzer-Kolonie unter den für ihren Wohnort errichteten besonderen Koloniegerichten begründet.

Anh. §. 9. Der den Mitgliedern der Französischen und Pfälzer-Kolonie bisher bewilligte besondere Gerichtsstand findet nicht ferner Statt, vielmehr werden selbige hierunter den übrigen Staatsbürgern gleich geachtet.

§. 31.

Diesen Gerichten sind alle in ihrem Gerichtsbezirk wohnhafte Mitglieder der Kolonie, ohne Rücksicht auf ihren sonstigen Stand, bürgerliches Amt, oder Charakter unterworfen.

§. 32.

Die Gerichtsbarkeit derselben erstreckt sich auf die Grundstücke der Koloniemitglieder, solange sie sich in deren Besitze befinden, wenngleich sonst diese Grundstücke an und für sich einem anderen dinglichen Gerichtsstande unterworfen wären.


(33) Gerichtsstand.

§. 33.

Dagegen ist diese Gerichtsbarkeit nur auf die Oerter und Distrikte eingeschränkt, für welche ein jedes Koloniegericht ausdrücklich bestellt worden. Wenn daher Personen oder Familien, die an sich zur Kolonie gehören, an Oertern wohnen, für welche keine Koloniegerichte angeordnet sind, so werden sie anderen Landeseinwohnern gleich geachtet.

§. 34.

Eben das gilt von Grundstücken, die ein Mitglied der Kolonie an einem Orte, oder in einem Bezirke besitzt, für welchen kein Koloniegericht mit Jurisdiktion versehen ist.

§. 35.

Allen Fremden, die sich in den Königlichen Landen an einem Orte niederlassen, für welchen ein Französisches oder Pfälzer-Koloniegericht bestellt ist, steht es frei, binnen drei Monaten nach ihrer Ankunft sich schriftlich oder zum Protokoll zu erklären, daß sie sich einem dieser Gerichte unterwerfen wollen; ohne daß dabei auf die Nation, zu welcher sie gehören, oder auf die Religion, zu der sie sich bekennen, Rücksicht genommen wird. Doch muß das Koloniegericht, bei welchem die Erklärung abgegeben worden, demjenigen Gerichte, unter welches der eingewanderte Fremde, seinem Stand und Gewerbe nach, in der Regel gehören würde, davon Nachricht geben.

§. 36.

Ist dergleichen Erklärung in der bestimmten Frist nicht abgegeben worden, so wird der eingewanderte Fremde, auch in Ansehung des Gerichtsstandes, nach eben den Grundsätzen, wie ein anderer Landeseinwohner beurtheilt.

§. 37.

Wenn ein Mitglied der Pfälzer-Kolonie, er sey es durch Geburt, oder eine nach §. 35. angestellte Wahl, seinen Wohnsitz an einen Orte aufschlägt,


(34) Prozeßordnung. Zweiter Titel.

für welchen zwar kein Pfälzer-, doch aber ein Französisches Koloniegericht angeordnet ist, so steht demselben frei, sich binnen drei Monaten nach dieser Niederlassung zu erklären, daß er sich der Jurisdiktion der Französischen Gerichte unterwerfen wolle. Ist aber diese Erklärung in der bestimmten Frist nicht erfolgt, so muß ein solcher Ankömmling den ordentlichen deutschen Gerichtsstand anerkennen.

§. 38.

Wenn eine Handlungsgesellschaft aus Mitgliedern verschiedener Nationen besteht, so hat die Gesellschaft, wenn sie als solche unter der gemeinschaftlichen Firma belangt wird, ihren ordentlichen persönlichen Gerichtsstand da, wo derjenige Gesellschafter, nach welchem die Firma benannt ist, hingehört; und dieser Gerichtsstand bleibt ungeändert, solange die Firma beibehalten wird, wenn gleich durch den Zutritt oder Abgang einzelner Mitglieder Veränderungen in den Personen entstehen.

Sind in der Firma zwei oder mehr Gesellschafter verschiedener Nationen genannt, so muß, wenn die ganze Societät belangt werden soll, die Klage in den persönlichen Gerichtsstande dessen, welcher zuerst genannt ist, angestellt werden.

Die dingliche Gerichtsbarkeit über ein Grundstück wird nicht geändert, wenn auch der bisherige Besitzer einen anderen von verschiedener Nation in das Miteigenthum desselben aufnimmt; oder wenn Zwei oder Mehrere von verschiedenen Nationen ein Grundstück als Miteigenthümer gemeinschaftlich an sich bringen; da auch in diesem letztern Falle das Grundstück unter derjenigen Gerichtsbarkeit verbleiben muß, unter welcher es vor dieser Erwerbung gestanden hat.

§. 39.

Wenn Leute verschiedener Nationen ein Verbrechen gemeinschaftlich begehen, so sind dieselben bloß


(35) Gerichtsstand.

als Mitschuldige und Komplicen anzusehen; und finden also entweder die für gewisse Arten der Kontraventionen und Verbrechen angeordneten besonderen Gerichtsbarkeiten, oder die allgemeinen Vorschriften der Kriminalprozeßordnung, wegen der Untersuchung gegen Komplicen aus verschiedenen von einander unabhängigen Gerichtsständen, Anwendung.

§. 40.

Die Gerichtsbarkeit über die Juden ist nach Verschiedenheit der Oerter und Provinzen durch Statuten und Provinzialgesetze bestimmt. Wo es an ausdrücklichen Bestimmungen ermangelt, da gilt die Vermuthung, daß die Juden der ordentlichen Gerichtsobrigkeit, gleich anderen nicht eximirten Landeseinwohnern, unterworfen sind.

b. durch die Geburt.

§. 41.

Durch die Geburt erhalten sämmtliche Prinzen und Prinzessinnen, welche zum Königlichen Hause gehören, ihren Gerichtsstand bei dem mit dem Kammergericht verbundenen geheimen Justizrath, in so fern nicht durch Hausverträge und Verfassungen, in Ansehung gewisser Fälle und Angelegenheiten, ein anderes bestimmt ist.

§. 42.

Alle Personen, fürstlichen, gräflichen, freiherrlichen, und adlichen Standes, stehen unter der Jurisdiktion der Obergerichte der Provinzen, in welchen sie wohnen.

Anh. §. 10. Regierende deutsche Fürsten, desgleichen abgetheilte Fürsten aus den Häusern der regierenden deutschen Fürsten, wenn sie ihren beständigen Aufenthalt in hiesigen Landen nehmen, müssen sowohl in Rücksicht ihrer persönlichen, als solcher dinglichen Rechtsverhältnisse, welche die in den preußischen Staaten belegenen Grundstücke und Sachen betreffen, die Gerichtsbarkeit der hiesigen Gerichtshöfe anerkennen.

c. durch Stand, Aemter und Würden.

§. 43

Zu denjenigen Personen, deren persönlichen Gerichtsstand die Gesetze nach dem Stande, dem Amte,


(36) Prozeßordnung. Zweiter Titel.

oder der Würde, welche sie bekleiden, bestimmt haben, gehören die Geistlichen, die Militär- und die Civilbeamten des Staats.

§. 44.

Diese Personen sind von der Jurisdiktion des für ihren Wohnort zunächst und unmittelbar bestellten Gerichts ausgenommen, und werden daher Eximirte genannt.

α. Geistliche.

§. 45.

Bischöfe, Prälaten und Domherren, Vikarien, Offizialen, Aebte und Aebtissinnen, Prioren und Priorinnen, Pröbste, Superintendenten, Präpositi, Erzpriester, Kanonici, Konventualen beiderlei Geschlechts, Pfarrer und Prediger, ohne Unterschied der Religionspartei, ingleichen die Vorgesetzte und Lehrer akademischer und anderer Gymnasien und sogenannten gelehrten Schulen, sind in der Regel dem Landesjustizkollegio der Provinz unterworfen.

Anh. §. 11. Zu den Eximirten gehören auch alle Schullehrer, welche studirt haben, und nach vorhergegangener Prüfung der oberen Behörden zum wissenschaftlichen Unterricht der Jugend bestellt worden sind. Jedoch bleibt es den Obergerichten überlassen, die Gerichtsbarkeit über solche Schulbediente nach Bewandniß der Umstände in einzelnen Fällen den Untergerichten zu übertragen.

§. 46.

An Orten, wo den Magisträten Konsistorialrechte verliehen sind, oder wo es durch besondere Privilegia, oder vermöge einer rechtsbeständigen Observanz wohl hergebracht ist, bleiben die von solchen Magisträten berufenen protestantischen Prediger und Schullehrer ihrer Gerichtsbarkeit unterworfen.

§. 47.

Kantores, Organisten, Küster, Kirchenknechte, Todtengräber, und andere ihnen gleich zu achtende niedere Kirchenbediente, ingleichen die Schulmeister und Lehrer in den sogenannten gemeinen Schulen, sowohl in den Städten, als auf dem platten Lande,


(37) Gerichtsstand

haben nicht die Rechte der Eximirten, sondern stehen unter den ordentlichen Gerichten ihres Wohnortes.

β. Militairpersonen.

§. 48.

Die in wirklichen Militärdiensten stehenden Ober- und Unteroffiziere und Soldaten, ingleichen die zum Unterstabe gehörigen Personen, z. B. Regimentsquartiermeister, Prediger, Auditeurs, Feldscherer, Stallmeister oder Bereiter, Küster, Fahnenschmiede (et)c., haben ihren persönlichen Gerichtsstand unter den Regimentsgerichten.

Anh. §. 12. Der Militairgerichtsstand in allen Angelegenheiten der bürgerlichen Gerichtsbarkeit ist aufgehoben. Die Offiziere vom höchsten bis zum untersten Grade, ingleichen die Unterstabs-Bedienten und andere im Range ihnen gleich zu achtende Militairpersonen, ihre Frauen und Familien, haben ihren persönlichen Gerichtsstand bei dem Obergericht der Provinz.

Anh. §. 13. Feldwebel, Wachtmeister, Feuerwerker, Portd’epee-Fähnriche, Unteroffiziere und Gemeine, Kompagnie-Chirurgen, Stallmeister, Küster, Fahnenschmiede u. s. w., sind, in so fern sie nicht wegen ihres Standes einen andern Gerichtsstand haben, der Gerichtsbarkeit der Untergerichte der Garnisonstadt untergeordnet.

 Eine gleiche Bewandniß hat es mit den in der Garnisonstadt sich aufhaltenden Frauen und Familien solcher Militairpersonen. Wohnen die Frauen und Familien aber an einem anderen Orte; so bleiben sie nach Vorschrift des Allgemeinen Landrechts Th. II. Tit. X. §. 43. unter der Gerichtsbarkeit ihres Wohnorts.

Anh. §. 14. Die auf Urlaub befindlichen Soldaten behalten ihren Gerichtsstand vor dem Untergericht ihrer Garnisonstadt, in so fern sie nicht an dem Orte, wo sie sich zur Zeit des Urlaubs aufhalten, Gewerbe treiben, oder andere Gründe vorhanden sind, diesen Ort als ihren Wohnort zu betrachten, in welchem Falle sie dem Gerichte dieses ihres Wohnorts unterworfen sind.

Anh. §. 15. In allen Angelegenheiten, wobei es auf Untersuchung und Bestrafung ankommt, mit Einschluß der Injuriensachen, wird rücksichtlich der in Dienst befindlichen Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten, desgleichen wirklicher Militairpersonen, die nicht Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten sind, der Militairgerichtsstand beibehalten. Pensionirte Offiziere werden den im Dienst befindlichen gleich geachtet.


(38) Prozeßordnung. Zweiter Titel.

Anh. §. 16. In Ansehung der in Dienst befindlichen Offiziere macht es keinen Unterschied, ob sie wirklich in Dienstthätigkeit angestellt, mit Wartegeld oder halbem Solde versehen sind, oder nicht, indem nur die wirkliche ohne Pensionirung erfolgte Dienstentlassung den Militairgerichtsstand in Untersuchungs- und Injuriensachen aufheben kann. Alle andere Militairpersonen, die nicht Offiziere sind, haben den Militairgerichtsstand in Untersuchungs- und Injuriensachen nur dann, wenn sie im Dienst wirklich angestellt sind.

Anh. §. 17. Beurlaubte Unteroffiziere und Soldaten des effektiven Standes bleiben ohne Ausnahme in Untersuchungs- und Injuriensachen den Militairgerichten unterworfen und der Civilrichter ist nur zu solchen Verfügungen befugt und verbunden, welche keinen Aufschub leiden.

Auch muß der Civilrichter sich der Untersuchung unterziehen, wenn solche nach individueller Beschaffenheit des Vergehens nur an Ort und Stelle zu führen ist, oder wenn mehrere Personen des Civilstandes als Theilnehmer dabei konkurriren. Jedoch gebührt auch in diesem Falle das Erkenntniß über die beurlaubte Militairperson nach beendigter Untersuchung dem kompetenten Militairgericht.

Anh. §. 18. Die inaktiven, den Regiments-Kantons zugetheilten Soldaten, oder die sogenannten mit Laufpässen versehenen Krümper, ingleichen die auf unbestimmte Zeit beurlaubten Unteroffiziere und Soldaten von der Landwehr, sind in Betreff der Untersuchung aller gemeinen, den Dienst nicht betreffenden Vergehungen, so wie in Injuriensachen, den Civilgerichten ihres Aufenthaltsorts unterworfen, in so fern die Gesetze nur eine Gefängnißstrafe bis zu 14 Tage, oder eine Geldstrafe bis zu 10 Thaler bestimmen. Die Civilgerichte erkennen in solchen Fällen gegen diese Soldaten und vollstrecken das Erkenntniß, sind aber hiernächst gehalten, dem Kommandeur des Regiments oder Bataillons davon Nachricht zu geben. Die Vollstreckung der erkannten Gefängnißstrafe darf in keinem bloß zur Aufbewahrung eigentlicher Verbrecher bestimmten, oder der Gesundheit schädlichen Gefängnisse erfolgen.

 Auf körperliche Züchtigung oder sogenannte Ehrenstrafen können die Civilgerichte niemals erkennen.

 Die Verfügung auf das gegen ein bei den Civilgerichten ergangenes Erkenntniß angebrachte Milderungsgesuch verbleibt dem Landesjustizkollegio der Provinz.

Anh. §. 19. Die Ehefrauen, Familien, das Gesinde und die Angehörigen der Offiziere, Unteroffiziere, Soldaten


(39) Gerichtsstand.

und Militairpersonen stehen auch in Untersuchungs- und Injuriensachen unter den Civilgerichten.

Anh. §. 20. Die in Absicht des Gerichtsstandes der Militairpersonen ertheilten Vorschriften finden auch auf die Gensd’armerie Anwendung.

§. 49.

Eben diesen Gerichten sind Enrollirte, welche schon wirklich ausgehoben und zur Einrangirung beordert sind, wenn sie gleich noch nicht zur Fahne geschworen haben, ingleichen die niedern zum Kriegswesen verpflichteten Kriegsbeamten, so wie die Invaliden, in so fern sie ihren Regimentern oder Korps noch verpflichtet bleiben, unterworfen. (Allgemei nes Landrecht Th. II. Tit. X. §. 56.)

§. 50.

Die Generale und Kommandeurs der Regimenter, die zum Generalstabe gehörigen Personen, die bei der geheimen Kriegskanzlei angestellten Bedienten, und überhaupt alle diejenigen, welche zum Militairetat, jedoch nicht zu einzelnen, mit besonderen Gerichten versehenen Regimentern oder Korps gehören, müssen bei dem Generalauditoriat, oder bei den Gouvernementsgerichten belangt werden. (Allg. Landrecht a. a. O. §. 53. 54.)

§. 51.

Die Mitglieder und Subalternen des Oberkriegskollegii stehen, in so fern sie nicht etwa außerdem mit einem Militaircharakter als Offizier bei der Armee versehen sind, unter der Jurisdiktion des Kammergerichts.

§. 52.

In alle zur Militairgerichtsbarkeit gehörige Rechtsangelegenheiten dürfen die Civilgerichte sich nicht mischen. Doch sind dieselben schuldig und befugt, wenn ein ihrer Gerichtsbarkeit unterworfener Kläger, mit einer Beschwerde, wegen verweigerter oder verzögerter Rechtspflege von Seiten der Militairgerichte,


(40) Prozeßordnung. Zweiter Titel.

bei ihnen sich meldet, sich desselben bei dem Oberkriegskollegio anzunehmen.

γ. Civilbediente.

§. 53.

Sämmtliche zum Civilstande gehörige Königliche in wirklichen Diensten stehende, oder Titularräthe und Beamte sind als Eximirte zu betrachten, und gehören, als solche, unter das Obergericht der Provinz, ohne Rücksicht auf den ihnen sonst beigelegten höhern oder geringern Rang, und ohne Unterschied: ob sie zum Hofstaat, oder einem der Landesdepartements gehören. Die Ausnahmen sind §. 78. u. f. enthalten.

Anh. §. 21. Ein nach den Vorschriften des Allgemeinen Landrechts Th. II. Tit. XVII. §. 76 und folg. bestellter und in seinem Gerichtsbezirk auf dem platten Lande lebender Justitiarius ist den unmittelbar in Diensten des Staats sich befindenden Beamten gleich zu achten.

§. 54.

Königliche Pächter können auf diese Exemtion nur alsdann Anspruch machen, wenn sie mit einem Charakter begnadigt worden, oder doch als Generalpächter den Namen Königlicher Beamten führen.

§. 55.

Justizkommissarii und Notarii, die bei dem Landesjustizkollegio einer Provinz ordentlich recipirt und immatrikulirt worden, gehören zu den persönlich Eximirten. Wenn sie jedoch bei Untergerichten Rechtsangelegenheiten betreiben, so müssen sie in so weit die Jurisdiktion eines solchen Untergerichts anerkennen, und auch den Ordnungsstrafen desselben, so wie der Exekution zur Betreibung solcher Strafen, sich unterwerfen.

§.56.

Bloße Notarii, die wegen einer andern persönlichen Qualität nicht eximirt sind, stehen unter den gewöhnlichen Gerichten ihres Wohnorts.


(41) Gerichtsstand.

§. 57.

Die Subalternen der landschaftlichen Institute und Kreditsysteme sind für Eximirte zu achten, und also dem Obergerichte der Provinz unterworfen.

§. 58.

In Ansehung der Königlichen Bedienten niedern Ranges, stehet es den Obergerichten, unter Genehmigung der vorgesetzten Behörde, frei, den gewöhnlichen Gerichten jeden Orts die Gerichtsbarkeit über sie, in allen ihren Dienst nicht betreffenden Rechtsangelegenheiten ein für allemal zu übertragen, in so fern dieses nicht durch allgemeine Verordnungen, wie z. B. in Ansehung der Postillions und geringern Forstbedienten, bereits geschehen ist.

§. 59.

Königliche Titularbediente, welche einen auswärtigen Wohnsitz haben, und in den Königlichen Staaten nicht angesessen sind, können bei den hiesigen Gerichten nur alsdann belangt werden, wenn sie in den Königlichen Landen sich wirklich, wenn auch nur eine Zeit lang, aufhalten.

§. 60.

Auswärtiger Staaten wirkliche oder Titularbediente, in so fern dieselben überhaupt in Königlichen Landen belangt werden können, sind als Eximirte zu betrachten, und gehören unter diejenigen Gerichte, welchen Königliche Bediente von gleichem Range unterworfen sind.

Anh. §. 22. Fremde, durchreisende oder Zeitaufenthalt nehmende Militairpersonen, sie seyen wirklich im Dienst, oder haben nur einen Titel, stehen auch in Untersuchungs- und Injuriensachen unter den Civilgerichten, und wenn sie Offiziere sind, unter dem Obergerichte der Provinz.

§. 61.

Diese Exemtion wird jedoch bei einem Landesunterthan nur alsdann begründet, wenn er Königlichen Konsens, in auswärtige Dienste zu treten, oder einen


(42) Prozeßordnung. Zweiter Titel.

Charakter von einem fremden Hofe anzunehmen, erhalten hat.

§. 62.

Die am hiesigen Hofe akkreditirten Gesandten, Chargés d’affaires und Residenten auswärtiger Mächte, sind der hiesigen Gerichtsbarkeit nicht unterworfen.

§. 63.

Gegen Personen, die zu einer solchen Gesandtschaft gehören, oder in deren Diensten stehen, kann bei den hiesigen Gerichten keine Klage angenommen, sondern der Kläger muß an den Gesandten gewiesen, oder dem Departement der auswärtigen Angelegenheiten davon Anzeige gemacht werden.

§. 64.

Wird eine solche Person zum Zeugen vorgeschlagen, so kann sie der Richter nicht vorladen, sondern muß den Vorfall dem auswärtigen Departement anzeigen.

§. 65.

Die Konsuls fremder Nationen sind zwar in ihren Privatrechtsangelegenheiten den Gerichten des Landes, und zwar denjenigen unterworfen, zu welchen sie durch ihre sonstigen persönlichen Eigenschaften gewiesen werden. So lange sie aber in wirklicher Funktion stehen, und keine kaufmännischen Geschäfte in hiesigen Landen treiben, kann ohne Rückfrage an das auswärtige Departement kein Personalarrest wider sie Statt finden.

§. 66.

Wenn jemand, der zu einer fremden Gesandtschaft gehört, in hiesigen Landen Immobilien besitzt, so gilt von ihm alles das, was von dem dinglichen Gerichtsstande unten verordnet wird (§. 107 u. f.) Doch muß, wenn nicht von eigentlichen Realklagen die Rede, und der Gesandte, Chargés d’affaires (et)c. oder dessen Ehefrau selbst der Besitzer ist, vor Erlassung


(43) Gerichtsstand.

der Citation erst bei dem auswärtigen Departement angefragt werden.

§. 67.

Wenn hiesige Unterthanen bei fremden allhier residirenden Gesandten, Chargés d’affaires (et)c. in Dienste treten, so werden sie, so lange der Dienst dauert, in ihren Prozeßsachen von der Jurisdiktion der hiesigen Gerichte eximirt.

§. 68.

Hiesige Unterthanen weiblichen Geschlechts, die unter dem erforderlichen Konsens an fremde Gesandten, Residenten (et)c. oder an Personen ihres Gefolges von höherm Range sich verheirathen, gehen dadurch so wie in andern Fällen durch Heirath geschieht, in den Gerichtsstand ihrer Männer über. Bei den Ehefrauen der Domestiken und Bedienten eines Gesandten aber geschieht dieses nur alsdann, wenn entweder die Frau ebenfalls in den Diensten des Gesandten steht, oder wenn sie mit ihrem Manne zugleich in dem Hause des Gesandten wohnt.

§. 69.

Wenn eingebohrne Vasallen und Unterthanen die Erlaubniß erhalten, ein Kreditiv von einem fremden Hofe anzunehmen, so wird ihr Gerichtsstand nach den bei Ertheilung dieser Erlaubniß ihnen gemachten Bedingungen beurtheilt.

§. 70.

In so fern auswärtige Höfe wegen der hiesigen bei ihnen beglaubigten Gesandten verschiedene Grundsätze befolgen, bleibt dem hiesigen Staate ein gleiches zu thun vorbehalten.

§. 71.

Die Königlichen an auswärtigen Höfen akkreditirten Gesandten, Residenten und Chargés d’affaires, so wie alle zur Gesandtschaft gehörende Personen, haben ihren persönlichen Gerichtsstand bei dem mit dem Kammergerichte verbundenen Geheimen Justizrathe.


(44) Prozeßordnung. Zweiter Titel.

§. 72.

Doch werden dadurch, wenn sie, vor ihrer Verschickung auf Gesandtschaft, bereits einen ordentlichen persönlichen Gerichtsstand in hiesigen Landen gehabt haben, die übrigen davon abhangenden persönlichen Rechte nicht geändert. (Allg. L. R. Einleitung §. 42. 43.)

§. 73.

Die Mitglieder und Offizianten der Akademie der Wissenschaften und der Künste; die bei Ritterakademieen angestellten Stallmeister und Bereiter; ingleichen die zum Königlichen Theater oder zur Kapelle gehörenden Personen, so wie die Mitglieder des Berliner Nationaltheaters, sind als Eximirte zu betrachten.

Anh. §. 23. Zu den Eximirten gehören auch die Inspektoren, Kommissarien und Kontrolleurs in den Landarmen- und Invaliden-Häusern.

§. 74.

Diejenigen, welche akademische Würden nach vorhergegangener gesetzmäßiger Prüfung erlangt haben, Doctoren, Licentiaten, Magister (et)c., sind der Regel nach von den gewöhnlichen Gerichten ihres Wohnorts ausgenommen, und stehen, wenn sie sich auf Universitäten aufhalten, unter dem akademischen, sonst aber unter dem Obergerichte der Provinz.

§. 75.

Die Professoren sind als Königliche Bediente zu betrachten; bleiben aber, so lange sie in wirklichen Diensten stehen, dem akademischen Gerichte unterworfen.

§. 76.

Studenten stehen, während ihres Aufenthalts auf Universitäten, unter dem akademischen Gerichte. Nach geendigten Studien aber können sie auf keine Exemtion Anspruch machen; sondern bleiben dem Gerichtsstande ihrer Herkunft oder ihres Wohnorts


(45) Gerichtsstand.

so lange unterworfen, bis eine Veränderung desselben durch die Geschäfte, denen sie sich widmen, veranlaßt wird. Uebrigens wirkt ein solcher bloß temporeller Gerichtsstand keine Veränderung in den Gesetzen, nach welchen die Person und der Nachlaß eines solchen Studirenden zu beurtheilen sind. (§. 17-21.)

Anh. §. 24. Den Gerichtsstand der zu den Universitäten gehörigen Personen bestimmt das Reglement wegen Einrichtung der akademischen Gerichtsbarkeit vom 28sten Dezember 1810.

§. 77.

Von allen vorstehend benannten Eximirten des Geistlichen und Civilstandes gilt die Vermuthung, daß sie dem Obergerichte der Provinz, in welcher sie sich befinden, unterworfen sind. In wie fern hierunter, wegen der einigen Magisträten und Patrimonialgerichten verliehenen Privilegien, Ausnahmen statt finden, oder auch einige Klassen der Eximirten, wegen Entlegenheit von der Hauptstadt, oder aus andern Ursachen, bei Mediatregierungen oder besonderen Gerichten, andere hingegen nur allein bei dem höchsten Landesjustizkollegio der Provinz belangt werden können, wird durch die besondern Provinzialverfassungen bestimmt.

Fälle, in welchen der eximirte Gerichtsstand nicht statt findet.

§. 78.

Wenn ein Eximirter Handlung oder andere bürgerliche Gewerbe treibt, so kann er in allen daraus entspringenden, oder damit in Verbindung stehenden Streitigkeiten, von seiner Exemtion keinen Gebrauch machen.

§. 79.

Adliche und Eximirte, die in Städten wohnen, sind den allgemeinen städtischen Polizeieinrichtungen, und den auf deren Uebertretung gesetzten Strafen der Regel nach unterworfen. (Allg. L. R. Th. II Tit. VIII. §. 59.)


(46) Prozeßordnung. Zweiter Titel.

§. 80.

Der bloße Titel eines Kommerzien oder Geheimen Kommerzienraths wirkt, so lange der damit Begnadigte die Handlung fortsetzt, keine Exemtion; wenn er aber dieselbe ganz niederlegt, so hat er mit andern Königlichen Titularbedienten gleiche Exemtionsrechte.

§. 81.

Wie weit Militairpersonen, welche Grundstücke besitzen, der Civilgerichtsbarkeit unterworfen sind, ist im Allgemeinen Landrecht bestimmt. (Th. II. Tit. X. §. 13.)

§. 82 a. Wegen der Militairpersonen, die ein bürgerliches Gewerbe treiben, hat es bei den Vorschriften des Allgemeinen Landrechts Th. II. Tit. X. §. 25. sein Bewenden; und sind dieselben auch, wegen der ein solches Gewerbe betreffenden Rechtsangelegenheiten, dem Militairgerichtsstande, der Regel nach, unterworfen.

§. 82 b.

Wenn sie jedoch mit Vorwissen und Genehmigung ihres Chefs in eine bürgerliche Zunft oder Innung aufgenommen werden, so sind sie in allen ihren persönlichen Rechtsangelegenheiten, die entweder ihrer Natur nach, oder vermöge ausdrücklichen Inhalts des errichteten Vertrages, auf ihr Gewerbe Bezug haben, dem ordentlichen Gerichtsstande des Orts unterworfen.

§. 82 c.

Die Civilgerichte müssen aber von jeder gegen eine solche Militairperson bei ihnen angestellten Klage den Regimentsgerichten von Amts wegen Nachricht geben. Auch können Exekutionen gegen die Person und das bewegliche Vermögen solcher Militairpersonen nur durch Requisition der Regimentsgerichte vollstreckt werden.


(47) Gerichtsstand.

Wie der eximirte Gerichtsstand aufhöre.

§. 83.

Wenn ein Eximirter in Ansehung der Bedienung, wodurch er diese Qualität erlangt hat, auf sein Ansuchen, oder sonst in Gnaden, seine Dimission mit Beibehaltung seines Charakters erhält, so wird dadurch seine Exemtion nicht aufgehoben. Besonders stehen gewesene Refendarii bei Landeskollegiis, wenn ihnen dieser Charakter bei ihrer Entlassung nicht ausdrücklich vorbehalten worden, so lange sie aus keinem andern Grunde auf die Exemtion Anspruch machen können, unter den gewöhnlichen Gerichten ihres Wohnorts.

§. 84.

Entlassene Militairpersonen fallen, nach näherer Bestimmung des Landrechts (Th. II. Tit. X. §. 64. bis 67.), unter die Civilgerichtsbarkeit zurück. Ausländer, welche, nach erhaltener Dimission aus hiesigen Militairdiensten, die hiesigen Lande sogleich verlassen haben, ohne darin einen Wohnsitz zu nehmen, sind als Fremde anzusehen.

§. 85.

Durch erfolgte Kassation geht die in Rücksicht der vorigen Bedienung zugestandene Exemtion gänzlich verloren, und der kassirte Geistliche, Militair- oder Civilbediente wird den Untergerichten seines Wohnorts, oder denjenigen unterworfen, unter welchen er vor Erlangung der Exemtion gestanden hat.

§. 86.

Daß die §. 67. u. f. erwähnte Exemtion inländischer Unterthanen von der hiesigen Gerichtsbarkeit aufhöre, sobald das Verhältnis, wodurch sie begründet worden, nicht mehr Statt findet, versteht sich von selbst.

Gerichtsstand der Ehefrauen.

§. 87.

Ehefrauen haben jederzeit mit ihren Männern einerlei Gerichtsstand, und wenn sie auch durch ihre Geburt zu einer Exemtion berechtigt wären, so können


(48) Prozeßordnung. Zweiter Titel.

sie doch darauf, nach erfolgter Verheirathung an einen Nichteximirten, ferner keinen Anspruch machen.

§. 88.

Den Gerichtsstand von Ehefrauen von Unteroffizieren und gemeinen Soldaten, je nachdem dieselben ihren Männern in die Garnison gefolgt sind oder nicht, bestimmt das Landrecht (Th. II. Tit. X. §. 42. bis 46.). Doch stehen, wenn die Regimenter ins Feld gehen, die in den Garnisonen zurück bleibenden Frauen der Unteroffiziere und Soldaten, während solcher Zeit, unter den Civilgerichten des Orts.

§. 89.

Die zurück gebliebenen Eheweiber der Deserteurs behalten zwar den eximirten Gerichtsstand des Mannes so lange, bis sie sich scheiden lassen, oder der Tod, oder die erfolgte Entlassung des Mannes nachgewiesen, oder der Name des desertirten Mannes, vermöge eines kriegsrechtlichen Urtels, an den Galgen geschlagen worden. Die nach den Gesetzen Statt findende Verwaltung und Aufsicht über ihr Vermögen aber liegt, auf ergehende Requisition der Militairgerichte, den Civilgerichten des Standquartiers, oder des Orts ob, wo dieses Vermögen sich befindet. (Allg. Landrecht, Th. II. Tit. XX. §. 483. seq.).

Wittwen.

§. 90.

Die Wittwen behalten den Gerichtsstand ihrer Ehemänner, so lange sie den Wittwenstuhl nicht verrücken.

§. 91.

Die Wittwen der Oberförster und der mit selbigen gleichen Rang habenden Forstbedienten, ingleichen der niedrigen Subalternen bei den Königlichen Kollegiis, als da sind Kopisten, Landreiter, Kanzelleidiener, Boten, und die mit selbigen in eine Klasse gehören, fallen, wenn gleich die Männer während


(49) Gerichtsstand.

ihrer Lebenszeit die Exemtion genossen haben, an die Untergerichte ihres Wohnorts.

Anh. §. 25. Die Wittwen der Kanzellisten behalten den Gerichtsstand ihrer Männer.

Anh. §. 26. Die Regulirung des Nachlasses derjenigen Civilbedienten, über welche schon bei deren Leben die Gerichtsbarkeit den Untergerichten übertragen gewesen, gebührt diesen Untergerichten. Auch die Verlassenschaften der eximirten Forstbedienten, deren Wittwen und Kinder nach dem Cirkular vom 12ten Januar 1776. den Untergerichten zufallen, sind von diesen Untergerichten zu reguliren.

§. 92.

Wittwen der Militairpersonen stehen unter denjenigen Gerichten, welchen ihre Ehemänner, nach Anleitung §. 84., nach erhaltener Dimission würden unterworfen gewesen seyn. Eben darnach wird auch bestimmt, bei welchen Gerichten die Regulirung des Nachlasses einer Militairperson erfolgen solle.

§. 93.

Die Wittwen der Gesandten, Chargés d’affaires, und Residenten auswärtiger Höfe können, wenn sie entweder vor ihrer Verheirathung Landesunterthanen gewesen sind, oder nach dem Tode ihrer Männer in hiesigen Landen bleiben wollen, auf Befreiung von den hiesigen Gerichtsbarkeiten keinen Anspruch machen.

Geschiedene Frauen.

§. 94.

Der Gerichtsstand geschiedener Ehefrauen ist nach der Vorschrift des allgemeinen Landrechts (Th. II. Tit. I. §. 738. 739. Tit. X. §. 47.) zu bestimmen.

Kinder.

§. 95.

Auch bei Kindern der Eximirten aus einer Ehe zur rechten Hand finden die Vorschriften §. 18. u. f. Anwendung.

Anh. §. 27. Die Ober-Vormundschaft über die Kinder der im §. 91. dieses Titels bezeichneten niedern Offizianten mit Ausschluß der Kanzellisten bei den Landeskollegien, ingleichen über die Kinder der Schullehrer


(50) Prozeßordung. Zweiter Titel.

mit Ausschluß der Rektoren, gebührt den Untergerichten des Wohnorts des Vaters. Dasselbe findet in Absicht der Ober-Vormundschaft über die Kinder derjenigen Personen Statt, welche bei ihrem Leben vermöge einer besonderen Uebertragung der Jurisdiktion den Untergerichten unterworfen gewesen sind.

§. 96.

Auch Kinder der Militairpersonen sind dem Militairgerichtsstande des Vaters unterworfen, und nach dessen Tode oder Entlassung werden sie nach der Vorschrift §. 84. und 92. beurtheilt.

§. 97.

Sind jedoch Kinder von Unteroffizieren und Soldaten auf ein Handwerk, oder bei Civilpersonen in Dienste gegeben worden, so gehören dieselben unter den Gerichtsstand ihrer Meister oder Dienstherrschaften.

§. 98.

Die Exemtion der Kinder dauert überhaupt nur so lange, bis sie eine Bedienung erhalten, ein Gewerbe anfangen, oder durch Heirath oder sonst in einen anderen Gerichtsstand übergehen.

§. 99.

Kinder aus einer Ehe zur linken Hand, ingleichen uneheliche Kinder, folgen dem Gerichtsstande der Mutter.

Offizianten und Gesinde.

§. 100.

Prinzliche Räthe, ingleichen der Prinzen und Prinzessinnen oder anderer Eximirten Hausoffizianten, Livreebedienten und Gesinde, stehen während ihres Dienstes unter eben den Gerichten, wie ihre Herrschaft; ohne Unterschied, ob selbige Militair- oder Civilgerichte sind.

Anh. §. 28. Die auf dem Lande oder überhaupt in dem Patrimonial-Jurisdiktionsbezirk einer Gutsherrschaft sich befindenden Hausoffizianten und Wirthschaftsbediente derselben, ingleichen deren Gesinde, sind, wo nicht Provinzialgesetze oder besondere Verträge entgegen stehen, der Patrimonialgerichtsbarkeit unterworfen.


(51) Gerichtsstand.

§. 101.

Es bleibt jedoch den Landesjustizkollegiis überlassen, auf die §. 58. bemerkte Art die Gerichtsbarkeit über die zu dieser Klasse gehörenden Personen niederen Standes den Untergerichten ihres Wohnorts zu übertragen, in so fern nicht bereits durch allgemeine Verordnungen, wie z. B. in Berlin, geschehen ist.

Anh. §. 29. Die den Landesjustizkollegien ertheilte Befugniß, die Gerichtsbarkeit den Untergerichten zu übertragen, erstreckt sich nicht auf die Königliche Hofdienerschaft, mit Einschluß der Kammerdiener, Kastellane, Hofgärtner, Stallmeister u. s. w.

§. 102.

Königliche und Prinzliche Livreebediente, ingleichen alle nicht charakterisirte Offizianten, kehren nach erhaltener Dimission unter ihre vorige Gerichtsbarkeit zurück, oder werden den Untergerichten des Orts, wo sie ihren Wohnsitz aufschlagen, unterworfen.

d) durch die Eigenschaft einer moralischen, oder

§. 103.

Zu den moralischen Personen, welchen die Gesetze einen besondern persönlichen Gerichtsstand beigelegt haben, gehören Domkapitel, Kollegiatstifter, Klöster, Magisträte und Gerichte der unmittelbaren Städte; ingleichen Stadtgemeinen in solchen Städten, welche der Regel nach nur bei dem Obergerichte der Provinz belangt werden können.

Anh. §. 30. Diejenigen moralischen Personen, welche unter mittel- oder unmittelbarer Verwaltung der Regierungen stehen, können deshalb auf einen eximirten Gerichtsstand keinen Anspruch machen. Dagegen verbleibt es in Absicht der Magisträte und Stadtgemeinen in den unmittelbaren Städten bei der Vorschrift der allgemeinen Gerichtsordnung.

§. 104.

Dieß Privilegium erstreckt sich aber so wenig auf Zünfte, Gilden oder Gewerke, als auf einzelne Mitglieder der Magisträte oder Gerichte; vielmehr kommt es in Ansehung der letzten darauf an: in wie fern


(52) Prozeßordnung. Zweiter Titel.

sie wegen ihres Standes oder Charakters auf Exemtion Anspruch haben, oder weil sie in ihren eigenen Sachen nicht Richter seyn können, in Ansehung ihrer ein außerordentlicher Gerichtsstand nach der unten erfolgenden Vorschrift Statt findet. (§. 146)

§. 105.

Dorfgemeinen müssen, wo nicht Provinzialgesetze ein anderes bestimmen, bei ihren Patrimonialgerichten belangt werden. Ist jedoch die Gutsherrschaft Kläger, so kann die Gemeine, oder auch nur die in Anspruch genommene einzelne Klasse derselben, die Einlassung vor dem Gerichtshalter ablehnen; und alsdann muß das Obergericht der Provinz sich der Instruktion und Entscheidung der Sache schon in erster Instanz unterziehen. (Allg. L. R. Th. II. Tit. XVII. §. 41. 42. 43.)

Anh. §. 31. Die hier gegebenen Vorschriften finden auch auf die Judengemeinen in den Mediatstädten Anwendung.

e) einer mitleidenswürdigen Person begründet wird.

§. 106.

Das bisher üblich gewesene sogenannte forum miserabilium personarum fällt künftig weg; da die Untergerichte gegenwärtig besser bestellt und eingerichtet sind, und der Zutritt zu dem Oberrichter, auf dem Wege der Appellation oder des Rekurses, einer jeden Partei, auch der ärmsten, ohne Schwierigkeiten und Kosten offen steht.

II) Vom dinglichen Gerichtsstande.

§. 107.

Der dingliche Gerichtsstand (§. 4. 5.) erstreckt sich auf alle unbewegliche Sachen ohne Ausnahme.

§. 108.

Vermöge dieses dinglichen Gerichtsstandes sind der unmittelbaren Jurisdiktion der Landesjustizkollegien untergeordnet: sämmtliche geistliche, ritterfreie und zu adlichen Rechten verliehene Güter und Grundstücke der Universitäten und anderer gelehrten Schulen. Hingegen sind Grundstücke, die zu einer


(53) Gerichtsstand.

gemeinen Schule gehören, von der ordentlichen Realjurisdiktion des Orts in der Regel nicht ausgenommen. (Allg. L. R. Th. II. Tit. X. §. 20.)

Anh. §. 32. Die dingliche Gerichtsbarkeit, welche einigen Militairgerichten sonst zustand, ist auf die ordentliche bürgerliche Gerichtsbarkeit, vor welche andere Grundstücke gleicher Art der Provinz oder des Orts gehören, übergegangen.

§. 109.

Wenn der Eigenthümer eines der unmittelbaren Gerichtsbarkeit eines Obergerichts unterworfenen Grundstücks auf demselben wohnt, so hat er, selbst wenn er sonst nach seiner Geburt, seinem Stande, oder seinem Charakter unter dasselbe nicht gehören würde, dennoch bei diesem Obergerichte auch seinen persönlichen Gerichtsstand. Doch fällt dieser persönliche Gerichtsstand weg, sobald der Eigenthümer seinen ordentlichen Wohnsitz unter einer anderen Jurisdiktion aufschlägt, oder das Grundstück veräußert.

Anh. §. 33. Ein Ehemann, welcher auf dem seiner Ehefrau zugehörigen Grundstücke wohnt, kann, wenn er sonst für seine Person nicht eximirt ist, auf den unmittelbaren Gerichtsstand unter dem Obergerichte keinen Anspruch machen.

Die Besitzer der veräußerten Domainen-, Erbpacht- und Erbzins-Vorwerke, welche in das bei den Landeskollegien geführte Hypothekenbuch übernommen sind, haben ihren Gerichtsstand bei dem Obergerichte; die übrigen auf solchen Vorwerken wohnenden Personen hingegen, welchen keine Exemtion zustehet, bleiben den Gerichten ihres Wohnorts unterworfen.

§. 110.

Wenn von den Regeln in Ansehung des dinglichen Gerichtsstandes (§. 5. 52. 107. 108.) eine Ausnahme behauptet wird, so muß dieselbe durch Statuten oder Provinzialgesetze, oder durch besondere Privilegia begründet werden.

§. 111.

In dem Gerichtsstande der Sache können nur Klagen, bei welchen ein dingliches Recht auf die


(54) Prozeßordung. Zweiter Titel.

Sache zum Grunde liegt, nicht aber bloß persönliche angestellt werden.

§. 112.

Eine Ausnahme von dieser Regel findet jedoch Statt, wenn gegen den Besitzer unbeweglicher Güter eine solche persönliche Klage angestellt wird, welche aus dem Besitze des Grundstücks, oder aus Handlungen fließt, die er in der Eigenschaft als Gutsbesitzer vorgenommen hat.

§. 115.

Wenn daher ein solcher Gutsbesitzer

1) die mit seinem Pächter oder Verwalter eingegangenen Verbindlichkeiten zu erfüllen, oder

2) die zum Besten des Grundstücks geleisteten Vorschüsse oder gelieferten Materialien und Arbeiten zu vergüten sich weigert; oder

3) die Patrimonialgerichtsbarkeit oder den Dienstzwang mißbraucht; oder

4) seinen Nachbar im Besitze stört; oder

5) sich eines auf das benachbarte Grundstück zustehenden Rechts berühmt; oder

6) wenn er das Grundstück ganz oder zum Theil veräußert, und den Kontrakt nicht erfüllt, oder die schuldige Gewähr nicht leistet:

so muß derselbe in allen diesen Fällen bei dem Gerichtsstande der Sache Recht nehmen, wenn sein Gegner ihn in seinem persönlichen Gerichtsstande nicht belangen will.

§. 114.

Wenn in Provinzen, wo der Landsassiat Statt findet, ein Ausländer ein adliches Gut besitzt, oder an einem hiesigen Lehngute in die gesammte Hand aufgenommen ist, so kann er von hiesigen Unterthanen bei demjenigen Gerichtsstande, welchem das ihm gehörende oder zur gesammten Hand verliehene Gut unterworfen ist, auch mit persönlichen Klagen belangt werden.


(55) Gerichtsstand.

Anh. §. 34. Jeder Ausländer, welcher in den Preußischen Staaten bewegliches oder unbewegliches Vermögen besitzt, kann von einem Preußischen Unterthan, bei demjenigen Gericht, unter welchem sich dieses Vermögen befindet, auch wegen persönlicher Forderungen zum Zweck der Befriedigung aus dem im Lande befindlichen Objekte in Anspruch genommen werden.

§. 115.

Wenn einem Kläger in Ansehung desselben Anspruchs zugleich ein persönliches und ein dingliches Recht zusteht, so hat derselbe die Wahl: ob er seine Klage in dem persönlichen Gerichtsstande des Beklagten, oder bei dem Richter der Sache anstellen wolle. Hat er einmal gewählt, so muß er sich die daraus fließenden Folgen in Ansehung der Art und Grade der Exekution gefallen lassen.

§. 116.

Der dingliche Gerichtsstand in Ansehung beweglicher Sachen findet nur alsdann Statt, wenn die Klage auf ein Eigenthums- oder Pfandrecht sich gründet, und der Besitzer oder Inhaber keinem ordentlichen persönlichen Gerichtsstande in hiesigen Landen unterworfen ist.

§. 117.

Wie durch Arrestschlag auf eine bewegliche Sache der dingliche Gerichtsstand derselben an dem Orte, wo sie sich befindet, in so weit, als über die Zulässigkeit des Arrestes zu erkennen ist, begründet werde, wird in dem Titel von Arresten näher bestimmt.

§. 118.

Ist der, gegen welchen der Arrest erkannt worden, ein hiesiger Unterthan, so muß die weitere Ausführung des Anspruchs, welcher durch den Arrestschlag sicher gestellt werden soll, an den ordentlichen Gerichtsstand verwiesen werden.

§. 119.

Ein Ausländer hingegen, wider welchen ein Arrest in hiesigen Landen, es sey auf den Antrag eines


(56) Prozeßordung. Zweiter Titel.

Inländers oder eines anderen Ausländers, verhängt ist, muß vor dem Gerichte, welches denselben angelegt hat, auch in der Hauptsache sich einlassen.

§. 120 a.

Wo wegen der Arreste gegen Ausländer besondere Verträge mit benachbarten Staaten, oder besondere Provinzialgesetze vorhanden sind, hat es dabei ferner sein Bewenden. Doch folgt aus der Unzulässigkeit eines Arrestes wegen Schulden noch nicht, daß auch die Befugniß, Eigenthums- oder Pfandrechte an jedem Orte, wo die Sache sich befindet, zu verfolgen (§. 116.), dadurch aufgehoben sey.

§. 120 b.

Wie weit bei begangenen Defraudationen eines Privatzolles, ingleichen durch Pfändungen, ein Gerichtsstand begründet werden könne, ist im Allgemeinen Landrechte vorgeschrieben. (Th. I. Tit. XIV. §. 437. 455. Th. II. Tit. XV. §. 130. u. f.)

§. 121.

Der Gerichtsstand einer Erbschaft, als eines Inbegriffs von Sachen und Rechten, ist da, wo der Erblasser, zur Zeit seines Ablebens, seinen ordentlichen persönlichen Gerichtsstand gehabt hat.

§. 122.

So lange der Erbe die Erbschaftsgläubiger und Legatarien noch nicht befriedigt hat, kann er von ihnen in dem Gerichtsstande der Erbschaft belangt werden.

§. 123.

Will der Erbe unbekannte Erbschaftsgläubiger verpflichten, ihn nur in seinem gewöhnlichen Gerichtsstande in Anspruch zu nehmen, so muß er die Vorschriften des Allgemeinen Landrechts im Ersten Theile Tit. XVII. §. 137. u. f. beobachten.

§. 124.

Auch hat es bei eben diesen Vorschriften §. 131. u. f. für den Fall, wenn mehrere Miterben vor


(57) Gerichtsstand.

Berichtigung der Erbschaftsschulden und Legate in den Nachlaß sich theilen, sein Bewenden.

§. 125.

Ansprüche wegen eines Erbrechts können in dem Gerichtsstande der Erbschaft so lange angebracht werden, als daselbst noch ein Theil des Nachlasses, an welchen der Kläger sich halten kann, vorhanden ist.

III. Von dem ordentlichen Gerichtsstande gewisser Angelegenheiten und Geschäfte.

§. 126.

Zu den Angelegenheiten und Geschäften, welchen wegen ihrer besonderen Beschaffenheit ein eigener Gerichtsstand angewiesen ist (§. 6.), gehören zuvörderst alle Prozesse, in welchen der Fiskus als Kläger, Beklagter, Intervenient, oder Litisdenunciat erscheint; und die insgesammt, so bald der Fiskus es verlangt, bei dem Landesjustizkollegio der Provinz verhandelt werden müssen.

Anh. §. 35. Der privilegirte Gerichtsstand des Fiskus findet nicht ferner Statt; vielmehr ist derselbe jederzeit bei demjenigen Gericht zu klagen und sich einzulassen verbunden, vor welches die Sache gehören würde, wenn von einem Streite zwischen Privatpersonen die Rede wäre.

Nur wenn der Gegenstand des Streites unter unmittelbarer Verwaltung der Regierung steht, muß die Klage gegen den Fiskus bei dem Obergericht angestellt werden.

Anh. §. 36. So lange die neue Einrichtung der Untergerichte und Polizeibehörden noch nicht vollendet ist, können besondere Fälle vorkommen, in welchen die Regierungen es für nöthig achten, der Beihülfe der Justizbeamten zur Einziehung der Information und der Assistenz derselben bei Führung des Prozesses selbst sich zu bedienen. In diesen Fällen sind die Obergerichte authorisirt, auf den jedesmaligen Antrag der Regierung die Instruktion fiskalischer Civilprozesse in erster Instanz vor sich zu ziehen.

§. 127.

Wenn hingegen Fiskus nur einer oder der anderen Partei beisteht, oder auf den Ausgang eines Prozesses Acht giebt, so wird dadurch der Gerichtsstand nicht verändert.


(58) Prozeßordnung. Zweiter Titel.

§. 128.

Alle Sponsalien und Ehesachen gehören in der Regel, und wenn nicht etwa durch Provinzialgesetze Ausnahmen bestimmt, oder einem Magistrate oder anderen Untergerichte Konsistorialrechte durch besondere Privilegia beigelegt sind, vor das Oberjustizkollegium der Provinz, in welcher der beklagte Theil, oder der Ehemann seinen Wohnsitz hat.

Anh. §. 37. Die Sponsalien und Ehesachen gehören jederzeit vor diejenigen Gerichte, welchen der Beklagte, oder der Ehemann persönlich unterworfen ist.

§. 129.

Wenn ein Ausländer, der auswärts seinen Wohnsitz hat, oder diesen seinen auswärtigen Wohnsitz verschweigt, während seines Aufenthalts in hiesigen Landen eine hiesige Unterthanin heirathet, ohne ihr bekannt zu machen, daß er in hiesigen Landen zu bleiben nicht gemeint sey; so kann, wenn er auch daselbst einen ordentlichen Wohnsitz nicht aufgeschlagen, und nach geschlossener Ehe sich wiederum entfernt hätte, dennoch bei dem Landesjustizkollegio der Provinz, in welcher die Ehe geschlossen worden, auf deren Trennung wider ihn geklagt werden.

Anh. §. 38. Außer dem hier bezeichneten Falle ist die Ehescheidungsklage einer hiesigen Unterthanin gegen ihren ins Ausland zurück gegangenen Ehemann bei den diesseitigen Gerichten nicht zulässig. Diese Klage muß – selbst wenn auch die Klägerin aus anderen Gründen nicht unbedingt schuldig seyn sollte, ihrem Ehemanne ins Ausland zu folgen – in dem persönlichen Gerichtsstande des Letztern angebracht werden.

§. 130.

Was außerdem für Arten von Sachen oder Geschäften besondern Gerichten angewiesen sind, und wie weit die Jurisdiktion dieser Gerichte sich erstrecke, deshalb kann hier eine allgemeine Bestimmung nicht erfolgen; und hat es vielmehr bei den darüber vorhandenen besondern Reglements und Verordnungen, nach den verschiedenen Verfassungen der Provinzen


(59) Gerichtsstand.

und Departements, vor der Hand auch noch ferner sein Bewenden. Es können daher hier nur beispielsweise die Kammer-, Medizinal-, Kommerzien-, Fabriken-, Bau- und Gesindesachen, ingleichen die Vergehungen wider die Münz -, Post -, Accise -, Zoll - (et)c. Reglements angeführt werden.

Anh. §. 39. Die der Landespolizei und den Finanzbehörden sonst übertragen gewesene Rechtspflege ist an die gewöhnlichen Gerichte übergegangen.

B. Von dem außerordentlichen Gerichtsstande.

I. wegen streitiger Jurisdiktion.

§. 131.

Zu den einzelnen Fällen, in welchen, nach den Gesetzen, zur Beförderung einer promptern und unparteiischen Rechtspflege ein außerordentlicher Gerichtsstand Statt findet (§. 7. n. I.) gehört zuvörderst, wenn die Jurisdiktion zwischen zwei Gerichten streitig ist; da alsdann den Parteien nicht angemuthet werden kann, die Verfolgung ihres Rechts so lange, bis dieser Streit geendigt worden, zu verschieben.

§. 132.

Wenn der Streit zwischen zwei Untergerichten derselben Provinz, oder einem Untergerichte und dem ihm vorgesetzten Obergerichte obwaltet; so muß die unterdessen zur Sprache gekommene Rechtsangelegenheit in beiden Fällen bei diesem Obergerichte, oder einem von demselben ernannten benachbarten Untergerichte, verhandelt werden.

§. 133.

Wenn hingegen zwei Untergerichte verschiedener Provinzen, oder zwei Obergerichte streiten, so muß der Fall dem Justizdepartement angezeigt werden, welches sodann nach Beschaffenheit der Umstände bestimmen wird, bei welchem Gericht die Sache, mit Vorbehalt beiderseitiger Rechte, vermöge besondern Auftrags erörtert und entschieden werden soll.

§. 134.

Wenn Landesjustizkollegia und Kriegs- und Domainenkammern wegen der Gerichtsbarkeit in


(60) Prozeßordnung. Zweiter Titel.

Streit gerathen, so entscheidet die Jurisdiktionskommission, und der Prozeß unter den Privatparteien muß inzwischen ausgesetzt werden.

§. 135.

Wird der Gerichtsstand erst nach der Zeit, da die Klage beantwortet worden, streitig, so muß wenn nicht etwa die Versendung der Akten selbst zur Verurtheilung und Entscheidung des Jurisdiktionsstreits unumgänglich nothwendig ist, die Instruktion der Sache bei demjenigen Gerichte, wo sie ihren Anfang genommen hat, in der Instanz, in welcher der Streit entstanden ist, bis zur wirklichen Einlangung des Konklusi der Jurisdiktionskommission, oder, wenn dieses nicht früher eingeht, bis zum Schlusse fortgesetzt, und nur die Abfassung des Erkenntnisses bis nach entschiedenem Jurisdiktionsstreite verschoben werden.

2) wegen zu verhütender Vervielfältigung der Prozesse.

§. 136.

Wenn gegen mehrere Personen wegen derselben Anforderung Klage erhoben werden soll, und diese bei verschiedenen Untergerichten in Einer Provinz belangt werden müßten; so steht dem Kläger frei, bei dem Obergerichte der Provinz dahin anzutragen, daß dieses, um die sonst entstehende Vervielfältigung der Prozesse zu vermeiden, sich der Verhandlung der Sache selbst unterziehe, oder ein Untergericht dazu in Ansehung sämmtlicher Beklagten anweise.

§. 137.

Ein Gleiches findet Statt, wenn in diesem Falle einige der Beklagten dem Obergerichte, andere hingegen einem oder mehrern Untergerichten derselben Provinz unterworfen sind.

§. 138.

Wenn hingegen die Beklagten bei verschiedenen Ober- oder privilegirten Gerichten, oder bei Untergerichten verschiedener Provinzen belangt werden müßten; so ist dem Justizdepartement davon Anzeige


(61) Gerichtsstand.

zu thun, welches bestimmen wird: ob und bei welchem Gerichte sämmtliche Beklagte Recht nehmen sollen, oder ob jeder in seinem besondern Gerichtsstande belangt werden müsse.

§. 139.

Wenn die mehrern Beklagten theils unter Civil-, theils unter Militairgerichten stehen, so muß wegen Bestimmung des gemeinschaftlichen Gerichtsstandes mit dem Generalauditoriat Rücksprache genommen werden.

§. 140.

Obige Vorschriften (§. 136-139.) finden besonders alsdann Statt, wenn gegen mehrere Erben, nach getheilter Erbschaft, aus einem Anspruche an den gemeinschaftlichen Erblasser geklagt werden soll, und der Gerichtsstand der liegenden Erbschaft nicht mehr Statt findet. (§. 125.)

§. 141.

In wie fern durch die Eröffnung eines Konkurses die wider den Gemeinschuldner schwebenden Separatprozesse vor den Richter gezogen werden, bei welchem der Konkurs verhandelt wird, ist im Funfzigsten Titel bestimmt.

3) wegen verweigerter oder verzögerter Rechtspflege.

§. 142.

Wenn das gehörige Gericht prompte und unparteiische Justiz zu pflegen verweigert, so steht dem Kläger frei, bei dessen vorgesetzter Instanz Hülfe zu suchen. Alsdann hängt es von dem Ermessen des Obergerichts ab, in wie fern das gehörige Gericht nur durch zweckmäßige Zwangsmittel zu seiner Schuldigkeit anzuhalten, oder der Prozeß von selbigem ganz ab-, und entweder vor das Obergericht selbst zu ziehen, oder einem andern benachbarten Gerichte zur Instruktion und Entscheidung zu übertragen sey.

4) wegen gegründeten Verdachts gegen den gehörigen Richter.

§. 143.

Wenn der gehörige Richter bei dem Ausfalle des Prozesses ein nahes, oder auch nur ein entferntes Interesse hat;


(62) Prozeßordnung. Zweiter Titel.

Oder wenn derselbe mit einer Partei in auf- oder absteigender Linie, oder im vierten Grade der Seitenlinie verwandt oder verschwägert, oder mit einer Partei oder deren nahen Verwandten verlobt ist, oder in Heirathsunterhandlungen steht, oder sich von einer der streitenden Parteien als Konsulent hat gebrauchen lassen;

Oder mit einer Partei in offenbarer Feindschaft lebt; (A.L. R. Th. II. Tit. XVIII. §. 145. 146.)

Oder in der Sache zum Zeugen aufgestellt werden soll; so ist diejenige Partei, welche sich vor einem solchen Untergerichte einzulassen Bedenken trägt, auf die Verweisung der Sache an das Obergericht der Provinz anzutragen berechtigt.

Ist das Gericht, bei welchem ein solcher Anstand sich ereignet, selbst ein Obergericht, so muß die Sache dem Justizdepartement angezeigt werden, welches sodann, wenn die Anzeige richtig befunden ist, den erforderlichen Auftrag an ein anderes Obergericht veranlassen wird.

Dahingegen soll auf bloße Vermuthungen der Parteien, daß sie von dem Gerichte kein günstiges Urtel zu erwarten hätten, wenn sie auch dieses ihr Mißtrauen eidlich erhärten wollten (Juramentum perhorrescentiae), keine Rücksicht genommen werden.

Anh §. 40. Schwebt die Sache bei einem Untergerichte, und ist der Richter im fünften oder sechsten Grade der Seitenlinie mit einer Partei verwandt oder verschwägert; so wird er zwar dadurch zur Ausübung seines Amts nicht unfähig; es muß aber doch, wenn der Gegner ausdrücklich darauf anträgt, die Kognition der Sache einem andern Untergerichte übertragen werden. In weitern Graden der Verwandtschaft wird auf die Rekusation keine Rücksicht genommen.

§. 144.

Besteht das Gericht aus mehrern zur Justiz verpflichteten Mitgliedern, so bewirken dergleichen Umstände (§. 143.) nur, daß dasjenige Mitglied, auf


(63) Gerichtsstand.

welches sie Anwendung finden, nicht nur von aller unmittelbaren Bearbeitung der Sache ausgeschlossen werden, sondern auch bei allen darin zu haltenden Vorträgen sich aus dem Sessionszimmer entfernen, und überhaupt sich seines Voti durchgehends enthalten muß. Besorgt eine Partei, daß ein solches Mitglied sich dieser seiner Pflicht nicht von selbst erinnern werde, so steht derselben frei, dem Präsidenten oder Dirigenten des Kollegii davon Anzeige zu thun, und seine Angabe nöthigen Falls zu bescheinigen.

§. 145.

Wenn bei dem Präsidenten oder Dirigenten selbst einer der §. 143. bemerkten Umstände vorwaltet; so soll die Sache, auf Verlangen der einen nachtheiligen Einfluß besorgenden Partei, bei der vorgesetzten Instanz, oder, in deren Ermangelung, bei dem mit dem Kammergericht verbundenen Geheimen Justizrathe verhandelt werden.

§. 146.

Wenn bei Untergerichten, welche gewöhnlich nur mit wenigen zur Justiz verpflichteten Mitgliedern besetzt sind, eines dieser Mitglieder als Kläger, Beklagter, Intervenient, oder Litisdenunciat in eine daselbst rechtshängige Sache verwickelt wird; so steht dessen Gegner frei, darauf zu dringen, daß die Instruktion und Entscheidung dem Obergerichte überlassen, oder von diesem einem benachbarten unparteiischen Gerichte aufgetragen werde.

§. 147.

Eine gleiche Provokation steht auch den Präsidenten und Dirigenten der Kollegien, so wie den zur Justiz verpflichteten Mitgliedern der Untergerichte frei, wenn sie dadurch ihren Gegner den Verdacht einer obwaltenden Parteilichkeit zu benehmen nöthig finden.


(64) Prozeßordnung. Zweiter Titel.

5) wegen des unter einem Gerichtsstande geschlossenen Vertrags.

§. 148.

Zu den Fällen, da wegen einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Einwilligung des Beklagten ein außerordentlicher Gerichtsstand Statt findet (§. 7. n. 2.) gehört es zuvörderst, wenn wegen eines Kontrakts bei den Gerichten des Orts, wo derselbe geschlossen worden, oder erfüllt werden soll, geklagt wird.

§. 149.

Ist in dem Vertrage ein Ort bestimmt, wo die übernommene Verbindlichkeit erfüllt werden soll, so ist an diesem, sonst aber da, wo der Vertrag seine verbindliche Kraft erhalten hat, der Gerichtsstand des Kontrakts.

§. 150.

Dieser Gerichtsstand des Vertrages ist jedoch nur alsdann begründet, wenn der zu belangende Kontrahent sich an dem Orte, wo der Kontrakt verbindliche Kraft erhalten hat, oder in Erfüllung gebracht werden soll, antreffen läßt.

§. 151.

In diesem Gerichtsstande kann sowohl die Erfüllung, als die Aufhebung des Kontrakts rechtlich gefordert werden.

§. 152.

Es ist aber niemand schuldig, wider seinen Willen in dem Gerichtsstande des Kontrakts zu klagen; sondern es steht ihm frei, seine Klage in dem ordentlichen persönlichen oder dinglichen Gerichtsstande anzustellen.

§. 153.

Wer einer persönlichen Exemtion genießt, muß, wenn er auch in dem Gerichtsstande des Kontrakts belangt werden soll, doch nur bei den Gerichten desselben Orts oder Distrikts, denen die daselbst wohnenden Eximirten unterworfen sind, in Anspruch genommen werden.

§. 154.


(65) Gerichtsstand.

6) wegen der unter einem Gerichtsstande geführten Verwaltung.

§. 154.

Bei dem Gerichtsstande, unter welchem jemand fremdes Gut oder Vermögen bewirthschaftet oder verwaltet hat, muß er auch auf die wegen solcher Administration angestellten Klagen sich einlassen.

§. 155.

Dieser Gerichtsstand der Verwaltung hört aber auf, wenn die Administration völlig beendigt, und der Verwalter über die gelegte Rechnung quittirt ist. Wenn daher nur ein aus der quittirten Rechnung verbliebener Rückstand gefordert, oder eine ertheilte Quittung angefochten wird, so kann dieses nicht bei dem vormaligen Gerichtsstande der geführten Verwaltung geschehen.

§. 156.

Wenn sich jemand einer solchen Administration weder aus eigener Bewegung, noch auf Ansuchen des Eigenthümers, sondern auf obrigkeitlichen Befehl unterzogen hat, so kann er deshalb nur bei derjenigen Behörde, von welcher die Administration veranlaßt worden, in so fern dieselbe überhaupt mit Gerichtsbarkeit versehen ist, belangt werden.

§. 157.

Vermeint der Eigenthümer, daß ihm durch die Anordnung der Administration, oder durch die Art derselben, zu nahe geschehe; so muß er bei der dieser Obrigkeit vorgesetzten Instanz rechtliche Hülfe nachsuchen.

§. 158.

Auch wenn der Gerichtsstand der geführten Verwaltung an sich zulässig ist, kann dennoch der Kläger seinen Gegner, außer dem Falle des §. 156., auch in desselben ordentlichem Gerichtsstande belangen.

7) wegen nothwendiger und

§. 159.

Wie weit ein Kläger in eben dem Gerichtsstande wo er die Klage angestellt hat, sich auch auf eine von dem Beklagten erhobene Widerklage, es sey in eben


(66) Prozeßordnung. Zweiter Titel.

demselben, oder in einem besondern Prozesse, einlassen müsse, wird unten im Neunzehnten Titel bestimmt.

3) wegen freiwilliger Prorogation.

§. 160.

Wenn ein Beklagter sich auf die Vorladung des Gerichts, welches nicht das gehörige ist, gestellt, und ohne die Inkompetenz zu rügen, die Klage beantwortet hat, so muß er diesen Gerichtsstand auch im Fortgange des Prozesses anerkennen, und kann in der Folge nicht mehr verlangen, daß die Sache an das gehörige Gericht verwiesen werde.

§. 161.

Hievon findet jedoch eine Ausnahme Statt: 1) wenn dem Gerichte, dessen Gerichtsstand durch die Prorogation begründet werden soll, die Befugniß nicht zusteht, über solche Gegenstände und Geschäfte, als die im Streit befangenen sind, zu erkennen; 2) wenn die Landesgesetze, wie z. B. zwischen Französischen und Deutschen, zwischen Militair- und Civilgerichte, zwischen Justiz- und Kammerkollegiis, die Prorogation ausdrücklich untersagen.

§. 162.

Ein jedes Gericht ist schuldig, sorgfältig zu prüfen: ob die angebrachte Klage vor seinen Gerichtsstand gehöre; widrigenfalls es dieselbe sogleich an den kompetenten Richter verweisen muß, und nicht den Versuch machen darf: ob etwa seine Gerichtsbarkeit durch Prorogation begründet werden möchte.

§. 163.

Dergleichen Prorogation kann daher eigentlich nur Platz greifen, wenn ein Gericht wahrscheinlichen Grund gehabt hat, sich für den gehörigen Richter in der Sache zu halten; oder wenn der Kläger, noch vor Erlassung der Citation, eine Erklärung des Beklagten, daß dieser die Prorogation sich gefallen lasse, beibringt.


(67) Gerichtsstand.

§. 164.

Fehlt es an diesen Erfordernissen, so entsteht zwar daraus, wenn sich nur der Beklagte in der Folge wirklich eingelassen hat, außer den §. 161. bestimmten Fällen keine Nullität des Prozesses; doch muß ein solcher aus Vorsatz oder grobem Versehen begangener Eingriff in fremde Jurisdiktionen von den vorgesetzten Instanzen jederzeit gebührend bestraft, und dafür gesorgt werden, daß dem gehörigen Gerichte die entzogenen Gebühren von demjenigen erstattet werden, welches sich dieselben unrechtmäßiger Weise zugeeignet hat.

§. 165.

Wenn dagegen ein Verfahren oder Erkenntniß um deswillen aufgehoben werden muß, weil es in einem keine Prorogation gestattenden Falle von einem unbefugten Richter verhandelt oder gefällt worden (§. 161.); so muß Letzterer, wenn bei seiner Anmaßung Vorsatz oder grobes Versehen zum Grunde gelegen, von der vorgesetzten Behörde zu Erstattung sämmtlicher, den Parteien verursachter gerichtlicher und außergerichtlicher Kosten angehalten werden. In wie fern übrigens auch in diesen Fällen gegen ein bei dem unbefugten Richter ergangenes und rechtskräftig gewordenes Urtel die Nullitätsklage Statt finde oder nicht, ist unten (Tit. XVI. §. 7.) verordnet.

Von der Prävention.

§. 166.

Wenn eine Klage bei mehr als Einem Gerichte angestellt werden kann, so hängt es von der Wahl des Klägers ab, an welches derselben er sich wenden wolle, und es findet in jedem Falle unter diesen Gerichten die Prävention Statt. Die Prävention aber hat dasjenige Gericht, dessen Vorladung dem Beklagten zuerst zugestellt, oder wenn es eine Ediktalcitation ist, zuerst in den Intelligenzblättern bekannt gemacht worden ist.


(68) Prozeßordnung. Zweiter Titel.

Von Schiedsrichtern.

§. 167.

Wenn den Parteien über einen streitigen Gegenstand die ganz freie und uneingeschränkte Disposition zusteht, so können sie die Entscheidung eines darüber unter ihnen obwaltenden Streits einem schiedsrichterlichen Ausspruche durch Kompromiß unterwerfen.

§. 168.

Durch ein solches Kompromiß können aber weder das gemeine Beste, noch das Interesse des Landesherren, noch die Gerechtsame der etwa dabei nicht zugezogenen Interessenten, auf irgend eine Weise geschmälert werden; und findet daher in Ehescheidungssachen, in Streitigkeiten wegen Landesherrlicher oder gemeiner Abgaben (et)c. eine Entscheidung durch Schiedsrichter mit Bestande Rechtens nicht Statt.

§. 169.

Zu Schiedsrichtern können sowohl Personen, welche ein richterliches Amt bekleiden, als andere gewählt werden, welche die zur Entscheidung des obwaltenden Streits erforderlichen Kenntnisse besitzen.

Anh. §. 41. Personen, die im Auslande wohnen, können nicht zu Schiedsrichtern gewählt werden.

§. 170.

Wenn die Schiedsrichter von beiden Theilen in gleicher Anzahl gewählt worden, und sich nicht vereinigen können, so müssen die Parteien, und wenn zwischen diesen kein Einverständnis Statt findet, die Schiedsrichter selbst, einen Obmann wählen.

§. 171.

Die Schiedsrichter müssen sowohl bei der Erörterung, als bei der Entscheidung der Sache die wesentlichen Vorschriften der Landesgesetze befolgen.

§. 172.

Der Ausspruch der Schiedsrichter ist nichtig:

1) wenn die Parteien gar nicht gehört, oder offenbar erhebliche Thatsachen ganz unerörtert gelassen;


(69) Gerichtsstand.

2) wenn gegen ein den vorliegenden Fall ganz klar entscheidendes Landesgesetz erkannt worden ist.

§. 173.

Haben die Parteien sich in dem Kompromiß ausdrücklich verpflichtet, den Ausspruch der Schiedsrichter (Laudum) ohne Widerrede gelten zu lassen, so muß es bei diesem Vertrage lediglich sein Bewenden haben.

§. 174.

Wenn aber eine Partei die Nichtigkeit des Ausspruchs nach §. 172. behauptet, oder wenn eine solche Verabredung (§. 173.) in dem Kompromiß nicht enthalten ist, so steht den Parteien frei, binnen zehn Tagen nach eröffnetem Ausspruche, sich an den ordentlichen Richter zu wenden.

§. 175.

Dieser muß alsdann, wenn die Provokation rechtlich begründet ist, die Hauptsache zur Verhandlung ziehen, und darüber, wenn der Ausspruch nichtig befunden wird, in erster, sonst aber in zweiter Instanz ordentlich erkennen.

§. 176.

Schiedsrichter können ihre Aussprüche niemals selbst vollstrecken, sondern der obsiegende Theil muß das geschlossene Kompromiß und den erfolgten Ausspruch bei dem gehörigen Richter einreichen und die Exekution nachsuchen.

Vom Kriminalgerichtsstande.

§. 177.

Von den in peinlichen Fällen Statt findenden Gerichtsständen soll in der Kriminalordnung das Nähere bestimmt werden, und hat es bis dahin bei den Vorschriften des Edikts vom 21sten Jul. 1787. sein Bewenden.

Anh. §. 42. Die Kriminalordnung vom 11ten Dezember 1805. tritt an die Stelle des Edikts vom 21ten Julius 1787.


(70) Prozessordnung. Dritter Titel.

§. 178.

So weit die Schadloshaltung des Beschädigten mit der Untersuchung des Verbrechens zugleich erörtert werden kann, gehören beide vor das kompetente Kriminalgericht. Wenn aber die Entschädigung durch eine besondere Klage gesucht wird, so muß diese in dem ordentlichen persönlichen Gerichtsstande des Beschädigers angestellt werden.

Dritter Titel.

Von der Pflicht der Parteien, die Instruktion ihrer Prozesse persönlich abzuwarten; und in wie fern sie sich dabei rechtlicher Beistände, oder Bevollmächtigter, bedienen können.

Pflicht der Parteien, die Instruktion ihrer Prozesse persönlich abzuwarten.

§. 1.

Da die Erfahrung lehrt, daß Prozesse, welche durch Bevollmächtigte und Sachwalter betrieben werden, hauptsächlich wegen der denselben in den meisten Fällen ermangelnden hinlänglichen Information von dem Zusammenhange der bei dem Rechtsstreite zum Grunde liegenden Thatsachen, den meisten Zögerungen, und der Gefahr, in Verwirrung zu gerathen, ausgesetzt sind; so wird hiermit verordnet, daß die Parteien, besonders in den zur Aufnehmung der Klage und ihrer Beantwortung, zur Einleitung der Instruktion selbst, und zur Festsetzung der Streitpunkte anberaumten Terminen, so viel als möglich ist, in Person erscheinen, und sich der richterlichen Vernehmung unterwerfen, auch alle zur Aufklärung der Thatsachen dienende Nachrichten und Urkunden mit zur Stelle bringen sollen.

Anh. §. 43. Wegen der Nothwendigkeit des persönlichen Erscheinens der Parteien vor Gericht wird auf §. 1. des Anhangs (§. 12. der Einleitung) Bezug genommen.


(71) Assistenten und Bevollmächtigte.

§. 2.

Es wird daher auch sämmtlichen Ober- und Untergerichten hiermit zur besondern Pflicht gemacht, sowohl den Kläger bei Anmeldung der Klage, als den Beklagten bei dessen Vorladung, hierüber zu bedeuten, und ihnen, wo es nöthig ist, mit näherer Anweisung an die Hand zu gehen.

§. 3.

Auch eine unter den Parteien herrschende Verbitterung, welche bei denselben gegen jede persönliche Zusammentretung Widerwillen und Abneigung erzeugt, ist an sich noch nicht hinreichend, das persönliche Erscheinen vor dem Gerichte abzulehnen; da in einem solchen Falle, wenn der Richter dergleichen Gemüthsstimmung unter den streitenden Parteien wirklich bemerkt, die erforderlichen Veranstaltungen, jede derselben, abgesondert von der andern, in verschiedenen Zimmern zu vernehmen, getroffen werden können und müssen.

Von dieser Pflicht können einige Parteien dispensirt werden: 1.) wegen gewisser persönlicher Verhältnisse.

§. 4.

Krankheit, hohes Alter, Amts- oder Berufsgeschäfte, welche der Partei eine Entfernung von dem Orte, wo sie ihr Amt oder ihr Gewerbe betreibt, nicht gestatten, können zwar eine Dispensation von der persönlichen Abwartung der Prozeßinstuktion bewirken; sie heben aber die Regel nur in dem Falle auf, wenn das Hinderniß durch Verlegung des Termins, durch Hilfe benachbarter Gerichtspersonen, oder auf andere Art nicht völlig gehoben werden kann.

§. 5.

Eine Partei, welche aus dieser oder einer andern gleich erheblichen Ursache sich von der persönlichen Abwartung der Instruktion entschuldigen zu können vermeint, muß dieselbe gebührend und in Zeiten anzeigen, und wenn sie nicht etwa als notorisch


(72) Prozessordnung. Dritter Titel.

angesehen werden kann, durch glaubwürdige Atteste bescheinigen.

§. 6.

Wenn der Wohnort einer Partei von dem Sitze des Gerichts so weit entlegen ist, daß die Kosten der Reise, des Aufenthalts und der Versäumniß in der Wirthschaft, oder dem sonstigen Gewerbe, mit dem Gegenstande des Prozesses, und den von der persönlichen Abwartung der Instruktion zu hoffenden Vortheilen in keinem Verhältnisse stehen, so soll einer solchen Partei das persönliche Erscheinen an ordentlicher Gerichtsstelle wider ihren Willen nicht zugemuthet werden.

Anh. §. 44. Wenn eine Partei, ohne dazu verbunden zu seyn, zum Berufe ihres persönlichen Erscheinens im Termine kostspielige Reisen unternimmt, welche durch Bestellung eines Bevollmächtigten hätten vermieden werden können; so ist der Gegner zum Ersatz der Reise- und Versäumnißkosten nicht schuldig.

Wie in einem solchen Falle zu verfahren sey.

§. 7.

Wenn aber auch aus einer oder der andern solchen Ursache die Parteien von der persönlichen Erscheinung an der gewöhnlichen Gerichtsstelle dispensirt werden müssen, so folgt doch daraus noch nicht, daß an ihrer Stelle ein bloßer Bevollmächtigter zuzulassen sey; vielmehr muß alsdann der Richter sorgfältig prüfen: ob es nach der Beschaffenheit der Umstände thunlich und rathsam sey, die persönliche Vernehmung derselben, oder auch die ganze Instruktion der Sache, in ihrem Wohn- oder auch an einem dritten Orte, durch einen Kommissarius zu bewirken. So ist z. B. eine Sache zu einer solchen auswärtigen Instruktion vorzüglich geeignet, wenn es dabei auf einen Gegenstand ankommt, dessen Lage, Beschaffenheit und besondere Verhältnisse, zur Aufklärung der Thatsachen, von wesentlichem Einflusse sind, oder wenn die Parteien ohne erheblichen Zeit- und Kostenaufwand nicht an der gewöhnlichen Gerichtsstelle,


(73) Assistenten und Bevollmächtigte.

wohl aber an einem dritten Orte, zusammen gebracht werden können; oder wenn alle zur Aufklärung der streitigen Thatsachen gehörige Beweismittel an einem solchen dritten Orte bei einander zu finden sind. Zuweilen kann es auch zur Erreichung des Endzwecks einer vollständigen und gründlichen Instruktion vieles beitragen, wenn auch nur der Theil, z. B. der abwesende Beklagte, durch einen auswärtigen Kommissarius vernommen, und die Information für denjenigen, der ihn bei der Instruktion vertreten soll, solchergestalt eingezogen wird.

Alle dergleichen Umstände muß der Richter reiflich erwägen, und vernünftig beurtheilen: wie in jedem vorkommenden Falle, wenn die Parteien an gewöhnlicher Gerichtsstelle nicht persönlich zusammen gebracht werden können, nach der besondern Beschaffenheit eines solchen Falles, der Zweck einer vollständigen Auseinandersetzung und Ausmittelung der abwaltenden Thatsache am kürzesten, zuverlässigsten, und mit einem möglichst geringen Kostenaufwande erreicht werden könne.

2.) wegen Beschaffenheit der Sache.

§. 8.

In klaren Schuld- und andern dergleichen Sachen, bei welchen sich gleich vom Anfang an voraussehen lässt, daß es dabei entweder gar keiner, oder doch nur einer sehr einfachen und nicht verwickelten Instruktion in Ansehung der Thatsachen bedürfen werde, kann der Richter die Parteien von dem persönlichen Erscheinen auf eine bloße Anzeige dispensiren. Eben das gilt bei Prozessen, die nur auf einer Rechtsfrage beruhen; ingleichen im Wechsel- und exekutivischen Prozesse, unter den Tit. XXVIL. XXVIII. vorkommenden nähern Bestimmungen.

§. 9.

Ist aber auch in einer Sache das persönliche Erscheinen vom Anfang nicht erfordert worden, so ist der Richter dennoch befugt, wenn bei Fortsetzung


(74) Prozessordnung. Dritter Titel.

der Instruktion sich findet, daß die Sache, wegen neuer zum Vorschein gekommener Umstände, Einwendungen oder Gegenforderungen, einer weitläufigern Untersuchung, als sich zuerst voraussehen ließ, bedürfe; oder daß aus andern Ursachen, z. B. wegen eines Vergleichs, wegen der zur Ausmittelung der Wahrheit unumgänglich nothwendigen Gegeneinanderstellung der Parteien (et)c., die persönliche Gegenwart derselben erforderlich sey, die im Anfang ertheilte Dispensation zurück zu nehmen, und die Parteien zur Fortsetzung der Instruktion in Person vorzufordern.

§. 10.

Für Kirchen, Klöster, Schulen, Hospitäler und andere Armenanstalten und milde Stiftungen, müssen die Vorsteher und Verwalter derselben die Instruktionen unter vorstehenden Maaßgaben persönlich abwarten. Sind deren mehrere, so ist es hinreichend, wenn zwei derselben, oder auch nur Einer, erscheinen.

§. 11.

Von Stadt- und Dorfgemeinen und andern Kollegiis und Korporationen, welche aus mehr als drei Mitgliedern bestehen, sollen nur zwei oder höchstens drei Deputirte zur Abwartung der Instruktionen bestellt werden. Doch steht auch in diesem Falle dem Kollegio oder der Gemeine frei, die Instruktion nur durch Einen Deputirten, wenn sie es für hinreichend hält, abzuwarten.

Rechtliche Folgen einer ungegründeten Verweigerung des persönlichen Erscheinens.

§. 12.

Wenn in Fällen, wo eine Partei persönlich hätte erscheinen sollen, dieselbe ausbleibt, jedoch einen Bevollmächtigten absendet, der ihre Abwesenheit aus nicht unerheblich scheinenden, wenn gleich noch nicht beglaubigten Ursachen entschuldigt, so muß zwar der Deputirte des Gerichts einen Versuch machen: wie weit er es in der Aufklärung der Sache mit diesem Bevollmächtigten bringen könne; so bald aber der


(75) Assistenten und Bevollmächtigte.

Instruent wahrnimmt, daß es dem Bevollmächtigten an der nöthigen Information ermangele, und also die Verhandlung mit ihm nicht zweckmäßig fortgesetzt werden könne, muß er dieselbe sofort abbrechen, und dem Gerichte Anzeige machen.

§. 13.

Dieses muß sodann nicht nur die ausgebliebene Partei in alle Kosten, welche durch den vereitelten Termin, sowohl an Gerichtsgebühren, als etwanigen Auslagen, Reise- und andern Kosten des Gegentheils verursacht worden, durch ein Dekret sofort verurtheilen; sondern auch in der Hauptsache einen neuen Termin anberaumen, und die Partei zur persönlichen Abwartung desselben unter der ausdrücklichen Warnung vorladen, daß, bei fernerm Ausbleiben auf die Verhandlungen im ersten Termine, ohne weitere Rücksicht, in der Hauptsache wider sie, nach Vorschrift des Achten Titels in contumaciam werde verfahren werden. Diese Kommination wird also auch, wenn die Partei in dem neuen Termine abermals ungehorsam ausbleibt, ohne fernere Nachsicht wirklich in Ausübung gebracht.

Befugniß der Parteien, sich rechtliche Beistände zu wählen, oder deren Zuordnung bei dem Richter zu suchen.

§. 14.

Jede Partei, welche die Instruktion ihrer Rechtssache in Person abwartet, ist befugt, sich einen Assistenten aus der Zahl der bei dem Gericht zur Prozeßpraxis zugelassenen Justizkommissarien selbst zu wählen; oder die Zuordnung eines solchen Rechtsbeistandes bei dem Richter nachzusuchen. Geschieht Letzteres, so muß nach Beschaffenheit der Umstände und Wichtigkeit der Sache, entweder ein Beisitzer des Gerichts, oder ein schon hinlänglich geübter Referendarius, oder auch ein Justizkommissarius, einer solchen Partei zum Assistenten zugeordnet werden. Wenn aber eine Partei keinen Assistenten verlangt, so kann ihr derselbe wider ihren Willen niemals aufgedrungen werden.


(76) Prozessordnung. Dritter Titel.

Pflichten solcher Assistenten.

§. 15.

Der von einer Partei gewählte oder ihr zugeordnete Assistent muß seine Aufmerksamkeit hauptsächlich darauf richten, daß die Partei gehörig examiniert, nicht übereilt, noch in Furcht gesetzt; nichts, was zur Aufklärung der Sache von ihrer Seite und zu ihrer Vertheidigung gehört, übergangen oder vernachlässigt; vielmehr Alles deutlich, richtig, dem wahren Sinne der Partei gemäß, niedergeschrieben werde.

§. 16.

Der Assistent muß dem Deputirten des Gerichts bei der Erforschung des wahren Zusammenhanges der Thatsachen auf keine Weise hinderlich fallen, die Partei in ihren Erzählungen nicht unterbrechen, noch derselben zur Zurückhaltung oder Verstellung der Wahrheit Rath oder Anlaß geben; vielmehr, so viel an ihm ist, dazu mitwirken, daß die vorkommenden Thatsachen bald und vollständig in ihr wahres Licht gesetzt werden.

§. 17.

Wenn aber der Assistent wahrzunehmen glaubt, daß der Deputirte des Gerichts die Sache von der unrechten Seite ansehe; daß er erhebliche Umstände übergehe, zu leicht und flüchtig verfahre; nicht tief genug in den eigentlichen Zusammenhang der Sache eindringe; oder daß die Fassung des Protokolls dem wahren Sinne der Partei nicht gemäß sey: so ist es seine Pflicht, dergleichen Fehler auf geziemende Art zu bemerken, und falls seine Erinnerungen kein Gehör gegeben würde, davon entweder bei der Unterschrift des Protokolls, oder durch ein besonderes Promemoria, dem Gerichte Anzeige zu machen.

§. 18.

Dergleichen Assistenten müssen übrigens bei allen gerichtlichen Verhandlungen unter den Parteien und auch bei den Zeugenabhörungen, zugelassen werden.


(77) Assistenten und Bevollmächtigte.

§. 19.

Nach geschlossener Instruktion steht es den Parteien frei, sich ihrer Assistenten auch bei Anfertigung der rechtlichen Deduktionen zu bedienen.

§. 20.

In so fern die Assistenten zugleich solche zum Betrieb des Prozesses gehörende Angelegenheiten und Geschäfte, welche außer und zwischen den Terminen vorfallen, besorgen sollen, sind sie als Bevollmächtigte anzusehen; und müssen sich also durch eine ordentliche Vollmacht dazu legitimiren. Eine jede Partei, welche nicht am Orte des Gerichts ihren beständigen Aufenthalt hat, ist schuldig, wenn sie auch die Instruktionstermine persönlich abwartet, dennoch einen solchen Bevollmächtigten zum Betrieb der Sache zwischen den Terminen zu bestellen.

Von andern Beiständen.

§. 21.

Außerdem steht es auch einer jeden Partei frei, neben diesem ihrem Rechtsbeistande, auch andere Personen, in welche sie ein besonderes Vertrauen hat, und von welchen sie, entweder wegen der ihnen beiwohnenden genauern Bekanntschaft mit den in dem Prozesse vorkommenden Thatsachen, oder in Fällen, wo es auf eine gewisse Sach- oder Kunstkenntniß ankommt, wegen solcher bei ihnen anzutreffenden Kenntnisse, einen vorzüglichen Beistand erwartet, mit zu den Terminen zu bringen. Dergleichen Beistände muß der Deputirte des Gerichts unbedenklich zulassen; er muß aber auch dahin sehen, daß sie sich in ihren Schranken halten, und der Aufklärung der Sache auf keine Weise hinderlich fallen. Uebrigens ist es lediglich die Sache der Partei, ob und zu welchen Terminen sie einen solchen Beistand mitbringen will; und die Instruktion kann durch die Abwesenheit und das Ausbleiben desselben niemals aufgehalten werden.


(78) Prozessordnung. Dritter Titel.

Von Bevollmächtigten

§. 22.

Wenn eine Partei die Instruktion ihres Prozesses nicht persönlich abwarten kann, oder sonst nach den obigen Vorschriften davon dispensirt ist, so muß sie aus den bei dem Gericht zur Prozeßpraxis bestellten Justizkommissarien einen Bevollmächtigten wählen, und denselben mit vollständiger Information und gehöriger Vollmacht versehen. Auditeurs können zwar unter Genehmigung ihres Vorgesetzten, als Rechtsbeistände solcher Parteien, welche die Instruktion persönlich abwarten, zugelassen, niemals aber zu Bevollmächtigten abwesender Parteien gewählt werden.

Anh. §. 45. Eine Gerichtsperson, die an Abfassung eines Urtels Theil genommen hat, kann in den folgenden Instanzen nicht der Assistent einer Partei seyn, wenn auch die letztere die Bestätigung des Urtels verlangt.

§. 23.

Kann oder will eine Partei, aus Mangel an Bekanntschaft oder andern Ursachen, eine solche Wahl nicht selbst anstellen; so muß sie sich bei dem Gericht allenfalls schriftlich melden, welches ihr entweder aus der Zahl der Justizkommissarien, oder auch, nach Bewandtniß der Umstände und Beschaffenheit der Sache, aus seinen Beysitzern oder Referendarien einen solchen Bevollmächtigten anweisen muß.

§. 24.

Diesem Bevollmächtigten kann die Partei zwar auch andere Personen zuordnen, welche wegen der genauern ihnen beiwohnenden Kenntniß von dem Hergange der Sache, und den dabei vorkommenden Umständen, dem Bevollmächtigten die nöthige Information ertheilen, oder auch mit ihm zugleich in den Terminen erscheinen, und die Instruktion abwarten. Doch liegt der Betrieb der Sache dem eigentlichen Bevollmächtigten hauptsächlich ob, und er ist dem Gerichte dafür verantwortlich. Es bedarf also


(79) Assistenten und Bevollmächtigte.

auch für die ihm zugeordneten Personen keiner besondern Vollmacht.

§. 25.

Diejenigen Personen, welche nach Vorschrift der Gesetzt e (Th. I. Tit. XIII. §. 119. u. f.) in den Angelegenheiten gewisser anderer Personen die Vermuthung einer Vollmacht für sich haben, müssen auch in Prozessen als Bevollmächtigte solcher Personen zugelassen werden. Ist Gefahr im Verzuge vorhanden, so muß der Richter auf ihre rechtlichen Anträge verfügen, wenn sie auch noch keine Vollmacht vorlegen können; in so fern sie nur zu deren Nachbringung oder zur Herbeischaffung der Genehmigung sich erbieten.

§. 26.

Andere Personen, welche mit der Partei, die sie vertreten wollen, in keinem solchen Verhältnisse stehen, sind nur alsdann zuzulassen, wenn eine Gefahr im Verzuge klar erhellet, und von ihnen für die nachzubringende Genehmigung der Hauptpartei eine von dem Richter nach Beschaffenheit der Umstände festzusetzende Kaution sofort bestellt wird.

§. 27.

Wenn solche Personen (§. 25. 26.) den Prozeß eines Abwesenden als dessen Bevollmächtigte persönlich abwarten, so finden wegen der von ihnen zu erwählenden oder zu erbittenden Assistenten die Vorschriften §. 14-21. Anwendung.

§. 28.

Einem solchen Bevollmächtigten (§. 25. 26.), ingleichen den Justizkommissarien, welche sich zum Betrieb eines Prozesses ohne Vollmacht, jedoch unter dem Angelöbniß, dieselbe nachzubringen, melden, muß der Richter zu dieser Nachbringung eine nach der Nähe oder Entfernung des Aufenthaltes der Partei abzumessende Frist bestimmen.


(80) Prozeßordnung. Dritter Titel.

§. 29.

Kann die Vollmacht nicht beigebracht, und die Genehmigung des Abwesenden für nachgewiesen nicht angenommen werden (A. L. R. Th. I. Tit. XIII. §. 125-128.), so ist die erfolgte Verhandlung für nicht geschehen zu achten; und der angebliche Bevollmächtigte muß sowohl dem Richter, als dem Gegentheile, für alle daher entstehende Schäden und Kosten vollständigen Erlaß leisten. (Tit. XVI. §. 2. n. 5.)

Wie die Prozeßvollmachten beschaffen seyn müssen.

§. 30.

Eine jede zur Betreibung streitiger Rechtsangelegenheiten ausgestellte Vollmacht muß enthalten:

1) den Namen, Stand und Charakter des Bevollmächtigten;

2) den Namen, Stand und Charakter des Gegentheils;

3) den Gegenstand des Rechtsstreits;

4) den Auftrag, alles dasjenige vorzunehmen, was die Gerichte von einem im Namen einer abwesenden Partei erscheinenden Bevollmächtigten zu fordern berechtigt sind;

5) das Datum;

6) die Unterschrift des Vor- und Zunamens des Ausstellers, mit Beifügung seines Charakters. Dagegen ist die Beidrückung des Petschafts zur Gültigkeit der Vollmacht nicht nothwendig.

§. 31.

Durch eine solche Vollmacht erhält der Bevollmächtigte die Befugniß und Verbindlichkeit, die Stelle der Partei vor Gericht zu vertreten, und sich im Fortgange des Prozesses allen vorkommenden Geschäften zu unterziehen; bei welchen nicht etwa nach Vorschrift der Gesetze eine Specialvollmacht erfordert wird. (Allgem. Landrecht Th. I. Tit. XIII. §. 99-109.)


(81) Assistenten und Bevollmächtigte.                                                                        

Von Generalbevollmächtigten.

§. 32.

Wenn jemand zur Betreibung aller seiner Rechtsangelegenheiten einen Generalbevollmächtigten bestellt hat, und dieser von einer solchen Generalvollmacht in mehrern Sachen Gebrauch machen will, so muß er in jeder derselben eine beglaubte Abschrift zu den Akten einreichen. Soll aber ein solcher Generalbevollmächtigter auch zu Handlungen, bei welchen die Gesetze eine Specialvollmacht erfordern, berechtigt seyn, so muß die Generalvollmacht den Auftrag zu dergleichen Handlungen ausdrücklich enthalten.

§. 33.

Wer in einem Konkursprozesse zur Wahrnehmung der Gerechtsame eines Machtgebers überhaupt bevollmächtigt ist, der wird dadurch sowohl gegen den Kurator der Masse, als gegen jeden Mitgläubiger, hinreichend legitimirt.

§. 34.

Wer zur Verhandlung im Prozeß über die Klage bevollmächtigt ist, der bedarf keiner neuen Vollmacht zur Verhandlung über die Wiederklage, in so fern letztere, nach der unten erfolgenden Vorschrift, in Einem Prozesse mit der Konvention erörtert und entschieden wird.

§. 35.

Dagegen kann von einer zur Verhandlung in Possessorio Summariissimo ertheilten Vollmacht in dem nachfolgenden Prozesse über die Hauptsache kein Gebrauch gemacht werden.

Form der Vollmachten.

§. 36.

Was die Form der in gerichtlichen Angelegenheiten auszustellenden Vollmacht betrifft, so müssen dieselben allemal schriftlich ertheilt, und dabei sowohl die Vorschriften der Gesetze von der Form der Verträge überhaupt (Allg. Landrecht Th. I. Tit. V. §. 109. u. f.), und von der Form der Specialvollmachten insonderheit (Th. I. Tit. XIII. §. 110 u. f.), als


(82) Prozeßordnung. Dritter Titel.

wegen der von Blinden, aber des Lesens und des Schreibens Unerfahrenen, die besondern Verordnungen Tit. V. §. 171 u. f. beobachtet werden.

Anh. §. 46. In allen Fällen, wo die Bevollmächtigten der Stadtverordneten nach den Gesetzen einer Specialvollmacht von der Versammlung der Stadtverordneten bedürfen, soll ein von dem Vorsteher und sechs Mitgliedern vollzogenes und vom Magistrate des Orts bestätigtes Zeugniß:

„daß durch einen gesetzlich abgefaßten Beschluß der Stadtverordneten-Versammlung die Bevollmächtigten bevollmächtigt seyen“ die Stelle der Vollmacht vertreten.

§. 37.

Außerdem müssen aber auch die Parteien zu den für gerichtliche Verhandlungen bestimmten Vollmachten der unter öffentlicher Genehmigung gedruckten Formulare sich bedienen, und dieselben gehörig ausfüllen. Sollten dergleichen Vollmachtsbogen an dem Orte, wo die Ausstellung geschehen soll, nicht zu haben seyn, so muß zwar ein mit den wesentlichen Erfordernissen einer Vollmacht versehenes Blanket angenommen; doch soll demselben jedesmal, auf Kosten des Ausstellers, der gedruckte Vollmachtsbogen umgeschlagen, und darauf gehörig bemerkt werden, zu welcher Sache derselbe gebraucht worden. Uebrigens müssen zu solchen gedruckten Vollmachten die vorgeschriebenen Stempelsätze bei Vermeidung der gesetzlichen Strafe (Allg. Landrecht Th. II. Tit. XX. §. 274.) gebraucht werden; und Justizkommissarien, welche Vollmachten, die mit einem minderen, als dem im Stempeledikte vorgeschriebenen Satze versehen sind, zu den Akten bringen, haben die ediktmäßige Strafe von zehn Thalern verwirkt.

§. 38.

Wegen der die bloße Namensunterschrift enthaltenden Blankets hat es, auch in Prozeßangelegenheiten, bei der Vorschrift des Allg. Landrechts Th. I. Tit. XIII. §. 112. 113. sein Bewenden.


(83) Assistenten und Bevollmächtigte.

Von Vollmachten der Korporationen und Gemeinen,

§. 39.

Korporationen und Gemeinen aller Art können zwar bei Instruktionen in ihren Rechtsangelegenheiten durch ihren Syndikus vertreten werden; doch muß auch dieser zur Anstellung einer Klage in ihrem Namen, oder zur Einlassung darüber, durch einen besondern Auftrag legitimirt seyn. (A. L. R. Th. II. Tit. VI. §. 136. 152.)

insonderheit der Stadt- und Dorfgemeinen.

§. 40.

Alle Vollmachten der Stadt- und Dorfgemeinen müssen gerichtlich ausgestellt, und in dem dabei aufzunehmenden Protokoll muß bemerkt werden:

1) aus wie vielen Mitgliedern, der sorgfältig geschehenen Nachfrage zufolge, die Gemeine bestehe;

2) wie viel von diesen Mitgliedern erschienen sind, und wie dieselben mit Vor- und Zunamen heißen, auch ob es Bauern oder Kossaten sind;

3) welche Mitglieder ausgeblieben sind, und was die Komparenten für Ursachen des Außenbleibens eines jeden angeführt haben;

4) ob sämmtliche Komparenten darunter einig sind, daß und auf wen die Vollmacht ausgestellt werden solle. Ergiebt es sich, daß die Stimmen der Gemeine getheilt sind, so müssen die Dissentienten, wenn deren Vor- und Zunamen im Protokoll verzeichnet worden, über die Gründe ihres Widerspruchs vernommen, und ihre Erklärungen ausführlich zum Protokoll niedergeschrieben werden.

Sind in Ansehung des Außenbleibens einiger Mitglieder keine erheblichen Gründe angeführt, und es entsteht ein Verdacht, daß die Erschienenen vieleicht die Absicht haben könnten, die ausgeschlossenen Mitglieder zu entfernen; so ist darauf zu dringen, daß auch diese Mitglieder herbei gerufen werden, um eine Erklärung abzugeben.


(84) Prozessordnung. Dritter Titel.

Anh. §. 47. Die Stadtgemeinen werden durch die Magisträte vertreten, und von diesen die Vollmacht unter Beobachtung der im §. 44. dieses Titels ertheilten Vorschrift ausgestellt.

Der Beschluß einer Dorfgemeine zur Ausstellung der Vollmacht muß in Ansehung derjenigen Mitglieder, welche in dem zur Aufnahme der Vollmacht angestandenen Termine erschienen sind, nach den Grundsätzen des Allgemeinen Landrechts Th. II. Tit. VI. §. 51 u. f. gefaßt und beurtheilt werden.

§. 41.

Wenn solchergestalt das Protokoll aufgenommen worden, so muß die Vollmacht nach dem, was durch Mehrheit der Stimmen beschlossen worden, ausgefüllt, den Komparenten vorgelesen, und von sämmtlichen oder den einwilligenden Mitgliedern vollzogen werden, welche jederzeit den größten Theil der Gemeine ausmachen müssen.

§. 42.

In dem unter der Vollmacht zu verzeichnenden Atteste muß auf das besonders abgehaltene Protokoll Bezug genommen, und daraus bemerkt werden: aus wie viel Mitgliedern die Gemeine bestehe, wie viele derselben erschienen sind, auch ob und wie viele unter diesen die Vollmacht zu vollziehen Bedenken getragen haben.

Hat sich dieser letzte Fall ereignet, so muß von der attestirenden Gerichtsperson jederzeit vidimirte Abschrift des aufgenommenen Protokolls von Amts wegen an das Gericht eingeschickt werden, bei welchem von der Vollmacht Gebrauch gemacht werden soll. Ein solchergestalt eingesandtes Protokoll ist in den Manual-Akten des Rechtsbeistandes oder Bevollmächtigten der Gemeine aufzubewahren, um von dessen Inhalte bei der Instruktion der Sache nöthigen Falls Gebrauch zu machen.

§. 43.

Wenn in großen Städten besondere Repräsentanten der Bürgerschaft vorhanden sind, so ist nur


(85) Assistenten und Bevollmächtigte.

deren Vernehmung erforderlich; jedoch müssen sie solchen Falls bei Vollziehung der Vollmacht jederzeit nachweisen, daß sie dazu, nach der bestehenden Verfassung des Orts, von ihren Kommittenten autorisirt worden sind.

eines Magistrats oder andern Kollegii;

§. 44.

Wenn von einem Kollegio oder einem Magistrate eine Vollmacht ausgestellt werden soll, so muß dieselbe von dem Dirigenten, oder dem den Vorsitz habenden Mitgliede, nebst einem oder zwei andern Mitgliedern unterschrieben, und mit des Kollegii oder Magistrats Insiegel bedruckt werden.

Sollte es bei Regreßklagen, oder sonst, auf das Privatinteresse der einzelnen Mitglieder ankommen, so muß die Vollmacht auch von ihnen sämmtlich ausgestellt werden.

In Ansehung auswärtiger Kollegien und Magisträte ist auf den Gerichtsgebrauch jedes Orts Rücksicht zu nehmen.

einer geistlichen Gesellschaft;

§. 45.

Bei Domkapiteln und Kollegiatstiftern müssen die Vollmachten von dem Dechanten, oder in dessen Abwesenheit von dem Senior, bei Klöstern hingegen von dem Prälaten, Abt, Probst, Prior, Guardian, oder von der Aebtissin, Priorin (et)c. nebst zwei Konventualen unterschrieben, und jederzeit des Domkapitels, Stifts oder Klosters gewöhnliches Insiegel beigedruckt werden.

§. 46.

Sollten besondere Statuten eines oder des andern Kapitels, Stifts (et)c. zur Gültigkeit der Vollmachten ein Mehreres erfordern, so muß diesem pünktlich nachgelebt werden. Zieht jedoch die unterlassene Beobachtung dieser besondern Form eine Nichtigkeit der Verhandlungen nach sich, so müssen die Aussteller der mangelhaften Vollmacht für allen daraus


(86) Prozeßordnung. Dritter Titel.

entstandenen Schaden und vergeblichen Kostenaufwand aus eigenen Mitteln einstehen.

einer Kirche, Schule oder milden Stiftung;

§. 47.

Wenn für Kirchen, Schulen, Hospitäler, Waisen- und Wittwenanstalten, oder andere Pia corpora Vollmachten ausgestellt werden sollen, so müssen selbige von den Vorstehern oder Administratoren unterschrieben, und mit dem ihnen anvertrauten Siegel bedruckt werden.

§. 48.

In welchen Fällen die Vorsteher zu Prozessen eine besondere Genehmigung der der Stiftung oder Anstalt vorgesetzten obern Behörde beibringen müssen, ist in den Gesetzen bestimmt. (A. L. R. Th. II. Tit. XI. §. 65? u. f.) Doch vertritt es die Stelle dieser besondern Genehmigung, wenn unter der Vollmacht von der obern Behörde attestirt wird, daß die Unterschriebene zur Ausstellung derselben berechtigt gewesen sey.

der Gilden und Gewerke;

§. 49.

Vollmachten, welche von Gilden oder Gewerken ausgestellt werden sollen, müssen von den Altmeistern unterschrieben, und mit dem Gilde- oder Gewerkssiegel bedruckt seyn. Wenn dieses geschehen ist, muß von dem Beisitzer der Gilde oder des Gewerks, oder in dessen Ermangelung von einer Gerichtsperson des Orts, unter der Vollmacht attestirt werden, daß die Unterschriebenen wirklich diejenigen sind, wofür sie sich ausgegeben haben.

der Fiskäle;

§. 50.

Fiskäle, welche die Landesherrlichen Gerechtsame vertheidigen; oder Kontraventionen nach Art eines Zivilprozesses rügen, müssen sich dazu durch den Auftrag der vorgesetzten Behörde, nach den unten im fünf und dreißigsten Titel vorkommenden näheren Bestimmungen, gehörig legitimiren.


(87) Assistenten und Bevollmächtigte.

der Vormünder.

§. 51.

Wenn Vormünder oder Kuratoren Vollmachten ausstellen, so müssen sie jederzeit beglaubte Abschriften ihrer Bestallung beifügen. Die Mitunterschrift des Pflegebefohlenen ist, wenn er auch der Großjährigkeit nahe seyn sollte, nicht nothwendig.

§. 52.

Sind mehrere Vormünder bestellt, so muß deren Bestallung entscheiden, in wie fern sie in jedem Falle insgesammt, oder einzeln, einen Bevollmächtigten ernennen können.

§. 53.

Erscheinen Vormünder oder Kuratoren selbst, oder durch Bevollmächtigte, als Kläger vor Gericht, so müssen sie die Genehmigung des ihnen vorgesetzten vormundschaftlichen Gerichts sogleich beibringen, oder wenn Gefahr bei dem Verzuge ist, sich zu deren Nachbringung anheischig machen, und von dem Gerichte, diesem Versprechen nachzukommen, angehalten werden. Dieser Genehmigung bedarf es jedoch nicht, wenn Väter oder solche Vormünder klagen, welche von obervormundschaftlicher Aufsicht dispensirt sind.

Wie bei mangelhaften Vollmachten zu verfahren.

§. 54.

Wenn eine Vollmacht eingereicht wird, bei welcher im Aeußerlichen eines der vorstehend festgesetzten Erfordernisse nicht gehörig beobachtet worden ist; so muß das Gericht den Bevollmächtigten anweisen, binnen einer nach den Umständen zu bestimmenden kurzen Frist eine vorschriftsmäßig eingerichtete Vollmacht nachzubringen. Inzwischen muß jedoch der Bevollmächtigte zugelassen werden; es wäre denn, daß in Fällen, wo die Gesetze eine gerichtliche Vollmacht erfordern, eine bloße Privatvollmacht beigebracht; oder in Fällen, wo sie eine ausdrückliche Specialvollmacht erheischen, dieselbe auf die vorzunehmende Handlung nicht gerichtet; oder überhaupt die


(88) Prozeßordnung. Dritter Titel.

Vollmacht dergestalt abgefaßt wäre, daß daraus nicht ersehen werden könnte, wer sie ausgestellt habe, oder auf wen sie gerichtet sey; oder zu welcher Sache dieselbe gebraucht werden solle. In allen diesen Fällen muß der Richter so verfahren, als wenn der angebliche Bevollmächtigte gar keine Vollmacht beigebracht hätte.

Von Substitutionen.

§. 55.

Ein zum Prozeß bevollmächtigter Justizkommissarius kann sich einen andern substituiren, und durch diesen alle Geschäfte, welche den Betrieb der Sache zwischen den Terminen und die sogenannte Prokuratur betreffen, wahrnehmen lassen. Zu eigentlichen Instruktionsverhandlungen hingegen findet eine solche Substitution nur alsdann Statt, wenn der Principalbevollmächtigte durch Krankheit, Abwesenheit, oder andere erhebliche Ehehaften, einen solchen Termin selbst abzuwarten verhindert wird.

§. 56.

Hat aber der Machtgeber einen Substituten selbst ernannt, oder dem Principalbevollmächtigten die Auswahl eines Substituten zu allen und jeden in dem Prozesse vorkommenden Verhandlungen ausdrücklich gestattet; so muß ein solcher Substitut auch bei wirklichen Instruktionsverhandlungen zugelassen werden.

Wenn Vollmachten erlöschen durch den Tod des Bevollmächtigten, oder

§. 57. Eine jede Vollmacht verliert durch den Tod des Bevollmächtigten ihre verbindliche Kraft; und wenn dessen Erbe die von dem Erblasser angefangenen Geschäfte beendigen will, so muß er eine neue auf ihn selbst gerichtete Vollmacht beibringen.

§. 58.

So bald der Tod des Bevollmächtigten dem Gerichte bekannt wird, muß dasselbe den Machtgeber von Amts wegen benachrichtigen, und ihn zur Bestellung eines andern Bevollmächtigten auffordern. Ist ein Substitut vorhanden, welcher nach §. 56.


(89) Assistenten und Bevollmächtigte.

als von der Partei selbst bestellt angesehen werden kann, so wird mit diesem die Instruktion ununterbrochen fortgesetzt. Ist aber der Substitut nur von dem verstorbenen Bevollmächtigten allein bestellt, so muß der Partei, bei der erfolgenden Benachrichtigung und Aufforderung, zugleich eine verhältnißmäßige Frist bestimmt werden, binnen welcher sie diesen Substituten oder einen Andern mit Vollmacht legitimiren müsse. Während dieser Frist besorgt der Substitut nur solche Instuktionsverhandlungen, bei welchen Gefahr im Verzuge vorwaltet. Ist aber die Frist verlaufen, ohne daß die Partei sich erklärt hat, so wird die ganze Instruktion mit dem Substituten fortgesetzt, und die Partei muß die mit selbigem geschehenen Verhandlungen eben so anerkennen, als wenn der Substitut von ihr wirklich bevollmächtigt gewesen wäre.

des Machtgebers.

§. 59.

Durch den Tod des Machtgebers hingegen wird die Vollmacht nicht aufgehoben. Der Bevollmächtigte ist jedoch schuldig, das Absterben seines Machtgebers, so bald selbiges zu seiner Wissenschaft gelangt, nebst Allem, was ihm von dem Namen und Aufenthalte der Erben bekannt ist, dem Gerichte anzuzeigen; auch den Erben von seinem Auftrage und der Lage der Sache Nachricht zu geben, und ihnen zu überlassen: ob sie den fernern Betrieb der Sache selbst besorgen, oder dieselbe einem andern Bevollmächtigten auftragen wollen. Inzwischen muß er die Sache fortsetzen, so lange noch nicht ein anderer Bevollmächtigter von den Erben ernannt ist.

§. 60.

Ist der Gegenstand des Streites so beschaffen, daß nicht die Erben, sondern Successores Singulares in die Stelle des Verstorbenen treten, so kann der bisherige Bevollmächtigte ohne neue Vollmacht nicht zugelassen werden; sondern der Richter muß


(90) Prozeßordnung. Dritter Titel.

auch in diesem Falle die Vorschrift des §. 58. beobachten. Doch kann er unter den daselbst bestimmten Umständen die Fortsetzung der Sache dem bisherigen Bevollmächtigten von Amts wegen übertragen.

§. 61.

Die in den Fällen des §. 39-53. ausgestellten Vollmachten bedürfen keiner Erneuerung, wenn sich auch mit den Personen, welche sie als Mitglieder einer Korporation, oder vermöge ihres Amts ausgestellt haben, eine Veränderung ereignet.

durch Widerruf,

§. 62.

Der Machtgeber kann seine Vollmacht zu allen Zeiten widerrufen; doch hat dieser Widerruf nur von dem Zeitpunkte an rechtliche Wirkung, da derselbe dem Gerichte, bei welchem die Vollmacht übergeben worden, von dem Machtgeber angezeigt, oder sonst glaubhaft bekannt wird. Was der Bevollmächtigte vor diesem Zeitpunkte, ob gleich nach schon erklärtem Widerrufe, verhandelt hat, wird durch letztern nicht entkräftet (A. L. R. Th. I. Tit. XIII. §. 162. 168. 169.).

durch Aufkündigung.

§. 63.

Auch der Bevollmächtigte in einem Prozesse kann seinem Auftrage, selbst ohne Anführung und Bescheinigung besonderer Gründe, entsagen; doch darf die Aufkündigung nicht zur Unzeit erfolgen.

§. 64.

Für unzeitig aber ist eine solche Aufkündigung alsdann allemal zu achten, wenn sie während des Laufes einer Instanz erfolgt. Kündigt also ein Justizkommissarius seine Prozeßvollmacht auf, so ist dieses zwar der Partei bekannt zu machen, und ihr die Bestallung eines andern Bevollmächtigen aufzugeben; auch sie dazu, wenn besonders erhebliche Ursachen der Aufkündigung angeführt und bescheinigt worden, allenfalls durch Strafbefehle anzuhalten. So lange aber die Partei dieser Auflage nicht


(91) Assistenten und Bevollmächtigte.

genügt hat, muß der bisherige Bevollmächtigte die Sache bis zum Schlusse der Instanz fortsetzen; oder es muß, wenn ihm dieses nicht möglichst ist, der Substitut, wie in dem Falle des §. 58., zugezogen; oder, wenn kein Substitut vorhanden wäre, einer solchen Partei ein Assistent von Amts wegen zugeordnet werden.

§. 65.

Wenn aber der Machtgeber nicht nur die zur Bestallung eines andern Bevollmächtigten ihm gesetzte Frist verabsäumt, sondern auch damit so lange zögert, bis die Instruktion in der laufenden Instanz völlig geschlossen, und darin erkannt worden; so ist der bisherige Bevollmächtigte nicht schuldig, sich der Sache im geringsten weiter anzunehmen; und auch der Richter hat keine Verbindlichkeit, für deren fernern Betrieb von Amts wegen zu sorgen; vielmehr muß eine solche beharrlich nachlässige Partei sich lediglich selbst beimessen, wenn die Sache liegen bleibt, oder auf den Antrag des Gegentheils das Weitere darin in contumaciam verfügt wird.

§. 66.

Eben diese Vorschrift findet auch in dem Falle statt, wenn der Machtgeber die Vollmacht widerruft, und weder sogleich, noch vor dem Ablaufe der von dem Richter dazu bestimmten Frist, für die Bestallung eines andern Bevollmächtigten gehörig sorgt.

§. 67.

Übrigens sind in allen hier nicht besonders bestimmten Fällen die Verhältnisse, Rechte und Pflichten zwischen einem Machtgeber und Bevollmächtigten, auch in Prozessen, nach den allgemeinen Vorschriften des Landrechts von Vollmachtsaufträgen zu beurtheilen.

Von falschen Vollmachten.

§. 68.

Wenn jemand eine falsche Vollmacht beim Gerichte übergeben hat, so ist nicht allein die Partei, in deren


(92) Prozeßordnung. Dritter Titel.

Namen er aufgetreten, nach der im sechzehnten Titel erfolgenden Bestimmung, auf Annullirung des Verfahrens und der daraus sich gründenden Erkenntnisse zu dringen berechtigt; sondern ein falscher Bevollmächtigter muß, in so fern der vorgebliche Mandant seine Handlungen in der Folge nicht genehmigt, auch dem Gegner alle verursachten Schäden und Kosten erstatten.

§. 69.

Wegen des verübten Falsi, wodurch der Richter hintergangen und die ihm schuldige Achtung verletzt worden, muß der falsche Bevollmächtigte in allen Fällen zur gebührenden Verantwortung und Strafe nach Vorschrift des Kriminalrechts, gezogen werden.

§. 70.

Einer jeden Partei steht zwar frei, darauf anzutragen, daß die von dem abwesenden Gegentheil ausgestellte Vollmacht dem Aussteller persönlich, jedoch auf ihre Kosten, zur Anerkennung vorgelegt werde. Inzwischen muß sie dennoch mit dem sich angebenden Bevollmächtigten die Sache vor der Hand fortsetzen, und die Instruktion kann bis zur erfolgten Berichtigung des Rekognitionspunktes nur alsdann ausgesetzt werden, wenn eine solche Partei erhebliche Gründe zur Besorgniß einer Unrichtigkeit angegeben, und einigermaßen bescheinigt hat.

Pflichten und Verhältnisse der Bevollmächtigten in Prozessen.

§. 71.

Die Zulassung von Bevollmächtigten an die Stelle der Parteien selbst ändert nichts in der Art der Instruktion. Diese muß schlechterdings auch alsdann von dem Richter selbst dirigirt und betrieben, und den Bevollmächtigten muß dabei kein Schriftstellen, Diktiren oder Rezessiren zum Protokoll gestattet werden. Vielmehr muß der Richter sie eben so, wie in Ansehung der Parteien selbst in der Folge verordnet wird, vernehmen und befragen, und sie müssen demselben über alle und jede zur Sache gehörige


(93) Assistenten und Bevollmächtigte.

Umstände eben so die nöthigen Antworten und Auskünfte ertheilen, als wenn die Partei in Person gegenwärtig wäre.

§. 72.

Ein solcher Bevollmächtigter muß daher, besonders wenn er ein Justizkommissarius ist, für die Herbeischaffung einer hinreichenden und vollständigen Information sorgen, und dabei Alles beobachten, was im folgenden Fünften und Neunten Titel dem Richter, bei der Aufnehmung der Information von den Parteien selbst, vorgeschrieben wird.

§. 73.

Er muß nicht anders als vollkommen vorbereitet in den Terminen erscheinen, und kann sich dabei mit dem Mangel der Information nicht entschuldigen, da er die Vorschriften der Gesetze genau inne zu haben verpflichtet ist, und also wissen kann und muß, was zu einer vollständigen Auseinandersetzung eines Rechtsstreits in Ansehung der Thatsachen gehöre, worauf er sich vorzubereiten, und worüber er von der Partei Auskünfte und Nachrichten einzuziehen habe.

§. 74.

Kann ein Justizkommissarius dergleichen deutlich und bestimmt erforderte Nachrichten von der Partei gar nicht, oder nicht zu rechter Zeit erhalten, so muß er davon dem Gerichte, noch vor dem Termine, unter Beilegung seiner Manual-Akten, Anzeige machen. Wie alsdann von Seiten des Gerichts weiter zu verfahren sey, wird nach Unterschied der Fälle in den folgenden Titeln bestimmt.

§. 75.

Wegen Zuziehung der zu Bevollmächtigten bestellten Justizkommissarien bei allen Instruktionsverhandlungen, und also auch bei den Zeugenverhören, wegen ihrer dabei zu beobachtenden Pflichten, und wegen der durch sie nach geschlossener Instruktion zu


(94) Prozeßordnung. Dritter Titel.

den Akten zu bringenden rechtlichen Ausführungen, finden die in Ansehung der Rechtsbeistände §. 15-19. ertheilten Vorschriften ebenfalls Anwendung.

§. 76.

Obgleich nach Vorschrift §. 16. und 71. den Justizkommissarien bei den Prozessinstruktionen, sie mögen als Beistände oder Bevollmächtigte zugezogen werden, keine Direktion des Prozesses und kein Diktiren oder Rezessiren gestattet werden muß, so steht ihnen, so wie den Parteien selbst, dennoch frei, wenn sie am Schlusse des Protokolls und bei dessen Vorlesung finden, daß irgend etwas von ihren Angaben oder Anträgen in demselben von dem Deputirten nicht vollständig genug, oder nicht ihrer eigentlichen Meinung und Absicht gemäß verzeichnet worden, dergleichen Nachträge dem Protokollführer zu diktiren; und der Deputirte kann sich nicht entbrechen, dieselben mit den eigenen Worten der Partei, oder des Justizkommissarii, niederschreiben zu lassen. Es versteht sich jedoch von selbst, daß in solche Nachträge keine dahin nicht gehörigen Rechtsdeduktonen, und noch weniger künstliche Wendungen oder Verdrehungen der die Thatsachen betreffenden Angaben der Partei, oder des Gegentheils, eingemischt werden müssen.

§ 77.

Die Justizkommissarii, sie mögen Bevollmächtigte, oder auch nur Assistenten seyn, ingleichen alle übrige einer Partei von dem Richter zugeordnete Bevollmächtigte oder Rechtsbeistände, müssen ordentliche und vollständige Manual-Akten halten, und diese müssen bei allen in gegenwärtiger Ordnung bestimmten Fällen dem Richter mit vorgelegt werden.


(95) Anmeldung der Klage.

Vierter Titel.

Von der Anmeldung der Klage, und was dabei zu beobachten sey.

Die Klage wird angemeldet:

§. 1.

Die Anmeldung der Klage kann von dem Kläger selbst oder durch einen Bevollmächtigten, und in beiden Fällen entweder mündlich oder schriftlich erfolgen.

1) von dem Kläger in Person;

§. 2.

Jede Klageanmeldung muß enthalten:

1) den Namen, Stand und Charakter des Klägers;

2) den Ort, wo er wohnhaft oder anzutreffen ist;

3) den Namen, Stand und Charakter des Beklagten, und überhaupt solche Kennzeichen, woran derselbe von anderen gleiches Namens hinlänglich unterschieden werden kann;

4) den Wohn- oder Aufenthaltsort des Beklagten, oder statt dessen die Anzeige, daß er ein Vagabund, oder sein dermaliger Aufenthalt völlig unbekannt sey;

5) den Grund und Gegenstand der Klage, wenigstens im Allgemeinen, damit der Richter vorläufig beurtheilen könne, ob die Sache zu seiner oder einer andern Gerichtsbarkeit gehöre;

6) die Erklärung des Klägers: ob er die Instruktion des Prozesses persönlich abwarten werde, oder aus welchen Gründen er davon dispensirt zu seyn verlange:

7) die Anzeige: ob und wen er sich zum Rechtsbeistande oder Bevollmächtigten gewählt habe; oder ob er die Zuordnung eines solchen Assistenten oder Bevollmächtigten von dem Richter begehre.


(96) Prozeßordnung. Vierter Titel.

§. 3.

Wer seine Klage persönlich anmelden will, muß sich zur gewöhnlichen Gerichtsstelle verfügen, wo an allen Orten die nöthigen Veranstaltungen getroffen seyn müssen, daß die sich meldenden Parteien an jedem Vormittage, auch außer der gewöhnlichen Sessionszeit, Sonn- und Festtage allein ausgenommen, eine Gerichtsperson finden, welche dergleichen Klageanmeldungen, so wie ähnliche Gesuche und Beschwerden der in Person sich meldenden Parteien, zum Protokoll nehme. Uebrigens ist zur Aufnahme eines bloßen Anmeldungsprotokolls die Zuziehung einer zweiten Gerichtsperson nicht nothwendig.

§. 4.

Das aufgenommene Anmeldungsprotokoll muß, wenn der Kläger nicht an dem Orte wohnt, wo das Gericht seinen Sitz hat, unverzüglich dem Präsidenten oder sonstigen Vorgesetzten des Gerichts zur Verfügung vorgelegt werden.

§. 5.

Findet dieser, daß die Sache offenbar nicht zu demjenigen Gerichte, bei welchem die Klage angemeldet worden, gehöre, so muß er dieses auf dem Protokoll bemerken, und den auf Resolution wartenden Kläger durch die protokollirende Gerichtsperson darnach bedeuten, und an die gehörige Instanz verweisen lassen. Von dem Protokolle sowohl, als der darauf vermerkten Bedeutung, muß dem Kläger auf sein Verlangen Abschrift ertheilt werden.

§. 6.

Ist aber eine solche klare Unstatthaftigkeit des Gerichtsstandes nicht vorhanden, so muß in dem Falle, wenn ein Kläger, welcher nicht an dem Orte wohnt, wo das Gericht seinen Sitz hat, zur Anmeldung der Klage in Person erschienen ist, der Präsident oder Vorgesetzte des Köllegii, ohne erst eine Versammlung des Gerichts abzuwarten, einen


(97) Anmeldung der Klage.

Deputirten zur Aufnehmung der Klage ernennen, diesem das Protokoll zuschicken, und den Kläger mündlich an ihn verweisen. Auch muß, wenn der Kläger um die Zuordnung eines Rechtsassistenten gebeten hat, derselbe folglich ernannt, und von der geschehenden Ernennung sowohl dem Assistenten selbst, als dem Kläger, und dem bestellten Deputirten, Nachricht gegeben werden.

§. 7.

Der Deputirte muß entweder noch an demselben Tage, oder doch in einem andern mit dem Kläger zu verabredenden nahen Termine, die Klage selbst nach Vorschrift des folgenden Titels, unter Zuziehung des von dem Kläger gewählten oder ihm zugeordneten Assistenten, gehörig aufnehmen.

§. 8.Wohnt aber der Kläger an eben dem Orte, wo das Gericht seinen Sitz hat, so wird mit dem Anmeldungsprotokoll nach Vorschrift §. 12. verfahren.

2) durch einen Bevollmächtigten:

§. 9.

Wird die Anmeldung zur Klage durch einen Bevollmächtigten angebracht, so muß dieser entweder sofort seine Vollmacht zu den Akten geben; oder wenn ihm selbige noch ermangelt, den ihm ertheilten Auftrag auf andere Art nothdürftig bescheinigen.

§. 10.

Ein solcher Bevollmächtigter muß, außer den §. 2. bestimmten Punkten, noch darüber vernommen werden.

8) ob er bloß zur Anmeldung der Klage, oder auch zur wirklichen Anbringung derselben, und zum fernern Betrieb der Sache bevollmächtiget, und zu der letztern mit der nöthigen Information versehen sey.

§. 11.

Ist der Bevollmächtigte ein Auswärtiger, der nicht dem Sitze des Gerichts wohnt, und zeigt er


(98). Prozeßordnung. Vierter Titel.

an, daß er zur Aufnehmung der Klage selbst mit Vollmacht und Information versehen sey so muß mit dem aufgenommenen Anmeldungsprotokolle eben so, wie wegen des in Person sich meldenden Klägers §. 4-7. vorgeschrieben ist, verfahren werden.

§. 12.

Ist aber dem Bevollmächtigten bloß die Anmeldung der Klage aufgetragen, oder hält sich derselbe an eben dem Orte, wo das Gericht seinen Sitz hat, gewöhnlich auf, oder ist er ein bei dem Gerichte stehender Justizkommissarius; so wird von dem Vorgesetzten des Kollegii auf das Anmeldungsprotokoll ein Decernent ernannt, und von diesem die Sache in der nächsten Session des Kollegii, wenn nicht besondere Umstände eine schleunigere Verfügung erfordern, ordentlich vorgetragen.

3) schriftlich.

§. 13.

Eben so müssen die von dem Kläger selbst, oder dessen Bevollmächtigten schriftlich einkommenden Klageanmeldungen dem versammelten Gerichte durch den dazu ernannten Decernenten vorgetragen werden.

§. 14.

Bei diesem Vortrage muß der Decernent hauptsächlich darauf Rücksicht nehmen: ob die Anmeldung mit den hier vorgeschriebenen Erfordernissen versehen sey, und ob die Sache vor das Gericht, bei welchem sie angebracht worden, wirklich gehöre.

§. 15.

Findet sich, daß der Gerichtsstand nicht gegründet sey, so muß der Kläger durch eine schriftliche Resolution dessen bedeutet, und an den gehörigen Richter verwiesen werden.

§ 16.

Ist die Anmeldung unvollständig, so wird dem Kläger die Ergänzung der bemerkten Mängel ebenfalls schriftlich aufgegeben.


(99) Anmeldung der Klage.

§. 17.

Ist aber bei der Anmeldung nichts zu erinnern, so wird die Aufnehmung der Klage verfügt.

§. 18.

Ob diese von dem Kläger selbst, oder von einem Bevollmächtigten desselben, und ob sie an gewöhnlicher Gerichtsstelle durch einen Deputirten des Gerichts, oder an einem andern Orte durch einen auswärtigen Kommissarius geschehen solle, muß das Gericht nach Unterschied der Fälle, und nach den im dritten Titel vorgeschriebenen Grundsätzen, vernünftig beurtheilen und gehörig bestimmen.

§. 19.

Soll die Aufnehmung der Klage an dem Orte des Gerichts erfolgen, so muß ein Termin dazu anberaumt, der Kläger schriftlich vorgeladen, und, wenn er die Zuordnung eines Assistenten verlangt hat, ihm zugleich bekannt gemacht werden, an wen dazu der Auftrag geschehen sey.

§. 20.

Wenn in dem zur Aufnehmung der Klage anberaumten Termine der Kläger ausbleibt, so ist der Richter weder schuldig noch befugt, die Sache von Amts wegen zu betreiben; sondern er muß das Anmeldungsprotokoll reponiren, und abwarten: ob und wenn der Kläger für gut finden werde, seine Klage weiter fortzusetzen.

§. 21.

In wie fern bei gewissen Arten der Prozesse auf die angemeldete Klage sofort ein Termin zur Instruktion der Sache mit Vorladung beider Theile anzuberaumen sey, gehört zu der unten vorkommenden nähernVerhandlung dieser besondern Prozeßarten.

§. 22.

Ueberhaupt aber ist in allen Fällen die Aufnehmung eines besondern von der Klage verschiedenen Anmeldungsprotokolls zur Form des Prozesses nicht


(100) Prozeßordnung. Fünfter Titel.

wesentlich erforderlich, sondern es kann in jedem Falle, wenn sogleich in dem Anmeldungsprotokolle die Klage vollständig begründet befunden wird, auf dieß Protokoll eben so, wie auf ein solchergestalt abgefaßtes eigentliches Klageprotokoll verfügt werden.

Wenn die Klage selbst mit der schriftlichen Anmeldung verbunden werden könne.

§. 23.

Wenn der Kläger den Betrieb des Prozesses einem Justizkommissarius aufgetragen, und dieser sich mit vollständiger Information nach Vorschrift des folgenden Titels versehen hat, so steht ihm frei, mit der schriftlichen Anmeldung die Klage selbst zu verbinden; worauf sodann nach Vorschrift des Sechsten Titels weiter verfahren wird.

§. 24.

Doch muß in diesem Falle die Vollständigkeit der Klage und der eingezogenen Information, nach den am angeführten Orte ertheilten nähern Vorschriften, mit vorzüglicher Sorgfalt geprüft werden, damit nicht aus einem gleich bei der ersten Einleitung untergelaufenen Versehen oder unbemerkt gebliebenen Mangel in dem Vortrage der Thatsachen, Aufenthalt oder Verwirrung in dem Fortgange der Instruktion entstehen mögen.

Fünfter Titel.

Von Aufnehmung und Instruktion der Klage selbst, und was dabei zu beobachten.

Informations-Einziehung.

§. 1.

In allen Fällen, die Aufnahme der Klage mag von dem Kläger selbst, oder von einem Bevollmächtigten desselben, durch einen Deputirten des Gerichts, oder durch einen auswärtigen Kommissarius, oder durch einen Justizkommissarius, welchem der Kläger in den zugelassenen Fällen den Betrieb des Prozesses aufgetragen hat, geschehen, muß für die


(101) Aufnehmung der Klage.

Herbeischaffung einer vollständigen Information gesorgt werden.

§. 2.

Auch in Fällen, wo die persönliche Zusammenbringung des Klägers mit demjenigen, welcher die Klage von ihm aufnehmen soll, mit zu vielen Schwierigkeiten verbunden ist, und also die Information schriftlich eingezogen werden muß, ist auf die möglichste Vollständigkeit derselben alle Aufmerksamkeit zu wenden.

§. 3.

Wenn der, welchem die Einziehung der Information zur Klage obliegt, findet, daß der abwesende Kläger aus Mangel an Kenntnissen und Einsichten, oder an der Gabe, sich bestimmt und deutlich auszudrücken, ihm die nöthige Information schriftlich nicht ertheilen könne; so muß er dem Gerichte davon Anzeige machen, damit die Aufnehmung der Information durch Auftrag oder Requisition an ein anderes Gericht, vor welchem der Kläger sich persönlich stellen kann, bewirkt werden möge.

1) Über das Forum;

§. 4.

Zu einer vollständigen Information über die aufzunehmende Klage wird folgendes erfordert:

Zuvörderst muß noch genauer, als bei der ersten Anmeldung hat geschehen können, untersucht werden: ob der Beklagte nach seiner Person und seinem Stande, oder die Sache nach ihrer Beschaffenheit, vor das Gericht, wo die Klage angemeldet worden, wirklich gehöre; oder ob etwa der Beklagte aus einem besondern Privilegio nur vor einer gewissen anderen Instanz Recht zu nehmen schuldig sey. Findet sich dabei noch einiger Anstand, so muß derselbe vor allen Dingen näher ins Licht gesetzt, und der Kläger allenfalls, die nöthigen Erkundigungen deshalb einzuziehen, bestimmt angewiesen werden.


(102) Prozeßordnung. Fünfter Titel.

2) über eine etwanige Litispendenz;

Ferner ist der Kläger zu befragen: ob über die Sache, weshalb er klagen will, etwa schon bei einem andern Gerichte ein Prozeß anhängig, und darin bereits eine Citation ergangen sey; auch warum er, wenn dieses wäre, die Sache daselbst nicht fortsetzen wolle. Aeußert sich dabei etwas, wodurch es zweifelhaft wird, ob der Richter, welcher die Prävention ausgeübt hat, dazu wirklich berechtigt sey, so muß davon dem Kollegio zur weiteren Verfügung sofort Anzeige geschehen.

3) über das Objekt der Klage;

Drittens muß der Kläger das Objekt der Klage, besonders wenn es dabei um körperliche Dinge ankommt, nach der Lage, den Grenzen, der äußerlichen Form und Gestalt, Maaß, Gewicht und übrigen Umständen, wodurch die Sache von anderen ähnlichen sich unterscheidet, genau und deutlich bestimmen: um in der Folge allem Mißverständnisse, Irrthume und Zweideutigkeit vorzubeugen.

4) Über das dabei zum Grunde liegende Faktum;

Viertens muß von dem Kläger eine ausführliche Erzählung der Thatsache, des Handels, oder Vorgangs, worauf derselbe seinen Anspruch gründen will, nach allen Haupt- und zur Erläuterung dienenden Nebenumständen gefordert; er über alles und jedes, was zur zuverlässigen und vollständigen Aufklärung des ganzen Zusammenhangs der Sache gehört, genau examinirt; insonderheit aber gemeinen und einfältigen Leuten, denen es an Licht und Ordnung der Begriffe, und an der Fähigkeit, das Nothdürftige kurz und zusammenhängend vorzutragen, fehlet, diese Nachricht mit aller Sorgfalt und Geduld abgefragt, und mit einem Worte, die Species facti so klar und bestimmt auseinander gesetzt werden, daß sogleich übersehen werden könne, wovon eigentlich die Rede sey, und wie durch das vorgetragene Faktum der Anspruch des Klägers begründet werden solle.

5) Über das Petitum;

Worauf Fünftens dieser Anspruch eigentlich gehe, und wie weit er sich erstrecke; ob z. B. der Kläger


(103) Aufnehmung der Klage.

nur Kapital, oder auch Zinsen, und aus was für Gründe er diese letztern fordere, darüber muß der Kläger ebenfalls ausdrücklich vernommen werden.

6) Über den Legitimationspunkt.

Sechstens ist auf die Berichtigung des Legitimationspunktes Bedacht zu nehmen. Wenn sich also ergiebt, daß jemand als Vormund oder Kurator klagen wolle, so muß derselbe zu Herbeischaffung seines Tutorii oder Curatorii, auch, wo es erforderlich des obrigkeitlichen Approbationsdekrets; der Cessionarius zum Ausweis der Cession; der Erbe zur Bescheinigung seines Erbrechts, wenn selbiges nicht etwa notorisch ist; der Bevollmächtigte zur Beibringung der nötigen Vollmacht u. s. w., angehalten werden.

besonders bei Erben;

Setzt jemand seine Legitimation darin, daß der eingeklagte Anspruch durch Erbgangsrecht auf ihn gediehen sey, und gründet er dies sein Erbrecht auf eine letztwillige Disposition, oder auf einen Erbvertrag; So muß er die darüber vorhandene Urkunde im Original oder in beglaubter Abschrift beibringen, und letztern Falls anzeigen, wo das Original befindlich sey. Auch muß, wenn der Kläger sich als Testamentserbe angiebt, ein Attest des Gerichts über die gehörig erfolgte Publikation der Verordnung beigebracht, und, wenn er Vertragserbe zu seyn behauptet, das erfolgte Ableben des angeblichen Erblassers, so bald es nicht etwa notorisch ist, bescheinigt werden. Gründet sich der Kläger in einem gesetzlichen Erbrechte, und ist dieses bei dem Gerichte, wo die Klage angestellt wird, nicht etwa schon bekannt, oder bei anderen Gelegenheiten bereits nachgewiesen worden; so muß er von dem Gerichte, unter welchem ihm die Erbschaft angefallen ist, ein seine Legitimation nachweisendes Attest beibringen. In diesem muß der Grad der Verwandtschaft des Erben mit dem Erblasser angezeigt, und zugleich attestirt werden, daß dem Gerichte kein näherer oder gleich naher Erbe bekannt sey. Ist über den Nachlaß, auf Instanz des Klägers, eine


(104) Prozeßordnung. Fünfter Titel.

Präklusoria ergangen, so ist es genug, wenn nur diese in beglaubter Form vorgelegt, oder in dem gerichtlichen Atteste darauf Bezug genommen wird. Wenn erhellet, daß der Kläger nur zu einem gewissen Theile Miterbe sey, so muß auf die Vorschrift des Landrechts Th. I. Tit. XVII. §. 151 u. f. die erforderliche Rücksicht genommen werden. Uebrigens ist bei dieser vorläufigen Erörterung des Legitimationspunktes, welche der Richter von Amts wegen besorgen muß, eine ganz vollständige und bis zur vollkommenen rechtlichen Gewißheit gebrachte Nachweisung desselben nicht durchaus nothwendig, sondern hinreichend, wenn nur der Kläger den Grund seiner Legitimation bestimmt angegeben, die darüber in seinen Händen befindlichen schriftlichen Beweismittel vorgelegt, und in Ansehung derjenigen, die er nicht sogleich vorlegen kann, ebenfalls bestimmt angezeigt hat, worin dieselben bestehen, und wie sie erforderlichen Falls her herbei zu schaffen seyn werden.

7) Über die etwa vorhandenen mehrern Theilnehmer von Seiten des Klägers, oder

Wenn sich, Siebentens, aus dem Vortrage des Klägers ergibt, daß von seiner Seite mehrere Interessenten vorhanden, und die Sache theilbar ist, so muß er angehalten werden, entweder sich zu erklären, daß er nur auf seinen Antheil klagen wolle; oder von seinen Mitinteressenten eine Vollmacht zur Einklagung des Ganzen beizubringen; oder die ihm von selbigen geschehene Abtretung des Ganzen auszuweisen.

Ist aber die Sache ihrer Natur nach untheilbar, so darf nur diese ihre Qualität im Protokolle gehörig bemerkt werden. Alsdann muß der Richter, je nachem die zu einem solchen untheilbaren Objekte gehörenden mehreren Interessenten entweder Mitglieder einer Korporation oder Gemeine sind, oder ihr Miteigentum aus einem Vertrage, oder unmittelbar aus dem Gesetze entsteht, ferner beurtheilen: in wie fern der zur Klage sich anmeldende Theilnehmer für sich allein zum Prozesse verstattet, oder bis zur erfolgenden


(105) Aufnehmung der Klage.

Beistimmung der übrigen Theilnehmer zurück gewiesen werden müsse.

8) des Beklagten;

Eben so muß, Achtens, Erkundigung eingezogen werden, ob etwa von Seiten des Beklagten mehrere Theilnehmer vorhanden sind, und ob der Kläger sie insgesammt, oder nur einen, oder etliche in Anspruch nehmen wolle.

Ist die Sache, worüber gestritten wird, theilbar, und der Kläger will den einen Mitinteressenten nur auf seinen Antheil belangen, so hat es dabei sein Bewenden. Fordert er aber das Ganze, oder ist die Sache ihrer Natur nach untheilbar, so muß er entweder besondere Gründe, warum der in Anspruch genommene Interessent für das Ganze zu haften schuldig sey, anführen; oder er muß bedeutet werden, seine Klage gegen die sämmtlichen Interessenten zu richten.

Es ist aber eine Sache in gegenwärtiger Beziehung für untheilbar zu achten, wenn sie einem von mehreren Interessenten nicht zu Statten kommen kann, ohne zugleich den übrigen gewährt zu werden, oder von sämmtlichen Interessenten geleistet werden muß, wenn sie dem Gegentheile zu Statten kommen soll, wie z. B. Grundgerechtigkeiten (et)c.

9) Wegen eines etwa vorhandenen Auctoris;

Neuntens muß nachgeforscht werden, ob vielleicht jemand sey, von welchem die streitige Sache oder Forderung an den Kläger gediehen ist; und ob es nothwendig oder rathsam sey, oder von dem Kläger ausdrücklich verlangt werde, diesen Auctorem zur fernern Verhandlung und Untersuchung mit zuzuziehen.

10) über die etwanige Exceptionem plus petitionis tempore; oder

Gleichergestalt muß, Zehntens, untersucht werden, ob etwa die Klage zu früh angestellt sey, und Kläger damit noch erst eine gewisse Zeit oder Begebenheit abwarten müsse. Findet sich dieses, so muß er bedeutet werden, sich bis nach Ablauf dieser Zeit, oder bis zur Existenz dieser Begebenheit zu gedulden,


(106) Prozeßordnung. Fünfter Titel.

oder besondere Gründe, warum er dazu nicht schuldig sey, anzugeben.

11) excussionis et ordinis;

Eben so ist es, Eilftens, zu halten, wenn sich ergibt, daß der Beklagte dem Kläger erst in subsidium verhaftet, und also den Rechten nach zuvörderst der Principalschuldner in Anspruch zu nehmen sey. Alsdann ist der Kläger an diesen zu verweisen, in so fern er nicht besondere Ursachen angeben kann, weswegen er, mit Uebergehung des Hauptschuldners, sich sogleich an den Nebenschuldner oder Bürgen zu halten berechtigt sey.

12) wegen Kautionsbestellung;

Ferner und Zwölftens, muß Erkundigung eingezogen werden, ob der Kläger sich etwa in dem Falle befinde, wo eine Kautionsleistung von ihm nach den Vorschriften des Ein und zwanzigsten Titels gefordert werden kann, und wie er allenfalls diese Kaution zu bestellen gedenke.

§. 5.

Wenn nun solchergestalt wegen der vorläufigen Ausflüchte, unter deren Schutze der Beklagte die Einlassung auf die Klage von sich ablehnen könnte, das Nöthige erinnert, auch die Species facti selbst gehörig auseinander gesetzt ist; so muß

13) über die Beweismittel;

Dreizehntens, derjenige, welchem die Einziehung der Information obliegt, die Species facti mit dem Kläger Punkt für Punkt durchgehen, ihn bei jedem nur irgend erheblich scheinenden Umstande, wie er die Richtigkeit desselben im Läugnungsfalle darthun wolle, befragen; wenn der Kläger sich auf Zeugen beruft, deren Namen, Stand und Aufenthalt, auch von welchem Umstande eigentlich jeder derselben, falls mehrere benannt worden, Wissenschaft haben solle, vermerken; wenn der Kläger sich auf Dokumente beruft, selbige beibringen lassen, und entweder die Originale, oder getreue Abschriften davon, dem Protokolle beiheften; wenn diese Dokumente sich auf andere beziehen, den Kläger zur Herbeischaffung dieser


(107) Aufnehmung der Klage.

letztern, in so fern, als sie zur vollständigen Uebersehung des Fakti nöthig sind, anweisen; wenn der Kläger selbst dergleichen Urkunde entweder gar nicht, oder doch nicht das Original davon in Händen hat, sich im ersten Falle wenigstens die Art des Dokuments, ob es ein Kontrakt, ein Brief, ein Testament, ein Protokoll (et)c. sey, und was daraus, in Beziehung auf das vorliegende Faktum, entnommen werden solle, so genau und bestimmt, als es dem Kläger möglich ist, angeben lassen; in beiden Fällen aber nachfragen: ob das Original in den Händen des Beklagten oder eines Dritten sich befinde, und woher der Kläger wisse oder vermuthe, daß der angegebene Besitzer das Dokument wirklich hinter sich habe; wenn der Kläger sich auf des Beklagten eigenes Geständnis beruft, die Zeit und Umstände, wann und unter welchen es abgegeben worden; ob es schriftlich oder mündlich geschehen; was für Personen dabei zugegen gewesen oder sonst Wissenschaft davon haben können, genau zu erforschen bemüht seyn; wenn der Kläger seinen Vortrag durch andere Beweismittel nicht unterstützen kann, ihn befragen, ob er sich dazu des Eides bedienen wolle; zugleich aber auch ihm die Folgen dieser Art des Beweises bekannt machen. Ueberhaupt muß hierbei die ganze künftige Untersuchung des Fakti dergestalt vorbereitet werden, daß bei deren fernerem Fortgange weder wegen der Angabe, noch wegen der Beschaffenheit der Beweismittel, von Seiten des Klägers ein weiterer Aufenthalt entstehen möge.

§. 6.

14) wegen vermutlicher Einwendungen.

Hiernächst, und Vierzehntens, muß der Kläger auch darüber examinirt werden, ob ihm nicht etwa schon aus vorläufigen Besprechungen mit dem Beklagten, oder aus der mit selbigem geführten Korrespondenz bekannt oder daraus zu vermuthen sey, was etwa der Beklagte gegen seinen Anspruch


(108) Prozeßordnung. Fünfter Titel.

einzuwenden habe; was Kläger an diesen Einwendungen, in so fern dieselben auf Thatsachen beruhen, zugestehe oder läugne; was für andere Thatsachen er denselben etwa entgegen zu setzen, und wie er diese seine Behauptungen darzuthun gedenke.

Eben so muß auch derjenige, welcher die Information einzieht, seine eigenen Vermuthungen, worin die Ausflüchte des Beklagten nach der Natur des Geschäfts, und der dabei gewöhnlich vorkommenden oder von dem Kläger selbst vorgetragenen Umstände vielleicht bestehen könnten, dem Kläger eröffnen, und seine Erklärung darüber abfordern: wie er solchen Ausflüchten, im Fall sie wirklich eingewendet würden, zu begegnen vermeint.

Insonderheit muß der Kläger darüber vernommen werden: ob etwa die eingeklagte Forderung durch Zahlung, Vergleich, Abrechnung u. s. w. getilgt, oder durch ein darüber ergangenes rechtskräftiges Urtel abgethan sey; ob etwa dem Beklagten eine Gegenforderung, wodurch die seinige aufgehoben werden könnte, zustehe; ob Beklagter sich vielleicht mit der Verjährung schützen möchte; und was allen diesen Einwendungen, wenn sie wirklich gemacht werden sollten, entgegen zu setzen wäre.

Vorhaltungen, die dem Kläger zu machen sind.

§. 7.

Am Schlusse des Informationsprotokolls muß derjenige, welcher die Information aufnimmt, Fünfzehntens, dem Kläger nochmals ernstlich zu Gemüthe führen, ob die Sache vorgetragener und niedergeschriebener Maaßen sich wirklich verhalte; ihn anmahnen, der Wahrheit die Ehre zu geben, und sich nicht durch unvollständige oder gar falsche Erzählungen, deren Ungrund sich in der Folge nothwendig veroffenbaren müsse, unnütze Kosten und gesetzliche Strafen zuzuziehen; ihm diese Strafen, so wie sie unten im drei und zwanzigsten Titel näher bestimmt werden, ausdrücklich bekannt machen; ihm die bei


(109) Aufnehmung der Klage.

seiner Geschichtserzählung etwa vorkommenden Unwahrscheinlichkeiten, die bei der Qualität seiner Zeugen oder der Glaubwürdigkeit und Richtigkeit seiner Urkunden etwa erscheinende Bedenken nicht verhehlen; die Vorschriften der Gesetze, die seinem Gesuche entgegen zu stehen scheinen, ihm eröffnen; und wenn überhaupt aus den entwickelten Faktis mit Gewißheit oder doch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit sich ergiebt, daß er mit der Klage nicht fortkommen dürfte, ihm die nachtheiligen Folgen des muthwilligen Prozessirens vorstellen; und zuletzt des Klägers positive Erklärung: ob er dessen ungeachtet den Prozeß anstellen, oder davon abstehen wolle, dem Informationsprotokolle oder den Manualakten beifügen.

Nothwendigkeit einer solchen vollständigen Informationseinziehung.

§. 8.

Obige Vorschriften §. 4-7. muß ein jeder, der von einem Kläger Information einzuziehen hat, er sey ein Mitglied des Gerichts, oder ein von demselben bestellter Kommissarius, oder auch ein Justizkommissarius, welchem der Kläger den Betrieb der Sache als seinem Bevollmächtigten aufgetragen hat, unablässig vor Augen halten; und ob es sich gleich von selbst versteht, daß nicht bei allen Prozessen sämmtliche nach diesen Vorschriften der Partei vorzulegende Fragen nöthig seyn werden: so müssen dennoch sothane Vorschriften dem Deputirten oder Justizkommissarius zum Probiersteine dienen, nach welchem er die Vollständigkeit der aufgenommenen Information zu prüfen hat, und nach welchem auch in der Folge, wenn bei der Instruktion selbst ein Aufenthalt aus Mangel hinlänglicher Nachrichten sich findet, beurtheilt werden muß: in wie fern demjenigen, dem die Einziehung der Information obgelegen hat, ein gegründeter Vorwurf von Leichtsinn, Fahrlässsigkeit, Flüchtigkeit oder Uebereilung, deren nachtheilige Folgen für ihn gehörigen Orts bestimmt werden sollen, zur Last bleibe.


(110) Prozeßordnung. Fünfter Titel.

Einziehung der Information durch Korrespondenz.

§. 9.

Hat der von dem abwesenden Kläger bestellte Justizkommissarius, oder der von dem Gerichte ihm zugeordnete Bevollmächtigte, die Information durch schriftliche Korrespondenz einziehen müssen; so muß er dennoch aus den gewechselten Briefen ein ordentliches Informationsmaterial formiren, und selbiges seinen Manualakten beifügen.

Anh. §. 48. Ist die ertheilte Information vollständig, so bedarf es eines besondern darüber aufzunehmenden Protokolls nicht.

Die Klage soll erst nach eingezogener vollständigen Information aufgenommen werden.

§. 10.

Ehe diese Information, welche von Seiten des Klägers die Grundlage des ganzen Prozesses ausmacht, zu der vorschriebenen Präcision und Vollständigkeit gelangt ist, kann die Klage weder aufgenommen, noch eingereicht werden, noch etwas darauf verfügt werden. Es ist also des Klägers Sache, die nöthigen Nachrichten dazu, nach den ihm bestimmt und allenfalls schriftlich zu ertheilenden Anweisungen, wenn ihm an der Beschleunigung der Sache gelegen ist, in Zeiten herbei zu schaffen.

Hebung der vorläufigen Anstände.

§. 11.

Wenn aus der eingezogenen Information sich ergiebt, daß, ehe die Klage selbst aufgenommen und eingereicht werden kann, zuvor noch etwas in Richtigkeit zu setzen sey, was von dem Kläger allein nicht abhängt, oder wobei er den ihm ertheilten Anweisungen nicht Folge leisten will; besonders aber, wenn

a) über die Kompetenz des Gerichtsstandes, wo geklagt worden;

b) über die von einem andern Richter sich angemaaßte Prävention, oder

c) über die Legitimation des Klägers zur Sache noch ein Bedenken obwaltet; oder

d) wenn sich findet, daß eine vollständige Information nicht erlangt werden könne, wenn nicht zugleich der Autor des Klägers, von welcher


(111) Aufnehmung der Klage.

die streitige Sache oder Befugniß an ihn gediehen ist, mit vorgeladen und vernommen wird oder

e) wenn der Kläger sich in der Hauptsache auf ein Dokument bezieht, wovon er weder Original noch Abschrift in Händen hat, und dessen Herausgabe von dem Beklagten oder einem Dritten fordert:

so muß derjenige, welcher die Klage aufzunehmen hat, von diesen und dergleichen vorläufigen Anständen dem Gerichte besonders Anzeige machen; was zu deren Behebung den Rechten nach erforderlich ist, antragen, und weitere Verfügung darüber erwarten.

Zurückweisung offenbar unstatthafter Klagen.

§. 12.

Ergiebt sich aus der eingezogenen Information, daß die Forderung des Klägers sich zur rechtlichen Erörterung gar nicht qualificire, sondern derselbe entweder, weil durch das vorgetragene Faktum sein Anspruch nach den Gesetzen gar nicht begründet wird; oder, weil ein ihm entgegen stehender Einwand, dessen Richtigkeit er nicht läugnen kann, sein ganzes Recht aufhebe; oder weil die Sache nicht vor dieses, sondern ein anderes Gericht gehört; oder weil ein anderer Richter eine rechtmäßige Prävention bereits ausgeübt hat; oder weil die Klage zu früh angestellt worden (et)c., ohne weiteres Gehör und Untersuchung aus dem Gerichte zu weisen sey: so muß derjenige, welchem die Aufnehmung der Klage obliegt, den Kläger darüber zuvörderst selbst zu bedeuten suchen; wenn aber dieser gleichwohl auf der wirklichen Anstellung der Klage besteht, dieses sein Bedenken, mit Einreichung seiner Informationsakten, dem Kollegio pflichtmäßig anzeigen, und abwarten, ob dasselbe den Kläger durch dein Dekret abweisen, oder die Fortsetzung der Sache verordnen werde.


(112) Prozeßordnung. Fünfter Titel.

Aufnehmung der Klage selbst.

§. 13.

Ist hingegen die Information hinreichend, und weiter nichts dabei zu erinnern, so muß die Klage selbst unverzüglich aufgenommen und dem Gerichte übergeben werden.

a) Wenn das Informationsprotokoll zugleich die Stelle der Klage vertritt.

§. 14.

In gewöhnlichen Fällen kann das Informationsprotokoll die Klage selbst vertreten; nur muß alsdann der Instruent die nach §. 6. dem Kläger wegen vermuthlicher Exceptionen zu machenden Vorhaltungen, und die nach §. 7. ihm über den anscheinenden Ungrund seines Anspruchs geschehenen Remonstrationen entweder in einem Separatprotokolle bemerken, oder ihm in Form einer Resolution und Anweisung das Nöthige darüber eröffnen; und das Separatprotokoll sowohl, als das Konzept der Resolution müssen nicht zu den gerichtlichen Akten kommen, sondern in den Manualakten des klägerischen Assistenten oder Bevollmächtigten aufbewahrt werden.

b) Wenn eine besondere Klage aufzunehmen ist.

§. 15.

Hat aber in wichtigen und weitläufigen Sachen, weil der Kläger selbst nicht sogleich mit vollständigen und zusammenhängenden Nachrichten versehen gewesen, und die Information von ihm nur nach und nach, und gleichsam stückweise eingezogen werden müssen, das Informationsprotokoll nicht gleich von Anfang an so ordentlich, deutlich und zusammenhängend, als es nach Vorschrift §. 14. erforderlich ist, aufgenommen werden können; so muß aus dem Informationsprotokoll ein besonderes Klageprotokoll gezogen werden. Dieß geschieht in der Regel durch den Deputirten selbst, welcher die Information aufgenommen hat. Doch steht es dem Kläger frei, darauf anzutragen, daß die Anfertigung der Klage auf des Grund des Informationsprotokolls seinem Assistenten oder Bevollmächtigten überlassen werde. In beiden Fällen, das Klageprotokoll mag von dem


(113) Aufnehmung der Klage.

Deputierten des Gerichts, oder von dem Rechtsbeistande des Klägers aus der eingezogenen Information angefertigt werden, wird dasselbe, mit Beilegung des versiegelten Informationsprotokolls, in die Registratur des Gerichts abgegeben, und das Informationsprotokoll wird, wenn der Decernent davon, nach Vorschrift des folgenden Titels, den erforderlichen Gebrauch gemacht hat, dem Assistenten oder Bevollmächtigten des Klägers, ebenfalls versiegelt, zu seinen Manualakten zurück gestellt.

Von schriftlichen Klagen.

§. 16.

In den Fällen, wo der abwesende Kläger den ganzen Betrieb der Sache, unter Zulassung der Gesetze, einem Justizkommissario als seinem Bevollmächtigen übertragen hat, steht diesem frei, aus der von dem Kläger eingezogenen Information eine schriftliche Klage anzufertigen und einzureichen. Es müssen aber dieser Klage die Manualakten, in welchen die Information befindlich ist, jedesmal beigelegt werden.

Inhalt der Klage.

§. 17.

Eine jede Klage, sie mag von dem Richter unmittelbar aufgenommen, oder durch einen Justizkommissarius angefertigt seyn, muß enthalten:

1) eine deutliche, vollständige und zusammenhängende Erzählung des Fakti, in welchem der Kläger seinen Anspruch gründet,

2) eine vollständige und bestimmte Anzeige der zum Beweise dieses Fakti vorhandenen Mittel, welche, wenn es Urkunden sind, im Original, oder in getreuer und vollständiger Abschrift (worunter jedoch eben keine förmliche vidimirte Ausfertigungen zu verstehen sind) beizulegen; wenn die Originalien dieser Abschriften hinter dem Beklagten oder einem Dritten befindlich, das Nöthige wegen deren Edition anzuführen; wenn es aber Zeugen wären, dieselben genau


(114) Prozeßordnung. Fünfter Titel.

nach ihrem Namen, Stande, Charakter und Aufenthalte genau zu bezeichnen sind;

3) muß ein der Sache und der Intention des Klägers gemäßer, deutlicher und bestimmter Antrag hinzugefügt werden, aus welchem mit hinlänglicher Gewißheit entnommen werden könne, was eigentlich der Kläger von dem Beklagten fordere.

Was bei der Erzählung des Fakti zu beobachten.

§ 18.

Bei der Erzählung des Fakti muß die erforderliche Vollständigkeit mit einer bündigen Kürze verbunden seyn, und Umstände, welche nicht zur Sache gehören, oder zur Aufklärung ihres Zusammenhanges nichts beitragen, müssen, wenn sie auch im Informationsprotokolle mit aufgenommen wären, in der Klage selbst wegbleiben. Auch weitläufige juristische Ausführungen gehören nicht in die Klage, und noch weniger die dem Kläger über den scheinbaren Ungrund seines Anspruchs nach §. 7. etwa gemachten Remonstrationen, oder die von selbigem über die vermuthlichen Einwendungen des Klagten nach §. 6. eingezogenen Nachrichten. Ob also gleich solche Thatsachen und Umstände, welche in den vollständigen Zusammenhang der Geschichtserzählung von dem zu Grunde der Klage liegenden Geschäfte gehören, allerdings in die Klage mit aufzunehmen sind, selbst wenn daraus ein Einwand, oder eine Gegenforderung des Beklagten zu folgern seyn möchte; so müssen doch dagegen solche Thatsachen, welche auf ein ganz anderes und verschiedenes, mit dem Fakto der Klage in gar keiner Verbindung stehendes Geschäft sich beziehen, aus der Klage wegbleiben, wenn auch deren in dem Informationsprotokolle, bei Gelegenheit der nach § 6. von dem Kläger eingezogenen Erkundigungen, gedacht worden wäre.


(115) Aufnehmung der Klage.

Wegen Formirung des Petiti.

§. 19.

Wenn der Kläger aus dem vorgetragenen Fakto etwas anderes oder mehreres herleiten will, als daraus nach der Meinung dessen, der die Klage aufnimmt, vermöge der gesetzlichen Vorschriften gefolgert werden kann; so muß dennoch, wenn der Kläger sich nicht bedeuten lassen will, der Antrag in der Klage selbst nach dem Verlangen desselben abgefaßt werden.

Von den verschiedenen Arten der Klage.

§. 20.

Sowohl bei der Einziehung der Information und Aufnehmung der Klage, als in dem ganzen Verfolge der Instruktion, müssen zwar alle diejenigen, welche dabei, es sey als richterliche Personen, oder als Vertreter und Beistände der Parteien, mit zu wirken haben, auf die gesetzlichen Vorschriften so weit Rücksicht nehmen, daß sie darnach bei einer jeden vorkommenden Thatsache beurtheilen: in wie fern daraus ein rechtlicher Anspruch oder Einwand entstehen könne; damit die Instruktion durch die Aufnehmung und Erörterung unbedeutender und unerheblicher Nebenumstände nicht überladen und ohne Noth aufgehalten werde. Sie müssen sich aber auch dabei an die aus dem ehemaligen römischen Rechte hergeleiteten und von den Lehrern desselben gebildeten sogenannten Genera et Formulas actionum nicht ängstlich binden; folglich auch keine angegebene Thatsache bloß, um deßwillen verwerfen, oder unerörtert lassen, weil dieselbe auf diese oder jene Gattung von Klagen nicht zu passen scheint.

Während der Instruktion kann das Petitum,

§. 21.

Wenn daher auch das Geschäft oder die Tathsache, welche bei dem Prozesse zum Grunde liegen, sich im Verfolge der Instruktion dergestalt entwickeln, daß daraus zwar nicht dasjenige, was der Kläger in der Klage gefordert hat, wohl aber irgend ein anderer rechtmäßiger Anspruch desselben zu folgen scheint,


(116) Prozeßordnung. Fünfter Titel.

so muß in Fortsetzung der Instruktion dieser Entwickelung nachgegangen, und die Sache, mit Rücksicht auf diesen veränderten Gesichtspunkt, in Facto dergestalt erörtert werden, daß der Richter nicht nur über den in Klage formirten, sondern auch über den während des Laufes der Instruktion zum Vorschein gekommenen anderweitigen Anspruch des Klägers ein Endurtel abfassen könne.

§. 22.

Inzwischen ist eine solche Aenderung des Antrags der Klage nur bis zum Schlusse der Sache in erster Instanz zulässig. Wenn daher der veränderte Gesichtspunkt sich erst durch die neue Instruktion in der zweiten Instanz entwickelt, hat, so kann der Appellationsrichter in dem gegenwärtigen Prozesse darauf keine Rücksicht mehr nehmen; sondern er muß den Kläger damit zur ersten Instanz verweisen, wobei derselbe von den in dem vorigen Prozesse bewirkten Entwicklungen des wahren Zusammenhangs der Thatsachen rechtlichen Gebrauch machen kann.

nicht aber der Grund der Klage geändert werden.

§. 23.

Daß überhaupt diese Erlaubniß, die Klage zu ändern, auf ganz neue Geschäfte, die von denen, welche in der Klage angegeben worden, ganz verschieden sind und eine andere Art von Klage begründen sollen, nicht ausgedehnt werden könne, wird unten verordnet (Tit. X. §. 5. a)

Von Kumulation der Klagen.

§. 24.

Einem Kläger ist erlaubt, wenn er entweder aus einerlei Hauptgeschäfte, oder auch aus verschiedenen Geschäften oder Faktis, mehrere Forderungen an den Beklagten zu machen hat, dieselben in so fern, als sie an sich für einerlei Gerichtsstand und zu einerlei Art des Prozesses gehören, in Eine Klage zusammen zu fassen; und müssen sodann diese mehreren Forderungen zugleich und in Einem Prozesse instruirt und zum Erkenntnisse befördert werden.


(117) Aufnehmung der Klage.

§. 25.

Doch ist in solchem Fall, um Verwirrungen in den Akten zu vermeiden, jeder Punkt, oder jede Forderung, so viel ohne Nachtheil des Zusammenhangs und der Verbindung, worin sie mit einander stehen, sich thun läßt, von Anfang an in besondern Protokollen zu verhandeln; auch jedem Protokolle dasjenige, was den speciellen Gegenstand desselben angeht, z. B. die dazu gehörigen Urkunden, Zeugenaussagen u. s. w., unmittelbar beizufügen.

§. 26.

Auch muß der Instruent diese mehrere Klagepunkte, entweder sogleich bei der Aufnehmung der Klage, oder wenn es dort noch nicht hat geschehen können, wenigstens bei der Regulirung des Status causae et controversiae, dergestalt ordnen, daß diejenigen, von deren Entscheidung die Aburtelung anderer abhängt, zuerst, und diejenigen, welche in näherer Verbindung zusammen stehen, unmittelbar nach einander vermerkt werden.

Vom Possessorio und Petitorio.

§. 27.

Außer dem Possessorio summariissimo, von welchem unten besonders gehandelt wird, soll in Ansehung der Instruktion des Prozesses, kein Unterschied weiter zwischen dem Petitorio und Possessorio Statt finden; sondern alle Thatsachen, welche zur Entscheidung der Frage des Besitzers und der Frage des wirtschaftlichen Rechts gehören, sollen zugleich und in Einem Prozesse aufgenommen und untersucht, also auch in dem über das Recht abzuschaffenden Haupturtel, zugleich über die etwanigen Folgen des Besitzes, nach der verschiedenen Qualität desselben, erkannt werden.

§. 28.

Nur bei Erbschaften, wenn die Gesetze einem Testaments- oder Intestaterben besondere Rechtsmittel, sich vorläufig den Besitz eines liegenden und in Niemandes Besitz befindlichen Nachlasses zu


(118) Prozeßordnung. Fünfter Titel.

verschaffen, an die Hand geben, können dergleichen Klagen besonders angestellt und von dem Prozesse über das Erbrecht selbst getrennt werden.

Von Präjudicialpunkten.

§. 29.

Wenn bei der Sache Präjudicialfragen vorkommen, welche die persönliche Qualität oder das Verhältniß einer Partei gegen die andere, wovon ihre Rechte und Obliegenheiten abhängig sind, betreffen, und die erst erörtert seyn müssen, ehe die Entscheidung der Hauptsache erfolgen kann, z. B. wenn jemand als Erbe eine Forderung des Erblassers einklagt, und ihm die Qualität eines Erben bestritten wird u. s. w.; so müssen zwar von dem Kläger, gleich bei Aufnehmung des Informationsprotokolls, sämtliche Fakta, welche auf die Präjudicialfrage sowohl, als auf die Hauptsache Beziehung haben, vollständig vorgetragen, die Beweismittel dafür angegeben, und so viel als ohne besondern Zeitverlust oder Aufenthalt des Präjudicialpunktes möglich ist, herbei geschafft werden. Alsdann aber muß der Richter, mit Rücksicht auf die solchergestalt auseinander gesetzten Umstände, und je nachdem die Erörterung der Präudicialfrage oder der Hauptsache mehr oder weniger weitläufig und verwickelt zu seyn das Ansehen hat, in vernünftige Erwägung ziehen; ob beide Gegenstände zugleich und in einerlei Prozesse zur Untersuchung und Entscheidung einzuleiten, oder ob der Kläge anzuweisen sey: daß er zuvörderst die Präjudicialfrage mit dem Beklagten ausmachen, und erst alsdann, wenn diese zu seinem Vortheil entschieden worden, weitere Untersuchung und Erkenntniß in der Hauptsache erwarten solle.

§. 30.

Die wirkliche Bestimmung hierüber wird also in jedem einzelnen vorkommenden Falle, nach den besonderen Umständen desselben, dem vernünftigen und pflichtmäßigen Befunde der Gerichte anheim gestellt.


(119) Verordnung auf die Klage.

Sechster Titel.

Von der Verordnung auf die Klage.

Obliegenheit der Registratur.

§. 1.

Die aufgenommene Klage nebst dem Informationsprotokoll muß in der Registratur des Gerichts abgegeben, und von dieser dem auf die Anmeldung bereits ernannten Decernenten zum Vortrage im versammelten Kollegio zugetheilt werden.

Obliegenheit des Decernenten.

§. 2.

Der Decernent muß die Klage mit der Information und den Manualakten, so wie beide mit den Verordnungen des vorhergehenden Titels aufmerksam vergleichen, und sorgfältig prüfen: ob dabei in Ansehung der Deutlichkeit, Bestimmtheit, Ordnung oder Vollständigkeit irgend etwas zu erinnern sey, dem zuvor abgeholfen werden muß, ehe auf die Klage zweckmäßig verfügt werden kann.

Verordnung auf die Klage. a) Wenn noch vorläufige Anstände zu sehen sind.

§. 3. Dergleichen Ausstellungen betreffen entweder Umstände, von denen mit Grunde zu besorgen ist, daß, wenn sie nicht noch vor Mittheilung der Klage an den Beklagten ergänzt oder verbessert werden, dadurch im Fortgange der Instruktion ein Verzug und Anstand erwachsen möchte; oder sie betreffen bloß Nebenumstände, denen noch vor dem Eintritt des anzuberaumenden Termins abgeholfen werden kann, ohne daß daraus in der Instruktion selbst ein erheblicher Aufenthalt zu fürchten wäe.

§. 4.

Letztern Falls muß zwar auf die Klage verordnet, zugleich aber wegen Abhelfung solcher Mängel das Nöthige verfügt werden.

$. 5.

Sind hingegen Umstände vorhanden, welche nach der pflichtmäßigen Beurtheilung des Gerichts


(120) Prozeßordung. Sechster Titel.

noch erst abgeholfen werden muß, ehe auf die Klage zweckmäßige Vorladung ergehen kann und die Abhelfung des Mangels hängt blos von demjenigen, der die Klage aufgenommen hat, oder von dem Assistenten oder Bevollmächtigten des Klägers ab; so muß diesem dazu, mit deutlicher Bemerkung des Fehlers selbst, allenfalls auch mit Zurückgabe der Klage und des Informationsprotokolls, eine nach dem Umständen abgemessene Frist bestimmt, und den Bevollmächtigten oder Assistenten erforderlichen Falls eine verhältnißmäßige Strafe, wenn die Frist nicht inne gehalten würde, gedroht werden.

§. 6.

Ist aber der bemerkte Mangel von der Art, daß demselben nicht ohne eigenes Zuthun der Partei abgeholfen werden kann; so ist diese darüber schriftlich zu bedeuten, und deutlich anzuweisen: was noch erst geschehen, angezeigt oder beigebracht werden müsse, ehe die Information für hinreichend angenommen und die Klage verfügt werden könne. Wie bald der Kläger diese Anweisung befolgen wolle, hängt von ihm allein ab, und er hat die Folgen eines dabei vorfallenden Verzugs lediglich sich selbst beizumessen.

§. 7.

b) Wenn die Klage unstatthaft ist.

Ist aus den im vorigen Titel §. 12. angegebenen oder anderen dergleichen rechtlichen Gründen die Klage offenbar unzulässig, so muß der Kläger, unter Anführung dieser Gründe, durch eine schriftliche Resolution abgewiesen werden; wogegen demselben nur der Weg der Beschwerde an die dem abweisenden Richter unmittelbar vorgesetzte Behörde offen steht.

§. 8.

c) Wenn vorläufige Verfügungen an den Beklagten oder einen Dritten erforderlich sind.

Ist aus den §. 11. des vorigen Titels angeführten oder anderen ähnlichen Gründen noch erst eine vorläufige Verfügung an den Beklagten oder an einen Dritten nöthig, ehe und bevor auf die Klage selbst die Vorladung ergehen kann; so muß diese


(121) Verordnung auf die Klage.

Verfügung fördersamst getroffen, und dem Kläger davon Nachricht ertheilt, von dem Richter aber für die Erledigung solcher vorläufiger Umstände eben so, wie es ihm bei der Instruktion der Hauptsache obliegt, gesorgt werden.

Anh. §. 49. Wenn gegen einen der Regierung untergeordneten Offizianten Regreß- und Injurienklagen aus Veranlassung seines Amts angebracht oder gegen Kassenbediente des Regierungsressorts Geldforderungen eingeklagt werden; so muß das Gericht davon der betreffenden Regierung sogleich Nachricht geben.

Klagen, welche gegen Personen der königlichen Schauspiele und Kapelle einkommen, müssen jederzeit der Generaldirektion der Königlichen Schauspiele mitgetheilt werden.

§. 9.

Auf die Vorschriften des Fünften Titels §. 4. 5. 6. 7. 8. muß der Decernent Rücksicht nehmen, wenn auch derjenige, welcher die Klage aufgenommen hat, keinen besondern Antrag darüber formirt hätte.

§. 10.

d) Wenn die Klage völlig substantiirt ist.

Finden sich aber keine vorläufig zu hebenden Anstände, oder ist selbigen hinreichend abgeholfen; so muß ferner genau erwogen werden:

1) ob die Sache zu einer der besonderen Prozeßarten, über welche in den folgenden Titeln nähere Vorschriften ertheilt werden, gehöre; oder

2) ob nach Beschaffenheit der Sache, oder nach den persönlichen Verhältnissen der Parteien, die Instruktion des Prozesses nach Maaßgabe §. 7. Tit. III. einem auswärtigen Kommissarius zu übertragen sey; oder

3) ob die weitere Verhandlung bei dem Gerichte selbst erfolgen solle.

§. 11.

In diesem letztern Falle muß der Decernent wiederum sorgfältig prüfen:

1) ob auf die Klage sogleich ein Termin zur Instruktion in der Sache, mit Vorladung beider Theile, angesetzt werden könne; oder


(122) Prozeßordnung. Sechster Titel.

2) ob zuvörderst ein besonderer Termin zur Beantwortung der Klage, mit Vorladung des Beklagten allein, anzuberaumen sey.

In welchen Fällen der Termin sogleich zur Instruktion der ganzen Sache, oder erst zur Beantwortung der Klage anberaumt werde.

§. 12.

In gewöhnlichen Fällen, wo bei der Klage keine weitläufigen und verwickelten Thatsachen zum Grunde liegen, muß der Richter sogleich auf die Klage einen Termin zur Instruktion der Sache nach näherer Bestimmung des Neunten Titels §. 25. ansetzen. Wenn sich aber aus der Beschaffenheit der Umstände, oder aus dem Inhalte der Klage und des Informationsprotokolls, ergiebt: daß die Sache einer vorzüglich weitläufigen Erörterung bedürfen werde, indem entweder der Grund der Klage auf mannigfaltigen, zusammen gesetzten und verwickelten Thatsachen beruhet, zu deren Aufklärung eine umständliche Auseinandersetzung und förmliche Beweisesaufnehmung erforderlich seyn dürfte; oder daß der Beklagte wahrscheinlich dergleichen weit aussehende Einwendungen dem Anspruche des Klägers entgegen setzen werde; so steht dem Richter frei, vorerst nur einen Termin zur Beantwortung der Klage anzusetzen, und dazu nur den Beklagten allein vorzuladen. Eben so, wenn der Richter zwar anfänglich, in der Voraussetzung, daß die Sache keiner weitläufigen Erörterung bedürfen werde, dieselbe sofort auf einen Termin zur Instruktion gerichtet hat; in der Folge aber aus vorläufigen Anzeigen des Beklagten, oder sonst, sich hervor thut, daß die dem ersten Ansehen nach einfache und wenig verwickelte Sache durch weitaussehende Einwendungen, durch Litisdenunciationen, durch verwickelte, aus eben dem Geschäfte, wie die Klage, herrührende Gegenforderungen u. s. w., eine weitläufigere Erörterung, als die Klage vermuthen ließ, nothwendig mache: so kann der Richter den anfänglich zur Instruktion überhaupt angesetzten Termin nunmehr bloß auf die Beantwortung der Klage


(123) Verordnung auf die Klage.

richten; er muß aber zugleich dem Kläger davon in Zeiten Nachricht geben, damit diesem durch das Zureisen zu dem Termine, bei welchem, unter solchen veränderten Umständen, seine Gegenwart nicht mehr von Nutzen seyn kann, oder sonst, keine unnöthigen Kosten verursacht werden.

§. 13.

Die Erwägung dieser Umstände, und ob nach selbigen der Termin auf die Klage nur zur Beantwortung derselben, oder sogleich zur Instruktion der ganzen Sache anzuberaumen sey, erfordert die vorzügliche Aufmerksamkeit und reiflichste Prüfung von Seiten des Decernenten: indem davon auf der einen Seite die Beschleunigung, so wie auf der anderen die Gründlichkeit und Vollständigkeit der Instruktion besonders mit abhängen.

Wie die Verfügung abzufassen. I. Wenn der Termin bloß zur Beantwortung der Klage bestimmt wird.

§. 14.

I. In Fällen nun, wo auf die Klage nur erst ein Termin zur Beantwortung dieser anzuberaumen ist, muß dem Beklagten mit vollständiger Zufertigung der Klage und ihrer Beilagen schriftlich anbefohlen werden:

1) den Kläger fördersamst seinem Antrage gemäß zu befriedigen und klaglos zu stellen; oder wenn er sich dazu nicht verpflichtet halte, dem Gerichte innerhalb einer zu bestimmenden Frist davon Anzeige zu machen, und in einem am Ende dieser Frist anzusetzenden Termine vor dem zu benennenden Deputirten des Gerichts zu erscheinen; sich von demselben über den Inhalt der Klage und die darin angegeben Thatsachen näher vernehmen zu lassen, und alle zur vollständigen Erörterung der Sache gehörige Nachrichten, nach seiner besten Wissenschaft, der Wahrheit gemäß, mitzutheilen: auch alle etwa in seinen Händen befindliche Urkunden und andere Schriften, die zur Aufklärung der Sache


(124) Prozeßordnung. Sechster Titel.

etwas beitragen könnten, mit zur Stelle zu bringen.

2) Der Beklagte muß der Regel nach, und wenn nicht eine von den im Dritten Titel §. 4-8. angeführten Dispensationsursachen bei ihm ganz notorisch vorhanden ist, zur persönlichen Erscheinung vorgeladen und ihm angedeutet werden, daß, wenn er aus einer oder der anderen dieser gesetzmäßigen Ursachen den Termin nicht in Person abwarten könne oder wolle, er sothane Ursachen dem Gerichte zeitig vor dem Termine anzeigen und durch glaubwürdige Atteste bescheinigen, auch zugleich denjenigen Justitzkommissarius benennen müsse, welchen er zu seinem Bevollmächtigten in der Sache ausersehen habe.

Anh. §. 50. Die Vorladung zum persönlichen Erscheinen, unter Beifügung der hier vorgeschriebenen Warnung, findet nur dann Statt, wenn der Richter die Gegenwart der Partei zur Ausmittlung der Wahrheit für unumgänglich nothwendig achtet. (§. 1. des Anhangs.)

3) Muß dem Beklagten bekannt gemacht werden: daß ihm frei stehe, sich einen Rechtsbeistand entweder aus den bei dem Gerichte aufgenommenen Justizkommissarien selbst zu wählen, oder die Zuordung eines Assistenten bei dem Gerichte zeitig vor dem Termine nachzusuchen.

4) Wenn aus der Klage oder aus dem darüber aufgenommenen Informationsprotokolle sich ergiebt, daß der Beklagte sich wahrscheinlich in dem Falle befinden werde, die Herausgebung eines Dokumtents von dem Kläger oder einem Dritten zu verlangen; oder eine Litisdenunciation anzubringen; oder sonst auf die Zuziehung oder Vorladung eines Dritten anzutragen: so muß demselben in eben dieser Verordnung angedeutet werden, daß er das Erforderliche deshalb


(125) Verordnung der Klage.

zeitig vor dem Termine bei dem Gerichte nachsuchen müsse. Endlich

5) muß diesem Befehle die Warnung beigefügt werden: daß, wenn der Beklagte sich innerhalb der bestimmten Frist nicht melden, und auch in dem anberaumten Termine ungehorsam außen bleiben würde, ihm nicht nur sämmtliche Kosten zur Last fallen, sondern auch die in der Klage vorgetragenen Thatsachen für richtig angenommen, und darauf dasjenige, was nach diesen Thatsachen und den Vorschriften der Gesetze Rechtens sey, wider ihn festgesetzt, auch auf ferneres Anrufen des Klägers mit der Exekution verfahren werden solle.

§. 15

Von dieser Verordnung wird dem Kläger oder dessen Bevollmächtigten eine bloße Abschrift zu seiner Nachricht zugestellt.

II. Wenn sogleich der Instruktionstermin anberaumt wird.

§. 16.

II. In Fällen, wenn nach §. 12. der Termin auf die Klage sogleich zur Instruktion der ganzen Sache anberaumt wird, muß die Verordnung an den Beklagten auf gleiche Art abgefaßt, derselbe jedoch darin nicht bloß zur Beantwortung der Klage, sondern auch zur weiteren rechtlichen Behandlung darüber mit dem Kläger ausdrücklich vorgeladen werden.

§. 17.

Der Kläger hingegen muß in diesen Fällen zu eben demselben Termine gleichfalls schriftlich vorgeladen und ihm aufgegeben werden, alle etwa noch hinter sich habende oder in der Zwischenzeit ihm noch bekannt werdende Nachrichten und Urkunden, welche zur Aufklärung der Sache etwas beitragen könnten, mit zur Stelle zu bringen. Auch gehören in diese Verordnung die nach §. 4. wegen Abhelfung etwaiger Mängel bei der Klage, die jedoch die Fortsetzung der Sache nicht aufhalten, zu treffenden Verfügungen.


(126) Prozeßordnung. Siebenter Titel.

§. 18.

Dieser Verordnung an den Kläger ist die Warnung beizufügen, daß, wenn der selbe in dem anberaumten Termine ungehorsam außen bliebe, ihm alle bis dahin aufgelaufene, ingleichen die durch sein Außenbleiben dem Beklagten verursachten Kosten zur Last gesetzt und mit Reponirung der Akten verfahren werden solle.

Siebenter Titel.

Von der Abfassung und Insinuation gerichtlicher Verordnungen.

Allgemeine Vorschrift, wegen Abfassung gerichtlicher Verordnungen.

§. 1.

Die Verordnungen auf die Klage, so wie alle gerichtlichen Verordnungen überhaupt, müssen in einer deutlichen, ungekünstelten und allgemein verständlichen Schreibart abgefaßt seyn; die Person und der Aufenthalt des Beklagten müssen darin so genau bestimmt werden, daß bei der Insinuation derselben kein Irrthum oder Mißverständniß vorfallen könne; dasjenige, was der Beklagte thun oder leisten soll, muß deutlich und positiv ausgerückt; der Zeitraum, innerhalb dessen, ingleichen der Termin, bis zu welchem der Verordnung nachzukommen sey, muß genau bestimmt, und die Warnung wegen des Nachtheils, welchen der Vorgeladene aus der unterlassenen Befolgung dieses Befehls zu gewarten hat, muß mit klaren und deutlichen Worten beigefügt werden.

Anh. §. 51. Alle Vorladungen und Verfügungen der Gerichte, auch wenn sie an Parteien im Auslande erlassen werden, sind in deutscher Sprache abzufassen.

Anh. §. 52. Wenn ein Regierungsbedienter oder ein der Regierung untergeordneter Offiziant außerhalb seines Wohnorts bei Gericht geladen wird, so muß davon bei der Vorladung die betreffende Regierung oder unmittelbar vorgesetzte Behörde des Vorgeladenen benachrichtigt werden.


(127) Insinuation der Vorladungen.

Wie Citationen moralischer oder

§. 2.

Wenn an einen Magistrat, an ein Kollegium, Stift, Kapitel, an eine Gemeine, oder andere moralische Personen, etwas schriftlich verfügt werden soll, so ist die Verordnung nur nomine collectivo an den Magistrat, das Kollegium, die Gemeine u. s. w. zu richten.

unter Vormundschaft stehender Personen zu adressiren.

§. 3.

Ist ein Rasender, Blödsinniger, Tauber und Stummer, ein gerichtlich erklärter Verschwender, oder eine wegen minderjährigen Alters oder sonst unter Vormundschaft stehende Person belangt; so wird die Verordnung nur an den Vormund allein, und wenn der Beklagte sowohl nach seiner Person, als in Ansehung der streitigen Sache, unter väterlicher Gewalt steht, nur an den Vater allein gerichtet. In Provinzen, wo die Geschlechtsvormundschaft noch Statt findet, ist dennoch die Vorladung nur an die beklagte Frauensperson allein zu richten, und sie bedarf zur Ausstellung des Empfangscheins keines Kurators.

§. 4.

Von Vorladungen durch Requisition.

Wenn jemand, der sonst einen anderen ordentlichen Gerichtsstand in- oder außerhalb Landes hat, dennoch in der streitigen Sache bei dem Gerichte, wo geklagt worden, Recht zu nehmen schuldig ist; so muß ein Requisitionsschreiben an des Beklagten ordentliche Obrigkeit erlassen, und dieselbe darin, unter dem Versprechen bereitwilliger Erwiederung in ähnlichen Fällen, ersucht werden, nebst Beilagen zeitig insinuiren zu lassen, ihn wegen deren Befolgung zu bedeuten, und eine Bescheinigung der geschehenen Insinuation bald möglichst einzusenden.

§. 5.

Die Uebermachung dieses Requisitionsschreibens muß der Kläger besorgen, auch allenfalls bei dem


(128) Prozessordnung. Siebenter Titel.

fremden Gerichte jemanden bestellen, der die Kosten daselbst vorschieße und das Nöthige nach dem dort etwa üblichen Gebrauche betreibe.

§. 6.

Dem Requisitionsschreiben wird die Verordnung entweder offen, oder sogleich eine Abschrift davon, zur Ersehung und Ueberzeugung des fremden Gerichts, daß in seine Jurisdiktion dadurch kein Eingriff geschehe, beigefügt.

§. 7.

Wenn an einen fremden Kläger, der sich einmal zur Anstellung der Klage bei dem Gerichte gemeldet hat, etwas schriftlich zu erlassen ist; so bedarf es dazu keiner Requisition seiner ordentlichen Obrigkeit, sondern die Absendung solcher Verordnungen an ihn kann, wenn er am Orte noch keinen Bevollmächtigten bestellt hat, auf dem gewöhnlichen Wege der Post geschehen.

§. 8.

Die Landesjustizkollegia können und müssen in allen Sachen, welche bei ihnen in erster oder auch in zweiter Instanz zu verhandeln sind, die dabei interessirenden Personen, wenn selbige auch bei einem Untergerichte ihres Departments ihr gewöhnliches Forum haben, dennoch unmittelbar vorladen.

§. 9.

Wenn ein in gehöriger Art requirirtes einländisches Gericht die übersandte Citation zu insinuiren verweigert; so muß davon, wenn es ein Untergericht wäre, dessen oberer Instanz, zur Zurechtweisung und Bestrafung, Anzeige gemacht werden. Will aber der Oberrichter ein ihm subordinirtes Untergericht zur Insinuation nicht anhalten, oder ist er es selbst, der dieselbe verweigert; so muß nach Hofe berichtet werden.


(129) Insinuation der Vorladungen.

§. 10.

In allen Fällen muß das einheimische Gericht, welches die Insinuation zur Ungebühr und ohne scheinbaren Grund versagt hat, sämmtliche verursachte Kosten erstatten; dem Kläger oder Extrahenten wegen des aus der Versäumniß ihm erwachsenen Schadens gerecht, auch außerdem noch, bewandten Umständen nach, mit einer verhältnißmäßigen Strafe belegt werden.

§. 11.

Wenn ein ausländisches Gericht die Insinuation verweigert, oder auf wiederholte Schreiben deshalb nicht antwortet; so muß dem Departement der auswärtigen Geschäfte darüber berichtet werden, damit dieses die vorgesetzte Behörde des weigernden Gerichts durch diensame Vorstellungen zur Hebung des Anstandes vermöge.

Kann der Anstand auf diesem Wege nicht gehoben werden, so kommt es darauf an: ob an dem Orte, wo der Beklagte sich aufhält, Notarien befindlich sind; und alsdann muß der Extrahent angewiesen werden, die Vorladung durch einen Notarius insinuiren zu lassen.

Findet diese Art der Insinuation nicht Statt; so muß eine an die Partei selbst gerichtete Vorladung unmittelbar durch die Post versendet, und der Abgang durch einen zu den Akten zu nehmenden Postschein nachgewiesen werden. Erfolgt hierauf in der doppelten Frist, welche nach dem gewöhnlichen Laufe der Posten zum Eingange einer Antwort oder Erklärung darüber erfordert wird, keine dergleichen Erklärung von Seiten des Vorgeladenen; so kann entweder der Extrahent von dem Postamte des Orts ein Attest: daß die Bestellung an den Vorgeladenen wirklich geschehen sey, beibringen; oder doch nachweisen, daß dieser zu der Zeit, als die Post daselbst angekommen, an dem Orte wohin die Verordnung


(130) Prozeßordnung. Siebenter Titel.

adressirt gewesen, sich wirklich aufgehalten habe; und dann soll, in diesem Falle, die Insinuation für hinlänglich bescheinigt angenommen werden.

Kann aber der Extrahent weder dergleichen Attest von der Post beibringen, noch den vorgedachten Nachweis führen; so muß die Citation den Zeitungen der Provinz, in welcher das vorladende Gericht seinen Sitz hat, einmal inserirt werden. Der Kläger muß ein Exemplar dieses Zeitungsblatts dem Beklagten auf der Post zuschicken und den Abgang dieses Schreibens bescheinigen.

Von Ediktalcitationen.

§. 12.

Außer demjenigen, was bei Konkurs- und Liquidationsprozessen, Aufbietung unbeweglicher Güter, und in Ansehung anderer besonderer Prozeßarten, unten in den gehörigen Titeln verordnet werden wird, finden Ediktalcitationen in Zivilprozessen nur alsdann Statt, wenn ein Vagabund, dessen Aufenthalt unbekannt ist, der sich nirgends im Lande betreffen läßt, und der auch kein Vermögen im Lande besitzt, dennoch bei einem hiesigen Gerichte belangt und von selbigem vorgeladen werden soll.

And. §. 53. Bei Injurienklagen oder Denunciationen wegen Injurien wider Fremde, welchen die Vorladung nicht insinuirt werden kann, findet, in so fern der Beklagte nicht als ein Durchreisender, sondern nach Titel II. §. 23. als Vagabund anzusehen ist, ebenfalls die Ediktalcitation Statt.

§. 13.

Wird der Vagabund in hiesigen Landen betroffen, so hat es bei der Vorschrift des Zweiten Titels §. 25. sein Bewenden, und es bedarf keiner Ediktalcitation. Besitzt er bewegliches oder unbewegliches Vermögen in hiesigen Landen, so muß ihm, als einem Abwesenden, nach Vorschrift des allgemeinen Landrechts Th. II. Tit. XVIII. §. 19. u. f. ein Vormund bestellt werden, von dessen pflichtmäßigem Befinden und Antrage es alsdann abhängt, in wie fern es zum


(131) Insinuation der Vorladungen.

Behuf des Prozesses einer Ediktalcitation des Abwesenden bedürfe. Wenn aber keiner dieser Fälle obwaltet, so kann die Ediktalcitation eines solchen Vagabunden in demjenigen Gerichtslande, wo er vor Ergreifung der herumschweifenden Lebensart seinen letzten Bekannten Wohnsitz gehabt, oder wenn dieser nicht bekannt, oder nicht in hiesigen Landen ist, an seinem Geburtsorte nachgesucht werden.

§. 14.

Wer die Ediktalcitation eines Vagabunden verlangt, muß nachweisen, daß der Aufenthalt desselben unbekannt sey, und er sich um dessen Ausforschung vergeblich bemüht habe. Der Richter muß nach Beschaffenheit eines jeden Falles reiflich erwägen, und vernünftig ermessen: ob unter den Umständen, unter welchen der Beklagte seinen Geburts- oder bisherigen Wohnort verlassen hat, und nach Verhältnis des seitdem verlaufenen Zeitraums wirklich Gründe vorhanden sind, denselben in gesetzlichem Sinne als einen Vagabunden anzusehen; und ob die Mühe, welche der Kläger zur Erforschung seines Aufenthaltes angewendet zu haben anzeigt, für zweckmäßig und hinreichend zu achten sey.

§. 15.

Wenn nach dieser Prüfung die Ediktalcitation zulässig befunden wird, so wird darin die Person des Klägers benannt, der Gegenstand und Grund der Klage kürzlich angegeben und der Beklagte zu einem gewissen Termine, unter Androhung des weitern Verfahrens in contumaciam, vorgeladen. Dieser Termin wird in der Regel auf drei Monate, vom Tage des erfolgenden Aushangs an gerechnet, hinaus gesetzt. Ist aber der letzte bekannte Aufenthalt des Beklagten über 50 Meilen von dem Orte, wo das citirende Gericht seinen Sitz hat, entlegen, so ist der Termin auf sechs Monate zu bestimmen.


(132) Prozeßordnung. Siebenter Titel.

§. 16.

Wenn der Beklagte weder vor, noch in diesem Termine sich meldet, so muß alsdann der Kläger eidlich erhärten:

daß er die von ihm angezeigten Bemühungen, um den Aufenthalt des Beklagten zu entdecken, wirklich angewendet; dennoch aber weder vor, noch nach erlassener Citation davon Nachricht erhalten habe.

Nach geschehener Ableistung des Eides wird alsdann das Weitere, der Vorschrift des folgenden Titels gemäß, in contumaciam festgesetzt, und das Kontumacialerkenntniß, statt der Zufertigung an den Beklagten, vier Wochen hindurch an gewöhnlicher Gerichtsstelle ausgehängt.

§. 17.

Wird vor Abfassung des Kontumatialerkenntnisses der eigentliche Aufenthalt des Beklagten dergestalt mit Zuverlässigkeit bekannt, daß ihm eine gewöhnliche Vorladung daselbst insinuirt werden kann, so ist die Ediktalcitation zurück zu nehmen. So lange es hingegen noch zweifelhaft bleibt: ob eine dergleichen gewöhnliche Insinuation werde erfolgen können, muß zwar damit der Versuch gemacht, die Ediktalcitation aber nicht zurück genommen werden: damit, wenn die gewöhnlich Insinuation nicht Statt findet, auf den Grund der Ediktalcitation weiter verfahren werden könne.

Von Realcitationen.

 §. 18.

Die Realcitation, wenn nämlich der Vorgeladene durch einen Gerichtsbedienten abgeholt und allenfalls mit Gewalt vor den Richter gestellt wird, findet in bürgerlichen Sachen (causis civilibus) nur alsdann Statt, wenn die Gegenwart einer solchen zur Eruirung der Wahrheit vorgeladenen Person, welche auf die ergangene gewöhnliche Citation ungehorsam ausbleibt, dergestalt nothwendig ist, daß ohne


(133) Insinuation der Vorladungen.

dieselbe mit Verhandlung und Instruktion der Sache, selbst in contumaciam, nicht weiter verfahren werden kann.

Von Insinuationen; durch wen?

§. 19.

Citationen und andere Verordnungen müssen, der Regel nach, durch einen dazu bestellten und vereideten Gerichtsbedienten insinuirt werden; es wäre denn, daß der Extrahent ausdrücklich verlangte, ihm die Insinuation selbst zu überlassen; in welchem Falle er jedoch auch für die Herbeischaffung einer vollkommen glaubwürdigen Bescheinigung darüber sorgen muß.

Anh. §. 54. Die von den Civilgerichten erlassenen Vorladungen der Unteroffiziere und gemeinen Soldaten werden nicht dem Vorzuladenden selbst, sondern dem Chef der Kompagnie oder Eskadron, und wenn solcher abwesend ist, dem Kommandeur derselben zur weitern Bestellung an den Vorzuladenden eingehändigt. Von dem vorgesetzten Offizier wird auf der bei der Vorladung jedesmal befindlichen Abschrift der richtige Empfang mit dem Versprechen vermerkt, daß die Vorladung dem Vorgeladenen zu gehöriger Zeit bekannt gemacht werden soll.

Anh. §. 55. Bei Insinuation der Vorladungen der aktiven, bei Regimentern oder Bataillons angestellten Offiziere wird, so bald der Vorzuladende selbst erscheinen muß, der Kommandeur oder sonstige unmittelbare Vorgesetzte zugleich ersucht, denselben zur Abwartung des Termins von etwanigen Dienstgeschäften, in so fern solche es gestatten, zu entbinden. Ist die Anwesenheit des Offiziers nicht durchaus nöthig, so fällt diese Benachrichtigung weg; und der Vorzuladende muß, wenn er persönlich erscheinen will und durch Dienstgeschäfte verhindert wird, entweder die Verlegung der Termins bei dem Gerichte, oder die Befreiung von den Dienstgeschäften für die Zeit des Termins bei seinen Vorgesetzten, nachsuchen.

Kann auch die Vernehmung des Offiziers, als Partei oder Zeuge, bei dem Militairgericht leichter als bei dem kompetenten Zivilgericht bewirkt werden; so wird ersteres deshalb von dem letztern requirirt.

Wo?

§. 20.

Die Citationen und Befehle sollen denjenigen, an welche sie gerichtet sind, in ihren gewöhnlichen


(134) Prozeßordnung. Siebenter Titel.

Behausungen, und den Handelsleuten in ihren Kramläden oder Schreibstuben, insinuirt werden. Wird aber der Vorzuladende daselbst nicht angetroffen, so ist die Citation seinen Angehörigen oder seinem Gesinde zuzustellen, und wie dieses geschehen, mit Benennung der Person und ihres Verhältnisses gegen den Vorgeladenen, ingleichen des Tages und der Stunde, in ein über den Hergang der Insinuation zu haltendes Protokoll, oder in der von dem insinuirenden Boten auf seinen Amtseid zu machenden Anzeige genau zu vermerken.

An wen?

§. 21.

Ist von vorbenannten Personen niemand, dem die Citation zugestellt werden kann, vorhanden, oder will sie keiner annehmen, so muß die Insinuation an den Hauswirth geschehen.

Ist auch dieser nicht gegenwärtig, oder wird die Annahme von ihm verweigert, so ist die Citation an die Stuben- oder Haustür zu befestigen, keinesweges aber fremden und unbekannten Personen oder unerwachsenen Kindern anzuvertrauen. Wie in diesem Falle die Insinuation geschehen, ist auf eben die Art, wie in dem Falle des vorigen Paragraphen, bestimmt zu den Akten anzuzeigen.

§. 22.

Die Miether eines Hauses sind nicht schuldig, Citationen an den Eigenthümer anzunehmen; wohl aber Verwalter und Administratoren, ingleichen Pächter ganzer Landgüter, welche den Befehl ihrem Brotherren oder Verpächter, auf seine Kosten, zuzuschicken verbunden sind. Die ihnen davon geschehene Bedeutung muß in dem Insinuationsprotokolle ausdrücklich vermerkt werden. Doch können auch solche Administratoren und Pächter die Annahme der Citation verweigern, wenn ihr Principal oder Verpächter in derselben Provinz wohnhaft ist, und also


(135) Insinuation der Vorladungen.

die Insinuation unmittelbar an ihn füglich geschehen kann.

Wenn sie geschehen sollen?

§. 23.

Die Insinuationen müssen der Regel nach an Werk- und nicht an Sonn- und Festtagen geschehen. Doch entsteht aus der unterlassenen Befolgung dieser Vorschrift keine Nullität, in so fern nur der Vorgeladene die Citation angenommen hat.

Insinuation durch einen Kommissarius.

§. 24.

Wenn einfältige und gemeine Leute, die keine Kenntniß und Erfahrung in Geschäften haben, vorzuladen sind, so kann die Verordnung einer an ihrem Wohnorte oder in der Nähe sich aufhaltenden Gerichtsperson zugeschickt werden, um die Insinuation zu besorgen; dem Vorgeladenen den Inhalt der Citation, und was er nach selbiger zu thun habe, näher zu erläutern; ihm allenfalls seine vorläufige Erklärung: ob er die Forderung des Klägers einräumen oder es auf den Prozeß ankommen lassen wolle, abzufordern; das darüber aufgenommene Protokoll aber dem citirenden Gerichte einzusenden.

Ueberhaupt aber ist ein jedes Gericht in Königlichen Landen schuldig, wenn dergleichen Personen mit einer erhaltenen Vorladung bei ihm sich melden, und um deren Erläuterung bitten, ihnen damit und mit den etwanigen näheren Anweisungen an die Hand zu gehen, dem citirenden Gerichte aber davon Nachricht zu geben.

§. 25.

Auch in andern Fällen steht den Gerichten frei, durch die Bürgermeister und Richter in den Städten, mittelst der unter selbigen stehenden Gerichtsdiener, auf dem Lande aber durch die Schulzen und Dorfgerichte, Insinuationen verrichten zu lassen; und diese müssen, wenn das citirende Gericht ihre vorgesetzte obere Instanz ist, die Insinuation bei willkührlicher Strafe besorgen. Soll hingegen die Insinuation


(136) Prozeßordnung. Siebenter Titel.

in dem Jurisdiktionsbezirke eines fremden Gerichts erfolgen, so muß die Verfügung dazu allemal, der Vorschrift §. 4. gemäß, bei dem Obergerichte der Provinz nachgesucht werden; es wäre denn, daß Landesjustizkollegien angrenzender Departements, zur Ersparung von Zeit und Kosten, sich ein- für allemal vereinigt hätten, daß die Untergerichte des einen Departements, die von dem andern wegen solcher Insinuationen ergehenden Aufträge ohne weitere Rücksprache gegenseitig befolgen sollen.

Bescheinigung der Insinuation.

§. 26.

Ein bloßer Postschein von dem Orte des Abgangs ist zur Bescheinigung der erfolgten Insinuation nicht hinreichend; es wäre denn, daß zugleich das Postamt des Ortes, wohin die Citation ergangen ist, die dem Vorgeladenen richtig erfolgte Behändigung auf seine Pflicht attestirte, und der Extrahent dergleichen Attest in beglaubter Form beibrächte. Wegen der dem Kläger durch die Post zuzuschickenden Verordnungen hat es bei der Vorschrift §. 7. sein Bewenden.

Anh. §. 56. Die Postämter sind angewiesen, über die zur Post gegebenen Vorladungen, Resolutionen und (und) Kontumacialbescheide eine Bescheinigung des Empfanges und des Abgangs auf den Grund der Postkarte gegen eine Belohnung von 3 Gr. zu ertheilen, und diese Bescheinigung auf die ihnen offen vorzulegende Abschrift der zu Insinuirenden Vorladung u. s. w. zu setzen.

Von Insinuationen: a) an hohe Standespersonen;

§. 27.

Wenn an Fürsten, Grafen und andere hohe Standespersonen, die ihre eigenen Regierungen, Kanzelleien oder Justizkammern haben, Verordnungen erlassen sind; so muß deren Insinuation solchen Justizbeamten geschehen: es wäre denn, daß letztere selbst als Kläger die Citation gegen ihren Principal ausgebracht hätten.

b) an Aemter;

§. 28.

Ist ein Königliches oder Prinzliches Amt citirt, so geschieht die Insinuation dem Oekonomiebeamten,


(137) Insinuation der Vorladungen.

welcher der Kammer davon in Zeiten Nachricht geben muß. Doch soll auch außerdem der Kammer durch das citirende Gericht selbst eine Abschrift der Klage, welcher jedoch die Beilagen nicht nothwendig beizufügen sind, mitgetheilt werden.

Anh. §. 57. Bei Klagen, welche ohne nähere Bestimmung der fiskalischen Station gegen den Fiskus oder gegen solchen mit anderen Beklagten gemeinschaftlich gerichtet sind, wird der Fiskus der Regierung überhaupt als Beklagter angesehen, und die Klage dem Präsidium der Regierung insinuirt.

c) an andere moralische Personen;

§. 29.

Befehle an Stadt oder Dorfgemeinen, Magisträte, Kollegia, Stifter, Kapitel, Zünfte, Gewerke u. s. w. werden dem vorsitzenden Bürgermeister, Stadtverordneten, Altmeister, Schulzen und Gerichte, so wie bei Kollegien oder Stiftern dem Vorgesetzten, Vorsteher oder Syndikus insinuirt; und diesen liegt ob, der ganzen Gemeine oder den übrigen Interessenten davon Nachricht zu geben. Ist es aber der Bürgermeister, der Schulze oder Altmeister u. s. w. selbst, der die Citation als Kläger nachgesucht hat; so muß die Insinuation dem nächsten nach ihm geschehen.

Anh. §. 58. Wenn ein einzelnes Komtoir der Seehandlungs-Societät aus seinen Handlungen und Verträgen, besonders in kaufmännischen Angelegenheiten, belangt wird; so ist die Citation an das Komtoir zu richten und demselben zu insinuiren, zugleich aber der Seehandlungs-Direktion von der eingekommenen Klage Nachricht zu geben. Wenn aber ein Anspruch oder eine Klage nicht ein einzelnes Komtoir, sondern die Seehandlungs-Societät überhaupt betrifft; so wird die Vorladung an das officium fisci in Vertretung der Seehandlungs-Societät gerichtet und die Insinuation geschieht an den von der Generaldirektion ernannten fiskalischen Bedienten, welcher ein- für allemal zu deren Vertretung autorisirt ist.

d) an Hüfner, Kossaten (et)c.;

§. 30.

Hüfner, Kossaten, Handfröhner, Dreschgärtner, Inlieger und andere, die für eine Kommunität nicht zu achten sind, müssen durch eine Kurrende vorgeladen,

(138) Prozeßordnung. Siebenter Titel.

und die Insinuation muß nach Vorschrift §. 24. besorgt werden.

e) an mehrere Beklagte;

§. 31.

Wenn mehrere Interessenten zu citiren sind, so muß der, welchem der Originalbefehl zuerst eingehändigt wird, sich gegen den Boten sofort erklären: ob er selbigen seinen Mitgenossen zustellen wolle. Alsdann ist ihm die Verordnung zu lassen, dieses Versprechens aber in der Insinuationsbescheinigung, oder dem dabei aufgenommenen Protokolle ausdrücklich zu erwähnen; da, wenn ein solcher Interessent die Insinuation an seine Mitbeklagten, wider Verhoffen, unterlassen sollte, und gegen diese kein Kontumacialverfahren Statt fände, sondern die Vorladung wiederholt werden müßte, der säumige Mitbeklagte dem Kläger alle daraus entstehenden Schäden und Kosten zu erstatten schuldig ist. Wollte hingegen der erste Empfänger die weitere Beförderung der Citation nicht übernehmen, so muß das Original allen Interessenten vorgezeigt und bei dem letzten gelassen werden. Es steht auch einem jeden frei, Abschriften davon zu nehmen; doch muß er dieserhalb das Original nicht über zwei bis drei Stunden, oder doch nicht über die, zu Nehmung der Abschrift, nach Beschaffenheit der Umstände unumgänglich erforderliche Zeit zurück behalten.

f) an mehrere Erben;

§. 32.

Ist ein Befehl an mehrere Erben gerichtet, und die Erbschaft noch ungetheilt, so geschieht die Insinuation im Sterbehause. Ist die Theilung schon erfolgt, und der Extrahent weiß nicht genau, was und wie viel Erben jemand hinterlassen habe; so ist es genug, wenn nur ein Erbe benannt, und diesem die Citation zugestellt wird. Ein solcher Erbe muß, wenn er Miterben hat, denselben von der ergangenen Citation Nachricht geben, oder ihre Personen und ihren Aufenthalt dem Richter, zur Besorgung


(139) Insinuation der Vorladungen.

der besondern Insinuation, in Zeiten anzeigen; widrigenfalls er dem Kläger gleichergestalt für alle aus der Unterlassung entstehende Schäden und Kosten verhaftet bleibt. Diese ihm obliegende Verbindlichkeit, und die Folgen ihrer Unterlassung, müssen jedoch einem solchen Erben in der Verordnung ausdrücklich bekannt gemacht werden.

g) an unbekannte Erben;

§. 33 a.

Ist der Erbe oder dessen Aufenthalt noch nicht bekannt, so muß die Citation dem entweder schon ernannten, oder auf Ansuchen des Klägers, zu dieser Sache zu bestellenden Verlassenschaftskurator insinuirt werden.

h) an Vormünder;

§. 33 b.

Wenn ein Vormund citirt wird, und das Gericht, vor welchem der Prozeß verhandelt werden soll, ein von dem vormundschaftlichen Gerichte verschiedenes Kollegium ausmacht; so muß, wie in dem Falle des §. 28., dem vormundschaftlichen Gerichte eine Abschrift der Klage mitgetheilt werden.

§. 34.

Wenn gleich Citationen an mehrere Vormünder und Kuratoren zugleich gestellt sind, so ist es dennoch hinreichend, wenn dieselben auch nur Einem darunter insinuirt werden; und ist derselbe gehalten, seinem Nebenvormunde davon Nachricht zu geben. Ein Gleiches soll auch bei Vorstehern der Kirchen, Schulen und anderer milden Stiftungen Statt finden.

i) an Erben, wenn der Prozeß schon in Gange ist;

§. 35.

Wenn jemand, der in königlichen Landen zwar nicht wohnhaft, aber doch daselbst mit unbeweglichen Gütern angesessen ist, bei einem einländischen Gerichte sich auf den Prozeß einmal eingelassen hat; so geschiehet nach seinem Absterben die Insinuation der darin etwa ferner ergehenden Befehle, nach wie vor, allein auf dessen hiesigen Gütern; und der Erbe, welcher sie in Besitz hat, es sey der Nachlaß getheilt


(140) Prozeßordnung. Siebenter Titel.

oder noch ungetheilt, muß seinen Mitinteressenten davon Nachricht geben, oder ihnen im Unterlassungsfalle gerecht, auch solches demselben in der Verordnung nach Vorschrift §. 32. bekannt gemacht werden.

k) an Parteien, die während des Prozesses sich entfernen.

§. 36.

Wenn in einem schon rechtshängigen Prozesse eine Partei am Orte des Gerichts bereits einen Bevollmächtigten oder Assistenten bestellt, oder dessen Zuordnung gesucht und erhalten hat; so werden alle nachherige Verordnungen an diesen abgegeben. Wenn also hiernächst die Partei ihren Wohnort so verändert, oder sich dergestalt verbirgt, daß man sie nicht finden kann; noch mehr aber, wenn sie gar aus dem Lande geht, und ihr Aufenthalt unbekannt bleibt, mithin der Assistent oder Bevollmächtigte über einen oder anderen zur Sache gehörigen Umstand die nöthige Nachricht nicht erlangen kann: so bedarf es alsdann keiner Ediktalcitation; sondern es ist genug, wenn der Assistent oder Bevollmächtigte dwesenheit der Partei, und daß ihr Aufenthalt unbekannt sey, auf seine Pflicht anzeigt, da alsdann in contumaciam nach dem Inhalte der ergangenen Verordnung weiter verfahren werden, und die Partei es sich selbst zurechnen muß, daß sie, da sie doch um den Prozeß Wissenschaft gehabt, von ihrem Aufenthalte keine Nachricht gegeben hat. Wäre eine solche Partei, die sich einmal auf den Prozeß eingelassen und nachher entfernt hat, der Vorschrift Tit. III. §. 20. ungeachtet, noch mit keinem Assistenten oder Bevollmächtigten versehen; so werden die an sie ergehenden ferneren Verordnungen in ihrer bisherigen gewöhnlichen Wohnung abgegeben; und wenn sie dort niemand annehmen will, so wird damit nach der Vorschrift des §. 21. verfahren.

Bescheinigung der Insinuation.

§. 37.

Alle und jede, denen gerichtliche Befehle, oder auch Verordnungen, welche die von dem Richter


(141) Insinuation der Vorladungen.

bestellten Deputirte oder Kommissarien, Kraft ihres Auftrags erlassen, eingehändigt werden, müssen dieselben annehmen, und sich dessen unter dem Vorwande: als ob die Titulatur, oder sonst etwas in der Aufschrift nicht gehörig eingerichtet wäre, bei willkührlicher Strafe keineswegs weigern; vielmehr haben sie den etwanigen Verstoß nach erhaltener Citation anzuzeigen, damit selbiger in Zukunft vermieden werden könne.

§. 38.

Wenn sie des Schreibens kundig, oder Andere, die es verrichten können, zur Hand sind; so müssen sie den Empfang der Verordnung unter der Kanzeleiabschrift, welche zu dem Ende dem Boten mitgegeben wird, schriftlich bescheinigen, oder, im Verweigerungsfalle, Einen bis Zehn Thaler Geld- oder andere willkührliche Strafe, nach Beschaffenheit der Personen und Umstände, gewärtigen.

§. 39.

Weigert sich jemand, den Empfang der Citation zu bescheinigen; so muß der Bote zum Protokolle niederschreiben, oder bei einer Gerichtsperson, auf seinen Amtseid, zum Protokolle anzeigen: zu welcher Zeit und wo die Insinuation geschehen; was darauf geantwortet worden, oder sonst vorgefallen sey; welches alsdann zum Ausweise der Insinuation hinreichend ist. Wenn auch einem solchen Widerspenstigen eine fernere Verordnung insinuirt werden soll, so muß dieses auf seine eigenen Kosten durch den Exekutor geschehen. Auch muß der, welcher dem Insinuanten mit Schimpfworten oder gar Thätlichkeiten begegnet, deshalb von dem Fisko zur Verantwortung und Strafe gezogen werden.

§. 40.

Was ein Gerichtsbote, der von ihm geschehenen Insinuation halber, auf seinen Eid anzeigt, ist so lange für wahr und richtig anzunehmen, bis der


(142) Prozeßordung. Siebenter Titel.

Vorgeladene das Gegentheil, auf eine zur Ueberzeugung des Richters hinreichende Art, ausweiset.

§. 41.

Findet sich alsdann, daß der Insinuant falsch berichtet hat, so soll derselbe kassirt, überdieß aber wegen seines verletzten Amtseides, nach Vorschrift des Allgemeinen Landrechts Th. II. Tit. XX. §.333. 334. und 340. bestraft; auch die Partei, welche daran Schuld, oder den Boten zur falschen Aussage verleitet hat, dafür ebenfalls willkührlich, doch nachdrücklich, angesehen werden.

Bekanntmachung der Ediktalcitationen.

§. 42.

Eine Ediktalcitation ist (gewöhnlicherweise einfach?) auszufertigen, und nur bei dem Gerichte, welches sie verordnet, anzuschlagen; es wäre denn, daß der Vorzuladende sich zuletzt an einem anderen Orte, außerhalb des Sitzes des Gerichts, doch innerhalb der Königlichen Lande, ob schon nur kurze Zeit, bekanntlich aufgehalten hätte; in welchem Falle noch ein zweites Exemplar auszufertigen, und dessen Ausgang an gedachtem letztern Aufenthaltsorte zugleich zu besorgen ist.

§. 43.

Dagegen sollen dergleichen Citationen in den Intelligenzblättern und Zeitungen der Provinz, wo das Gericht sich befindet, oder auch, nach dem Ermessen des Gerichts, in den Intelligenz- und Zeitungsblättern anderer Königlichen oder fremden Provinzen, zu drei verschiedenen Malen eingerückt und bekannt gemacht werden; also, daß die dritte Bekanntmachung wenigstens 4 Wochen vor dem Termine geschehe, und alle drei Blätter, worin die Citation enthalten ist, zeitig zu den Akten gebracht werden können.

Anh. §. 59. Der Aushängung der Ediktalcitationen und anderer Bekanntmachungen und Aufforderungen, außerhalb der Gerichtsstelle, woselbst solche extrahirt und verfügt sind, bedarf es nicht.


(143) Insinuation der Vorladung.

Die Einrückung der Ediktalcitationen in die einländischen Geltungen ist zur Gültigkeit derselben nicht erforderlich, vielmehr ist es hinreichend, wenn die öffentliche Bekanntmachung der Ediktalcitation durch die Intelligenzblätter geschiehet. Dem Richter bleibt jedoch unbenommen, in vorkommenden Fällen, wenn er es für zweckmäßig hält, die Citation auch in die Zeitungen einrücken zu lassen. Uebrigens müssen die Gerichte bei Abfassung der durch die öffentlichen Blätter bekannt zu machenden Citationen und Anzeigen zur Ersparung der Kosten dahin sehen, daß solche, so viel als unbeschadet der Vollständigkeit geschehen kann, kurz eingerichtet und alle unnöthige Weitläufigkeiten dabei möglichst vermieden werden.

Anh. §. 60. Unter einem Monat wird bei Ediktalcitationen der gewöhnliche Kalendermonat verstanden.

§. 44.

Ob und in welchen fremden Zeitungen die Citation einzurücken sey, muß von dem Gerichte, nach Beschaffenheit der Umstände und den etwa vorhandenen Nachrichten, bestimmt werden.

§. 45.

Jedoch ist es nicht nöthig, daß die Citationen Königlicher Gerichte durch die Zeitungen oder öffentliche Blätter solcher fremden Lande, aus welchen dergleichen Vorladungen in hießige Lande nicht eingeschickt zu werden pflegen, z. B. England, Holland, Frankreich u. s. w., bekannt gemacht werden; sondern es ist genug, wenn dieses nur durch die Zeitungen derjenigen Königlichen Provinz geschiehet, welche dem fremden Staate am nächsten liegt.

§. 46.

Für die Einrückungen der Ediktalcitationen in die Zeitungen und Intelligenzblätter, und für die Herbeischaffung der zu den Akten zu bringenden Exemplare, muß in der Regel das Gericht selbst sorgen, und zu dem Ende die nöthigen Befehle, Anschreiben und Requisitionen erlassen. Wenn aber der Extrahent die Besorgung selbst übernehmen will, so kann ihm dieselbe nicht versagt werden, doch muß er es


(144) Prozeßordung. Siebenter Titel.

auch in einem solchen Falle lediglich sich selbst beimessen, wenn dabei ein Mangel sich findet, durch welchen eine Wiederholung der Ediktalcitation nothwendig gemacht wird.

§. 47a.

Wenn die Ediktalcitation solchergestalt bekannt gemacht worden, und die nöthigen drei Exemplare der Intelligenz- und Zeitungsblätter zu den Akten kommen; so behält die Ladung ihre Kraft und rechtliche Wirkung, wenn auch gleich das an der Gerichtsstätte ausgehängte Exemplar vor der Zeit abgenommen oder abgerissen worden, oder sonst durch einen Zufall verloren gegangen wäre. Ermangelt aber etwas an der Bekanntmachung durch die Zeitungen und Intelligenzblätter, so muß einem solchen Mangel, auf Kosten dessen, der daran Schuld hat, durch Wiederholung der Citation und Hinaussetzung des Termins auf so lange, als bei der ersten Bekanntmachung an der Zeit gefehlt worden, abgeholfen werden. Doch ist, wenn der Verstoß nicht in allen, sondern nur in Einem dieser öffentlichen Blätter vorgefallen wäre, die Einrückung des verlängerten Termins nur in derjenigen Zeitung oder Intelligenznachricht, bei welcher der Verstoß begangen worden, erforderlich.

§. 47b.

Es schadet der Legalität einer Ediktalcitation nicht, wenn auch in Ansehung der Zwischeneinrückungen die gesetzlichen Fristen nicht genau befolgt worden; sondern es ist hinreichend, wenn nur von der ersten Einrückung, bis zu dem bestimmten Termine, der volle gesetzmäßige Zwischenraum eintritt. Doch soll, um alle Irrungen möglichst zu vermieden, den Intelligenz- und Zeitungskomtoirs bestimmt angegeben werden: in welchen Wochen die jedesmalige Einrückung geschehen müsse.


(145) Insinnation der Vorladungen.

Anh. §. 61. Einer Wiederholung der Ediktalcitation bedarf es nur dann, wenn bei deren Bekanntmachung durch die öffentlichen Blätter um mehr als vierzehn Tage an der vorgeschrieben Zeit gefehlt worden.

Wirkungen einer gehörig insinuirten Citation.

§. 48.

Außer den Folgen, welche eine gehörig erlassene und richtig insinuirte Vorladung, oder auch die öffentliche Bekanntmachung einer Ediktalcitation in den Intelligenzblättern der Provinz, bei erfolgendem Außenbleiben des Vorgeladenen, vermöge der nach Unterschied der Fälle beigefügten gesetzmäßigen Warnung, hervor bringt, hat dieselbe auch folgende Wirkungen:

a) Wird dadurch in Fällen, da die Klage bei mehr als Einem Gerichte angestellt werden kann, die Prävention begründet. (Tit. II. §. 166.)

b) Entsteht dadurch die Rechtshängigkeit (Litispendenz) der Sache, welche verursacht, daß eine nachher mit dem Vorgeladenen sich ereignende Veränderung auf den Gerichtsstand keinen Einfluß hat. Wenn daher jemand, nach insinuirter Vorladung, seinen Wohnsitz verändert, oder durch Standeserhöhung, erhaltene Aemter oder Würden, in die Klasse der Eximirten, übergeht; so kann er nicht verlangen, daß um deßwillen die Sache an das Gericht, welchem er nunmehr unterworfen ist, verwiesen werde. Aus gleichem Grunde müssen auch die Erben des Vorgeladenen die Sache bei dem Gerichte, von welchem der Erblasser citirt worden, bis zu Ende fortsetzen, wenn sie auch für ihre Personen diesem Gerichte nicht unterworfen wären.

c) Wird die in Anspruch genommene Sache dadurch streitig (res litigiosa), und ihr Besitzer darf damit keine Veränderung vornehmen, wodurch dem Gegner, wenn er den angefangenen Prozeß gewönne, ein Nachtheil erwachsen


(146) Prozeßordung. Siebenter Titel.

könnte. Hieraus folgt, daß eine solche streitige Sache nicht vernichtet, veräußert, abhänden gebracht, oder durch übermäßigen Gebrauch, oder vernachlässigte Aufsicht verschlimmert werden dürfe; widrigenfalls derjenige, welcher sie zur Zeit der insinuirten Citation besaß, den Gegner, wenn derselbe ein obsiegliches Urtel enthält, vollständig entschädigen, und den Werth der Sache oder die entstandene Verschlimmerung, nach der Zeit der insinuirten Citation, vergüten muß.

d)   Wird bei Verbindlichkeiten, zu deren Erfüllung keine gewisse Frist bestimmt war, der in Anspruch genommene in den Fall der Zögerung (in mora) versetzt, und muß sich die daraus fließenden rechtlichen Folgen gefallen lassen. (Allgem. Landrecht Th. I. Tit. XVI. § 16. u. f. §. 64. u. f.)

§. 49.

Diese Wirkungen der Citation fallen weg:

1) Wenn derjenige, welcher sie ausgewirkt hat, den Prozeß nicht fortsetzt, sondern in dem anstehenden Instruktionstermine gänzlich ausbleibt, auch den Prozeß innerhalb der bestimmten Frist nicht wieder aufnimmt (reassumirt).

2) Wenn der Vorgeladene die Inkompetenz des vorladenden Richters bei demselben, oder bei dessen vorgesetzter Instanz nachweiset, und die Aufhebung des Termins bewirkt. In beiden Fällen wird die Insinuation der Vorladung als nicht geschehen betrachtet.

§. 50.

In wie fern zur Unterbrechung der Verjährung schon die Anmeldung der Klage hinreichend sey, oder auch die Insinuation einer darauf erlassenen Citation erfordert werde, ist im Allgemeinen Landrecht bestimmt. (Th. I. Tit. IX. §. 551. u. f. §. 603. u. f.)


(147) Prorogationen und Kontumacien.

§. 51.

In eben demselben ist verordnet, wie fern dazu, daß Klagen, welche sonst von einem Erben nicht angestellt, oder gegen einen Erben nicht geltend gemacht werden können, dennoch auf die Erben übergeben, die bloße Insinuation der Vorladung hinreichend, oder die mit dem Erblasser erfolgte Abschließung der Instruktion erforderlich sey. (A. L. R. Th. I. Tit. IX. §. 363-365. Th. II. Tit. XX. §. 605-606.)

Achter Titel.

Von Anberaumung und Verlegung der Termine, und von den rechtlichen Folgen des ungehorsamen Außenbleibens.

Wer die Termine bestimmen soll.

§. 1.

Die Bestimmung der Termine in Prozeßsachen muß nicht den Sekretärs überlassen, sondern es müssen dieselben von demjenigen Mitgliede des Gerichts, welcher den Termin abhalten soll, selbst festgesetzt, und in das ihm vorzulegende Konzept der Verordnung eingerückt werden.

Worauf dabei Rücksicht zu nehmen.

§. 2.

Bei dieser Bestimmung der Termine muß der Deputirte des Gerichts auf die vorwaltenden Umstände eines jeden einzelnen Falles vernünftige und wohl überlegte Rücksicht nehmen. Zu solchen Umständen gehört die weitere oder geringere Entfernung der Parteien von dem Sitze des Gerichts; die Weitläufigkeit und Wichtigkeit der Sache, und die danach erforderliche längere oder kürzere Frist zur Vorbereitung auf dasjenige, was in dem Termine geschehen soll; die schon im Dritten Titel §. 4. erwähnten persönlichen Verhältnisse der Parteien, und andere dergleichen Rücksichten, die nicht alle hier angegeben


(148) Prozeßordung. Achter Titel.

werden können, sondern dem richterlichen Ermessen anheim gestellt bleiben müssen.

Was insonderheit den Termin zur Beantwortung der Klage und zur Instruktion betrifft, so ist derselbe, wenn nicht etwa eine besondere Prozeßart, nach welcher die Sache eine vorzügliche Beschleunigung erfordert, vorwaltet, nicht leicht unter vier Wochen, und nicht leicht über acht Wochen von dem Dato der Verordnung an, zu bestimmen. Im Verfolge der Instruktion aber können und müssen in der Regel die etwa vorkommenden ferneren Termine kürzer anberaumt werden.

Uebrigens muß der Instruent bei Bestimmung des Termins auch auf die Zwischenzeit, welche von der Einrückung desselben ins Konzept, bis zur wirklichen Insinuation der Verordnung an die Partei, verstreichen kann, vernünftige Rücksicht nehmen.

§. 3.

Wenn die Sache, welche instruirt werden soll, oder überhaupt der Gegenstand des abzuhaltenden Termins, so beschaffen ist, daß man voraussehen kann, es werde zu deren Verhandlung mehr als Ein Tag erforderlich seyn; so muß der Deputirte des Gerichts sich bei der Anberaumung des Termins dergestalt einrichten, daß ihm nicht nur derselbe Nachmittag, sondern auch der nächstfolgende ganze Tag zur ununterbrochenen Fortsetzung der Verhandlungen frei bleiben.

Rücksprache mit den Justizkommissarien.

§. 4.

Wenn Assistenten oder Justizkommissarien zu einem Prozesse mit zuzuziehen sind, so muß der Deputirte des Gerichts mit selbigen über den anzusetzenden Termin Rücksprache nehmen, und einen solchen Zeitpunkt auswählen, in welchem keiner von ihnen an der gehörigen Abwartung des Termins verhindert wird.


(149) Prorogationen und Kontumacien.

Von Terminen, die auf Sonn- und Festtage fallen.

§. 5.

Wenn in einer Vorladung aus Versehen ein Termin auf einen Sonn- oder Festtag angesetzt worden, so ist darunter jederzeit der Montag oder der auf das Fest zunächst folgende Tag zu verstehen; außer wenn der Vorgeladene sich vor versammeltem Gerichte stellen soll; welchenfalls dieses an dem auf den genannten Sonn- oder Festtag zunächst folgenden Gerichtstage geschehen muß. Sind durch ein solches Versehen einer Partei vergebliche Reise- oder Zehrungskosten verursacht worden, so müssen dieselben von demjenigen, welcher den unrichtigen Termin bestimmt hat, erstattet werden.

Anh. §. 62. Von dieser Vorschrift findet auch in Wechsel-, Alimenten- und Arrestsachen keine Ausnahme Statt. Nur wenn von einem schleunigen und dringenden Arreste die Rede ist, dessen Anlegung und Rechtfertigung ohne die höchste Gefahr nicht ausgesetzt werden kann, ist es erlaubt, das Geschäft auch an einem Sonn- und Festtage vorzunehmen. Jedoch muß alsdann aller öffentliche Anstoß und jede Störung des Gottesdienstes mit möglichster Vorsicht vermieden werden.

Auf einen Tag sind nicht mehrere Termine zu setzen.

§. 6.

Kein Deputirter des Gerichts muß Termine in mehr als Einer Sache auf eben denselben Tag ansetzen; es wäre denn, daß er ganz zuverlässig versichert seyn könnte, was maaßen er diese mehreren Termine gehörig abzuwarten im Stande seyn werde. Hiernach kann also die Anberaumung mehrerer Termine auf Einen Tag nur in ganz geringen Bagatell-, in wirklichen Wechselsachen, oder wenn bloß eine Erklärung von einer Partei aufzunehmen ist, Statt finden.

Bemerkung der Termine.

§. 7.

Jeder Deputirte, Assistent und Justizkommissarius muß sich die von ihm abzuwartenden Termine genau bemerken, damit er sich in Zeiten darauf vorbereiten könne, auch keiner derselben vergessen, und solchergestalt vereitelt werden. Wer zu letzterm durch


(150) Prozeßordnung. Achter Titel.

seine Fahrlässigkeit Anlaß giebt, muß ohne Unterschied oder Ansehen der Person die Terminskosten aus eigenen Mitteln bezahlen, und die Parteien schadlos halten.

Stunde des abzuwartenden Termins.

§. 8. Die Parteien sowohl, als die bei der Instruktion mitwirkenden Personen sind schuldig, sich genau zu der in der Vorladung benannten Stunde an dem zur Abhaltung des Termins bestimmten Orte einzufinden. Wer länger als Eine Stunde auf sich warten lässt, muß, wenn dadurch der Termin vereitelt wird, oder wegen des Zeitverlaufs die Behandlung vor ihrer gänzlichen Beendigung abgebrochen werden muß, allemal die daraus entstehenden mehreren Kosten tragen. Daß aber eine Partei in einem unter einem bestimmten Präjudicio angestandenen Termine ungehorsam ausgeblieben sey, ist nur alsdann anzunehmen, wenn eine solche Partei zu dem auf den Vormittag anberaumten Termine nicht bis um 12 Uhr, und wenn derselbe auf den Nachmittag stand, nicht bis 5 Uhr sich gemeldet hat.

Wie es zu halten: 1) wenn der Beklagte sich gar nicht meldet;

§. 9. Wenn der Beklagte in dem zur Beantwotung der Klage anstehenden Termine, es mag derselbe zu dieser allein, oder zugleich zur Instruktion der ganzen Sache anberaumt sein, sich gar nicht meldet, und auch vorher seine Verlegung des Termins aus den unten vorkommenden erheblichen Gründen nachgesucht und erhalten hat, so muß über dieses sein Außenbleiben ein Protokoll aufgenommen, und in die Registratur zum Vortrage bei der nächsten Versammlung des Gerichts befördert werden.

§. 10.

Findet das Gericht die Intinuation der ergangenen Vorladung gehörig nachgewiesen, so wird auf dieses Protokoll ein Erkenntniß abgefasst; darin der ungehorsame Beklagte der in der Klage anthaltenen


(151) Prorogationen und Kontumacien.

Thatsachen in contumaciam für geständig und überwiesen erklärt; und deutlich und bestimmt festgesetzt, was er also nach Vorschrift der Gesetze dem Kläger zu leisten, oder an Kapital, Zinsen und Kosten zu bezahlen schuldig; oder wozu der Kläger nunmehr für berechtigt zu achten sey.

§. 11.

Dieses Erkenntniß wird dem Kläger oder dessen Assistenten oder Bevollmächtigten noch an eben demselben Gerichtstage publicirt, dem Beklagten aber eine Abschrift davon, statt der Publikation, über die Post zugefertigt; auch der wirklich geschehene Abgang an ihn durch einen Postschein zu den Akten nachgewiesen. Hält der Beklagte sich am Sitze des Gerichts, oder dergestalt in der Nähe auf, daß ihm die Insinuation durch einen Boten geschehen kann; so muß, daß letztere bewirkt sey, auf die im vorigen Titel §. 37 u. f. beschriebene gewöhnliche Art zu den Akten bescheinigt werden.

§. 12.

Ein solches Kontumacialerkenntniß hat alle Kraft eines wirklichen Urtels, und es kann daraus, gleich wie aus diesem, die Exekution nachgesucht und verhängt werden. Was aber der Beklagte oder auch der Kläger zu thun haben, wenn sie sich bei dem Inhalte des Erkenntnisses nicht beruhigen wollen, ist im Dritten Abschnitte des Vierzehnten Titels vorgeschrieben. Es muß also dem Kläger, wenn derselbe mit keinem rechtsverständigen Assistenten oder Bevollmächtigten versehen ist, bei der Publikation, so wie dem Beklagten bei der schriftlichen Zufertigung des Kontumacialurtels, der wesentliche Inhalt dieser gesetzlichen Botschaft bekannt gemacht werden.

2) wenn der Beklagte sich meldet, und

§. 13. Wenn hingegen der Beklagte in dem anberaumten Termine zur Beantwortung der Klage oder zur Instruktion erscheint, so erklärt er sich entweder, den


(152) Prozeßordnung. Achter Titel.

Kläger überall seinem Antrage gemäß klaglos stellen zu wollen, oder er widerspricht dem Anmuthen desselben entweder durchgehends, oder nur in einem oder dem andern Stücke.

a) die Klage einräumt, oder

§. 14. Erklärt er sich, die Forderung des Klägers durchgehends einzuräumen, so muß über diese seine Erklärung ein Protokoll aufgenommen, und dem Kollegio vorgelegt werden. Ist er in Person gegenwärtig, so muß das Protokoll von ihm selbst, oder, wenn er nicht schreiben kann, auf diejenige Art, welche für dergleichen Fälle in Ansehung solcher Personen in den Gesetzen überhaupt vorgeschrieben ist, unterzeichnet werden. Hat er aber die Erklärung durch einen Bevollmächtigten abgegeben, so muß dieser nicht nur überhaupt nach Vorschrift des Dritten Titels mit Vollmacht legitimirt sein, sondern es muß auch sein Auftrag zu einer solchen Erklärung entweder aus der Vollmacht selbst, oder aus Briefen, Instruktionen, welche der Bevollmächtigte zu den Akten geben muß, hinlänglich erhellen.

§. 15.

Auf das im vorigen Paragraphen beschriebene Protokoll wird sodann in der nächsten Versammlung des Kollegii eine Resolution abgefaßt, und darin deutlich und bestimmt festgesetzt, was nunmehr der Beklagte nach dem Inhalte der Klage, und seiner darauf abgegebenen Erklärung, dem Kläger zu leisten oder zu bezahlen habe, oder wozu der Kläger für berechtigt zu achten sey.

§. 16.

Diese Resolution wird beiden Theilen, oder deren Assistenten oder Bevollmächtigten, gleich einem Urtel publicirt, und es kann daraus, wenn der Beklagte seiner übernommenen Verbindlichkeit kein Genüge leistet, eben so wie aus einem Erkenntnisse, die Exekution nachgesucht werden.


(153) Progorationen und Kontumacien.

Bloße schriftliche Privaterklärungen einer abwesenden Partei sind zur Abfassung einer solchen Resolution nicht hinreichend; sondern sie werden bloß dem Kläger mitgetheilt, und es wird demselben überlassen, in wie fern er sich dabei beruhigen und die Reposition der Akten nachsuchen, oder auf eine gerichtliche Wiederholung des Anerkenntnisses dringen wolle. Ob übrigens das Anerkenntniß vor demjenigen Gerichte, bei welchem geklagt worden, oder bei einem anderen abgegeben, und von letzterm attestirt, solchergestalt aber dem erstern vorgelegt werde, macht in Beziehung auf die Wirksamkeit eines solchen Anerkenntnisses keinen Unterschied.

Anh. §. 63. Wenn die schriftliche Privaterklärung von einer öffentlichen Behörde abgegeben worden, so bedarf es keiner gerichtlichen Wiederholung des darin anthaltenen Anerkenntnisses; vielmehr kann, in so fern Letzteres ganz vollständig und unbedingt ist, die Agnitionsresolution abgefasst werden.

b) wenn die Klage nur zum Theil eingeräumt wird;

§. 17.

Erklärt sich der Beklagte über den Anspruch des Klägers nicht deutlich und bestimmt genug; macht er sich dabei Bedingungen, oder Vorbehälte; oder nimmt er nur einen Theil der Forderung für bekannt an. z. B. nur das Kapital, aber nicht die Zinsen, oder zwar auch die Zinsen, aber nach einem späteren Termine oder niedrigern Satze; oder will er den Zahlungstermin weiter hinaus gesetzt wissen; oder bezweifelt er die geforderte Münzsorte: so wird in allen diesen Fällen angenommen, daß es der Beklagte auf den Prozeß ankommen lassen wolle, und diesem gemäß ergeht die weiter Verfügung.

§. 18.

Doch muß in Fällen, wo bloß Zinsen, Kosten und andere dergleichen Nebenforderungen, oder bloß der Zahlungstermin, oder andere dergleichen bloße Nebenumstände streitig bleiben, auf die gütliche Beilegung, oder doch möglichste Abkürzung der Sache,


(154) Prozeßordnung. Achter Titel.

vorzüglich Bedacht genommen; zu dem Ende der Kläger, wenn er entweder, weil der Termin zugleich zur Instruktion anberaumt war, schon gegenwärtig, oder doch in der Nähe zu haben ist, sogleich herbei gerufen; die Sühne über die streitig gebliebenen Nebenpunkte alles Ernstes verflucht; wenn aber diese nicht Statt findet, mit der weiteren Instruktion ohne Aufenthalt verfahren, und diese, so weit es irgend möglich ist, noch in demselben Termine abgeschlossen werden.

c) wenn der Klage widersprochen wird.

§. 19. Wenn endlich der Beklagte den Anspruch des Klägers durchgehends, oder doch in solchen Theilen, die keine bloßen Nebenpunkte sind, in Abrede stellt, und es auf den Prozeß ankommen lassen will; so wird mit Aufnehmung seiner Antwort auf die Klage und mit der weitern Instruktion der Sache nach den Vorschriften des folgenden Neunten und Zehnten Titels verfahren.

3) Wenn Prorogation gesucht wird.

§. 20. Kann aber der Beklagte in dem anstehenden Termine nicht erscheinen, oder in demselben sich auf die Klage noch nicht gehörig und vollständig einlassen; so muß er dem Gerichte noch vor dem Termine davon Anzeige machen, und um die Verlegung desselben bitten.

§. 21.

Diese Anzeige muß dergestalt zeitig geschehen, daß, wenn etwa der Kläger, oder sonst ein Dritter, zu eben diesem Termine bestellt wäre, denselben die erfolgte Aufhebung und Verlegung des Termins noch zu rechter Zeit bekannt gemacht werden könne. Ueberhaupt wird hierdurch allgemein festgesetzt: daß, so bald einer oder der andere Theil ein Prorogationsgesuch dergestalt angebracht hat, daß dem Gegentheile davon nicht zeitig genug hat Nachricht gegeben werden können, um die Kosten zu verhüten, welche demselben


(155) Prorogationen und Kontumacien.

aus den solchergestalt fruchtlosen Anstalten zu diesem Termine erwachsen sind, derjenige, welcher die Prorogation gesucht hat, allemal die Kosten tragen müsse; selbst in Fällen, wo das Prorogationsgesuch an sich erheblich und zulässig ist; ja selbst alsdann, wenn er durch Zufälle, die sich in seiner Person oder in äußeren Umständen ereignet haben, aber zur Wissenschaft des Gegentheils nicht gelangt sind, an der früheren Anbringung des Prorogationsgesuch wäre verhindert worden. Wenn daher der Zufall, welcher das Prorogationsgesuch nothwendig macht, sich so spät vor dem Termine ereignet, daß der Beklagte Ursache hat, zu besorgen, es werde die erfolgte Prorogation dem Kläger durch den Richter nicht zeitig genug bekannt gemacht werden können, so ist es seine Sache, den Kläger unmittelbar von dem Vorfalle und dem angebrachten Prorogationsgesuche so schleunig als möglich zu benachrichtigen. Hat er dieses gethan, und der Kläger hat dennoch, weil er entweder auch die Privatnachricht nicht erhalten, oder sich daran nicht gekehrt hatte, wegen des fruchtlos gewordenen Termins vergebliche Kosten gehabt; so bleibt der rechtlichen Beurtheilung überlassen, in wie fern er diese Kosten, als durch einen bloßen ganz unvermeidlichen Zufall entstanden, selbst tragen müsse, oder deren Erlaß von dem Gegentheil fordern könne.

Ursachen zulässiger Prorogationsgesuche.

§. 22. Die Ursachen, welche den Beklagten an der gehörigen Abwartung des anberaumten Termins verhindern, betreffen entweder seine Person, oder sie liegen in der Sache, und darin, daß der Beklagte die zur Einlassung auf die Klage und zur weiteren Instruktion erforderlichen Nachrichten noch nicht hat zusammen bringen können.

§. 23.

Ist die Rede von der Prorogation des ersten Termins; so ist es hinreichend, wenn das obwaltende


(156) Prozeßordnung. Achter Titel.

Hinderniß nur bestimmt angezeigt, und an sich von dem Richter nicht unerheblich befunden wird. Eine besondere Bescheinigung darüber ist in der Regel nicht erforderlich.

§. 24.

Wird aber eine fernere Prorogation nachgesucht, und zum Grunde davon ein in der Person des Beklagten sich ereignendes Hinderniß angegeben; so muß die Richtigkeit desselben, wenn es nicht etwa notorisch ist, durch glaubwürdige Atteste bescheinigt werden. Wird die Bescheinigung nicht beigefügt, die Ursache aber an sich erheblich, auch nicht unwahrscheinlich befunden; so muß zwar das Erforderliche wegen der Prorogation nach Vorschrift des folgenden Paragraphen verfügt, zugleich aber der Partei die Nachbringung der Bescheinigung anbefohlen, und wenn diese von ihr nicht bewirkt werden kann, die Unrichtigkeit ihrer Angabe mit einer Ordnungsstrafe von 5 bis 20 Thalern an ihr geahndet werden.

§. 25.

Findet der Richter das angezeigte Hinderniß erheblich, so muß er zwar den Termin verlegen, zugleich aber in reifliche Erwägung ziehen: ob und was etwa zu verfügen sey, um den fernern Aufenthalt in der Sache zu verhüten und abzuschneiden. So muß z. B., wenn der Beklagte in Person erscheinen soll, und daran durch Krankheit verhindert wird, sorgfältig erwogen werden: ob, nach der aus dem Zeugisse des Arztes hervorgehenden Beschaffenheit und muthmaaßlichen Dauer der Krankeit, der neue Termin, so wie die vorigen, an dem Sitze des Gerichts, mit wahrscheinlicher Hoffnung, daß er daselbst werde vor sich gehen können, anzusetzen; oder ob die Vernehmung des Beklagten an dem Orte seinens Aufenthalts einem auswärtigen Kommissario aufzutragen; oder ob der Beklagte zur Bestellung eines Bevollmächtigten zuzulassen oder anzuweisen sey.


(157) Prorogationen und Kontumacien.

§. 26.

Wird die Verlegung des Termins aus dem Grunde nachgesucht, weil der Beklagte die erforderlichen Nachrichten zur Beantwortung der Klage noch nicht habe zusammen bringen können; so muß derselbe ganz genau und bestimmt anzeigen: worin der Mangel eigentlich bestehe; ob und in wie fern die Ursache davon in der Natur und Weitläufigkeit der Sache, in der allzu großen Entlegenheit des Beklagten von dem Orte, wo das Gericht seinen Sitz hat, oder wo die erforderlichen Nachrichten eingezogen werden müssen, oder in andern äußeren zufälligen und unvermeidlichen Umständen liege; und was er gethan habe, um diese Nachrichten herbei zu schaffen, und sich dadurch in den Stand zu setzen, daß die Beantwortung der Klage in dem zu verlegenden Termine ohne abermaligen Aufenthalt aufgenommen, sodann aber mit der fernern Instruktion verfahren verden könne.

§. 27.

Diesen Antrag muß das Gericht genau prüfen, und pflichtmäßig bestimmen: ob der angezeigte Mangel dergestalt erheblich sey, daß selbigem von der Partei annoch fördersamst, ehe die Instruktion der Sache ihren weitern Fortgang haben kann, abgeholfen werden müsse; und ob die Anstalten, welche zu dieser Abhelfung getroffen werden, für zweckmäßig und hinreichend anzusehen sind. Hiernach muß festgesetzt werden: in wie fern dem Beklagten die gebetene Nachricht gestattet; was etwa von Gerichts wegen, um die Hebung des Hindernisses zu erleichtern und zu beschleunigen, verfügt, oder dem Beklagten an die Hand gegeben werden könne; oder ob, weil der angezeigte Anstand unerheblich, oder nur zum Verschleif der Sache hervorgesucht ist, der Beklagte dessen zu bedeuten, und zu einem möglichst nahen Termine unter der Verwarnung vorzuladen sei: daß,


(158) Prozessordnung. Achter Titel.

wenn er auch in diesem nicht gehörig erscheinen und sich einlassen würde, alsdann ohne alle fernere Nachsicht in contumaciam wider ihn verfahren werden solle.

Von Prorogationsgesuchen der Justizkommissarien.

§. 28. Besonders ist in Sachen, worin der abwesende Beklagte durch einen Justizkommissarius, als seinen Bevollmächtigten, vertreten wird, die genaueste Aufmerksamkeit von Seiten des Gerichts, bei Prüfung und Beurtheilung des angebrachten Prorogationsgesuche erforderlich. Es müssen also dabei nicht nur die Vorschriften §. 22-27. sorgfältig beobachtet werden, sondern es muß auch der Bevollmächtigte jedem solchen Gesuche seine Manualakten beilegen. Nach diesen muß der Decernent die Richtigkeit und Erheblichkeit des angeführten Grundes aufmerksam prüfen; er muß beurtheilen: in wie fern, besonders wenn die Prorogation wegen Mangels an hinreichender Information gebeten wird, dieser Mangel so erheblich sey, daß er wirklich die Fortsetzung des Sache aufhalte; oder in wie fern, eines solchen Mangels ungeachtet, weil er etwa nur einen Nebenumstand betrifft, der im Fortgange der Instruktion noch nachgeholt werden kann, mit Aufnehmung der Antwort auf die Klage dennoch zu verfahren sey; ob der Justizkommissarius dadurch, daß er die Information nicht zeitig eingezogen; daß er seiner Partei die zur Sache gehörigen Nachrichten nicht deutlich und bestimmt genug abgefordert; daß er ihr die Mittel, sich diese Nachrichten zu verschaffen, in so fern ihm dieselben bekannt seyn konnten, nicht gehörig an die Hand gegeben; und daß er überhaupt die Korrespondenz mit der Partei zu träge, saumselig, nachlässig oder flüchtig betrieben hat, an dem Verzuge Schuld sey; oder ob die Schuld an der Partei selbst liege; ob bei dieser ein anscheinender Vorsatz zum Verschleif der Sache, oder Nachlässigkeit und Sorglosigkeit


(159) Prorogationen und Kontumacien.

oder Mangel an Kenntniß und Uebung in Geschäften die Ursache des Aufenthalts ausmache; und was etwa geschehen könne, um den Fortgang der Sache zu befördern und fernerm Verzuge vorzubeugen.

§. 29.

Nach dem, was aus dieser Prüfung sich ergiebt, muß das Erforderliche von dem Richter mit reifer Beurtheilung verfügt werden. Findet er, daß der Grund des Verzugs in der Sache selbst liege, ohne daß irgend jemandem dabei eine Schuld oder Nachlässigkeit beigemessen werden könne; so muß er dem Prorogationsgesuche unbedenklich willfahren. Liegt die Ursache des Aufenthalts an dem Justizkommissario, so kann zwar der Partei daraus kein wesentlicher Nachtheil erwachsen, und die Prorogation muß ebenfalls bewilligt werden. Der Richter muß aber nicht nur den säumigen Justizkommissarius ernstlich zurecht weisen, und ihm nöthigenfalls bestimmt andeuten, was er zu thun habe, um sich die erforderliche Information zu verschaffen, und fernern Aufenthalt zu verhüten; sondern es muß auch ein solcher säumiger Justizkommissarius mit den unten im Dritten Theile näher zu bestimmenden Strafen belegt werden. Liegt die Schuld an der Partei, und äußert sich dabei ein Vorsatz zum Verschleif der Sache, so muß, mit Versagung der gebetenen Prorogation, wider sie in contumaciam verfahren werden. Scheint es nicht sowohl Vorsatz, als Nachlässigkeit und Sorglosigkeit der Partei zu seyn, wodurch sie abgehalten worden, ihren Bevollmächtigten mit der nöthigen Information zu versehen; so muß nach Bewandtniß der Umstände, nach dem sich daraus zu Tage legenden Grade der Verschuldung, und je nachdem schon mehrere Prorogationen nachgesucht und bewilligt worden oder nicht, entweder ebenfalls in contumaciam verfahren, oder die Prorogation zwar noch zugestanden; zugleich aber die Partei von dem


(160) Prozeßordnung. Achter Titel.

Richter unmittelbar und schriftlich bedeutet; zur unverzüglichen Ertheilung der Information an ihren Bevollmächtigten, nöthigenfalls mit bestimmter Bemerkung der Umstände, worauf es dabei hauptsächlich ankomme, ernstlich angewiesen; allenfalls auch, wegen bewiesener grober Saumseligkeit, mit einer Ordnungsstrafe von 5 bis 10 Thalern belegt; allemal aber derselben eröffnet werden: daß, wenn sie auch diese ihr noch gestattete Nachfrist, ohne ihrer Schuldigkeit hierunter ein Genüge zu leisten, würde verstreichen lassen, alsdann, ohne fernere Rücksicht auf ihre Entschuldigungen, in contumaciam wider sie verfahren werden solle.

Ergiebt sich aus den Umständen, daß Einfalt und Unkunde in den Geschäften, oder Mangel an der Gabe, sich schriftlich mit gehöriger Deutlichkeit und Bestimmtheit auszudrücken, die Partei verhindert habe, ihren Bevollmächtigten mit der nöthigen Information zu versehen; so muß der Richter vernünftig beurtheilen: in wie fern diesem Hindernisse durch eine umständliche Bedeutung und Belehrung abgeholfen werden könne, oder es rathsamer seyn werde, einem am Wohnorte der Partei oder in ihrer Nähe befindlichen Rechtsverständigen den Auftrag zu machen, daß er die Information für den Bevollmächtigten von ihr aufnehmen, und ihr in Einziehung der dazu gehörigen Nachrichten an die Hand gehen solle.

§. 30.

Wegen eines Hindernisses in der Person des Bevollmächtigten findet der Regel nach keine Prorogation Statt, sondern es muß in einem solchen Falle entweder der Substitut desselben, in so fern einer vorhanden ist, den Termin abwarten, oder in dessen Ermangelung, nach Vorschrift des dritten Titels §. 58. verfahren werden.


(161) Prorogationen und Kontumacien.

§. 31.

Auch wegen eines Hindernisses in der Person des instruirenden Richters darf kein Termin prorogirt oder verschoben werden; vielmehr muß der Instruent ein solches bei ihm sich ereignendes Hinderniß dem Vorgesetzten des Gerichts zur Bestellung eines andern Deputirten in Zeiten anzeigen. Ist das Hinderniß nur von kurzer und vorüber gehender Dauer, so kann er, wenn die Instruktion sich schon im Gange befindet, den Termin mit Einwilligung der Parteien, aber auch alsdann höchstens nur auf zwei bis drei Tage verschieben. Sollte sich aber finden, daß ein Instruent aus Mangel an Nachdenken und Ueberlegung, oder um zu seinen Nebengeschäften und Zerstreuungen desto mehr Zeit zu gewinnen, der Vorschrift des §. 6. zuwider, zu viel Termine auf Einen Tag angesetzt, und dadurch zu Prorogationen selbst Anlaß gegeben habe; so soll er nicht nur den Parteien allen daraus und aus der Verlängerung des Prozesses entstehenden Schaden ersetzen, sondern auch wegen eines solchen pflichtwidrigen Verhaltens, wenn er besonders sich dasselbe zur Gewohnheit gemacht hätte, mit den in den Gesetzen auf fahrlässige Amtsverwaltung geordneten Strafen, ohne Nachsicht und Ansehen der Person, belegt werden. (Allg. L. R. Th. II. Tit. XX. §. 334. 335.)

§. 32.

Wie übrigens in Fällen, da der erste Termin bloß zur Beantwortung der Klage, und nicht zugleich mit zur Instruktion der Sache, anberaumt gewesen (Tit. VI. §. 11. 12. 13.), bei Bestimmung des eigentlichen Instruktionstermins zu verfahren; was in Fällen, da nach aufgenommener Antwort und angefangener Instruktion, letztere nicht in Einem Tage geschlossen werden kann, bei Anberaumung der Termine zu deren Fortsetzung zu beobachten sey; in wie fern, und aus was für Gründen in beiderlei Fällen


(162) Prozeßordnung. Achter Titel.

Prorogationsgesuche zulässig; und was die rechtlichen Folgen des von einem oder dem andern Theile im Fortgange der Instruktion bewiesenen Ungehorsams sind, wird im Neunten und Zehnten Titel näher vorgeschrieben werden.

Allgemeine Vorschriften wegen Beschleunigung der Prozesse.

§. 33.

Ueberhaupt aber, und im Allgemeinen, wird hier noch verordnet: daß, da nach dem Hauptgrundsatze der gegenwärtigen Prozeßordnung, bei der Instruktion eines Rechtsstreites auf eine gründliche und vollständige, aber auch möglichst schleunige Ausmittelung der Wahrheit, und der bei dem Prozesse zum Grunde liegenden Thatsachen, Alles ankommt, die Bestimmung der in jedem Prozesse zulässigen Termine und Fristen, wie viel dergleichen zu gestatten und wie weit sie hinaus zu setzen, wegen der in jedem einzelnen Falle vorkommenden mannigfaltigen, und sowohl in Rücksicht der Person und des Aufenthalts der Parteien, als der Natur, Weitläufigkeit und Wichtigkeit der Sache, von einander sehr verschiedenen Umstände, dem pflichtmäßigen und vernünftigen Ermessen der Gerichte hauptsächlich anheim gestellt bleiben müsse.

§. 34.

Besagte Gerichte, denen es obliegt, für die gründliche und zugleich möglichst schleunige Instruktion der Rechtssachen von Amts wegen Sorge zu tragen, werden daher, weder in Ansehung der Zahl der in dem Laufe eines Prozesses vorkommenden Termine, noch in Ansehung des für jeden Termin auszumessenden Zeitraums, in irgend einige durchaus bestimmte Schranken eingeschlossen; also, daß sie weder die Parteien um bloßer Formalitäten willen übereilen, noch die hinter solchem Deckmantel sich verbergende Chikane ungestraft dulden dürfen.


(163) Prorogationen und Kontumacien.

§. 35.

Da es aber Sr. Königlichen Majestät ernster Wille ist, daß ein gewöhnlicher Prozeß, in welchem nach Anleitung des Sechsten Titels §. 11. 12. 13. auf die Klage sogleich ein Termin zur Instruktion anberaumt werden kann, binnen Jahresfrist vom Tage der aufgenommenen Beantwortung der Klage beendigt werden solle; und man sich hauptsächlich an die Gerichte halten wird, wenn aus den Beschwerden der Parteien, bei Justizvisitationen, oder bei Prüfung der einzusendenden Listen und Tabellen, oder auch bei anderer Gelegenheit sich finden sollte, daß ein Prozeß über die bestimmte Zeit ohne Noth verzögert worden; so müssen die Gerichte nicht nur jeden solchen Verzug, der in ihnen selbst, in der Nachlässigkeit, Trägheit oder Zerstreuung ihrer Mitglieder seinen Grund hat, durchaus und mit der größten Sorgfalt vermeiden; sondern sie müssen auch, sowohl bei der ersten Anberaumung der Termine, als bei jeder nachgesuchten Verlängerung derselben, mit aller Vorsicht, Aufmerksamkeit und Ueberlegung zu Werke gehen; den Prorogationsgesuchen nie anders, als aus wirklich erheblichen, in dem Dekret jedesmal ausdrücklich anzuführenden Gründen Gehör geben; nachlässige Parteien mit Ernst und Nachdruck zu ihrer Schuldigkeit anhalten; gegen diejenigen aber, welche sich beharrlicher Saumseligkeit, oder gar eines vorsätzlichen Ungehorsams und einer zum Verschleif der Sache abzielenden Chikane schuldig machen, nach jedesmaliger Lage der Sache, und nach Anleitung der im gegenwärtigen Titel ertheilten, so wie der in der Folge, nach Verschiedenheit der Fälle, noch näher zu ertheilenden Anweisungen, ohne die geringste Nachsicht in contumaciam verfahren.

Obliegenheiten der Justizkommissarien dabei.

§. 36.

Da insonderheit bei Prozessen, welche in Abwesenheit der Parteien durch die von ihnen mit Vollmacht


(164) Prozeßordnung. Achter Titel.

versehenen Justizkommissarien betrieben werden müssen, von der Aufmerksamkeit, Sorgfalt und Thätigkeit der Letztern, in Einziehung der Informationen und Nachrichten über die vorkommenden Thatsachen, die Beschleunigung und Abkürzung der Instruktion hauptsächlich abhängt; so werden nicht nur dergleichen Justizkommissarien an die gewissenhafte Beobachtung der ihnen im Dritten Titel allgemein vorgeschriebenen, und in der Folge noch näher einzuschärfenden Obliegenheiten alles Ernstes hierdurch erinnert; sondern es wird auch den Gerichten selbst ausdrücklich zur Pflicht gemacht, auf die strenge Befolgung dieser Vorschriften, ohne die mindeste Nachsicht und persönliche Schonung, oder andere Nebenrücksichten, um so ernstlicher Acht zu haben, als man sich, wenn Prozesse, wegen vorgeblichen Mangels der Information bei den Bevollmächtigten, durch die Schuld derselben verzögert werden sollten, deshalb hauptsächlich an den Richter halten wird; da diesem die ganze Direktion des Prozesses und der Instruktion, so wie der unablässige Betrieb derselben, von Amts wegen obliegt, und ihm das nöthige Ansehen nebst den erforderlichen Mitteln verliehen sind, die Justizkommissarien zu ihrer Schuldigkeit anzuhalten, und allen etwanigen Umzügen derselben Schranken zu setzen; und daher, wenn von diesen Anweisungen und Befugnissen nicht gehörig Gebrauch gemacht worden, die Verantwortung des unerlaubten Verzugs die Gerichte, besonders aber die Decernenten und Dirigenten, billig treffen muß.

Von Anberaumung der Termine bei Kommissionen.

§. 37.

Wenn nach Anleitung Tit VI. §. 10. Nr. 2. nach aufgenommener Klage die weitere Instruktion der Sache sogleich einem auswärtigen Kommissario übertragen wird, so hat dieser wegen Anberaumung und Bestimmung der Termine, wegen Prüfung der einkommenden Prorogationsgesuche, und wegen des


(165) Prorogationen und Kontumacien.

Verfahrens gegen ungehorsam ausbleibende oder den Prozeß ohne Noth verzögernde Parteien, eben die Pflichten zu beobachten, welche darüber den Gerichten in Fällen, da der Prozeß von ihnen unmittelbar instruirt wird, vorgeschrieben sind; und er steht im Uebrigen gegen das den Prozeß dirigirende Gericht in eben dem Verhältnisse, wie der zur Instruktion bestellte Deputirte desselben.

Damit aber dergleichen an auswärtige Kommissarien verwiesene Sachen nicht liegen bleiben, sondern von dem Gerichte unter beständiger Aufsicht gehalten werden mögen; so muß das Gericht, sogleich bei Erlassung des Auftrags, eine nach den Umständen abzumessende Frist bestimmen; und einen Tag festsetzen, bis zu welchem der Kommissarius die instruirten Akten einsenden solle. Kann derselbe die Instruktion in diesem Zeitraume nicht zu Ende bringen, so muß er sogleich nach dessen Ablaufe, unerfordert, und von Amts wegen anzeigen: wie weit er mit dem Geschäfte gekommen sey; wodurch die Beendigung desselben aufgehalten werde; was er gethan oder verfügt habe, um die obwaltenden Hindernisse aus dem Wege zu räumen; und wie viel Zeit er bis zum Abschlusse der Instruktion noch nöthig zu haben vermeine. Auf diese Anzeige muß das Gericht nicht nur das bisherige Verfahren des Kommissarii prüfen, und ihn, wenn etwa unnöthige Verzögerungen bemerkt werden, an seine Schuldigkeit mit Nachdruck erinnern, oder die begangene Nachlässigkeit mit den vorgeschriebenen Ordnungsstrafen gebührend ahnden; sondern es muß ihm auch mit den nöthigen speciellen Anweisungen, wie die sich findenden Anstände gehoben, und die Instruktion mehr beschleunigt und abgekürzt werden könne, nach Bewandtniß der Umstände an die Hand gehen; und ihm eine nochmalige gemessene Frist vorschreiben, binnen welcher er seinem Auftrage ein Genüge leisten, oder weitere


(166) Prozeßordnung. Neunter Titel.

Anzeige von der Lage der Sache unerfordert thun müsse. Kommt innerhalb acht Tagen nach Ablauf der gesetzten Fristen gar keine Anzeige von dem Kommissario ein, so muß er daran von Amts wegen erinnert, in eine Ordnungsstrafe von 2 bis 5 Thalern verurtheilt, und wenn sich in der Folge eine im Betrieb der Sache selbst ihm zur Last fallende Saumseligkeit findet, noch außerdem seiner Gebühren verlustig erklärt werden. Es muß also der Betrieb auch eines solchen einem auswärtigen Kommissario zur Instruktion aufgetragenen Prozesses der Aufmerksamkeit des denselben dirigirenden Gerichts zu keiner Zeit entgehen, und das Gericht muß für die möglichste Beschleunigung der Sache eben sowohl, als bei Prozessen, die von ihm unmittelbar instruiert werden, sorgen.

Neunter Titel.

Von Aufnehmung der Antwort auf die Klage, und was darauf zu verfügen.

Einziehung der Information von dem Beklagten:

§. 1.

Wenn der Beklagte in dem zur Beantwortung der Klage anstehenden Termine persönlich, oder in zulässigen Fällen durch seinen Bevollmächtigten, sich gehörig meldet und auf den Prozeß einläßt; so muß der Deputirte des Gerichts von ihm über alle und jede zur Sache gehörige Fakta und Umstände die genaueste und gründlichste Information einzuziehen sich angelegen seyn lassen.

1) über die vorläufigen Einwendungen;

§. 2.

Bei der Aufnehmung dieser Information selbst muß hauptsächlich auf nachstehende Punkte Rücksicht genommen werden: Erstlich, ob dem Beklagten eine oder die andere von den Tit. V. §. 4. Nr. 1. 2. 6. 7. 8. 10. 11. 12. erwähnten vorläufigen Einwendungen


(167) Antwort auf die Klage.

zustehe: z. B. daß die Person oder Sache nicht vor das Gericht gehöre, oder der Prozeß schon bei einem anderen Richter anhängig sey; daß es dem Kläger an der gehörigen Legitimation ermangele; daß von seiner oder des Beklagten Seite mehrere Interessenten, welche bei der Untersuchung mit zugezogen werden müßten, vorhanden; daß die Klage zu früh angestellt; daß der Kläger erst an den Prinzipalschuldner zu verweisen sey; daß er der Kosten halber Kaution bestellen müsse u. s. w.; oder ob vielleicht der Beklagte gegen die Person des Richters rechtmäßige Einwendungen habe.

2) über den Grund der Klage;

§. 3.

Der Deputirte des Gerichts muß,

Zweitens, dem Beklagten eine getreue und ausführliche Erzählung von dem Fakto, dem Geschäfte, oder der Verhandlung, woraus der Prozeß und der Anspruch des Klägers entspringt, abfordern; dieselbe mit der vom Kläger vorgetragenen Species facti sorgfältig vergleichen; den Inhalt dieser letztern dem Beklagten Punkt für Punkt vorhalten, und bei jedem auf eine genaue, deutliche und bestimmte Erklärung dringen; solchergestalt aber, was an dem Klagegrunde zugestanden oder abgeläugnet werde, richtig auseinander setzen.

3) über die Beweismittel;

§. 4.

Dabei muß,

Drittens, der Beklagte examinirt werden, was er über solche Umstände, wo sein Vortrag von der Erzählung des Klägers abweicht, für Mittel, die Wahrheit zu erforschen, an die Hand geben könne. Diese Beweismittel müssen von ihm eben so genau und bestimmt, wie in Ansehung des Klägers Tit. V. §. 5. vorgeschrieben ist, angegeben; in so fern Urkunden darunter befindlich, selbige sofort herbeigeschafft, oder wenigstens, wo die Originale derselben


(168) Prozeßordnung. Neunter Titel.

befindlich sind, und von wem also deren Edition zu fordern sey, gehörig angezeigt werden.

4) über die Ausstellungen gegen die Beweismittel des Klägers;

§. 5.

Der Beklagte muß,

vernommen werden: ob und was er in Ansehung ihrer Richtigkeit, Gültigkeit und Beweiskraft zu erinnern habe.

Beruhen diese Erinnerungen auf Thatsachen, so muß der Instruent sich diese gleichergestalt gehörig auseinander setzen, und die Mittel, sie im Läugnungsfalle darzuthun, bestimmt anzeigen lassen.

5) über die peremtorischen Einwendungen.

§. 6.

Er muß,

Fünftens, nachfragen: ob und was Beklagter für Einwendungen, wodurch der Anspruch des Klägers ganz oder zu Theil aufgehoben würde, anzubringen habe; z. B. ob die Schuld durch Zahlung, Vergleichung oder Erlassung getilgt; ob die Sache schon einmal rechtskräftig entschieden sey; ob dem Beklagten die Verjährung zu Statten komme u. s. w. Auch hierbei muß der Beklagte zu einem umständlichen Vortrage, und zu einer deutlichen Auseinandersetzung der Thatsachen, worauf jede dergleichen Einwendung beruhet; ingleichen zur richtigen und bestimmten Angabe der Beweismittel; auch, wenn es Urkunden sind, zu deren ungesäumten Herbeischaffung angehalten werden.

6) über die vermuthlichen Erwiederungen des Klägers.

§. 7.

Hiernächst muß,

Sechstens, der Instruent, besonders in weitläufigen und verwickelten Sachen, wo eben wegen dieser Beschaffenheit derselben ein besonderer Termin zur Beantwortung der Klage anberaumt worden ist, theils aus der Erzählung des Beklagten von dem, was vor Anstellung des Prozesses zwischen ihm und dem Kläger vorgefallen ist, oder aus der unter ihnen


(169) Antwort auf die Klage.

gewechselten Korrespondenz; theils aber auch aus vernünftiger Erwägung des Herganges und Geschäftes selbst, worauf ein solcher Einwand beruhet, der dabei obwaltenden Umstände, und desjenigen, was in dergleichen Fällen gewöhnlich vorzukommen pflegt, so viel wie möglich im Voraus zu entdecken bemüht seyn, was etwa Kläger seines Orts zur Erledigung und Widerlegung solcher Einwendungen in facto anzuführen haben möchte; und den Beklagten vernehmen: wie er sich allenfalls über dergleichen Erwiederungen zu erklären und zu vertheidigen gedenke; bei welcher Gelegenheit, und wenn sich findet, daß der Beklagte darauf noch nicht hinlänglich gefaßt sey, derselbe mit deutlicher und bestimmter Anweisung: was er zu solchem Ende thun, wornach er sich erkundigen, was er aussuchen und herbei schaffen müsse, zu versehen ist.

7) wegen zu veranlassender Adcitationen;

§. 8.

Gleichergestalt muß der Instruent,

Siebentens, untersuchen: ob etwa jemand da sey, welcher zu zuverlässigern Aufklärung der Sache bei der Untersuchung mit zugezogen, dem die Information über diesen oder jenen Punkt, wovon der Beklagte selbst nicht hinlänglich Auskunft geben kann, abgefordert, oder gegen welchen, wegen eines dem Beklagten wider ihn zustehenden Regresses, eine Litisdenunciation erfolgen müsse. Die dahin einschlagenden Thatsachen sind alsdann, sammt der Angabe der Beweismittel, gleich allen übrigen richtig aufzunehmen, und vollständig auseinander zu setzen.

8) wegen der Gegenforderungen,

§. 9.

Ein Gleiches ist zu beobachten, wenn sich,

Achtens, finden sollte, daß dem Beklagten eine Gegenforderung zustehe. Wie alsdann weiter zu verfahren sey, wird unten in dem Titel von der Wiederklage besonders vorgeschrieben.


(170) Prozeßordnung. Neunter Titel.

9. Vorhaltungen, welche dem Beklagten zu machen sind.

§. 10. Endlich muß der Instruent,

Neuntens, dem Beklagten eben so, wie in Ansehung des Klägers Tit. V. §. 7. verordnet ist, die Sache nochmals in ihrem ganzen Zusammenhange vorlegen; ihn an seine Pflicht, die Wahrheit zu sagen, auch an die Strafen der im Gerichte vorgetragenen Unwahrheiten und des frevelhaften Läugnens erinnern; ihm die Umstände, in Ansehung welcher seine Species facti nicht recht zusammen hängt, die dabei vorkommenden Unwahrscheinlichkeiten, und die gegen seine Beweismittel sich äußernden Unstände, freimüthig vorhalten; auch ihm, wenn er besonders mit keinem rechtskundigen Beistande versehen ist, die zur Sache gehörenden Vorschriften der Gesetze bekannt machen.

Von Exceptionibus juris.

§. 11.

Wenn aus dem Vortrage des Beklagten, und aus dessen Vergleichung mit der Geschichtserzählung des Klägers, Rechtsausflüchte (Exceptionis juris) oder Rechtswohlthaten sich ergeben, welche dem Beklagten zu Statten zu kommen scheinen, so muß der Instruent auf dergleichen Umstände von Amts wegen Rücksicht nehmen, und die Thatsachen, auf die es dabei ankommt, die vorhergehenden, begleitenden und nachfolgenden Umstände, wodurch eine solche Exception entweder begründet, oder gehoben werden, und überhaupt Alles, was dabei in facto auf die künftige richterliche Beurtheilung Einfluß haben kann, mit aller Treue und Sorgfalt auseinander zu setzen bemüht seyn.

Bei Beobachtung dieser Vorschrift muß jedoch vorzügliche Vorsicht und Behutsamkeit angewendet werden, damit nicht der Instruent aus übertriebener Aengstlichkeit, oder übel angebrachter Begierde, mit seinen Kenntnissen in der Rechtsgelehrsamkeit zu glänzen, auf Abwege und bloß muthmaaßliche, aus


(171) Antwort auf die Klage.

der Luft gegriffene Exceptionen verfalle, zu denen in dem Hergange und Zusammenhange der vorgetragenen Thatsachen kein hinreichender Grund noch Anlaß liegt; solchergestalt aber, ganz wider den Zweck der Prozeßordnung, die besonders in Person erscheinenden Parteien selbst auf Chikanen und Umzüge leite, auf welche sie vielleicht aus eigener Bewegung nicht gerathen seyn würden.

Wenn übrigens der Richter nach geschlossener Instruktion, und indem die Sache zur Abfassung des Erkenntnisses vorgelegt werden soll, Exceptiones juris, die aus dem entwickelten Fakto zu folgen scheinen, und die gleichwohl bei der Instruktion nicht gerügt worden sind (worunter auch der Einwand der Verjährung gehört), zu bemerken glaubt; so muß er, vor Abfassung des Erkenntnisses, eine nähere Vernehmung der Parteien darüber von Amts wegen veranlassen.

Von Hebung vorläufiger Anstände bei der Informationseinziehung.

§. 12.

Sollte sich bei der Einziehung der Information von dem Beklagten irgend ein Anstand ereignen, zu dessen Hebung eine richterliche Verfügung nöthig wäre; z. B. daß eine dritte Person mit vorgeladen; die Edition eines, auch nicht in Abschrift, hinter Beklagtem befindlichen Dokuments von dem Kläger oder einem Dritten gefordert; die Kompetenz des Gerichtsstandes, oder eine obwaltende Prävention, oder ein anderer dergleichen vorläufiger Einwand erörtert werden müßte: so muß der Instruent sofort, und noch während der Informationseinziehung, dem Gerichte davon Anzeige machen, und auf die erforderliche Verfügung deshalb antragen.

Wie nach eingezogener Information weiter zu verfahren:

§. 13.

Wenn solchergestalt die Information von dem Beklagten vollständig eingezogen ist, und die etwa sich findenden vorläufigen Anstände gehoben worden sind; so kommt es wegen des weitern Verfahrens


(172) Prozeßordnung. Neunter Titel.

darauf an: ob nach Vorschrift Tit. VI. §. 11. 12. 13. der Termin bloß zur Beantwortung der Klage, oder zugleich zur Instruktion der Sache gestanden habe.

1) wenn der Termin zugleich zur Instruktion der ganzen Sache, oder

§. 14.

Im letztern Falle wird, nach aufgenommener Beantwortung, der Kläger oder dessen Bevollmächtigter sofort herbei gerufen, demselben das Beantwortungsprotokoll vorgelegt, und mit der fernern Instruktion nach Vorschrift des folgenden Titels verfahren.

In diesem Falle müssen aber die dem Beklagten nach §. 7. und 10. zu machenden Vorhaltungen und Bedeutungen nicht in das Beantwortungsprotokoll mit aufgenommen, sondern entweder von dem Instruenten selbst, oder von dem gegenwärtigen Assistenten oder Bevollmächtigten des Beklagten besonders vermerkt, dieser Vermerk auch bei den Manualakten des Letztern zum künftigen Gebrauche aufbewahrt werden.

2) bloß zur Beantwortung angestanden hat.

§. 15.

Hat aber wegen Wichtigkeit und Weitläufigkeit der Sache der Termin bloß zur Vernehmung des Beklagten über die Klage angestanden, so wird aus dem Informationsprotokolle eine besondere Beantwortung gezogen; diese, nebst dem versiegelten Informationsprotokolle, in die Registratur des Kollegii abgegeben; nach gemachtem Gebrauche aber letzteres bei den Manualakten des Assistenten oder Bevollmächtigten des Beklagten aufbewahrt.

Das Beantwortungsprotokoll wird in der Regel von dem Instruenten aufgenommen; es steht aber auch hier dem Beklagten, so wie in einem ähnlichen Falle (Tit. V. §. 15.) dem Kläger, frei, zu verlangen, daß die Anfertigung der Antwort, auf den Grund des Informationsprotokolls, seinem Assistenten oder Bevollmächtigten überlassen werde.

Hingegen findet die Erlaubniß, welche nach Tit. V. §. 16. dem Bevollmächtigten des Klägers ertheilt


(173) Antwort auf die Klage.

ist, auf den Grund der von ihm selbst eingezogenen Information eine schriftliche Klage einzureichen, in Ansehung des Beklagten zwar nicht Statt; sondern die Information zur Beantwortung der Klage muß allemal, der Beklagte erscheine in Person, oder er werde durch einen Bevollmächtigten vertreten, durch den Deputirten des Gerichts selbst aufgenommen werden.

Doch steht dem Beklagten oder dessen Rechtsbeistande frei, noch vor dem Beantwortungstermine ein schriftliches Promemoria dem Instruenten zuzustellen, in welchem die nach obiger Vorschrift geordneten Einwendungen auf die Klage enthalten sind. Findet der Instruent dieses Promemoria so beschaffen, daß darin eine hinreichend vollständige Beantwortung der Klage anzutreffen sey, so muß er dasselbe in der nächsten Versammlung des Kollegii zum Vortrage durch den ordentlichen Decernenten befördern. Ist auch das Kollegium damit einverstanden, daß das Promemoria, welchem die Manualakten jedes mal beizufügen sind, eine hinlänglich vollständige Beantwortung der Klage enthalte; so wird, mit Aufhebung des Beantwortungstermins, unter Kommunikation der schriftlichen Antwort an den Kläger, sofort ein Termin zur Instruktion der Hauptsache anberaumt. Findet aber der Decernent oder das Kollegium die schriftliche Antwort nicht hinreichend, so bleibt es bei dem einmal anberaumten Beantwortungstermine, und das Promemoria dient bloß zur vorläufigen Information des Instruenten, welcher dasselbe dem Beantwortungsprotokolle beilegt. Es kann also, unter dem Vorwande einer einzureichenden schriftlichen Antwort auf die Klage, eine Prorogation des einmal angesetzten Beantwortungstermins weder nachgesucht, noch bewilligt werden.


(174) Prozeßordnung. Neunter Titel.

Was die Beantwortung der Klage enthalten muß.

§. 16.

In jeder Beantwortung einer Klage muß

1) das Faktum, woraus geklagt worden ist, nach der Erzählung des Beklagten, deutlich und umständlich vorgetragen; selbiges mit der Species facti des Klägers Punkt für Punkt verglichen, und solchergestalt auseinander gesetzt werden: in welchen Stücken beide Theile einig sind, oder in ihren Erzählungen von einander abweichen.
Ferner müssen

2) die Einwendungen des Beklagten, sowohl gegen die Forderungen des Klägers überhaupt, als gegen seine Beweismittel, angeführt, und die Thatsachen, worauf selbige beruhen, eben so deutlich und vollständig vorgetragen werden.
Sodann sind

3) die dem Beklagten etwa zu Statten kommenden Exceptiones juris, jedoch nur ganz kurz, und ohne weitere nicht hierher, sondern in die künftige Deduktion gehörende Ausführung zu bemerken. Diesem wird endlich

4) ein der Sache und der Intention des Beklagten gemäßer Antrag beigefügt. Auch müssen in diesem Protokolle die vom Beklagten angegebenen Beweismittel über sämmtliche darin vorkommende Fakta genau und bestimmt angezeigt, und, wenn es Urkunden sind, dieselben sofort beigelegt, ingleichen wegen der etwa zu verfügenden Edition der Originalen von den hinter dem Beklagten nur in Abschrift befindlichen Urkunden, muß das Nöthige angetragen werden.

Was auf die Beantwortung zu verfügen:

§. 17.

Das Beantwortungsprotokoll muß von dem bestellten Decernenten in der nächsten Versammlung des Gerichts ordentlich vorgetragen werden.


(175) Antwort auf die Klage.

§. 18.

Der Decernent muß das Beantwortungsprotokoll mit der Information, so wie diese mit den obigen Vorschriften, sorgfältig vergleichen, und dabei die Verordnung des Vierten Titels §. 2. genau befolgen.

1) wenn sich noch Anstände dabei finden.

§. 19. Finden sich Anstände, denen bloß durch den Instruenten oder den Bevollmächtigten abgeholfen werden kann; so muß das Erforderliche deswegen sofort, und mit Bestimmung einer kurzen gemessenen Frist, binnen welcher die Abhelfung erfolgen müsse, verfügt werden.

§. 20.

Sind aber die obwaltenden Anstände, sie mögen sich nun aus der nach §. 12. von den Instruenten gemachten vorläufigen Anzeige ergeben, oder aus dem Beantwortungs- und dessen Vergleichung mit dem Informationsprotokolle von dem Decernenten entnommen werden, so beschaffen, daß zu deren Abhelfung eine richterliche Verfügung entweder an eine der Parteien, oder auch an einen Dritten nöthig ist; so muß sorgfältig geprüft werden:

1) ob der Anstand eine vorläufige Einwendung des Beklagten betreffe, wodurch die Einlassung auf die Klage aufgehalten werden soll; z. B. daß nicht in dem gehörigen Gerichtsstande geklagt worden; daß die Sache schon anderswo rechtsgängig sey; daß es dem Kläger an der erforderlichen Legitimation ermangele u. s. w.; oder

2) ob der Anstand in einem Mangel an der Vollständigkeit der Nachrichten über die in der Klage oder deren Beantwortung vorkommenden Thatsachen beruhe.


(176) Prozeßordnung. Neunter Titel.

§. 21.

Im ersten Falle muß der Richter, wenn ein solcher Anstand durch eine vorläufige Verfügung sofort gehoben werden kann, diese Verfügung unverzüglich erlassen, und daß derselben ohne Aufenthalt genügt werde, von Amts wegen betreiben. Findet sich aber, daß dergleichen Einwand durch eine solche vorläufige Verfügung nicht sofort aufgeklärt und bei Seite geschafft werden kann, sondern zur Erörterung desselben eine förmliche Untersuchung, und wohl gar die Aufnehmung eines Beweises gehören würde; so muß dadurch die Sache nicht aufgehalten, sondern die nähere Erörterung des Einwandes mit zum Instruktionstermine verwiesen werden.

§. 22.

Besteht der vorwaltende Anstand darin, daß an der Vollständigkeit der Nachrichten über die in der Klage oder deren Beantwortung vorkommenden Thatsachen noch etwas ermangelt; so muß abermals vernünftig beurtheilt werden: ob das Fehlende so beschaffen sey, daß, wenn selbiges nicht noch vor dem Instruktionstermine ergänzt würde, daraus im Fortgange der Instruktion Verwirrung und Dunkelheit oder doch beträchtlicher Aufenthalt und Verzug zu besorgen wäre; oder ob es bloß Nebenumstände z. B. den Namen und Aufenthalt eines Zeugen (et)c., betreffe; wovon mit Grunde zu hoffen ist, daß es noch vor dem Eintritte des Instruktionstermins zu ergänzen seyn werde.

§. 23.

Im erstern Falle, wenn z. B. noch ein Hauptdokument zur Aufklärung der bei der Klage oder einer Einwendung dagegen zum Grunde liegenden Thatsache, von welchem auch keine Abschrift hat beigebracht werden können, von dem Kläger oder einem Dritten heraus zu geben ist; wenn ohne die Vernehmung eines Dritten, welcher von der Sache nähere Wissenschaft,


(177) Antwort auf die Klage.

als der Beklagte selbst hat, eine vollständige Species facti über den Grund der Klage oder einer Einwendung nicht zu Stande gebracht werden kann (et)c., muß der Richter, noch vor Anberaumung des Instruktionstermins, alles Erforderliche zur Hebung eines solchen Anstandes verfügen, und daß diesen Verfügungen ein Genüge geschehe, von Amts wegen sorgen.

2) wenn keine die Sache aufhaltenden Anstände vorhanden sind.

§. 24.

Kommt es aber auf Ergänzung bloßer Nebenumstände noch an, so muß zwar auch deshalb das Erforderliche sofort erlassen, zugleich aber mit Anberaumung des Instruktionstermins verfahren werden.

§. 25.

Zu diesem Instruktionstermine wird der Kläger schriftlich vorgeladen, und demselben eine vollständige Abschrift des Beantwortungsprotokolls, so wie sämmtlicher Beilagen davon, mitgetheilt. Dem Beklagten wird in der Regel nur eine Abschrift dieser Verordnung zu seiner Nachricht von dem anberaumten Instruktionstermine zugestellt; es wäre denn, daß von ihm noch vor dem Termine irgend etwas nachzubringen oder zu befolgen wäre; in welchem Falle ihm dazu eine schriftliche Anweisung ertheilt, und darin zugleich der anberaumte Instruktionstermin bekannt gemacht wird.

§. 26.

Der Termin selbst wird, der Regel nach, an ordentlicher Gerichtsstelle anberaumt, und die Abhaltung desselben, so wie die fernere Instruktion der Sache, dem Deputirten des Kollegii, welcher die Beantwortung aufgenommen hat, und welcher jedes mal eine von dem ordentlichen Decernenten verschiedene Person seyn muß, mit Zuziehung des ihm ebenfalls schon zugeordneten Protokollführers, übertragen.


(178) Prozeßordnung. Neunter Titel.

§. 27.

Ergiebt sich aus Vergleichung der Klage mit ihrer Beantwortung, daß die Parteien in den Thatsachen einig sind, und nur darüber: in wie fern daraus das behauptete Recht des Klägers folge? streiten; so wird der Termin nur ganz kurz zu Regulirung des Status causae et controversiae, zum Versuch der Sühne und zum Definitivverfahren anberaumt, und beiden Theilen aufgegeben, denselben in Person abzuwarten, oder einen Bevollmächtigten mit hinlänglicher und gemessener Anweisung, wegen der vorzunehmenden Vergleichstraktate, zu versehen.

§. 28.

Schlägt der Versuch der Sühne fehl, so wird alsbald das Verfahren abgehalten, und sodann werden die Akten zum Spruche vorgelegt.

§. 29.

Sind hingegen die Parteien in den Thatsachen nicht einig; indem entweder der Beklagte der Geschichtserzählung des Klägers widerspricht, und die Sache anders vorträgt, oder derselben Einwendungen, die auf andern Thatsachen beruhen, entgegen setzt; so wird der Instruktionstermin zu dem Ende anberaumt, daß

1) die Parteien über die streitigen Umstände noch näher gegen einander vernommen;

2) der Status controversiae unter ihnen regulirt;

3) die gegenseitig angegebenen Beweismittel vorbereitet und aufgenommen werden sollen.

§. 30.

Es müssen also beide Theile angewiesen werden, auf diese weitere Instruktion der Sache sich gefaßt zu halten; die Originakten der von ihnen allegirten, und etwa nur in Abschrift übergebenen Dokumente mitzubringen; sich auf die Rekognition oder eidliche Diffession derselben vorzubereiten; auch über die Annahme oder Zurückschiebung der von dem Gegentheil


(179) Antwort auf die Klage.

etwa deferirten Eide ihren Entschluß zu fassen, damit sie ihre Erklärung darüber in dem Termine abgeben können.

§. 31.

Sind nach Anleitung des §. 21. und 23. noch vorläufige Anstände zu heben, die aber nicht so beschaffen sind, daß um deswillen die Anberaumung des Instruktionstermins hätte ausgesetzt werden müssen; so muß in der Vorladung zu diesem Termine, oder nöthigenfalls in einer besondern Verordnung, das Erforderliche deshalb erlassen, und, in so fern es Anweisungen für den Beklagten zur Vervollständigung seiner Antwort sind, die Frist zu deren Befolgung so bestimmt werden, daß sie noch vor dem Eintritte des anberaumten Instruktionstermins zu Ende laufe, und also dem Kläger noch zeitig vor dem Termine davon Nachricht gegeben werden könne.

§. 32.

Wenn der Beklagte entweder gegen den Klagegrund selbst, oder gegen die Beweismittel des Klägers Einwendungen beigebracht hat; so muß dem Letztern ausdrücklich anbefohlen werden, in so fern er zur Widerlegung und Entkräftung derselben etwas, das auf Thatsachen beruhe, für sich anzuführen hätte, dieses, nebst allen diesfälligen Beweismitteln, dergestalt zeitig vor dem Termine anzuzeigen, daß dem Beklagten davon noch früh genug Nachricht ertheilt werden, und dieser im Termine selbst hinlänglich darauf vorbereitet erscheinen könne.

§. 33.

Eine dergleichen Vorschrift muß dem Kläger auch in dem Falle gegeben werden, wenn der Beklagte seines Orts Beweismittel, wodurch das Gegentheil der klägerischen Species facti dargethan werden soll, angeführt hätte, und Kläger gegen die Richtigkeit, Gültigkeit oder Zulässigkeit dieser Beweismittel



(180) Prozeßordnung. Neunter Titel.

Einwendungen, welche auf Thatsachen beruhen, anzubringen gemeint wäre.

§. 34.

Hat der Beklage die Abschrift eines Dokuments beigebracht, wovon das Original hinter dem Kläger oder einem Dritten befindlich seyn soll; so wird hier zugleich das Erforderliche wegen dessen Herbeischaffung, nach Vorschrift des folgenden Titels, verordnet.

§. 35.

Ist auch etwa noch wegen Vorladung eines Litis denunciati etwas zu verfügen, so muß dergleichen Verfügung mit obbeschriebener Hauptverordnung unter Einem erlassen werden.

Allgemeine Anweisung wegen der Vorbereitung zum Instruktionstermine.

§. 36.

Ueberhaupt muß der Richter, indem er die Verordnung zur Anberaumung des Instruktionstermins erläßt, zugleich darauf Bedacht nehmen, daß zu diesem Termin Alles dergestalt vorbereitet sey, damit in selbigem die Sache ununterbrochen fortgesetzt, und ohne Entstehung neuer zögernder Zwischenfälle, zum Definitiverkenntniß befördert werden könne. Eine aufmerksame und sorgfältige Ueberlegung des Inhalts der Klage und Antwort; der Punkte und Umstände, in welchen hauptsächlich die Parteien von einander abgehen; der Beschaffenheit der von einem oder dem anderen Theile angegebenen Beweismittel; dessen, was zu deren Herbeischaffung erforderlich seyn werde; der aus der Vernehmung des Beklagten sich ergebenden vermuthlichen Erwiederungen des Klägers; der Spuren, welche sich etwa noch von sonst vorhandenen, obgleich von den Parteien nicht ausdrücklich angegebenen Mitteln zur Entdeckung der Wahrheit, aus den bisherigen Verhandlungen hervor thun, werden einen Richter, dem die Erfüllung seiner Pflichten am Herzen liegt, in den Stand setzen zu einer solchen vollständigen Vorbereitung der


(181) Antwort auf die Klage.

Instruktion zweckmäßige Anstalten zu treffen, und durch vorläufige Anweisungen, Belehrungen und Bedeutungen der Parteien, oder auch durch andere von Amts wegen zu treffende Verfügungen, allen im Laufe derselben sich etwa ergebenden Anständen möglichst vorzubeugen.

In wie fern Zeugen oder

§. 37.

In wie fern zu dem Instruktionstermine auch die von beiden Seiten benannten Zeugen mit vorzuladen, bleibt zwar hauptsächlich dem vernünftigen Ermessen des Gerichts anheim gestellt; doch kann in wichtigen Sachen, als wovon hier eigentlich nur die Rede ist, diese Vorladung der Zeugen nicht leicht eher, als nach regulirtem Statu controversiae, verfügt werden.

Sachverständige zum Instruktionstermin mit vorzuladen.

§. 38.

Wenn aus dem Vortrage der Parteien und den bis dahin verhandelten Akten sich ergiebt, daß bei Untersuchung und Erörterung des Rechtsstreits solche Thatsachen vorkommen, deren zuverlässige Beurtheilung nähere Kenntniß und Uebung in einer gewissen Kunst oder Wissenschaft voraus setzt; so muß das Gericht von Amtswegen die Verfügung treffen, daß seinem Deputirten im Instruktionstermine ein Sachverständiger beigegeben werde, mit dessen Zuziehung er dergleichen streitige Thatsachen instruiren, und nach dessen Rath und Gutachten sowohl bei der Auseinandersetzung der Sache und Regulirung des Status controversiae, als bei Aufnehmung der Beweismittel verfahren soll.

Anh. §. 64. In Absicht der Vorladung der bei der Instruktion zuzuziehenden oder sonst zu vernehmenden Sachverständigen findet folgendes Verfahren Statt.

Zuvörderst hat es dabei sein Bewenden, daß die einfür allemal als Sachverständige bei den Gerichten angestellten und vereidigten Personen zugezogen werden.

In deren Ermangelung und in so fern sich die Parteien über die Sachverständigen nicht vereinigen können, ist deshalb mit demjenigen Kollegium, welchem Personen


(182) Prozeßordnung. Neunter Titel.

dieser Art in Amtssachen untergeordnet sind, Rücksprache zu nehmen. Diejenigen, welche die Amtsbehörde benennt, können sich nicht entziehen, das Geschäft des Sachverständigen bei dem Gericht zu übernehmen.

Tritt dagegen der Fall ein, daß sich die Parteien über solche Sachverständige vereinigen, welche nicht in dieser Eigenschaft bei dem Gericht angestellt und einfür allemal vereidet, auch nicht von den ihnen vorgesetzten Behörden, sondern von den Parteien selbst vorgeschlagen sind; so muß der Vorgeschlagene, falls seine Kunst oder Wissenschaft ihn ernährt, z. B. wenn er Lehrer, Professor, Arzt, Künstler oder Handwerker ist, sich als Sachverständiger, der unmittelbaren Aufforderung seiner Obrigkeit gemäß, gestellen und eidlich vernehmen lassen.

Ist er dagegen in einem öffentlichen Amtsverhältnisse, so muß das Gericht vorläufig mit der ihm vorgesetzten Amtsbehörde Rücksprache halten, und nur nach deren Bewilligung mit seiner Verladung verfahren.

Anh §. 65. Die Auswahl der Sachverständigen unter mehreren entweder dem Gericht bekannten, oder von der Amtsbehörde genannten, gehört, in Ermangelung einer Vereinigung der Parteien, zur Kompetenz des den Prozeß dirigirenden Gerichts.

Von persönlicher Abwartung dieser Termine.

§. 39.

Wegen der Pflicht der Parteien, die Instruktionstermine persönlich abzuwarten, und ihrer ausdrücklichen Aufforderung dazu, hat es bei den Vorschriften des Dritten Titels sein Bewenden, und muß besonders in wichtigen und weitläufigen Sachen, wovon hier vornehmlich die Rede ist, ganz besonders darauf gesehen werden, daß, wenn auch die Klage oder deren Beantwortung nur durch Bevollmächtigte wären aufgenommen worden, dennoch wenigstens im Instruktionstermine die Parteien persönlich zusammen gebracht werden, damit sowohl durch ihre Vernehmung gegen einander die Ausmittelung der Wahrheit desto sicherer und schleuniger bewirkt, als der Versuch der Sühne, ohne Aufenthalt der Sache, desto zweckmäßiger angestellt werden könne.


(183) Antwort auf die Klage.

Wie weit der Termin hinaus zu setzen sey.

§. 40.

Wie weit der Instruktionstermin hinaus zu setzen sey, muß von dem Gerichte nach Bewandtniß der Umstände, der größeren oder geringeren Entfernung der Parteien, und der vor dem Termine noch zu befolgenden Anweisungen, mit Rücksicht auf die Vorschrift des Achten Titels. beurtheilt werden.

Vorladung des Klägers.

§. 41.

Der Kläger wird zu dem Instruktionstermine unter der Tit. VI. §. 18. vorgeschriebenen Verwarnung vorgeladen; dem Beklagten aber wird bekannt gemacht, daß, wenn er in diesem Termin ungehorsam außen bleiben würde, die Instruktion dennoch in contumaciam fortgesetzt werden solle.

Wie es zu halten, wenn derselbe oder

§. 42.

Wenn der Kläger in dem Instruktionstermine sich gar nicht meldet, und auch vorher nicht zu erkennen gegeben hat, daß er die Sache fortsetzen wolle; so wird, der ergangenen Verwarnung gemäß, angenommen, daß er sich der Fortsetzung des Prozesses begebe. Es wird also durch eine Resolution auf das über sein Außenbleiben abgehaltene Protokoll festgesetzt, daß er dem Beklagten alle bisherigen Kosten erstatten. und mit Reposition der Akten verfahren werden sollte. Was der Beklagte zu thun hat, wenn ihm daran gelegen ist, daß die Sache fortgesetzt und rechtlich entschieden werde, ist unten Tit. XXXII. vorgeschrieben.

wenn der Beklagte nicht erscheint.

§. 43.

Hat aber der im Termine außenbleibende Kläger vorher, es sey durch ein, obwohl unzulässig befundenes Prorogationsgesuch, oder sonst, zu erkennen gegeben, daß er den Prozeß fortsetzen wolle; so wird mit der Instruktion in contumaciam fortgefahren; und ein Gleiches geschieht in allen Fällen, wenn der Beklagte sich eines ungehorsamen Außenbleibens im Instruktionstermine schuldig macht.


(184) Prozessordnung. Neunter Titel.

Rechtliche Folgen des Ungehorsams nach erfolgter Einlassung auf die Klage.

§. 44.

Die rechtliche Folge des Ungehorsams, der von einem Kläger, oder auch von einem Beklagten, nach erfolgter Einlassung, begangen wird, besteht darin: daß jede streitige Thatsache, bei deren Erörterung ein solcher Ungehorsam sich äußert, für zugestanden, oder nicht angebracht, so wie es dem Ungehorsamen nachtheilig ist, angesehen werden muß. Diese Folge ihres Ungehorsams kann eine Partei nur dadurch von sich abwenden, wenn sie noch vor dem gänzlichen Abschlusse der Instruktion, der richterlichen Auflage, von welcher die Rede ist, ein vollständiges Genüge leistet, und dem Gegentheile alle Schäden und Kosten, die demselben aus der bisherigen Zögerung erwachsen sind, vollständig vergütet. Ueberdieß muß eine solche Partei, wenn sie ihr Verschulden bei der Nichtbefolgung der richterlichen Anweisung nicht vollkommen ablehnen kann, mit einer Ordnungsstrafe von 2 bis 10 Thalern belegt werden. In wie fern aber, wenn die Instruktionen der Hauptsache schon abgeschlossen ist, der Partei gegen das darauf folgende Erkenntniß die Appellation oder ein anderes Rechtsmittel zustehe, wird unten (Tit. XIV.) festgesetzt werden.

Von Prorogationen der Instruktionstermine.

§. 45.

Prorogationen der Instruktionstermine können in dem Falle, wovon hier die Rede ist, wenn nämlich die Beantwortung der Klage bereits aufgenommen worden, in der Regel gar nicht Statt finden; sondern sie sind nur alsdann zulässig,

1) wenn eine Partei, die den Termin in Person abwarten soll und will, durch persönliche Ehehaften und Abhaltungen, wider ihren Willen und ohne ihr Verschulden, daran verhindert wird;

2) wenn der Klage Einwendungen aus Thatsachen entgegen gesetzt werden, die bei Aufnehmung


(185) Antwort auf die Klage.

der Klage, und der Information dazu, gar nicht vorgekommen sind, worauf sich also der Kläger nicht hat vorbereiten können. In diesem Falle kann dem Kläger, zur Herbeischaffung der erforderlichen Nachrichten und Vorbereitung seiner etwanigen ebenfalls auf Thatsachen beruhenden Erwiederungen, eine billige Nachfrist und die Verlegung des Instruktionstermins nicht versagt werden.

§. 46.

Bei der Anbringung solcher Prorogationsgesuche, so wie bei deren Beurtheilung, müssen die Vorschriften des Achten Titels §. 20. u. f. gehörig befolgt werden, und der Richter muß dabei mit desto mehrerer Genauigkeit und Strenge verfahren, als in dem voraus gesetzten Falle, da Klage und Antwort bereits vorschriftsmäßig instruirt und aufgenommen sind, nur ungewöhnliche und außerordentliche Umstände die weitere Fortsetzung der Sache aufhalten können; und daher ein vollständiger und überzeugender Nachweis solcher Umstände nothwendig ist, wenn, besonders von dem Beklagten, der Verdacht, daß die Prorogation nur zum Verschleif der Sache nachgesucht werde, abgewendet werden soll.

§. 47.

Wenn die Information zur Klage durch einen Justizkommissarius aufgenommen, und die Klage von demselben schriftlich eingereicht worden, in der Folge aber Prorogationen des Instruktionstermins von Seiten des Klägers nachgesucht werden, so begründet dieses den Verdacht, daß der Justizkommissarius bei Einziehung der Informationen die Vorschriften des Fünften Titels §. 6., wegen der Vorbereitung auf die vermuthlichen Einwendungen des Beklagten, nicht sorgfältig genug beobachtet habe. Es müssen daher in einem solchen Falle die Manualakten des Justizkommissarii mit vorzüglicher Aufmerksamkeit


(186) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

geprüft, die dabei von ihm begangenen Versehen ernstlich gerügt, und er dafür, nach Beschaffenheit der Umstände, mit den vorgeschriebenen Ordnungsstrafen belegt werden.

§. 48.

Wegen obschwebender Privat-Vergleichsunterhandlungen findet die Prorogation eines anstehenden Instruktionstermins nur alsdann Statt, wenn beide Theile dieselbe entweder in Person, oder doch unter ihrer eigenen Hand und Unterschrift nachsuchen; oder wenn sonst zu den Akten glaubwürdig nachgewiesen wird, daß sie wirklich in solchen Unterhandlungen stehen, und besonders der Kläger sich aus diesem Grunde die Verlegung des Termins gefallen lasse.

Zehnter Titel.

Von der Instruktion der Sache zum Definitiverkenntnisse.

Bestimmung des Instruktionstermins.

§. 1.

Die Bestimmung des Instruktionstermins ist:

1) daß in selbigen die Parteyen über die bei dem Prozesse vorkommenden Thatsachen noch näher gegen einander vernommen, und, so weit es möglich ist, darüber vereinigt;

2) daß durch Aufnehmung der unstreitigen Thatsachen, nähere Bestimmungen der streitig gebliebenen, und Absonderung der erheblichen von den unerheblichen, der Status causae et controversiae regulirt;

3) daß die streitig gebliebenen erheblichen Thatsachen durch Aufnehmung der darüber vorhandenen Beweismittel möglichst ins Licht gesetzt;

4) daß nach erfolgter Aufnahme des Beweises, derselbe den Parteien vorgelegt, sie darüber, und


(187) Instruktion der Sache.

was sie dabei etwa noch zu erinnern und zu ergänzen finden, vernommen, die Sühne unter ihnen mit allem Fleiße versucht, und, wenn diese nicht Statt findet, die Instruktion geschlossen werden soll.

Allgemeine Obliegenheit des Instruenten,

§. 2.

Bei dieser Instruktion der Sache muß besonders die Sorgfalt der Instruenten, die Wahrheit der bei der Klage, oder bei einem derselben entgegen gesetzten Einwande, zum Grunde liegenden Thatsachen gründlich und vollständig auszumitteln, sich thätig erweisen. Er muß alle Mühe anwenden, von diesen Thatsachen eine vollständige und zusammenhängende Geschichtserzählung, in Ansehung aller Haupt- und auf die Entscheidung Einfluß habenden Nebenumstände darzustellen; er muß zu dem Ende die Parteien mit unermüdeter Sorgfalt, Aufmerksamkeit und Geduld über ihre gegenseitigen Angaben vernehmen; sie auf die Unwahrscheinlichkeit, die Lücken und das Zusammenhängende, was sich in diesen ihren Angaben etwa findet, aufmerksam machen; sie an ihre Pflicht, vor Gericht die Wahrheit zu sagen, und an die gesetzlichen Strafen wissentlich vorgetragener Unwahrheiten, so wie des frevelhaften Läugnens, bei jeder vorkommenden Gelegenheit ernstlich erinnern; in so fern sie über erhebliche Thatsachen nicht vereinigt werden können, die eigentliche Bewandtniß derselben durch sorgfältige Aufsuchung und Aufnehmung der darüber vorhandenen Beweismittel ins Licht zu setzen bemüht seyn; sich dabei nicht bloß an diejenigen binden, die ihm von den Parteien an die Hand gegeben werden, sondern auch, wenn sich im Fortgange der Verhandlungen findet, daß außer diesen von den Parteien vorgeschlagenen Beweismitteln, deren noch mehrere oder andere, wodurch ein helleres Licht über die streitigen Thatsachen verbreitet werden könnte, vorhanden sind, denselben auch ohne besondere Anregung der Parteien nachgehen, und davon den erforderlichen


(188) Prozessordnung. Zehner Titel.

Gebrauch machen; überhaupt aber mit seiner Untersuchung nicht eher ablassen und ermüden, als bis alle vorkommende erhebliche Thatsachen vollständig aufgeklärt, oder doch alle dazu nur irgend vorhandene Mittel angewendet und erschöpft worden sind.

besonders in Ansehung der während der Instruktion, bis zum Schlusse der Sache, oder erst in den Deduktionen vorkommenden Thatsachen.

§. 3.

Der Richter muß daher auf alle Umstände und Thatsachen, die zur Begründung der Klage, oder eines dagegen gemachten Einwandes gehören, und entweder zur genaueren und vollständigen Aufklärung derselben geradezu beitragen, oder auf die Gültigkeit und Glaubwürdigkeit der angegebenen oder auch schon aufgenommenen Beweismittel Einfluß haben können, während des Laufs der Instruktion allerdings Rücksicht nehmen; ohne sich daran zu kehren, in welchem Zeitpunkte dieselben, und ob sie z. B. vor, bei, oder auch erst nach Regulirung des Status causae et controversiae, bei der Aufnehmung der Beweismittel, oder gar erst im Schlußtermine zum Vorschein gekommen sind. Auf neue Umstände und Thatsachen, die nach schon völlig geschlossener Instruktion erst in den Deduktionen angebracht worden, ist zwar der Richter in der Regel sich einzulassen nicht schuldig; sondern die Partei, welche zu deren zeitigern Anbringung Raum und Gelegenheit genug gehabt hat, muß es sich beimessen, wenn sie davon erst in der zweiten Instanz Gebrauch machen kann.

Wenn inzwischen der Richter findet, daß der in der Deduktion angeführte neue Umstand deutlich und bestimmt genug vorgetragen, auch an sich von so offenbarer Erheblichkeit sey, daß dadurch in der Lage der Sache eine wesentliche Veränderung hervorgebracht werden könnte; so steht ihm frei, die Instruktion desselben, noch vor Abfassung des Erkenntnisses, durch eine vorläufige Resolution zu verordnen.


(189) Instruktion der Sache.

§. 4.

Damit inzwischen die Parteien diese Erlaubniß, die Instruktion der Thatsachen noch während des Laufes des ganzen Verfahrens erster Instanz zu ergänzen, aus Leichtsinn, oder gar durch vorsätzliche Zurückhaltung nicht mißbrauchen; so muß in Ansehung der aus der verspäteten Angaben erwachsenden Schäden und mehreren Kosten, die Vorschrift des Drei und Zwanzigsten Titels mit aller Strenge beobachtet werden.

Einschränkung der Befugnisse der Parteien in Anbringung neuer Thatsachen,

§. 5. a.

Obige den Parteien gestattete Nachsicht zu Anbringung neuer Thatsachen während des ganzen Laufes der Instruktion, ist übrigens nur auf solche einzuschränken, welche dasselbe Hauptfaktum oder Geschäft, worauf die Klage gegründet worden, betreffen, oder damit in Beziehung stehen. Thatsachen hingegen, welche von denen, die in der Klage angegeben worden, ganz verschieden sind, und einen anderen und neuen Klagegrund darstellen, können in diesem Prozesse nicht zur Erörterung gezogen werden, wenn auch in den Zeugenaussagen oder sonstigen Instruktionsverhandlungen etwas davon mit vorkommen sollte; sondern es bleibt dem Kläger überlassen, in wie fern er davon zur Anstellung einer neuen Klage Gebrauch machen wolle. Es hat also zwar bei der in dem Fünften Titel §. 21. dem Kläger gegebenen Erlaubniß, noch während des Laufes der Instruktionen seinen Antrag (Petitum) zu ändern, sein Bewenden; aber auf eine Veränderung des Klagegrundes selbst (Fundamenti agendi) kann diese Befugniß nicht ausgedehnt werden.

ingleichen des Richters, bei den ex officio anzustellenden Nachforschungen.

§. 5. b.

Eben so findet die dem Richter auferlegte Pflicht, und eingeräumte Befugniß, den wahren Zusammenhang streitiger und erheblicher Thatsachen auch von Amts wegen aufzuklären, darin ihre Einschränkung


(190) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

daß demselben nicht gestattet werden kann, Thatsachen, worauf weder die Angaben der Parteien, noch der Zusammenhang der Sache, noch der Inhalt der Urkunden oder Zeugenaussagen führen, sondern die bloß in seiner Privatwissenschaft beruhen, als Gegenstände der Instruktion aufzustellen.

Der Deputirte sorgt von Amts wegen für den ganzen Betrieb der Instruktion.

§. 6.

Alles, was zur Instruktion der Sache erfordert wird, ist der Deputirte des Gerichts von Amtswegen zu verfügen berechtigt, und die Parteien müssen seinen Anweisungen unweigerlich Folge leisten.

§. 7.

So bald daher die eigentliche Instruktion der Sache einmal angefangen ist, muß der Deputirte für alles, was zu deren fernerm Betriebe gehört, sorgen, und von ihrer schleunigen Fortsetzung Rede und Antwort geben.

Ununterbrochene Fortsetzung derselben.

§. 8.

Wenn die Instruktion im ersten Termin nicht geschlossen werden kann, so muß der Instruent damit denselben Nachmittag, oder doch am nächstfolgenden Tage, ununterbrochen fortfahren. Wenn aber die Umstände eine solche unmittelbare Fortsetzung nicht erlauben, sondern wegen vorgekommener Zwischenfälle, weil z. B. noch eine Nachricht oder Urkunde herbeizuschaffen, noch ein Zeuge vorzuladen ist u. s. w. ein fernerer Termin zur Fortsetzung der Sache anberaumt werden muß; so ist der Instruent schuldig, denselben gleich am Schlusse des Protokolls, mit den Parteien, deren Rechtsbeiständen oder Bevollmächtigten, und zwar immer so nahe als möglich, zu verabreden; diesen verabredeten Termin in einer unter das Protokoll zu vermerkenden Resolution fertigzusetzen; die Umstände und Objekte, worauf es in demselben hauptsächlich noch ankommen werde, so bestimmt, als möglich, anzugeben; die nöthigen Anweisungen, was etwa noch vor dem Termine herbei zu schaffen,


(191) Instruktion der Sache.

oder sonst zu besorgen sey, hinzu zu fügen, und zu veranstalten, daß den Parteien, oder deren Bevollmächtigten, Abschriften von dieser Resolution schleunigst zugestellt werden.

§. 9.

Wenn ein dergestalt verabredeter Termin wegen eines von einer Partei, oder dem abzuhörenden Zeugen, oder dem vorgeladenen Dritten angebrachten, und von dem Gerichte zulässig befundenen Prorogationsgesuchs, oder aus einer andern Ursache nicht vor sich gehen kann; so muß der Decernent das Dekret, durch welches der neue Termin angesetzt wird, dem Instruenten sofort, und noch in derselben Session vorlegen. Letzterer muß den zur Sache gehörenden Assistenten oder Justizkommissarien davon ebenfalls sofort Nachricht geben, und den neuen im Dekret einzurückenden Termin mit ihnen verabreden.

Von Unterbrechungen oder Verzögerungen der Instruktion, welche durch die Schuld der Parteien, oder

§. 10.

Wenn durch die Schuld einer Partei, und daß dieselbe die zur Instruktion der Sache gehörigen Nachrichten und Beweismittel nicht zeitig genug herbeigeschafft, oder ihren Bevollmächtigten nicht mit hinreichender Information über die vorkommenden Thatsachen versehen hat u. s. w., eine Verlegung des Termins, oder sonst ein Aufenthalt in der Sache entsteht; so muß eine solche Partei nicht nur dem Gegentheil sämmtliche dadurch verursachte Kosten erstatten, sondern auch allen andern aus einem solchen Verzuge entstehenden Schaden und Nachtheil ersetzen; und dazu selbst alsdann, wenn sie am Ende ein obsiegendes Urtel in der Hauptsache davon trägt, in eben diesem Erkenntisse für schuldig erklärt werden.

§. 11.

Sollte auch das Gericht wahrnehmen, daß ein oder anderer Theil wissentlich und vorsätzlich, in der Absicht, die Sache zu verschleppen, die Wahrheit zu verdunkeln, etwas zu erschleichen, oder den Gegner

(192) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

zu übereilen und in Verlegenheit zu setzen, mit Anführung gewisser Umstände, oder mit der Angabe von Beweismitteln zurück gehalten hätte, und damit erst im Instruktionstermine selbst zum Vorschein käme; oder daß eine Partei auf irgend eine andere Art, aus Eigensinn oder Schikane, aller dagegen gemachten Remonstrationen ungeachtet, den Abschluß der Instruktion zur Ungebühr verzögert hätte: so soll eine solche Partei in dem erfolgenden Urtel, außer dem Schaden und Kostenersatze an den Gegentheil, auch noch in 20, 40 bis 100 Rthlr. Geldbuße, oder bei ihrem Unvermögen, in verhältnißmäßige Gefängnißstrafe, ohne Nachsicht oder Ansehn der Person, verurtheilt werden.

der Justizkommissarien entstehen.

§. 12.

In Sachen, die durch Justizkommissarien als Bevollmächtigte der Parteien betrieben werden, müssen diese, ihrer allgemeinen im Dritten Titel §. 71 u. f. festgesetzten Verbindlichkeit gemäß, für die Herbeischaffung einer vollständigen Information dergestalt in Zeiten sorgen, daß durch den Mangel derselben die einmal angefangene Instruktion nicht unterbrochen, oder die Sache sonst aufgehalten werde.

§. 13.

Wenn sich also im Instruktionstermine findet, daß es dem Justizkommissarius, durch seine schuldbare Vernachlässigung dieser Obliegenheit, an der erforderlichen Information über solche Thatsachen ermangele, die in der Klage oder in der besonders aufgenommenen Beantwortung schon vorgekommen sind; so muß der Instruent zwar einen neuen Termin zur Fortsetzung der Instruktion anberaumen, und den Justizkomissarius ernstlich bedeuten, daß er in selbigem schlechterdings mit der erforderlichen vollständigen Information versehen, erscheinen müsse. Der Justizkommissarius muß aber die sämmtlichen Kosten des vereitelten Termins aus eigenen Mitteln bezahlen;


(193) Instruktion der Sache.

die Gerichtsgebühren müssen sofort festgesetzt und in das Strafbuch eingetragen; auch eben so die Kosten des Gegentheils von demselben gleichergestalt liquidirt, von dem Instruenten festgesetzt, und entweder auf der Stelle berichtigt, oder durch Exekution beigetrieben werden.

§. 14.

Erscheint hingegen ein Justizkommissarius im Instruktionstermine zwar mit hinlänglicher Vorbereitung auf die bisher schon in den Akten vorgekommenen Umstände; im Verfolge der Instruktion aber kommen neue Thatsachen zum Vorschein, über die er nicht zureichend unterrichtet ist: so muß der Instruent zwar ebenfalls einen neuen Termin zur Fortsetzung der Sache anberaumen, und in der Resolution, wodurch es geschieht, den Justizkommissarius zur Einziehung der noch abhängigen Information, so wie überhaupt, also auch besonders über diese neuen Thatsachen, so viel als möglich, bestimmt anweisen, damit er bei der Uebersendung der Resolution an die Partei die nöthigen Auskünfte mit desto mehrerm Nachdrucke einfordern könne. Zugleich aber muß der Instruent genau prüfen, und in der Resolution auf seine Pflicht bemerken: ob dergleichen neu zum Vorschein gekommener Umstand so beschaffen sey, daß nach Lage der Akten, und nach der Natur und Art des bei der Sache zum Grunde liegenden Geschäfts, der Justizkommissarius, bei Anwendung pflichtmäßiger Aufmerksamkeit und reifer Ueberlegung hätte voraussehen können und sollen, daß es bei der Instruktion auf die Entwicklung eines solchen Umstandes mit ankommen dürfte. Findet sich dieses, so muß in dem künftigen Erkenntnisse den Parteien nur die Hälfte der Kosten eines solchen Termins angesetzt, die andere Hälfte aber von dem Justizkomissarius, der die Vorbereitung, auf einen solchen Umstand, verabsäumt hat, getragen werden.


(194) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

§. 15.

Wie Justizkommissarien, welche sich einer solchen Verabsäumung ihrer Pflichten in zeitiger und sorgfältiger Einziehung der Information zu wiederholtenmalen schuldig machen, und dadurch zu Verzögerungen der Prozesse Anlaß geben, dafür noch außerdem bestraft werden sollen, wird im Dritten Theile dieser Gerichtsordnung vorgeschrieben.

In welchen Fällen der Instruent Anzeigen und Rückfragen an das Kollegium thun müsse.

§. 16.

Da nach Vorschrift §. 6. u.7., so bald die Instruktion ihren Anfang genommen hat, die Fortsetzung und der Betrieb derselben, dem Deputirten des Gerichts von Amts wegen zukommt und obliegt, und dieser die dazu erforderlichen Verfügungen durch die auf die abgehaltenen Protokolle zu fassenden Resolutionen, wovon den Parteien sofort Abschriften ertheilt werden, festsetzen muß; so kann und darf in der Regel der Lauf der Instruktion durch Vorträge im versammelten Kollegio, und durch Erlassung schriftlicher Verfügungen, nicht unterbrochen werden, sondern die Akten bleiben so lange in den Händen des Deputirten, bis er dieselben völlig instruirt vorlegen kann.

§. 17.

Wenn während des Laufes der Instruktion Verfügungen vorkommen, welche der Instruent für sich allein nicht mit hinlänglichem Nachdrucke erlassen kann, z. B. wenn ein Zeuge oder sonst eine dritte Person zur Ertheilung einer Auskunft vorgeladen, Edition von einem Dritten gefordert, ein fremdes Gericht um Mittheilung von Akten, Einziehung von Nachrichten (et)c. ersucht werden soll u. s. w.; so muß der Instruent das Erforderliche dem Gerichte durch ein Promemoria anzeigen, ohne daß er deswegen jedesmal die Akten aus den Händen geben, und dadurch den Lauf des Instruktionsgeschäfts unterbrechen darf.


(195) Instruktion der Sache

§. 18.

Nur in Fällen, da wegen weiterer Erneuerung und Behandlung der Sache selbst dem Instruenten ein wichtiges, auf Materialia sich beziehendes Bedenken aufstößt, und er deswegen eine Rückfrage an das Kollegium zu seiner eigenen Belehrung, oder Sicherstellung gegen besorgte Vorwürfe und Verantwortlichkeit nöthig findet; oder wenn er sich über einen solchen Gegenstand mit den Parteien, deren Assistenten oder Bevollmächtigten, nicht vereinigen kann, z. B. wenn die Frage davon ist: ob eine gewisse Thatsache näher ins Licht gesetzt werden solle, oder ob diese Erörterung unnütz sey, und etwa nur zum Verschleif der Sache verlangt werde; ob mit der Aufnehmung eines gewissen Beweismittels zu verfahren, oder ob dasselbe als unzulässig oder unnöthig zu übergeben sey? müssen in diesen und andern dergleichen in der Folge näher vorkommenden Fällen, der von dem Instruenten zu machenden Anzeige, die bis dahin verhandelten Akten vollständig beigefügt, und darauf bei dem Vortrage und der Abfassung des Conclusi jedesmal gehörige Rücksicht genommen werden. So bald aber der Vortrag geschehen und das Dekret abgefaßt ist, muß der Instruent die Akten wiederum an sich nehmen, und zur Fortsetzung der Instruktion das Weitere veranlassen.

§. 19.

Bei Aufnehmung der Instruktionsprotokolle soll in der Regel allemal, außer dem Instruenten, eine zweite zum Protokoll vereidete Gerichtsperson zugezogen werden. Die Ausnahmen von dieser Regel, und die Fälle, da es entweder eines besondern Protokollführers nicht bedarf, oder da andere Personen die Stelle desselben vertreten können, werden unten (Tit. XXV. §. 49. u. f.) bestimmt.

Anh. §. 66. Da die Zuziehung eines Protokollführers in der Regel nicht nöthig ist (§. 2. des Anhangs oder


(196) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

§. 40. der Einleitung), so dürfen, wenn dennoch ein solcher ohne gesetzliche Nothwendigkeit zugezogen wird, den Parteien dafür keine besondere Diäten oder Gebühren angesetzt werden.

Anh. §. 67. Die Juden dürfen sich bei ihren Namensunterschriften keiner andern als deutscher oder lateinischer Schriftzüge bedienen.

Anh. §. 68. Personen, die nicht schreiben und Geschriebenes lesen können, müssen einen glaubhaften Mann wählen, welcher in ihrem Namen die Unterschrift verrichtet. Diese Vorschrift hat der Richter solchen Personen, deren Stand oder Ansehen es zweifelhaft macht, ob sie lesen oder schreiben können, gleich vor dem Anfange der Verhandlung bekannt zu machen, und auf deren Befolgung zu dringen.

Ist diese Vorschrift nicht befolgt, so ist die Verhandlung für die Partei, welche nicht schreiben oder Geschriebenes lesen kann, unverbindlich.

Anh. §. 69. Der zur Verhandlung zugezogene glaubhafte Mann muß in der Regel der ganzen Verhandlung beiwohnen. Kann dieses aber nicht bewirkt werden, so ist die Gegenwart desselben bei der Vorlesung und Genehmigung des Protokolls hinreichend. Auch muß die des Schreibens unerfahrene Partei, wenn gleich in ihrem Namen die Unterschrift von einem Andern verrichtet worden, doch das Protokoll mit drei Kreuzen unterzeichnen.

Anh. §.70. Falls die Partei unterläßt, einen glaubhaften Mann zum Zweck der zu verrichtenden Unterschrift mitzubringen, oder ihn auszuwählen sich weigert; so muß ihr der Richter einen solchen von Amtswegen zuordnen.

Justizkommissarien, vereidete Protokollführer oder Aktuarien, auch der Ehemann, wenn er mit seiner Ehefrau vor Gericht erscheint und sein Interesse dem ihrigen nicht widerspricht, können das Geschäft vollziehen.

Anh. §.71, Wenn unter mehreren gemeinschaftliche Sache machenden Personen auch nur Eine schreiben und Geschriebenes lesen kann; so ist es hinreichend, wenn solche mittelst ihrer Namensunterschrift in Ansehung der Litisconsorten, welchen diese Fähigkeit mangelt, die Richtigkeit der von ihnen durch Kreuze bewirkten Unterzeichnung bezeugt.

Haben die Parteien ein entgegen gesetztes Interesse, so sind auch verschiedene Beistände erforderlich; im umgekehrten Falle bedarf es nur der Zuziehung eines Beistandes.

Anh. §.72. Parteien, welche bloß ihren Namen schreiben, sonst aber weder schreiben noch lesen können, werden


(197) Instruktion der Sache.

den §. 68. des Anhangs gedachten Personen gleich geachtet.

Anh. §. 73. Wegen der Tauben, Stummen, Taubstummen und Blinden verbleibt es zwar bei der Anweisung Th. II. Tit. III §. 4-8., es bedarf jedoch auch bei diesen Personen keiner Zuziehung eines Protokollführers.

Anh. §. 74. Wenn eine Partei das aufgenommene Protokoll nicht unterschreiben will, so muß der Richter eine zweite Gerichtsperson oder einen Justizkomissarius, oder in deren Ermangelung einen sonst glaubhaften Mann als Zeugen zuziehen und in dessen Gegenwart die weigernde Partei befragen:

ob sie noch die Niederschreibung von Zusätzen oder sonstigen Erklärungen verlange, und, wenn solche erfolgt sey, die Unterschrift leisten wolle?

Nach dem Verlangen der Partei ist das Nöthige im Protokolle nachzutragen, und sodann mit der Unterschrift zu verfahren. Erklärt aber die Partei, daß sie keine Zusätze verlange, das Protokoll aber gleichwohl nicht unterschreiben wolle; so muß unter demselben vermerkt werden:

daß die Partei, nachdem sie vorher deshalb befragt worden, keine Gründe der Weigerung, das Protokoll zu unterschreiben, habe angeben können, - daß ihr zwar die Bedeutung geschehen, die Verhandlung werde, der verweigerten Unterschrift ungeachtet, wider sie beweisen, daß aber diese Bedeutung fruchtlos geblieben sey.

Wenn diese Vorschrift beobachtet worden, und die Verhandlung von dem obgedachtermaaßen zugezogenen Zeugen mit unterzeichnet ist; so behält sie die volle Glaubwürdigkeit eines gerichtlichen Protokolls.

Anh. §. 75. In den Fällen, wo es keines besondern Protokollführeres bedarf, ist auch bei Verhandlungen mit Parteien, die der deutschen Sprache nicht kundig sind, ein Dolmetscher hinreichend.

Ist in solchen Fällen der Richter der fremden Sprache völlig mächtig, und läßt er die deutsch niedergeschriebene Verhandlung durch einen Dolmetscher übersetzen, und alsdann von den Parteien vollziehen; so bedarf es bei der Verhandlung selbst gar keines Dollmetschers. Auch diese Uebersetzung und deren Vorlegung an die Partei ist nicht erforderlich, wenn letztere ausdrücklich erklärt, daß sie auf das Recht, die Uebersetzung zu verlangen, Verzicht leiste. Ist der Richter der fremden Sprache nicht mächtig, und also ein Dolmetscher zuzuziehen; so kann sich die Partei des von demselben zu führenden Nebenprotokolls begeben.


(198) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

Erster Abschnitt.

Von der näheren Vernehmung der Parteien, und Regulirung des Status causae et controversiae.

1.Vernehmung der Parteien.

§. 20.

Wenn auf die Klage sogleich ein Termin zur Instruktion der Hauptsache bestimmt worden, so wird in diesem mit der Vernehmung des Beklagten nach Anleitung des vorigen Titels der Anfang gemacht.

Nähere Vernehmung des Klägers;

§. 21.

Wenn diese geschehen ist, so wie auch in dem Falle, wenn die Beantwortung der Klage in einem besondern Termine aufgenommen, und sodann erst der Instruktionstermin anberaumt worden, wird der Kläger vorgefordert, und ihm zuvörderst seine Klage vorgehalten; damit er sich erkläre, was er etwa dabei noch zu erinnern oder zu ergänzen habe. Daß und wie dieses geschehen sey, wird im Instruktionsprotokolle bemerkt.

Hiernächst wird der Kläger über die Beantwortung der Klage, und dasjenige, was der Beklagte gegen die in der Klage enthaltene Species facti, oder gegen die angegebenen Beweismittel erinnert, oder was derselbe sonst der Klage für Einwendungen entgegen gesetzt hat, umständlich vernommen. Was der Kläger hierauf erwiedert, oder zur Ablehnung und Widerlegung der Einwendungen des Beklagten anführt, wird vollständig niedergeschrieben, und wenn dabei Thatsachen vorkommen, wird der Kläger zur Angabe der Beweismittel darüber aufgefordert.

§. 22.

Bei der Vernehmung des Beklagten über die Klage darf weder der Kläger, noch dessen Assistent oder Bevollmächtigter gegenwärtig seyn. Bei der Vernehmung des Klägers über die Beantwortung, und bei der Aufnahme seiner Erwiederungen darauf


(199) Status causae et controversiae.

wird der Beklagte nicht zugelassen; wohl aber müssen bei diesen und allen folgenden Verhandlungen die Assistenten oder rechtskundige Bevöllmächtigte beider Theile zugegen seyn.

ingleichen des Beklagten.

§. 23.

Nach geschloßner Vernehmung des Klägers über die Antwort nimmt derselbe seinen Abtritt, und der Beklagte wird wiederum vorgefordert; er wird vernommen: ob er seiner vor dem Instruktionstermine etwa besonders aufgenommenen Antwort noch etwas hinzu zu fügen habe; die Erwiederungen des Klägers werden ihm bekannt gemacht; es wird ihm darüber seine Erklärung und Antwort abgefordert; die wegen der Beweismittel etwa noch nöthige Erkundigung wird eingezogen; und wie dieses Alles geschehen, wird kurz, doch vollständig, im Instruktionsprotokolle bemerkt.

Zusammenstellung der Parteien.

§. 24.

Wenn sich alsdann noch Zweifel oder Dunkelheiten über Thatsachen finden, welche durch die abgesonderte Vernehmung der Parteien nicht gehoben werden können; so muß der Instruent die Punkte, worüber die Parteien noch nicht einig sind, ausziehen, und nach Beschaffenheit der Umstände entweder beide Parteien zugleich vorlassen, um durch ihre Gegeneinanderstellung einen Versuch zur Aufklärung der Sache, und Hebung der obwaltenden Widersprüche zu machen; oder, wenn dieses wegen der unter ihnen herrschenden Animosität nicht rathsam ist, mit der abgesonderten Vernehmung derselben so lange, bis nach Vorschrift §. 2. dieses Mittel zur Erforschung der Wahrheit völlig erschöpft ist, fortfahren.

Allgemeine Bemerkung.

§. 25.

Obige Vorschriften §. 21. 23. 24. enthalten jedoch eine bloße Anweisung für den Instruenten, nach welcher die Sache in den meisten Fällen, wenn die Parteien in Person erscheinen, am kürzesten und


(200) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

zweckmäßigsten zusammen gefaßt werden kann. Der Instruent ist aber daran keinesweges gebunden, sondern es steht ihm frei, nach Beschaffenheit der Umstände und des vorliegenden Falles, so bald die Antwort auf die Klage aufgenommen ist, sogleich beide Theile in Person, oder auch beide Bevollmächtigte der abwesenden Parteien zugleich vorzulassen; die etwa noch abgängigen Erklärungen derselben über die in der Klage oder Antwort vorgekommenen Thatsachen und angegebenen Beweismittel abzufordern; und alsdann unmittelbar zur Regulirung des Status causae et controversiae überzugehen. Jeder Instruent muß daher reiflich erwägen: welcher Weg, nach der eigenthümlichen Beschaffenheit des vorliegenden Falles, am kürzesten und sichersten zum Zwecke führen könne; und er muß die Instruktion nicht eher anfangen, als bis er sich zu deren Einleitung einen ordentlichen und wohl überlegten Plan gemacht hat.

Vorsichtsregeln.

.§. 26.

Die Vernehmung der Parteien und ihrer Bevollmächtigten muß, wie schon oben gedacht worden, so lange fortgesetzt werden, bis bei jeder vorgekommenen Thatsache vollkommen deutlich und bestimmt ausgemittelt ist, was die Parteien einander davon zugestehen oder abläugnen. Dabei müssen jedoch die Parteien nicht übereilt, noch zu Geständnissen verleitet, besonders aber muß bei gemeinen und in Geschäften unerfahrenen Personen mit pflichtmäßiger Sorgfalt darauf gesehen werden; daß sie nicht etwa aus Einfalt, Mißverstand, oder Unbekanntschaft mit den rechtlichen Folgen eines gerichtlichen Zugeständnisses Thatsachen einräumen, von deren Richtigkeit sie nicht überzeugt sind; oder daß nicht in ihren Erklärungen aus Mangel an der Gabe, sich deutlich und bestimmt auszudrücken, Irrthümer und Zweideutigkeiten unterlaufen, die in der Folge, gegen ihre eigentliche


(201) Status causae et controversiae.

Meinung, als gerichtliche Geständnisse wider sie geltend gemacht werden können.

vom Widerruf geschehener Angaben und Geständnisse.

§. 27 a.

Wenn bei der Vernehmung der Parteien eine derselben ein in den bisherigen Protokollen enthaltenes Geständniß widerruft, oder sonst einen zur Sache gehörigen Umstand anders, als er dort vorgetragen ist, angiebt; so muß der Instruent sich dabei nicht schlechterdings beruhigen, sondern die Partei anhalten, wahrscheinliche Gründe, wodurch sie zu dem jetzt zurückgekommenen Geständnisse, oder zu der für irrig ausgegebenen Erklärung bewogen worden, anzuführen, auch nöthigen Falls zu bescheinigen; ingleichen Mittel an die Hand zu geben, wodurch die wahre Bewandtniß einer solchen Thatsache ins Licht gesetzt werden könne. Sodann muß mit der weiteren Instruktion verfahren werden; und es bleibt der künftigen Bestimmung des Haupterkenntnisses überlassen: in wie fern der Widerruf Statt habe, oder die Partei an ihr voriges Geständniß dennoch gebunden bleibe, und wegen des ungegründeten, oder gar aus Schikane versuchten Widerrufs zu bestrafen sey.

Ein Widerruf, der erst nach erfolgter Regulirung des Status causae et controversiae geschieht, verdient in der Regel für diese Instanz keine Rücksicht mehr; sondern der Widerrufende muß, wenn das Erkenntniß zu seinem Nachtheil ausfällt, den begangenen Irrthum und die wahre Bewandtniß der Sache in der folgenden Instanz weiter ausführen. Wenn jedoch eine Partei, bei Anbringung des Widerrufs, die wahre Bewandtniß der Sache deutlich und vollständig anzeigt, und sowohl diese Anzeige, als den Umstand, wodurch sie zu dem vorgefallenen Irrthume verleitet worden, sogleich bescheinigt; so soll ein so beschaffener Widerruf, wenn er auch erst im Termine zum Schlusse der Sache angebracht würde, noch aufgenommen, der Gegentheil zur Erklärung und Einlassung


(202) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

darüber angehalten, und es der Beurtheilung des erkennenden Richters überlassen werden; in wie fern der Widerruf für hinlänglich begründet zu achten sey, und was voraus in Ansehung der Hauptsache folgt.

§. 27 b.

Doch muß in allen Fällen, derjenige, welcher durch den Widerruf eines Geständnisses einen Aufenthalt in der Instruktion verursacht, nicht allein die daraus dem Gegentheil erwachsenen Schäden und entstandenen mehreren Kosten allein tragen; sondern er hat auch, wenn sich findet, daß die Thatsache sich dennoch so verhalte, wie er sie eingestanden hatte, und wenn er keinen vernünftigen Grund, wodurch er zu dem Widerrufe bewogen worden, nachzuweisen vermag, die Tit. XXIII. §. 52. geordneten Strafen zu gewärtigen.

§. 27 c.

Wenn eine Thatsache nicht in ihrem ganzen Zusammenhange vollständig eingestanden worden, so müssen die streitig bleibenden Umstände, sie bestehen in Zusätzen oder Einschränkungen, bei der Regulirung des Status controversiae sorgfältig ausgezeichnet (!) werden, damit die Aufnehmung des Beweises über eine solche Thatsache zweckmäßig und bestimmt erfolgen könne.

Anh. § 76. In bloßen Bagatell- und den damit auf gleiche Art zu instruirenden Injurien-Sachen, in Wechsel- und Exekutiv-Prozessen, in Prozessen über Störungen im Besitzstande und bei anderen bloß summarischen Prozeßarten ist die Niederschreibung eines förmlichen Status causae et controversiae nur dann erforderlich, wenn ungewöhnlich weitläufige oder verwickelte Thatsachen dabei zum Grunde liegen.

Auch bei anderen an sich im gewöhnlichen Prozeß zu instruirenden Rechtsangelegenheiten bedarf es, in so fern es nur auf eine einfache Thatsache ankommt, der Abfassung eines Species facti nicht. Es ist vielmehr hinreichend, wenn ein Instruent bloß die faktischen und rechtlichen Streitpunkte aufnimmt und niederschreibt.


(203) Status causae et controversiae.

II. Regulirung des Status causae et controversiae.

§. 28.

Zu einer zweckmäßigen Regulirung des Status causae et controversiae, als dem zweiten Hauptgegenstande des Instruktionstermins, gehört:

1) die Aufnehmung einer richtigen und zusammenhängenden Species facti, so weit die Parteien darüber einig sind;

2) die Festsetzung derjenigen auf Thatsachen beruhenden Umstände, worüber sie nicht haben vereinigt werden können;

3) die Bestimmung derjenigen unter diesen Umständen, welche durch Beweis näher ins Licht gesetzt werden sollen.

1) Aufnehmung der Species facti.

§. 29.

Wenn also der Instruent die Parteien hinlänglich vernommen hat, so muß er zuvörderst aus ihren dabei zum Vorschein gekommenen gegenseitigen Angaben und Zugeständnissen, auch beigebrachten und für richtig angenommenen Beweisstücken, eine vollständige und zusammenhängende Geschichtserzählung, so wie sie ein verständiger und getreuer Referent vortragen würde, heraus ziehen, und diese Erzählung vom Anfange des Geschäfts, bis auf den Zeitpunkt, da der Prozeß entstanden ist, fortführen.

§. 30.

Diese Geschichtserzählung muß kein bloßer Extrakt der bisherigen Verhandlungen seyn, sondern der Instruent muß die in diesen zur Sprache gekommenen Thatsachen, ohne Rücksicht auf die Stelle, wo ihrer zuerst erwähnt worden, in derjenigen natürlichen Ordnung, wie sie im Hergange des Geschäfts selbst wirklich auseinander gefolgt sind, vortragen und

zusammen stellen. Thatsachen und Umstände, die unter den Parteien noch streitig sind, muß er in diese Geschichtserzählung nicht aufnehmen; wenn aber dergleichen Umstände, des Zusammenhangs wegen, nicht ganz unberührt bleiben können, so müssen sie


(204) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

im Vorbeigehen nur ganz kurz, und als noch streitig, bemerkt werden.

§. 31.

Gelehrte Erörterungen und rechtliche Ausführungen gehören gar nicht in diese Species facti.

§. 32.

Bei jedem Prozesse liegt allemal ein gewisses Hauptfaktum oder Geschäft zum Grunde, mit dessen Auseinandersetzung also der Anfang gemacht werden muß. Es können aber, außer demselben, noch Nebenfakta vorkommen, die mit dem Hauptfakto in keiner nothwendigen Verbindung oder Beziehung stehen, sondern entweder Nebengründe zur Unterstützung der Klage; oder Einwendungen, die von dem Hauptfakto ganz unabhängig sind; oder artificielle Beweise des Grundes der Klage oder der Einwendung; oder endlich Gründe zur Beurtheilung des Gewichts und der Glaubwürdigkeit dieses oder jenes Beweismittels enthalten sollen.

Dergleichen Nebenfakta, die in die Erzählung des Hauptgeschäftes nicht hinein gezogen werden können, ohne diese unzusammenhängend, dunkel oder verworren zu machen, muß der Instruent besonders aufnehmen, und bei jedem derselben das, worüber die Parteien einig sind, von dem, worüber sie noch streiten, eben so, wie bei dem Hauptfakto geschehen ist, absondern.

§. 33.

Hinter der Species facti bemerkt der Instruent die Punkte, über welche die Parteien noch uneins sind; legt das Ganze den Parteien und deren Assistenten oder Bevollmächtigten vor; und vernimmt von ihnen: ob und was sie dabei noch zu erinnern haben.

§. 34.

Finden sich dergleichen Erinnerungen, daß z. B. ein Umstand von dem Instruenten übersehen worden; oder daß derselbe einen Umstand für ausgemacht und


(205) Status causae et controversiae.

unstreitig angenommen habe, den die Partei noch für streitig und zweifelhaft ausgiebt; so muß erstern Falls die Species facti, so weit es nöthig ist, ergänzt; letztern Falls aber ein solcher Umstand weggelassen, und von dem Instruenten vor der Hand besonders bemerkt werden.

§. 35.

Hat sich aber der Instruent mit den Parteien, und deren Assistenten oder Bevollmächtigten, über die Species facti durchgehends vereinigt, so wird selbige zum Protokoll niedergeschrieben.

2) Festsetzung der Streitpunkte.

§. 36.

Hinter der Species facti weren alsdann diejenigen Umstände, welche der Instruent schon bei deren Aufnehmung als streitig ausgeworfen hat, oder die bei der Vorlegung von den Parteien als streitig angegeben, und nach Vorschrift §. 34. vorläufig bemerkt worden sind, in einer natürlichen Ordnung, nach Nummern, hinter einander verzeichnet.

Es versteht sich von selbst, daß, wenn nach Vorschrift §. 32. über mehrere von einander ganz unabhängige Thatsachen mehrere besondere Geschichtserzählungen haben aufgenommen werden müssen, einer jeden derselben die sie besonders betreffenden Streitpunkte auch besonders beizufügen sind, damit aller sonst zu besorgenden Verwirrung der verschiedenen streitigen Thatsachen möglichst vorgebeugt werde.

§. 37.

Die solchergestalt berichtigte Species facti, und das derselben beigefügte Verzeichnis der streitigen Punkte, muß von den Parteien, und deren Assistenten oder Bevollmächtigten, unterschrieben werden.

Nothwendigkeit dieser Operation.

§. 38. a.

Diese Operation ist unumgänglich nothwendig, damit der ganze Zusammenhang der Sache, wie er sich aus den bisherigen Verhandlungen entwickelt hat, von den Parteien vollständig übersehen, und


(206) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

sie in den Stand gesetzt werden, wenn irgend noch Irrthümer oder Mißverständnisse dabei vorgefallen, oder zur Sache gehörige Umstände übersehen oder vergessen wären, das Nöthige zu berichtigen und zu ergänzen; über die wahre Lage der Sache und den wahrscheinlichen Ausgang derselben ein eigenes richtiges Urtheil zu fällen, und über die zu machenden Vergleichsvorschläge einen angemessenen vernünftigen Entschluß zu fassen; damit der Instruent sich gleichsam selbst kontrolliren, und, wenn er solchergestalt das Resultat aller bisherigen Verhandlungen vor sich hat, die darin etwa noch vorkommenden Lücken, Mängel im Zusammenhange, oder sonstigen Fehler in Zeiten wahrnehmen und verbessern könne; damit er in Stand gesetzt werde, billige und der wahren Lage der Sache angemessene Vergleichsvorschläge zu machen; damit endlich die Fortsetzung der Instruktion eine feste und sichere Richtung erhalte; und die sonst unvermeidlichen Verwirrungen und Abwege in dem Gange derselben vermieden werden.

Es ist daher die Aufnehmung einer solchen Species facti, so wie die Festsetzung der Streitpunkte, in einem jeden Prozesse ein nothwendiges Erforderniß: also, daß der Instruent, welcher diese Operation verabsäumt, nicht nur für allen Nachtheil, welcher den Parteien durch die aus dieser Unterlassung entstehenden Verwirrungen, Zögerungen und Kosten erwächst, verantwortlich wird, sondern auch dafür nach näherer Bestimmung des Dritten Theils ernstlich bestraft werden soll.

§. 38. b.

Außer dieser in allen Fällen eintretenden Nothwendigkeit eines aufzunehmenden Status causae et controversiae, sind die im Vorstehenden ertheilten Vorschriften, wegen der dabei zu beobachtenden Methode, nur Anweisungen für den Instruenten, an welche derselbe keinesweges schlechterdings gebunden


(207) Status causae et controversiae.

ist, sondern vielmehr mit vernünftiger Beurtheilung und reiflicher Ueberlegung diejenige Methode wählen kann und muß, die, nach der Natur und Beschaffenheit eines jeden vorliegenden Falles, ihn am kürzesten und sichersten zu den im vorigen Paragraphen angegebenen Zwecken dieser ganzen Operation führen kann.

Zu welcher Zeit dieselbe erfolgen müsse.

§. 39.

Je nachdem bei einem Prozesse wenige, einfache und unverwickelte, oder viele, weitläufige und zusammen gesetzte Thatsachen vorkommen, muß die Aufnehmung der Species facti und Festsetzung der Streitpunkte entweder gleich im ersten Termine, unmittelbar nach geschlossener Vernehmung der Parteien, mit Zuziehung derselben erfolgen; oder der Deputirte muß einen neuen Termin zur Regulirung des Status causae et controversiae, der jedoch nicht leicht über Acht Tage hinausgesetzt werden darf, nach Vorschrift §. 8. anberaumen, und sich darauf zu Hause vorbereiten.

In letztrm Falle wird der neue Termin mit der oben §. 33. bemerkten Vorlegung der entworfenen Species facti eröffnet, sodann aber nach Vorschrift §. 34-37 weiter verfahren.

Nur in sehr wichtigen und weitläufigen Sachen ist dem Instruenten erlaubt, die von ihm entworfene Species facti den Parteien oder deren Bevollmächtigten schriftlich mitzutheilen, und den Termin zur Erklärung darüber so weit hinaus zu setzen, als es nöthig ist, damit dieselben sich zu dieser Erklärung genugsam vorbereiten können.

§. 40.

Wenn aus der von den Parteien genehmigten Species facti sich ergiebt, daß keine Thatsachen, die einer nähern Aufklärung durch Beweis bedürfen mehr vorhanden sind, so wird die Sühne nach Vorschrift des folgenden Titels versucht, und wenn dieselbe nicht Statt findet, die Instruktion nach Vorschrift des Zwölften Titels geschlossen.


(208) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

3) Auszeichnung der erheblichen Streitpunkte von den unerheblichen.

§. 41.

Sind aber noch streitige Thatsachen vorhanden, und die alsdann ebenfalls anzustellende Sühnshandlung bleibt fruchtlos; so wird mit Bestimmung derjenigen unter den streitigen Umständen, welche durch Beweis noch näher ins Licht gesetzt werden sollen, fortgefahren.

§. 42.

Bei dieser Operation muß der Instruent mit reifer Beurtheilungskraft, gründlicher Aeußerung seiner theoretischen Rechtskenntnisse und vernünftiger Anwendung derselben auf die vorliegenden Thatsachen zu Werke gehen, damit weder Umstände, die zur vollständigen Aufklärung der Sache gehören, übergangen oder unerörtert gelassen; noch auch durch Aufnehmung unnützer und unerheblicher Beweise Zeit und Kosten verschwendet werden.

§. 43.

Er muß dabei die Parteien und deren Assistenten überall zuziehen; denselben seine Meinung und etwanigen Bedenklichkeiten, ob die Thatsache erheblich, und also eine Beweisesaufnahme darüber von Nutzen seyn möchte, eröffnen; die ihrigen gleichergestalt vernehmen, und sich mit ihnen über die Umstände, worüber noch Beweis aufgenommen werden soll, zu vereinigen suchen.

§. 44.

Findet dergleichen Vereinigung Statt, so werden die darnach durch Beweis auszumittelnden Punkte im Protokolle bemerkt, und damit die Regulirung des Status causae et controversiae geschlossen; sodann aber ohne fernern Anstand mit Aufnehmung der Beweismittel nach Vorschrift der folgenden Abschnitte verfahren.

§. 45.

Kann sich hingegen der Instruent mit den Parteien und deren Assistenten nicht vereinigen; es sey


(209) Status causae et controversiae.

nun entweder, daß er die Ausmittlung eines Umstandes für nöthig hält, den ein oder der andere Theil für unnütz oder unerheblich ansieht, oder daß eine Partei auf die Untersuchung eines Umstandes, der ihm unnöthig oder nicht zur Sache gehörig scheint, besteht; so muß er die Gründe, welche die Partei und deren Rechtsbeistand zur Unterstützung ihrer Meinung anführt, kurz, doch bündig und vollständig, zum Protokoll nehmen, und die Akten, mit gleichmäßiger Bemerkung seiner Gegengründe, dem Kollegio zur Beurtheilung vorlegen.

§. 46.

Wenn wider Verhoffen ein Instruent sich weigern sollte, dergleichen seiner Meinung widersprechenden Antrag einer Partei zur Entscheidung des Kollegii zu befördern, oder die zu dessen Unterstützung angeführten Gründe vollständig aufzunehmen; so steht einer solchen Partei die unmittelbare schriftliche Anzeige an das Kollegium offen, welches darauf von dem

Instruenten nähere Auskunft einziehen und zugleich die Akten abfordern muß.

§. 47.

In beiden Fällen (§. 45. 46.) muß die Sache von dem ordentlichen Decernenten vorgetragen, und ein Schluß des Kollegii darüber abgefaßt werden.

§. 48.

Der Vortrag soll jedoch, besonders bei großen Kollegiis, wo viele Sachen vorkommen, nicht in der ordinairen Session unter dem gewöhnlichen Memorialienvortrage geschehen, sondern er muß in der Regel, so bald die Sache nur einigermaaßen wichtig ist, auf diejenigen Tage oder Stunden, welche zum Ablesen der schriftlichen Relationen bestimmt sind, verwiesen werden.

§. 49.

Bei Kollegiis, die aus mehr als Einem Senate bestehen, geschieht der Vortrag bei demjenigen, welcher


(210) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

künftig in der Sache sprechen soll. Besteht aber das Kollegium nur aus Einem Senate, oder soll das künftige Erkenntniß bei einem andern Kollegio abgefaßt werden, so muß der Vortrag in der Versammlung des ganzen Kollegii erfolgen. Der Vortrag selbst wird von dem ordentlichen Decernenten, und zwar nur mündlich gethan. Bloß in sehr wichtigen und bedenklichen Fällen kann ein schriftlicher, jedoch niemals über vierzehn Tage hinaus zu setzender Vortrag zugelassen werden.

§. 50.

Bei Abfassung des Schlusses kommt es nicht auf ängstliche Bestimmung eines genau und künstlich abgemessenen Beweises, viel weniger auf entscheidende Festsetzung des eigentlichen Effekts, den die streitige Thatsache je nachdem sie wahr oder falsch ist, auf die künftige Entscheidung des Prozesses haben wird, sondern überhaupt nur darauf an: ob das vorliegende Faktum zur Aufklärung der Hauptsache wahrscheinlicher Weise etwas beitragen könne; und ob aus demselben irgend etwas, das auf den Grund der Klage, oder der Einwendung rechtlichen Bezug hat, hergeleitet werden könne.

§. 51.

Gründliche Rechtstheorie und reife Beurtheilungskraft müssen also dabei vorzüglich angewendet, zugleich aber auf alle Umstände des vorliegenden Falles und die Beschaffenheit der über eine solche streitige Thatsache vorhandenen Beweismittel vernünftige Rücksicht genommen werden; da z. B. die weitere Untersuchung eines Umstandes, dessen Erheblichkeit an sich noch zweifelhaft seyn könnte, auf das Anbringen einer Partei eher nachgegeben werden kann, wenn die Mittel zu dessen Aufklärung bei der Hand, und ohne sonderlichen Zeit- und Kostenverlust aufzunehmen sind, als dergleichen Beweisesaufnahme mit großen Weitläufigkeiten, langwierigem


(211) Status causae et controversiae.

Aufenthalte und beträchtlichen Kosten verbunden wäre.

§. 52.

Hängt die Entscheidung der Frage: ob eine Thatsache erheblich, und also Beweis darüber aufzunehmen sey, von dem Verstande und der Auslegung eines nicht deutlichen Gesetzes, und also von einer zweifelhaften Rechtsfrage ab; und kann auf den Fall, wenn diese Rechtsfrage auf eine gewisse Art entschieden würde, eine weitläufige und kostbare Beweisesaufnahme vermieden werden: so steht dem Richter frei, schon bei der Regulirung des Status causae et controversiae, ein Konklusum darüber auf eben die Art, wie im Dreizehnten Titel bei Abfassung des Erkenntnisses vorgeschrieben wird, bei der Gesetzkommission einzuholen.

Anh. §. 77. Die Anfragen bei der Gesetzkommission fallen im Laufe des Prozesses weg. (Erster Anhang zum Allgemeinen Landrecht §. a.)

§. 53.

Wenn hingegen über ein Geschäft gestritten wird, welches nach fremden Landesgesetz, die der Richter zu kennen nicht schuldig ist, beurtheilt werden muß; und es darauf ankommt, was diese Gesetze für den vorliegenden Fall eigentlich verordnen: so muß darüber, so wie über eine andere Thatsache, Beweis aufgenommen werden.

§. 54.

Gleiche Bewandtnnis hat es, wenn eine Partei sich auf ein Statut gründet, dessen Daseyn dem Gerichte nicht bekannt ist. Doch findet diese Vorschrift nur so lange Statt, bis die Provinzial-Gesetzbücher gesammelt und publicirt seyn werden; da in Ansehung der nachher sich ereignenden Fälle auf die in diese Gesetzbücher nicht eingerückten Statuten keine fernere Rücksicht genommen werden kann.


(212) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

§. 55.

In Fällen, da es nach den Vorschriften des Allgemeinen Landrechts auf Observanzen und Gewohnheiten wirklich ankommt, müssen dieselben, wenn die Parteien darüber nicht einig sind, gleich andern bestrittenen Thatsachen, durch Beweisesaufnehmung ins Licht gesetzt werden.

§. 56.

Notorische, oder solche Thatsachen, welche dergestalt allgemein bekannt sind, daß kein vernünftiger Grund, dieselben in Zweifel zu ziehen, vorhanden ist, bedürfen keines Beweises. Ist die Sache nur in dem Distrikte, oder an dem Orte, wo die Instruktion geschieht, notorisch; so muß der Instruent diese Notorietät umständlich in den Akten verzeichnen und attestiren.

§. 57.

Bei dem Schlusse des Kollegii über das, was durch Beweis auszumitteln sey, muß es für diese Instanz lediglich sein Bewenden haben, und es findet dagegen keine Appellation Statt. Inzwischen ist der Richter daran, bei Abfassung des Erkenntnisses, nicht schlechterdings gebunden; sondern es steht demselben auch dann noch frei, wenn bei der erfolgten näheren Entwicklung der Sache sich findet, daß ein bisher als unerheblich angesehener, und daher unerörtert gelassener Umstand gleichwohl in die richtige Entscheidung des Prozesses wirklichen Einfluß habe, die nähere Ausmittelung desselben zu verfügen. Auch bleibt in den ferneren Instanzen den Parteien, wegen der in dem vorigen Erkenntnisse als unerheblich verworfenen und übergangenen Umstände, die Beobachtung ihrer Nothdurft, nach den im Vierzehnten Titel erfolgenden näheren Verordnungen, vorbehalten.

§. 58.

Wenn auch noch bei Regulirung des Status causae et controversiae sich findet, daß irgendwo ein


(213) Status causae et controversiae.

Dokument vorhanden sey, ohne dessen Herbeischaffung die Sache nicht vollständig aufgeklärt werden kann; so muß der Instruent, wenn dergleichen Urkunde bei einer der streitenden Parteien sich befindet, dieselbe zu dessen Vorlegung anhalten; wenn es aber in den Händen eines Dritten wäre, die nöthige Verfügung deshalb bei dem Kollegio nachsuchen. Doch muß durch solche nach einmal angefangener Instruktion erst zum Vorschein kommende Beziehungen auf Dokumente, die noch erst herbei geschafft werden sollen, der Lauf der Instruktion nicht gehemmt, sondern damit ununterbrochen fortgefahren werden; und ist es die Sache desjenigen, der auf eine solche Urkunde sich bezieht, die Herbeischaffung derselben noch vor dem völligen Abschlusse der Instruktion zu bewirken.

Zuziehung der Sachverständigen bei der Instruktion.

§. 59.

Bei denjenigen Punkten, wo es auf das Gutachten und den Befund eines zu dem Ende bei der Instruktion mit zugezogenen Sachverständigen ankommt, muß derselbe von dem Instruenten genau und umständlich darüber vernommen; sein Gutachten einem darüber besonders abzuhaltenden Protokolle deutlich und bestimmt einverleibt; auch die Bemerkung der Gründe, womit er selbiges unterstützt, jedesmal beigefügt werden.

Wenn aber der Sachverständige verlangt, daß ihm wegen Weitläufigkeit und Wichtigkeit der Sache, und wegen der dabei nöthigen genauen Ueberlegung die Abgebung eines schriftlichen Gutachtens gestattet werden möchte; so muß der Instruent ihn dazu mit einer so viel als möglich bestimmten Instruktion: worauf es bei der Sache eigentlich ankomme, und auf was für Umstände und Punkte das Gutachten zu richten sey, versehen, und ihm eine Frist bestimmen, binnen welcher er dasselbe einzureichen habe. Dieses Gutachten muß alsdann in einem anzuberaumenden


(214) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

neuen Termine den Parteien vorgelegt, ihre Erklärung darüber eingefordert, und nach Anleitung desselben mit Fortsetzung der Instruktion, so weit es nöthig, verfahren werden.

Von Exceptionibus litis finitae, und wie danach zu verfahren,

§. 60.

Wenn der Beklagte in seiner Antwort der Hauptforderung des Klägers einen solchen Einwand entgegen setzt, durch welchen diese Forderung, wenn sie auch jemals gegründet gewesen wäre, wieder aufgehoben würde: nämlich der Einwand der Zahlung oder Remission, der Verjährung, eines darüber geschlossenen Vergleichs, oder eines in der Sache bereits ergangenen rechtskräftigen Urtels; so kommt es darauf an: ob der Beklagte den Grund der Klage völlig einräume, und nur den Antrag des Klägers durch die Exceptionem litis finitae von sich ablehnen wolle; oder ob er den Grund der Klage läugne, und den Einwand bloß auf den Fall, wenn der Klagegrund richtig und erheblich seyn sollte, entgegen setze.

§. 61.

Wird der Grund der Klage eingeräumt, so macht allein der Einwand den Gegenstand der Instruktion aus, welche solchenfalls gewöhnlichermaaßen fortgesetzt wird.

§. 62.

Wird aber der Klagegrund in Abrede gestellt, und zugleich eventualiter eine Exceptio litis finitae entgegen gesetzt; so muß mit genauer und sorgfältiger Erwägung der Natur und Beschaffenheit der Thatsache, worauf Klage und Einwand sich gründen, und der Qualität der darüber angegebenen Beweismittel, beurtheilt werden:

a) ob die Hauptsache eine weitläufige, mit vielem Aufenthalte und Kosten verbundene Instruktion erfordern würde; die Exceptio litis finitae aber kürzer, und ohne sonderliche Weitläufigkeiten und Kosten erörtert werden könne; oder ob


(215) Status causae et controversiae.

b) die Instruktion der Hauptsache leicht und ohne großen Zeit- und Kostenaufwand zu bewerkstelligen sey; die Exceptio litis finitae aber eine weitläufige und kostbare Untersuchung erfordere, oder endlich

c) ob die Hauptsache und Exception, in Rücksicht der Zeit und Kosten der bei beiden erforderlichen Instruktionen, ungefähr in gleichem Verhältnisse stehen.

a. wenn Klagegrund und Einwand zugleich,

§. 63.

Ist Letzteres der Fall, so bleibt es bei der Regel: Hauptsache und Exception werden zu gleicher Zeit instruirt und abgeurtelt.

b. wenn nur der Klagegrund mit Beiseitsetzung des Einwands,

§. 64.

Ist die Hauptsache leicht auszumitteln, die Instruktion des Einwandes aber weit aussehend, z. B. wenn die Klage auf Urkunden beruhet, und bloß über deren Verstand und Beweiskraft unter den Parteien gestritten wird; der entgegen gesetzte Einwand der Verjährung hingegen durch weitläufige, aus entfernten Gegenden herbei zu schaffende Zeugenverhöre ausgemittelt werden soll: so wird, mit Beiseitsetzung der Exception, die Hauptsache geschlossen und zum Spruche vorgelegt.

§. 65.

Findet der Richter, daß die Klage offenbar nicht begründet sey, so weist er den Kläger ab, und erkennt, daß es solchergestalt der weiteren Untersuchung der Exception nicht bedürfe.

§. 66

Appellirt der Kläger von diesem Erkenntnisse, so bleibt dennoch die Untersuchung des Einwandes ausgesetzt, so lange, bis etwa rechtskräftig feststeht, daß die Klage gegründet, und also nunmehr mit der Untersuchung der Exception zu verfahren sey.


(216) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

§. 67.

Findet hingegen der erste Richter die Klage nicht offenbar ungegründet, so erkennt er in der Hauptsache nicht, sondern verordnet bloß durch eine Resolution die Fortsetzung der Instruktion über den Einwand.

c. wenn der Einwand mit Beiseitesetzung des Klagegrundes instruirt wird.

§. 68.

Waltet endlich der erste Fall des §. 62. vor: daß nämlich die Instruktion der Hauptsache weitläufig, verwickelt und kostbar, die Erörterung der Exception hingegen kurz und ohne sonderlichen Aufenthalt und Kosten zu bewirken ist; so wird, mit Beiseitesetzung der Hauptsache, die Exception völlig instruirt, und die Akten werden zum Spruche darüber vorgelegt.

§. 69.

Findet alsdann der Richter den Einwand erheblich und hinlänglich ausgemittelt, so wird der Kläger abgewiesen; und die Instruktion der Hauptsache unterbleibt, wenn er auch von diesem Urtel appellirt hätte.

§. 70.

Verwirft der Appellationsrichter die Exception, der Beklagte aber revidirt dagegen; so bleibt dennoch die Hauptsache noch immer ausgesetzt, so lange, bis in der dritten Instanz erkannt ist.

§. 71.

Wenn also solche Exception einmal durch das erste Urtel für erheblich angenommen worden; so wird mit Instruktion der Hauptsache eher nicht verfahren, als bis die Verwerfung der Exception rechtskräftig feststeht.

§. 72

Wird hingegen die vorab instruirte Exception litis finitae in dem ersten Urtel verworfen, so muß die Instruktion der Hauptsache sofort vorgenommen werden, wenn auch der Beklagte gegen dieß erste Urtel appellirt hätte.


(217) Status causae et controversiae.

§. 73.

Wird in der zweiten Instanz die Exception für erheblich geachtet, so hindert solches gleichwohl noch nicht die ununterbrochene Fortsetzung der Hauptinstruktion; sondern diese fällt erst alsdann weg, wenn die Erheblichkeit der Exception, und die daraus folgende Abweisung des Klägers, rechtskräftig feststehen.

§. 74.

Doch kann in einem solchen Falle über die Hauptsache niemals eher erkannt werden, als bis der Streit über die Exception rechtskräftig entschieden ist.

§. 75.

In allen Fällen, da vorstehend die Aussetzung der Hauptsache verordnet ist, findet eine Ausnahme Statt; und es muß mit der Instruktion derselben während der Zeit, daß über die Exception in der ersten und den folgenden Instanzen verfahren wird, vorgegangen werden: a) wenn beide Theile darüber einig sind; b) wenn der Kläger solche Umstände anführen und bescheinigen kann, welche die Aufnehmung eines Beweises zum ewigen Gedächtuisse begründen würde.

§. 76.

In dem Falle, wenn wegen des in der ersten Instanz unerheblich befundenen Klagegrundes mit der Instruktion des Einwandes nach der Regel nicht verfahren werden darf, muß es geschehen, wenn der Beklagte selbst darauf anträgt.

§. 77.

Da übrigens nach obstehenden Bestimmungen der Fall leicht vorkommen kann, daß die Hauptinstruktion fortgesetzt werden muß, während der Zeit, daß die Akten über die Exception vorliegen, oder auswärts verschickt sind; so muß von der Instruktion des Einwandes ein besonderes Aktenstück angelegt


(218) Prozeßordnung . Zehnter Titel.

werden, welches erforderlichen Falls, vor erfolgender Vorlegung oder Verschickung an den Appellationsrichter, durch die nöthigen, aus den Hauptakten, unter Direktion des Instruenten, zu nehmenden Extrakte kompletirt werden muß.

§. 78 a.

Wenn dergleichen Separathandlung über eine Exceptionem litis finitae hat Statt finden müssen, so muß sowohl die Instruktion, als das Erkenntniß darüber, durch alle Instanzen ganz vorzüglich beschleunigt werden. Die Präsidenten und Vorgesetzte der Kollegien müssen darauf ein besonderes Augenmerk richten; wenn Akta vorgelegt werden, muß der Registrator auf den Distributionszettel vermerken, daß über eine Exceptionem litis finitae zu erkennen sey; und wenn sie an ein auswärtiges Kollegium zum Spruche verschickt werden, muß eben dieses Umstandes in dem Transmissionsschreiben, oder Berichte, ausdrücklich Erwähnung geschehen.

In wie fern auf eine in dem vorläufigen Verfahren verworfene Exception in der Folge noch Rücksicht genommen werden könne.

§. 78 b.

Uebrigens kann zwar auf eine solche Exceptionem litis finitae, wenn dieselbe in dem darüber veranlaßten besondern Verfahren rechtskräftig verworfen worden, bei der demnächst erfolgenden Instruktion und Entscheidung der Hauptsache keine Rücksicht mehr genommen werden. Dem Richter aber, welcher über die Exception zu erkennen hat, steht frei, wenn er findet, das die Thatsachen, auf welchen der Einwand beruhet, zwar noch nicht völlig ins Licht gesetzt sind, daß aber eine nähere Entwicklung derselben bei Gelegenheit der Erörterung des Hauptfakti vielleicht noch Statt finden könnte, einen solchen Einwand nur in so weit, als dadurch die Einlassung auf die Klage ganz abgelehnt werden soll, zu verwerfen, und dem Beklagten dessen ferneren Gebrauch bei der Instruktion der Hauptsache vorzubehalten.


(219) Status causae et controversiae.

Exceptiones litis ingressum impedientes.

§. 79.

Eben das vorstehend §. 60-78. für den Fall, wenn Exceptiones litis finitae entgegen gesetzt sind, vorgeschriebene Verfahren kann auch Statt finden, wenn der Beklagte Einwendung macht, welche dahin abzielen, daß er nicht schuldig sey, sich mit dem Kläger einzulassen (Exceptiones litis ingressum impedientes); und diese Einwendunges so beschaffen sind, daß der Richter sie nicht durch vorläufige Verfügungen ins Licht setzen können, sondern die nähere Erörterung darüber zum Instruktionstermine hat verwiesen werden müssen. (Tit. IX. § 21.)

§. 80.

Es muß also in Fällen dieser Art eben so, wie bei den Exceptionibus litis finitae, reiflich erwogen werden, ob die Hauptsache eine weitläufige und kostbare Instruktion erfordere, der Einwand aber kürzer und ohne sonderliche Weitläufigkeiten und Kosten ins Licht gesetzt werden könne; oder ob die Sache sich umgekehrt verhalte; oder ob Klage und Einwand in Ansehung der zu ihrer Instruktion erforderlichen Weitläufigkeiten und Kosten ungefähr in gleichem Verhältnisse stehen. Je nachdem einer oder der andere dieser Fälle vorwaltet, muß nach der Vorschrift §. 63. 64. und 68. Verfahren werden.

Exceptio deficientis legitimationis ad causam.

§. 81 a.

Was insonderheit den Einwand der dem Kläger ermangelnden Legitimation betrifft, so ist bereits im Fünften Titel §. 4. n. 6. vorgeschrieben, daß und wie weit der Richter, sogleich bei Aufnehmung der Information über die Klage, auf die Berichtigung derselben von Amts wegen Rücksicht nehmen müsse; und eben daselbst §. 11., so wie Tit. IX. §. 20. 21. ist verordnet, daß der Richter die dabei sich findenden Umstände durch vorläufige Verfügung so viel als möglich zu heben bedacht seyn solle. Wenn aber der Legitimationspunkt einer förmlichen Untersuchung


(220) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

und Erörterung bedarf, und zu dem Ende der zuletzt allegirten Vorschrift gemäß, zum Instruktionstermine verwiesen werden muß; so ist in diesem Termine der Regel nach mit einem solchen Präjudicialpunkte der Anfang zu machen, und derselbe entweder nach Maaßgabe §. 80. vorab zu erörtern, oder, wenn auch die Instruktion desselben mit der Hauptsache zugleich erfolgt, dennoch der Erörterung des Legitimationspunktes allemal ein besonderes Protokoll zu widmen.

Andere Präjudicialpunkte.

§. 81 b.

Auch in andern hier nicht ausdrücklich angeführten Fällen bleibt es dem vernünftigen Ermessen des Richters anheim gestellt, wenn bei einem aus mehreren Punkten oder Forderungen bestehenden Prozesse ein Präjudicialpunkt vorkommt, von dessen Entscheidung das Stehen oder Fallen der einzelnen Punkte, oder doch eine wesentliche Verschiedenheit in der ihrer Instruktion zu gebenden Richtung abhängt, eine solche Präjudicialfrage auf eben die Art, wie vorstehend §. 60 u. f. verordnet ist, vorweg instruieren zu lassen, und bis zu deren Entscheidung die fernere Einleitung der speciellen Punkte auszusetzen.(Tit. XІІІ.  §. 43.)

Zweiter Abschnitt.

Vom Beweise durch Zugeständniß.

§. 82.

Wenn eine Thatsache in der Klage, oder deren Beantwortung, zugestanden worden, so bedarf es darüber keiner Beweisesaufnahme; wenn aber die Partei ein solches Zugeständniß während des Laufes der Instruktion zurück nimmt, so hat es bei der Vorschrift des §. 27. sein Bewenden.


(221) Zugeständniß.

§. 83.

Wenn hingegen eine Partei behauptet, daß ihr Gegner einen im Prozesse abgeläugneten Umstand entweder in einer andern Sache vor Gericht, oder außergerichtlich eingestanden habe, und der Gegentheil dieser Behauptung widerspricht, so ist dieselbe eine Thatsache, die, gleich allen übrigen, durch Beweis ins Licht gesetzt werden muß.

§. 84.

Der Instruent und das Gericht müssen alsdann vernünftig beurtheilen: ob es nach dem Zwecke der Abkürzung der Prozesse, und der möglichsten Kostensparung, rathsamer sey, die Aufnehmung des Beweises zuvörderst auf das streitige Hauptfaktum, oder auf die Thatsache des erfolgten Geständnisses, oder auf Beides zugleich zu richten.

§. 85.

Wenn ein Geständniß, es sey in dem Prozesse, oder vorher erfolgt, auf die Entscheidung des vorliegenden Prozesses rechtlichen Einfluß haben soll, so muß der Gestehende zur Verhandlung der Sache nach seinem alleinigen Ermessen befugt seyn. Ermangelt es hieran, so müssen diejenigen zugezogen seyn, ohne deren Genehmigung oder Einwilligung die Partei sich auf rechtsbeständige Art nicht verpflichten, noch über die streitige Sache gültig verfügen kann.

§. 86.

Wenn von mehreren Mitberechtigten oder Verpflichteten bei einer untheilbaren Sache (Causa individua) einige eine gegenseitig behauptete Thatsache zugestehen, andere hingegen sie bestreiten, so muß mit Aufnehmung des Beweises darüber verfahren werden; wobei jedoch von dem Geständnisse einiger Konsorten zur Ausforschung der Wahrheit Gebrauch zu machen ist. Es kann daher, nach Beschaffenheit der Umstände und Unterschied der Fälle, ein solcher


(222) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

Litiskonsorte als Zeuge abgehört, oder auch, wenn es am Ende auf einen nothwendigen Eid ankommt, und bestimmt werden soll, welcher von beiden Theilen dazu zu lassen sey? darauf daß die streitige Thatsache von einem der Litiskonsorten eingestanden worden, Rücksicht genommen werden. Bei theilbaren Sachen und Rechten steht jedem Mitgenossen sein Geständniß in Ansehung seines bei der Sache habenden eigenen Interesse allemal entgegen .

§. 87.

Das Geständniß eines Bevollmächtigten oder Stellvertreters ist eben so verbindlich, als wenn es von Seiten einer in Person erschienenen Partei erfolgt wäre. Sollte ein Bevollmächtigter der erhaltenen Instruktion zuwider gehandelt haben, so begründet dieses nur eine Regreßklage wider ihn, und die auf den Grund des Geständnisses erfolgte Verhandlung kann um deswillen nicht angefochten werden. Doch findet auch hier, wegen des Widerrufs eines solchen Geständnisses, die Vorschrift §. 27. Anwendung.

§. 88 a.

Zur rechtlichen Wirksamkeit eines Geständnisses ist die Annahme des Gegentheils in keinem Falle nothwendig.

§. 88 b.

Außergerichtliche Geständnisse, wenn sie nach obigen Vorschriften an sich verbindlich, und hinlänglich ausgemittelt sind, machen allemal einen Beweis wider den Gestehenden aus. Behauptet er, daß das Geständniß nur aus Irrthum geschehen sey, so muß er auf eben die Art, wie in dem §. 27. vorgeschrieben ist, die Veranlassung des Irrthums und die wahre Bewandtniß der Sache nachweisen. Findet sich zwischen dem Geständnisse und den übrigen (von der Bewandtniß der) Sachen (?) ein


(223) Beweis durch Urkunden.

Widerspruch, so muß es der Beurtheilung des Richters nach Bewandtniß der Umstände überlassen werden: welcher Grad von Beweisstrafe dem Geständnisse beizulegen sey; und in wie fern der Gestehende den Umstand, daß das Geständniß bloß aus Irrthum geschehen, mehr oder weniger überzeugend nachgewiesen habe. Geständnisse, die vor Gerichten, aber in einem andern, als dem gegenwärtigen Prozesse, abgegeben werden, haben zwar nur gleiche Wirkung mit außergerichtlichen; doch steht ihnen die Vermuthung, wodurch der Irrthum ausgeschlossen wird, in einem höheren Grade, als dem bloßen außergerichtlichen Geständnisse, entgegen.

Dritter Abschnitt.

Von dem Beweise durch Urkunden.

Vom Beweise durch Urkunden überhaupt.

§. 89.

Die Prozeßführenden Parteien sind schuldig, alle in ihren Händen befindlichen, zur Aufklärung der Sache dienenden Urkunden und schriftlichen Nachrichten dem Gerichte vorzulegen, und zugleich anzuzeigen, in wie fern sie deren Inhalt ganz oder zum Theil als richtig einräumen. Wenn dieses bei der Vorlegung des Dokumentes, oder sonst bei der Instruktion der Sache geschehen ist, so soll ein solches Dokument wider den Producenten bloß um deßwillen, weil es von ihm beigebracht worden, nichts beweisen; sondern es soll lediglich darauf ankommen: was dasselbe an und für sich, ohne Rücksicht, wer es producirt habe, für einen Beweis bewirken könne.

Wenn dieselben eingereicht werden müssen.

§. 90.

Die zur Aufklärung einer Sache gehörenden Urkunden müssen zwar, wie schon oben verordnet ist,


(224) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

von den Parteien, der Regel nach, noch vor dem Instruktionstermine zu den Akten gebracht, und dem Gegentheile kommunicirt; oder, wenn sie hinter einem Dritten sich befinden, das Nöthige wegen Edition derselben von dem Richter verfügt seyn. Wenn aber auch erst im Fortgange der Instruktion sich ergiebt, daß noch irgendwo ein Dokument, von welchem über die streitige Thatsache mehr Aufklärung zu erwarten ist, vorhanden sey, so muß auch alsdann noch zur Herbeischaffung desselben das Nöthige verfügt werden. (§ . 58.)

Von der Edition.

§. 91.

Auf die Edition eines hinter einer der Parteien, oder auch hinter einem Dritten befindlich seyn sollenden Dokuments kann von dem Gegentheile angetragen; es kann aber auch dieselbe von dem Richter, welchem obliegt, für die Ausmittelung der Wahrheit zu sorgen, von Amts wegen verfügt werden. Einer solchen richterlichen Aufforderung ist jeder, ohne allen Unterschied und Ausnahme, der eine zur Aufklärung streitiger Thatsachen dienende Urkunde in Händen hat, er sey Kläger oder Beklagter, oder eine Dritte in den Prozeß gar nicht verwickelte Person, Folge zu leisten verbunden.

Was edirt werden müsse.

§. 92 a.

Unter den zu edirenden Urkunden ist auch die Privatkorrespondenz zu verstehen, welche die Parteien selbst über das streitige Geschäft unter einander geführt haben. Hingegen kann die Edition einer solchen Privatkorrespondenz, die über das Geschäft zwischen einer der Parteien und einem Dritten geführt worden, in der Regel weder von dieser Partei, noch von dem Dritten gefordert werden; es wäre denn, daß derselbe Dritte von beiden Theilen gemeinschaftlich, als Mäkler, oder sonst als Vermittler, zur Verhandlung oder Abschließung des Geschäfts gebraucht worden.


(225) Beweis durch Urkunden.

In allen anderen Fällen kann die Partei, welche weiß oder vermuthet, daß der Dritte aus der mit dem Gegner geführten Korrespondenz von erheblichen, zur Sache gehörigen Thatsachen Kenntniß erlangt habe, denselben zum Zeugen vorschlagen; und ist sodann: in wie fern er sich über diese seine Wissenschaft eidlich zu äußern verbunden sey, nach den unten §. 180. erfolgenden Vorschriften zu beurtheilen.

Begründung des Editionsgesuchs.

§. 92 b.

Zur Begründung einer jeden Editionsforderung ist nothwendig:

1) daß die Thatsache, oder der Umstand, welcher durch das Dokument erwiesen werden soll, deutlich und bestimmt angegeben sey;

2) daß wenigstens wahrscheinliche Gründe zu der Vermuthung vorhanden sind, daß ein solches Dokument hinter demjenigen, von welchem es gefordert wird, sich wirklich befinde;

3) daß das zu edirende Dokument dergestalt bestimmt bezeichnet werde, daß der, welcher es herausgeben soll, dadurch in den Stand gesetzt sey, dasselbe von seinen übrigen Schriften zu unterscheiden, und sich darüber: ob er ein solches Dokument besitze, zu erklären.

Auf allgemeine und unbestimmte Editionsgesuche soll also keine Rücksicht genommen; zur Erforschung bloßer Meinungen und Gesinnungen soll ein Editionsgesuch nicht zugelassen; und ohne vorhandene, wenigstens wahrscheinliche Vermuthungen des wirklichen Besitzes, sollen besonders Personen, welche in den Prozeß nicht verwickelt sind, damit nicht beunruhigt werden.

§. 93.

Wenn jemand die Herausgabe eines Dokuments nicht bloß zur Ausmittelung einer in einem Prozesse streitigen Thatsache, sondern um deßwillen fordert, weil ihm darauf als Eigenthümer, Mitgenossen, oder


(226) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

aus irgend einem andern rechtlichen Grunde ein besonderer Anspruch zustehe; so macht ein solches Gesuch den Gegenstand eines eigenen Prozesses aus, welcher gleich jedem andern ordentlich instruirt und darüber erkannt werden muß. Wenn also eine solche Editionsforderung in dem Laufe eines Prozesses vorkommt, so muß dadurch die Instruktion nicht aufgehalten, sondern der Provokant damit zur besondern Verhandlung verwiesen werden.

Edition, die eine Partei leisten soll.

§. 94.

Eine jede Partei, welcher der Richter ein zur Aufklärung streitiger Thatsachen beitragendes Dokument, es sey auf Anregung des Gegentheils, oder von Amts wegen abfordert, ist schuldig, selbiges entweder heraus zu geben, oder zu schwören: daß sie ein solches Dokument nicht in ihrer Gewahrsam habe, noch wisse, wo es sich befinde; auch daß sie es nicht gefährlicher Weise abhänden gebracht habe.

§. 95.

Wird von einer Partei die Edition solcher Briefschaften gefordert, die erst aus den Händen eines Erblassers oder eines andern Dritten an sie gediehen sind; und schützt dieselbe vor, daß sie nicht wisse, ob das zu edirende Dokument darunter befindlich sey; nimmt auch daher Anstand, den Editionseid in vorgedachter Art zu leisten: so muß sie sich erbieten sothane von einem Dritten auf sie gelangte Skripturen einer von ihr zu wählenden Gerichtsperson zur Revision vorzulegen; und alsdann darf sie nur schwören: wie sie nicht wisse noch glaube, daß das von ihr geforderte Dokument sich unter diesen Skripturen befinde; daß sie diese Briefschaften dem Kommissarius getreulich vorlegen wolle; daß sie nichts davon gefährlicher Weise abhänden gebracht habe, noch bringen wolle; und daß sie auch nicht wisse, wo das geforderte Dokument befindlich sey.


(227) Beweise durch Urkunden.

§. 96.

Wird die Edition von einer unter Vormundschaft stehenden Partei gefordert, so kann die Ableistung des nach §. 94. 95. zu bestimmenden Editionseides in der Regel von dem Vormunde verlangt werden. Die Abforderung von dem Pflegebefohlenen selbst kann dem Editionssucher nur dann gestattet werden, wenn er besondere Umstände anführen und bescheinigen kann, wodurch es wahrscheinlich gemacht wird, daß der Pflegebefohlene selbst von der Urkunde, welche heraus gegeben werden soll, Kenntniß habe.

§. 97.

Wenn von einem Kollegio oder einer Korporation die Herausgabe eines Dokuments gefordert wird, so ist es genug, wenn nur diejenigen, welchen die Verwahrung der Briefschaften, der Registratur, oder des Archivs einer solchen Partei vermöge ihres Amtes zukommt, den Editionseid ableisten. Von den Vorgesetzten, oder den Mitgliedern des Kollegii selbst, kann der Editionseid nur alsdann gefordert werden, wenn besondere Vermuthungen, daß die geforderten Urkunden oder Akten in ihrer Gewahrsam sich befinden, vorhanden sind.

§. 98.

Wenn eine Partei, von welcher die Edition gefordert wird, zwar eingesteht, ein dergleichen Dokument bei sich zu haben; zugleich aber angiebt, daβ darin gar nichts zur Sache Gehöriges enthalten sey, und also die Edition nur aus Irrthum oder gar aus Schikane oder strafbarer Neugier gefordert werde; so muβ sie dennoch das Original dem Instruenten, und zugleich, wenn der Gegentheil es verlangt, dem ordentlichen Decernenten vorzeigen, welche, wenn sie die Angabe richtig befinden, eine Registratur darüber aufnehmen; das Original aber dem Inhaber sofort zurück geben, und über dessen Inhalt ein unverbrüchliches


(228) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

Stillschweigen, auf ihren geleisteten Amtseid, beobachten müssen.

§. 99.

Wenn in einem heraus zu gebenden Dokumente zwar etwas zur gegenwärtigen Streitsache Gehöriges, auβerdem aber auch noch andere Stellen enthalten sind, wobei dem Inhaber des Dokuments daran gelegen ist, daβ sie nicht allgemein bekannt werden sollen; so steht ihm frei, nur einen Extrakt in Ansehung, der zur Sache gehörenden Stelle, jedoch mit Beifügung des Eingangs, des Schlusses, des Datum, und der Unterschrift, zu den Akten zu geben; das Original aber nur dem Instruenten, und auf Verlangen des Gegentheils, auch dem Decernenten vorzuzeigen; welche, wenn darin, auβer der extrahirten Stelle, weiter nichts zur Sache Gehöriges enthalten ist, dieses unter dem Extrakt attestiren; das Original aber, nachdem dasselbe in Ansehung der Unterschrift und der zur Sache gehörigen Stelle, der oder den Parteien vorgezeigt worden, dem Inhaber sofort zurückgegeben; und über den andern Inhalt desselben ein eben so gewissenhaftes Stillschweigen, auf ihren Amtseid, beobachten müssen.

§. 100.

Wenn eine Partei sich der Edition sowohl, als der Ableistung des ihr nach vorstehenden Grundsätzen obliegenden Eides weigert; so muβ das Dokument in contumaciam für edirt und rekognoscirt geachtet; solchemnach die Abschrift für richtig, oder die nach §. 92 b. bestimmt angegebene Thatsache, welche dadurch hat erwiesen werden sollen, für dargethan angenommen werden. Ist bei der angegebenen Thatsache selbst die Quantität oder Summe, oder irgend ein anderer Nebenumstand, auf den es mit ankommt, nicht sogleich mit angezeigt worden; so soll der Editionsforderer auch alsdann noch zu dieser Angabe gelassen, und darauf, bei obgedachter Bestimmung der


(229) Beweis durch Urkunden.

rechtlichen Folgen des von dem Gegentheil begangenen Ungehorsams, Rücksicht genommen werden.

Edition, die ein Dritter leisten soll.

§. 101.

Auch von einem Dritten, der in den Prozeβ nicht mit verwickelt ist, kann der Richter von Amts wegen Edition fordern. Weigert sich aber der Dritte, dieser Aufforderung nachzukommen, so kann der Richter darauf weiter nicht bestehen; sondern er muß es der Partei überlassen: ob sie ferner auf die Edition dringen wolle.

§. 102.

Das Editionsgesuch, welches von einer Partei gegen einen Dritten angebracht wird, muß nach der Vorschrift §. 92 b. begründet seyn. Doch muß in einem solchen Falle der Editionsforderer den Grund seiner Wissenschaft: daß die Urkunde hinter dem Dritten sich befinde, noch bestimmter angegeben, und bis zu einem noch höheren Grade von Glaubwürdigkeit nachweisen, als wenn er die Edition von seinem Gegner fordert. Auch steht dem Dritten, welcher ediren soll, frei, die Ableistung des Eides für Gefährde (Juramentum calumniae) von dem Editionsforderer zu verlangen.

§. 105.

Auf ein solchergestalt gehörig begründetes Gesuch muß auch ein Dritter die von einer Partei geforderte Edition leisten. Behauptet er jedoch, daß das in seinen Händen wirklich befindliche Dokument nichts, was zur gegenwärtigen Streitsache gehört, enthalte, und will er die Urkunde auch dem Instruenten und Decernenten nicht vorzeigen; so steht ihm frei, seine Angabe eidlich zu erhärten; wobei alsdann der Editionsforderer sich beruhigen muß. Hingegen hat es in dem Falle des §. 99. bei der darin enthaltenen Vorschrift auch in Ansehung eines Dritten sein Bewenden.


(230) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

§. 104.

Zweifelt der Dritte, von welchem die Edition gefordert wird, ob das Dokument sich in seiner Gewahrsam befinde; so ist er sich entweder bewußt, daß ihm ein solches Dokument unter seinen Schriften ehemals vorgekommen sey; oder er kann sich dessen nicht erinnern.

Ist ihm das geforderte Dokument ehemals schon vorgekommen, so kann er sich nicht entbrechen, seine Schriften und Papiere mit gehöriger Sorgfalt und Aufmerksamkeit nachzusehen, und wenn er das Dokument nicht findet, den Editionseid nach Vorschrift §. 94. abzuleiten. Doch steht einem solchen Dritten allemal frei, darauf anzutragen: daß seine Schriften durch eine von ihm selbst zu ernennende Gerichtsperson, auf Kosten des Editionsforderers, revidirt werden; und alsdann ist er den Editionseid nur dahin:

daß er alle seine Schriften, unter welchen das geforderte Dokument möglicher Weise sich befinden könnte, dem Kommissario getreulich vorgelegt, und nichts davon gefährlicher Weise zurückbehalten habe,

zu leisten verbunden.

Kann sich hingegen der Dritte nicht erinnern, daß ihm das geforderte Dokument unter seinen Papieren jemals vorgekommen sey, so ist er nur schuldig, diejenigen von seinen Schriften nachzusehen, unter welchen, nach ihm wahrscheinlichen Vermuthung, das Dokument sich vielleicht befinden könnte; und alsdann darf er nur schwören:

wie er sich nicht erinnere, daß ihm das geforderte Dokument unter seinen Schriften jemals vorgekommen wäre; daß er selbiges auch bei der gegenwärtig angestellten Nachsuchung nicht gefunden habe; und er nach seiner besten Ueberzeugung nicht


(231) Beweis durch Urkunden.

glaube, noch dafür halte, daß sich dasselbe unter seinen Skripturen befinde.

Uebrigens muß in allen Fällen der Editionsforderer dem Dritten die durch sein Gesuch verursachten Schäden und Kosten erstatten.

§. 105.

Wenn eine dritte nicht in den Prozeß verwickelte Person obigen Vorschriften nachzukommen beharrlich verweigert; so muß dieselbe durch Geld-, Gefängniß-, oder andere Strafen zu ihrer Schuldigkeit und zum Gehorsam gegen den richterlichen Befehl, zum Behuf der Wahrheit, angehalten; allenfalls auch demjenigen, welcher durch dergleichen ungebührliche Weigerung Schaden leidet, der Regreß wider sie verstattet werden; allermaaßen durch die in den vorigen Paragraphen enthaltenen Grundsätze genügsam dafür gesorgt ist, daß keine Partei ihren Gegner oder einen Dritten, mit unnöthigen oder unmöglichen, oder gar auf Hinterlist und Gefährde abzielenden Editionsgesuchen belästigen kann.

§. 106.

Wenn eine Partei, welche behauptet, daß ein zur Sache gehöriges Dokument sich in den Händen eines Dritten befindet, den Aufenthalt dieses Besitzers nicht bestimmt genug anzeigen kann; so ist auf ihr Editionsgesuch keine Rücksicht zu nehmen.

§. 107.

Wenn der Dritte, welcher edieren soll, unter einem fremden Gerichte außerhalb der Königlichen Lande stehet; so muß das Kollegium, bei Erlassung der Requisition an dieses Gericht, den Provokanten zugleich eine nach der Entfernung des Orts abzumessende Frist von vier, sechs, acht, auch in außerordentlichen Fällen, von noch mehreren Wochen bestimmen, innerhalb welcher das Dokument herbei geschafft werden müsse. Während dieser Frist muß der Provokant die Sache bei dem fremden Gerichte


(232) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

gehörig betreiben, und das Dokument herbei schaffen. Wenn aber dieses nicht geschieht, so muß er sich selbst beimessen, wenn nach Verfließung des gesetzten Zeitraums, die inzwischen so viel als möglich fortzusetzende Instruktion der Sache, ohne auf dieß Dokument weiter zu warten, abgeschlossen wird. Finden sich jedoch hinlängliche Anzeigen, daß ein Kläger, gegen welchen die Edition gesucht worden ist, die Leistung der selben durch heimliche Kollusionen mit dem Inhaber der Urkunde, oder durch andere dergleichen unzulässige Mittel vereitelt habe; so soll einem solchen Kläger das fernere rechtliche Gehör nicht eher, als bis das Hinderniß gehoben worden ist, verstattet werden. Ist es der Beklagte, welcher sich solcher unerlaubter Handlungen schuldig oder verdächtig macht; so muß er, wenn ein bloßer Verdacht wider ihn vorhanden ist, den selben eidlich ablehnen. Ist er aber der unerlaubten Begünstigung überführt, so wird dasjenige, was der Kläger durch das Dokument hat darthun wollen, zu dessen Vortheil für erwiesen angenommen.

Verfügungen wegen der Edition.

§. 108.

Alle den Editionspunkt betreffenden Verfügungen werden von dem Richter, bloß durch ein Dekret oder eine Resolution veranlaßt, ohne daß darüber ein eigenes Verfahren oder besonderes Erkenntniß Statt findet.

Vielmehr sind die Gerichte befugt, diesen ihren Verordnungen, auf die nach Unterschied der Fälle §.100. und 105. bestimmte Art, sofort den gehörigen Nachdruck zu geben.

Wo, und auf wessen Kosten die Edition geschehen muß.

§. 109.

Die Edition geschiehet nach der Regel an ordentlicher Gerichtsstelle.

Wenn jedoch ein oder anderer erheblicher Anstand, weshalb die zu edirende Urkunde nicht füglich dahin geschafft werden könnte, obwalten sollte; so muß


(233) Beweis durch Urkunden.

das Gericht dieses Geschäft durch einen Kommissarius in der Behauptung des Inhabers, oder allenfalls durch Auftrag oder Requisition an das Gericht des Ortes, wo die Urkunde sich befindet, vornehmen lassen. Die Kosten der Edition, wenn sie auf Anregung einer Partei verlangt worden ist, müssen von dieser, wenn sie aber der Richter von Amts wegen verordnet hat, von beiden gemeinschaftlich vorgeschossen werden.

Produktion der Dokumente.

§. 110.

Alle briefliche Urkunden, sie mögen von den Parteien freiwillig beigebracht, oder durch richterliche Verfügung herzu geschafft seyn, müssen in ihren Originalen, und zwar vollständig, producirt werden.

§. 111.

Der Vorlegung der Originale bedarf es nicht, wenn der Gegentheil eine beigebrachte Abschrift, als mit deren Originale übereinstimmend, anerkennt; oder wenn er eine solche Abschrift in dieser oder einer andern Sache schon vorher gerichtlich anerkannt hat; oder wenn, mit Zuziehung sämmtlicher Interessenten, beglaubte, dem Originale gleich zu achtende Abschriften angefertigt, oder alte Dokumente, aus Besorgniß, daß sie unleserlich werden möchten, mit gleichmäßiger Zuziehung der Interessenten gerichtlich erneuert worden sind.

§. 112.

Wenn ein Dokument mehrere zur Sache nicht gehörige Stellen enthält, und der Producent dasselbe vollständig zu den Akten zu geben Bedenken trägt; oder wenn Umstände vorwalten, warum das Original nicht füglich an den Ort des Gerichts geschafft werden kann: so ist in beiden Fällen ebenso zu verfahren, als oben §. 99. und 109. wegen der Edition verordnet worden ist.

Von Dokumenten die sich auf andere beziehen.

§. 113.

Wenn das producirte Dokument sich auf ein anderes bezieht, so muß die Urkunde, auf welche Bezug

(234) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

genommen wird (Documentum relatum), in der Regel ebenfalls herbei geschafft werden. Doch findet diese Vorschrift nur bei einer eigentlichen Beziehung, nicht aber alsdann Statt, wenn in dem producirten Dokumente eines Andern bloß Erwähnung getan wird. Sollte auch die Herbeischaffung der in Bezug genommenen Urkunde unmöglich, oder mit großen Weitläufigkeiten und Kosten verknüpft seyn; so kann dieselbe ohne Nachtheil für die Glaubwürdigkeit und Beweiskraft des beziehenden Dokuments unterbleiben:

a) wenn das in Bezug genommene Dokument durch das beziehende gänzlich aufgehoben worden;

b) wenn der Inhalt des in Bezug genommenen aus dem beziehenden vollständig zu ersehen ist;

c) wenn der Inhalt des in Bezug genommenen auf andere Art nachgewiesen werden kann;

d) wenn die vorgelegte beziehende Urkunde über die streitige Thatsache vollständig Auskunft giebt.

Von Dokumenten in fremden Sprachen.

§. 114. Ist ein Dokument in einer fremden, bei dem Gerichte unbekannten Sprache abgefaßt; so muß der Richter von Amts wegen dafür sorgen, daß durch einen entweder zu solchem Geschäfte ein- für allemal in Pflicht genommenen, oder zu dieser Handlung besonders zu vereidenden Dolmetscher, eine richtige Uebersetzung davon gefertiget werde. Eben dieses muß geschehen, wenn eine der Parteien der Sprache, worin das Dokument abgefaßt worden, nicht kundig ist, und dessen Uebersetzung verlangt.

Ingleichen alsdann, wenn die Akten in den ferneren Instanzen an ein Kollegium versendet werden, von welchem man nicht voraus setzen kann, daß demselben die Sprache der Urkunde hinlänglich bekannt sey, wenn auch dieselbe dem instruirenden Richter geläufig wäre.

(235) Beweis durch Urkunden.

Gültigkeit der Dokumente.

§. 115.

Wenn über die Gültigkeit einer Urkunde in Ansehung der Form gestritten wird, und die Gesetze des Orts, wo dieselbe verbindliche Kraft erhalten hat, von den Gesetzen des Orts, wo der Prozeß schwebt, abweichen, so entscheiden die erstern.

Mängel der äußeren Erfordernisse.

§. 116.

Sind bei einer Art von Urkunden gewisse Erfordernisse, bei Strafe der Nichtigkeit, gesetzlich vorgeschrieben; so wirkt jeder dabei entdeckte Mangel, daß einer vorgelegten Urkunde die Eigenschaft nicht beigelegt werden kann, zu deren Begründung gedachte Erfordernisse gehören.

Widersprüche im Inhalte.

§. 117.

Wenn in einem Dokumente in Ansehung der dadurch ins Licht zu setzenden Thatsache, oder im Eingange, oder am Schlusse, ein Widerspruch obwaltet; so kann dasselbe nichts beweisen. Doch kann, wenn der Widerspruch am Eingange und Schlusse aus einem einleuchtenden oder nachzuweisenden Irrthume berrührt, der Urkunde bloß dadurch die Beweiskraft nicht benommen werden.

Unverständlichkeit.

Dagegen fällt diese Beweiskraft ganz hinweg, wenn ein Dokument in Stellen, die auf den Streitpunkt unmittelbare Beziehung haben, so undeutlich gefaßt ist, daß sich dessen Sinn nicht entnehmen läßt; oder wenn solche Ausdrücke gebraucht worden sind, denen offenbar, und ohne Zwang, ein doppelter Sinn beigelegt werden kann.

Korrekturen, Rasuren u. s. w.

§. 118.

Wird bei Vorlegung einer Urkunde bemerkt, daß darin etwas von einer verschiedenen Hand, oder mit anderer Tinte, oder zwischen den Zeilen, oder am Rande geschrieben; oder daß darin etwas durchstrichen, oder korrigirt, oder ausgekratzt, oder einzelne Blätter ganz oder zum Theil abgerissen; oder durch Schmutz oder auf andere Art unleserlich gemacht

(236) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

worden: so ist zuvörderst nachzuforschen, woher diese Veränderungen entstanden sind. Kann dieses ins Licht gesetzt werden, so ist nach den ausgemittelten Umständen zu bestimmen: ob und in wie fern die Beweiskraft des Dokuments dadurch vermindert werde. Bleibt hingegen die Veranlassung der bemerkten Veränderung ungewiß, und sie findet sich bei der eigentlichen Beweisstelle, oder im Eingange, oder am Schlusse des Dokuments; so wird dessen Glaubwürdigkeit dadurch geschwächt. Wird aber die Veränderung nur bei einer andern minder wichtigen Stelle bemerkt, so bleibt es der Beurtheilung des Richters überlassen: ob und in wie fern das Dokument dennoch für eine untadelhafte Urkunde gelten könne.

Zerrissene oder zerschnittene Dokumente.

§. 119. Zerrissene oder zerschnittene Dokumente verdienen keinen Glauben; es wäre denn, daß nachgewiesen werden könnte, daß sie durch einen bloßen Zufall, oder von dem Gegner, oder einem Dritten, zur Verdunkelung der Wahrheit, in diesen Zustand versetzt worden. In beiden Fällen erweiset der Inhalt des zerrissenen oder zerschnittenen Dokuments, so weit er daraus noch entnommen werden kann. Ist von einer Urkunde nur ein anhängendes oder aufgedrucktes Siegel abgerissen oder abgesprungen, so kann, wenn sonst kein Verdacht einer Verfälschung obwaltet, dieser Umstand allein der Glaubwürdigkeit des Dokuments nichts benehmen.

§. 120.

Wenn eine Partei die zur Aufklärung der Wahrheit erforderlichen Urkunden vorsätzlich abhänden bringt, zerreißt, oder auf andere Art unleserlich macht; so soll ihr Gegner jederzeit zur eidlichen Bestärkung des Inhalts der auf diese Art dem Auge des Richters entzogenen Urkunde gelassen werden.

(237) Beweis durch Urkunden.

Verfälschung der Urkunden.

§. 121. Uebrigens wird die Verfälschung einer Urkunde nie vermuthet, und muß daher ein jedes Dokument so lange für richtig angenommen werden, bis dessen Verfälschung nachgewiesen ist. Ist hingegen ein Dokument in Ansehung eines Umstandes verfälscht befunden worden, so wird dadurch dessen Glaubwürdigkeit überhaupt geschwächt. Die Partei, welche ein Dokument, dessen Verfälschung ihr bekannt war, dem Gerichte als glaubwürdig vorlegt, soll dafür nach Vorschrift der Kriminalgesetze bestraft werden. (Allgem. Landrecht. Th. II. Tit. XX. §. 1379.)

Verlorene Dokumente.

§. 122.

Behauptet eine Partei, daß die zur Unterstüzung oder zum Beweise ihrer Gerechtsame dienenden Urkunden, durch Feuer, Wasser, Plünderung, oder sonst durch einen Zufall verloren gegangen, oder unleserlich geworden seyen, so ist auf ein solches Vorgeben nur alsdann Rücksicht zu nehmen, wenn die Partei nachweisen kann, daß dergleichen Dokumente wirklich existirt haben; und wenn sie zugleich den Inhalt auf andere Art darthun kann. (L. R. Th. I. Tit. V. §. 169. 170.)

Verschiedene Arten der Urkunden.

§. 123.

Oeffentliche Urkunden heißen diejenigen, welchen eine vorzügliche Glaubwürdigkeit um deßwillen beigelegt ist, weil die Aussteller derselben im Staate dazu bestellt worden sind, dergleichen Urkunden aufzunehmen oder zu bekräftigen. Ist diesen Personen der gerichtliche Glaube beigelegt, und die Urkunde vor ihnen mit den im Gesetze vorgeschriebenen Erfordernissen vollzogen worden, so heißt sie eine gerichtliche Urkunde.

1) Gerichtlich aufgenommene Urkunden.

§. 124.

Die Erfordernisse einer öffentlichen gerichtlichen Urkunde werden unten im zweiten Theile bestimmt. Sind diese Erfordernisse beobachtet, so kommt es

(238) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

übrigens nicht darauf an: ob das Dokument in Form eines Protokolls abgefaßt, oder auf den Grund des abgehaltenen Protokolls in eine förmliche Ausfertigung gebracht worden ist. Die Konzepte solcher Ausfertigungen, welche sich in den Archiven und Registraturen der Gerichte befinden, von welchen die Ausfertigung verfügt worden ist, wirken, auch in Ermangelung des Originals, einen vollen Beweis, so bald an der Richtigkeit des Konzepts kein Zweifel ist, und aus den Akten zugleich erhellet, daß dasselbe wirklich ausgefertigt worden ist. Bloße, auch nicht beglaubigte Abschriften gerichtlicher Urkunden, wenn sie unverdächtige Spuren des Alters an sich tragen, oder gar in öffentlichen Archiven und Registraturen gefunden worden, begründen eine rechtliche Vermuthung.

2) Anerkannte Urkunden.

§. 125.

Auch außergerichtlich vollzogene Urkunden können die Eigenschaft einer gerichtlichen erlangen, wenn sie den Ort und das Datum der Aufnahme, die Benennung aller dabei gegenwärtig gewesenen Interessenten, nebst einer vollständigen und deutlichen Erzählung der vorgefallenen Verhandlung enthalten; demnächst aber sämmtliche Interessenten sich vor Gericht, oder vor zwei dazu deputirten Gerichtspersonen stellen, ihnen das Dokument von einer dieser Gerichtspersonen vorgelesen wird, sie dessen Inhalt genehmigen, die darunter befindlichen Unterschriften anerkennen; und wie dieses alles geschehen sey, unter der Urkunde selbst von den gegenwärtigen Gerichtspersonen gehörig attestirt wird.

Anh. §. 78. Das gerichtliche Anerkenntniß kann auch von einem Gerichtsdeputirten aufgenommen werden.

§. 126.

Alle solchergestalt gerichtlich aufgenommene oder anerkannte Dokumente bedürfen hiernächst keiner fernern Rekognition (doch können sie?) dem Gegentheile (?)

(239) Beweis durch Urkunden

vorgelegt werden, um zu vernehmen: ob und was selbiger etwa dagegen einzuwenden habe. Diese Einwendungen können nur darin bestehen, daß entweder die Richtigkeit des Dokuments selbst angefochten, und behauptet wird, daß es demselben an den Erfordernissen und Eigenschaften einer gerichtlichen Urkunde ermangele; oder daß angegeben wird: es sey bei Aufnehmung desselben ein Irrthum vorgefallen. In beiden Fällen muß mit der Untersuchung der einer solchen Behauptung zum Grunde liegenden Thatsachen, und mit Aufnehmung der darüber angegebenen Beweismittel, verfahren werden. Außer diesen Fällen aber kann einer Partei nicht gestattet werden, die Richtigkeit des Inhalts einer solchen gehörig vollzogenen gerichtlichen Urkunde anzufechten. Doch wird die Glaubwürdigkeit einer solchen Urkunde geschwächt, wenn dargethan werden kann, daß die Gerichtsperson, welche sie aufgenommen hat, verübter Fälschungen in ihrem Amte, wenn auch nur bei anderen von ihr verfertigten Urkunden, gerichtlich überwiesen worden sey.

3) Documenta publica extrajudicialia.

§. 127.

Als öffentliche außergerichtliche Urkunden sind zu betrachten: I. die Atteste, welche Landeskollegia, Magisträte und Gerichte über die zu ihrem Ressort gehörigen, vor ihnen erfolgten Verhandlungen, mit Bezug auf die deshalb aufgenommenen Protokolle oder geführten Register und Bücher, ausstellen. Ist ein solches Attest nur auf den allgemeinen Ruf, oder auf die den Mitgliedern des Kollegii beiwohnende Privatwissenschaft gegründet; so wird dasselbe nur als ein Privatdokument betrachtet. Wird in einem solchen Atteste auf Zeugenaussagen Bezug genommen, so hängt die Beweiskraft desselben von der daraus zu ersehenden Glaubwürdigkeit der Zeugen ab.

Anh. §. 79. Dergleichen Atteste verlieren dadurch, daß darin der dabei zum Grunde liegenden Verhandlungen


(240) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

nicht ausdrücklich gedacht worden ist, ihre Glaubwürdigkeit nicht.

§. 128.

Den gerichtlichen Attesten sind diejenigen gleich zu achten, welche aus gehörig geführten Kirchenbüchern über Taufen, Trauungen und Begräbnisse unter dem Kirchensiegel ertheilt sind. Wenn die Eigenschaft des Ausstellers dem Gerichte, bei welchem das Zeugniß vorgelegt wird, nicht ohnehin schon bekannt ist; so muß darunter von den Gerichten des Orts attestirt seyn: daß derselbe zur Ertheilung von Extrakten aus den Kirchenbüchern legitimirt sey.

§. 129.

II. Die Protokolle, welche zwar nicht von Gerichtspersonen, aber von anderen in Eid und Pflicht stehenden Officianten, vermöge einer von einem Landeskollegio erhaltenen Auftrags, in Angelegenheiten, welche ihr Amt unmittelbar betreffen, aufgenommen worden sind. Es muß jedoch

1) das Datum und der Ort der Aufnahme, die Benennung sämmtlicher anwesender Interessenten, nebst einer deutlichen und vollständigen Erzählung der Verhandlung selbst, daraus zu ersehen seyn;

2) muß erhellen, daß das Protokoll den Interessenten vorgelesen, und von ihnen genehmigt worden ist;

3) muß dasselbe von den Parteien eigenhändig unterzeichnet, oder mit den in ähnlichen Fällen statt der Unterschrift zugelassenen Zeichen bemerkt seyn;

4) muß der, welcher es aufgenommen hat, bei seiner Unterschrift die Eigenschaft, in welcher er zur Aufnehmung dieses Protokolls authorisirt gewesen ist, beifügen. Ermangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist ein solches Protokoll nur als ein Privatvermerk zu betrachten.


(241) Beweis durch Urkunden.

§. 130.

III. Die von Justizkommissarien, als Notarien, nach gesetzlicher Vorschrift ausgefertigten Urkunden. Die von ihnen vorläufig aufgenommenen Protokolle können, vor der Vollziehung der Urkunde, nur als Privatdokumente, vermöge der Unterschrift der Parteien, etwas beweisen.

§. 131.

Die §. 127-130. beschriebenen öffentlichen Urkunden bedürfen zwar ebenfalls keiner Rekognition; jedoch muß den Parteien gestattet werden, nicht nur darüber, daß es ihnen an den gesetzlichen Erfordernissen fehle, sondern auch darüber, daß der Inhalt unrichtig sey, Beweismittel beizubringen.

§. 132.

Dadurch, daß eine Partei gegen die Glaubwürdigkeit einer öffentlichen Urkunde Zweifel erregt hat, welche bei näherer Erörterung gehoben worden sind, hat sie das Recht, sich dieser Urkunde in der Folge auch für sich zu bedienen, noch nicht verloren.

4) Privaturkunden.

§. 133.

Alle Privaturkunden müssen dem Gegentheile zur Rekognition vorgelegt werden, selbst wenn sie mit Zuziehung von Zeugen aufgestellt worden sind. Nur alsdann bedarf es keiner Rekognition, wenn die Partei, oder eine solche Person, von welcher dieselbe in der streitigen Sache ihre Rechte herleitet, das Dokument bereits gerichtlich, oder vor zwei Justizkommissarien, oder vor einem Justizkommissario und zwei Zeugen anerkannt hat. Doch sind auch gegen ein solches für rekognoscirt anzunehmendes Dokument alle Einwendungen zulässig, welche jeder andern Privaturkunde entgegen gesetzt werden können.

Von deren Rekognition und Diffession.

§. 134.

Jeder, welchem Privaturkunden, die er selbst aufgestellt haben soll, vorgelegt werden, muß sich sofort


(242) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

erklären: ob er sie für seine Hand und Unterschrift erkenne, oder schwören:

daß er die Namensunterschrift unter dem ihm vorgelegten Instrumente nicht nicht selbst geschrieben habe, und daß dieselbe auch nicht an seiner Statt von einem Andern, mit seinem Wissen und Willen, geschrieben worden sey.

§. 135.

Wer sich eines oder das Andere auf Erfordern des Richters zu thun weigert, gegen den ist dergleichen Urkunde in contumaciam für rekognoscirt anzunehmen, und soll darüber keine Vertretung des Gewissens mit Beweis Statt finden.

§. 136.

Wer seine Unterschrift rekognosciren muß, kann zur eidlichen Diffession des Inhalts, wenn selbiger auch von einer andern Hand geschrieben wäre, nicht gestattet werden; sondern wenn er vorgiebt, daß das Produktum ein bloßes Blankett sey, über welches das Instrument hinter seinem Rücken extendirt worden; so ist dieses eine Thatsache, welche, gleich den übrigen in dem Prozesse vorkommenden, besonders auseinander gesetzt und erörtert werden muß.

§. 137.

Wenn Urkunden vorkommen, welche nicht von dem Produkten, sondern von einem Dritten ausgestellt sind; so müssen sie dem Erstern gleichergestalt vorgelegt, und seine Erklärung darüber gefordert werden.

§. 138.

Ist das Dokument von einer solchen Person ausgestellt, die den Produkten durch ihre Handlungen hat verbinden können, z.B. ein Bevollmächtigter, ein Institor u. s. w.; so muß der Produkt dasselbe entweder rekognosciren, oder schwören:

wie er nicht wisse und glaube, daß das Dokument von dem vorgeblichen Aussteller selbst, oder mit


(243) Beweis durch Urkunden.

seinem Wissen und Willen in seinem Namen unterschrieben worden sey.

§. 139.

Will der Producent den Produkten zu dieser eidlichen Diffession nicht gestatten, und ist der Aussteller noch am Leben, auch sein Aufenthalt bekannt; so steht dem Produkten frei, den Aussteller vorladen, und denselben über die Rekognition oder Diffesion vernehmen zu lassen. Wenn der Aussteller das Dokument rekognoscirt, so hat es dabei sein Bewenden, und die Diffession des Produkten de credulitate findet nicht Statt. Rekognoscirt aber der Aussteller das Dokument nicht, so kann der Producent entweder von ihm selbst die eidliche Diffession de veritate fordern; oder er kann verlangen, daß der Produkt den Diffessionseid de credulitate leiste, und sich übrigens seine Rechte gegen den Aussteller vorbehalten.

Auch der Produkt kann, wenn er über das ihm vorgelegte fremde Dokument sich nicht erklären will, verlangen, daß der Aussteller selbst zu obgedachtem Behufe vorgeladen werde; oder er kann den Producenten auffordern, daß derselbe die Richtigkeit der Hand- und Unterschrift, allenfalls de credulitate, eidlich erhärte.

§. 140.

Ist das producirte fremde Dokument von einer solchen Person ausgestellt, die den Produkten durch ihre Handlungen nicht verbinden kann; so darf diesem Letztern dessen Rekognition oder Diffession wider seinen Willen nicht zugemuthet werden; sondern es ist genug, wenn er sich nur erklärt, wofür er dergleichen Dokument halte.

§. 141.

Vormünder und Kuratoren sind schuldig, die von dem Erblasser ihrer Pflegebefohlenen ausgestellten Dokumente zu rekognosciren, oder zu schwören,


(244) Prozeßordung. Zehnter Titel.

daß sie nicht wissen, auch, aller angewandten Mühe ungeachtet, weder aus Briefschaften noch sonst sich überzeugen können, daß das producirte Instrument von dem Erblasser ihrer Pflegebefohlenen aufgestellt worden sey.

§. 142.

Nimmt der Kurator Anstand, diesen Eid zu schwören, so kann er verlangen, daß der Producent zur eidlichen Bestärkung der Richtigkeit der Instruments angehalten werde.

§. 143.

Wie zu verfahren, wenn der Producent verlangt, daß der Minderjährige selbst den Diffessionseid abschwöre; aber wenn der Minorenne sich zu dessen Ableistung erbietet, wird unten verordnet.

§. 144.

Wenn ein Instrument eidlich diffitirt worden, so kann dagegen in eben dem Prozesse kein Beweis von der Richtigkeit der Unterschrift weiter Statt finden; sondern der Producent muß allenfalls den Produkten wegen begangenen Meineides besonders belangen.

Beweis gegen die angebotene Diffession.

§. 145.

Wenn aber der Producent den Produkten zu diesem Eide nicht verstatten will; so muß er die Mittel, wodurch er die Richtigkeit des Instruments darzuthun gedenkt, sofort anzeigen.

§. 146.

Hat er sich zu dem Ende auf Zeugen berufen, so müssen selbige, nach Vorschrift des folgenden Abschnitts, ordnungsmäßig vereidet, und darüber: ob das Produktum von dem angeblichen Aussteller selbst, oder mit seinem Wissen und Willen, von einem Andern in seinem Namen unterschrieben worden; was für Umstände dabei vorgefallen; und welches der Grund ihrer Wissenschaft sey, ausführlich vernommen werden.


(245) Beweis durch Urkunden

§. 147.

Ob durch die Aussage dieser Zeugen die Richtigkeit der Handschrift ganz oder zum Theil dargethan worden; ob also das Instrument für rekognoscirt zu achten, oder einem oder dem andern Theile darüber noch ein Eid abzufordern sey, wird dem richterlichen Befunde in dem künftigen Haupterkenntnisse überlasssen; und daher von dem Instruenten auf beide Fälle, das Dokument mag nämlich darin künftig für richtig angenommen, oder verworfen werden, mit der Instruktion der Sache weiter verfahren; folglich auf den letztern Fall, wenn einer oder der andere Theil etwa noch außerdem andere Mittel zur Aufklärung des Umstandes, welcher durch das Dokument hat erwiesen werden sollen, angegeben hätte, mit deren Aufnehmung fortgefahren.

§. 148.

Wenn übrigens in dem Haupterkenntnisse befunden wird, daß die Richtigkeit des Instruments durch die Aussagen der Zeugen vollständig erwiesen worden; so muß zugleich, besonders wenn von einem eigenen Dokumente des Produkten die Rede ist, derselbe, wegen des versuchten Meineids, mit einer willkührlichen, doch nachdrücklichen Geldbuße, oder, im Unvermögensfalle, mit einer proportionirlichen Gefängniß- oder andern empfindlichen Leibesstrafe belegt, und außerdem mit den unten im Drei und Zwanzigsten Titel bestimmten Strafen des muthwilligen Läugnens wider ihn verfahren werden.

Comparatio litterarum.

§. 149 a.

Wenn die Richtigkeit des Instruments, zu dessen Diffession der Produkt sich erboten hat, durch Vergleichung der Handschriften dargethan werden soll; so muß in der Regel dieß Instrument nach seinem ganzen Inhalte von dem angegebenen Aussteller ge- und unterschrieben seyn.


(246) Prozeßordung. Zehnter Titel.

§. 149 b.

Ueber die bloße Unterschrift allein soll daher keine Vergleichung der Handschriften Statt finden. Hat der Aussteller außer seinem Vor- und Geschlechtsnamen auch seinen Charakter oder Wohnort beigesetzt; so findet zwar die Vergleichung, jedoch nur wider dessen Erben, und nur zur Unterstützung anderer vorhandener Beweismittel, Statt.

Hat aber der Aussteller mehrere Worte oder Zeichen zur Bekräftigung des Inhalts oder Unterschrift eigenhändig beigefügt; so kann aus diesen die Vergleichung der Handschrift wider den angegebenen Aussteller selbst, und mit voller gesetzmäßiger Wirkung erfolgen.

§. 150.

Wenn nun ein Produzent den Produkten zur eidlichen Diffession einer solchen Dokuments nicht gestatten, sondern sich dieses Beweismittels dagegen bedienen will, so muß er zuvörderst das Juramentum calumniae mit dem Anhange schwören:

daß er von der Richtigkeit des Instruments überzeugt sey, und kein anderes Mittel, selbige darzuthun, zur Hand habe.

§. 151.

Sodann müssen andere Schriften, die unstreitig von des Ausstellers Hand sind, nämlich die entweder schon einmal von ihm gerichtlich rekognoscirt worden, oder gegenwärtig dafür rekognoscirt werden, oder die der Aussteller selbst, in Gegenwart des Instruenten und der Rechtsbeistände, zu schreiben angehalten wird, herbeigeschafft, und von den Parteien ein oder zwei erfahrene Schreibmeister, welche die Vergleichung anstellen sollen, vorgeschlagen werden. Können die Parteien sich darüber nicht einigen, so muß der Instruent zwei Sachverständige zu solchem Behufe von Amts wegen ernennen.


(247) Beweis durch Urkunden

Anh. §. 80. Wenn die Parteien nicht selbst Sachverständige in Vorschlag bringen; so können auch geübte Kanzelleiverwandte zur Vergleichung der Handschriften gebraucht werden.

§. 152.

Diese Sachverständige sind dahin zu vereiden: daß sie die Vergleichung der ihnen vorzulegenden Handschriften, nach ihren besten Wissen und Gewissen, mit allem Fleiße und Genauigkeit anstellen, ihren Befund darüber der Wahrheit und ihrer Ueberzeugung gemäß, angeben; und dieses weder um Nutzen, Geschenk, Gaben oder Gunst, noch um Haß, Freundschaft, Feindschaft, oder irgend einer andern Ursache wegen, unterlassen wollen.

§. 153.

Nach geschehener Vereidung müssen sie, und zwar wenn ihrer mehrere sind, jeder besonders, ohne des Andern Beiseyn, und ohne mit demselben zu konferiren, das streitige Instrument mit den übrigen Handschriften genau und sorgfältig vergleichen; demnächst aber von dem Instruenten, in Gegenwart der Rechtsbeistände, doch ohne Beiseyn der Parteien, mit ihrer Aussage; ob sie das streitige Instrument für die Hand des angegebenen Ausstellers wirklich halten, zum Protokolle umständlich vernommen, und dabei die Gründe dieser Aussage deutlich und bestimmt von ihnen angegeben werden.

§. 154.

Wenn die Sachverständigen in ihren Gutachten unter einander nicht einig sind, so steht dem Instruenten frei, falls ihm glaubwürdige Personen bekannt sind, welche mit dem Aussteller in genauer Verbindung oder Korrespondenz gestanden haben, diese mit ihrem Gutachten: ob sie das Produktum für die Hand des angegebenen Ausstellers halten oder nicht, und den Gründen desselben, eidlich zu vernehmen. Kann auch auf diesem Wege zu mehrerer Gewißheit nicht gelangt werden, so muß der Richter einem


(248) Prozeßordung. Zehnter Titel.

dritten von Amts wegen zu ernennenden Sachverständigen ein Gutachten abfordern.

§. 155.

Ob und in wie fern durch diese eidliche Gutachten überhaupt die Richtigkeit der Handschrift ganz oder zum Theil ausgewiesen sey, muß, so wie in dem Falle des §. 147., dem künftigen Erkenntnisse vorbehalten; übrigens aber mit der weitern Instruktion der Sache auf beide Fälle, wenn nämlich das Instrument für richtig und rekogniscirt angenommen, oder der Produkt zur Diffession desselben verstattet werden sollte, weiter verfahren werden.

§. 156.

Die Instruktion solche Incidentpunkte geschiehet, um Verwirrung bei den Akten zu vermeiden, in besondern Protokollen; auch müssen die dadurch verursachten Kosten besonders bemerkt werden, damit der Richter darüber in den künftigen Haupturtel das Nöthige festsetzen könne.

§. 157.

Nach erfolgter Rekognition oder Diffession müssen die Originale der Urkunden, wenn sie zuvor von dem Protokollführer mit den bei den Akten befindlichen Abschriften verglichen, und die Richtigkeit dieser letztern darunter attestirt worden sind, den Producenten zurück gegeben werden; es wäre denn, daß der Instruent, aus einer oder anderer Ursache, selbige, bis nach erfolgter Entscheidung der Sache, bei den Akten zu behalten nöthig fände.

Ist aber eine Urkunde nicht rekognoscirt, und von dem Producenten auf deren Richtigkeit gleichwohl bestanden worden; so muß das angebliche Original derselben bis zum rechtskräftigen Endurtel bei dem Akten bleiben.

Beweiskraft der Privaturkunden: a) überhaupt;

§. 158 a.

Eine Privaturkunde kann nur wider den, welcher sie aufgestellt hat, oder der in des Ausstellers Rechte


(249) Beweis durch Urkunden

getreten ist, oder den der Aussteller durch seine Handlungen hat verpflichten können, zum Beweise einer übernommenen Verbindlichkeit gebraucht werden. Steht der Aussteller gegen den Prudukten in keinem solchen Verhältnisse, so gelten seine in der Urkunde enthaltenen Angaben nur so viel, als ein unbeeidetes Zeugniß. Ist jedoch der Aussteller als ein Mann von unbescholtenem Rufe gestorben; hat er von der bezeugten Thatsache hinlängliche Wissenschaft besitzen können; und ist seine Hand anerkannt oder sonst nachwiesen: so kann dergleichen Urkunde eine Vermuthung wirken, und nach Beschaffenheit der Umstände den Richter zur Erkennung eines nothwendigen Eides veranlassen.

§. 158 b.

Soll durch dergleichen von einem Dritten aufgestellte Privaturkunde nicht eine übernommene Verbindlichkeit, sondern irgend eine andere erhebliche Thatsache dargethan werden; so findet eben das, was im vorigen Paragraphen verordnet ist, Anwendung. Besonders wird in diesem Falle die Vermuthung erhöht, wenn von einer eigenen Handlung des Ausstellers die Rede ist, und kein vernünftiger Grund sich angeben läßt, warum derselbe in der Urkunde eine Unwahrheit hätte niederschreiben sollen.

b) solche, die aus Archiven (et)c. producirt werden.

§. 158 c.

Wenn Privaturkunden in Archiven oder Registraturen der höheren oder niederen Landeskollegien, der Magisträte oder Aemter gefunden werden, so wirkt diese Art ihrer Aufbewahrung die rechtliche Vermuthung, daß sie wirklich von dem angegebenen Aussteller sind; und die Partei, welche das Gegentheil behaupten will, muß ihre Behauptung auf andere Art, als durch den bloßen Diffussionseid, nachweisen. Auch unterstützt ein solcher Ort der Aufbewahrung die Glaubwürdigkeit der aus den Archiven producirten Privaturkunden dergestalt, daß daraus unter den


(250) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

§. 158 a. bemerkten Umständen, selbst ein voller Beweis der darin angegebenen Thatsachen entnommen werden kann.

c) der Urbarien, Zinsregister, Matrikeln u. s. w.

§. 159.

Gleiche Bewandtniß hat es mit den Urbarien, Zins- und Steuerregistern, Kirchenmatrikeln oder anderen ähnlichen Verzeichnissen, in so fern dieselben nicht mit Zuziehung sämmtlicher Interessenten aufgenommen sind, und um deswillen einen vollen Beweis ausmachen.

d) der Quittungen und Belege;

§. 160.

Sind bei einer Rechnung Quittungen und Belege producirt worden, gegen deren Richtigkeit keine besondere Ausstellung hat gemacht werden können; so sind selbige so lange für richtig und unverfälscht zu achten, bis das Gegentheil ausgemittelt wird.

§. 161.

Für den Aussteller, oder diejenigen, welche mit ihm in der §. 158. bemerkten Verbindung stehen, können Privaturkunden nichts beweisen. Von dieser Regel finden jedoch in Ansehung der Hausbücher verstorbener Eltern, und in Ansehung der Handelsbücher der Kaufleute, Ausnahmen statt.

e) der Hausbücher;

§. 162.

Aus den Hausbüchern verstorbener Eltern kann, wenn auf andere Art die Wahrheit nicht auszumitteln ist, die Geburt, die Verheirathung, und das Absterben der Kinder bewiesen werden.

f) der Handelsbücher;

§. 163.

Was wegen der Beweiskraft der Handlungsbücher, ingleichen der Journale der Mäkler, Rechtens sey, ist im Allg. Landrechte bestimmt. (Th. II. Tit. VIII. §. 562 u. f. §. 1366 u. f.)

g) der Kerbhölzer;

§. 164.

Gleiche Bewandtniß, wie mit den daselbst §. 592. beschriebenen Lieferungsbüchern, hat es auch mit den auf dem Lande gewöhnlichen Kerbhölzern, wenn beide


(251) Beweis durch Urkunden.

Stücke übereinstimmen. Kann eine Partei das ihrige nicht herbei schaffen; so muß der Gegner zur eidlichen Bestärkung des seinigen gelassen werden, in so fern er nicht überführt werden kann, daß das fehlende Kerbholz durch seine Schuld abhanden gekommen, oder vernichtet worden sey

§. 165.

Wenn eine Thatsache durch Produktion der Handlungsbücher nachgewiesen werden soll, so steht dem Produkten frei, einen Sachverständigen mit zur Stelle zu bringen, und durch diesen die auf einander sich beziehenden Bücher, ob sie in gehöriger Form und Ordnung, und mit den gesetzmäßigen Eigenschaften versehen sind, prüfen zu lassen.

§. 166.

Findet dieser dabei eine erhebliche, von ihm bestimmt anzugebende Ausstellung, und der Producent will die Richtigkeit derselben nicht einräumen; so muß der Instruent dem Gerichte davon Anzeige machen. Dieses muß alsdann den Aeltesten oder Gildemeistern der Kaufmannschaft die Bücher vorlegen lassen, und von denselben ein pflichtmäßiges Gutachten über die gemachten Ausstellungen auf ihren Amtseid erfordern; welches bei dem künftigen Erkenntnisse über die Erheblichkeit dieser Ausstellungen zum Grunde zu legen ist.

§. 167.

Findet sich gegen die Richtigkeit und Glaubwürdigkeit der Handlungsbücher bei der Instruktion kein Anstand, so kann die eidliche Bestärkung derselben, in Fällen, wo sie nach den Gesetzen erforderlich ist, von dem Producenten sofort abgenommen werden. Sind aber dagegen noch einige Bedenklichkeiten vorhanden, und giebt der Gegentheil Thatsachen an, wodurch der daraus geführte Beweis widerlegt werden soll; so müssen diese Thatsachen gehörig auseinander gesetzt, und die darüber vorhandenen Beweismittel


(252) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

aufgenommen; die eidliche Bestärkung aber muß ausgesetzt, und in wie fern der Producent dazu zu lassen sey oder nicht, auch was die Folge des Einen oder Andern seyn würde, in dem Haupterkenntnisse zugleich festgesetzt werden.

§. 168.

Wenn die Handlungsbücher überhaupt die erforderlichen Eigenschaften haben, so ist die eidliche Bestärkung nur auf diejenige Stelle der Bücher zu richten, aus welcher in dem vorliegenden Falle der Beweis geführt werden soll. Uebrigens versteht es sich von selbst, daß, wenn die Beweiskraft der Handlungsbücher gegen einen, der kein Kaufmann ist, durch die im Gesetze bestimmte Verjährung erloschen wäre, und also der Vermerk in den Büchern nur so viel wirkte, daß der Kaufmann, wegen Mangels eines förmlichen schriftlichen Kontrakts, nicht sogleich mit der angebrachten Klage durch ein bloßes Dekret abgewiesen werden könnte, in einem solchen Falle der ganze Grund der Klage, und also auch, daß unter den Parteien ein Waarenkauf geschlossen worden, im Läugnungsfalle durch andere Beweismittel, außer dem Handlungsbuche, dargethan werden müsse. (Allg. L. R. Th. II Tit. VIII. §. 572. 573. 597.)

Vierter Abschnitt.

Von Aufnehmung des Beweises durch Zeugen.

§. 169.

Es ist bereits in den vorigen Titeln verordnet, daß die Parteien bei jeder Thatsache die davon Wissenschaft habenden Zeugen gleich bei der Instruktion der Klage, und bei deren Beantwortung, ihrem Namen, Stande und Aufenthalte nach, bestimmt anzeigen müssen.


(253) Beweis durch Zeugen.

Vorladung der Zeugen.

§. 170.

Findet das Gericht, daß die Ausmittelung der Hauptsache ledigleich, oder doch vorzüglich auf die Abhörung solcher Zeugen ankommen werde, so kann es dieselben sofort zum Instruktionstermine mit vorladen; in der Regel aber, und bei allen wichtigen Sachen, ist die Citation derselben alsdann erst zu verordnen, wenn durch den regulirten Status controversiae die Umstände, welche durch sie ins Licht zu setzen, näher bestimmt sind.

§. 171.

In der Citation wird den Zeugen der Name der Parteien, und die Thatsache, worüber sie vernommen werden sollen, im Allgemeinen bekannt gemacht, und ihnen aufgegeben: daß sie alle ihre etwanige schriftliche Nachrichten und Anzeigen, welche auf dieß Geschäft überhaupt Beziehung haben, mit zur Stelle bringen sollen. Nur in besonderen Fällen, vornehmlich wenn die Sache in entfernte Zeiten zurück geht, können den Zeugen auch die bestimmteren Umstände, worüber sie aussagen sollen, jedoch mit vorzüglicher Vorsicht und Behutsamkeit, eröffnet werden.

Wo die Abhörung erfolgen muß.

§. 172.

In der Regel müssen die Zeugen zur Abhörung an ordentlicher Gerichtsstelle vorgeladen werden. Wie es zu halten sey, wenn sie durch einen auswärtigen Kommissarius, oder durch Requisition eines fremden Gerichts zu vernehmen sind? Davon soll unten besonders gehandelt werden.

§. 173.

Den Aufenthalt eines jeden Zeugen muß der, welcher ihn vorgeschlagen hat, anzeigen. Auf Zeugen, deren Aufenthalt unbekannt ist, kann nicht geachtet werden.


(254) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

§. 174.

Wenn eine Partei auswärtige, in entlegenen Orten befindliche Zeugen vorschlägt, und einiger Verdacht, daß dieses ohne Noth, zum Verschleif der Sache, geschehe, sich hervorthut; so kann derselben darüber zuvörderst das Juramentum calumniae abgefordert werden.

Wie die Vorladung geschiehet.

§. 175.

Mehrere Zeugen werden durch eine Kurrende, diejenigen aber, welche unter einer anderen Jurisdiktion stehen, durch Requisition ihrer Behörde vorgeladen.

§. 176.

Wenn ein solcher Zeuge an dem Orte, wo die Instruktion geführt wird, füglich und ohne sonderlich mehrere Kosten abgehört werden kann; so ist die Requisition an dessen vorgesetzten Richter dahin zu schaffen: daß der Zeuge angewiesen werde, sich vor dem Deputirten des instruirenden Gerichts, es sey an ordentlicher Gerichtsstelle, oder, nach Bewandtniß der Umstände, in seiner, des Zeugen, Behausung, zur Abhörung zu stellen.

§. 177.

Sämmtliche Ober- und Untergerichte sind schuldig, auf dergleichen Requisitionen prompt und ohne Schwierigkeit zu willfahren; nöthigenfalls auch den Zeugen durch gesetzliche Zwangsmittel zur Bestellung vor dem instruirenden Richter anzuhalten.

§. 178.

Sind die vorzuladenden Zeugen einfältige und gemeine Leute, so ist die itation derselben der Obrigkeit des Orts, wo sie sich aufhalten, zuzuschicken; mit der Anweisung, oder dem Ersuchen: die Zeugen nach dem Inhalte derselben näher zu bedeuten und ihnen die unfehlbare Gestellung in dem bestimmten (?) Termine einzuschärfen.


(255) Beweis durch Zeugen.

Wer zum Zeugnisse schuldig ist.

§. 179.

In der Regel ist ein jeder ohne Unterschied des Standes schuldig, in einer Sache, worin sein Zeugniß gefordert wird, selbiges nach seiner besten Wissenschaft abzugeben; und soll auch niemand unter dem Vorwande, daß ihm von der Sache nichts bekannt sey, oder daß die ihm vorgelegte Frage zur Entscheidung des Prozesses nichts beitrage, sich der eidlichen Abhörung oder Beantwortung solcher Fragen entziehen können.

§. 180.

Nur in folgenden Fällen findet eine Ausnahme statt:

1) wenn ein Priester oder Prediger über Umstände, die ihm unter dem Siegel der Beichte, oder der geistlichen Amtsverschwiegenheit anvertraut worden sind, befragt wird, und keiner von den Fällen, wo er auch solche Thatsachen dem Richter anzeigen muß, vorhanden ist (Allg. L. R. Th. II. Tit. XI. §. 80. 81. 82.);

2) wenn ein landesherrlicher Beamter abgehört wird, und die ihm vorgelegten Fragen solche Umstände betreffen, deren Bekanntwerdung dem Staate nachtheilig seyn könnte;

3) wenn dem Zeugen angemuthet wird, seine eigene, oder seiner nahen Anverwandten oder seines Ehegatten Schande zu bekennen;

4) wenn wider Verhoffen, und der guten Ordnung entgegen, dem Zeugen eine solche Frage vorgelegt wird, deren Beantwortung, besonders bei Weibspersonen, die Ehrbarkeit beleidigen würde;

5) wenn die Entdeckung eines Geheimnisses gefordert wird, durch dessen Bekanntwerdung der Zeuge in seiner Zunft, oder in seinem Gewerbe, einen Schaden leiden dürfte;

6) wenn bei einer mit der streitigen Thatsache offenbar nicht in Verbindung stehenden Frage,


(256) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

der Zeuge nicht ohne scheinbaren Grund befürchtet, daß deren Beantwortung für seine Person nachtheilige Folgen haben möchte.

7) Ueberhaupt ist ein Zeuge nur Thatsachen, nicht aber seine eigenen Meinungen, Besinnungen, oder Muthmaaßungen zu offenbaren verbunden.

8) Auch über die Meinungen, Besinnungen, oder Urtheile (!) einer Partei, oder eines Dritten, welche dem Zeugen nur durch eine solche Privatcorrespondenz, zu deren Edirung er nach

§. 92 a. nicht verbunden seyn würde, oder durch eine vertrauliche Privateröffnung bekannt worden sind, kann der Zeuge zur eidlichen Angabe wider seinen Willen nicht angehalten werden. Hiervon sind jedoch Kriminaluntersuchungen ausgenommen: bei welchen ein Zeuge verpflichtet ist, auch von solchen Privatäußerungen, oder Urtheilen, die entweder selbst ein Verbrechen sind, oder Vorbereitungen auf ein zu begehendes, oder Merkmale eines schon begangenen Verbrechens enthalten, seine Wissenschaft eidlich anzugeben.

In allen diesen Fällen muß der Zeuge den Grund seiner Weigerung geziemend anzeigen, und nöthigenfalls bescheinigen.

§. 181.

Hält der Instruent dergleichen Weigerung für unerheblich, so muß er dem (!) Vorfall dem Kollegio anzeigen, welches sodann bestimmt: ob die Beantwortung der Frage dennoch erfolgen solle; und was etwa zur Abwendung des besorgten Nachtheils für Vorsicht zu gebrauchen sei. Schwebt aber der Prozeß, bei welchem ein solcher Fall sich ereignet, vor einem Untergerichte; so ist der Zeuge mit der Beantwortung einer solchen Frage zu verschonen; ihm jedoch ausdrücklich anzudeuten, daß, wenn eine Appellation durch diese Weigerung veranlaßt, und darin von dem


(257) Beweis durch Zeugen.

Obergerichte die Beantwortung der Frage nothwendig befunden werden sollte, ihm sodann der Ersatz aller durch diese seine Weigerung verursachten Kosten zur Last fallen werden. Gelangt hiernächst eine Sache von dieser Art zur Entscheidung des Obergerichts, so muß dieses, wenn es die Weigerung des Zeugen ungegründet, oder die Beantwortung der Frage nothwendig findet, die durch die Weigerung verursachten Kosten besonders festsetzen, und den Zeugen in deren Ersatz verurtheilen; sonst aber, wenn sich findet, daß der Unterrichter aus bloßer Neugier, oder gar aus unerlaubten Absichten, in seinen Fragen zu weit gegangen sey, denselben darüber zur Verantwortung ziehen, und ihn nach Bewandtniß der Umstände, mit einem ernstlichen Verweise, oder einer Geldstrafe von fünf bis zehn Thalern, belegen.

§. 182.

Dem vernünftigen Ermessen der Gerichte wird es überlassen, in wie fern Personen, die zu Zeugen vorgeschlagen worden, wegen ihres hohen Ranges oder Alters, oder kränklicher Umstände, mit der Erscheinung an ordentlicher Gerichtsstelle zu verschonen, und durch den Instruenten in ihren Behausungen abzuhören sind.

§. 183.

Wer ohne gesetzmäßigen Grund zur Ablegung seines erforderten Zeugnisses vor Gerichte zu erscheinen verweigert, soll, wenn er eine Person geringen Standes ist, durch den Exekutor abgeholt, sonst aber durch nachdrückliche Geldstrafen zum Gehorsam gegen die richterlichen Befehle angehalten werden.

§. 184.

Eben so ist ein Zeuge, welcher zwar erscheint, aber seine Wissenschaft anzuzeigen, und die ihm vorgelegten Fragen zu beantworten, aus bloßem Eigensinn, oder sonst ohne gesetzmäßigen Grund, beharrlich verweigert, nach Beschaffenheit der Personen

(258) Prozeß rdnung. Zehnter Titel.

und Umstände, durch Gefängniß- oder Geldstrafe zur Erfüllung dieser Bürgerpflicht anzuhalten.

§. 185.

Außerdem ist ein solcher widerspenstiger Zeuge den Parteien alle durch seine Renitenz verursachten Kosten, so wie den aus der Versäumniß entstehenden Nachtheil zu erstatten schuldig, und muß dazu durch Exekution angehalten werden.

§. 186.

Sollte ein Zeuge Mittel finden, sich der Ablegung des Zeugnisses und den dahin abzielenden richterlichen Verfügungen gänzlich zu entziehen; so soll der dadurch in der Sache selbst Schaden leidenden Partei der Regreß wider ihn und seine Erben verstattet, und es, zu dessen Begründung wider ihn und seine Erben, dafür angenommen werden: daß er dasjenige wirklich ausgesagt habe, worüber sein Zeugniß von der Partei verlangt worden ist.

§. 187.

Damit auch die zu Zeugen vorgeschlagenen Personen desto weniger Ursache haben mögen, die Ablegung ihres Zeugnisses zu verweigern; so sollen ihnen die in der Sporteltaxe angemessenen Reise-, Zehrungs- und Versäumnißkosten von dem Producenten gleich nach erfolgter Abhörung bezahlt, allenfalls auch, wenn der Producent nicht gegenwärtig wäre, und seinen Bevollmächtigten mit keinem Vorschusse dazu versehen hätte, sothane Gebühren aus der Sportelkasse vergeschossen werden.

Wie bei Vernehmung der Zeugen zu verfahren.

§. 188.

Wenn nun die Zeugen gehörig erschienen sind, so müssen sie vor allen Dingen ernstlich erinnert werden, auf Alles, worüber sie gefragt werden würden, die reine Wahrheit nach ihrer besten Wissenschaft anzugeben; mit dem Bedeuten: wie sie nach geschlossenem Verhöre die Richtigkeit ihrer Aussagen eidlich würden bestätigen müssen.


(259) Beweis durch Zeugen.

Anh. §. 81. Vor der Abhörung muß jedem Zeugen die am Ende des zehnten Titels angehängte „Vorhaltung bei Zeugeneiden“ zum Durchlesen eingehändigt, oder, wenn derselbe nicht lesen kann, von einer Gerichtsperson vorgelesen, und nöthigenfalls, bei entstehendem Verdacht des Leichtsinns, der Zurückhaltung der Wahrheit oder der Parteilichkeit, deren Inhalt während der Vernehmung ernstlich in Erinnerung gebracht werden.

Anh. §. 82. Dem Richter bleibt jedoch vorbehalten, mit Rücksicht auf den Grad der Bildung des zu Vereidigenden, sein moralisches oder religiöses Gefühl, statt oder neben der gedruckten Vorhaltung, diejenigen Ermahnungen an den Zeugen zu richten, welche ihm zur Erreichung des Endzwecks, die Worttreue zu erhalten und zu befördern, geschickt zu seyn scheinen.

§. 198.

Nach dieser Vermahnung wird mit Abhörung der Zeugen selbst, in Gegenwart der den Parteien zugeordneten, oder von ihnen gewählten Rechtsbeistände oder Bevollmächtigten verfahren.

§. 190.

Diese Vernehmung wird zuvörderst auf die persönlichen Umstände der Zeugen gerichtet, in so fern dieselben auf die Beurtheilung der Glaubwürdigkeit ihres Zeugnisses Einfluß haben können. Nachdem sie also um ihren Vor- und Zunamen; ob sie das zur Ablegung eines vollgültigen Zeugnisses erforderliche Alter erreicht haben; ingleichen, um ihren Stand, Amt oder Gewerbe, und um die Religionspartei, zu welcher sie sich bekennen, befragt worden; so werden sie alsdann weiter examiniert:

1) ob und wie nahe sie mit einem oder dem andern Theile verwandt oder verschwägert sind;

2) ob sie bei der im Prozesse befangenen Sache einiges Interesse und Nutzen davon zu hoffen, oder Schaden zu befürchten haben;

3) ob sich jemand angemaaßt habe, sie unterrchten zu wollen, was und wie sie aussagen sollen;


(260) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

4) ob sie sich wegen des abzulegenden Zeugnisses mit ihren Nebenzeugen, (in so fern dergleichen vorhanden sind,) besprochen haben;

5) ob sie dem einen oder dem andern Theile entweder in dem Geschäfte oder Handel, worüber jetzt ihr Zeugniß verlangt wird, aber auch in dem jetzt darüber schwebenden Prozesse selbst, Rath gegeben, auch

6) ob jemand durch Geschenke oder Versprechungen sie zu Ablegung eines günstigen Zeugnisses für einen oder den anderen Theil habe vermögen wollen.

§. 191.

Alsdann muß der Instruent dem Zeugen eine umständliche und zusammenhängende Erzählung der Thatsache, des Geschäfts oder Handels, worüber er aussagen soll, abfordern; diese Speciem facti getreu und vollständig, auch so viel möglich mit des Zeugen eigenen Worten in der ersten Person niederschreiben lassen; aus Gelegenheit derselben ihn über die Umstände, worauf es auf Maaßgabe des feststehenden Status controversiae hauptsächlich ankommt, durch Vorlegung specieller Fragen noch genauer examiniren; dabei, daß der Zeuge seine Wissenschaft so deutlich, bestimmt und ausführlich, als die Natur der Sache gestattet, angeben, und überall den Grund derselben beifügen müsse, sorgfältig Acht haben; und überhaupt dahin sehen, daß in den Aussagen der Zeugen nichts Dunkles, Unbestimmtes und Zweideutiges übrig bleibe, welches den Parteien zu Verdrehungen, dem Richter aber zu Zweifeln, und zur Ungewißheit über den eigentlichen Sinn und Verstand der Bekundschaftung, Anlaß geben könnte.

Es müssen also keinesweges, wie bisher von einigen Gerichten mißbrauchsweise geschehen ist, dem Zeugen sogleich nach seiner Vernehmung über die §. 190. bemerkten Umstände gewisse vorher entworfene


(261) Beweis durch Zeugen.

Fragestücke zur Beantwortung vorgelegt, sondern es muß schlechterdings darauf gesehen werden, daß derselbe vor allen Dingen seine Wissenschaft von der Thatsache, worüber er zeugen soll, in einer so viel möglich ausführlichen und zusammenhängenden Geschichtserzählung angebe; da hieraus der Richter gleich wahrnehmen kann: ob dem Zeugen wirklich eine deutliche und richtige Kenntniß von dem Hergange der Sache beiwohne; auch bei Gelegenheit einer solchen Erzählung leicht Umstände zum Vorschein kommen können, welche näher zur Entwickelung der Wahrheit führen, deren in den bisherigen Verhandlungen nicht gedacht worden, und die auch der Zeuge jetzt anzugeben nicht Gelegenheit haben würde, wenn seine Aussagen bloß auf Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen sich einschränken müßten. Die specielleren Fragestücke, welche der Instruent nach aufgenommener und niedergeschriebener Geschichtserzählung des Zeugen demselben ferner vorlegen muß, haben eigentlich nur zur Absicht, die in selbiger nicht deutlich, bestimmt und zusammenhängend genug vorgetragenen Umstände noch mehr zu entwickeln; denselben noch näher und genauer auf dasjenige zu führen, worauf es nach dem regulirten Statu controversiae hauptsächlich ankommt; und die in der Geschichtserzählung sich findenden unzusammenhängenden, unwahrscheinlichen, oder widersprechenden Angaben mit möglichster Zuverlässigkeit ins Licht zu setzen.

§. 192.

Wenn daher die Antwort und Aussage eines Zeugen unverständlich, verworren, und schwankend ausfällt, oder auf die Frage nicht passend ist; so muß der Instruent zuvorderst, und ehe er die Antwort niederschreiben läßt, den Zeugen näher bedeuten: worauf es bei der Sache eigentlich ankommt; und ihn anhalten, sich genauer und bestimmter darüber heraus zu lassen.


(262) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

§. 193.

Antwortet der Zeuge bei einem oder dem andern Umstande, worüber er befragt wird, daß er selbigen nicht wisse, oder ihn vergessen habe; so muß er, wenn nur irgend ein Verdacht, daß diese vorgeschützte Unwissenheit verstellt und affektirt sey, vorhanden ist, seines zu leistenden Eides alles Ernstes erinnert, ihm die etwa aus den Umständen sich ergebende Unwahrscheinlichkeit dieses Nichtwissens vorgehalten, und ihm zu Gemüthe geführt werden: daß er nicht bloß durch Verfälschung, sondern auch durch Verschweigung der Wahrheit sich des Meineides schuldig machen würde.

§. 194.

Der Instruent muß auch besonders dahin sehen, daß der Zeuge nur über eigentliche Thatsachen, die er mit seinen Sinnen erkannt oder erfahren hat, aussage, und nicht etwa die daraus gebildeten Schlüsse und Folgerungen mit dem Fakto selbst verwechsele.

§. 195.

Desgleichen muß der Instruent, wenn besonders die Zeugen ihrer persönlichen Qualität nach verdächtig sind, genau Acht geben, bei welchen Umständen oder Fragen der Zeuge stockt und anstößt, oder unbeständig, furchtsam und verwirrt antwortet, ihn darüber zur Rede stellen; und zum unverhohlenen Bekenntnisse der Wahrheit alles Ernstes anmahnen.

§.196.

Wenn sich in der Aussage des Zeugen über die ihm vorgelegten speciellen Fragen ein Widerspruch mit demjenigen, was er etwa schon zuvor in seiner summarischen Erzählung bekundschaftet hat, zu äußern scheint, so muß der Examinant ihm dieses vorhalten, und seine Erläuterung darüber in das Protokoll niederschreiben lassen.


(263) Beweis durch Zeugen.

§. 197.

Der Instruent muß überhaupt dahin sehen, daß jede Thatsache, welche durch die Zeugenaussagen ausgemittelt werden soll, so deutlich, zuverlässig und umständlich auseinander gesetzt werde, als es nach Maaßgabe der den Zeugen davon beiwohnenden Wissenschaft nur immer möglich ist.

Besonders ist, wenn Zeugen über die Verjährung abgehört werden, daraus zu sehen, daß sie den Zeitpunkt, von welchem ihre Wissenschaft anfängt, so bestimmt als möglich angeben. Beziehen sie sich dabei auf eine gewisse Begebenheit, z. B. auf den Anfang des siebenjährigen Krieges, auf eine vorgefallene Schlacht, Belagerung (et)c.; so muß der Instruent sogleich das Jahr berechnen, bis zum welchem hinauf, nach dieser Angabe, die Wissenschaft des Zeugen sich erstrecken würde; er muß dem Zeugen davon Eröffnung thun; und wenn dabei, z. B. in Vergleichung mit dem angegebenen Alter des Zeugen, oder anderen Geschichtsumständen, Bedenklichkeiten sich finden, ihm darüber die nöthigen Erläuterungen abfordern.

§. 198.

Die Rechtsbeistände der Parteien müssen zwar, wie schon oben gedacht worden (§. 189), dem Zeugenverhöre beiwohnen; die Vernehmung des Zeugen aber dem Instruenten allein überlassen; demselben dabei nicht in die Rede fallen, noch den Zeugen durch verfängliche Fragen oder Suggestionen irre machen, oder zu unrichtigen Angaben verleiten; sondern nur auf das Verfahren der Instruenten, auf die Aussagen der Zeugen selbst, so wie auf die Richtigkeit und Vollständigkeit des Niederschreibens derselben, genau Acht geben. Wenn sie finden, daß der Instruent etwas dabei übersehen, oder auf irgend einen Umstand, durch dessen genauere Erforschung der Wahrheit näher zu kommen gewesen seyn möchte,


(264) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

nicht Aufmerksamkeit genug gewendet; Fragen, welche auf diesen Endzweck führen können, unterlassen; oder die Aussagen undeutlich, unvollständig, oder gar unrichtig niederschreiben lassen: so müssen sie ihm diese Bemerkungen entweder nach dem Abtritte des Zeugen, oder zwar während der Abhörung selbst, jedoch den Zeugen unbemerklich, allemal aber noch vor der Vereidung des Zeugen, mit Bescheidenheit eröffnen, auf die nöthige Ergänzung oder Verbesserung dringen; wenn aber der Instruent auf dergleichen Erinnerungen nicht hinlänglich achtet, das Nöthige darüber, zur künftigen Information und Beurtheilung des Gerichts selbst, in das Protokoll einrücken lassen.

Auch steht den Assistenten oder Bevollmächtigten frei, dem Deputirten, noch vor der Abhörung, ein Promemoria zuzustellen, in welchem die Umstände bemerkt sind, auf welche bei der Vernehmung der Zeugen, ihrer Meinung nach, vorzüglich Acht zu geben, und die durch nähere schickliche Fragen besonders ins Licht zu setzen seyn würden. Es müssen aber in diesem Promemoria keine Thatsachen, die im Statu controversiae nicht enthalten sind, eingemischt werden; und wenn es gleichwohl geschähe, so muß der Deputirte auf dergleichen Einmischungen durchaus keine Rücksicht nehmen.

§. 199.

Sollte wider Verhoffen ein Instruent dergleichen Bemerkungen (§. 198) in das Protokoll aufzunehmen sich weigern, so muß der Rechtsbeistand oder Bevollmächtigte der Partei dem Gerichte davon sofort schriftliche Anzeige machen; dieses aber muß darauf dem Instruenten die Akten abfordern, und die Sache durch den ordentlichen Decernenten umständlich zum Vortrage bringen lassen.


(265) Beweis durch Zeugen.

Vorlesung der Aussage.

§. 200.

Nach beendigtem Zeugenverhöre müssen dem Zeugen seine Aussagen langsam und deutlich wieder vorgelesen, und er muß bei jedem Punkte befragt werden, ob das, was niedergeschrieben ist, wirklich seine Aussagen und Meinungen sey; worauf die Rechtsbeistände besonders Acht geben, und mit dahin sehen müssen, daß der Inhalt des Protokolls mit den wirklichen Bekundschaftungen des Zeugen überall gleichstimmig seyn möge.

§. 201.

Sollte der Zeuge bei dem Vorlesen seine Aussage in einem oder dem andern Stücke ändern, so muß der Examinant dergleichen Abänderungen in dem Protokolle fleißig bemerken; auch dem Zeugen die Ursache derselben, und warum er nicht gleich Anfangs die Sache solchergestalt angegeben habe, ernstlich abfragen. Es muß aber in keinem Falle in der einmal niedergeschriebenen Aussage des Zeugen etwas korrigirt, sondern dergleichen Widerruf, Ergänzung, oder Berichtigung, durch eine besondere Registratur am Schlusse des Protokolls beigefügt werden. Ist das Zeugenverhör etwas weitläufig, so muß der Instruent durch eine kurze Bemerkung am Rande der Stelle, wo die in der Folge veränderte Aussage niedergeschrieben worden ist, auf die am Schlusse des Protokolls befindliche Abänderung aufmerksam machen.

§. 202.

Nach erfolgter Vorlesung ist der Zeuge folgendermaaßen zu vereiden:

Daß er von Allem, worüber er in dieser Sache befragt und vernommen worden ist, seine eigentliche Wissenschaft nach der reinen und unverfälschten Wahrheit gesagt, und dieselbe weder aus Freundschaft, Feindschaft, Furcht, Neid, Haß oder Gunst, oder um Geschenke oder Gabe willen, noch


(266) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

aus Hoffnung eines Gewinnes oder Vortheils, oder aus irgend einer andern Ursache verschwiegen, auch nichts dazu gesetzt, oder davon abgenommen habe.

In Fällen, da der Zeuge nur über einige Umstände sich heraus gelassen hat, andere aber nach Maaßgabe §. 180. zu verschweigen befugt gewesen ist, muß der Eid darnach eingerichtet, und nach den Worten, „nach der reinen und unverfälschten Wahrheit gesagt,“ so gefaßt werden: „und dieselbe, außer den im Protokoll bemerkten Umständen, zu deren Offenbarung er sich nach den Gesetzen nicht für schuldig halte, weder aus Freundschaft, Feindschaft u. s. w.“

Sind es Künstler oder Handwerker, die von Sachen, welche zu ihrer Kunst oder ihrem Handwerke gehören, ihr Gutachten haben abgeben sollen; so müssen sie schwören:

Das sie in der Sache die reine Wahrheit, nach der aus ihrer Kunst (Handwerk) erlangten Kenntniß und Erfahrung, treu, aufrichtig, nach ihrer besten Einsicht und Ueberzeugung, niemand zu Liebe oder zu Leide, ausgesagt; und dieses weder aus Feindschaft, Freundschaft, Haß oder Neid, noch um Gunst, Geschenke, Lohn oder Gabe willen, noch aus Hoffnung irgend einigen Gewinnes oder Vortheils, oder aus irgend einer andern Ursache, unterlassen haben.

Oder, wenn es die Abschätzung einer Sache betrifft, daß sie von dem, was ihnen zu taxiren vorgelegt worden, den wahren eigentlichen Werth, so viel sie nach ihrem besten Wissen und Gewissen, auch reifer Überlegung, davon einsehen, verstehen und glauben, angegeben, auch dieses weder aus Feindschaft u. s. w. unterlassen haben.


(267) Beweis durch Zeugen.

Welche Personen von der Ableistung des Zeugeneides frei sind.

§. 203.

Die Ableistung dieses Zeugeneides muß von einem jeden Zeugen, und zwar mündlich, mit nachgesprochenen Worten, geschehen. Davon finden folgende Ausnahmen Statt.

1) Wenn Personen fürstlichen Standes den Eid leisten sollen, so wird die im Vernehmungsprotokolle zu verzeichnende Eidesformel denenselben von dem Kommissario vorgelesen, und zur eigenhändigen Unterschrift vorgelegt.

2) Wenn Personen, die in Eid und Pflicht stehen, in Sachen, welche ihr Amt unmittelbar betreffen, Zeugniß ablegen sollen; so ist die Verweisung auf ihren Amtseid hinreichend. Werden hingegen Personen dieser Art über Vorfälle abgehört, welche ihre Amtsgeschäfte nicht unmittelbar betreffen, wenn sie gleich bei Gelegenheit der Ausrichtung derselben Kenntniß davon erlangt haben; so findet diese Ausnahme nicht Statt.

3) Wenn beide Theile einstimmig durch mündlich zum Protokoll abgegebene,oder eigenhändig unterzeichnete schriftliche Erklärungen, dem Zeugen den Eid erlassen; so hat es dabei sein Bewenden.

Anh. §. 83. Ein zur Führung eines Prozesses bestellter Bevollmächtigter kann den in diesem Prozesse abgehörten Zeugen die Leistung des Zeugeneides nur alsdann erlassen, wenn er dazu mit einer Specialvollmacht versehen ist.

4) Wenn Künstler, Handwerker, oder andere Sachverständige, zur Aufnahme von Taxen oder zur Abgebung von Gutachten, in Sachen, welche ihre Kunst und Profession betreffen, bei dem Gerichte, vor welchem sie ihr Zeugniß ablegen sollen, ein- für allemal vereidet sind; so ist die Wiederholung des Eides in einzelnen Fällen dieser Art nicht nothwendig. Es muß


(268) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

aber alsdann die ein- für allemal erfolgte Vereidung von dem Instruenten im Protokolle ausdrücklich attestirt werden.

Anh. §. 84. Auch öffentliche Beamte, welche in Prozessen als Sachverständige vernommen werden, müssen wenn sie nicht ein für allemal als Sachverständige vereidet sind, die von ihnen abgegebenen Gutachten beschwören.

5) Wenn Mennoniten, oder andere, nach deren Religionsgrundsätzen Eidesleistungen unzulässig sind, als Zeugen abgehört werden sollen; so müssen dieselben, wenn es nicht bei Gerichten schon notorisch ist, nachweisen, daß ihre Religionspartei, oder sie für ihre Personen, unter der ausdrücklichen Landesherrlichen Vergünstigung, keinen Eid ableisten zu dürfen, im Lande aufgenommen worden sind. Gründen sie sich in einem solchen ihrer Religionspartei bewilligten Vorrechte, so müssen sie durch beizubringende Zeugnisse der Aeltesten, Lehrer, oder Vorsteher ihrer Sekte bescheinigen, daß sie in derselben geboren worden sind, oder sich doch schon wenigstens seit einem Jahre vor dem Anfange des Prozesses zu derselben bekannt, und bisher einen untadelhaften Wandel geführt haben. In diesem Atteste muß zugleich die bei einer solchen Sekte eingeführte, mit dem Eide gleiche Kraft habende Formel bemerkt seyn, damit dieselbe bei der Abhörung statt der gewöhnlichen Eidesformel gebraucht werden könne.

Wer nur unter Vorschützung seiner Gewissenszweifel die Ableistung des Zeugeneides beharrlich verweigert, ohne seine gesetzmäßige Dispensation von Eidesleistungen auf vorstehende Art nachweisen zu können, der kann zwar zum Eide selbst nicht gezwungen werden, es findet aber die Vorschrift des §. 185. 186. wider


(269) Beweis durch Zeugen.

ihn Anwendung. (Allg. L. R. Th. II. Tit. XI. §. 30. 31.)

Wie bei Ableistung der Zeugeneide von Juden und andern der christlichen Religion nicht zugethanen Personen zu verfahren, wird im folgenden Abschnitte bestimmt.

6) Stumme, in so fern sie überhaupt als Zeugen abgehört werden können, müssen die ihnen vorzulegende Eidesformel in Gegenwart der instruirenden Gerichtsperon abschreiben, und unterzeichnen.

Gegen diejenigen, welche in den nicht ausgenommenen Fällen die körperliche Leistung des Zeugeneides beharrlich verweigern, muß (außer den vorstehend Nr. 5. benannten Personen) eben so verfahren werden, wie gegen diejenigen, welche sich der Ablegung des Zeugnisses gänzlich entziehen wollen. (§. 183-186.)

§. 204.

Vor der Abnahme des Eides müssen die Zeugen an die Pflicht, ihr Gewissen zu bewahren, nochmals erinnert; auch ihnen, wenn es besonders einfältige und gemeine Leute sind, die Natur und Absicht eines Eidschwurs, die Verpflichtungen, welche der Schwörende dadurch über sich nimmt, und die Strafen des Meineides erklärt und ernstlich zu Gemüthe geführt werden.

Anh. §. 85. Wohnen die Parteien der Ableistung des Zeugeneides nicht persönlich oder durch Bevollmächtigte bei, so muß ihnen von Amtswegen ein Bevollmächtigter bestellt werden. Jedoch zieht die Unterlassung dieser Vorschrift die Nichtigkeit des Zeugenverhörs nicht nach sich.

§. 205.

Einrichtung und Abschließung des Vernehmungsprotokolls.

Nach geschehener Ableistung des Eides muß das Protokoll, in welchem die Aussagen des Zeugen enthalten sind, sowohl von dem Instruenten und den Rechtsbeiständen, als von dem Zeugen selbst, wenn


(270) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

er des Schreibens kundig ist, eigenhändig unterschrieben, allenfalls von Letzterm, wenn er nicht schreiben kann, mit drei Kreuzen unterzeichnet, und daß der Zeuge diese Zeichen statt seiner Unterschrift selbst beigesetzt habe, von dem Protokollführer attestirt; demnächst aber, wenn sämmtliche Zeugen abgehört sind, die dießfälligen Protokolle den Parteien vorgelegt, oder ihnen Abschriften davon mitgetheilt werden.

Anh. §. 86. Die Attestirung der von den Zeugen geschehenen Unterzeichnung mittelst dreier Kreuze kann in den Fällen, wo es keiner besondern Zuziehung eines Protokollführers bedarf, durch einen vom Instruenten auszuwählenden glaubhaften Mann für sämmtliche schreibensunerfahrene Zeugen geschehen.

§. 206.

Wenn mehrere Zeugen über verschiedene Thatsachen, die mit einander in keiner Verbindung stehen, abzuhören sind; so müssen die Aussagen derselben in besondere, einem jeden dieser verschiedenen Gegenstände gewidmete Protokolle niedergeschrieben werden.

(Konfrontirung der Zeugen unter sich, und)

§. 207.

Wenn mehrere über eine und eben dieselbe Thatsache, abgehörte Zeugen einander, besonders in wesentlichen Umständen, widersprechen; so müssen sie zum Behuf einer nähern und bestimmten Erörterung gegen einander gestellt werden, um durch diese Mittel auf den wahren und eigentlichen Grund der Sache, wo möglich, zu gelangen. Diese Konfrontation erfolgt, wenn die Zeugen noch gegenwärtig sind, sogleich als der Widerspruch sich äußert, wenn auch der später abgehörte noch nicht vereidet wäre. Hat aber der eine Zeuge schon entlassen werden müssen, so muß auch der spätere vereidet, und zu ihrer Gegeneinanderstellung ein besonderer Termin anberaumt werden. Der Instruent muß daher die Zeugen, vornehmlich auswärtige, in der Regel nicht eher entlassen, als bis das ganze Zeugenverhör beendigt ist.


(271) Beweis durch Zeugen.

mit den Parteien.

§. 208.

In besondern Fällen, da die Ausmittelung der Wahrheit es nothwendig erfordert, ist der Richter befugt, dergleichen Zeugen mit der Partei selbst gegen einander zu stellen, um wo möglich auf diese Art den wahren Zusammenhang der Sache ins Licht zu setzen.

§. 209.

Wenn die Abhörung eines Zeugen mehrere Tage hindurch dauert, so muß derselbe zwar erst nach gänzlich beendigtem Zeugenverhöre mit dem Eide belegt, dennoch aber in jedem Termine, wenn das darin aufgenommene Protokoll geschlossen werden soll, ihm dasselbe nach §. 200. vorgelesen, nach §. 205. zur Unterzeichnung vorgelegt, und die §. 188. verordnete Erinnerung an den abzuleistenden Eid vor der Unterschrift wiederholt werden. Ist dieses geschehen, und der Zeuge stirbt vor der Beendigung des ganzen Verhörs, folglich auch vor geschehener Ableistung des Eides; so verlieren seine Aussagen dadurch nichts von ihrer Beweiskraft.

§. 210.

Wiederholung des Zeugenverhörs.

Die Wiederholung des Zeugenverhörs kann gewöhnlicher Weise nicht Statt finden; es wäre denn, daß nach geschlossener Instruktion der Decernent oder Referent bei dem Vortrage [E1] der Sache wider Verhoffen wahrnähme, daß die Zeugenaussagen über einen oder den anderen erheblichen Umstand so dunkel und zweifelhaft ausgefallen wären, daß ihr eigentlicher Sinn und Meinung daraus nicht mit Zuverlässigkeit zu entnehmen stünde. Alsdann sind die Zeugen über dergleichen Umstand nochmals, jedoch nur mit Verweisung auf den bereits geleisteten Eid, durch eine andere Gerichtsperson, auf Kosten des vorigen Instruenten, zu vernehmen.

§. 211.

Ein Gleiches muß, wenn durch jemandes Unfleiß oder Unachtsamkeit das aufgenommene Protokoll


(272) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

verloren gegangen, oder sonst weggekommen wäre, auf Kosten desjenigen, welcher daran Schuld ist, geschehen.

§. 212.

Wenn ein schon abgehörter und vereideter Zeuge unter der Anzeige, daß er seiner Aussagen noch etwas beizufügen, oder darin zu berichtigen habe, zur nochmaligen Abhörung aus eigener Bewegung sich meldet: so muß zwar damit unverzüglich verfahren werden; es ist aber nicht nur bei einer solchen nochmaligen Abhörung ganz vorzügliche Genauigkeit und Aufmerksamkeit anzuwenden, und der wahre Grund, warum dieser Zeuge bei seiner ersten Vernehmung seine Wissenschaft anders, als dermalen, angegeben habe, durch zweckmäßige Fragen und Vorhaltungen so zuverlässig als möglich zu erforschen; sondern es muß auch ein solcher Zeuge, wenn er seine vorigen Aussagen ändert, oder mit erheblichen Thatsachen ergänzt, nicht sogleich wieder mit dem Zeugeneide belegt, vielmehr es dem künftigen Haupterkenntnisse vorbehalten werden, zu bestimmen: in wie fern es einer nochmaligen Vereidung dieses Zeugen bedürfe, oder dieselbe zulässig sey.

Uebrigens muß der Instruent auf die §. 201. verordnete Art, an deren Stelle, wo die in der Folge zurück genommene oder berichtigte Zeugenaussage verzeichnet ist, durch eine Bemerkung am Rande auf die demnächst eingetretene Abänderung verweisen.

Wie bei Abhörung solcher Zeugen, welche der deutschen Sprache nicht mächtig sind, zu verfahren.

§. 213.

Wenn ein Zeuge, welcher der deutschen oder einer andern bei dem Gerichte bekannten Sprache nicht mächtig ist, abgehört werden soll; so müssen durch einen, entweder zu dergleichen Amte überhaupt schon verpflichteten, oder auch zu der gegenwärtigen Handlung mit einem besondern Eide zu belegenden Dolmetscher, ihm sowohl der Zeugeneid vorgelesen, als auch die Fragen an ihn in seiner Muttersprache


(273) Beweis durch Zeugen.

erlassen, und die Antwort solchergestalt von ihm eingezogen werden.

§. 214.

Der Dolmetscher muß sowohl die summarische Erzählung des Zeugen, als die an ihn erlassenen Fragen und darauf ertheilten Antworten, in ein Nebenprotokoll in der Ursprache des Zeugen niederschreiben, und dieses, als eine Beilage des deutsch abgefassten Hauptprotokolls, zu den Akten geben.

Anh. §. 87. Es bedarf der Haltung des Nebenprotokolls überhaupt nicht, wenn die Gerichtsperson, welche das Zeugenverhör aufnimmt, oder der etwa zugezogene Protokollführer, oder beide bei dem Zeugenverhöre gegenwärtige Justizkommissarien die Sprache des Zeugen verstehen, sollten sie solche auch nicht so fertig sprechen, daß dadurch die Zuziehung eines Dolmetschers ganz unentbehrisch würde. Außer diesen Fällen bleibt es zwar bei der Vorschrift des §. 213. und 214.; jedoch können die Parteien und deren zum Prozeß gehörig legitimirte Bevollmächtigte dem zu führenden Nebenprotokolle entsagen.

§. 215.

Der Eid eines Dolmetschers ist dahin zu fassen: daß er die an den Zeugen zu richtenden Fragen demselben in seiner Sprache genau so, wie sie von dem Richter in der deutschen Sprache abgefasst worden sind, vorlegen; die Antworten desselben genau und richtig in die deutsche Sprache übersetzen; sie wörtlich so, wie sie von dem Zeugen ertheilt worden, in dessen Sprache zum Nebenprotokolle niederschreiben: überall nichts davon oder dazu thun; und bei diesem ganzen Geschäfte treu und rechtschaffen, der Wahrheit gemäß verfahren, auch sich davon weder durch Geschenke, noch andere Vortheile, noch durch Feindschaft, Freundschaft, oder irgend einige andere Nebenrücksichten abhalten lasse wolle.


(274) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

Von Abhörung auswärtiger Zeugen durch Kommissarien oder fremde Gerichte.

§. 216.

So viel als möglich müssen die Gerichte nach Vorschrift §. 175. 176. 177. darauf halten, daß die in einer Sache vorgeschlagenen Zeugen sich vor dem Deputirten, welcher die ganze Instruktion besorgt, persönlich stellen; weil von diesem, nach der über den ganzen Zusammenhang der Sache sich erworbenen Kenntniß, die vollständigste Ausmittelung des durch die Aussagen eines solchen Zeugen ins Licht zu setzenden Fakti am zuverlässigsten erwartet werden kann.

§. 217.

Wenn jedoch ein auswärtiger Zeuge, wegen allzu weiter Entfernung oder persönlicher Ehehaften, sich vor dem instruirenden Gerichte zu stellen verhindert wäre, so muß die Abhörung desselben, auf vorgängige von dem Instruenten zu machende Anzeige, durch eine andere in der Nähe befindliche Gerichtsperson, mit Zuziehung eines Aktuarii oder andern vereideten Protokollführers, mittelst Auftrags oder Requisitionsschreibens verfügt werden.

§. 218.

Der Deputirte, welcher bisher die Instruktion besorgt hat, muß die Zuziehung der Rechtsbeistände über diejenige Thatsache, wovon der Zeuge bekundschaften soll, einen zusammenhängenden Statum causae aus den Akten entwerfen, und darin besonders diejenigen Umstände, welche durch die Zeugenaussagen ins Licht gesetzt werden sollen, deutlich, genau und bestimmt auseinander setzen. Auch sind, wenn besonders die Thatsachen etwas verwickelt wären, und es dabei auf Nebenumstände der Zeit, des Orts, der gebrauchten Ausdrücke u.s.w. ankäme, hinter dem Statu causae noch einige Fragestücke, welche den auswärtigen Kommisarius auf die Punkte, welche besonders aufzuklären sind, noch bestimmter führen können, beizufügen. Der Kommissarius oder


(275) Beweis durch Zeugen.

requirirte fremde Richter muß aber jedes Mal gewarnt werden, sich nicht etwa bloß an diese Fragestücke zu binden, sondern nach den Datis, welche die Erzählung des Zeugen auf den ihm zuerst vorzulegenden Statum causae etwa an die Hand geben möchte, fernere Veranlassungen zur möglichst vollständigen Aufklärung des wahren Zusammenhangs der Sache zu entnehmen.

§. 219.

Den Parteien, welchen von den wegen der auswärtigen Zeugenabhörung getroffenen Verfügungen Nachricht gegeben werden muß, steht frei, bei dem auswärtigen Kommissario entweder persönlich, oder durch Bevollmächtigte zu erscheinen, und der Vereidung der Zeugen beizuwohnen. Melden sie sich aber daselbst nicht, so müssen ihnen von dem abhörenden Richter dergleichen Bevollmächtigte von Amts wegen bestellt werden.

§. 220.

In Sachen von Wichtigkeit muß das Kollegium die Verfügung treffen, daß statt der Rechtsbeistände, welche dem Zeugenverhöre, wenn es an ordentlicher Gerichtsstelle vor sich geht, beiwohnen, der dazu bestellten auswärtigen Gerichtsperson ein zweiter Kommissarius, oder ein Notarius beigegeben werde.

Haben die Parteien an dem Orte, wo das Zeugenverhör erfolgen soll, besondere Rechtsbeistände, die an sich zu Prozeßverhandlungen gesetzmäßig qualificirt sind, bestellt; so muß der Kommissarius dieselben, wenn sie sich melden, bei dem Zeugenverhöre mit zulassen.

§. 221.

Auch wird es richterlichem Ermessen anheim gestellt, in Fällen von besonderer Erheblichkeit, wo es auf verwickelte und zusammen gesetzte Fakta ankommt, und die Entscheidung der Hauptsache von den Aussagen solcher auswärtigen Zeugen abhängt,


(276) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

den Instruenten mit den Rechtsbeiständen der Parteien an den Ort, wo das Zeugenverhör erfolgen soll, zuschicken, und die Vernehmung des Zeugen durch ihn selbst besorgen zu lassen.

§. 222.

Der auswärtige Kommissarius, dem ein Zeugenverhör aufgetragen wird, muß sich dabei nach eben den Vorschriften achten, welche in obstehenden Paragraphen dem Depurtirten des Kollegii zur Richtschnur angewiesen sind.

§. 223.

Besonders ausländische Gerichte.

Wenn Zeugen bei einem fremden und ausländischen Gerichte, dem die hiesigen Verfassungen nicht bekannt sind, abgehört werden sollen; so muß diesem Gerichte außer dem Statu causae zugleich ein Extrakt aus dem gegenwärtigen Abschnitte ad §§. 171. 174. 190. 197. 200. 201. 202. 204. 205. 207. 213-215. und 219. mit kommunicirt, und dasselbe ersucht werden, bei der Abhörung der Zeugen nach dieser Vorschrift zu verfahren. Doch verliert ein dergleichen auswärtiges Zeugenverhör bloß um deßwillen, weil bei selbigem nicht nach diesen Vorschriften, sondern nur nach dem Gebrauche des abhörenden fremden Gerichts verfahren worden ist, nichts von seiner Gültigkeit.

§. 224 a.

Die Protokolle über die auswärtigen Zeugenverhöre müssen, wenn sie einkommen, zuerst dem ordentlichen Decernenten zum Vortrage in der nächsten Session zugestellt; sodann aber, und wenn dieser dabei nichts zu erinnern findet, dem Instruenten vorgelegt werden. Findet auch der Instruent nichts Erhebliches dabei zu erinnern, so muß er das Erforderliche zur Fortsetzung der Instruktion, oder zum Schlusse der Sache, je nachdem die übrige Lage derselben es mit sich bringt, verfügen.


(277) Beweis durch Zeugen.

Mittheilung der Zeugenverhöre an die Parteien.

§. 224 b.

Wenn die Zeugenverhöre für diese Instanz bei einander sind, so werden die Abschriften derselben den Parteien, oder deren Assistenten und Bevollmächtigten, mitgetheilt; und es wird ein Termin zu deren Durchgehung, welcher in der Regel zugleich der Termin zum Schlusse der Sache seyn muß, anberaumt. Finden nun die Assistenten oder Bevollmächtigten der Parteien bei den Zeugenverhören noch etwas zu erinnern, so müssen sie dergleichen Bedenken in diesem Termine anzeigen.

Wenn dergleichen Erinnerungen gegen die aufgenommenen Zeugenverhöre, sie mögen von dem Decernenten, dem Instruenten oder den Rechtsbeiständen der Parteien in Anregung gebracht seyn, auf geschehenen Vortrag im Kollegio erheblich befunden worden sind; so muß von diesem das Erforderliche zu deren Abhelfung durch nochmalige Vernehmung des Zeugen, entweder durch den vorigen, oder auch, nach Bewandtniß der Umstände, durch einen andern Kommissarius, mit ausdrücklicher Bemerkung des Mangels, unverzüglich erlassen; unterdessen aber die Instruktion so weit, als es, ohne nothwendige erst dergleichen Ergänzung abzuwarten, geschehen kann, fortgesetzt und geschlossen werden.

Von dem Betriebe und der Beschleunigung der Zeugenverhöre.

§. 225 a.

Auswärtige Gerichte und Kommissarien müssen an die gehörige Betreibung solcher ihnen aufgetragenen Zeugenverhöre von Zeit zu Zeit von Amtswegen erinnert, und allem ungebührlichen Verzuge derselben durch Strafbefehle, oder Anzeige an ihre unmittelbar vorgesetzten Instanzen nachdrücklich gesteuert werden.

Wenn fremde und ausländische Gerichte der Abhörung eines Zeugen auf wiederholte Requisition, sich dennoch nicht der Ordnung gemäß unterziehen wollen; so findet desfalls eben das Statt, was in


(278) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

dem zweiten Abschnitte (§. 107.), wenn ein von einem Dritten zu edirendes Dokument in der bestimmten Zeit nicht herbei geschafft wird, verordnet worden ist.

§. 225 b.

Wenn auswärtige Gerichte ein einländisches um Abhörung von Zeugen ersuchen, so muß ihnen darunter alle Bereitwilligkeit erwiesen werden. Doch kommen nicht nur den hiesigen Unterthanen, auch wenn sie auf Verlangen fremder Gerichte als Zeugen vernommen werden sollen, die Vorschriften des §. 180. zu Statten; sondern es soll auch, wenn der Gegenstand der Vernehmung so beschaffen ist, daß daraus Kollisionen zwischen dem hiesigen und einem fremden Staate entstehen könnten, noch ehe die Abhörung veranlasst wird, über die Umstände der Sache nach Hofe berichtet werden.

§. 226 a.

Wenn ein Zeugenverhör durch die Krankheit des Zeugen aufgehalten wird, so muß der, welcher ihn vorgeschlagen hat, durch ein Attest des Arztes nachweisen: daß und binnen welcher Frist die Wiederherstellung des Zeugen so weit, daß er wirklich, wenn auch nur in seiner Behausung, abgehört werden könne, wahrscheinlicher Weise zu hoffen sey. Hiernach muß der Richter den Termin bestimmen, bis zu welchem der Zeuge zur Abhörung gestellt, oder deswegen das Erforderliche nachgesucht werden müsse. Ist dieser Zeitraum verlaufen, ohne daß die Abhörung des Zeugen hat erfolgen können; so soll dadurch, wenn auch alsdann noch eine ganz nahe Hoffnung zu einer solchen Wiederherstellung des Zeugen nicht nachgewiesen werden kann, die Abschließung der Instruktion für diese Instanz nicht länger aufgehalten werden.

§. 226 b.

Wenn der vorgeschlagene Zeuge sich auf Reisen befindet, und der Zeitpunkt seiner Zurückkunft mit


(279) Beweis durch Zeugen.

Wahrscheinlichkeit angegeben werden kann; so ist der Termin seiner Vernehmung bis zu diesem Zeitpunkte hinaus zu setzen. Ist es aber ungewiß, wenn der Zeuge zurück kommen werde; so muß nicht nur derjenige Theil, welcher auf seine Abhörung besteht, den Eid für Gefährde nach Vorschrift §. 174. ableisten, sondern es muß auch von dem Richter, nach Beschaffenheit der Umstände, eine Frist von mehreren Wochen oder Monaten, (doch niemals über sechs Monate,) bestimmt werden, während welcher mit dem Abschluß der Instruktion auf die Wiederkehr des Zeugen gewartet werden solle. Ist aber diese Frist fruchtlos verlaufen, so wird alsdann mit dem Abschlusse der Instruktion für diese Instanz ohne weitern Aufenthalt verfahren.

Gültigkeit und Zulässigkeit der Zeugen 1) Welche Personen zum Zeugnisse gar nicht zugelassen werden können.

§. 227.

Da oft Fälle vorkommen, daß die Zulässigkeit oder Glaubwürdigkeit eines Zeugen angefochten wird; so finden darüber folgende Vorschriften Statt:

1) Rasende, Wahn- und Blödsinnige sind zur Ablegung eines Zeugnisses ganz unfähig. Personen, die nur schwach am Verstande sind, können über Gegenstände, die das Maaß ihrer Verstandeskräfte nicht übersteigen, zugelassen werden. Ist jemand nur zuweilen des Gebrauchs seines Verstandes beraubt, so kann derselbe zwar in lichten Zwischenräumen über Umstände, welche sich in einem gleichen Zeitpunkte zugetragen haben, abgehört werden; jedoch ist bei dessen Vernehmung mit der größten Vorsicht zu verfahren, und seine Aussagen hat niemals völlige Beweiskraft.

2) Blinde sind als Zeugen unzulässig, in Ansehung solcher Gegenstände, zu deren Kenntniß der Sinn des Gesichts erfordert wird; wenn sie nicht diese Erkenntnis schon erlangt haben, bevor sie blind geworden sind.


(280) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

3) Taube, in so fern sie nicht lesen können. Können sie lesen, so müssen ihnen die an sie gerichteten Fragen schriftlich vorgelegt, ihre darauf in das Protokoll verzeichneten Antworten aber ihnen zum Durchlesen gegeben, und von ihnen bei jedem Punkte mittelst Unterzeichnung genehmigt werden.

4) Taube und Stumme zugleich, in so fern dieselben nicht lesen und schreiben können. Können sie Beides, so werden ihnen die Fragen schriftlich vorgelegt, und ihre Antworten müssen sie selbst niederschreiben und unterzeichnen.

5) Diejenigen, welche geständlich oder erweislich von einer Partei Geld oder andere Vortheile angenommen haben, um ein derselben vortheilhaftes Zeugniß abzulegen. Hierunter sind jedoch die Reise- und Zehrungskosten nicht zu verstehen, welche der Producent einem Zeugen, der ohne solchen Vorschuß nicht zur Gerichtsstelle kommen kann, gereicht hat. Doch bleibt es richterlichem Ermessen vorbehalten, in wie fern die gereichte Summe, nach den Umständen, für übermäßig zu achten, und also hinter diesem Vorwande eine versuchte Bestechung des Zeugen verborgen sey.

6) Diejenigen, welche in dieser oder einer andern Sache eines falschen Zeugnisses oder andern Meineides überführt worden sind.

7) Diejenigen, welche begangener Verbrechen wegen für ehrlos erklärt worden sind. Die erfolgte Begnadigung macht dabei keinen Unterschied, wenn nicht erhellet, daß dieselbe wegen nachgewiesener Unschuld ertheilt worden ist. Andere Verbrechen, wenn auch Festungs- oder Zuchthausstrafe darauf, jedoch mit Vorbehalt des ehrlichen Namens, verhängt wäre, machen den Verbrecher zur Ablegung eines Zeugnisses


(281) Beweis durch Zeugen.

nicht unfähig, sondern schwächen nur die seinen Aussagen beizulegende Beweiskraft. Doch ist dabei hauptsächlich auf die Beschaffenheit des Verbrechens, und darauf Rücksicht zu nehmen, in wie fern dabei solche moralische Grundsätze und Gesinnungen, welche auf Wahrheitsliebe und Zuverlässigkeit Einfluß haben, mehr oder weniger aus den Augen gesetzt worden sind.

2) Personen, die nicht als Beweiszeugen, sondern nur zur Information vernommen werden können.

§. 228.

Andere Personen können zwar, in Rücksicht der Verbindung, in welcher sie mit einer der Partei stehen, oder aus anderen Ursachen, als Beweiszeugen nicht aufgestellt, wohl aber, um von der Bewandtniß der Sache nähere Erkundigung einzuziehen, von dem Richter vernommen werden. Dahin gehören:

1) Leibliche Eltern und andere Verwandte in aufsteigender Linie. Wenn jedoch entweder der Streit unter den Kindern obwaltet; oder es darauf ankommt, das Alter der Kinder, deren Verlobung, Verheirathung, oder Absterben zu erweisen, und die Wahrheit auf andere Art nicht ausgemittelt werden kann; so sind dergleichen Verwandte in aufsteigender Linie auch als Beweiszeugen zulässig.

2) Leibliche Kinder einer Partei, oder andere Verwandte derselben in absteigender Linie.

3) Stief- oder Schwiegerältern, ingleichen Stief- oder Schwiegerkinder.

4) Brüder und Schwestern, sie mögen von voller oder halber Geburt seyn.

5) Schwäger oder Schwägerinnen.

6) Ehegatten, oder öffentlich Verlobte.

7) Mitberechtigte oder Verpflichtete.

8) Litisdenuncianten, Denuncianten oder Intervenienten.

9) Ueberhaupt alle, die von dem Ausfalle der Sache Vortheil oder Schaden zu erwarten haben; mithin auch


(282) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

10) Mitglieder eines Kollegii, einer Korporation oder Gemeine, die in den Prozeß verwickelt ist. Betrifft der Prozeß einen Gegenstand, bei welchem die einzelnen Mitglieder kein Interesse haben; so können dergleichen Mitglieder auch als Beweiszeugen aufgestellt werden, und der Grund ihrer Glaubwürdigkeit bleibt, nach Bewandtniß der übrigen Umstände, richterlicher Beurtheilung vorbehalten. Betrifft der Prozeß nur einzelne Mitglieder, so können andere Mitglieder, die für sich selbst kein Interesse dabei haben, gültige Beweiszeugen seyn. Altsitzer, Inlieger und Hausleute sind nicht als Mitglieder der Gemeine anzusehen; jedoch ist ihren Aussagen für die Gemeine, in welcher sie sich aufhalten, vollständige Beweiskraft nicht beizulegen. Die unter Nummer 1-5. aufgeführten Verwandten eines oder mehrerer Mitglieder einer Korporation oder Kommune können zwar ebenfalls als Beweiszeugen aufgestellt werden; die Glaubwürdigkeit ihres Zeugnisses aber wird durch diese Verwandtschaft geschwächt. Von den Ehegatten der Mitglieder einer Gemeine hingegen gilt eben das, was vorstehend von diesen Mitgliedern selbst verordnet ist.

§. 229.

Die im vorstehenden Paragraphen beschriebenen Personen sind als gültige Beweiszeugen anzusehen, wenn sie der Gegentheil desjenigen, mit welchem sie in der daselbst bemerkten Verbindung stehen, selbst dazu vorgeschlagen hat. Diejenigen, welche unter Nr. 7-10 benannt worden sind, können sich des Zeugnisses, wozu sie solchergestalt aufgefordert werden, in keinem Falle entbrechen. Hingegen sollen die unter Nr. 1-6. benannten Personen zur Ablegung eines Zeugnisses wider ihre Verwandten und Angehörigen in der Regel nicht gezwungen werden;


(283) Beweis durch Zeugen.

es wäre denn, daß nach der Natur des Geschäfts, über welches ihre Aussage verlangt wird, die Wahrheit auf andere Art nicht auszumitteln stünde. Doch sollen Eltern (Nr. 1.), Kinder (Nr. 2.) und Ehegatten (Nr. 6.) zur Ablegung eines Zeugnisses wider diejenigen, mit welchen sie in einer solchen nahen Verbindung stehen, niemals gezwungen werden.

Wenn hingegen die unter Nr. 1-6. benannten Personen, auf geschehene richterliche Aufforderung ihr Zeugniß abzulegen erbötig sind; so ist diejenige Partei, mit welcher sie in Verbindung stehen, sie davon auszuschließen nicht berechtigt.

§. 230.

Zu denjenigen Personen, welche, außer vorstehenden, zwar nicht als Beweiszeugen, wohl aber der Erkundigung wegen, abgehört werden können, gehören ferner:

11) Ein Bevollmächtigter in der Sache seines Machtgebers. Wird er von dem Gegentheile seines Machtgebers vorgeschlagen, so kann er sich der Abgebung eines eidlichen Zeugnisses über Thatsachen, welche vor dem Entstehen des gegenwärtigen Rechtsstreites vorgefallen sind, nicht entbrechen. Hingegen kann derselbe über solche Fakta, die erst während des Prozesses vorgefallen oder zu seiner Kenntnis gelangt sind, zum Zeugnisse weder angehalten noch zugelassen werden.

12) Juden, wenn sie in einem Prozesse zwischen einem Christen und einem ihrer Glaubensgenossen von letzterem vorgeschlagen werden. Wenn jedoch der vorgeschlagene jüdische Zeuge ein einländischer Schutzjude ist, und durch ein Attest seiner Obrigkeit bescheinigt wird, daß er noch nie eines Verbrechens wegen in Untersuchung gewesen sey; übrigens aber aus den Umständen erhellet, daß derselbe von der Sache Wissenschaft


(284) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

hat erhalten können: so kann die eidliche Abhörung auch auf den Vorschlag der jüdischen Partei erfolgen. Doch können dergleichen jüdische Zeugen, selbst wenn ihrer mehrere sind, niemals einen vollen Beweis zum Besten der jüdischen Partei gegen einen Christen bewirken; sondern ihre Aussagen verdienen nur in so weit Rücksicht, als sie mit den Angaben eines andern christlichen Zeugen übereinstimmen. Der christlichen Partei steht es frei, jüdische Zeugen in Vorschlag zu bringen, welche jedoch ebenfalls als vollgültige Zeugen nicht zu betrachten sind. Diese Qualität gebührt ihnen nur alsdann, wenn der Prozeß, in welchem sie abgehört werden, bloß unter Parteien ihrer Nation geführt wird. Uebringens macht es bei der Beurtheilung: ob ein jüdischer Zeuge gültig sey, und welches Gewicht seine Aussage habe, keinen Unterschied, wenn auch dem Zeugen oder der Partei die Rechte christlicher Kaufleute beigelegt wären. Wohl aber steht einem Juden, welchem die Rechte christlicher Bürger überhaupt nach ihrem ganzen Umfange beigelegt worden sind, seine Religion, in Rücksicht eines in bürgerlichen Rechtsangelegenheiten abzulegenden Zeugnisses, nicht entgegen.

Anh. §. 88. Juden, welche die Rechte der Preußischen Staatsbürger erlangt haben, können in Civilprozessen, auch wenn sie von einem ihrer Glaubensgenossen gegen einen Christen zu Zeugen vorgeschlagen worden sind, eben so wie andere Staatsbürger als Beweiszeugen abgehört werden.

13) Personen, welche das Vierzehnte Jahr ihres Alters noch nicht zurück gelegt haben, ohne Unterschied des Geschlechts, weil dergleichen Unmündige noch mit keinem Eide belegt werden können. Minderjährige sind als Beweiszeugen zulässig; in wie fern aber solche, die das Achtzehnte


(285) Beweis durch Zeugen.

Jahr noch nicht zurück gelegt haben, vollen Glauben verdienen oder nicht, bleibt nach Beschaffenheit der Umstände, ihrer mehr oder weniger entwickelten Geistesfähigkeiten, und des Gegenstandes, wovon sie zeugen sollen, richterlicher Beurtheilung vorbehalten.

14) Diejenigen, welche ein mit dem Verluste der bürgerlichen Ehre verbundenes Geschäft treiben.

15) Diejenigen, welche einer begangenen Untreue, oder eines vorsätzlichen oder muthwilligen Bankerurs gerichtlich überführt worden sind. (A. L. R. Th. II. Tit. VIII. §. 609. Tit. XX. §. 1329-1376. §. 1452-1465.)

16) Diejenigen, welche für unfähig erklärt worden sind, in ihren eigenen Sachen einen nothwendigen Eid zu schwören.

§. 231.

Wenn der Fall eintritt, daß die §. 228. 230. benannten Personen von der streitigen Thatsache Kenntniß haben; so muß der Instruent bei dem Kollegio anfragen: ob dieselben der Erkundigung wegen vernommen werden söllen? Findet das Kollegium diese Vernehmung nöthig, und es zeigen sich dabei Spuren solcher Beweismittel, welche noch nicht aufgenommen sind; so muß davon unverzüglich zur Erforschung der Wahrheit der gehörige Gebrauch gemacht werden.

§. 232.

In wie fern hiernächst die Angaben solcher Personen, welche nur, um nähere Erkundigung einzuziehen, vernommen worden, zur Entscheidung der Sache etwas beitragen können, und sie also mit dem Zeugeneide zu belegen sind, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Hat eine Partei auf die Vernehmung einer Person, welche mit ihr in den §. 228. 230. Nr. 1-12. bemerkten Verbindung steht, selbst angetragen, und die Aussage derselben fällt zum


(286) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

Nachtheile dieser Partei aus; so soll darauf, auch ohne Eid, bei Entscheidung der Sache vorzüglich Rücksicht genommen werden können.

3) Personen, deren Zeugniß keinen vollen Glauben verdient.

§. 233.

Zu den Personen, welche jederzeit als Beweiszeugen zuzulassen sind, deren Aussagen aber eine volle Glaubwürdigkeit nicht beigelegt werden kann, gehören

1) diejenigen, welche gerichtlich für Verschwender erklärt worden sind;

2) diejenigen, über deren Vermögen Konkurs eröffnet worden ist, in so fern sie nicht zur Rechtswohlthat der Cession zugelassen, oder doch bekanntlich durch Unglücksfälle in Vermögensverfall gerathen sind;

3) diejenigen, welche mit einer Partei in notorischer Feindschaft leben (Allg. L. R. Th. II. Tit. XVIII. §. 145. 146.);

4) diejenigen, welche mit einer Partei einen verdächtigen vertrauten Umgang unterhalten;

5) Hausofficianten, Livreebediente, Gesinde, und alle in beständigem Lohne und Brode stehende Personen, in Prozessen ihrer Herrschaft oder ihres Brodherrn. Hiervon finden jedoch folgende Ausnahmen Statt:

a) wenn der Abzuhörende den Dienst der Partei verlassen hat, und nicht nachgewiesen werden kann, daß es bloß zum Schein, um den Aussagen mehr Glaubwürdigkeit zu verschaffen, geschehen sey;

b) wenn der Abzuhörende bei beiden Parteien zugleich in Diensten steht;

c) wenn der Prozeß zwischen der Herrschaft und anderen Dienstboten geführt wird, welche noch in deren Diensten sind, oder mit dem Abzuhörenden zugleich in deren Diensten gestanden haben.


(287) Beweis durch Zeugen.

6) Unterthanen, in Sachen, bei welchem ihre Gutsherrschaft interessirt ist. Diesen muß zwar vor der Abhörung bekannt gemacht werden, daß die der Herrschaft geleistete Unterthänigkeitspflicht sie nicht abhalten könne, die Wahrheit getreulich anzuzeigen; ist jedoch diese Bekanntmachung aus Versehen unterblieben, oder im Protokolle nicht bemerkt worden: so folgt daraus noch keine Nichtigkeit des Zeugenverhörs.

Verfahren über die Exceptiones contra personas testium.

§. 234.

Daß die Einwendungen gegen die Person der beiden Theilen, der Regel nach, schon vor dem Instruktionstermine bekannt gewordenen Zeugen, vor oder spätestens in dem Instruktionstermine selbst angezeigt; falls sie auf Thatsachen beruhen, die Mittel zu deren Bescheinigung angegeben; die Thatsachen selbst, nach erfolgter Vernehmung der Parteien in der Hauptsache, eben so, wie alle übrigen, auseinander gesetzt und der Status controversiae darüber regulirt werden müsse, ist im Vorigen bereits verordnet.

Eben so ist es zu halten, wenn auch erst im Instruktionstermine selbst, bei der nähern Examinirung der Parteien, dergleichen Personen, denen von einer streitigen Thatsache Wissenschaft beiwohnet, und die darüber vernommen werden müssten, ausgemittelt würden; maaßen auch alsdann der Produkt entweder sofort, oder doch vor dem zur wirklichen Abhörung eines solchen Zeugen anberaumten Termine, seine gegen die Person und Glaubwürdigkeit desselben etwa habenden Erinnerungen, und, wenn sie auf Thatsachen beruhen, die Beweismittel darüber anzeigen muß; widrigenfalls er damit in derselben Instanz nicht weiter gehört werden kann.

Nach Maaßgabe dieser Beweismittel muß sodann mit Untersuchung des Einwandes, und mit der


(288) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

Abhörung des Zeugen selbst, zu gleicher Zeit und mit Vorbehalt des Rechts der Parteien, verfahren werden. Ob übrigens ein solcher Zeuge sofort zu vereiden, oder dieses bis nach erfolgtem Haupterkenntnisse auszusetzen sey, bleibt, wenn die Parteien sich darüber nicht vereinigen können, nach Maaßgabe dessen, was über den Einwand mehr oder weniger klar ausgemittelt worden ist, dem vernünftigen Ermessen des Gerichts anheim gestellt.

§. 235.

Es finden also über die Einwendungen gegen die Person der Zeugen keine besonderen Erkenntnisse oder Instanzen Statt; sondern der Richter setzt, bei Abfassung des Haupturtels, zugleich in den Entscheidungsgründen mit fest, was die Aussagen eines jeden vorgeschlagenen und abgehörten Zeugen zur Entscheidung der Sache beitragen; und welcher Grad von Glaubwürdigkeit einem Jeden derselben, nach Maaßgabe ihrer durch die Untersuchung ausgemittelten persönlichen Umstände und Verhältnisse, beizulegen sey.

§. 236.

Die Untersuchungen über solche Nebenpunkte müssen, um Verwirrung in den Akten zu vermeiden, in besonderen Protokollen verhandelt; auch die dabei aufgelaufenen Kosten, welche dem bei dem Gegenstande solcher Untersuchung unterliegenden Theile, selbst alsdann, wenn er in der Hauptsache ein obsiegliches Urtel erhielte, zur Last fallen, müssen besonders bemerkt werden.

§. 237.

Die Partei, welche Personen, die nach den Rechten ganz verwerflich sind, als Zeugen wissentlich in Vorschlag bringt; oder die Umstände, welche sie zwar nicht ganz unzulässig, aber doch verdächtig machen, vorsätzlich verschweigt; oder sie, wenn der Gegentheil selbige gerügt hat, gegen besseres Wissen


(289) Beweis durch Zeugen.

abläugnet; ingleichen diejenigen, welche den Personen der Zeugen Einwendungen entgegen setzen, deren Ungrund ihnen bekannt gewesen, oder doch bei einer ganz gewöhnlichen Erkundigung nicht verborgen bleiben können, sollen nicht nur dem Gegentheile alle Kosten und allen aus dem Verzuge etwa entstandenen Nachtheil ersetzen, sondern auch in 10, 20 bis 50 Rthlr. Geldstrafe verurtheilt werden.

§. 238.

Glaubwürdigkeit der Zeugen.

Bei Bestimmung der Glaubwürdigkeit eines Beweiszeugen soll in der Regel, und wo nicht im Vorstehenden besondere Ausnahmen gemacht sind, darauf keine Rücksicht genommen werden: welche Partei die Veranlassung gegeben hat, daß derselbe abgehört worden ist. Eben so sollen die Aussagen eines Zeugen auch demjenigen zu Statten kommen, welcher wider desselben Glaubwürdigkeit Zweifel erregt hat, die als unerheblich verworfen, oder bei näherer Nachforschung ungegründet befunden worden sind.

§. 239.

Für einen vollkommen glaubwürdigen Zeugen ist nur derjenige zu achten, dem keine von den §. 227. 228. 230. und 233. bemerkten Einwendungen entgegen steht, der nicht bloß vom Hörensagen zeugt, und in dessen Angaben keine Widersprüche sich finden.

§. 240.

Widersprüche in den Aussagen eines Zeugen schwächen dessen Glaubwürdigkeit, ohne Unterschied: ob sie die Hauptsache oder Nebenumstände betreffen; in so fern nicht hinlänglich ausgemittelt werden kann, daß der Widerspruch durch einen bloßen Mißverstand veranlaßt worden sey.

§. 241.

Wenn ein Zeuge einen erheblichen Umstand nicht aus eigener Kenntniß, sondern vom Hörensagen (de auditu) bekundet; so dient dieses zur Anleitung, denjenigen, auf dessen Wissenschaft er sich bezieht, in


(290) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

so fern derselbe noch abgehört werden kann, ebenfalls zu vernehmen. Kann dieß nicht geschehen, so muß so viel als möglich durch genauere Befragung des vom Hörensagen sprechenden Zeugen ausgemittelt werden: in wie fern demjenigen, von welchem er seine Kenntniß herleitet, Glauben beizumessen gewesen, und unter welchen Umständen die Erzählung erfolgt sey, damit darnach die in dem künftigen Urtel darauf mehr oder weniger zu nehmende Rücksicht bestimmt werden könne. Haben mehrere Zeugen vom Hörensagen bekundet, so muß genau nachgeforscht werden: aus welcher Quelle ein jeder seine Wissenschaft herleite, um zu verhüten, daß nicht die an Mehrere geschehene Erzählung derselben Person als ein mehrfaches Beweismittel angesehen werde.

§. 242.

Wenn ein Zeuge bekundet, daß ihm von dem Vorfalle oder Geschäfte, worüber er vernommen wird, gar nichts bekannt sey, so kann seine Aussage auf die Entscheidung der Sache nur in so fern Einfluß haben, als der Vorgang unter den angegebenen Umständen sich nicht hätte ereignen können, ohne daß der Zeuge Kenntnis davon erhalten müssen. Die Vernehmung ist also vorzüglich darauf zu richten, ob ein solcher Fall wirklich vorhanden gewesen sey.

§. 243.

Wenn ein Zeuge die ihm vorlegten Fragen nach seiner Willenschaft und Ueberzeugung beantwortet, so soll niemand berechtigt sein, wider denselben, wegen des etwanigen seiner Ehre nachtheiligen Inhalts, eine Injurienfrage anzustellen.

§. 244.

Vermeint eine Partei, daß in einer Zeugenaussage etwas dergleichen ihrer Ehre Nachtheiliges enthalten sey; so soll das Protokoll darüber, in so fern es nach dem Befinden des Richters zur Entscheidung der Hauptsache nichts beiträgt, versiegelt zu den Akten


(291) Beweis durch den Eid.

genommen werden, damit dessen Inhalt zur Kränkung der Partei nicht allgemein bekannt werden möge.

Vom Eid überhaupt.

§. 245.

Der Eid ist eine feierliche Anrufung des Allwissenden zum Zeugen der Wahrheit dessen, was von dem Schwörenden angegeben wird.

§. 246.

Er wird entweder zur mehreren Versicherung eines gethanen Versprechens, oder zur Bestärkung der Richtigkeit der über eine vorgegangene Thatsache geschehenen Angaben geleistet.

§. 247.

Von gerichtlichen, ingleichen von anderen Versprechungseiden, welche der Staat oder andere öffentliche Anstalten von den in ihre Dienste tretenden Personen abfordern, wird in der Folge gehandelt.

§. 248.

Außergerichtliche Versprechungseide sollen Privatpersonen einander nicht abfordern, und der damit getriebene Mißbrauch soll nach Vorschrift der Gesetze bestraft werden. (A. L. R. Th. II. Tit. XX. §. 1425. bis 1430.)

Eide in Prozessen.

§. 249.

Versprechungseide über vergangene Thatsachen werden in Prozessen entweder von einer der Parteien, oder von einer dritten an dem Prozesse nicht Theil nehmenden Partei geleistet. Von letztern, wohin besonders die Zeugen gehören, ist im vorigen Abschnitte gehandelt worden.


(292) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

§. 250.

Eide der Parteien, werden entweder von dem Gegentheile derselben, oder von dem Richter von Amts wegen erfordert.

Nothwendige Eide.

§. 251.

Der Richter kann den Bestärkungseid einer Partei nur alsdann abfordern, wenn eine streitige Thatsache auf andere Art nicht in ein zur Entscheidung hinreichendes Licht hat gesetzt werden können. Von diesen nothwendigen Eiden, welche der Richter von einer Partei fordert, wird in der Folge gehandelt werden.

Deferirte Eide. 1 ) In welchen Fällen die Eideidelation zulässig sey.

§. 252.

Den Parteien hingegen steht es frei, statt anderer Beweismittel über eine streitige Thatsache, sich der Zuschiebung des Eides an den Gegentheil zu bedienen. Die Fälle der Ausnahme, wenn nämlich über eine streitige Thatsache der Beweis durch den Eid nicht zulässig ist, sind durch besondere Gesetze bestimmt. (A. L. R. Th. I. Tit. XVI. §. 107.)

§. 253.

Wenn also, auch außer diesen ausdrücklich ausgenommenen, in den gewöhnlichen Fällen andere Mittel zur Aufklärung einer streitigen Thatsache vorhanden sind; so steht es dennoch der Partei, welche, zur Abkürzung der Sache und Ersparung der Kosten es auf die eidliche Bestärkung des Gegentheils ankommen lassen will, frei, statt der Aufnehmung dieser anderweitigen Beweismittel, ihrem Gegner den Eid zuzuschieben.

§. 254.

Da jedoch der Eid nicht nur an sich ein sehr bedenkliches Mittel zur Entdeckung der Wahrheit ist, sondern auch die allzu große Vervielfältigung der Eide eine dem gemeinen Besten höchst nachtheilige Geringschätzung derselben zur Folge hat; so muß der Richter eine solche Partei, welche es auf den Eid ihres


(293) Beweis durch den Eid.

Gegners ankommen lassen will, an die Bedenklichkeiten und rechtlichen Folgen, welche damit verbunden sind, und an die anderweitig vorhandenen Beweismittel erinnern.

Wenn aber die Partei dennoch auf der gewählten Eideszuschiebung beharrt, so wird nach Vorschrift des gegenwärtigen Abschnitts weiter verfahren.

§. 255.

Wenn eine Partei zum Beweise einer streitigen Thatsache der Eidesdelation sich bedienen will; der andere Theil aber auf anderweitige Beweismittel, wodurch die Wahrheit sicherer und zuverlässiger an den Tag gebracht werden kann, sich beruft: so soll mit Aufnehmung dieser anderweitigen Beweismittel verfahren werden. Wenn jedoch der Eid über Umstände deferirt worden, von welchem derjenige, welcher ihn leisten soll, aus eigener Wissenschaft unterrichtet seyn kann, und derselbe, anstatt den zugeschobenen Eid, durch welchen er zum Richter in seiner eigenen Sache gesetzt wird, anzunehmen oder zurück zu schieben, die Aufnehmung anderer Beweismittel verlangt; so soll eine solche Partei allemal, ohne Rücksicht auf den Ausfall der Hauptsache, die Kosten dieser Beweisaufnehmung allein zu tragen schuldig seyn. Auch soll dieselbe, wenn hiernächst durch die auf ihr Verlangen aufgenommenen anderweitigen Beweismittel die Sache nicht hinlänglich ins Licht gesetzt worden ist, fernerhin weder zur Annahme des deferierten und einmal abgelehnten, noch zur Ableistung eines Erfüllungseides gelassen werden.

2) Wer den Eid deferiren könne.

§. 256.

Zur Eidesdelation sind alle diejenigen berechtigt, welche nach Vorschrift der Gesetze zur Sache gehörig legitimirt sind. Die Verbindungen, in welchen die streitigen Theile mit einander stehen, machen hierunter keine Ausnahme; und können daher auch Kinder ihren Eltern, Unterthanen und Dienstboten ihrer


(294) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

 Herrschaft, den Eid zuschieben. Eine gleiche Befugniß steht auch den Ehegatten zu, wenn sie mit einander Prozeß führen, und zwar ohne Unterschied: ob der Eidesantrag die Fortsetzung oder die Trennung der Ehe bewirken soll.

§. 257.

Ein Bevollmächtigter, welcher eine Sache im Namen der abwesenden Partei vor Gerichte verhandelt, ist, vermöge des erhaltenen Auftrags, auch Eide zu deferiren und zurück zu schieben berechtigt. Die Behauptung, daß ein solcher Bevollmächtigter hierunter die Grenzen seines Auftrages überschritten habe, kann zwar eine Regreßklage wider ihn begründen; auf den Prozeß aber, in welchem ein solcher Eid zugeschoben worden ist, kann dieselbe keinen Einfluß haben.

§. 258.

Wenn Vormünder oder Vorsteher von Kirchen und milden Stiftungen von ihren vorgesetzten Behörden zur Verhandlung einer Sache überhaupt autorisirt sind, so bedarf es zu den Eidesdelationen derselben seiner besonderen Genehmigung. Sie bleiben aber diesen ihren Vorgesetzten verantwortlich, wenn etwa aus der unterlassenen Anzeige ein Nachtheil entsteht.

§. 259.

Fistalische Bediente hingegen müssen, wenn sie zur Eidesdelation greifen, die ausdrückliche Genehmigung desjenigen Kollegii beibringen, von welchem sie den Auftrag erhalten haben.

3) Wem der Eid deferirt werden könne.

§. 260.

Wenn eine Partei als wahn- oder blödsinnig, oder als taubstumm, unter Vormundschaft steht; so kann der Eidesantrag nur an deren Vormund gerichtet werden.


(295) Beweis durch den Eid.

§. 261.

Bei Minderjährigen und Verschwendern muß die Eidesdelation ebenfalls an deren Vormünder geschehen, so bald die Thatsache, worüber der Eid geleistet werden soll, so beschaffen ist, daß dem Vormunde der Grund oder Ungrund derselben aus eigener Wissenschaft bekannt seyn kann.

§. 262.

Auch ist die Eidesdelation nur an den Vormund eines solchen Minderjährigen zu richten, welcher das Achzehnte Jahr noch nicht zurück gelegt hat.

§. 263.

Bei Minderjährigen aber, welche dieses Alter schon überschritten haben, steht dem Gegner die Wahl zu: ob er den Eid von dem Vormunde, oder von dem Pflegbefohlenen fordern wolle.

§. 264.

Wenn der Pflegbefohlene zwar das Achzehnte Jahr noch nicht zurück gelegt hat, dennoch aber entweder dieser Zeitpunkt schon so nahe ist, daß aus dessen Abwartung kein merklicher Aufenthalt in der Sache erwächst; oder wenn, nach Bewandtniß der Umstände, die streitige Thatsache dem Pflegebefohlenen besser als dem Vormunde bekannt seyn kann: so ist der Gegentheil berechtigt, die Aussetzung des Eides bis nach zurück gelegtem Achzehnten Jahre des Pflegebefohlenen zu verlangen.

§. 265.

Die nochmalige Leistung eines von dem Vormunde geschworenen Eides kann dem Pflegbefohlenen niemals abgefordert werden.

§. 266.

Bei einem Prozesse mit einem Verschwender steht zwar ebenfalls, wenn nicht von einer eigenen Handlung des Vormundes die Rede ist, dem Gegentheile frei: ob er den Eidesantrag an den Vormund, oder an den Pflegbefohlenen selbst richten wolle. Wenn


(296) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

aber Letzteres geschieht, und der Vormund es auf den Eid des Pflegebefohlenen ankommen zu lassen Bedenken trägt; dagegen aber andere Beweismittel zur Aufklärung der streitigen Thatsache vorhanden sind: so steht dem Vormunde frei, die Aufnehmung der letztern zu verlangen, und finden in diesem Falle die §. 255. bestimmten nachtheiligen Folgen der Eidesablehnung nicht Statt. Betrifft der Prozeß, in welchem der Eid deferirt wird, Schulden des Verschwenders, die derselbe, es sey vor oder nach der Prodigalitätserklärung, aus Darlehnen oder gegebenem Kredit gemacht hat: so kann der Pflegbefohlene, wider den Willen des Vormundes, zum Eide nicht gelassen werden. Doch kann der Gegentheil verlangen, daß, ehe der Vormund schwört, der Pflegebefohlene über den Gegenstand des Eides vernommen, und die Aussagen desselben dem Vormund, zu seiner Beherzigung, vorgehalten werden.

§. 267.

Wenn Kirchen, Schulden, Hospitäler, oder andere milde Stiftungen, in den Prozeß verwickelt sind: so muß der Eidesantrag an die Vorsteher derselben gerichtet werden. Kann von mehreren Vorstehern nur einer den Eid aus eigener Wissenschaft ableisten, so ist es genug, wenn nur dieser schwört. Können hingegen mehrere, oder alle, aus eigener Willenschaft (de veritate) schwören; oder können alle nur ihr Nichtwissen von der streitigen Thatsache (de ignorantia) eidlich erhärten: so muß der Gegentheil denjenigen auswählen, der seiner Meinung nach von der Sache am besten unterrichtet ist, und dieser kann die Ableistung des Eides unter dem Vorwande, daß ein Anderer bessere Kenntniß davon habe, nicht von sich ablehnen.

§. 268.

Fiskalische Bediente sind den in einem Prozesse gegen den Fiskus ihnen zugeschobenen Eid, wenn


(297) Beweis durch den Eid.

er nicht etwa ihre eigenen Handlungen betrifft, allemal nur de ignorantia zu leisten verbunden.

§. 269.

Wenn mehrere als Mitberechtigte oder Mitverpflichtete in den Prozeß verwickelt sind, so muß der Eidesantrag an sämmtliche Theilnehmer gerichtet werden. Doch hängt es von dem Deferenten ab, den Eid auch nur von einem oder etlichen Theilnehmern im Namen der übrigen zu verlangen.

§. 270.

Wenn von einer Stadt- oder Dorfgemeinde, von einem Kollegio, oder einer andern Korporation, ein Eid zu leisten ist: so steht dem Gegner frei, drei bis vier Mitglieder, und unter diesen auch den Eyndikus des Kollegii, oder den Stadtschreiber, wenn es einen Magistrat betrifft, zur Leistung des Eides aufzufordern.

§. 271.

Benennt der Gegentheil seine Mitglieder, so müssen die ältesten den Jahren nach, oder diejenigen, die nach den Umständen die beste Wissenschaft von der Sache haben können, dazu abgeordnet werden; und wird angenommen, daß der Gegentheil, durch die unterlassene Benennung, die Auswahl dem Gewissen der Gemeine, oder des Kollegii (et)c. anheim gestellt habe.

§. 272.

Sollte der Gegentheil solche Mitglieder, denen die wenigste Wissenschaft von der Sache beiwohnt, und die also den Eid abzuleisten Anstand nehmen, gewählt haben: so muß der Richter diejenigen, welche schwören sollen, nach vernünftigem Ermessen, selbst und von Amts wegen aussuchen.

§. 273.

Wenn Hüfner, Kossaten, Handfröhner, Dreschgärtner, Inlieger, oder andere dergleichen Personen, die seine Gemeine ausmachen, einen Eid schwören


(298) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

sollen; und es ist von einer untheilbaren Sache die Rede: so muß die Ableistung des Eides durch drei oder vier aus ihrer Mitte, so wie bei Kommunen verordnet ist, geschehen. Betrifft aber der Streit eine theilbare Sache, so sind sie als Litiskonsorten zu betrachten, und der Eid muß Allen angetragen, und, wenn er angenommen wird, von Allen geleistet werden.

§. 274.

Eben das findet auch in dem Falle Statt, wenn einer Gemeine der Eid über eine theilbare Sache zugeschoben wird, und der Gegner ausdrücklich verlangt, daß alle Mitglieder denselben leisten sollen.

§. 275.

Wenn eine Kommune anfänglich nur durch Deputirte zum Eid gelassen worden ist, und einige derselben den Eid ableisten, andere hingegen, oder auch nur Einer von ihnen, die Ableistung verweigert, die Sache oder das Recht aber, worüber gestritten wird, sind theilbar; so müssen die sämmtlichen Mitglieder darüber: ob sie schwören wollen, oder nicht, vernommen und der Eid von allen, welche dazu erbötig sind, geleistet werden. Diejenigen, welche nicht schwören wollen, müssen sich die rechtlichen Folgen davon für ihren Theil gefallen lassen.

§. 276.

Ist der Gegenstand des Prozesses untheilbar; und einer oder einige der zur Leistung des Eides abgeordneten Mitglieder sind dazu bereit, andere aber nicht; so muß der Instruent die Letztern über die Ursache ihrer Weigerung vernehmen. Besteht dieselbe in einem Religionsskrupel, oder darin, weil ihnen von der Thatsache, worüber geschworen werden soll, gar nichts bekannt ist; so müssen sie an Eidesstatt bekräftigen, daß dieses die einzige Ursache sey, welche sie von der Ableistung des Eides zurück halte; und alsdann müssen an ihrer Stelle eben so viel andere


(299) Beweis durch den Eid.

Mitglieder der Gemeine, oder des Kollegii, ernannt oder ausgesucht werden.

§. 277.

Besteht aber die Weigerung ihrer Ursache darin, daß ihnen Umstände bekannt sind, wodurch die zu beschwörende Thatsache entweder zweifelhaft gemacht wird, oder woraus gar das Gegentheil derselben zu entnehmen wäre; so muß der Instruent sie darüber umständlich examiniren, und die andern Mitglieder, welche schwören wollen, darüber gleichfalls vernehmen. Bestehen Letztere dennoch auf der Leistung des Eides, so müssen die Akten dem Kollegio vorgelegt werden, welches näher beurtheilen muß: in wie fern die Untersuchung, nach der gegenwärtigen Lage der Sache und den etwa angegebenen neuen Datis, ferner fortgesetzt, oder die Entscheidung: ob die Gemeine für sachfällig zu achten, oder noch durch andere Mitglieder zum Eide zu lassen sey, dem künftigen Haupterkenntnisse vorbehalten werden solle.

§. 278.

Wenn der Richter bei Abfassung des Erkenntnisses keine überwiegenden Gründe, sich für eins oder das Andere zu bestimmen, findet; so steht ihm frei, zu verordnen, daß die sämmtlichen Mitglieder der Gemeine, Mann für Mann, darüber: ob sie den Eid leisten wollen, vernommen, und sodann, nach der Mehrheit der Stimmen, entweder der Eid von denjenigen, welche diese Mehrheit ausmachen und dazu erbötig sind, im Namen der ganzen Gemeine abgeleistet, oder weil die Mehrheit nicht schwören will, die ganze Gemeine dafür, daß sie den Eid nicht leisten könne, geachtet werden solle.

§. 279.

Wenn über eine cedirte Forderung gestritten wird, oder sonst der vorige Eigenthümer der streitigen Sache zugezogen werden muß; so finden in Anlehnung der Eideszuschiebung und Leistung die Vorschriften


(300) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

(Vorschrif)ten des Siebzehnten Titels von der Litisdenunciation Anwendung.

§. 280.

In Konkursen kann weder ein Schuldner noch Gläubiger der Masse dem Gemeinschuldner, weder über die Wahrheit und den Betrag, noch über das Vorzugsrecht der streitigen Forderung, den Eid zuschieben; wohl aber kann er denselben bloß als Zeugen über die streitigen Thatsachen abhören lassen.

§. 281.

Auch kann weder ein Gläubiger dem andern, noch ein Schuldner der Masse einzelnen Gläubigern den Eid antragen; sondern alle Eidesdelationen finden nur zwischen dem Kurator der Masse und den Schuldnern derselben, oder denjenigen einzelnen Gläubigern, von deren Ansprüchen die Rede ist, wechselseitig Statt.

§. 282.

Glaubt ein Schuldner der Masse, oder ein einzelner Gläubiger, der über die Richtigkeit einer Thatsache mit dem Kurator streitet, daß einer oder der andere Mitgläubiger davon aus eigener Kenntniß unterrichtet sey; so steht es ihm, wie in dem Falle des §. 280., frei, denselben als Zeugen abhören zu lassen.

§. 283.

Es versteht sich von selbst, daß der Kurator die im Konkurs ihm angetragenen Eide, in so fern sie nicht etwa seine eigenen Handlungen betreffen, nur de ignorantia zu leisten verbunden sey.

4) Wer deferirte Eide schwören könne.

§. 284.

Zur Ableistung eines von dem Gegner angetragenen oder zurück geschobenen Eides ist eine jede Partei zu verstatten; selbst wenn sie wegen begangenen Meineides oder anderer Verbrechen für ehrlos, oder sonst für unfähig erklärt worden ist, einen nothwendigen Eid zu leisten; indem es bei solchen Eidesdelationen


(301) Beweis durch den Eid.

oder Zurückschiebungen lediglich auf den Willen des Gegners ankommt, in wie fern er sich dieses Beweismittels bedienen wolle.

5) Wer Eide erlassen könne.

§. 285.

Einen angenommenen Eid zu erlassen, oder für geschworen anzunehmen, sind nur solche Parteien berechtigt, denen die freie Verfügung über den streitigen Gegenstand zukommt. Bevollmächtigte müssen dazu mit einer besondern ausdrücklichen Vollmacht; Vormünder, Vorsteher, Fiskäle (et)c. müssen mit der ausdrücklichen Genehmigung ihrer vorgesetzten Behörde versehen sein.

6) Wann die Eidesdelation geschehen müsse.

§. 286.

Wenn sich jemand zum Beweise einer Thatsache der Eidesdelation bedienen will, so muß er dieses, wenn er Kläger ist, der Regel nach, gleich bei Aufnehmung der Klage, so wie der Beklagte gleich bei deren Beantwortung, anzeigen.

§. 287.

Doch ist den Parteien verstattet, über Umstände, welche erst bei ihrer Vernehmung im Instruktionstermine vorkommen, auch alsdann noch den Eid zu deferiren; ingleichen, wenn sie vorhin, zum Beweise einer streitigen Thatsache, Zeugen oder Urkunden in Vorschlag gebracht haben, davon vor der erfolgten Aufnehmung dieser Beweismittel, wenn sie besorgen, daß selbige zur Ausmittelung dieser Thatsache nicht hinreichend sein werden, wiederum abzugehen und es auf den Eid des Gegentheils ankommen zu lassen. Letzterer aber kann, wenn er den Eid anzunehmen oder zurück zu schieben bedenklich findet, die Aufnehmung der von dem Gegner selbst anfänglich vorgeschlagenen Beweismittel nach Vorschrift §. 255., jedoch nur unter den eben daselbst festgesetzten Maaßgaben, verlangen.


(302) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

§. 288.

Wenn hingegen dergleichen andere Beweismittel bereits aufgenommen sind, so kommt es darauf an: ob durch diese Beweismittel das Gegentheil der Thatsache, die durch den geführten Beweis wahr gemacht werden sollen, dargethan sey, oder nicht. Ist das Gegentheil ausgemittelt, so findet ferner keine Eidesdelation über eben dieselben Thatsachen Statt. Ist aber die streitige Thatsache durch die aufgenommenen Beweismittel weder auf diese noch auf jene Seite vollständig aufgeklärt worden, sondern dergestalt im Dunkeln geblieben, daß sie weder für zuverlässig wahr, noch für zuverlässig falsch angesehen werden kann; so steht demjenigen, welcher in einer solchen Thatsache sich gegründet hat, frei, sich darüber noch der Eidesdelation zu bedienen. Doch muß dieses spätestens in dem Termine zum Schlusse der Sache geschehen, und kann auf eine später angebrachte Eidesdelation, für diese Instanz, keine Rücksicht weiter genommen werden.

§. 289 a.

Hingegen steht es demjenigen, welcher in einer Thatsache sich gegründet hat, frei, dem Gegentheil auch in der zweiten Instanz den Eid darüber zu deferiren, wenn diese Thatsache in dem Urtel erster Instanz bloß für unerwiesen, oder nicht vollständig erwiesen angenommen worden ist. Hat aber der erste Richter gefunden, daß das Gegentheil der allegirten Thatsache durch den angenommenen Beweis dargethan worden ist; so findet in der zweiten Instanz keine Eidesdelation darüber ferner Statt, sondern es bleibt nur dem Appellations- und Revisionsrichter vorbehalten, in so fern er es zur vollständigen Aufklärung der Sache, aber auch zur Hebung der gegen einen oder den andern Theil obwaltenden Vermuthungen, nöthig findet, demselben, ohne U(nterschied ob er Kläger)


(303) Beweis durch den Eid.

oder Beklagter sey, einen nothwendigen Eid darüber im Erkenntnisse abzufordern.

§. 289 b.

Wird in erster Instanz eine Thatsache für völlig erwiesen angenommen, so kann demjenigen, welcher darin sich gegründet hat, in den folgenden Instanzen kein Eid darüber zugeschoben werden; sondern es hängt lediglich vom richterlichen Ermessen ab: in wie fern von ihm noch ein nothwendiger Eid zu fordern sey. (§. 289 a.)

§. 290.

Wenn eine Thatsache aus mehreren Umständen zusammen gesetzt ist, z. B. wenn mehrere Actus possessorii, wodurch Jemand ein Recht mittelst der Verjährung erworben haben will, darzuthun sind; so kann über einige derselben der Beweis durch Urkunden oder Zeugen geführt, über andere aber der Eid deferirt werden.

7)Von der Annahme und Zurückschiebung der Eide.

§. 291.

Ein deferirter Eid muß, außer dem §. 255. bestimmten Falle, entweder angenommen und abgeleistet, oder dem Deferenten zurück geschoben werden.

§. 292.

Die Zurückschiebung eines deferirten Eides findet

1) niemals Statt, wenn der Fiskus seinem Gegner einen Eid angetragen hat.

2)Wenn einem fiskalischen Bedienten, ingleichen einem Vormunde, oder dem Vorsteher einer Kirche, Schule, oder andern milden Stiftung, ein Eid de ignorantia angetragen worden ist; so muß derselbe, wenn er ihn zurück schiebt, die ausdrückliche Genehmigung der vorgesetzten Behörde nachweisen.

§. 293.

Wenn unter mehreren Litiskonsorten, oder unter mehreren Mitgliedern eines Kollegii, einer Korporation,


(304) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

oder Gemeine, einige den zugeschobenen Eid annehmen, andere aber denselben zurückschieben wollen; so muß zuvörderst darauf gesehen werden: ob nur der Deferirte, oder nur der zurück geschobene Eid, de veritate geleistet werden könne. In diesem Falle wird derjenige Theil zum Eide gelassen, welcher denselben aus eigener Kenntniß und Wissenschaft ableisten kann.

Können aber beide Theile de veritate, oder beide nur de ignorantia schwören; so muß mit der Eidesleistung Anstand genommen, und dem künftigen Haupterkenntnisse die Bestimmung: von welcher Partei, vorkommenden Umständen nach, der Eid geschworen werden solle? überlassen werden.

Damit der Richter hierüber einen zweckmäßigen Schluß fassen könne, so müssen diejenigen Mitglieder, welche den Eid nicht annehmen, sondern zurück schieben wollen, nach Vorschrift des §. 276. näher vernommen, und sodann nach den §. 274-278. vorgeschriebenen Grundsätzen, wie in dem Falle, wenn von mehreren Litiskonsorten oder Deputirten einer Korporation oder Gemeine, einige den bereits angenommenen Eid ableisten wollen, andere aber sich dessen weigern, verfahren werden.

§. 294.

Nach erfolgter Annahme eines zugeschobenen Eides ist die Zurückschiebung desselben nicht mehr erlaubt. Wenn jedoch in dem zur Ableistung desselben anstehenden Termine derjenige, welcher den Eid zugeschoben hat, dem andern, welcher ihm schwören soll, Beweismittel, woraus das Gegentheil dessen, was geschworen werden soll, hervor zu gehen scheint, z. B. Urkunden, oder von Zeugen an Eides Statt ausgestellte Atteste vorlegt, die den Acceptanten zweifelhaft machen: ob er auch den angenommenen Eid mit gutem Gewissen leisten könne; so soll demselben noch erlaubt sein, ihn entweder dem Gegentheile


(305) Beweis durch den Eid.

zurück zu schieben, oder die Aufnehmung der von dem Gegner selbst angezeigten Beweismittel zu verlangen, ohne daß deswegen die §. 255. bestimmten nachtheiligen Folgen der Eidesablehnung wider ihn Anwendung finden können.

8) Wann die Acceptation oder Relation geschehen müsse.

§. 295.

Die Erklärung über die Annahme oder Zurückschiebung eines Eides ist im Termine selbst, wenn nach regulirtem Statu controversiae die vorhandenen Beweismittel mit den Parteien durchgegangen werden, abzugeben.

§. 296.

Wenn der Eid referirt wird, so muß der, welchem die Zurückschiebung geschiehe, sich über die Acceptation sofort erklären, und findet deshalb keine Bedenkzeit Statt. Daher muß eine Partei, wenn sie nicht in Person gegenwärtig ist, den Bevollmächtigten jedesmal zugleich instruiren: wie er sich bei erfolgender Eidesrelation zu verhalten habe.

9) Wer pro jurare nolente zu achten sey.

§. 297.

Wenn derjenige, welcher den Eid ableisten soll, entweder erklärt, daß er selbigen nicht schwören könne, oder seine Erklärung darüber abzugeben verweigert; so ist er für einen solchen, der nicht schwören kann oder will (pro jurare nolente) zu achten, und mit der Instruktion der Sache, so fern es nöthig ist, weiter zu verfahren.

Auch wenn die Ableistung eines Eides im Laufe der Instruktion noch nicht erfolgen, sondern die Frage: ob es dieses Eides bedürfe? noch erst in dem künftigen Haupterkenntnisse mit bestimmt werden soll, muß dennoch die Erklärung darüber noch vor dem Schlusse der Instruktion abgegeben werden; also, daß, wenn dieses nicht geschehen ist, und der Richter im Haupterkenntnisse findet, daß es auf den Eid wirklich ankomme, derjenige, welcher sich darüber hätte erklären sollen, pro jurare nolente geachtet, und


(306) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

die rechtliche Wirkung davon in dem Urtel unter einem festgesetzt werden muß.

10) Vom Widerrufe deferirter Eide.

§. 298.

Ein deferirter Eid kann, nach erfolgter Acceptation, nicht mehr widerrufen werden.

Wenn jedoch der Deferent, nach der Acceptation, vor oder in dem Schwörungstermine selbst, Beweismittel, woraus das Gegentheil dessen, was geschworen werden soll, hervor zu gehen scheint, es seyen nun Urkunden, oder von Zeugen an Eides Statt ausgestellte Atteste, bei- brächte; so müssen selbige dem Gegentheile vorgelegt, und, wenn er nichts desto weniger auf Ableistung des Eides besteht, die Abnahme desselben ausgesetzt, die Lage der Sache dem Kollegio angezeigt, und von diesem festgesetzt werden: ob mit der Aufnehmung dieser Beweismittel oder mit Ableistung des Eides zu verfahren sey.

§. 299.

Hat das Gericht die Aufnehmung der Beweismittel verfügt, und es ergiebt sich in der Folge, daß das Gegentheil von dem, was geschworen werden sollen, dadurch gar nicht ausgemittelt worden; so kann der Deferent auf die einmal zurück genommene Eideszuschiebung nicht wiederum antragen. Vielmehr muß er in dem künftigen Haupterkenntnisse, außer dem Ersatze der Kosten, mit nachdrücklicher Geld-, oder im Unvermögensfalle, mit verhältnismäßiger Gefängnißstrafe belegt werden.

Ist hingegen durch die nachgebrachten Beweismittel das Gegentheil von dem, was der Acceptant beschwören wollen, vollständig ausgemittelt; so muß der Richter nach Beschaffenheit der Umstände, und je nachdem der Acceptant von dem, was er beschwören wollte, aus eigener Wissenschaft unterrichtet sein konnte, oder nicht, beurtheilen: in wie fern das Erbieten zur Eidesleistung für die Anzeige eines versuchten


(307) Beweis durch den Eid.

Meineides zu achten, und also deswegen mit besonderer peinlicher Untersuchung zu verfahren sey.

Ist durch die nachgebrachten Beweismittel die Thatsache, über die geschworen werden sollte, nur zum Theil ausgemittelt; so hängt es von richterlicher Beurtheilung ab, welcher von beiden Parteien noch ein nothwendiger Eid aufzulegen sein werde.

§. 300.

Obige Vorschriften (§. 298. 299.) betreffen jedoch nur den Fall, wenn ein angenommener Eid, während des Laufes der Instruktion, unter Vorschützung anderer vorhandener Beweismittel, widerrufen werden will. Ist hingegen über die Erheblichkeit des Eides gestritten, und daher die Ableistung desselben ausgesetzt, in der Folge aber auf den Eid wirklich erkannt worden; so muß zwar, wenn der Deferent alsdann erst anderweitige Beweismittel beibringt, die Vorlegung derselben an denjenigen, welcher schwören soll, auch in diesem Falle geschehen; und dieser kann, wenn ihm aus sothanen Beweismitteln Zweifel und Bedenklichkeiten entstehen, den Eid nach Vorschrift §. 294. noch zurück schieben. Wenn er aber auf der Ableistung des erkannten Eides besteht, so streitet die Vermuthung für ihn, daß, bei allem Anscheine der gegenseitigen Beweismittel, die Sache sich dennoch so, wie er dieselbe beschwören will, wirklich verhalte. Er muß also zur Ableistung des rechtskräftig erkannten Eides gelassen, und es kann mit der Aufnehmung der anderweitigen Beweismittel nicht verfahren werden; sondern es bleibt nur, nach Maaßgabe des Inhalts und der Glaubwürdigkeit dieser anderweitigen Beweismittel, die besondere Untersuchung gegen den Schwörenden, wegen begangenen Meineides, vorbehalten. Es muß daher, wenn bei anderweitig beigebrachten Beweismittel nicht unerhebliche Anzeigen von der Wahrheit des Gegentheils dessen, was geschworen werden soll, an


(308) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

die Hand geben, dem, welcher schwören will, darüber besondere und nachdrückliche Vorhaltung geschehen; auch müssen ihm die in den Gesetzen auf den Meineid verordneten schweren Strafen bestimmt und ausdrücklich bekannt gemacht werden.

§. 301.

Von obiger Regel, daß nämlich ein zugeschobener Eid nach erfolgter Annahme nicht widerrufen werden könne (§. 296.), finden folgende Ausnahmen Statt:

1) wenn die den Eid zuschiebende Partei erst nachher in Erfahrung bringt, daß ihr Gegner für ehrlos, oder für unfähig, nothwendige Eide zu schwören, erklärt worden ist;

2) wenn der Gegner zu denjenigen Personen gehört, welche nach §. 203. Nr.5. von der Eidesleistung, nach gewöhnlichem Gerichtsbrauche, ihres Glaubensbekenntnisses wegen dispensirt sind, und der Deferent zur Zeit der Eideszuschiebung davon keine Wissenschaft gehabt hat;

3) wenn der Gegentheil vor der Annahme verstorben ist, und seine Erben den Eid acceptiren.

In diesen Fällen muß der Zuschiebende, so bald dergleichen Umstände zu seiner Kenntniß gelangen, dem Gerichte anzeigen: ob und was für andere Beweismittel er in Vorschlag bringen könne; welchenfalls ihm der Widerruf des Eides gestattet wird.

§. 302.

Ist ein Eid einmal widerrufen, und sind andere Beweismittel zur Aufklärung des streitigen Fakti angegeben worden; so findet nach deren Aufnahme die Wiederholung der Eidesdelation nicht weiter Statt, sondern es kommt, wie in dem Falle des §. 289., lediglich darauf an: ob der Richter, zu mehrerer Aufklärung und Ueberzeugung, noch von dem einen oder dem andern Theile die Ableistung eines Eides zu erfordern nöthig finde.

(309) Beweis durch den Eid.

§. 305.

Ein zurück geschobener Eid kann zwar in den Fällen des §. 301.ebenfalls widerrufen werden: doch kann auch in diesen Fällen derjenige, welcher einen ihm angetragenen Eid einmal zurück geschoben hat, sich zur eigenen Ableistung desselben nicht mehr erbieten; sondern er ist bloß berechtigt, die Aufnehmung der etwa sonst vorhandenen Beweismittel, ohne Besorgniß des §. 255. bestimmten Nachtheils, zu verlangen.

11) Normirung des Eides.

§. 304.

Die Formel des abzuleistenden Eides muß von dem Instruenten, mit Zuziehung der Rechtsbeistände, entworfen werden; und er muß sich dabei zwar im Wesentlichen nach der geschehenen Zuschiebung richten: auf unerhebliche, zur Sache nicht gehörige Nebenumstände aber, welche von dem Deferenten etwa mit eingemengt worden sind, keine Rücksicht nehmen.

Anh. §. 89. Die Gerichte müssen zugleich dahin sehen, daß sowohl überhaupt, als insbesondere in Injuriensachen, Sponsalien und Ehescheidungssachen jeder unanständige, die Ehrbarkeit beleidigende oder zum Gespötte Anlaß gebende Ausdruck sorgfältig vermieden werde. In Fällen, wo es auf dergleichen Aeußerungen ankommt, sind daher die Eidesformeln bezugsweise auf die vor der Ableistung dem Schwörenden bekannt gemachten Gegenstände zu richten.

12) Abnahme und Ableistung des Eides.

§. 305.

Nach obigen Vorschriften (§. 286. u. f.) muß also ein deferirter Eid während der Instruktion schlechterdings entweder angenommen oder zurück geschoben, und, wenn Letzteres geschieht, die Erklärung über dessen Annahme von dem Deferenten sofort abgegeben werden. Ist bei der Erheblichkeit der Thatsache, welche durch den Eid ausgemittelt werden soll, an sich kein Zweifel; sind die Parteien darüber einig, welcher von ihnen schwören soll, und ist auch die Formel, nach welcher der Eid zu leisten ist, nicht streitig: so muß mit der wirklichen Abnahme desselben


(310) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

noch vor dem gänzlichen Schlusse der Instruktion verfahren werden.

§. 306.

So bald aber, es sey über die Erheblichkeit der Thatsache, welche beschworen werden soll; oder über die Person, welche den Eid zu leisten hat; oder über die Formel desselben Streit oder Bedenken obwaltet, so kommt es darauf an:

ob die Abnahme des Eides füglich ausgesetzt bleiben könne, ohne dadurch in der Instruktion überhaupt einen Aufenthalt zu verursachen?

oder:

ob der Umstand, welcher durch den Eid ausgemittelt werden soll, so beschaffen sey, daß die weitere Fortsetzung der Instruktion von dessen Erörterung abhänge.

§. 307.

Im erstern Falle muß der Instruent sich damit begnügen, die Erklärungen über den Eid und dessen Formel bestimmt und umständlich aufzunehmen. Der, welcher schwören soll und will, muß also, wenn über die Formel des Eides gestritten wird, bestimmt angeben, wie er den Eid ableisten, und welche von dem Deferenten in den Antrag mit aufgenommenen Umstände er in die Eidesformel mit hinein nehmen könne und wolle oder nicht. Eben so müssen die übrigen Gründe, welche die Parteien zur Unterstützung ihrer Behauptungen über den bei dem Eide streitigen Punkt anführen, in dem Protokolle verzeichnet werden; die wirkliche Ableistung des Eides aber bleibt bis nach dem Haupterkenntnisse ausgesetzt. In diesem muß der Richter sowohl den wegen des Eides selbst entstandenen Streit entscheiden, und zugleich festsetzen: ob und wie nun der Eid geschworen werden, und was es für rechtliche Wirkung haben solle, wenn derselbe solchergestalt abgeleistet wird, oder nicht. Wenn also z. B. der Beklagte


(311) Beweis durch den Eid.

die eingeklagte Forderung einräumt, derselben aber den Einwand eines stillschweigend geschehenen Erlasses entgegen setzt, und über die Thatsache, woraus dieser Erlaß gefolgert werden soll, den Eid zuschiebt; der Kläger hingegen die Thatsache zwar läugnet, und den darüber zugeschobenen Eid annimmt, zugleich aber behauptet, daß aus dieser Thatsache, wenn sie auch richtig wäre, kein Erlaß rechtlich gefolgert werden könne: so ist es genug, wenn der Instruent die bestimmte Erklärung des Klägers, daß und wie er den Eid allenfalls leisten wolle, zum Protokolle nimmt; womit alsdann die Instruktion geschlossen und die Ableistung des Eides ausgesetzt wird. Findet nun der Richter, daß die angegebene Thatsache, wenn sie auch wahr wäre, dennoch den Einwand der Remission nicht begründen würde; so erkennt er, mit Uebergebung des zugeschobenen Eides, sogleich auf die Bezahlung der eingeklagten Schuld. Findet er aber im Gegentheile, daß, wenn die wirklich angegebene Thatsache richtig wäre, ein wirklich geschehener Erlaß daraus rechtlich folgen würde; so erkennt er auf die Ableistung des Eides, und setzt zugleich die Wirkung auf die beiden Fälle, wenn derselbe geschworen wird, oder nicht, fest.

§. 308.

Wenn aber der Umstand, welcher durch den Eid ausgemittelt werden soll, so beschaffen ist, daß die weitere Einleitung und Fortsetzung der Instruktion von der Erörterung desselben abhängt, z. B. wenn in dem angegebenen Beispiele der Beklagte die zum Grund der Klage angeführten Thatsachen läugnet, und nur auf den Fall, daß diese dargethan werden könnten, den Einwand der stillschweigenden Remission entgegen setzt; folglich davon: ob durch den deferirten Eid die Richtigkeit des Einwandes dargethan werde oder nicht? die Bestimmung abhängt: in wie fern die Thatsachen, auf welchen die Klage beruhet,


(312) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

zu instruieren seyn werden, oder unerörtert gelassen werden können; so ist ein Unterschied zu machen: ob der Prozeß, in welchem ein solcher Fall sich ereignet, bei einem Gerichte, welches ein ordentlich formirtes Kollegium ausmacht, oder nur bei einem kleinern Untergerichte schwebe. Schwebt der Prozeß bei einem ordentlich formirten Gerichte, so muß der Instruent, wenn er die bestimmten Erklärungen der Parteien: ob und wie der Eid allenfalls geschworen werden könne, oder solle, aufgenommen hat, die Akten zum Vortrag bei dem Kollegio einreichen; welcher Vortrag alsdann durch den ordentlichen Decernenten nach Vorschrift §. 47. 48. 49. erfolgen, und ein Konklusum darüber abgefaßt werden muß.

Das Kollegium muß dabei mit reiflicher Erwägung aller Umstände darauf Rücksicht nehmen:

ob die Instruktion, welche auf den Fall nöthig seyn würde, wenn der durch den Eid auszumittelnde Umstand vor der Hand unerörtert bliebe, ohne besondern Zeit- und Kostenaufwand bewerkstelligt werden könne;

oder:

ob diese Instruktion mit einem solchen beträchtlichen Zeit- und Kostenaufwande verbunden seyn, und es dessen nicht bedürfen würde, wenn durch den zugeschobenen Eid die streitige Thatsache als richtig ausgemittelt werden könnte.

Erstern Falls,

wenn nämlich die Instruktion, welche für den Fall nöthig ist, wenn der Punkt wegen des Eides vor der Hand unerörtert bleibt, nicht mit besondern Weitläufigkeiten und Kosten verbunden wäre: z. B. wenn in dem gegebenen Beispiele das zum Grunde der Klage liegende Faktum durch Abhörung der an Ort und Stelle gegenwärtigen Zeugen sofort ins Licht gesetzt werden kann;


(313) Beweis durch den Eid.

muß das Kollegium die Fortsetzung der Instruktion verfügen, und den Punkt wegen des Eides dem künftigen Erkenntnisse vorbehalten.

Im letztern Falle hingegen,

wenn die Aussetzung des Eides eine sehr weitläufige und kostbare Instruktion nöthig machen würde, welche ganz vermieden werden könnte, wenn das Faktum, worüber der Eid deferirt worden ist, richtig wäre;

muß das Kollegium den unter den Parteien über den Eid entstandenen Streit durch sein Konklusum entscheiden, und bei diesem Schlusse muß es für die gegenwärtige Instanz schlechterdings sein Bewenden haben; obgleich übrigens in der Sache selbst; so wie durchgehends, also auch darüber: in wie fern die Thatsache und der darüber geleistete Eid erheblich sind, oder nicht, und was daraus rechtlich folge? dem Richter in diesen und folgenden Instanzen sein pflichtmäßiger Befund unverschränkt bleibt.

Ereignet sich hingegen der Fall, daß während der Instruktion ein wegen eines Eides entstandener Streit durch ein solches vorläufiges Konklusum entschieden werden muß, bei einem kleinern Untergerichte, welches kein formirtes Kollegium ausmacht: so muß der Unterrichter, wenn er sich mit den Parteien und deren Beiständen über den wegen des Eides streitigen Punkt nicht vereinigen kann, die Entscheidung bis zum Erkenntnisse aussetzen, und unterdessen mit der Aufnehmung der übrigen Instruktion verfahren.

§. 309.

Dem Schwörenden ist keine eigenmächtige Abänderung der einmal feststehenden Eidesformel, noch auch eine willkührliche Auslegung derselben, erlaubt. Weit weniger aber kann ihm gestattet werden, durch heimliche Zusätze oder Auslassungen (reservationes mentales) den Sinn der Worte zu verdrehen. Eine


(314) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

eigenmächtige Erklärung des Eides, wodurch demselben ein Sinn beigelegt wird, welcher den vorhergegangen Verhandlungen nicht gemäß ist, kann den Schwörenden von der Strafe des Meineides niemals befreien.

§. 310.

Soll jemand eidlich erhärten, daß er ein gewisses Quantum zu fordern habe: so steht ihm frei, im Schwörungstermine selbst den Eid auf eine mindere Summe zu richten; auf ein höheres Quantum aber kann er denselben nicht erweitern.

§. 311 a.

Soll hingegen jemand, ein gewisses Quantum schuldig zu seyn, eidlich ablehnen; so muß er entweder schwören: daß er gar nichts schuldig sey; oder, wenn er ein geringeres Quantum eingesteht, so muß der Eid dahin: daß er den Gegentheile nicht mehr, als er nachgegeben hat, schuldig geworden sey, gerichtet werden.

§. 311 b.

Wenn durch den Eid zwei oder mehrere Thatsachen abgelehnt werden sollen, die nur dann, wenn sie insgesammt richtig wären, die rechtliche Folge, auf die es ankommt, begründen würden; so muß der Schwörende, wenn er auch eine oder die andere dieser Thatsachen einräumt, dennoch zur eidlichen Ablehnung der übrigen zugelassen werden.

13) Von dem Eide de ignorantia.

§. 312.

Wenn jemandem über eine Thatsache, wovon er aus eigener Wissenschaft nicht unterrichtet seyn kann, der Eid zugeschoben wird; so muß er, wie sich von selbst versteht, schon im Verfahren Alles, was ihm von diesem Fakto bewußt ist, angegeben haben; und alsdann darf er den Eid nur de ignorantia ableisten.

§. 313.

Es muß daher in einem solchen Falle der Instruent demjenigen, welcher schwören soll, Alles, was


(315) Beweis durch den Eid.

über die streitige Thatsache in den Akten bisher schon vorgekommen ist, nochmals vorhalten; ihn befragen, ob er sich auch die erforderliche Mühe gegeben habe, von dem wahren Hergange oder der Beschaffenheit der Sache Nachricht einzuziehen: z. B. ob er die zu dem Gute gehörigen Urkunden und Rechnungen, die Briefschaften seines Erblassers u. s. w., darüber nachgesehen; bei Personen, die seines Dafürhaltens davon Wissenschaft haben können, deshalb Erkundigung eingezogen habe u. s. w.; und wenn er sodann bei der Ableistung des Eides beharret, so muß er selbigen, wenn dadurch die Unrichtigkeit einer Thatsache ausgemittelt werden soll, dahin schwören: daß er, alles angewandten Fleißes ungeachtet, weiter nichts von der Sache habe in Erfahrung bringen können, und er also nicht wisse, daß u. s. w. Soll durch einen dergleichen Eid die Richtigkeit einer Thatsache ausgemittelt werden, so ist derselbe dahin zu richten: daß der Schwörende, außer den zu den Akten von ihm angezeigten, oder in denselben ausgemittelten Umständen, von der Sache nichts wisse, auch aller angewendeten Nachforschungen ungeachtet, nichts erfahren habe, wodurch die Behauptung,

daß (et)c.

widerlegt würde.

14) Verfahren bei der Ableistung des Eides.

§. 314.

Die Ableistung des Eides muß von der Partei in Person geschehen; die Vertretung durch einen Bevollmächtigten ist nicht anders, als mit ausdrücklicher Bewilligung des Gegentheils, zulässig.

§. 315.

Der Schwörende muß den Eid mit nachgesprochenen Worten, und in der nach dem Gerichtsbrauche üblichen Stellung ableisten. Nur allein bei fürstlichen Personen, bei Mennoniten, und anderen Religionsverwandten, welche unter der ausdrücklichen Erlaubniß, keinen körperlichen Eid leisten zu dürfen,


(316) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

im Staate aufgenommen sind, ingleichen wegen der Tauben und Stummen, finden die Vorschriften §. 203. Nr. 1. 5. u. 6. und §. 227. Nr. 3. auch bei solchen Eidesleistungen Statt.

§. 316.

Der Eid wird mit den Worten:

Ich . . . . schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, daß (et)c.

eröffnet, und am Schlusse desselben wird die nach Unterschied der verschiedenen christlichen Religionsparteien übliche Bekräftigungsformel beigefügt.

15)Eide der Juden.

§. 317.

Alle Eide der Juden, die ihnen von dem Gegetheil zu- oder zurück geschoben, oder von dem Richter auferlegt worden sind, sollen in der Synagoge, oder Schule, abgeleistet werden.

§. 318.

An Orten, wo keine eigentliche Schule sich befindet, muß die Ableistung des Eides in demjenigen Zimmer, oder anderm Privatgelasse geschehen, wo die daselbst wohnenden Juden ihre gottesdienstlichen Zusammenkünfte zu halten pflegen.

§. 319.

Den Fall dringender Nothwendigkeit ausgenommen, sollen die Juden an Sabbaths-, Fest- und Bußtagen mit Eidesleistungen verschont werden.

§. 320.

Zwei Neujahrstage, ein Versöhnungstag, der erste, zweite, achte und neunte Lauberhütten-, der erste, zweite, siebente und achte Ostertag, und zwei Pfingsttage, sind als dergleichen jüdische Festtage anzusehen.

Anh. §. 90. Dahin ist noch zu rechnen:

der Tag vor dem jüdischen Neujahr,

der siebente Lauberhüttentag,

der Tag des Andenkens an die Stadt Jerusalem.


(317) Beweis durch den Eid.

§. 321.

Die jüdischen Bußtage nehmen mit dem ersten jüdischen Neujahrstage ihren Anfang, und endigen sich mit dem Versöhnungsfeste.

§. 322.

Unter allen übrigen vorstehend nicht benannten Tagen bleibt die Auswahl des Termins zur Eidesleistung dem Richter lediglich anheim gestellt.

§. 323.

Doch kann es an Orten, wo es bisher üblich gewesen, die Judeneide an einem Montage oder Donnerstage abzunehmen, dabei fernen sein Bewenden haben.

§. 324.

Zu jeder Eidesleistung muß der Schwörende zwei Zeugen mitbringen; auch muß der Rabbiner des Orts, oder ein jüdischer Assessor, oder Gelehrter gegenwärtig seyn.

§. 325.

Dieser Rabbiner, Assessor, oder Gelehrter kann, im Nothfalle, zugleich die Stelle des zweiten Zeugen vertreten.

§. 326.

Ist die Gegenpartei des Schwörenden ein im Orte sich aufhaltender Jude, so muß auch dieser bei der Eidesleistung in Person erscheinen.

§. 327.

Diesem wird durch den Rabbiner, Assessor oder Gelehrten die Strafe des Bannes angedroht, wenn er etwa ohne Grund auf die Eidesleistung bestünde.

§. 328.

Diese Ankündigung muß derselbe mit Amen beantworten.

§. 329.

Der Schwörende selbst muß sich zur Eidesleistung durch Abwaschung der Hände, und durch Anlegung des Gebetmantels und der Gebetschnur, vorbereiten.


(318) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

Anh. §. 91. Bei den Eidesleistungen der Jüdinnen bedarf es der Anlegung des Gebetmantels und der Gebetschnur nicht.

§. 330.

Vor wirklicher Ableistung des Eides muß der Rabbiner oder Gelehrte dem Schwörenden nachstehende Warnung vorhalten:

Ein jeder gläubiger Israelit ist schuldig, der Obrigkeit, sie sey jüdisch oder christlich, bei Rechtsstreitigkeiten die Wahrheit zu gestehen, und solche, auf ihr Begehren, mit einem Eide zu bekräftigen. Ein von der christlichen Obrigkeit geforderter Eid ist also, nach der Lehre der Rabbiner, für keinen unrechtmäßiger Weise erzwungenen Eid zu achten. Wer daher die christliche Obrigkeit durch einen falschen Eid hintergeht, oder dabei etwas anderes denkt, als er sagt, der entheiligt den Namen Gottes und begeht einen Meineid. Der Meineid ist das schrecklichste Verbrechen, dessen sich der Mensch schuldig machen kann. Die ganze sittliche Welt beruhet (wie die Rabbiner sagen) auf dreierlei: auf Recht, Wahrheit und Frieden. Ungerechtigkeit und Lügen sind also schon an sich selbst höchst strafbare Verbrechen, indem sie die Zerrüttung der sittlichen Welt zur Folge haben. Bei einem Meineide kommt der Frevel dazu, daß der Meineidige den Gott der Wahrheit zum Zeugen der Unwahrheit, und den Gott der Gerechtigkeit selbst zur Bestrafung der Ungerechtigkeiten auffordert, und also den Namen des Allerhöchsten bei einer sehr schädlichen That mißbraucht.

Daher auch die ganze Welt erschüttert worden, als der Gott unserer Väter auf dem Berge Sinai hat hören lassen:

Du sollst den Namen des Ewigen deines Gottes nicht bei einer Unwahrheit mißbrauchen.

Wenn jeder andere Verbrecher durch Buße und Sinnesänderung von der Strafe Gottes sich befreien


(319) Beweis durch den Eid.

kann, so kann doch der Meineidige, durch die stärkste Buße, ohne hinlänglichen Ersatz, keine Vergebung hoffen; denn es heißt ausdrücklich:

Der Ewige dein Gott wird denjenigen nicht ungestraft lassen, der seinen Namen bei einer Unwahrheit mißbraucht.

Bei einem jeden andern Verbrechen trifft die Strafe bloß den Sünder und die Mitschuldigen, oder die dem Uebel hätten steuern können; bei einem Meineide aber leidet die ganze Familie des Verbrechers; ja das ganze Land, in welchem er wohnt, empfindet die darauf folgende göttliche Strafe.

Bei einem jeden anderen Verbrechen wird dem Verbrecher öfter, durch die Langmuth des barmherzigen Gottes, eine Zeitlang nachgesehen; auf einen Meineid aber folgt die Strafe unverzüglich, und also fort; denn so heißt es in dem Propheten Zach. Kap. 5. V. 4.:

Ich will den Fluch hervorbringen, spricht der Herr Zebaoth, daß er soll kommen über das Haus des Diebes, und über das Haus derer, die bei meinem Namen fälschlich schwören, und er soll bleiben in ihrem Hause, und soll es verzehren, sammt seinem Holz und Steinen.

§. 331.

Dem Rabbiner oder Gelehrten steht es frei, dieser vorgeschriebenen Warnung noch andere schickliche, den Umständen angemessene Vermahnungen und Gründe beizufügen.

§. 332.

Nach der Admonition muß die dabei gegenwärtige Gerichtsperson, mit Beihilfe des jüdischen Gelehrten, die Sühne nochmals versuchen.

§. 333.

Läuft dieser Versucht fruchtlos ab, und besteht also der Gegentheil auf der Ableistung des Eides; so rufen die anwesenden Juden einander zu:


(320) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

Weichet von dem Aufenhalte dieser frevelhaften Leute!

Worauf sich alle übrigen Juden, bis auf den Rabbiner oder Assessor, und die Zeugen, entfernen.

§. 334.

Der Rabbiner oder Assessor redet hierauf den Schwörenden an:

Wisse, daß du nicht nach deinem Sinne und deiner Auslegung der Worte, sondern nach dem Bestande, den wir und die Richter mit den Worten verbinden, den Eid ablegest.

§. 335.

Nach dieser zweiten Ermahnung tritt der Schwörende vor den Gesetzschrank; Der Klopfer öffnet die Thür des Schrankes, nimmt eine bekleidete Thora heraus, und giebt sie dem Schwörenden in den Arm.

§. 336.

Alsdann wird dem Schwörenden, wenn derselbe Beschriebenes lesen kann, die Formel des Eides, welchen er ableisten soll, in die Hand gegeben, und er eröffnet den Schwur mit den Worten:

Ich schwöre bei Abonai, dem Gott Israels (et)c. Am Schlusse des Eides wird die Bekräftigungsformel beigefügt:

wenn ich falsch schwöre, so müssen mich alle die Strafen treffen, welche mir in der geschehenen Vermahnung angedeutet worden sind. Amen.

§. 337.

In der Eidesformel muß das Wort Adonai, mit dem hebräischen Mitlautern des Worts Jehovah, verzeichnet seyn.

§. 338.

Es versteht sich von selbst, daß, wenn der Schwörende der deutschen Sprache nicht kundig ist, die Eidesformel, mit Inbegriff vorgedachter Anfangsworte,


(321) Beweis durch den Eid.

in seine Sprache durch einen vereideten Dollmetscher übersetzt werden, und dieser letztere der Eidesabnahme beiwohnen müssen.

§. 339.

Kann der Schwörende gar nicht Geschriebenes lesen, so muß ihm der Eid von dem Rabbiner oder Assessor vorgesagt, und von ihm Wort für Wort nachgesprochen werden.

§. 340.

Es muß aber derjenige, welcher den Eid abnimmt, das Wort Adonai nicht mit vorsagen, sondern nur gedachtes Wort auf der in der Schule befindlichen Tafel dem Schwörenden vorzeigen, damit er solches selbst ausspreche; weil die Wiederholung des Wortes Adonai bei einerlei Handlung nach jüdischen Religionsgrundsätzen für sündhaft angesehen wird.

§. 341.

Um die Eideshandlung nicht zu unterbrechen, muß derjenige, welcher den Eid annimmt, den Schwörenden wegen dieses Umstandes vorläufig unterrichten.

§. 342.

Die bei der Eidesleistung gegenwärtige christliche Gerichtsperson muß den ganzen Vorgang umständlich zum Protokolle verzeichnen, und darauf Acht geben, daß der Eid, dieser Vorschrift gemäß, abgenommen werde.

§. 343.

In Sachen der Juden gegen Juden bedarf es bei jüdischen Zeugen keines Eides, sondern es werden dem Zeugen nur die zehn Gebote, und die im Mosaischen Gesetze ausdrücklich befohlene Pflicht, als Zeuge die Wahrheit zu sagen, von dem Rabbiner, oder Gelehrten, ernstlich zu Gemüthe geführt.

§344.

Wenn Christen bei einer Rechtssache ein Interesse haben, so können auch die jüdischen Zeugen der


(322) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

Ableistung des förmlichen Zeugeneides sich nicht entziehen.

§. 345.

Die Annahme des Eides geschieht alsdann ebenfalls mit Zuziehung eines Rabbinen oder jüdischen Assessors, und der Zeugen, auch mit den §. 329. u. f. bei den andern Judeneiden vorgeschriebenen Feierlichkeiten.

§. 346.

Dagegen aber darf

1) der Zeugeneid nicht nothwendig in der Schule, sondern es kann auch an gewöhnlicher Gerichtsstätte abgeleistet werden.

2) Es bedarf nicht des §. 332. 333. 334. vorgeschriebenen Sühnversuchs, Zurufs und der wiederholten Admonition.

3) Die §. 327. 328. vorgeschriebene Vermahnung findet nur in dem seltenen Falle Statt, wenn der Producent ein Jude, und bei der Abnehmung des Zeugeneides persönlich zugegen wäre.

4) Dem schwörenden Zeugen muß der Rabbiner oder Assessor, statt der Thora, die Tephillim in den Arm geben.

5) In dem Falle des §. 339. müssen dem des Lesens unkundigen Zeugen die Mitlauter des Wortes Jehovah, statt der in der Schule befindlichen Tafel, so wie sie in der Eidesformel selbst verzeichnet sind, zum Aussprechen vorgewiesen werden.

§. 347.

Die Judenweiber können nur zu einer Zeit, wo sie von der monatlichen Reinigung frei sind, schwören.

§348.

Fällt daher der zur Eidesleistung angesetzte Termin in die Zeit ihrer monatlichen Reinigung, so liegt ihnen ob, dessen Verlegung zu suchen.


(323) Beweis durch den Eid.

§. 349.

Der Schwangerschaft wegen können jüdische Weibspersonen sich der Eidesleistung nicht entziehen.

§. 350.

Wenn jedoch der Gegentheil, oder, bei Zeugeneiden, beide Parteien, die Aussetzung des Eides bis nach erfolgter Niederkunft sich gefallen lassen; so soll ihnen der Richter darin nachsehen. Kindbetterinnen können nicht eher, als nach erfolgter Reinigung, zur Ableistung eines Eides angehalten oder zugelassen werden.

Jüdische Weibspersonen, die außer der Ehe geschwängert worden, können unter dem Vorwande, daß sie um deswillen von den gottesdienstlichen Versammlungen der Gemeine ausgeschlossen wären, von der Ableistung des Eides in der Synagoge, wenn der Gegentheil daruf besteht, nicht dispensirt werden.

§. 351.

Die Glaubwürdigkeit und Beweiskraft des von einer Jüdin abgelegten Zeugnisses soll lediglich nach den Gesetzen des Staats, ohne Rücksicht auf den Unterschied des Geschlechts, beurtheilt werden.

§. 352.

In Kriminalfällen, wo es auf harte Lebensstrafe ankommt, soll kein Jude, männlichen oder weiblichen Geschlechts, zur Ablegung eines eidlichen Zeugnisses gezwungen werden.

§. 353.

Auch freiwillige Aussagen jüdischer Zeugen können in dergleichen Fällen niemals einen vollen Beweis ausmachen.

§. 354.

Bei geringen Verbrechen, die nach den Gesetzen nur mit Geld oder mit einer allenfalls in Geldbuße zu verwandelnden Gefängnißstrafe geahndet werden, ist das eidliche Zeugniß eines Juden zulässig und glaubwürdig.


(324) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

§. 355.

In wie fern bei Kriminalfällen Reinigungseide überhaupt, und insonderheit von jüdischen Angeklagten, Statt finden, soll in der Kriminalprozeßordnung näher bestimmt werden.

§. 356.

Bei Eidesleistungen der unirten Griechen finden eben die Formeln und Feierlichkeiten Statt, welche bei römisch-katholischen Glaubensgenossen vorgeschrieben und angenommen sind.

§. 357.

Die Eide der nicht unirten Griechen sind, der Regel nach, in deren Kirchen, oder anderen gottesdienstlichen Versammlungsplätzen, an Orten, wo dergleichen befindlich sind, abzunehmen.

§. 358.

Auch ist dabei ein Geistlicher von ihrer Religion, wo einer zu haben ist, zuzuziehen.

§. 359.

Wenn aber an dem Orte, wo der Eid geleistet werden soll, kein solcher gottesdienstlicher Versammlungsplatz, oder auch kein griechischer Geistlicher sich befindet; so kann der Eid auch an ordentlicher Gerichtsstelle, und vor Gerichtspersonen allein, gültig abgeleistet werden.

§. 360.

Die Eidesleistung muß am Vormittage vor zwölf Uhr geschehen.

§. 361.

Vor der Eidesleistung muß der Geistliche, oder in dessen Ermangelung eine Gerichtsperson, dem Schwörenden nachdrücklich zureden:

daß er zu dieser Handlung in der Furcht Gottes, und mit Erwägung seines gerechten Gerichts hinzu treten, und so das Kreuz in aller Wahrheit, und ohne Schaden an seiner Seele, küssen, nicht aber nach irgend einem zeitlichen Gewinnste streben


(325) Beweis durch den Eid.

möge; damit er durch eine solche Bezeugung der Unwahrheit nicht seine Seele in das ewige Verderben stürze, und sich auch nicht die auf den Meineid verordnete zeitliche Leibes- oder Lebensstrafe zuziehe.

§. 362.

Die Ableistung des Eides geschieht vor dem Altare, oder vor einem Tische, auf welchem ein gemahltes Krucifix steht, und die Bibel mit dem aufgeschlagenen Evangelio Johannes liegt.

§. 363.

Nach angehörter Admonition nähert sich der Schwörende dem Tische mit ehrerbietiger Beugung, legt die rechte Hand auf das Evangelium, und leistet so den Eid ab.

§. 364.

Die Eidesleistung wird mit den Worten:

Ich …. schwöre vor dem Allmächtigen Gott, und vor seinem heiligen Evangelio, daß (et)c. eröffnet, und mit der Bekräftigungsformel:

zu dessen Betheurung küsse ich das Wort und das Kreuz meines Erlösers. Amen.

geschlossen.

§. 365.

Nach ausgesprochenem Eide küsst der Schwörende das ihm vorgehaltene Kreuz, und endigt damit die ganze Handlung.

§. 366.

Kann der Schwörende Geschriebenes lesen, so liest er den abzuleistenden Eid selbst ab; sonst aber muß ihm derselbe von dem Priester oder der Gerichtsperson vorgesagt, und von ihm Wort für Wort nachgesprochen werden.

17) Eide der Mahometaner.

§. 367.

Die Eide der Türken und anderer Mahometaner werden von ihnen auf den Alkoran mit der Formel:


 

(326) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

Ich …. schwöre bei dem einigen Gott, und bei dem, was in der Religion das Allerheiligste ist, daß (et)c.

abgeleistet.

§. 368.

Auch bei den von Schriften abzuleistenden Eiden muß der Schwörende an die Wichtigkeit des Eides erinnert, besonders aber, wenn er zu den niedrigen Volksklassen gehört, dabei die Vorschrift des §. 204. beobachtet werden.

§. 369.

In der Regel geschieht diese Vermahnung nur durch den Deputirten des Gerichts, welcher den Eid abnehmen soll. In wie fern dabei ein Geistlicher zuzuziehen sey, bleibt lediglich dem Befunde des Richters, nach Bewandtniß der Umstände, der Wichtigkeit der Sache, oder der persönlichen Beschaffenheit desjenigen, welcher schwören soll, anheim gestellt.

§. 370.

Die Eide müssen, der Regel nach, an ordentlicher Gerichtsstelle abgeleistet werden; doch bleibt es richterlicher Beurtheilung überlassen, von denjenigen, welche Krankheits, hohen Alters, oder anderer persönlichen Ehehaften wegen, daselbst nicht füglich erscheinen können, die Abnahme des Eides durch einen Kommissarius in ihren Behausungen, allenfalls auf ihre Kosten, zu verfügen.

§. 371.

Der Eid selbst wird durch den Instruenten, oder den ernannten Kommissarius, in Gegenwart der Rechtsbeistände, und des andern Theils, wenn dieser sich dabei einfinden will, abgenommen.

§. 372.

Die Eide sollen nicht ferner, wie bisher an vielen Orten mißbrauchsweise geschehen ist, unter dem Lärmen und Geräusche der Parteien, und anderer, die an der Gerichtsstätte etwas zu suchen haben, geleistet;


(327) Beweis durch den Eid.

sondern sie sollen in einem besonderen Zimmer, bloß in Gegenwart der im vorigen Paragraphen benannten Personen, unter Beobachtung derjenigen Stille und Ehrfurcht, welche sich bei einer für die ganze menschliche Gesellschaft, und besonders für den Schwörenden, so wichtigen Religionshandlung geziemt, abgenommen werden.

Anh. §. 92. Die Eidesabnahmen müssen nur solchen Personen anvertraut werden, welche nicht bloß durch bewährte Rechtschaffenheit, sondern auch durch Ernst und Würde im Aeußern auf besondere Achtung von Seiten des Schwörenden gegründeten Anspruch machen können, so daß Auskultatoren und Referendarien, welche noch nicht hinlänglich im Dienste geübt find, Geschäfte dieser Art nicht aufgetragen werden dürfen.

Anh. §. 93. Bei den Eidesleistungen können nur die Gerichtspersonen, der Gegner und die Assistenten beider Theile anwesend sein. Alle Zuschauer müssen entfernt werden, damit derjenige, von welchem der Eid geleistet werden soll, nicht etwa durch Furcht übler Nachrede abgehalten werde, der Stimme seines Gewissens zu folgen, und eine Eidesleistung abzulehnen, wozu er sich vielleicht anfänglich auf eine leichtsinnige Art bereit erklärt hatte.

Anh. §. 94. Die nach Verschiedenheit des Glaubensbekenntnisses des Schwörenden gesetzlich eingeführten Betheuerungsformeln und sonst zu beobachtenden Sakramenten dürfen nicht abgekürzt oder verändert werden.

Anh. §. 95. Erkenntnisse, durch welche eine Eidesleistung veranlaßt wird, sind dahin zu fassen:

daß die Partei schuldig sey, ernstlich zu prüfen, ob sie ohne Verletzung ihres Gewissens, und ohne sich der Gefahr auszusetzen, als meineidig bestraft zu werden, einen Eid dahin,

daß (et)c.

leisten könne.

Anh. §. 96. Vor jeder Eidesleistung muß demjenigen, welcher einen Eid schwören will, die Eidesformel nebst der am Ende des Zehnten Titels angehängten, dem beabsichtigten Zwecke gewidmeten „Vorhaltung bei gerichtlichen Eiden“ zum eigenen Durchlesen eingehändigt, oder, wenn derselbe nicht lesen kann, von einer Gerichtsperson vorgelesen werden. In Absicht der vom Schwörenden von dem Richter sonst zu machenden Vorhaltungen tritt die Vorschrift des §. 188. (Anh. §. 82.) dieses Titels ein. Wenn die Vorhaltung geschehen ist,


(328) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

muß dem Gegner oder dem Bevollmächtigten frei gestellt werden, der zum Eide sich erbietende Partei dasjenige in Erinnerung zu bringen, was etwa nach den erfolgten Verhandlungen die Eidesleistung bedenklich machen könnte. Hierbei muß der Richter selbst mitwirken, jede Uebereilung verhüten, zur Angabe der Erklärung, ob der Eid geleistet, oder, wenn es zulässig, dem Gegner zurück geschoben werden soll, die erforderliche Bedenkzeit gestatten, und nicht eher zur wirklichen Eidesabnahme schreiten, als bis eine bestimmte Erklärung erfolgt ist, daß die Partei, welche schwören will, nach reiflicher Erwägung der Wichtigkeit des Eides und der obwaltenden Bedenken überzeugt sey, daß der Eid mit gutem Gewissen abgeleistet werden könne.

§. 373.

Wenn auswärts wohnende Parteien, welche bei der Instruktion nicht zugegen gewesen sind, einen Eid leisten sollen; so können sie bitten, daß die Abnehmung desselben einem benachbarten Kommissario aufgetragen, oder das ordentliche Gericht, unter welchem sie stehen, deshalb requirirt werde.

§. 374.

Wenn eine Partei den ihr zu- oder zurück geschobenen Eid annimmt; demnächst aber in dem zur Ableistung anberaumten Termine sich nicht einfindet; auch vor demselben, aus erheblichen und bescheinigten Ursachen, dessen Verlegung nicht nachgesucht hat: so ist dieselbe eben so, wie in dem Falle des §. 297., wenn sie über den Eid sich zu erklären verweigert


(329) Beweis durch den Eid.

hätte, in contumaciam dafür, daß sie denselben nicht leisten könne oder wolle, zu achten.

§. 376.

Wenn eine Partei, zum Protokolle oder schriftlich, ausdrücklich erklärt hat, daß sie einen angetragenen oder zurück geschobenen Eid nicht schwören könne oder wolle; so kann sie mit einem Widerrufe sothaner Erklärung weder in dieser noch den folgenden Instanzen gehört werden. Ist hingegen eine Partei bloß wegen Außenbleibens im Termine zur Eidesleistung, oder wegen verweigerter bestimmter Erklärung über die Annahme oder Zurückschiebung des Eides, dafür, daß sie selbigen nicht schwören könne oder wolle, geachtet worden; so soll ihr bis zum Schlusse der Sache, und allenfalls noch in der Appellationsinstanz, das Versäumte nachzuholen gestattet seyn. Doch versteht es sich von selbst, daß eine solche Partei nicht nur Gründe, womit sie die Versäumniß entschuldigen könne, angeben, und nöthigenfalls bescheinigen, sondern auch alle durch diese Versäumniß entstandene mehreren Kosten allein tragen müsse.

21) Wirkung des Eides.

§. 377.

Die Wirkung des Eides, und was aus dem dadurch ausgemittelten Fakto den Rechten folget, wird in dem Haupterkenntnisse festgesetzt. Wird aber erst in diesem noch auf einen solchen Eid gesprochen, so muß dessen Wirkung auf beide Fälle, wenn er geschworen, und wenn er nicht geschworen wird, zugleich mit bestimmt werden; damit nach vor sich gegangenem Schwörungstermine das Urtel, ohne weiteres Verfahren, durch eine bloße Resolution purificirt werden könne. Dergleichen Resolution wird in eben der Form abgefaßt, wie bei den Agnitionsresolutionen vorgeschrieben ist. (Tit.VIII. §. 15-16.)

§. 378.

Wenn ein angetragener oder zurück geschobener Eid unbedingt und ohne Vorbehalt angenommen


(330) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

worden ist, und der Acceptant verstirbt vor der wirklichen Ableistung; so wird selbiger für geschworen geachtet. Ist hingegen die Annahme nur unter dem Vorbehalte eines eingewandten Rechtsmittels erfolgt, so müssen die Erben den Eid noch leisten; doch steht denselben, bei dergleichen ihrem Erblasser angetragenen und von diesem angenommenen Eiden, die Zurückschiebung noch allemal frei.

§. 379.

Die Vorschrift des vorhergehenden Paragraphen, daß ein unbedingt angenommener Eid, wenn der, welcher ihn schwören soll, vor der wirklichen Ableistung stirbt, für geleistet zu achten sey, findet auch bei nothwendigen von dem Richter erkannten Eiden Statt. Doch ist es nicht genug, wenn der, welcher schwören soll, das Urtel, in welchem auf den Eid erkannt worden ist, hat rechtkräftig werden lassen; sondern es muß auch noch eine ausdrückliche Erklärung desselben, daß er den Eid leisten wolle, hinzu kommen. Ermangelt es an dieser, so müssen seine Erben denselben, und zwar nach Beschaffenheit der Umstände, so wie in dem Falle des vorigen Paragraphen, de ignorantia leisten.

Sechster Abschnitt.

Von Aufnehmung des Beweises durch den Augenschein.

§. 380.

Die Einnehmung des Augenscheins kann erforderlich seyn, theils um den Richter von der streitigen Sache, und den Behauptungen der Parteien, oder den Angaben der Zeugen und Urkunden darüber, die ihm ohne dergleichen Lokalkenntnisse nicht deutlich genug sind, richtige Begriffe zu beschaffen; theils um dadurch die eigentliche Bewandtniß gewisser in


(331) Beweis durch den Augenschein.

die Sinne fallender, unter den Parteien noch streitiger Umstände auszumitteln.

§. 381.

Wenn dergleichen Besichtigung in erst gedachter Absicht zu verfügen sey, muß richterlichem Ermessen, nach bewandten Umständen des vorkommenden Falles, anheim gestellt bleiben; zur Aufklärung einer streitigen Thatsache hingegen wird dieselbe gewöhnlich erst nach festgesetztem Statu controversiae veranlaßt.

§. 382.

Wenn die in Augenschein zu nehmende Sache an dem Orte des Gerichts befindlich ist, oder dahin leicht gebracht werden kann; so muß der Deputirte des Gerichts, welchem die Instruktion überhaupt aufgetragen ist, die Besichtigung selbst vornehmen. Kann aber dieses nicht geschehen, so muß dieselbe einer Gerichtsperson an dem Orte, wo die Sache sich befindet, oder in der Nähe, aufgetragen, und der Kommissarius zu dem Ende eben so, wie oben §. 217 und 213, wegen eines auswärts abzuhörenden Zeugen verordnet ist, instruirt werden.

§. 383.

Ist dasjenige, zu dessen Aufklärung die Okularinspektion geschehen soll, so beschaffen, daß es nur allein von den sachverständigen Personen beurtheilt werden kann, z. B. wenn die Tauglichkeit eines geführten Baues, ein dem Nachbar dadurch verursachter Schade, die genaue Entfernung eines Ortes von dem anderen, eine vorgegebene Holzdevastation, eine unwirthschaftliche Ackerbestellung u. s. w. zu untersuchen ist; so müssen dergleichen Sachverständige bei der Besichtigung mit zugezogen werden.

§. 384.

Dazu sind entweder Personen zu benennen, die zu Verrichtungen solcher Art bereits allgemein legitimirt sind, z. B. Bauinspektoren, vereidete Feldmesser,


(332) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

königliche Forstbediente u. s. w.; oder wenn dergleichen dem Gerichte nicht bekannt wären, und auch die Parteien über solche Personen sich nicht vereinigen könnten, ist deshalb mit demjenigen Kollegio, welchem Personen dieser Art in Amtssachen untergeordnet sind, z. B. mit dem Polizeimagistrate der Stadt, der Kriegs- und Domainenkammer des Departements u. s. w. Rücksprache zu nehmen.

Anh. §. 97. S. Tit. IX. §. 38. (Anh. §. 64. 65.)

§. 385.

Zu dem anberaumten Besichtigungstermine müssen beide streitende Parteien, und wenn etwa zugleich Zeugen an Ort und Stelle zu führen und abzuhören sind, auch diese mit vorgeladen werden. Im Termine selbst aber wird auch alsdann, wenn der eine oder der andere Theil nicht erscheint, dennoch mit der Besichtigung und Abhörung der Zeugen verfahren.

§. 386.

Ist bei der streitigen Sache, außer den im Prozesse stehenden Theilen, auch noch ein Dritter interessirt: z. B. wenn auf die streitige Grenze die Feldmark eines benachbarten Dorfes mit zustößt; so ist auch diesem der anstehende Termin bekannt zu machen, damit er allenfalls seine Gerechtsame dabei wahrnehmen könne.

§. 387.

Der Instruent oder Kommisarius muß den Parteien an Ort und Stelle (in re praesenti) ihre zeitherigen Angaben nochmals vorhalten; sie vernehmen: ob sie zur Erläuterung derselben noch etwas anzuführen haben; und sodann die streitige Sache genau in Augenschein nehmen, den Befund richtig, getreu und umständlich zum Protokolle bringen; auch, wo es nöthig ist, eine ungefähre Zeichnung der Sache oder Gegend beifügen.

§. 388.

Wenn Kunstverständige bei der Besichtigung zugezogen werden, so müssen selbige, wenn sie nicht


(333) Beweis durch den Augenschein.

schon vorhin in Pflichten stehen, nach Vorschrift §. 202. vereidet; demnächst ihnen das, worüber sie ihr Gutachten oder Urtheil abgeben sollen, gehörig angewiesen; nach vollendeter Besichtigung aber der Befund von ihnen umständlich, und unter Anführung der Gründe dafür, und zwar, wenn ihrer Mehrere sind, von jedem besonders und ohne Beiseyn des Andern, zum Protokolle angezeigt; auch wenn die Sache eine nähere Ausführung nach den Grundsätzen ihrer Kunst oder Wissenschaft forderte, noch außerdem ein schriftliches Gutachten, oder, wenn es nöthig ist, eine akkurate Zeichnung der Sache oder Gegend, zu den Akten gegeben werden.

§. 389.

Kann die Abhörung der Zeugen oder Sachverständigen, nach Beschaffenheit der Umstände, nicht sogleich auf dem streitigen Orte erfolgen; so müssen dieselben von dem Instruenten oder Kommisarius erinnert werden, auf alle die Gegenstände, Verhältnisse und Umstände, worauf es bei der Sache irgend ankommen könnte, aufmerksam zu seyn, und dieselben ihrem Gedächtnisse fest einzudrücken. Sodann aber muß, nach geendigter Besichtigung, mit der wirklichen Abhörung derselben ohne den geringsten unnöthigen Aufenthalt verfahren werden.

§. 390.

Wie es insonderheit gehalten werden soll, wenn in einer streitigen Grenzsache Besichtigung anzustellen ist, davon wird unten in einem besonderen Titel umständlich gehandelt.


(334) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

Siebenter Abschnitt.

Von dem Verfahrten des Instruenten bei vorkommenden einander widersprechenden Beweismitteln.

§. 391.

Da oft Fälle vorkommen können, wo über eine und eben dieselbe Thatsache verschiedene Beweismittel beigebracht worden sind, und diese untereinander sich widersprechen: so ist es die Pflicht des Instruenten, daß er vor Abschließung des Instruktion den Grund dieses Widerspruchs zu entdecken, und, so weit er auf Thatsachen beruhet, ins Licht zu setzen sich angelegen seyn lasse; damit der künftige Urtelssasser die nöthigen Data vorfinde, zu beurtheilen, welches dieser verschiedenen Beweismittel vorzüglich Glauben verdiene.

§. 392.

Wenn mehrere Dokumente producirt worden sind, und zwischen denselben ein wirklicher Widerspruch vorhanden ist (Tit. XIII. §. 13.); so muß dessen Ursprung durch Vernehmung der Parteien, und Abhörung derjenigen, welche davon Wissenschaft haben können, so viel als möglich erforscht, und ausgemittelt werden: welches Dokument der wahren Willensmeinung der Interessenten, und der wahren Lage der Sache am gemäßesten abgefasst worden ist.

§. 393.

Wenn mehrere abgehörte Zeugen sich widersprechen, so muß nach Vorschrift §. 207. 208. versucht werden: ob durch Gegeneinanderstellung derselben auf den wahren Grund der Sache zu gelangen sey.

§. 394.

Wird durch die Aussagen der Zeugen die Glaubwürdigkeit eines Dokuments angefochten, so müssen die bei der Vollziehung des letztern gegenwärtig


(335) Widersprechende Beweise.

gewesenen Personen auf das genaueste vernommen, und nöthigenfalls gegen einander gestellt werden, um die Wahrheit oder Falschheit der zur Entkräftung des Dokuments angeführten Thatsachen so vollständig als möglich ins Licht zu setzen.

§. 395.

Folgt aus den Aussagen der Zeugen das Gegentheil desjenigen, was die Dokumente ergeben, so muß den Zeugen der Inhalt der Dokumente vorgehalten, und von ihnen über die Ursache der Verschiedenheit Erläuterung gefordert; wenn aber diese angegebenen Ursachen abermals auf Thatsachen beruhen, auch diese so viel als möglich ins Licht gesetzt werden.

§. 396.

Wenn bei einer Okularinspektion ein Unterschied zwischen dem über den Befund aufgenommenen Protokolle und den Aussagen der Zeugen sich äußert, so müssen zuvörderst, wenn es nicht schon geschehen ist, die Zeugen so viel als möglich an Ort und Stelle (in rem praesentem) geführt werden, um solchergestalt den Widerspruch zu heben, oder die Ursache desselben auszumitteln.

§. 397.

Was der Urtelssasser zu thun habe, wenn, der angewendeten pflichtmäßigen Bemühungen des Instruenten ungeachtet, ein solcher unter den Beweismitteln obwaltender Widerspruch nicht hat gehoben werden können, ist im Dreizehnten Titel §. 12. u. f. verordnet.

Vorhaltung bei Zeugeneiden.

(Zu §. 188.)

Zum Zeugnis vor Gericht aufgefordert zu werden, ist ehrenvoll, weil man nur diejenigen dazu verstattet, welche sich bis dahin einen unbescholtenen Ruf erhalten haben. Eingedenk dieses Vorzugs muß ein jeder bei Ablegung seines Zeugnisses sich des in ihn gesetzten Vertrauens würdig betragen.


(336) Prozeßordnung. Zehnter Titel.

Wer bei der Sache, worüber er befragt werden soll, ein eigenes, dem Gericht unbekannt gebliebenes Interesse hat; wer von deren Entscheidung Nutzen hoffen oder Schaden befürchten kann; wer mit einer der Parteien in solchem Verwandtschafts- oder anderem Verhältnisse stehet, daß ihn der Gegner, wenn er davon unterrichtet gewesen wäre, nicht zum Zeugniß verstattet haben würde, darf dieses Alles dem Richter nicht verschweigen.

Der Wahrheit muß jeder Zeuge auch in den ihm unbedeutend scheinenden Umständen überall treu bleiben, und sich davon durch Menschenfurcht, Freundschaft, Feindschaft, oder irgend einen zeitlichen Vortheil, nicht abhalten lassen.

Fälschlich Unwissenheit zu behaupten und dasjenige zu verschweigen, was man von Bewandtniß der Sache mit Ueberzeugeung anführen könnte, ist eben so strafbar, als wenn man willentlich etwas Unrichtiges aussagt.

Kann man sich der Thatsachen, worüber man befragt wird, nicht mit Zuverlässigkeit erinnern; so ist es Pflicht, dem Richter genau anzuzeigen, was man als gewiß, oder was man nur als wahrscheinlich behaupten kann. Das, was man von Andern erfahren, darf man nie mit demjenigen verwechseln, was man selbst gesehen, gehört, gelesen hat. Man ist daher schuldig, dem Gerichte darüber vollständige Auskunft zu geben, auf welche Art man von jedem bekundeten Umstande Wissenschaft erhalten hat. Der Richter handelt auf Befehl und im Rahmen des Landesherrn, und so wie jeder getreue Unterthan es nicht wagen würde, den Landesherrn mit Unwahrheit zu hintergehen, so kann auch der Richter eine freimüthige und getreue Aussage fordern. Diese muß mit einem Eide bekräftigt werden, wodurch sich der Zeuge der Strafe Gottes unterwirft, wenn er bei Ablegung seines Zeugnisses pflichtwidrig handelt. Gott ist allwissend, allgegenwärtig und gerecht: ihm ist nichts verborgen, ob der Zeuge der Wahrheit treu bleibt, und der Allerhöchste wird in dieser oder jener Welt denjenigen strafen, der ein falsches Zeugniß ablegt.

Das Bewußtseyn, ein solches Verbrechen begangen zu haben, störet alles zeitliche Glück; die Vorwürfe des Gewissens sind schrecklich und verfolgen den Frevler labenslang, wenn er auch der Ahndung der Obrigkeit entgeht. Wird aber der Meineid entdeckt, so ist nicht allein allgemeine Verachtung, Verlust der Ehre, Aemter und Würden, sondern auch verhältnißmäßige strenge Bestrafung der wohlverdiente Lohn eines falschen Zeugen.


(337) Vorhaltung bei gerichtlichen Eiden.

Vorhaltung bei gerichtlichen Eiden.

(Zu §. 368.)

Jeder Eid, durch welchen eine rechtshängige Sache entschieden wird, erfordert von Seiten des Schwörenden die reiflichste Prüfung, ob er ohne Verletzung seines Gewissens sich zur Ableistung entschließen könne. Nur die innere Ueberzeugung von der Wahrheit desjenigen, was beschworen werden soll, kann ein rechtschaffendes Gemüth zu dem Entschlusse bewegen, einen gerichtlichen Eid zu leisten. Vorsäzliche Lügen sind schändlich, und Lügen vor Gericht sind unverzeihlich. Wer willentlich etwas Unrichtiges eidlich erhärtet, ist ein ruchloser Bösewicht, der wegen eines solchen Frevels schon in dieser Welt durch die Marter seines ihn strafenden Gewissens unaufhörlich gezüchtigt wird. Ihn erwartet auf den Fall der Entdeckung die allgemeine Verachtung, der Verlust seiner Ehre, Aemter und Würden und harte Strafe der Obrigkeit. Aber auch wenn in dieser Welt keine Entdeckung erfolgt, wird er den göttlichen Zorn empfinden, und früh oder spät den verdienten Lohn empfangen, daß er es gewagt hat, Gott zum Zeugen einer Unrichtigkeit aufzurufen.

Wer das von ihm zu Beschwörende für unrichtig hält, handelt rühmlich, wenn er die Eidesleistung ablehnt und zeitliche Vortheile fahren läßt, um ein unbeflecktes Gewissen zu bewahren.

Dahingegen ist es ein unrichtiges Vorurtheil, wenn manche auch dann einen Eid zu leisten Bedenken tragen, wenn sie von der Wahrheit desjenigen überzeugt sind, was durch den Eid bekräftigt werden soll. Kommt es auf Thatsachen an, von deren Bewandtniß der Schwörende nicht aus eigener Kenntniß vollständig unterrichtet ist; so muß er sich bemühen, die Wahrheit so viel als möglich zu erforschen, und ohne sich durch Gewinnsucht oder andere Rücksichten leiten zu lassen, bloß der Ueberzeugung folgen, welche durch dasjenige begründet wird, was er glaubhaft in Erfahrung gebracht hat. Die lebhafte Erinnerung an den ungewissen und vielleicht sehr nahen Augenblick des Todes, und der Gedanke an die Allwissenheit, Allmacht und Gerechtigkeit Gottes, muß bei dem Entschlusse, ob man einen Eid leisten könne jede Unterdrückung der Stimme des Gewissens verhüten. Wer nach einer solchen Prüfung seiner Ueberzeugung treu bleibt, hat auf die allgemeine Achtung gegründeten Anspruch, kann sich an die Stunde der Eidesleistung jederzeit mit ruhigem Gemüthe erinnern, und Gott wird ihn in dieser und jener Welt segnen.


(338) Prozessordnung. Eilfter Titel.

Eilfter Titel.

Vom Versuch der Sühne, und wie dabei zu verfahren.

Ernstliche Empfehlung der Sühnsversuche.

Da es Sr. Königlichen Majestät Allerhöchste unabänderliche Willensmeinung ist, daß die entstehenden Rechtsstreite so viel als möglich in Güte beigelegt, und dadurch die Parteien vor dem bei Prozessen nie gänzlich zu vermeidenden Zeit- und Kostenverluste bewahret, auch die unter den Familien und Bürgern des Staats aus fortgesetzten Rechtsstreitigkeiten leicht entstehenden Animositäten und Verbitterungen abgewendet werden sollen; so müssen nicht nur die Gerichtspersonen, gleich bei der ersten Vernehmung der an sie gewiesenen Parteien sich alle Mühe geben, dieselben, wenn vornehmlich die Sache zweifelhaft und weit aussehend zu seyn scheint, zu deren gütlicher Beilegung möglichst zu bewegen; sondern es muß auch von den Deputirten der Gerichte selbst, die Sühne, sowohl während der ganzen Instruktion, als hauptsächlich nach regulirtem Statu controversiae, oder, wenn sie auch alsdann fehlschlüge, nach aufgenommenen Beweismitteln, alles Ernstes versucht, auch bei dergleichen Sühnshandlungen, wenn der Prozeß eine Ehescheidung betrifft, nach näherer Bestimmung des Vierzigsten Titels, ein Geistlicher mit zugezogen werden.

Wie dabei zu verfahren.

§. 2.

Beiden Seiten ist bei Gelegenheit solcher Vergleichstraktaten die Lage der Sache, so wie sie alsdann entwickelt ist, nochmals umständlich vorzuhalten; es sind ihnen die gesetzlichen Vorschriften, nach welchen ihr Streit zu entscheiden seyn möchte, bekannt zu machen; und allenfalls von Amts wegen Vorschläge zu thun: wie bei diesen Umständen die


(339) Versuch der Sühne.

Sache durch ein billiges Abkommen in Güte beigelegt werden könnte.

§. 3.

Der Deputirte des Gerichts muß also auf der einen Seite den Parteien, gegen ihre klaren durch die Untersuchung etwa schon ausgemittelten Rechte nichts anmuthen; sich alles ungestümen Andringens und ungebührlicher Persuasionen enthalten; am allerwenigsten aber durch falsche Vorstellungen von der Lage der Sache, oder durch unrichtige Erklärung der Gesetze, oder durch andere Mißbräuche seines richterlichen Ansehens, die Parteien zum Vergleiche verleiten zu wollen, sich beigehen lassen.

§. 4.

Auf der anderen Seite muß er aber auch den etwas gegen einander animirten Parteien die aus der Sache selbst hergenommenen Bewegungsgründe zum Vergleiche nachdrücklich vorstellen; sie vor den schädlichen Folgen des fernern Prozessirens ernstlich warnen; und besonders, wenn er wahrnimmt, daß die Forderung des Klägers an und für sich ihre Richtigkeit habe, der Beklagte hingegen nur durch die Besorgniß, daß sein Gegner ihn unbillig drängen, und mit der Exekution übereilen möchte, von deren gütlichem Anerkenntnisse zurück gehalten werde, den Kläger zu Verstattung billiger Nachsicht, zur Annahme abschläglicher Zahlungen, oder Zugestehung anderer ihm unnachtheiligen, aber zur Erhaltung des Schuldners gereichenden Maaßgaben zu vermögen, sich ernstlich angelegen seyn lassen.

§. 5.

Wenn auch ein solcher Schuldner bei dieser Gelegenheit die Schuld selbst eingesteht, wegen der Zahlung aber Nachsicht verlangt, und darüber eine nicht ganz verwerfliche Sicherheit zu bestellen erbötig ist, so muß der Instruent, wo fern seine Bemühungen den Gläubiger zu deren Annehmung in Güte zu be(wegen)


(340) Prozeßordnung. Eilfter Titel.

wegen, fruchtlos seyn sollten, die Sache durch nähere Erörterung der Umstände, welche den Schuldner alsdann baare Bezahlung zu leisten außer Stand setzen, und dadurch gehörige Untersuchung der angebotenen Sicherheit, nach den unten an die Hand zu gebenden Vorschriften, zum Erkenntnisse über ein dem Beklagten zu verstattendes Specialmoratorium sofort instruieren.

§. 6.

Nach obigen Vorschriften müssen sich also sämtliche richterliche Personen, denen Prozeßinstruktionen obliegen, ganz genau achten; und ihren Vergleichsvorschlägen hauptsächlich durch eine treue, sorgfältige und geschickte Auseinandersetzung der Sache, wodurch die Parteien selbst ihre wahre Lage richtig zu übersehen, und den wahrscheinlichen Ausgang zu beurtheilen in Stand gesetzt zu werden, Eingang zu verschaffen bemüht zu seyn. Werden auf diese Art streitende Parteien von dem Ungrund ihrer Forderungen oder Einwendungen überzeugt; oder werden Prozesse, deren Ausschlag, bei allem angewandten pflichtmäßigen Bestreben zur Ausmittelung der Wahrheit, wegen besonderer Umstände des Falles, des Mangels, der Unzuverlässigkeit, oder der Entlegenheit der Beweismittel (et)c. dennoch ungewiß bleibt, und deren Fortsetzung die Parteien in noch größere Weitläufigkeiten und Kosten stürzen würde, durch die Bemühungen des Richters verglichen: so wird alsdann erst der Willensmeinung Sr. Königlichen Majestät und dem eigentlichen Sinne des Gesetzes ein Genüge geleistet. Uebrigens muß unter dem Vorwande der Vergleichsunterhandlungen, die einmal im Gange befindliche Instruktion niemals unterbrochen noch aufgehalten, noch weniger müssen die Kosten durch Ansetzung besonderer Termine dazu unnöthig vermehrt werden. Am allerwenigsten aber findet unter dem Prätexte obschwebender Privatvergleichstraktaten


(341) Versuch der Sühne.

die Verlegung der Termine in einer schon schwebenden Instruktion Statt; es wäre denn, daß dieselbe von beiden Theilen, entweder mündlich zum Protokolle, oder schriftlich, jedoch unter eigenhändiger Unterschrift, nachgesucht würde.

§. 7.

Die bei den Vergleichsunterhandlungen mit gegenwärtigen Rechtsbeistände müssen darauf, daß die Parteien weder in Furcht gesetzt, noch zu unbilligen und ihnen offenbar nachtheiligen Vergleichen übereilt und verleitet werden, sorgfältig Acht geben, sonst aber den Deputirten des Gerichts in seinen Bemühungen möglichst unterstützen.

Wie bei Abschließung und Aufnehmung eines zu Stande gebrachten Vergleichs zu verfahren.

§. 8.

Kommt solchergestalt der Vergleich zu Stande, so muß derselbe umständlich zum Protokolle niedergeschrieben, alsdann den Parteien vorgelesen, und von ihnen, wenn sie des Schreibens kundig sind, so wie von beiden Rechtsbeiständen, mit unterzeichnet werden.

§. 9.

Dabei muß der Instrument mit sorgfältiger Aufmerksamkeit dahin sehen, daß sowohl der Gegenstand, über welchen die Parteien sich vergleichen, als die Bedingungen des Vergleichs selbst, in dem Protokolle so deutlich und bestimmt vermerkt werden, daß über den Verstand und die Auslegung desselben kein neuer Streit entstehen möge.

§. 10.

So viel als möglich muß der Instruent die ganze Sache dergestalt durch Vergleich abzuthun bemüht seyn, daß die Parteien völlig auseinander gesetzt werden, und zu neuen Streitigkeiten keine Gelegenheit und Veranlassung übrig bleibe. Sollte aber auch eine dergleichen vollständige Auseinandersetzung nicht zu erreichen stehen, so muß er sich wenigstens die gütliche Abmachung einiger Punkte, und vornehmlich


(342) Prozeßordnung. Eilfter Titel.

derjenigen, welche eine weitläufige und kostbare Erörterung voraus setzen, möglichst angelegen seyn sollten; in welchem Falle sodann, wegen der nicht verglichenen Punkte, die Instruktion ihren weiteren Fortgang behält.

§. 11.

Diese Anweisung findet besonders auch alsdann Statt, wenn es bei einem Prozesse auf irgend einen Präjudicialpunkt, z. B. auf eine streitige Rechtsfrage, auf die Auslegung eines Testaments, einer Urkunde u. dgl. ankommt. Wenn in einem solchen Falle über den Präjudicialpunkt selbst kein Vergleich zu Stande gebracht werden kann, so bleibt dem Deputirten des Gerichts noch immer der Versuch übrig, die Parteien wenigstens über die Folgen, wenn jener Punkt auf diese oder jene Art entschieden würde, in Güte zu vereinigen, und solchergestalt wenigstens diejenigen Weitläufigkeiten und Kosten, welche entstehen würden, wenn auch diese Folgen durch fortgesetzte Untersuchungen rechtlich erörtert werden müßten, abzuschneiden.

§. 12.

Sind die Parteien nicht in Person, sondern nur durch Bevollmächtigte erschienen; so muß auch mit diesen der Vergleich vorbeschriebenermaaßen versucht, und es müssen zu dem Ende dergleichen Bevollmächtigte von ihren Machtgebern mit der erforderlichen Instruktion dazu versehen, auch denselben die erforderliche Specialvollmacht dazu von Anfang an ertheilt, oder doch von ihnen, wenn sie den Vergleich unter verhoffter Genehmigung des Machtgebers geschlossen haben, entweder diese Vollmacht, oder die Genehmigung selbst, in einer jedesmal nach den Umständen zu bestimmenden Frist nachgebracht werden.

§. 13.

Aus einem solchen gerichtlich geschlossenen Vergleich kann, wenn der eine oder der andere Theil mit


(343) Versuch der Sühne

dessen Erfüllung säumig wäre, eben so, wie aus einem rechtskräftigen Urtel, Exekution gesucht und verfügt werden.

Rechtliche Folgen eines ohne Grund ausgeschlagenen Vergleichs.

§. 14.

Kommt aber auch der Vergleich nicht zu Stande, so sind dennoch die von dem Deputirten gemachten Vorschläge, und die Erklärung beider Theile darüber, in dem Protokolle aufzuführen; allermaaßen derjenige, welcher ein ihm vorgeschlagenes gütliches Abkommen einzuschreiten beharrlich verweigert hat, wenn er in dem künftigen Erkenntnisse nur so viel, oder gar noch weniger, als ihm im Wege des Vergleichs angeboten worden ist, erhalten sollte, der Regel nach, jedesmal in den Ersatz derjenigen Kosten, welche durch die ferneren Verhandlungen nach dem Sühnsversuche entstehen, verurtheilt werden soll. Doch findet diese letztere Vorschrift nur alsdann Statt, wenn der Vergleichsvorschlag zu einer Zeit geschehen ist, da die Sache schon so weit auseinander gesetzt war, daß die Partei über das Verhältnis desselben gegen das Objekt des Prozesses, und dessen wahrscheinlichen Erfolg, nach vernünftigen Gründen ein Urtheil fällen konnte. Betraf hingegen der Prozeß bloß, oder doch hauptsächlich, eine zweifelhafte Rechtsfrage, oder die Auslegung einer dunkel oder zweifelhaft gefaßten Urkunde, oder geschah der Vergleichsvorschlag zu einer Zeit, da die Sache noch in einer gänzlichen Dunkelheit beruhte; so kann der Umstand, daß dieser Vorschlag verworfen, und der Partei in der Folge weniger zuerkannt worden sey, für sich allein die Verurtheilung derselben in die Kosten noch nicht begründen.


(344) Prozeßordnung. Zwölfter Titel.

Zwölfter Titel.

Vom Beschluß der Sache und der Vorlegung der Akten.

In welchen Fällen ein besonderer Termin zum Beschluß der Sache nöthig sey; oder nicht.

§. 1.

Wenn bei einer Instruktion aus dem regulirten Statu causae et controversiae sich ergiebt, daß keine streitigen Thatsachen, die noch durch Beweis näher ins Licht gesetzt werden müßten, vorhanden sind; so bedarf es keines besondern Termins zum Schlusse der Sache, sondern es erfolgt sogleich nach geendigter Instruktion, der Versuch der Sühne, nach Vorschrift des vorhergehenden Titels; und wenn dieser furchtlos ist, so wird mit Aufnehmung der Deduktion, nach der unten §. 13. 14. 15. erfolgenden Vorschrift, verfahren.

§. 2.

Ein Gleiches findet Statt, wenn der Beweis der streitig gebliebenen Thatsachen bloß durch Urkunden, die vor oder in dem Instruktionstermine zu den Akten gebracht worden, und über deren Rekognition oder Diffession keine besonderen Verhandlungen nöthig gewesen sind; ingleichen, wenn derselbe bloß durch den Eid geführt wird, und in diesem letztern Falle entweder die Ableistung des Eides, oder doch die Abgabe der bestimmten Erklärung darüber, nach Vorschrift des Fünften Abschnittes im Zehnten Titel erfolgt ist.

§. 3.

Wenn hingegen über die bei Regulirung des Status causae et controversiae streitig gebliebenen Thatsachen eine förmliche Beweisesaufnahme, es sey durch Zeugenaussagen, oder durch Einnehmung des Augenscheins, oder auch durch Urkunden, die noch erst edirt, oder sonst herbei geschafft werden müssen, erforderlich gewesen ist; so muß, wenn nur diese


(345) Beschluß der Sache.

Beweismittel wirklich aufgenommen sind, ein besonderer Termin zum Schlusse der Sache, mit Vorladung beider Theile, anberaumt werden.

§. 4.

Es ist nicht nothwendig, daß die Parteien diesen Termin in Person abwarten, sondern hinreichend, wenn es auch nur durch ihre Bevollmächtigtem oder Rechtsbeistände geschieht.

Verhandlungen im Schlußtermine.

§. 5.

Die Absicht des Schlußtermins ist:

1) daß darin die Sühne unter den Parteien nochmals versucht;

2) mit der Inrotulation der Akten verfahren;

3) wegen der etwa beizubringenden Rechtsausführungen (Deduktionen) die erforderlichen Einleitungen gemacht werden sollen.

Besonders wenn Nova darin vorkommen.

§. 6.

Wenn vor oder in diesem Schlußtermine eine Partei noch entweder neue Beweismittel über die in dem Statu causae et controversiae zur nähern Erörterung ausgesetzte Thatsachen vorschlägt; aber auch neue Umstände, die zur Unterstützung und vollständigen Aufklärung des bei der Sache zum Grunde liegenden Hauptfakti beitragen können; anführt (in welchem letztern Falle jedoch die Beweismittel über solche neue Umstände allemal zugleich bestimmt angegeben, und, wenn sie in Urkunde bestehen, dieselben sofort beigelegt werden müssen); so soll zwar auch alsdann noch darauf Rücksicht genommen, und mit der Fortsetzung der Instruktion über die neuen Thatsachen, oder mit Aufnehmung der neuen Beweismittel, verfahren werden.

§. 7.

Eine solche Partei muß aber nicht nur, zur Fortsetzung der Instruktion und Beweisesaufnahme, einen von dem Richter zu bestimmenden und allenfalls durch Exekution beizutreibenden Kostenvorschuß


(346) Prozeßordnung. Zwölfter Titel.

niederlegen; sondern sie soll auch, wenn sie gleich in der Folge ein obsiegliches Urtel erhält, dennoch alle aus dieser Fortsetzung erwachsenen Kosten allein tragen. Fällt ihr aber schon aus anderen in der Sache selbst liegenden Gründen der Kostenersatz zur Last, so muß sie noch außerdem, wegen der ungebührlichen Verzögerung der Instruktion durch verspätete Beibringung solcher neuen Umstände oder Beweismittel, in eine nach Verhältniß der entstandenen mehreren Kosten zu bestimmende Geldstrafe verurtheilt werden.

Ist die Partei, welche sich einer solchen Zögerung schuldig macht, unvermögend, so soll sie statt des Kostenersatzes und der Geldbuße, nach Befinden, mit verhältnißmäßiger Gefängnißstrafe, je nachdem die neuen Anführungen an und für sich gegründet gewesen ist oder nicht, und ein stärkerer oder schwächerer Verdacht der vorsätzlichen Zurückhaltung gegen sie obwaltet, belegt werden.

Von diesen Vorschriften wegen der Kosten und Strafen, die denjenigen treffen sollen, welcher durch verspätete Anzeige von Umständen und Beweismitteln den Abschluß der Instruktion verzögert, findet nur alsdann eine Ausnahme Statt, wenn klar erhellet, daß dem Gegentheile dergleichen Umstände wohl bekannt gewesen, und er dieselben geflissentlich verschwiegen, oder gegen besseres Wissen abgeläugnet habe.

§. 8.

Damit auch die Nachsicht der Gesetze in Zulassung neuer Thatsachen oder Beweismittel vor oder in dem Schlußtermine, von trägen oder gar boshaften Parteien nicht gemißbraucht werden könne; so soll diese gesetzliche Zulassung nur einmal Statt finden. Wenn also eine Instruktion schon einmal zur Ansetzung des Schlußtermins reif gewesen ist, und dieser wegen der neuen Anführungen einer Partei nicht hat anberaumt werden, oder vor sich gehen können,


(347) Beschluß der Sache.

so soll wenn nunmehr die fortgesetzte Instruktion wiederum bis zum Schlusse gediehen ist, auf nochmalige Anführungen eben derselben Partei, wodurch eine neue Verzögerung entstehen würde, für diese Instanz keine Rücksicht mehr genommen werden. In wie fern dergleichen Angaben noch in der folgenden Instanz aufgenommen werden können, und daß, wenn es geschehen ist, dem Alleganten dennoch allemal die Kosten der dadurch veranlaßten neuen Instruktion zur Last fallen müssen, wird in der Folge näher vorgeschrieben.

Von der Inrotulation.

§. 9.

Wenn in dem Schlußtermine der Versuch der Sühne nich Statt findet, so wird mit der Inrotulation der Akten verfahren.

Diese besteht darin, daß die in der Registratur ordentlich gehefteten, und mit einem Verzeichnisse (Rotulo) von dem Protokollführer versehenen Akten, den Parteien oder deren Bevollmächtigten und Rechtsbeiständen vorgelegt werden, um sich zu überzeugen, daß dieselben vollständig sind, und Alles, was dazu gehört, enthalten. Nach dessen richtigem Befunde wird der Rotulus von den Parteien oder deren Assistenten mit unterschrieben. Ein solcher Rotulus muß aber nicht bloß in einer allgemeinen, bloß nach dem Datum oder dem Namen des Exhibenten bestimmten Angabe der Aktenstücke bestehen, sondern es muß bei einem jeden derselben der wesentliche Inhalt, obwohl nur ganz kurz, bemerkt seyn. Auch müssen wichtige Beilagen, ingleichen Vollmachten, in dem Rotulo besonders bemerkt werden.

§. 10.

In Fällen, da nach §. 1. und 2. kein besonderer Schlußtermin anberaumt wird, bedarf es in der Regel, und wenn nicht etwa bei der Instruktion selbst, besonders in Sachen, die mehrere Punkte betreffen, viele verschiedene Originalurkunden zu den Akten


(348) Prozeßordnung. Zwölfter Titel.

gekommen sind, keiner förmlichen Akteninrotulation; sondern es ist genug, wenn nur das von dem Protokollführer über den Inhalt der Akten angefertigte Verzeichniß von ihm allein unterschrieben wird.

 Von Deduktionen.

§. 11.

Nach geschlossener Instruktion steht es den Parteien frei, besondere Ausführungen ihrer aus den entwickelten Thatsachen folgenden Rechte zu den Akten zu bringen. Diese Deduktionen sind jedoch kein wesentliches Stück des Prozesses, und es kann daher wenn auch die Akten ohne dergleichen Deduktionen zum Spruche vorgelegt worden sind, gegen das daraus erfolgende Urtel bloß aus dieser Ursache keine Ausstellung gemacht werden; allermaaßen die in solchen Deduktionen auszuführenden Rechtsgründe dem Richter ohnehin nicht unbekannt seyn können, und von ihm, wenn sie auch von den Parteien nicht ausdrücklich gerügt worden sind, dennoch in gehörige Erwägung gezogen werden müssen.

Anh. §. 98. Die Zufertigung der Deduktion geschieht in allen Instanzen nur mittelst Abschrift des Dekrets.

§. 12.

Die Deduktionen werden in der Regel von den rechtserfahrenen Bevollmächtigten oder Beiständen, deren sich die Parteien bei der Instruktion bedient haben, angefertigt. Doch steht einer jeden Partei, besonders denjenigen, welche die Instruktion persönlich, ohne besondere Assistenten, abgewartet haben, frei, die Anfertigung der Deduktion irgend einem andern selbst gewählten Rechtsgelehrten zu übertragen. Es ist aber die eigene Sache einer solchen Partei, dafür zu sorgen, daß die Deduktion zur bestimmten Zeit zu den Akten komme; indem, über diese Zeit hinaus, die Vorlegung der Akten unter dem Vorwande daß die Deduktion einem noch nicht informirten, oder entfernten Rechtsgelehrten aufgetragen worden ist, niemals aufgehalten werden soll. Auch


(349) Beschluß der Sache.

müssen dergleichen Deduktionen allemal von einem Justizkommissario, welcher bei dem Obergerichte, in dessen Departement der Prozeß geführt wird, aufgenommen ist, unterschrieben, oder legalisirt seyn; welcher für die in einer solchen Schrift etwa vorkommenden unerlaubten Ausfälle gegen den Richter, den Gegentheil, oder einen Dritten ingleichen für die darin etwa enthaltenen offenbaren Verdrehungen der bei der Instruktion ausgemittelten Thatsachen verantwortlich ist.

Uebrigens versteht sich diese Vorschrift, wegen der den Parteien unter den beigefügten Maaßgaben verstatteten Freiheit, die Deduktionen durch jeden sich dazu gewählten Rechtsverständigen anfertigen zu lassen, nicht nur von der ersten, sondern auch von den folgenden Instanzen. Doch muß, besonders in der Appellationsinstanz, die Partei, sogleich beim Schlusse der Sache, denjenigen benennen, welchem sie die Anfertigung der Schrift übertragen habe, damit bei etwa vorfallenden Verzögerungen das Gericht an diesen sich halten könne.

Wenn die Partei einen bloß zur Anfertigung der Deduktion gewählten Konsulenten von den bisherigen Verhandlungen informiren könne und wolle, bleibt lediglich ihre Sache; und sie kann höchstens nur darauf antragen, daß die gerichtlichen Akten diesem Koncipienten in der Registratur des Gerichts selbst vorgelegt werden.

§. 13.

In der Regel müssen also die rechtlichen Ausführungen in dem Schlußtermine durch die Assistenten, deren sich die Parteien bei der Instruktion bedient haben, mündlich zum Protokolle gegeben werden.

§. 14.

Ist aber die Sache nach ihrer Weitläufigkeit und Wichtigkeit so beschaffen, daß die Parteien darauf antragen, ihnen die Beibringung schriftlicher Deduk(tionen)


(350) Prozeßordnung. Zwölfter Titel.

(deduk)tionen zu gestatten; so muß eine Frist dazu von Acht Tagen, bis Vier oder höchstens Sechs Wochen, durch eine auf das Schlußprotokoll abzufassende Resolution bestimmt werden.

§. 15.

Es findet aber dabei kein Schriftwechsel Statt, sondern beide Theile müssen ihre Deduktionen zugleich, und ohne daß einer auf den anderen warten kann oder darf, einreichen. Auch findet eine Verlängerung der einmal bestimmten Frist unter keinerlei Vorwande Statt; sondern es müssen, mit Ablauf derselben, es mögen nun eine oder beide, oder keine von den Deduktionen eingekommen seyn, die Akten sofort zum Spruche vorgelegt werden.

Anh. § 99. Wenn eine Partei mit der Einreichung ihrer Deduktion einmal präkludiert worden, so ist solche nachher ohne Einwilligung des Gegners nicht zu den Akten zu verstatten, sondern der säumigen Partei zurückzugeben.

§. 16.

In den Deduktionen, besonders wenn sie schriftlich aufgesetzt werden, muß der Verfasser derselben einen kurzen, bündigen, doch vollständigen Statum causae, so wie durch die jetzt geschlossene Instruktion die Sache in ihrem ganzen Zusammenhang, seiner Ueberzeugung nach, ausgemittelt ist, vorausschicken, und daraus die rechtlichen Folgerungen, nach den Gesetzen, und deren Analogie, mittelst gründlicher Anwendung derselben auf die entwickelten Thatsachen, herleiten.

§. 17.

Die Verfasser der Deduktionen müssen sich also dabei lediglich an das Faktum, so wie dasselbe durch die Instruktion entwickelt worden ist, halten, und bei schwerer Ahndung sich nicht unterfangen, durch Verdrehung desselben den Richter irre machen, oder durch unrichtige Anführung und erzwungene sophistische Auslegung der Gesetze etwas zum Vortheil der Partei erschleichen zu wollen.


(351) Beschluß der Sache.

§. 18.

Auch kann zwar der Verfasser der Deduktion die Fehler und Mängel, die er noch bei der Instruktion zu bemerken glaubt, besonders aber die Gründe, aus welchen er dafür hält, daß ein von seiner Partei angegebenes, von dem Richter aber als unerheblich verworfenes, und eben deswegen unerörtert gebliebenes Faktum dennoch erheblich sey, und also durch Beweis näher ins Licht hätte gesetzt werden sollen, offenherzig und freimüthig, jedoch mit geziemender Bescheidenheit, anzeigen und ausführen; doch soll durch solche erst bei den Deduktionen vorkommenden Ausführungen die Vorlegung der Akten zu Spruche niemals aufgehalten werden.

§. 19.

Auf ganz neue Thatsachen, oder auf Anzeigen neuer Beweismittel, die in solchen Deduktionen etwa vorkommen, soll für diese Instanz in der Regel keine Rücksicht genommen werden, da den Parteien Zeit und Raum genug gelassen ist, Alles, was zur Aufklärung der Thatsachen, irgend etwas beitragen kann, vor und in dem Instruktionstermine, ja allenfalls auch noch im Schlußtermine, vorzutragen und anzubringen; übrigens aber, wenn eine Partei dergleichen neuen Umstand für so erheblich achtet, daß sie auf den Grund desselben ein besseres Urtel zu erhalten sich getrauet, ihr frei bleibt, davon, jedoch unter dem gehörigen Orts festgesetzten Vorbehalte wegen der Kosten der neuen Instruktion, noch in der zweiten Instanz Gebrauch zu machen. Die Ausnahme hiervon ist Tit. X. § 3. bestimmt.

§. 20.

Nach eingekommenen Deduktionen, aber auch wenn die dazu bestimmte präklusivische Frist abgelaufen ist, werden die Akten zur Abfassung des Erkenntnisses vorgelegt.

Anh. §. 100. In Sachen, wo es auf Auslegung des undeutlichen oder zweideutigen Inhalts einer Urkunde


(352) Prozeßordnung. Zwölfer Titel.

oder auf bloße Rechtsfragen ankommt, und wo mithin die Verhandlungen der zweiten und dritten Instanz nur Wiederholungen desjenigen enthalten, was schon in erster Instanz vorgekommen ist, nicht minder in Fällen, wo die Bewandtniß der Sache in erster Instanz vollständig aufgeklärt worden und beiden Theilen an der baldigen rechtskräftigen Entscheidung gelegen ist, soll den Parteien frei stehen, nach vorgängiger Vereinigung unter sich, darauf anzutragen, daß mit Uebergehung des Richters erster Instanz die spruchreifen Akten dem Appellationsrichter, oder, mit Uebergehung beider, dem Revisionsrichter zu Entscheidung vorgelegt werden.

Anh. §. 101. Wenn ein Regiment oder ein sonstiges Militairinstitut in den Fall kommt, als Kläger oder Beklagter einen Prozeß führen zu müssen, in welchem es auf militairische Verfassung ankommt; so steht es demselben frei, über letztere ein schriftliches Gutachten zu den Akten zu geben, bevor solche zum Spruch vorgelegt werden.

§. 21.

Den gerichtlichen müssen allemal die Manualakten der Rechtsbeistände beigefügt, und selbige daher, wenn sie nicht schon im Schlußtermine, oder mit den Deduktionen übergeben worden sind, durch die Registratur sofort abgefordert werden. Doch sind die Manualakten in die Registratur nur versiegelt abzugeben, damit außer dem bestellten Referenten, und den votirenden Mitgliedern des Gerichts, niemand unbefugter Weise von deren Inhalte Kenntniß nehmen möge. Aus gleichem Grunde müssen auch die Manualakten, so bald davon bei dem Vortrage der Sache der erforderlichen Gebrauch gemacht worden ist, wieder versiegelt, und solchergestalt den Assistenten zurück gegeben werden.


(353) Erkenntniß.

Dreizehnter Titel.

Von Abfassung und Publikation der Erkenntnisse.

§. 1.

Zur Abfassung des Erkenntnisses wird von dem Vorgesetzten des Gerichts ein Referent bestellt, auch in sehr wichtigen und weitläufigen Sachen demselben ein Koreferent beigegeben.

§. 2.

Der Deputirte, welcher die Instruktion besorgt hat, kann niemals Re- oder Korreferent seyn; auch muß bei stärker besetzten Kollegien der Decernent dazu nicht bestellt werden.

§. 3.

Der Referent muß die Akten, so bald sie ihm zugestellt worden sind, aufmerksam durchlesen, und dabei prüfen, ob auch bei der Instruktion überall ordnungsmäßig verfahren, und der ganze Prozeß zum Definitiverkenntnisse hinlänglich eingeleitet worden ist.

§. 4.

Findet sich dabei noch ein Mangel, so muß er selbigen dem Kollegio pflichtmäßig und ohne Rückhalt anzeigen; dieses aber muß, wenn das Bedenken gegründet befunden wird, wegen Abhelfung desselben, und Ergänzung der Instruktion, das Erforderliche sofort durch eine vorläufige Resolution, wofür weder Urtels- noch andere Gebühren angesetzt werden dürfen, verfügen.

§. 5.

Findet sich hingegen bei der Instruktion nichts mehr zu erinnern, so muß der Referent die Hauptsache dem Kollegio gehörig vortragen.

§. 6.

Dieser Vortrag geschieht in der Regel, und wenn nicht von einer bloßen klaren Schuld- oder anderen


(354) Prozeßordnung. Dreizehnter Titel.

summarischen Sache die Rede ist, durch eine schriftlich abzufassende Relation.

Von der Methode zu referiren.

§. 7.

Die Absicht einer solchen Relation ist, dem Kollegio die in den Akten enthaltenen Behauptungen der Parteien, nebst den zur Unterstützung oder Widerlegung derselben angeführten Gründen, getreu, deutlich, vollständig, und in einer natürlichen Ordnung vorzutragen; zu zeigen, was davon an Thatsachen wahr oder falsch sey; und was aus diesen Thatsachen nach den Gesetzen folge, richtig, herzuleiten; dadurch aber das Kollegium in den Stand zu setzen, daß es die ganze Sache gehörig übersehen, und jedes Mitglied sein Votum darin mit Gründlichkeit und Ueberzeugung abgeben könne.

Der Referent muß also, ehe er zur Aufsetzung der Relation schreitet, sich den ganzen Inhalt der Akten durch fleißiges Lesen derselben ganz genau und vollständig bekannt machen; das Verfahren des Instruenten sorgfältig prüfen; besonders den von demselben nach geschlossener Vernehmung der Parteien aufgenommenen Statum causae, ob er richtig, vollständig, dem wahren aus den Akten sich ergebenden Zusammenhange der Sache gemäß sey, aufmerksam untersuchen; eben so den Statum controversiae in gehörige Erwägung ziehen; und besonders nachsehen: ob etwa ein von einer Partei gerügtes, von dem Kollegio aber durch ein vorläufiges Konklusum als unerheblich verworfenes Faktum, im Fortgange eine Instruktion, durch den näher entwickelten Zusammenhang der ganzen Sache, in eine solche Lage gekommen sey, daß es nunmehr wirklich in der Entscheidung des Prozesses einen erheblichen Einfluß habe; welchen Falls er einen solchen Umstand dem Kollegio sofort, und ohne allen Verzug, zur nochmaligen Beurtheilung und weiteren Vorfügung, nach Vorschrift §. 4. anzeigen muß.


(355) Erkenntniß.

Erst wenn der Referent diese vorläufige Deutung gewissenhaft angestellt, und bei der Instruktion selbst nichts Wesentliches zu erinnern gefunden hat, wendet er sich zur Ausarbeitung der schriftlichen Relation.

In dieser muß die Species facti, so wie sie in den Akten wirklich liegt, und von den Parteien nicht widersprochen ist, voraus geschickt; es müssen aber in dieselbe keine von einer oder der andern Partei noch bestrittene Thatsachen aufgenommen, oder, wenn dieses des Zusammenhanges wegen nicht gänzlich zu vermeiden ist, allemal dabei, daß ein solcher Umstand noch streitig sey, sorgfältig bemerkt werden. Sodann muß der Referent dem Kollegio die streitig gebliebenen Thatsachen Punkt für Punkt vortragen; das Anführen der Parteien dabei, den Inhalt der Beweismittel, das, was gegen die Zulässigkeit und Beweiskraft derselben etwa erinnert worden ist, getreulich angeben; in so fern es bei der Sache auf Rechtsfragen ankommt, das Wesentliche, was die Parteien darüber aus den Gesetzen, oder deren Analogie, zur Unterstützung ihrer Meinungen angeführt haben, bemerken; sodann sein Votum über die Entscheidung der Sache abgeben, und dasselbe mit Gründen gehörig unterstützen.

In diesen Gründen, welche auch dem künftigen Erkenntnisse beizufügen sind, muß allemal eine vollständige und zusammenhängende Erzählung des ganzen Fakti nach allen seinen Haupt- und zur Sache gehörigen Nebenumständen, so wie selbiges nach dem Urtheil und der Ueberzeugung des Referenten durch die geführte Instruktion und den aufgenommenen Beweis feststeht, voraus geschickt werden. In gewöhnlichen Fällen wird sich aus dieser zusammenhängenden Erzählung des Fakti die Entscheidung des Prozesses von selbst ergeben, und es darf alsdann nur die Gesetzstelle, deren Anwendung auf das Faktum die Entscheidung begründet, angeführt werden.


(356) Prozeßordnung. Dreizehnter Titel.

Wenn aber zur Herleitung der Decision aus dem voraus geschickten Fakto eine weitere rechtliche Ausführung aus den Gesetzen und deren Analogie erforderlich ist, so muß selbige dem Fakto kurz und bündig beigefügt werden. Die Einwendung der Parteien gegen die Richtigkeit der von dem Urtelsfasser als erwiesen angenommenen Thatsachen; die Ausstellung derselben gegen die Zulässigkeit und Beweiskraft der Beweismittel, auf welche der Urtelsfasser seine Geschichtserzählung gegründet hat; und was etwa sonst noch die unterliegende Partei zur Unterstützung ihrer Anträge aus den Rechten hat anführen wollen, machen die Zweifelsgründe aus, mit deren Aufnehmung und Widerlegung die Relation geschlossen wird. Bestimmtere Vorschriften über die Abfassung der Relationen, und die dabei zu beobachtende Methode und Ordnung, können nach der Natur der Sache hier nicht ertheilt werden, da die vernünftige Erwägung der eigenthümlichen Beschaffenheit einer jeden vorliegenden Sache, einem aufmerksamen Referenten diejenige Methode, wie bei dieser Sache der vorbestimmte Zweck einer jeden Relation am nächsten und sichersten erreicht werden könne, von selbst an die Hand geben wird.

Was bei Beurtheilung streitiger Thatsachen zu beobachten.

§. 8.

Die Entscheidung des Prozesses selbst hängt entweder davon ab: wie sich die Thatsachen, aus welchen die Forderungen oder Einwendungen entspringen, der Wahrheit nach verhalten, oder welches Gesetz darauf anzuwenden, und wie dasselbe zu verstehen, oder zu erklären sey. Anh. Anh. §. 102. Wenn in Prozessen zwischen Privatpersonen Gegenstände und Rechtsfragen zur Sprache kommen, welche auf Principien der Landesverfassung, Staatsverwaltung, Staatswirthschaft, Polizei und Gewerbkunde Einfluß haben, und durch klare Gesetze nicht bestimmt sind; so müssen die Gerichte über dergleichen Gegenstände oder Rechtsfragen vor Abfassung des Erkenntnisses ein Gutachten von der Regierung einholen,


(357) Erkenntniß.

und sich darnach, als nach einem konsultativen Votum, achten.

Anh. §. 103. Wenn bei Einleitung und Entscheidung von Prozessen gegen Militairinstitute und Militairpersonen es einer Auskunft über Militairökonomie oder sonstige militairische Dienstverhältnisse bedarf; so sind die Gerichte verbunden, deshalb an den Chef der Justiz, zum Zweck der Rücksprache mit

dem Kriegsminister, Bericht zu erstatten.

Anh. §. 104. In Bergwerksprozessen, worin es auf Umstände ankommt, zu deren vollständiger Erläuterung und Beurtheilung, theoretische und praktische Kenntnisse der Bergwerkswissenschaft erforderlich sind, muß

bei Abfassung der Erkenntnisse ein von dem Bergamte der Provinz auf Requisition des Gericht zu ernennender Sachverständiger zugezogen werden.

§. 9.

Kommt es darauf an, die Wahrheit einer streitigen Thatsache zu beurtheilen, so kann ein dreifacher Fall eintreten; daß entweder dieselbe nach ihrem wahren Zusammenhange, bis zur völligen Ueberzeugung ausgemittelt; oder daß sie nur bis zu einem stärkern oder schwächern Grade der Wahrscheinlichkeit ins Licht gesetzt worden; oder daß durch die Aufnehmung der Beweismittel keine nähere Aufklärung hat erreicht werden können, sondern die Sache in derjenigen Lage geblieben ist, in welcher sie sich vor dieser Aufnahme befunden hat.

§. 10.

Bis zur völligen Ueberzeugung ist eine Thatsache ausgemittelt, wenn hinlängliche, glaubwürdige, und unter sich in keinem Widerspruche stehende Beweismittel vorhanden sind. Ohne das richterliche Ermessen in zu enge Schranken einzuschließen, lassen sich nur folgende Fälle auszeichnen, in welchen eine Thatsache für völlig erwiesen anzunehmen ist:

1) Wenn der deutliche Inhalt eines öffentlichen, oder eines rekognoscirten Privatdokuments hinlängliche Auskunft giebt; und wider die Glaubwürdigkeit eines solchen Dokuments nichts

(358) Prozeßordnung. Dreizehnter Titel.

eingewendet, oder die gemachten Einwendungen unerheblich oder ungegründet befunden worden.

2) Wenn durch die von beiden Theilen gehaltenen Kerbhölzer der Streit geschlichtet werden kann, und diese bei der Zusammenhaltung übereinstimmend gefunden werden.

3) Wenn zwei oder mehrere glaubwürdige Zeugen eine Thatsache aus eigener Wissenschaft mit völliger Zuverlässigkeit bekunden.

4) Wenn der streitig gewesene Umstand ein Objekt betrifft, welches 50 Rthlr. oder weniger am Werthe beträgt, oder solchergestalt nach den im Titel von Bagatellsachen vorgeschriebenen Grundsätzen zu schätzen ist; und die Thatsache auch nur von Einem untadelhaften Zeugen vollständig bekundet wird.

5) Wenn beide Theile sich ausdrücklich erklärt haben, daß die Aussage eines gewissen Zeugen den Ausschlag geben solle, und der Zusammenhang der Sache durch dessen Aussage vollständig aufgeklärt ist.

6) Wenn ein in Eid und Pflicht stehender Officiant, in Sachen, welche sein Amt unmittelbar betreffen, Auskunft giebt, und wider dessen Glaubwürdigkeit keine Einwendungen erregt, oder erweislich gemacht worden sind.

7) Wenn ein vereideter Künstler oder Sacherständiger in Sachen, welche seine Kunst oder Gewerbe betreffen, sein Gutachten abgiebt, und die zu dessen Unterstützung angeführten Gründe nicht angefochten, oder die dagegen gemachten Erinnerungen ungegründet befunden worden sind.

8) Wenn die Parteien den Weg der Eidesdelation gewählt haben, und ein deferirter oder zurück geschobener Eid geschworen, oder erlassen, oder dessen Ableistung verweigert worden ist; da sodann,


(359) Erkenntniß.

nach Verschiedenheit dieser Fälle, die streitig gewesene Thatsache für wahr oder falsch anzunehmen ist.

9) Wenn durch eingenommenen Augenschein die wahre Beschaffenheit der Sache ausgemittelt worden ist.

In allen vorstehenden Fällen wird das streitige Faktum in der Lage beurtheilt, in welcher es die vorhandenen Beweismittel darstellen, und in dieser Maaße werden die daraus fließenden Rechte und Verbindlichkeiten im Urtel festgesetzt.

§. 11.

Nur bis zu einem stärkern oder schwächern Grade der Wahrscheinlichkeit ist eine Thatsache ausgemittelt,

wenn entweder

mehrere darüber aufgenommene Beweismittel sich widersprechen;

oder wenn es den vorhandenen und aufgenommenen Beweismitteln an vollkommener Glaubwürdigkeit ermangelt;

oder wenn das streitige Faktum nicht vollständig in seinem ganzen Umfange hat ausgemittelt werden können.

§. 12.

Widersprüche unter den Beweismitteln können sich ereignen:

1) wenn mehrere Dokumente abweichenden Inhalts sind;

2) wenn mehrere Zeugen sich widersprechen;

3) wenn eine Kollision zwischen den beigebrachten Dokumenten und den abgehörten Zeugen obwaltet;

4) wenn einige Mitberechtigte oder Verpflichtete die deferirten oder zurück geschobenen Eide schwören, andere hingegen dieselben abzuleisten verweigern, oder zurück schieben wollen;


(360) Prozeßordnung. Dreizehnter Titel.

5) wenn bei einer Okularinspektion das über den Befund aufgenommene Protokoll, und der Inhalt der beigebrachten Dokumente oder erfolgten Zeugenaussagen, sich nicht vereinigen lassen.

§. 13.

a) Zwischen Dokumenten.

Wenn mehrere Dokumente beigebracht werden, deren Inhalt nicht übereinstimmt, so ist zuvörderst genau zu prüfen: ob ein wahrer Widerspruch vorhanden sey; oder ob nicht, nach dem Sinne der Interessenten, das eine Dokument durch das andere abgeändert werden sollen; welchenfalls das erstere dem letztern weichen muß. So wie denn auch, wenn mehrere Dokumente Einer Art neben einander nicht bestehen können, und es auf eine einseitige widerrufliche Erklärung ankommt, daß (!) jüngere vor dem ältern den Vorzug behaupten muß.

§. 14.

Ist hingegen ein wirklicher Widerspruch vorhanden, und hat dessen Ursprung nach der Vorschrift Tit. X. Abschnitt VIII. §. 392. nicht ausgemittelt werden können; so muß, wenn eine öffentliche einer bloßen Privaturkunde widerspricht, letztere der ersten weichen. Auf gleiche Weise muß, wenn ein öffentliches gerichtliches mit einem anderen der gleichen aber nur außergerichtlichen Dokumente im Widerspruche sich befindet, letzteres dem erstern nachstehen.

§. 15.

Wenn Dokumente gleicher Art einander widersprechen, so müssen die Urtelsfasser vernünftig ermessen: ob eines derselben mit einer vorzüglichen Deutlichkeit und Genauigkeit abgefaßt worden, und der Widerspruch wahrscheinlich daher entstanden seyn könne, daß man bei Anfertigung des andern Dokuments flüchtig zu Werke gegangen sey, etwas ausgelassen, oder zweideutige Ausdrücke eingemischt habe; welchenfalls dem erstern eine vorzügliche Glaubwürdigkeit beizulegen ist.


(361) Erkenntniß.

§. 16.

b) Zwischen Zeugen.

Wenn mehrere abgehörte Zeugen sich widersprechen, und der Widerspruch auf die Tit. X. §. 207. 208. vorgeschriebene Art nicht hat gehoben werden können; so muß geprüft werden: ob die einander widersprechenden Zeugen nach ihrer persönlichen Dualität, und den Verhältnissen, worin sie mit den Parteien stehen, von gleicher Glaubwürdigkeit sind. Waltet hierin ein Unterschied ob, so müssen die Aussagen der minderglaubwürdigen Zeugen, ohne Rücksicht auf deren Anzahl, den Aussagen der unverwerflichen Zeugen nachstehen. Ist hingegen eine solche Verschiedenheit nicht erfindlich, so ist, ohne auf die Zahl der Zeugen zu sehen, genau zu untersuchen: welche unter ihnen die beste Gelegenheit und Veranlassung gehabt haben, von dem streitigen Fakto Kenntniß zu erlangen; und welche der selben sich bei ihrer Vernehmung durch Genauigkeit und Zusammenhang in ihren Erzählungen vorzüglich auszeichnen.

§. 17.

Kann auch auf solche Art kein Uebergewicht ausgemittelt werden, so ist alsdann auf die Anzahl der Zeugen Rücksicht zu nehmen; welche bestimmen muß, ob und von welcher Partei noch ein Eid gefordert werden solle.

§. 18.

c) Zwischen Dokumenten und Zeugen.

Wenn ein Widerstand zwischen den beigebrachten Urkunden und den abgehörten Zeugen obwaltet, so kommt es zuvörderst darauf an, ob die Zeugen die Glaubwürdigkeit des Dokuments anfechten, oder ob nur der Inhalt des Dokuments von der Aussage der Zeugen abweiche.

§. 19.

Wird durch die Aussagen der Zeugen die Glaubwürdigkeit des Dokuments angefochten, so ist eigentlich kein Widerspruch vorhanden; und es ist nur darauf zu sehen: in wie weit die zur Entkräftung des


(362) Prozessordnung. Dreizehnter Titel.

Dokuments angeführten Tatsachen nach Vorschrift Tit. X. Abschn. VII. §. 394. ausgemittelt sind. Wenn dieses geschehen ist, so kann, besonders wenn es auf ein öffentliches gerichtliches Dokument ankommt, dessen Entkräftung nur alsdann bewirkt werden, wenn mehrere, ganz unverwerfliche, in ihren Aussagen völlig übereinstimmende, und durch überzeugende Kennzeichen der Genauigkeit sich auszeichnende Zeugen, solche Thatsachen bekunden, welche dem Dokumente die Beweiskraft entziehen. Ermangelt es daran, so können die Zeugenaussagen nur so viel wirken, daß noch von dem einen oder dem anderen Theile ein nothwendiger Eid geleistet werden muß.

§. 20.

Kann aus den Aussagen der Zeugen das Gegentheil desjenigen gefolgert werden, was die Dokumente ergeben, und hat dieser Widerspruch auf die im Zehnten Titel §. 395. vorgeschrieben Art nicht gehoben werden können; so behält, wenn die Urkunde ein öffentliches gerichtliches Dokument ist, dieselbe jederzeit den Vorzug vor den Aussagen der Zeugen. Wenn hingegen nur von öffentlichen außergerichtlichen Urkunden, oder gar nur von Privatdokumenten die Frage ist; so muß in Sachen, welche sich vor sehr geraumer Zeit ereignet haben, oder wo es auf Namen, Zahlen, Maaß oder Gewicht, und überhaupt auf Umstände ankommt, welche leicht dem Gedächtnisse entfallen können, den Dokumenten der Vorzug gegeben werden. Außer diesem Falle kommt es darauf an: ob von dem Zeugen ein wahrscheinlicher Grund des obwaltenden Widerspruchs angegeben worden ist. Ist dieses geschehen, und die Zeugenaussagen sind von solcher Beschaffenheit, daß sie an und für sich eine volle Ueberzeugung wirken; so müssen diese, sonst aber jederzeit die vorhandenen Dokumente, vorzüglich, wenn sie zur Klasse der öffentlichen,


(363) Erkenntniß.

obwohl außergerichtlichen Urkunden gehören. den Ausschlag geben.

d) Bei Eideszuschiebungen.

§. 21.

Wenn ein Widerspruch daher entsteht, daß einige Litiskonsorten sich zu Ableistung de- oder referierter Eide erbieten; andere hingegen die Eidesleistung verweigern, oder den Eid zurück schieben wollen; so finden die Vorschriften des Zehnten Titels §. 239. und §. 275-278. Anwendung.

e) Bei Okularinspektionen.

§. 22

Wenn bei einer Okularinspektion ein Unterschied zwischen dem über dem Befund aufgenommenen Protokolle, und dem Inhalte der beigebrachten Urkunden, oder den Aussagen der Zeugen obwaltet; und der Widerspruch hat durch Führung der Zeugen an Ort und Stelle nach Vorschrift Tit. X. §. 396. nicht erledigt werden können; oder es sind Dokumente widersprechenden Inhalts vorhanden; so ist ein Unterschied zu machen: ob es bei Entscheidung der Sache auf deren gegenwärtigen Zustand, oder darauf ankommt, wie derselbe zu einer bestimmten bereits verflossenen Zeit beschaffen gewesen ist. Erstern Falls hat jederzeit das Protokoll über die Besichtigung letztern Falls aber das Beweismittel den Vorzug, welche sich dem bestimmten Zeitpunkte am meisten nähert; besonders wenn ausgemittelt werden kann, wodurch die nachherige Veränderung entstanden sey.

§. 23.

Bei allen diesen solchergestalt auseinander gesetzten Kollisionen der Beweismittel bleibt es dem Ermessen der Urtelsfasser überlassen, in wie fern sie, mit Rücksicht auf die ertheilten Vorschriften, eine Thatsache für erwiesen annehmen; oder von einer der Parteien eine nothwendigen Eid fordern; oder die Sache in der Lage betrachten zu müssen glauben, als ob keine Beweismittel wären beigebracht worden.


(364) Prozessordnung. Dreizehnter Titel.

Von Unzulänglichkeit der Beweismittel. Vom Suppletorio u. Purgatorio.

§. 24.

In dem zweiten §. 11. bemerkten Hauptfalle, wenn es den vorhandenen Beweismitteln an vollständiger Glaubwürdigkeit ermangelt, bleibt es dem Ermessen der Urtelsfasser überlassen, nach genauer Prüfung der vorhandenen Beweismittel festzusetzen: ob ein Erfüllungs- oder Reinigungseid geschworen werden solle; wobei vorzüglich auf die dem einen oder dem andern Theile zu Statten kommenden Präsumtionen, ingleichen darauf Rücksicht zu nehmen ist, welche Parteien bei der Instruktion, durch vollständige und genaue Anzeige des Zusammenhanges der Sache, sich eines vorzüglichen Zutrauens würdig gemacht, oder durch Widersprüche, oder dadurch der Glaubwürdigkeit ihrer Angaben geschadet haben, daß einige ihrer Behauptungen falsch befunden, oder sie eines frevelhaften Läugnens überführt worden sind.

Hierbei versteht es sich von selbst, daß, wenn eine Partei nach Anleitung des folgenden Drei und zwanzigsten Titels §. 52. Nr. 5. für unfähig erklärt worden, einen nothwendigen Eid zu schwören, deren Gegner der Eid aufzulegen ist. Auf gleicher Art ist, wenn Juden mit Christen streiten, den Letztern vorzüglich ein nothwendiger Eid abzufordern; in so fern nicht überwiegende Gründe vorhanden sind, dem Juden mehrere Glaubwürdigkeit als dem Christen beizulegen. Sollte es an anderen Gründen ermangeln, wodurch die Urtelsfasser bestimmt werden könnten, welcher Partei die Eidesleistung zu verstatten sey; so muß darauf gesehen werden, ob eine derselben nur de veritate, die andere hingegen nur de ignorantia würde schwören können, welchenfalls die erstere vorzüglich zur Eidesleistung zuzulassen ist.

Anh. §. 105. Der in diesem §. gemachte Unterschied zwischen Juden und Christen findet nicht ferner Statt. (SieheTit. X. §. 230. Anh. §. 88.)


(365) Erkenntniß.

§. 25.

Personen, die nach Tit. X. §. 227. als Zeugen nicht vereidet werden können, können auch zu einem Erfüllungs- oder Reinigungseide nicht gelassen werden. Doch soll einen Deserteur, wenn er Pardon erhalten hat, die ehemalige Verletzung seiner Pflicht zur Ableistung eines nothwendigen Eides in seinen Privatrechtsangelegenheiten nicht unfähig machen.

In welchen Fällen übrigens ein vollständiger Beweiß erfordert, und die Ergänzung desselben durch den Erfüllungseid nicht zugelassen werde, ist in den Gesetzen bestimmt. (Allg. L. R. Th. I. Tit. IV. §. 50. Tit. XVI. §. 106. u. f.)

§. 26.

Nach gleichen Grundsätzen, wie in dem Falle des §. 24. ist zu verfahren, wenn in dem Dritten §. 11. bestimmten Hauptfalle, das streitige Faktum nicht vollständig oder in seinem ganzen Umfange ausgemittelt werden kann; besonders ist als dann, wenn vielleicht nur in Ansehung einer zu bestimmenden Quantität oder Summe, oder eines anderen Nebenumstandes, ein Zweifel obwaltet, von demjenigen noch ein nothwendiger Eid zu fordern, dessen Angaben in Ansehung der übrigen Haupt- oder Nebenumstände als wahr erwiesen worden sind.

5) Wenn durch den aufgenommenen Beweis nichts ausgemittelt worden.

§. 27.

Ergibt es sich, daß die Instruktion der Beweismittel ganz fruchtlos gewesen, und die Sache in der Lage geblieben sey, worin sie vor Aufnehmung des Beweises war; so erhält diejenige Partei, welcher rechtlicher Präsumtionen zu statten kommen, ein obsiegliches Urtel.

§. 28.

Sind keine anderen rechtlichen Päsumtionen vorhanden, so giebt der Satz den Ausschlag: daß keine Thatsache und keine Veränderung vermuthet wird; und muß daher, wenn ein Klagepunkt oder Einwand


(366) Prozessordnung. Dreizehnter Titel.

bloß in einem bestrittenen Fakto beruht, weshalb weder Beweismittel beigebracht werden können, noch besondere rechtliche Präsumtionen obwalten, ein solcher Klagepunkt oder Einwand verworfen werden.

Anh. §. 106. Es kann daher auch nicht vermuthet werden, daß jemand verheirathet gewesen sey und Kinder erzeugt habe; und der Richter ist, sofern keine besonderen Umstände eintreten, die eine solche Vermuthung begründen, weder befugt noch schuldig, weitere Nachforschungen darüber von Amts wegen anzustellen.

Fälle, wo eine Theilung des Objecti litis Statt findet.

§. 29.

Sollte sich endlich der nicht leicht zu erwartende Fall ereignen, daß ein nicht zu hebender Widerspruch in den Beweismittel obwaltete, und aller deshalb ertheilten Vorschriften ungeachtet, kein Bewegungsgrund vorhanden wäre, weshalb einer Partei vorzüglich vor der andern die Ableistung eines nothwendigen Eides verstattet werden könnte; so soll es den Urtelsfassern erlaubt seyn, den Gegenstand des Streits nach einem billigen Verhältnisse zu theilen, in so fern die in solchen Fällen auf das sorgfältigste zu versuchende Sühne nicht Platz greifen will. (Allg. L. R. Th. I. Tit. XVII. §. 379 – 382.)

§. 30.

Eine solche Theilung findet daher nur als dann Statt, wenn die Sache nach rechtlichen Gründen in ihrem bisherigen Zustande nicht verbleiben kann, sondern ausgemacht ist, daß damit eine Veränderung vorgenommen werden müsse; der Richter aber keine überwiegenden Gründe hat, sie unter mehreren Personen, welche deshalb gleiche rechtliche Vermuthungen für sich haben, der einen oder der anderen, mit Ausschluß der übrigen, zuzuerkennen.

Was bei Anwendung der Gesetze oder

§. 31.

In allen Fällen, da die Entscheidung des Prozesses von streitig gewordenen Thatsachen abhängt, wird die selbe, auf den Grund der nach obigen Vorschriften zu prüfenden Beweismittel, nach der Mehrheit


(367) Erkenntniß.

der Stimmen in dem Kollegio ertheilt. Ein gleiches findet in dem zweiten §. 8. angenommenen Falle Statt, wenn es darauf ankommt, nach welchem Gesetze der Streit entschieden, und wie dasselbe auf die vorliegenden Thatsachen angewendet werden solle.

bei deren Erklärung zu beobachten.

§. 32.

Wenn es aber auf den Sinn eines wirklich vorhandenen und auf den vorliegenden Fall anwendbar scheinenden Gesetzes ankommt, und dieser Sinn, nach der Mehrheit der Stimmen im Kollegio, für dunkel und zweifelhaft angesehen wird; so muß darüber bei der Gesetzkommission angefragt werden. (Allg. L. R. Einleit. §. 50-54.)

§. 33.

Zu dem Ende wird, jedoch mit gänzlicher Verschweigung des Namens der Parteien, und mit Uebergehung aller Thatsachen, bloß das dunkel scheinende Gesetz angegeben; es werden die verschiedenen Erklärungsarten, über welche die Mitglieder des Gerichts sich nicht haben vereinigen können, vorgetragen; und die Gründe, welche jeder Theil für seine Erklärungsart anführt, kürzlich bemerkt. Zuletzt wird die Meinung der Pluralität des Kollegii über diese verschiedenen Erklärungsarten beigefügt.

§. 34.

Diese Anfrage entwirft der Referent, und legt sie dem Kollegio zur Genehmigung vor, ohne daß es dabei einer Zuziehung der Parteien oder ihrer Rechtsbeistände bedarf. Doch soll nach publicirtem Erkenntnisse den Parteien die Abschrift der Anfrage nicht versagt werden, um allenfalls wider den Inhalt derselben in den ihnen offen stehenden ferneren Instanzen ihre rechtliche Nothdurft zu beobachten.

§. 35.

Die Anfrage wird mittelst Berichts an die Gesetzkommission eingesendet, und das darauf erfolgende

 


(368) Prozeßordnung. Dreizehnter Titel.

Konklusum bei Entscheidung der Sache für diese Instanz zum Grunde gelegt.

§. 36.

In dem Urtel selbst müssen zuvörderst die bei der Sache sich findenden vorläufigen und Präjudicialfragen, wohin auch die Incidentpunkte gehören, abgemacht, und bei jedem Punkte die Gründe der Entscheidung beigefügt; sodann zur Decision der Hauptsache übergegangen; wenn auch diese aus mehreren Punkten besteht, bei jedem derselben die Entscheidung besonders festgesetzt, und die Gründe dafür sofort angehängt werden.

§. 37.

Nicht nur in Pacht- und Rechnungsprozessen, sondern auch in anderen ähnlichen Fällen, besonders wenn mehrere Forderungen und Gegenforderungen bei Auseinandersetzung unter Erben, Gesellschaften (et)c. streitig gewesen sind, muß nach erfolgter Aburtelung aller einzelner Posten, der Saldo, wie viel nämlich ein Theil dem andern heraus zu zahlen, oder gut zu schreiben hat, allenfalls mit Zuziehung eines Kalkulators, berechnet, und im Urtel festgesetzt werden.

§. 38.

Die Kollegia und Urtelsfasser müssen sorgfältig Acht geben, daß überall die wirkliche Entscheidung und deren Gründe deutlich von einander unterschieden, und nicht etwas, das zu der erstern gehört, in die letztern, noch auch umgekehrt, mit eingemischt werde: indem bloße Entscheidungsgründe niemals die Kraft eines Urtels haben sollen.

§. 39.

Sind noch Eide zu schwören, oder sonst etwas, worauf die Entscheidung mit ankommt, von einem oder dem andern Theile blos einseitig zu leisten, und zu bewirken; so muß das Erkenntniß auf beide Fälle, wenn nämlich der Eid geschworen oder die Auflage


(369) Erkenntniß.

befolgt wird, oder wenn dieses nicht geschieht, gerichtet werden.

§. 40.

Wenn sowohl der Grund als der Betrag der Forderung bestritten, und über letztern die Sache mit instruiert worden; so muß, selbst wenn der Grund der Forderung verworfen, und also auf gänzliche Abweisung gesprochen wird, dennoch auch über den Betrag, welcher dem Kläger zukommen würde, wenn der Grund des Auspruchs in den folgenden Instanzen für richtig angenommen werden sollte, mit erkannt werden. Hätte jedoch der Instruent die Verhandlungen zur Ungebühr auf solche Punkte mit gerichtet, welche nach den Vorschriften der Prozeßordnung nicht mit zur Instruktion gezogen werden sollen; so steht dem erkennenden Richter dennoch frei, solche Punkte zu übergehen, dergestalt, daß darüber, nach rechtskräftig entschiedener Präjudicialfrage, nöthigenfalls noch besonders erkannt werde.

§. 41.

Auch in Ansehung der Kosten, ingleichen der Entschädigung und Strafen, welche einer oder der andere Theil, wegen verursachten unnützen Aufenthalts und Verzugs der Sache, dem Gegner oder der Strafkasse zu entrichten hat, muß in dem Urtel des Erforderliche festgesetzt werden.

§. 42.

Bei Abfassung der Erkenntnisse und Entscheidungsgründe müssen die Kollegia und Referenten sich der möglichen Deutlichkeit und Präcision, ingleichen einer natürlichen und allgemein verständlichen Schreibart befleißigen, damit über den Sinn des Urtels kein Streit entstehe; das Objekt eines jeden Punktes, und was dabei erkannt wird, vollständig, und nicht bloß beziehungsweise auf die Akten und die vorigen Urtel, darin ausgedrückt sey; auch die Parteien selbst einsehen und begreifen können, was


(370) Prozeßordnung. Dreizehnter Titel.

eigentlich, und warum es einem von ihnen ab-, und dem andern zuerkannt worden sey.

§. 43.

Obgleich in der Regel durch das erfolgende Urtel der ganze Prozeß nach allen seinen Gegenständen definitive entschieden werden muß, so hat es doch nicht nur bei der in der Folge wegen einiger besondern Prozeßkarten vorkommenden Ausnahmen, sondern auch bei der allgemeinen Vorschrift Tit. V. §. 28. und Tit. X. §. 60 u. f. dahin sein Bewenden, daß, wenn es bei einer Sache auf Präjudicialfragen ankommt, von deren Entscheidung die Hauptsache abhängt; ingleichen, wenn ein gewisser Theil der Forderung, oder ein dagegen gemachter Einwand, sich zur Erörterung nach den Vorschriften einer besondern Prozeßart qualifizirt, welche mit dem Hauptprozesse, ohne Verwirrung und wahrscheinlich fruchtlosen Aufenthalt zu veranlassen, nicht füglich verbunden werden kann, es dem instruirenden Richter freistehe, dergleichen Punkte von den übrigen abzusondern, und zur Erörterung in einem besondern Prozesse, in so fern es deren nach entschiedener Hauptsache noch bedürfen kann, zu verweisen; nach welcher bei der Instruktion gemachten Einleitung sich denn auch das darauf ergehende Urtel richten muß.

Wenn also z. B. über die Präjudicialfrage gestritten wird: ob jemand Rechnung zu legen schuldig sey? so muß nur darüber erkannt; die Rechnungslegung selbst aber, und der Streit über deren Richtigkeit, muß zur Separatverhandlung gewiesen werden. Wenn jemand als Erbe die Ausantwortung eines Nachlasses fordert, und ihm sein Erbrecht bestritten wird, so muß nur über letzteres erkannt werden; und die Ausmittlung und Festsetzung des heraus zu gebenden Nachlasses gehört in einen besondern Prozeß. Wenn einer eingeklagten Passivschuld von dem Erben des eigentlichen Schuldners, unter anderen


(371) Erkenntniß.

Einwendungen, auch die Rechtswohlthat des Inventarii entgegen gesetzt wird; so ist nur über die Richtigkeit der Schuldforderungen selbst, und in wie fern überhaupt der Beklagte sich jener Rechtswohlthat dagegen bedienen könne? zu sprechen; dagegen aber die Erörterung der Frage: ob der Nachlaß zur Bezahlung der eingeklagten Summe zureichend sey oder nicht? zur besondern Erörterung auszusetzen u. s. w.

Publikation der Urtel.

§. 44.

Die vorstehendermaaßen gehörig abgefaßten Erkenntnisse werden von den anwesenden Mitgliedern des Kollegii unterschrieben, und sodann den Parteien oder deren Bevollmächtigten publicirt.

§. 45.

Das Verfahren bei dieser Publikation hängt davon ab: in wie fern die Parteien mit rechtserfahrenen Beiständen oder Bevollmächtigten in der Instruktion versehen gewesen sind, oder nicht.

§. 46.

Haben die Parteien die Instruktion mit Zuziehung von Justizkommissarien als Beiständen oder Bevollmächtigten abgewartet, so wird diesen Letztern das Erkenntiß am nächsten Gerichtstage nach dessen Abschaffung publicirt, und daß es geschehen, unter dem Orginale verzeichnet.

§. 47.

Es bedarf dazu keiner besondern Vorladung der Assistenten oder Bevollmächtigten, sondern die Justizkommissarien sind schuldig, an jedem Versammlungstage des Kollegii, zu einer gewissen ein- für allemal zu bestimmenden Stunde, an gewöhnlicher Gerichtsstelle sich zu versammeln, und abzuwarten: ob in den von ihnen besorgten Prozessen eine Urtelspublikation erfolgen werde.

§. 48.

Die Kanzellei muß dafür sorgen, daß von jedem an einem Gerichtstage publicirten Urtel, den darunter


(372) Prozeßordnung. Dreizehnter Titel.

benannten Assistenten oder Bevollmächtigten sogleich, und spätestens vor Ablauf des Dritten Tages, eine Kanzelleiabschrift zur vorläufigen Ersehung und Rücksprache mit der Partei (für welche übrigens die §. 58. bemerkte Abschrift ebenfalls baldmöglichst ausgefertigt werden muß) zugestellt werde. Die Zeit, wann jeder Justizkommissarius die für ihn gehörenden Abschriften erhalten hat, muß der Kanzelleiinspektor auf dem Orginale pflichtmäßig bemerken.

§. 49.

Die Assistenten und Bevollmächtigten sind schuldig, die ihnen zugestellte Abschrift ihrer Partei ohne den geringsten Zeitverlust mitzutheilen, und ihr, wegen des etwa dagegen einzuwendenden Rechtsmittels, ihre Erklärung nach Vorschrift des folgenden Titels abzufordern.

§. 50.

Haben die Parteien sich zur Instruktion der Sache keiner bei dem Kollegio zur Prozeßpraxis zugelassenen Justizkommissarien bedient, sondern dieselbe entweder in Person, oder durch andere zulässige Bevollmächtigte, ohne dergleichen Rechtsbeistände abgewartet; so kommt es darauf an, ob solche Parteien, oder deren Bevollmächtigte, an dem Orte, wo das Gericht seinen Sitz hat, sich aufhalten, oder nicht.

§. 51.

Erstern Falls werden sie zur Publikation der Urtels, und zwar auf den nächsten Gerichtstag, nachdem selbiges abgefaßt und vollzogen worden, durch ein nicht schriftlich zu expedirendes, sondern ihnen bloß vorzuzeigendes Dekret vorgeladen.

§. 52.

In diesen Termine wird ihnen das Urtel durch den vorigen Instruenten publicirt; sie werden wegen der ihnen dagegen offen stehenden Rechtsmittel verständigt, und vernommen, ob sie Gebrauch davon zu machen gemeint sind.


(373) Erkenntniß.

§. 53.

Nimmt eine Partei Anstand, sich hierüber sogleich zu erklären, und will sie die Sache noch erst näher überlegen; so muß der die Publikation verrichtende Deputirte ihr den nächsten Sessionstag nach dem Ablaufe der zehntägigen Appellationsfrist als denjenigen Termin bestimmen und bekannt machen, an welchem sie sich an ordentlicher Gerichtsstelle melden, und ihre Erklärung: ob sie appelliren wolle, oder nicht? abgeben müsse; mit dem ausdrücklichen Bedeuten, daß bei unterbleibender Meldung dafür geachtet werden solle, daß sie bei dem Urtel sich beruhige.

§. 54.

Ueber den §. 52. u. 53. beschriebenen Vorgang der Publikation muß von dem Deputirten des Gerichts ein ordentliches Protokoll aufgenommen werden. Doch bedarf es dabei keines besonderen Protokollführers.

§. 55.

Parteien, die sich an dem Orte, wo das Gericht seinen Sitz hat, nicht aufhalten, müssen, wenn sie auch die Instruktion ohne Zuziehung eines rechtskundigen Assistenten oder Bevollmächtigten abgewartet haben, am Schlusse derselben angehalten werden, unter den am Orte befindlichen Justizkommissarien einen Bevollmächtigten zu wählen und anzuzeigen, dem künftig die Publikation des Erkenntnisses geschehen, und welcher die weitere Mittheilung an eine solche abwesende Partei besorgen solle. Alsdann finden wegen Publikation der Erkenntnisse, und was dem anhängig, die Vorschriften §. 46-49. Statt.

§. 56.

Wäre aber auch in diesem Falle die vorgeschriebene Benennung eines solchen Bevollmächtigten aus einer oder der andern Ursache unterblieben, so muß dennoch einer solchen abwesenden Partei aus der Zahl der bei dem Kollegio angesetzten Justizkommissarien

(374) Prozeßordnung. Vierzehnter Titel.

ein Bevollmächtigter von Amts wegen bestellt werden, welchem die Publikation geschieht, und welcher, in Ansehung der seiner Partei zu gebenden Nachricht, die Vorschrift des §. 49. beobachten muß.

§. 57.

Uebrigens versteht es sich von selbst, daß in allen Fällen das Datum der erfolgten Publikation auf dem bei den Akten verbleibenden Exemplare des Urtels registrirt werden muß.

Ausfertigung der Urtel.

§. 58.

Alle Erkenntnisse und Resolutionen, welche über die zum Prozesse gediehenen Rechte der Parteien etwas Entscheidendes festsetzen, sollen für jede derselben, außer der §. 48. bemerkten vorläufigen Kanzelleiabschrift, in beglaubter Form, unter dem Siegel des Kollegii ausgefertigt werden.

Anh. §. 107. Wenn wider einen Offizier in einer Schuldsache rechtskräftig erkannt worden ist, so soll von dem Ausfalle des Erkenntnisses, jedoch ohne Mittheilung einer Abschrift desselben, dem Kommandeur des Regiments, bei welchem der in Anspruch genommene Offizier angestellt ist, jedesmal Nachricht gegeben werden.

Vierzehnter Titel.

Von Appellationen, und wie mit der Instruktion derselben zu verfahren.

Erster Abschnitt.

In welchen Fällen die Appellation zulässig ist, und von der Wirkung derselben.

Von Deklarationen.

§. 1.

Wenn in dem publicirten Urtel erster Instanz irgend ein Irrthum in Worten, Namen oder Zahlen vorgefallen, oder wenn etwas darin dunkel und zweideutig ausgedrückt zu seyn scheint; so bedarf es deshalb keiner Appellation: sondern die Partei oder deren


(375) Appellationen.

Rechtsbeistand, welche dergleichen Anstand bemerken, müssen selbigen dem Kollegio durch ein Promemoria gebührend anzeigen; und dieses muß auf erfolgten Vortrag des ordentlichen Decernenten, im Beiseyn des Urtelsfassers, und nach befundener Richtigkeit der Anzeige, den vorgefallenen Irrthum durch eine sowohl bei dem in den Akten befindlichen Originale, als bei der den Parteien zugefertigten Abschrift des Urtels zu vermerkende Registratur, abändern lassen, oder die erforderliche Deklaration schriftlich ertheilen, und sie dem Gegentheile zur Nachricht bekannt machen; sonst aber den, welcher die Deklaration nachsucht, durch eine bloß auf das Promemoria zu bemerkende, und ihm vorzuzeigende Resolution, deren schriftliche Ausfertigung nicht erforderlich ist, zurecht weisen.

Von Appellationen.

 §. 2.

Wenn hingegen in dem Urtel etwas festgesetzt ist, das einer oder der andern Partei zum Nachtheil gereicht, indem sie entweder mit einer Forderung abgewiesen, oder etwas zu bezahlen, oder sonst zu leisten kondemnirt, oder dem Gegentheile eine gewisse Befugniß zuerkannt wird; so steht einer solchen Partei die Appellation dagegen, oder die Berufung auf ein zweites Erkenntniß offen.

Fälle wo die Appellation zulässig ist oder nicht.

§. 3.

Dieses Rechtsmittel ist, der Regel nach, in allen Fällen zulässig, und davon sind bloß ausgenommen:

1) solche Bagatellsachen, da das Objekt der Appellation nur 30 Rhtlr. oder weniger beträgt, in so fern nämlich die erste Instanz bei einem Obergerichte gewesen ist. Es kommt aber bei Bestimmung dieser Summen bloß auf den Betrag der Kapitals- oder der Hauptforderung an, und soll, bei Berechnung der appellablen Summen, auf Zinsen oder Kosten nicht mit gesehen werden; es wäre denn, daß die streitigen Zinsen


(376) Prozeßordnung. Vierzehnter Titel.

die Hälfte des eingeklagten Kapitals betrügen, welchenfalls selbige zur Bestimmung der appellablen Summe dem Kapital mit beizurechnen sind; oder daß der Prozeß überhaupt nur Zinsen zum Gegenstande gehabt hätte; in welchem Falle es darauf ankommt, ob die streitige Summe der Zinsen an und für sich den Betrag der 30 Rthlr. übersteige oder nicht. Wenn mehrere Posten streitig gewesen sind, und von dem darüber ausgesprochenen Urtel appellirt wird; so kommt es nicht darauf an: ob jede Post für sich, sondern nur: ob sämmtliche in das Appellatorium zu bringende Posten zusammen genommen, die erforderliche Summe von Dreißig Thalern ausmachen. Wenn die streitige Forderung in Golde besteht, so wird ein Fünf-Thalersück zu 5 ¼ Rthlr., und ein Dukaten zu 3 Rthlr. gerechnet. Auf den Unterschied zwischen Courantgelde und Münze wird aber niemals Rücksicht genommen.

Anh. §. 108. Das Rechtsmittel der Appellation findet nicht Statt:

1. wenn die erste Instanz bei einem Obergerichte gewesen ist, und der Gegenstand der Appellation nur Funfzig Thaler oder weniger beträgt.

2. wenn die erste Instanz bei einem Untergerichte geschwebt hat, und der Gegenstand der Appellation nicht mehr als Zwanzig Thaler ausmacht.

Anh. §. 109. Bei Berechnung der zur Appellation erforderlichen Summe hat es zwar bei den §pho 3. Nr. 1. dieses Titels vorgeschriebenen Grundsätzen sein Bewenden; wenn jedoch in einem Prozesse mehrere Forderungen streitig gewesen sind, so muß ein Unterschied gemacht werden, ob dieselben aus einem Hauptgeschäft oder aus mehreren verschiedenen Geschäften entstanden sind. Im erstern Falle findet das Rechtsmittel Statt, sobald nur sämmtliche in die Appellations-Instanz zu bringende Punkte zusammen genommen die vorgeschriebene Summe erreichen, im letztern Falle hingegen ist auf den Gegenstand eines jeden einzelnen Punktes zu sehen und die Zulässigkeit des Rechtsmittels nach dem Werthe desselben zu bestimmen.


(377) Appellationen.

2) Wenn eine Partei bloß durch das Erkenntniß wegen der Kosten gravirt zu seyn glaubt, so findet deswegen die Appellation nur in so weit Statt, als das Quantum dieser Kosten, worin die Partei verurtheilt, oder womit sie abgewiesen worden ist, die Summe von 30 Rthlr. übersteigt. Betrifft die Beschwerde bloß die Festsetzung der Kosten, so findet dagegen, so weit es gerichtliche Kosten sind, die Appellation in keinem Falle, bei außergerichtlichen aber nur in so fern Statt, als die Summe, um welche, nach der Behauptung der Partei, die Kosten zu hoch oder zu niedrig bestimmt worden, Dreißig Thaler übersteigt. Uebrigens versteht es sich von selbst, daß in allen Fällen, wo wegen der Kosten keine förmliche Appellation zuässig ist, dennoch der Rekurs an die vorgesetzte Behörde, auf dem Wege einer bloßen Beschwerde, den Parteien offen bleibe.

Anh. §. 110. Unter der vorgesetzten Behörde wird hier diejenige Behörde verstanden, welche, wenn die Appellation zulässig gewesen wäre, zu erkennen gehabt haben würde.

3) Hat der Richter einen oder den andern Theil in eine von den durch die gegenwärtige Prozeßordnung bestimmten Geld- oder Gefängnißstrafen kondemnirt, so soll demselben nur frei stehen, in einer bei dem instruirenden Gerichte zu übergebenden Vorstellung um den Nachlaß oder die Milderung dieser Strafe, mit kurzer Anführung der Gründe dafür, zu bitten. Das Gericht muß alsdann sein Gesuch in Erwägung ziehen; die Niederschlagung oder Milderung der Strafe, wenn die Vertheidigung oder Entschuldigung gegründet befunden worden ist, sofort verfügen; wenn es das Gesuch für unstatthaft hält, und das Quantum der Strafe nur Fünf Thaler, oder weniger, beträgt, den


(378) Prozeßordnung. Vierzehnter Titel.

Supplikanten bescheiden; bei Strafen von mehrerer Wichtigkeit aber die Vorstellung mit den Akten, ohne weiteres Verfahren, an dasjenige Kollegium, welches zu erkennen haben würde, wenn eine förmliche Instanz Statt fände, einsenden. Dieses muß hiernächst die Sache näher beurtheilen; und darauf das Erforderliche durch eine bloße Resolution festsetzen. Dergleichen Milderungsgesuch muß jedoch binnen vier Wochen nach erfolgter Publikation des Erkenntnisses angebracht werden.

4) Wenn eine Partei wegen frevelhaften Läugnens, oder vorsätzlicher Unwahrheiten, in die Tit. XXIII. § 52. Nr. 5. bestimmte Strafe der Unfähigkeit zu einem nothwendigen Eide verurtheilt worden ist, und dieselbe in der Hauptsache nicht appelliren oder revidiren will; so steht ihr gegen diese Straferkenntniß das förmliche Rechtsmittel der weiteren Vertheidigung offen; mit dessen Instruktion eben so, wie bei fisikalischen Untersuchungen, verfahren wird.

5) Wegen bloßer Incidentpunkte, welche die Instruktion der Sache betreffen, und in dem Urtel mit entschieden sind, kann nur alsdann appellirt werden, wenn zugleich das aus solcher Entscheidung mit herfließende Erkenntniß in der Hauptsache angefochten wird.

§. 4 a.

In wie fern übrigens bei Injurien-, Pacht-, Dienst-, Grenz-, Spolien- und Arrest-Sachen; ingleichen wegen geforderten Kostenvorstandes; im Provokationsprozesse; wegen eines zum ewigen Gedächtnisse nachgesuchten Zeugenverhörs; oder eines verlangten Indults erkannt; ein subhastirtes Grundstück jemandem durch ein Urtel zugeschlagen; oder der Konkurs über jemandes Vermögen eröffnet worden; wenn bei der Absonderung des Lehns vom Erbe


(379) Appellationen.

ein Intermistikum festgesetzt; wenn ein Erbe der Rechtswohlthat des Inventarii in contumaciam für verlustig erklärt wird, und in anderen dergleichen Fällen der Appellation dagegen Statt finde, oder nicht: darüber ist unten in den diesen Materien besonders gewidmeten Titeln das Nöthige umständlich zu ersehen.

Anh. §. 11. Dem Richter stehet die Befugniß zu, in Fällen, in welchen die Appellation, dem Gegenstande nach, sonst schuldig seyn würde, solche dennoch zu verwerfen, wenn die Entscheidung ganz unzweifelhaft und die Appellation offenbar nur zum Verschleif der Sache eingewendet worden ist.

Rekurs wegen verworfener Appellation.

§. 4 b.

Wenn der Richter Erster Instanz eine bei ihm angemeldete Appellation als unzulässig verworfen hat, so steht dem Appellanten dagegen der Rekurs an die diesem Richter unmittelbar vorgesetzte Behörde offen, welche sodann die angeführte Ursache der Verwerfung, allenfalls nach eingeforderten Akten der erstern Instanz, genau prüfen, und das Nöthige durch eine Resolution, gegen welche kein ferneres Rechtsmittel Statt findet, festsetzen muß. Wenn aber die Partei, welche sich zur Appellation gemeldet hatte, bei dem erfolgten Verwerfungsdekrete sich beruhigt, und von dem ihr dagegen offen stehenden Rekurse innerhalb vier Wochen keinen Gebrauch macht; so erhält das vorige Urtel die Rechtskraft, und es findet späterhin auch kein Rekurs dagegen Statt.

Von dem Effectu devolutivo et suspensivo der Appellation

§. 5.

In allen Fällen, wo die Appellation zulässig ist, muß die Vollstreckung des Urtels ausgesetzt bleiben.

§. 6.

Hiervon ist jedoch ausgenommen:

1) Wenn jemand durch ein Erkenntniß dem Anderen Alimente zu geben verurtheilt worden ist: maaßen alsdann die erkannten Alimente, der Appellation ungeachtet, dennoch, und zwar vom


(380) Prozeßordnung. Vierzehnter Titel.

Tage der angemeldeten Klage an, gereicht werden müssen.

Anh. §. 112. Selbst, wenn durch das Appellationserkenntniß das erste auf Zahlung der Alimente gerichtete Urtel abgeändert worden ist, müssen dennoch die in erster Instanz festgesetzten Alimente so lange fortgezahlt werden, bis der Beklagte rechtskräftig davon entbunden worden ist.

2) Wenn Gefahr bei dem Verzuge ist, dergestalt, daß aus genauer und sorgfältiger Erwägung der obwaltenden Umstände sich findet, daß durch längeren Aufschub der Exekution dem appellatischen Theile ein wichtiger und unersetzlicher Schade zugefügt werden würde.

Anh. §. 113. Dahin gehört der Fall, wenn bei Prozessen zwischen Herrschaft und Gesinde, die Ersteren zur Abschaffung der Letztern für befugt erkannt worden sind. In einem solchen Fall muß die Instruktion in der Appellationsinstanz zugleich auf die Ausmittelung des Interesse gerichtet werden, welches das Gesinde alsdann fordern kann, wenn die Herrschaft mit der behaupteten Entlassungsbefugniß rechtskräftig abgewiesen werden sollte. Dagegen hat die Appellation volle Wirkung, wenn das Gesinde zur Fortsetzung des Dienstes verurtheilt worden ist.

§. 7.

Wenn also in diesem letztern Falle der Appellat auf die Exekution dringt, so muß der Appellant, dem Erkenntnisse der Appellation ungeachtet, Genüge leisten; oder er muß die etwa streitige Summe oder Sache in das gerichtliche Depositum einliefern, oder wegen künftiger Besoldung des Urtels, wenn selbiges in den weiteren Instanzen bestätigt würde, hinlängliche Sicherheit, wofür jedoch in diesem Falle die bloße eidliche Kaution nicht zu achten ist, bestellen.

§. 8.

Behauptet der Appellant aus nicht unerheblich scheinenden Gründen, daß ihm aus der Vollziehung des Erkenntnisses ein beträchtlicher Schade bevorstehe, dessen Ersatz er von dem Appellaten, wenn das Erkentniß in den folgenden Instanzen geändert


(381) Appellationen.

würde, nicht erhalten zu können Gefahr laufe;so muß der Richter in einem besondern, außerhalb des Appellationsverfahrens, und möglichst nahe zu bestimmenden Termine, die Parteien gegen einander hören, und alsdann durch eine Resolution festsetzen, in wie fern dennoch mit der Exekution, entweder nach dem ganzen Umfange des Erkenntnisses, oder unter gewissen schicklichen, die Gefahr des Schadens oder Verlustes ausschließenden Maaßgaben, zu verfahren; oder der Appellat zuförderst zu Kautionsbestellung anzuhalten; oder der Appellation die völlige Wirkung beizulegen sey. Eine solche Resolution gilt jedoch nur als ein Intermistikum, bis zu dem in zweiter Instanz erfolgenden Urtel. Zur näheren Bestimmung des in solchen Fällen Statt findenden richterlichen Ermessens, wird hierdurch noch festgesetzt:

1) daß eine gänzliche Entsetzung aus dem wirklichen Besitze während der Appellation in der Regel nicht Statt finde; es wäre denn von dem Besitze eines Rechtes die Rede, aus dessen fernerer Ausübung dem Appellanten ein unwiederbringlicher Schade bevorstünde;

2) daß, wenn der Nachtheil, welchen der Appellant aus einer während der Appellation erfolgenden Vollstreckung des ersten Urtels, bei einer in der Folge zu seinem Besten erkannten Abänderung desselben, zu besorgen hat, nicht mit hinlänglicher Gewißheit nach Gelde geschätzt werden kann, keine Exekution Statt finde;

3) daß hingegen, sobald eine solche Schätzung nach Gelde geschehen kann, der Appellat in der Regel zu hören sey, wenn er gegen baare Niederlegung dieser Geldsumme auf die Exekution dringen will.


(382) Prozeßordnung. Vierzehnter Titel.

§. 9.

In wie fern bei Wechsel, klaren Schuldpacht-, Dienst-, Grenz-, Spolien- und Arrest-Sachen; gegen Erkenntnisse über die nachgesuchte Rechtswohlthat des Indults, der Kompetenz, oder der Abtretung der Güter; wenn in der Exekution ein alsdann erst entgegen gesetzter, an sich zulässiger Einwand als ungegründet verworfen; oder wenn jemand durch Urtel und Recht für einen Verschwender erklärt, oder zum Vormund bestellt, oder der Vormundschaft entsetzt worden, der Appellation ungeachtet, mit Vollstreckung des Urtels zu verfahren sei: darüber sind theils in den von diesen Materien unten vorkommenden besonderen Titeln, theils in der Vormundschaftsordnung die nöthigen Vorschriften enthalten.

Wirkung der Appellation wenn über mehrere Punkte erkannt, und über einige nicht appelliert ist.

§. 10.

Wenn in einem Urtel mehrere separierte Punkte entschieden sind, und es wird nur wegen einiger davon appelliert; so muß in Ansehen der übrigen das Urtel in Exekution gesetzt werden. Ein Gleiches findet Statt, wenn zwar nur Eine Forderung im Prozesse befangen ist, der Beklagte aber einen Theil derselben entweder von Anfang an ohne Vorbehalt anerkannt hat, oder seine Appellation nur gegen einen Theil richtet, und wegen des Ueberrestes das Erkenntniß, welches ihn zur Bezahlung verurtheilt, rechtskräftig werden läßt. Doch versteht es sich von selbst, daß, wenn in einem aus mehreren Punkten, oder Forderungen und Gegenforderungen bestehenden Prozesse auch nur gegen Entscheidungen über gewisse Präjudicialfragen appelliert worden ist, von denen die Bestimmung einzelner Punkte dergestalt abhängt, daß, wenn bei den Prajudicialfragen das erste Urtel zum besten des Appellanten geändert würde, auch bei den einzelnen Punkten anderweitige Bestimmungen


(383) Appellationen.

zu seinem Vortheile von selbst eintreten müßten, alsdann, bei der Berechnung des vorläufigen Liquidi, dergleichen einzelnen Posten, wenn auch darüber nicht ausdrücklich und besonders appelliert wäre, dennoch nicht mit in Anschlag kommen dürfen.

In wie fern die Appellation ein Beneficium commune sey oder nicht.

.§. 11.

Die Appellation soll zwischen den prozessirenden Parteien keine gemeinschaftliche Rechtswohlthat sein; sondern derjenige, welcher sich bei dem Erkenntnisse beruhigt, kann auf die von seinem Gegner dagegen eingewandte Appellation eine Abänderung desselben zu seinem Vortheile niemals hoffen. Wenn also auch durch die auf den Antrag des Appellanten in der zweiten Instanz veranlaßte neue Untersuchung, die Beschaffenheit und der Zusammenhang der Thatsachen anders oder vollständiger, hier und da, selbst mehr zu Gunsten des Appellaten, entwickelt worden; oder wenn der Appellationsrichter die Sache aus einem anderen Gesichtspunkte betrachtet, und dafür hält, daß der erste Urtelsfasser die Gesetze nicht richtig erklärt oder angewendet habe: so muß zwar der Appellationsrichter, bei Abfassung seines Erkenntnisses, die nunmehr entwickelte wahre Lage der Sache oder die von ihm als richtig erkannten Grundsätze, zur Beurtheilung des Rechtsstreits, unverrückt vor Augen haben; und wenn darnach ein besseres Erkenntniß für den Appellanten in der Hauptsache erfolgt, die Nebenpunkte, z. B. wegen der Zahlungszeit, der Zinsen, der Früchte und Nutzungen u. s. w., nur nach dieser Lage oder diesen Grundsätzen bestimmen, selbst wenn diese Nebenbestimmungen mehr zum Vortheile des Appellaten, als die in erster Instanz angenommenen, gereichen sollten. Niemals aber muß eine solche dem Appellaten günstige Abänderung des ersten Urtels so weit gehen, daß der Appellat, im Ganzen, bei dem streitigen Punkte mehr erhielte, oder weniger zu leisten oder zu zahlen hätte, als in dem


(384) Prozeßordnung. Vierzehnter Titel.

ersten Urtel, wobei er sich beruhigt hat, festgesetzt worden ist. Findet also der Appellationsrichter, daß nach der jetzt entwickelten wahren Lage der Thatsachen, oder nach richtiger Erklärung und Anwendung der Gesetze, der Appellant in der Hauptsache weniger erhalten, oder mehr zu zahlen oder zu leisten haben würde, als in der ersten Instanz erkannt worden ist; so muß er bloß das erste Urtel bestätigen.

§. 12.

Damit jedoch auch in diesen Fällen eine Partei, welche vielleicht selbst mit der wahren Lage der Thatsachen nicht vollständig bekannt gewesen, und daher, oder sonst aus Abneigung vor Händeln und Prozessen, bei dem ersten Erkenntnisse, obgleich selbiges hier oder da zu ihrem Nachtheile ausgefallen ist, in der Hoffnung, desto geschwinder aus der Sache zu kommen, sich beruhigt hat, an ihren wesentlichen Rechten, durch die vielleicht aus moralisch-löblichen Bewegungsgründen unterbliebene Einwendung der förmlichen Appellation, nichts verlieren möge; so wird hierdurch festgesetzt: daß, wenn durch eine in zweiter Instanz von dem Appellaten veranlaßte neue Instruktion, die Beschaffenheit und der Zusammenhang des bei dem Prozesse zum Grunde liegenden Fakti auf eine andere oder vollständigere Art, und zwar zum Besten des Appellaten, sich entwickelt hat, diesem Letzteren freistehen solle, noch vor dem Schlusse der Sache in zweiter Instanz, die seiner Seits anfänglich unterlassene Appellation nachzuholen, und darauf anzutragen, daß auf den Grund der neuen Instruktion, das Urtel erster Instanz, der nunmehrigen wahren Lage der Sache gemäß, zu seinem Vortheile abgeändert werde. Eine solche Partei kann jedoch niemals auf neue oder weitere Instruktion antragen, sondern sie muß ihre nachgeholte Appellation bloß aus den bisherigen Verhandlungen rechtfertigen.


(385) Appellationen.

Wirkung der Appellation bei mehreren Litiskonsorten.

§. 13.

Wenn mehrere Theilnehmer an einem Prozesse in dem Urtel condemnirt worden, so können sie entweder gemeinschaftlich, oder ein jeder von ihnen für sich, in so fern er sich durch das Urtel beschwert findet, die Appellation einwenden.

§. 14 a.

Wenn jedoch der Appellant mit seinen übrigen Konsorten gleiche Rechte hat; der Gegenstand und die Gründe der Rechtfertigung einerlei sind; und also der Appellant nicht etwa ganz besondere auf ihn allein sich beziehende Argumente für sich anführen kann, z. B. wenn von mehreren wegen einer Passivschuld des gemeinschaftlichen Erblassers zur Zahlung kondemnirten Erben nur einer appellirt, seine Beschwerden aber bloß nur aus Handlungen des gemeinschaftlichen Erblassers, oder aus Thatsachen und Gründen, welche nur diesen betreffen, rechtfertigt: so kommt die Appellation den übrigen Konsorten, in so fern sie auch nach publicirtem Appellationsurtel derselben noch beitreten wollen, gleichergestalt zu gute; wenn gleich die Sache theilbar wäre, oder der Appellant ausdrücklich erklärt hätte, daß er dieses Rechtsmittel bloß für seine Person und sein Interesse einwenden wolle. Wenn also der Richter findet, daß ein in zweiter Instanz erfolgendes abänderndes Erkenntniß auf die Appellation des einen Konsorten, die obbeschriebene Wirkung zum Vortheil der übrigen würde haben können; so muß er die Appellation annehmen, wenn gleich der Antheil des Appellanten, für sich allein gerechnet, die appellable Summe noch nicht erreichte. Wenn jedoch dergleichen Parteien, welche anfänglich die Appellation nicht mit eingewendet haben, derselben nach eröffnetem Urtel solchergestalt noch beitreten; so müssen sie in Ansehung der Kosten des Appellatorii so betrachtet werden, als wenn sie gleich vom Anfange an Mitappellanten gewesen wären.


386) Prozeßordnung. Vierzehnter Titel.

§. 14 b.

Uebrigens können, zum eigenen Nachtheile des Appellanten, die übrigen Konsorten von einem durch ihn allein erstrittenen bessern Urtel keinen Gebrauch machen; also daß, wenn z. B. in Konkurs- oder Liquidationsprozessen die vorhandene Masse zu ihrer alles Befriedigung nicht hinreicht, der Appellant seinen Antheil vorzüglich vor den übrigen Konsorten erhalten muß.

§. 15.

Wie es zu halten sei, wenn eine dritte in den Prozeß bisher nicht verwickelte Partei von dem Erkenntnisse appelliert, ist unten in dem Titel von der Litisdenunciation und Intervention verordnet.

Zweiter Abschnitt.

Von Einwendung der Appellation und der fernern Instruktion dieses Rechtsmittels.

Anmeldung und Einleitung der Appelation.

§. 16.

Wegen der Anmeldung und weitern Einleitung der Appellation kommt es darauf an: ob die Partei in erster Instanz sich eines Rechtsbeistandes aus der Zahl der bei dem Gerichte angesetzten Justizkommissarien, oder eines ihr von dem Richter auf ihr Verlangen zugeordneten Assistenten bedient habe, oder nicht: und ob dieselbe an dem Orte, wo das Gericht seinen Sitz hat oder an einem anderen sich aufhalte.

I. Wenn die Partei am Orte sich aufhält. II. Wenn sie mit einem Justizkommissarius Assistenten versehen ist.

§. 17.

Hat eine Partei, die an dem Orte, wo das Gericht seinen Sitz hat, sich aufhält, bei der Instruktion der ersten Instanz einen Justizkommissarius oder einen von dem Richter ihr beigegebenen Assistenten zugezogen; so muß dieser, sobald ihm nach Anweisung des vorigen Titels §. 46. u. f. die Publikation des Urtels geschehen ist, die Partei sofort vernehmen:


(387) Appellationen.

ob sie sich bei dem Urtel beruhigen; oder ob und gegen welche Punkte desselben sie appellieren wolle; mit was für Gründen sie ihre Beschwerden zu unterstützen gedenke: ob sie entweder bei der Ausmittelung und Auseinandersetzung des Fakti, oder gegen die Anwendung des Gesetzes darauf, etwas zu erinnern habe; und worin diese Erinnerungen eigentlich bestehen.

§. 18.

Dabei ist der Assistent schuldig, der Partei mit seinem Gutachten, nach seiner besten Einsicht und Ueberzeugung, an die Hand zu gehen; und ihr besonders die Vorschriften der Rechte, welche zur Unterstützung ihrer Beschwerden, oder zur Widerlegung derselben dienen können, bekannt zu machen.

§. 19.

Wenn der appellirende Theil zur Unterstützung seiner Beschwerden Umstände oder Beweismittel, welche in erster Instanz nicht vorgekommen sind, beibringen sollte; so muß der Assistent die neuen Thatsachen eben so, wie in erster Instanz Tit. V. und IX. vorgeschrieben ist, vollständig und deutlich auseinander setzen; die Beweismittel sich bestimmt angeben lassen, und in so fern sie Urkunden sind, dieselben im Original oder Abschrift zu seinen Manualakten nehmen; oder, wenn sie nicht sogleich herbei geschafft werden können, wenigstens die bestimmte Angabe des Orts, wo sie sich befinden, erfordern, und überhaupt, wegen der anzubringenden neuen Thatsachen oder Beweismittel, eine so vollständige Information einziehen, daß demnächst die Instruktion zum Definitiverkenntnisse ohne fernern Aufenthalt erfolgen könne.

Uebrigens ist auch hier auf die Vorschrift des Zehnten Titels §. 5. Rücksicht zu nehmen, und können daher Thatsachen, welche ein neues von dem in voriger Instanz erörterten Klagegrunde ganz verschiedenes Fundament des Anspruchs darstellen sollen,


(388) Prozeßordnung. Vierzehnter Titel.

auch in der zweiten Instanz nicht nachgebracht, sondern sie müssen, wenn es dennoch geschieht, zu einer besondern Verhandlung in erster Instanz zurück gewiesen werden.

§. 20.

Wenn der Appellant neue, an sich zulässige Thatsachen oder Beweismittel anzeigt, so muß sein Assistent sich bei ihm erkundigen, warum er dieselben nicht schon in erster Instanz gerügt und beigebracht habe; allermaaßen hierauf in dem künftigen Urtel, wegen des Kostenersatzes, und wegen der Bestrafung desjenigen, der in erster Instanz mit dergleichen Thatsachen ungebührlich zurück gehalten hat, geachtet werden muß.

Appellationsbericht. Frist zu dessen Einreichung

§. 21.

Aus dem über alles Vorstehende aufzunehmenden Informationsprotokolle muß der Assistent den Appellationsbericht abfassen; darin die Beschwerden, in so fern deren mehrere sind, von einander gehörig absondern; dieselben deutlich und bestimmt ausdrücken; einer jeden die Gründe zu ihrer Unterstützung sofort beifügen; und diesen Bericht, nebst den Manualakten, innerhalb zehn Tagen nach publicirtem Urtel, dem Gericht einreichen.

§. 22.

Sollte auch der Assistent in dieser Frist mit der ihm vorstehenden beschriebenen Auseinandersetzung der Beschwerden, und der Gründe ihrer Rechtfertigung, nicht völlig zu Stande kommen können, so muß er wenigstens in dem Berichte die Beschwerden der Partei specificiren, und im Allgemeinen anzeigen: ob sie in der gegenwärtigen Instanz neue Thatsachen oder Beweismittel zu deren Unterstützung anbringen wolle. Diese vorläufige Anzeige muß hiernächst dem Gegentheile ebenfalls vorläufig zu seiner Nachricht bekannt gemacht werden.


(389) Appellationen.

§. 23.

Ist die anwesende Partei zur Zeit der Publikation des Urtels mit einer Krankheit dargestalt befallen, daß sie ihren Assistenten auch nur darüber: ob und bei welchen Punkten sie appelliren wolle, Information zu geben nicht vermag; so muß letzterer dem Gerichte davon sofort Anzeige machen; welches demnächst einer solchen Partei eine Frist nach den Umständen, nach der Art der Krankheit, und nach der nähern oder entferntern Hoffnung der Wiedererlangung eines zur Abgabe der Erklärung fähigen Gemüthszustandes, zur Abgabe dieser Erklärung verstatten; auch dem Gegentheile davon Nachricht geben muß.

§. 24.

Sollte eine Partei nach dem Schlusse der Sache in erster Instanz verreisen, so muß sie ihrem Assistenten davon Meldung thun; ihm den Ort, wo sie anzutreffen sein werde, bekannt machen; und ihm, so viel als möglich, bestimmte Anweisung: was er zu thun habe, wenn inzwischen das Urtel publicirt werden sollte, zurück lassen. Erfolgt nun diese Publikation vor der Zurückkunft der Partei, so muß der Assistent nach der erhaltenen Anweisung verfahren; wenn aber dieselbe nicht hinreichend wäre, eben das beobachten, was unten §. 30. u. f. wegen des Verfahrens bei abwesenden Parteien vorgeschrieben ist.

§. 25.

Verreist eine Partei, ohne dem Assistenten dergleichen Anweisung, oder auch nur die Anzeige des Orts, wo sie angetroffen werden könne, zurück zu lassen; so ist der Assistent nicht schuldig, die Appellation für sie zu ergreifen, sondern eine solche Partei muß es sich allein beimessen, wenn das Urtel wider sie rechtskräftig wird, und ihr nur allenfalls die Wohlthat der Restitution, nach Maaßgabe §. 54., zu Statten kommen kann.


(390) Prozeßordnung. Vierzehnter Titel.

§. 26.

Wenn eine Partei ihre Unzufriedenheit über das ergangene Urtel nur in allgemeinen Ausdrücken bezeugt, so muß der Assistent sich dabei nicht beruhigen; sondern auf eine bestimmte Erklärung, ob die Partei appelliren wolle, bringen, und sie bedeuten, daß dieses nur der einzige gesetzmäßige Weg sey, auf welchem sie eine nähere Untersuchung ihrer Beschwerden erlangen könne. Erklärt sie sich, nicht appelliren zu wollen, so hat es dabei sein Bewenden, und der Assistent ist verpflichtet, eine solche Partei ausdrücklich zu warnen: daß sie durch fortgesetzte Querelen gegen das solchergestalt rechtskräftig werdende Erkenntniß, sich nur den gesetzmäßigen Strafen muthwilliger Querulanten aussetzen werde. Erklärt sie sich zur Appellation; kann aber nicht dahin gebracht werden, die Theile oder Punkte der Urtels, bei denen sie sich nicht beruhigen will, bestimmt anzugeben; so ist, wenn das Urtel nur Einen Hauptgegenstand hat, anzunehmen, daß die Partei gegen den ganzen Inhalt desselben, so weit er ihr nachtheilig ist, appelliren wolle. Besteht hingegen das Erkenntniß aus mehreren verschiedenen Punkten, und die Partei beharret bei der Weigerung einer bestimmten Angabe ihrer Beschwerden; so muß der Assistent die Appellationsbeschwerden wider alle Punkte richten, bei welchen die Entscheidung nicht nach ihrem Gesuche und Anfrage ausgefallen ist.

2) Wenn sie mit keinem Rechtbeistande versehen ist.

§. 27.

In dem zweiten §. 16. bestimmten Falle, wenn Parteien an dem Orte, wo das Gericht seinen Sitz hat, sich aufhalten, und die erste Instanz mit ihnen ohne Zuziehung eines Rechtsbeistandes instruirt worden ist, geschieht die Publikation des Erkenntnisses nach Anleitung des vorigen Titels §. 51. bis 54. ihnen selbst, und sie werden wegen der ihnen offen stehenden Appellation, und dessen, was sie dabei


(391) Appellationen.

zu beobachten haben, nach eben diesen Vorschriften bedeutet.

§. 28.

Sobald nun eine solche Partei auf irgend eine Art zu erkennen giebt, daß sie sich bei dem Urtel nicht beruhigen wolle, muß das Gericht sofort einen andern Deputirten ernennen, welcher die Partei über ihre Beschwerden zum Protokolle vernehmen, und bei der Aufnahme dieses Appellationsprotokolls die im Ersten Falle dem Assistenten §. 18-26. gegebenen Vorschriften ebenfalls beobachten muß.

§. 29.

Wäre eine solche Partei (§. 27.) zu der Zeit, da die Publikation des Urtels erfolgen soll, am Orte nicht gegenwärtig; so wird dennoch mit der Publikation an den Gegentheil, oder dessen Bevollmächtigten, gewöhnlichermaaßen verfahren; und alsdann das publicirte Erkenntniß der abwesenden Partei auf die im Siebenten Titel §. 36. vorgeschriebene Art insinuirt; wobei sich von selbst versteht, daß wenn innerhalb zehn Tagen von dieser Insinuation weder die Partei selbst, noch jemand als ihr Bevollmächtigter, sich zur Appellation meldet, alsdann das Erkenntniß in Ansehung einer solchen Partei für rechtskräftig anzunehmen ist.

ΙΙ. Wenn die Partei abwesend ist. Ι) Wenn sie einen Justizkommissarius oder Assistenten hat.

§. 30.

Wenn die Partei, in deren Sache ein Urtel publicirt worden ist, sich an dem Orte, wo das Gericht seinen Sitz hat, nicht aufhält; wohl aber die Instruktion erster Instanz von ihr, entweder mit Zuziehung eines selbst gewählten, oder von dem Richter ihr zugeordneten Assistenten, oder durch einen solchen Bevollmächtigten abgewartet worden; und daher auch diesem Bevollmächtigten oder Assistenten, nach Vorschrift Tit. XΙΙΙ. §. 46. u. f., die Publikation des Urtels geschehen ist; so muß Letzterer alsobald, und ohne den geringsten Verzug, die ihm


(392) Prozeßordnung. Vierzehnter Titel

zugefertigte Abschrift des Urtels derselben zusenden, und ihre Erklärung: ob sie davon appelliren wolle, schriftlich fordern. Zugleich müssen der Partei die Entscheidungsgründe, da wo es nöthig, besonders bei denjenigen Punkten, wo das Urtel wider sie ausgefallen ist, näher erläutert, und sie bedeutet werden: im Fall einer einzuwendenden Appellation, die Punkte, wodurch sie eigentlich beschwert zu seyn glaube, bestimmt anzuzeigen, und Alles, wodurch sie die Beschwerden zu unterstützen gedenke, umständlich beizufügen. Mit dieser Anweisung muß der Assistent oder Bevollmächtigte das §. 18. bemerkte Gutachten verbinden; übrigens aber der Partei bekannt machen, wie sie ihm ihre Erklärung dergestalt zeitig mittheilen müsse, daß er im Stande sey, innerhalb einer gewissen, nach Maaßgabe der Entfernung des Orts zu bestimmenden Frist, dem Kollegio Bericht davon abzustatten; maaßen sonst, und wenn sie mit der Erklärung zurück bleibe, es dafür, daß sie bei dem Urtel sich beruhigen wolle, geachtet; dieß Urtel für unumstößlich rechtskräftig angenommen, und mit dessen Vollziehung auf des Gegentheils Anmelden würde verfahren werden.

§. 31.

Zu gleicher Zeit muß der Assistent, oder Bevollmächtigte, das Datum der geschehenen und abgegangenen Bekanntmachung dem Gerichte pflichtmäßig anzeigen, auch dabei bemerken: an welchem Tage er nach dem gewöhnlichen Laufe der Posten von der Partei Antwort haben könne. Von diesem Tage fängt die zehntägige Appellationsfrist zu laufen an; dergestalt, daß erst, wenn selbige verflossen, und bis dahin keine Appellation eingekommen ist, das Erkenntniß für rechtskräftig geachtet, und die Vollstreckung desselben gesucht und verfügt werden kann.


(393) Appellationen.

§. 32.

Erhält aber inzwischen der Assistent oder Bevollmächtigte von der Partei Antwort und Erklärung: daß sie appelliren wolle; so muß er daraus, und aus den zugleich an die Hand gegebenen Datis, eben dergleichen Appellationsbericht als vorstehend §. 21. beschrieben worden, abfassen, und denselben, nebst seinen Manualakten, welche ihm nach erfolgter Verfügung zurück gegeben werden, dem Gerichte einreichen.

§. 33.

Findet er die Erklärung und Information der Partei noch nicht hinreichend, um daraus die nothwendigen Data zu einem mit den gehörigen Erfordernissen versehenen Appellationsberichte entnehmen zu können: so muß er dennoch innerhalb der zehntägigen Frist, eben so, wie oben §. 22. verordnet ist; seinen vorläufigen Bericht abstatten; die Beschwerden darin specificiren; und wenigstens im Allgemeinen anzeigen: daß, und auf was für neue Thatsachen die Partei sich zu deren Unterstützung beziehe. Zu gleicher Zeit aber muß er, mit deutlicher und bestimmter Bemerkung derjenigen Punkte, über welche noch nähere Nachricht und Auskunft erforderlich sey, die Korrespondenz mit der Partei fortsetzen, und solchergestalt sich die nöthige und vollständige Information, nach der Anweisung des Fünften und Neunten Titels, zu verschaffen bemüht seyn.

Restitution gegen die versäumte Appellationsfrist.

§. 34.

Wenn eine Partei, wegen persönlicher Ehehaften, z. B. wegen Krankheit, Abwesenheit, und dergleichen, verhindert worden ist, innerhalb der geordneten zehntägigen Frist ihre Erklärung, daß sie von dem Urtel appelliren wolle, bei dem Assistenten oder Bevollmächtigten abzugeben; so soll dieselbe noch innerhalb vier Wochen, von dem Ablaufe dieser Frist an gerechnet, dazu verstattet werden. Sie muß


(394) Prozeßordnung. Vierzehnter Titel

aber alsdann sowohl die Ehehaften selbst geziemend anzeigen und bescheinigen, als zugleich die Gründe und Nachrichten zu Rechtfertigung ihrer Beschwerden dem Bevollmächtigten dergestalt an die Hand geben, daß derselbe den Appellationsbericht ohne weitern Aufenthalt einreichen könne.

Anh. §. 114. Wenn der Assistent oder Bevollmächtigte der Partei durch Krankheit, Abwesenheit und andere persönliche Ehehaften verhindert worden ist, die Appellation innerhalb der zehntägigen Frist anzumelden; so soll er eben so, wie die Partei selbst, noch innerhalb vier Wochen, von dem Ablauf der zehntägigen Frist an gerechnet, zur Appellation verstattet werden. Er muß aber alsdann sowohl die Ehehaften selbst geziemend anzeigen und bescheinigen, als auch zugleich die Beschwerden deutlich und bestimmt angeben, und bemerken, ob er neue Thatsachen und Beweismittel beibringen wolle, demnächst aber den vollständigen Appellationsbericht ohne Aufenthalt einreichen.

Anh. §. 115. Wenn eine Partei ausdrücklich erklärt, daß sie weder den ihr in der Appellationsinstanz von Amts wegen bestellten Assistenten mit Vollmacht und Instruktion versehen, noch einen andern Bevollmächtigten bestellen, sondern ihre Rechte selbst wahrnehmen wolle; so kann sich auch das Gericht nicht an den bestellten Assistenten halten; sondern es muß der Partei selbst eine Frist zur Einreichung des Appellationsberichts mit der Verwarnung bestimmt werden, daß sie sonst mit der weitern Ausführung präkludirt und nach der Lage der Akten erkannt werden würde.

§. 35.

Wenn eine Partei auch diese Frist verabsäumt, so kann sie demnächst mit der Appellation unter dem Vorwande, daß ihr das Erkenntnis nicht zu rechter Zeit zugekommen, daß sie verreiset gewesen sey, daß sie ihren Wohnort verändert habe u. s. w., nicht weiter gehört werden; allermaaßen einem jeden, welcher weiß, daß er einen rechtshängigen Prozeß habe, obliegt, wenn er vor dessen Entscheidung seinen bisherigen Aufenthalt, es sey für immer, oder auch nur auf einige Zeit, verändert, solche Nachrichten von sich zurück zu lassen, und solche Veranstaltungen zu


(395) Appellationen.

treffen, daß derjenige, welcher die Sache bei den Gerichten in seinem Namen betreibt, bei dem im Fortgange der Sache sich ereignenden Vorfallenheiten, die nöthige Information zur gehörigen Zeit erhalten könne, und das Ende des Prozesses durch diese seine Abwesenheit oder Entfernung nicht aufgehalten werde.

§. 36.

Wenn in dem Falle des §. 26. der Assistent oder Bevollmächtigte die Erklärung der Partei über das ihr zugefertigte Urtel zwar zur rechten Zeit erhält; selbige aber so unbestimmt oder unvollständig findet, daß daraus nicht zu entnehmen ist: ob und worüber die Partei appelliren wolle; so muß er ihr die in der angeführten Stelle vorgeschriebene Bedeutung schriftlich eröffnen; zugleich aber die Erklärung der Partei, und eine Abschrift der ihr gemachten Eröffnung, dem Gerichte einreichen. Kommt nun hiernächst, innerhalb zehn Tagen nach Ablauf einer zweiten nach §. 31. zu berechnenden Frist, keine Appellation ein, so wird das Erkenntniß ohne weitere Rückfrage für rechtskräftig geachtet.

2) Wenn sie mit keinem Justizkommissario oder Assistenten versehen ist.

§. 37.

Wenn die außerhalb des Gerichtsorts sich aufhaltende Partei die Instruktion der ersten Instanz auch ohne Zuziehung eines Assistenten oder Bevollmächtigten abgewartet hätte, so muß dennoch, nach Vorschrift Tit. XIII. §. 55. 56., entweder noch bei dem Schlusse der Sache ein Bevollmächtigter zum fernern Betriebe derselben von ihr bestellt worden seyn; oder es muß ihr wenigstens bei der erfolgenden Publikation des Erkenntnisses ein solcher Bevollmächtigter von Amts wegen zugeordnet werden. Diesem liegt alsdann Alles ob, was in dem §. 30. u. f. jedem andern Bevollmächtigten vorgeschrieben ist. Will sich aber eine Partei dieses ihr von Amts wegen zugeordneten Subjekts nicht bedienen, so steht ihr


(396) Prozeßordnung. Vierzehnter Titel.

zwar frei, einen andern zu wählen; doch muß sie diesen ihren anderweitigen Bevollmächtigten dem Richter innerhalb der nach §. 31. zu berechnenden Frist anzeigen, und denselben mit der nöthigen Information zur Fortsetzung der Sache binnen eben dieser Frist versehen. Diese der Partei zustehende Befugniß muß ihr der von Amts wegen bestellte Bevollmächtigte sogleich bei Zufertigung des Urtels bekannt machen.

Weiteres Verfahren in Appellatorio.

A. Wenn keine Nova in Facto vorkommen.

§. 38.

Ein jeder Appellationsbericht, so wie in dem Falle des §. 28. das Appellationsprotokoll, muß bei dem Kollegio, dem die Instruktion der Sache obliegt, durch den ordentlichen Decernenten zum Vortrage gebracht, und das Nöthige darauf nach Beschaffentheit der Umstände erlassen werden.

§. 39.

Wenn nämlich der Bericht nichts Neues in Ansehung der Thatsachen enthält, sondern die Beschwerden des appellirenden Theils bloß aus den in erster Instanz vorgekommenen und entwickelten Faktis hergeleitet werden; so wird derselbe bloß dem gegenseitigen Assistenten oder Bevollmächtigten mitgetheilt, um seiner Partei von dem Inhalte Nachricht zu geben, und bis zu einem gewissen, nach Beschaffenheit der Umstände festzusetzenden Termine, seinen Schlußbericht darüber abzustatten: ob und was etwa die Partei zur Unterstützung des vorigen Erkenntnisses, und zur Widerlegung der von dem Gegner erhobenen Beschwerden noch beizubringen; oder was er etwa selbst, nach seiner Einsicht und Ueberzeugung, dabei zu bemerken habe.

§. 40.

Mit dem Ablaufe dieser Frist muß der Assistent, wenn er auch während derselben von der Partei keine weitere Nachricht oder besondere Instruktion erhalten hat, dennoch den Schlußbericht übergeben;


(397) Appellationen.

worauf sodann die Akten sonder Anstand zum Spruche in zweiter Instanz zu befördern sind.

§. 41.

Wenn also auch in dem Schlußberichte des Appellanten neue Umstände und Beweismittel vorkommen, die derselbe zur Unterstützung und Verstärkung seiner Gerechtsame angeführt hätte; so darf dadurch dennoch die Vorlegung der Akten zum Spruche nicht aufgehalten, sondern es muß der Beurtheilung des Appellationsrichters überlassen werden; in wie fern es wegen dieser Angaben einer nochmaligen Untersuchung bedürfe.

§. 42.

Wenn der Appellant seine Beschwerden nur darauf gründet, daß ein von ihm allegirter Umstand in facto bei der Instruktion erster Instanz nicht mit untersucht, auch in dem Urtel als unerheblich verworfen worden, und auf dessen nähere Ausmittelung anträgt; so ist er bloß mit den Gründen dieses Antrags, und der Appellat mit seinen Einwendungen dagegen zu hören; mit der Untersuchung selbst aber noch nicht zu verfahren, sondern abzuwarten: ob der Appellationsrichter den Umstand erheblich finden, und die Ausmittelung desselben verordnen werde.

§. 43.

Die Fristen zum Appellationsberichte, in so fern derselbe in den Fällen des §. 22. und 23. von der bloßen Anmeldung der Appellation verschieden ist, ingleichen die Fristen zum Schlußberichte überhaupt, sind nicht dergestalt präklusivisch, daß mit Ablauf derselben die Vorlegung der Akten von Amts wegen zu verfügen wäre; sondern es muß, wenn der Bericht in der bestimmten ersten Frist nicht eingereicht wird, der säumige Justizkommissarius oder Assistent sofort in 2 Rthlr. Strafe genommen, und diese Strafe so lange verdoppelt werden, bis entweder die


(398) Prozeßordnung. Vierzehnter Titel.

Schrift einkommt, oder derselben mit Genehmigung der Partei ausdrücklich entsagt wird. Anh. §. 116. Zeigt eine Partei bei Anmeldung der Appellation ausdrücklich an, daß sie in dieser Instanz keine neuen Thatsachen oder Beweismittel anzubringen habe, oder, daß sie bloß aus den Verhandlungen der ersten Instanz deduciren wolle; so wird ihr eine präklusivische Frist zur Einreichung der Deduktion gesetzt, nach deren Ablauf mit Vorlegung der Akten zum Spruch zu verfahren ist.

§. 44.

Eine Erlassung dieser Strafen findet nur in dem einzigen Falle Statt, wenn der Assistent oder Bevollmächtigte, durch ein von einem recipirten Arzte auf seine Pflicht ertheiltes Attest, bescheinigen kann, daß er während des Laufes der Frist an Ausarbeitung der Schrift durch Krankheit verhindert worden sey. Wie übrigens Justizkommissarien zu bestrafen sind, die es sich zur Gewohnheit machen, die zur Einreichung der Schriften und Deduktionen bestimmten Fristen zu verabsäumen, und dadurch entweder die Prozesse zu verzögern, oder das Interesse ihrer Parteien zu vernachlässigen, wird in dem Titel von den Pflichten der Justizkommissarien näher bestimmt werden.

§. 45.

Wenn der Appellant es bei der bloßen Anzeige der Beschwerden bewenden läßt, und entweder sogleich bei deren Anmeldung auf die Akten submittirt, oder in der Folge dem förmlichen Appellationsberichte entsagt; so bedarf es keines Schlußberichts von Seiten des Gegentheils; sondern diesem wird bloß die Anmeldung der Appellation, und die darauf wegen Vorlegung oder Versendung der Akten getroffene Verfügung bekannt gemacht. Doch steht dem Appellaten frei, wenn er noch irgend etwas zur Unterstützung des vorigen Erkenntnisses, oder zur Widerlegung der dagegen erhobenen Beschwerden, anzuführen für nöthig findet, davon schriftliche Anzeige zu machen. Dergleichen Anzeige muß allemal noch zu den Akten


(399) Appellationen.

genommen, und dem Gegentheile zur Nachricht kommunicirt werden. Kommt sie aber erst ein, nachdem das Appellationserkenntniß schon abgefaßt worden ist; so begründet es weder eine Ausstellung gegen die Instruktion, noch einen Vorwurf gegen den Richter, wenn auf den Inhalt einer solchen Anzeige nicht hat Rücksicht genommen werden können.

§. 46.

Wenn in der Appellationsinstanz keine neue Instruktion vorgefallen ist, so bedarf es keiner förmlichen Inrotulation der Akten.

§. 47.

Wenn der Appellat die Instruktion der ersten Instanz ohne Zuziehung eines Justizkommissarii, oder von dem Richter zugeordneten Assistenten, abgewartet hat, und er hält sich an dem Sitze des Gerichts auf; so wird ihm, bei Zufertigung einer Abschrift von dem nichts Neues in facto enthaltenden Appellationsberichte, ein Termin bestimmt, in welchem er sich vor einem Deputirten des Gerichts zu melden, und was er etwa noch gegen den Appellationsbericht zu bemerken finde, zum Protokolle anzuzeigen habe. Doch steht ihm frei, noch vor, oder spätestens in diesem Termine, einen schriftlichen, von einem selbstgewählten Rechtsverständigen abgefaßten Schlußbericht einzureichen. Wenn aber dieß nicht geschieht, oder auch der Appellat in dem anberaumten Termine sich gar nicht meldet; so soll dadurch die Sache nicht länger aufgehalten, sondern ohne Abwartung eines etwa noch nachzubringenden Schlußberichts, mit Beförderung der Akten zum Erkenntnisse verfahren werden.

§. 48.

Wenn in dem §. 47. gesetzten Falle der Appellat abwesend ist, so muß für ihn, schon bei der Publikation des Erkenntnisses, nach Tit. XIII. §. 55. 56. ein Bevollmächtigter vorhanden gewesen, oder von


(400) Prozeßordnung. Vierzehnter Titel.

Amts wegen bestellt worden seyn. Dieser hat alsdann wegen des einzureichenden Schlußberichts eben das zu beobachten, was vorstehend §. 39. 40. jedem andern Assistenten oder Bevollmächtigten eines Appellaten vorgeschrieben ist.

B. Wenn Nova in facto vorkommen. Anberaumung des Instruktionstermins.

§. 49.

Wenn in dem Appellationsberichte neue Thatsachen oder Beweismittel vorkommen, so muß, mit Zufertigung desselben an den Gegentheil, ein Termin zur Instruktion der Sache anberaumt werden. Zu dieser neuen Instruktion wird ein neuer Deputirter von dem Gerichte ernannt, und soll dazu niemals der Instruent der vorigen Instanz, noch der Verfasser des in dieser Instanz ergangenen Urtels, gegen welcher appellirt worden, bestellt werden. Bei schwächer besetzten Kollegien ist vielmehr, wenn keine andere Auswahl Statt findet, die neue Instruktion dem bisherigen Decernenten, und die Funktion des Decernenten dem ersten Urtelsfasser zu übertragen.

§. 50.

In der Vorladung wird dem Appellaten zugleich aufgegeben, wenn er zur Widerlegung der neuen Angaben in dem Appellationsberichte ebenfalls neue Thatsachen anzuführen, oder gegen die vorgeschlagenen neuen Beweismittel Einwendungen, die auf Thatsachen beruhen, anzubringen hätte, davon zeitig vor dem Termine Anzeige zu machen, damit dem Appellanten davon Nachricht ertheilt werden, dieser hinlänglich vorbereitet im Termine erscheinen, und solchergestalt mit der Instruktion, bis zu deren Abschlusse, ohne Unterbrechung verfahren werden könne.

§. 51.

Bei Festsetzung dieser Termine müssen die Gerichte und deren Deputierte die allgemeinen Vorschriften des Achten Titels §. 1-8. vor Augen haben, und auf die Beschaffenheit der angeführten neuen Umstände: in wie fern sie die Hauptsache, oder nur einen und


(401) Appellationen.

den andern Nebenpunkt betreffen, und eine mehr oder minder weitläufige Vorbereitung und Auseinandersetzung erfordern möchten, gehörige Rücksicht nehmen.

§. 52.

Die Anberaumung des Instruktionstermins soll dadurch nicht aufgehalten werden, wenn auch bei dem Vortrage der neuen Thatsachen, in Ansehung der Bestimmtheit oder Vollständigkeit, noch etwas zu erinnern seyn möchte. Doch ist in einem solchen Falle der bemerkte Mangel dem Appellanten, bei der Bekanntmachung des anberaumten Instuktionstermins näher zu eröffnen, und ihm anzudeuten: daß er die zu dessen Abhelfung erforderlichen Nachrichten und Auskünfte unverzüglich zu den Akten anzeigen, oder spätestens im Termine selbst wohl vorbereitet darauf erscheinen, und sich gefaßt halten müsse, über den ganzen Zusammenhang der neuen Thatsachen, und alle dazu gehörende erhebliche Umstände, sowohl dem Gegentheile, als dem Deputirten des Gerichtes, die erforderliche nähere Auskunft zu ertheilen: und mit beigefügter Verwarnung, daß ein jeder solcher Umstand, über welchen er die nöthigen Nachrichten nicht vollständig genug an die Hand geben würde, in contumaciam, je nachdem es ihm am nachtheiligsten ist, für nicht angeführt, oder zugestanden würde geachtet werden.

§. 53.

Auch in zweiter Instanz müssen die Instruktionstermine, der Regel nach, von den Parteien persönlich abgewartet werden, und finden dabei alle Vorschriften des Dritten Titels Anwendung. Inzwischen versteht es sich von selbst, daß, wenn die neue Instruktion nicht die ganze Sache, sondern nur einen oder den andern Punkt betrifft, bei der Anwendung des §. 9. nur auf das Objekt der neuen Instruktion Rücksicht zu nehmen sey.


(402) Prozeßordnung. Vierzehnter Titel.

Prorogation.

§. 54.

Der einmal anberaumte Instruktionstermin kann auf den Antrag des Appellanten in der Regel niemals prorogirt werden; und selbst alsdann, wenn der Appellant durch unvermuthete persönliche Ehehaften an der Wahrnehmung desselben verhindert wird, muß er diese dem Gerichte anzeigen und bescheinigen, dennoch aber den Termin durch seinen Assistenten oder Bevollmächtigten gehörig abwarten. Wenn daher der Appellant sich im Termine weder selbst meldet, noch seinen Rechtsbeistand oder Bevollmächtigen mit der erforderlichen Infomation über die angebrachten neuen Thatsachen versehen hat; so wird angenommen, daß er sich dieser neuen Thatsachen gänzlich begebe, und auf die in erster Instanz geführte Instruktion submittire. Es wird also der angestandene Termin nur dazu benutzt, daß der Rechtsbeistand des Appellanten dasjenige, was er etwa zur Unterstützung der Beschwerden desselben aus den Akten der ersten Instanz, außer dem Inhalte des Appellationsberichts, noch anzuführen, oder an Rechtsgründen beizufügen hat, zum Protokoll geben, der Assistent des Appellanten darauf antworte, und solchergestalt das Appellationsverfahren geschlossen werde.

Wenn jedoch in besonderen Fällen der Appellant Umstände anführt und bescheinigt, nach welchen es ihm ohne sein Verschulden unmöglich ist, gewisse zur Sache gehörige Nachrichten oder Beweismittel bis zum Termine herbei zu schaffen; so bleibt es dem vernünftigen und pflichtmäßigen Ermessen des Gerichtes überlassen, auch dem Appellanten eine Prorogation des Termins zu bewilligen.

§. 55.

Hingegen finden, wegen der von dem Appellaten etwa nachgesuchten Prorogationen des Instrukionstermins, die Vorschriften des Achten Titels §. 28. u. f., so wie des Neunten Titels §. 45. u. f. Anwendung;


(403) Appellationen.

Nur mit dem Unterschiede, daß, wenn der Appellat eines gänzlichen beharrlichen Ungehorsams wegen der Einlassung auf die neuen Thatsachen sich schuldig macht, die rechtliche Wirkung davon nur darin besteht, daß die neuen Thatsachen in contumaciam für eingeräumt geachtet werden; welches dann durch eine auf das Kontumacialprotokoll abzufassende Resolution festgesetzt, die Bestimmung dessen aber, was daraus in der Hauptsache den Rechten nach folge, dem künftigen Appellationserkenntnisse vorbehalten wird.

§. 56.

Hat der Appellant nicht neue Thatsachen angeführt, sondern nur über die schon im Statu controversiae zum Beweise aufgestellten Umstände neue Beweismittel vorgeschlagen; so besteht die rechtliche Folge des ungehorsamen Außenbleibens von Seiten des Appellaten darin, daß in contumaciam mit Abhörung der Zeugen, oder Einnehmung des Augenscheins verfahren, die vorgelegten Urkunden in contumaciam für anerkannt geachtet, und wenn der Eid zugeschoben worden ist, die Sache dafür, daß der Appellat denselben nicht ableisten könne oder wolle, angenommen wird.

Instruktion selbst.

§. 57.

Wenn aber die neue Instruktion ihren wirklichen Fortgang erhält, so müssen dabei alle Vorschriften des Zehnten, Eilften und Zwölften Titels eben so, wie in der ersten Instanz, beobachtet werden; und da es bei solchen neuen Instruktionen in der Regel nicht mehr auf die Entwicklung des ganzen Hauptgeschäftes, sondern nur einzelner Umstände und Bestimmungen desselben ankommt; auch die Parteien, welche durch die ganze erste Instanz Zeit genug gehabt haben, alle erforderliche Nachrichten einzuziehen, und dem Richter vorzulegen, desto weniger Grund haben können, unter dem Vorwande ermangelnder


(404) Prozeßordnung. Vierzehnter Titel.

hinlänglicher Information, den Abschluß der neuen Instruktion in der zweiten Instanz in die Länge zu ziehen; so werden die Kollegia und Gerichte, wegen vorzüglicher Beschleunigung solcher Instruktionen, auf die Vorschriften des Achten Titels §. 34. 35. 36. besonders verwiesen.

§. 58.

Auch bei einer solchen neuen Instruktion, wodurch entweder neue Thatsachen ins Licht gesetzt, oder die alten durch Hinzufügung neuer Umstände näher erläutert, oder aus einem andern Gesichtspunkte dargestellt werden sollen, ist die Aufnehmung eines Status causae et controversiae eben so nothwendig, wie in erster Instanz; und versteht es sich von selbst, daß dabei eine dergleichen neue Thatsache nicht bloß für sich allein, sondern in gehöriger Verbindung mit den in erster Instanz schon vorgekommenen, und nach dem Verhältnisse, in welchem sie zur Entscheidung der Hauptsache steht, beurtheilt werden müsse.

§. 59.

Wenn hingegen in der zweiten Instanz nicht neue Thatsachen, sondern nur neue Beweismittel über Umstände, die schon in dem Statu controversiae der ersten Instanz enthalten sind, vorkommen; so bedarf es, falls diese erste Instanz bei einem Obergerichte instruiert worden ist, keiner neuen Regulirung eines Status causae et controversiae, sondern es ist genug, wenn nur der Gegentheil über diese Beweismittel, und was er gegen deren Zulässigkeit oder Glaubwürdigkeit zu erinnern habe, gehört wird; welchemnächst sogleich mit Aufnehmung derselben verfahren werden kann. In wie fern aber, wenn die zweite Instanz gegen das Erkenntniß eines Untergerichts bei dem Obergerichte instruiert wird, der Instruent auf eine Prüfung des in erster Instanz regulirten Status causae et controversiae sich einzulassen habe, wird unter im Fünf und Zwanzigsten Titel bestimmt.


(405) Appellationen.

Anh. §. 117. Wegen der Nothwendigkeit der Aufnahme des Status causae et controversiae wird auf den §. 27. c. (Anh. §. 76) Tit. X. Th. I. Bezug genommen.

§. 60.

Wenn es bei der Instruktion eines Prozesses auf Umstände ankommt, worüber in erster Instanz Sachverständige mit ihrem Gutachten vernommen worden sind; so steht zwar dem Appellanten frei, in der zweiten Instanz auf die Abhörung anderer Sachverständigen anzutragen: der Instruent muß sich aber alsdann nicht bloß damit begnügen, daß er die neuen Sachverständigen mit ihrem Befunde zum Protokolle umständlich vernimmt; sondern er muß auch, wenn er bemerkt, daß dieser Befund von dem Urtheil der ersten Sachverständigen abweiche, die Gründe, womit diese ihre Meinung unterstützt haben, den neuen Sachverständigen vorlegen, und sie anhalten, bestimmt anzugeben: was sie an der Richtigkeit oder Erheblichkeit dieser Gründe auszusetzen haben. Auch steht in wichtigen und bedencklichen Fällen dem instruirenden Richter frei, die Sachverständigen beider Instanzen gegen einander zu stellen, und solchergestalt entweder ihre Urtheile und Meinungen in Uebereinstimmung zu bringen; oder wenigstens den eigenlichen Grund der Verschiedenheit recht genau und bestimmt ins Licht zu setzen. Uebrigens muß hiernächst der in zweiter Instanz sprechende Richter gehörig beurtheilen, welche von den verschiedenen Angaben der Sachverständigen mit den besten Gründen unterstützt sey, und also den Vorzug verdiene. Wie ihm dann auch, wenn er nicht Anlaß genug, sich hierüber zu bestimmen, in den Akten vorfindet, unbenommen bleibt, einen dritten Sachverständigen von Amts wegen zu ernennen, dessen Gutachten unter den abweichenden Meinungen den Ausschlag gebe.


(406) Prozeßordnung. Vierzehnter Titel.

§. 61.

Bei jeder neuen Instruktion muß der Deputirte des Gerichts zugleich so genau, als ohne Aufenthalt der Hauptsache geschehen kann, auszumitteln suchen: woher es komme, daß die neuen Umstände oder Beweismittel erst in dieser Instanz zum Vorschein gebracht worden; und in wie fern deshalb einem oder dem anderen Theile die Schuld einer geflissentlichen Zurückhaltung oder Fahrlässigkeit in Einziehung der nöthigen Nachrichten zur Last falle.

Deduktionen.

§. 62.

Nach geschlossener neuen Instruktion wird den Parteien die Beibringung rechtlicher Ausführungen gestattet, und dabei eben so, wie in der ersten Instanz, verfahren: nur mit dem Unterschied, daß da hier die Deduktionsschrift nicht bloß die Herleitung der aus den entwickelten neuen Thatsachen fließenden Rechtsgründe, sondern auch die aus den Verhandlungen der ersten Instanz zu entnehmende Rechtfertigung der erhobenen Beschwerde in sich fassen soll, der Appellant mit seiner Deduktion den Anfang macht, und der Appellant mit deren Beantwortung das Verfahren schließt. Wie dann auch aus gleichem Grunde die Fristen zur Einreichung der Deduktionen und Gegendeduktionen in der zweiten Instanz nicht präklusivisch sind, sondern die Vorschriften des §. 43. dabei Anwendung finden.

Anh. §.118. Wegen der in zweiter Instanz nach geschlossener Instruktion einzureichenden Deduktionen und Gegendeduktionen findet dasjenige Verfahren Statt, welches in Ansehung der Schriften erster Instanz vorgeschrieben worden ist, so daß, wenn die bestimmten Fristen verstrichen sind, mit Vorlegung der Akten zum Spruch verfahren werden muß.

Anh. §. 119. Nur alsdann, wenn der Gegner ausdrücklich eingewilliget, oder wenn, in wichtigen und verwickelten Sachen, der Richter sich überzeugt hat, daß die Beibringung der Schrift zur Aufklärung der Sache nöthig sey, soll eine verhältnismäßige Verlängerung der anfänglich bestimmten Frist nachgegeben werden.


(407) Appellationen.

Anh. §. 120. Wird nach bereits verfügter Vorlegung der Akten eine Schrift nachgebracht, so muß solche angenommen; und, wenn es eine Schlußschrift ist, unverzüglich dem ernannten Referenten zugestellt; oder wenn die Akten versendet sind, nachgeschickt, und davon, im Fall der noch nicht erfolgten Entscheidung, Gebrauch gemacht werden.

Ist es keine Schlußschrift, so muß solche zuvörderst dem Gegner mit der Anweisung, binnen der zu bestimmenden Frist die Gegendeduktion einzureichen, zugefertigt werden.

Anh. §. 121. In beiden Fällen darf die Aburtelung der Sache nicht ausgesetzt werden, und auf den Inhalt der nachgesandten Schriften wird nur alsdann Rücksicht genommen, wenn die Entscheidung noch nicht erfolgt ist.

Die Partei, welche die Deduktion zu spät eingereicht hat, muß dem Gegner alle durch das nachgeholte Verfahren entstandenen Kosten erstatten, wenn sie auch sonst nicht in die alleinige Tragung der Kosten verurtheilt wird.

Sollte ein Justizkommissarius ein solches Nachbringen der Schriften sich zur Gewohnheit werden lassen, so ist derselbe zu verwarnen, daß sein Benehmen dem Chef der Justiz angezeigt werden solle; und diese Warnung ist, wenn sie fruchtlos bleibt, zur Ausführung zu bringen.

Anh. §. 122. Wenn gegen ein Erkenntniß von beiden Theilen appellirt worden ist, so muß in der Regel über jede Appellation ein besonderes Verfahren eingeleitet, und solche nach den in diesem Titel enthaltenen allgemeinen Vorschriften besonders instruirt werden.

Sind daher:

1. von beiden Seiten keine neuen Thatsachen oder Beweismittel angeführt worden, und soll bloß aus den Verhandlungen der ersten Instanz deducirt werden; so haben beide Theile mit ihren Deduktionen zu gleicher Zeit anzufangen, und ein jeder muß demnächst die Deduktion des Gegentheils besonders beantworten.

2. Sind von beiden Theilen neue Thatsachen oder Beweismittel angebracht, so müssen dieselben, der Regel nach, in besonderen Terminen, oder doch in besonderen Protokollen, instruirt, und auch bei der Beweisführung von einander getrennt werden; es wäre denn, daß die beiderseitigen Appellationen einerlei Gegenstand hätten, daß, der Natur der Sache, eine Absonderung derselben nicht Statt


(408) Prozeßordnung. Vierzehnter Titel.

finden könnte. Es müssen jedoch auch in diesem Falle die Deduktionen von jedem der beiden Appellanten besonders überreicht werden.

3. Wenn der eine Appellant zur Unterstützung seiner Beschwerden neue Thatsachen oder Beweismittel anbringt, der andere aber bloß aus den bisherigen Verhandlungen deduciren will; so ist zuvörderst die neue Instruktion zu verfügen, und bis zu deren Beendigung das Deduktionsverfahren zu sistiren, demnächst aber wie zu 2. zu verfahren.

Anweisungen für den Appellationsrichter bei Abfassung des Erkenntnisses.

§. 63.

Findet der Appellationsrichter bei dem Vortrage der Sache, wegen eines oder des andern Umstandes, der auf Thatsachen beruht, noch etwas zu erinnern, zu ergänzen, oder näher auszumitteln; oder bemerkt er, es sey nun aus Veranlassung einer Anzeige der Parteien, oder auch von Amts wegen, einen bei der Instruktion der Sache begangenen Fehler und Verstoß wider die Vorschriften der Gesetze und der gegenwärtigen Ordnung: so muß er das Erforderliche deshalb durch eine vorläufige Resolution festsetzen, nach deren Maaßgabe sodann dasjenige Kollegium, welchem die Instruktion obliegt, das Nöthige besorgen, und demnächst die Akten anderweit zum Spruche an den Appellationsrichter befördern muß.

Anh. §. 123. Ueber einen in erster Instanz wirklich vorgekommen und von dem ersten Richter übergangenen, folglich stillschweigend verworfenen Einwand darf der Appellationsrichter unter dem Vorwande, daß alsdann die Parteien eine Instanz verlieren würden, zu erkennen sich nicht weigern, noch die Abfassung des Urtels deswegen aufhalten.

§. 64.

Hat der Appellant keine neuen Thatsachen angeführt; der Appellat aber sich zur Unterstützung des vorigen Erkenntnisses auf neue Umstände oder Beweismittel berufen (§. 41); und der Appellationsrichter findet, daß nach der Instruktion erster Instanz das erste Erkenntniß zum Vortheil des Appellanten geändert werden müßte; so muß er, vor Abfassung des Urtels, zuvörderst die Untersuchung der von dem


(409) Appellationen.

Appellaten allegirten neue Umstände, in so fern er dieselben erheblich findet, durch eine Resolution verfügen, und erst alsdann, wenn diese bewirkt, und die Akten anderweit vorgelegt worden, das Appellationsurtel abfassen.

§. 65.

Hat der Richter erster Instanz über eine streitige Rechtsfrage gesprochen, ohne, der Vorschrift gemäß, ein Konklusum von der Gesetzkommission einzuholen; und der Appellationsrichter findet das Gesetz, nach welchem der vorliegende Fall entschieden werden soll, dunkel und zweifelhaft; so muß von ihm dergleichen Konklusum nach der Vorschrift des Tit. XIII. gleichergestalt eingeholt werden.

§. 66.

In der zweiten Instanz sollen, der Regel nach, besonders aber, wenn die erste Instanz bei einem Untergerichte gewesen, und die Sache wichtig oder verwickelt ist; ingleichen wenn, der Erheblichkeit des Gegenstandes ungeachtet, die Revision bei gewissen besonderen Prozeßarten, nach den dießfalsigen Vorschriften, nicht Statt findet, zwei Referenten bestellt werden.

Abfassung und Publikation des Erkenntnisses.

§. 67.

Mit Abfassung des Appellationserkenntnisses wird es eben so gehalten, wie in erster Instanz: die Publikation aber erfolgt bei demjenigen Gerichte, bei welchem die Instruktion geschehen ist; an welches daher, wenn das Erkenntniß bei einem fremden Kollegio abgefaßt worden ist, dasselbe zur Publikation, und zwar versiegelt, zurück geschickt, mithin nicht eher, als in Gegenwart der Parteien oder ihrer Bevollmächtigten, welchen die Publikation geschieht, eröffnet wird.

§. 68.

Vorstehendes gilt übrigens von dem Falle, wenn gegen das Erkenntniß eines Obergerichts appellirt


(410) Prozeßordnung. Vierzehnter Titel.

worden ist. In wie fern abweichende Vorschriften Statt finden, wenn gegen das Urtel eines Untergerichts die Appellation eingewendet wird, davon soll im Fünf und zwanzigsten Titel umständlich gehandelt werden.

Dritter Abschnitt.

Von dem gegen einen Kontumacialbescheid Statt findenden Rechtsmittel.

§. 69.

Wenn gegen einen ungehorsam außenbleibenden Beklagten ein Kontumacialbescheid nach Vorschrift des Achten Titels §. 9-12. abgefaßt worden ist, so ist eben daselbst schon verordnet, wie es mit der Publikation solcher Bescheide und deren Zufertigung an die Parteien, auch der ihnen dabei zu machenden Bedeutung, gehalten werden solle.

§. 70.

Innerhalb zehn Tagen, von dem Dato an gerechnet, da dem am Orte in der Nähe sich aufhaltenden Beklagten der Bescheid auf die an der angeführten Stelle §. 11. beschriebene Art insinuirt worden; oder, wenn die Zufertigung durch die Post geschehen ist, innerhalb zehn Tagen, von dem Dato an, da eine Erklärung des Beklagten darüber, nach dem gewöhnlichen Laufe der Posten, bei dem Gerichte hat eingehen können, steht es dem Beklagten noch frei, sich bei dem Gerichte zu melden, und um rechtliches Gehör zu bitten.

§. 71.

Er muß aber

1) erhebliche Ursachen, wodurch er den vorigen Citationen Folge zu leisten verhindert worden ist, angeben, und entweder sofort bescheinigen, oder doch Bescheinigungsmittel darüber anzeigen;


(411) Appellationen.

2) die zur vollständigen Einlassung auf die Klage, und zu deren Beantwortung erforderlichen Data dem Deputirten des Gerichts zum Protokolle in Person, oder durch einen zulässigen Bevollmächtigten sofort angeben; auch

3) dem Kläger alle bisher verursachten, und in dem Kontumacialbescheide festgesetzten Kosten wirklich baar erstatten. Werden diese Kosten, oder eine Quittung des Klägers darüber, dem Restitutionsgesuche nicht beigelegt; so muß, indem darauf wegen der Sache selbst verordnet wird, zugleich die Exekution wegen der Kosten sofort verfügt werden.

§. 72.

Qualificirt sich der Beklagte zum Armenrechte, so ist er zwar mit dem baaren Kostenersatze zu verschonen; in der Folge aber dennoch diese Kosten, allenfalls durch Abarbeitung derselben, nach Vorschrift des Titels von Exekutionen, dem Gegentheile herbei zu schaffen schuldig.

§. 73.

Uebrigens findet dieses Restitutionsgesuch auch in Fällen und bei Objekten Statt, wegen welcher eine Appellation nicht zulässig ist; da dieses Rechtsmittel keine Berufung auf ein höheres Erkenntniß enthält, sondern nur auf Abwendung der nachtheiligen Folgen der in erster Instanz bisher unterbliebenen Einlassung abzweckt.

Anh. §. 124. Bei Objekten, wegen welcher eine Appellation nicht zulässig ist, behält der Kontumacialbescheid seine unumstößliche Kraft, wenn in dem Restitutionsgesuche nicht zugleich erhebliche Hinderungsursachen angegeben und bescheinigt worden sind.

Wenn der Beklagte sich zwar innerhalb der §. 70. bestimmten Frist mit einem Restitutionsgesuche meldet; diesem aber die zur Beantwortung der Klage erforderlichen Data und Nachrichten, wenigstens in


(412) Prozeßordnung. Vierzehnter Titel.

der Hauptsache, nicht sofort beifügt; so kann auf sein ganzes Gesuch keine Rücksicht genommen werden, sondern der Kontumacialbescheid behält seine unumstößliche Kraft. Es finden also hier neue Frist- und Prorogationsgesuche zur Einbringung der Antwort auf die Klage niemals Statt.

§. 75.

Wenn hingegen der Beklagte, bei Anbringung seines Restitutionsgesuchs, zugleich die Klage, wenigstens in der Hauptsache gehörig beantwortet hat; so wird mit Anberaumung eines Instruktionstermins und der weitern Verhandlung, so wie in jedem anderen Prozesse, bis zum Schlusse verfahren.

§. 76.

Das hiernächst erfolgende Urtel aber ist von dem Richter, dem selbiges in erster Instanz zukommt, abzufassen, und überhaupt für das erste Urtel zu achten; gegen welches sodann die gewöhnlichen Rechtsmittel, nach Vorschrift des ersten und zweiten Abschnitts, zulässig sind. Wenn also der Beklagte in der Sache selbst wirklich etwas beigebracht hätte, so muß in dem Erkenntnisse zugleich der Kontumacialbescheid wieder aufgehoben werden.

§. 77.

Es müssen jedoch bei der Instruktion der Hauptsache, so weit es ohne deren sonderlichen Aufenthalt geschehen kann, die zur Ablehnung des angeschuldigten Ungehorsams angegebenen Umstände zugleich untersucht werden; maaßen, der Beklagte, selbst im Falle eines in der Hauptsache vortheilhaft für ihn ausfallenden Urtels, dennoch, außer dem Ersatze der Kontumacialkosten, wegen seiner Geringschätzung der richterlichen Verfügungen, mit einer willkührlichen, Geldbuße von 5 bis 20 Rthlr., oder mit proportionirlichem Arrest, oder Strafarbeit belegt werden soll.


(413) Appellationen.

Anh. §. 125. Hat der Beklagte bei Anbringung seines Restitutionsgesuchs zwar die Klage, wenigstens in der Hauptsache, gehörig beantwortet, jedoch keine erheblichen Ursachen, wodurch er verhindert worden ist, den vorigen Citationen Folge zu leisten, angegeben; so hängt es von der Erklärung des Gegentheils ab, ob er die Anberaumung eines Instruktionstermins und die weitere Verhandlung noch in der ersten Instanz zulassen wolle, oder nicht. Im letztern Falle kann der Beklagte bloß zur Appellation gegen den Kontumacialbescheid gestattet werden, und das weitere Verfahren ist darnach einzuleiten. Es muß jedoch alsdann auch in solchen Sachen die Instruktion Statt finden, in denen, wie die Injuriensachen, eine weitere Erörterung der Thatsachen in zweiter Instanz nicht zulässig seyn würde.

Anh. §. 126. Diese Instruktion geschieht sodann bei dem Gerichte, welchem, nach Verschiedenheit des Gegenstandes des Streits, die Instruktion des sonstigen Appellationsverfahrens gebührt.

Anh. §. 127. Ist auf das gegen einen Kontumacialbescheid von dem Beklagen eingewendete Rechtsmittel die Sache nicht in erster, sondern in zweiter Instanz verhandelt worden; so steht dem Kläger frei, darauf anzutragen, daß in erster Instanz erkannt werde. Wenn in diesem Falle die Instruktion einer in erster Instanz vor das Untergericht gehörenden Sache beim Obergericht erfolgt ist, so müssen die Akten zur Abfassung des Erkenntnisses erster Instanz bei dem Obergerichte vorgelegt werden. Bei der Prüfung der gegen ein solches Erkenntniß eingewendeten Appellation finden die in Absicht der Appellationen gegen Untergerichtserkenntnisse ertheilten Vorschriften Statt.

Anh. §. 128. Hat der Beklagte bei der Instruktion in der Appellationsinstanz Gegenforderungen angemeldet, so muß er, in so fern nicht nach dem Verlangen des Klägers in erster Instanz erkannt wird, damit zur besondern Verhandlung verwiesen werden. Diese Verhandlung erfolgt jedoch bei demjenigen Gerichte, bei welchem die Hauptsache schwebt, wenn nicht eine der im §. 7. Titel XIX. Theil. I bestimmten Ausnahmen eintritt.

§. 78.

Wenn der Beklagte nicht darüber, daß in dem Kontumacialbescheide die zum Grunde der Klage liegenden Thatsachen für eingeräumt angenommen worden, sondern darüber, daß der Richter die in dem Bescheide festgesetzten Folgen daraus hergeleitet hat,


(414) Prozeßordnung. Funfzehnter Titel.

sich beschwert; so findet gegen den Bescheid kein Restitutionsgesuch, sondern nur die Appellation, in Fällen, wo dieselben (!) sonst zulässig ist, Statt. Es muß also dieses Rechtsmittel innerhalb der §. 70. bestimmten Fristen angemeldet, und mit dessen Instruktion nach Vorschrift des zweiten Abschnitts verfahren werden. Dem Kontumacialbescheide wird in diesem Falle die Kraft eines eigentlichen Urtels beigelegt, und das Erkenntniß über das eingewendete Rechtsmittel gebührt dem ordentlichen Appellationsrichter.

§. 79.

Wenn der Kläger bei einem Kontumacialbescheide sich nicht beruhigen will, so kann dieses keinen andern Grund haben, als weil er behauptet, daß aus den in contumaciam für richtig angenommenen Thatsachen noch mehr zu seinem Vortheile folge, als der Richter in dem publicirten Bescheide festgesetzt hat. In diesem Falle muß er von Letzterem in der vorgeschriebenen Frist appelliren, und es findet alsdann eben das Verfahren Statt, was oben §. 39. 40. verordnet ist. Wenn jedoch gegen eben diesen Bescheid auch von dem Beklagten die Restitution nachgesucht wird, so muß die Appellation des Klägers ausgesetzt bleiben, und dieser muß zuvörderst das nach instruirter Sache zu publicirende Erkenntniß abwarten.

Fünfzehnter Titel.

Von Revisionen, und wie dabei zu verfahren.

Wann die Revision Statt findet.

§. 1.

Die dritte oder Revisionsinstanz ist der Regel nach in allen Fällen zulässig, in welchem (!) nach dem vorigen Titel die Appellation Statt findet; auch gelten eben diese Vorschriften bei Bestimmung der Frage:


(415) Revisionen.

in wie fern die vorigen Urtel, der Revision ungeachtet, zu vollstrecken sind, oder die Exekution bis nach erfolgtem Revisionsurtel ausgesetzt bleiben müsse.

§. 2.

Nur in Ansehung der Summe, über welche eine Revision Statt findet, ist folgender Unterschied zu beobachten.

1) Wenn in Erster Instanz bei einem Untergerichte erkannt worden ist, so ist die Revision zulässig, so bald der Gegenstand derselben hundert Thaler oder mehr beträgt.

2) Wenn schon in erster Instanz bei einem Obergerichte erkannt ist, so findet die Revision bei einem Objekte von hundert Thalern oder mehr, bis zu Zweihundert Thalern, nur alsdann Statt, wenn die beiden ersten Erkenntnisse verschiedenen Inhalts sind.

3) Sind aber die beiden ersten Erkenntnisse gleichlautend, so kann die dritte Instanz nur bei Objekten, welche Zweihunder Thaler oder mehr betragen, zugelassen werden.

Anh. §. 129. Die Revision findet nur Statt:

1) wenn in erster Instanz bei einem Untergerichte erkannt worden ist, und der Gegenstand der Beschwerde Zweihundert Thaler oder mehr beträgt,

2) wenn in erster Instanz bei einem Obergericht erkannt ist, und der Gegenstand der Beschwerde Vierhundert Thaler oder mehr ausmacht;

3) wenn in Rechtssachen, welche in erster Instanz bei einem Obergericht anhängig gewesen sind, der Gegenstand der Revision zwar nur Zweihundert Thaler, und weniger als Vierhundert Thaler ausmacht, jedoch die beiden ersten Erkenntnisse bei demselben verschiedenen Inhalts sind.

In so fern in der Allgemeinen Gerichtsordnung für gewisse Prozeßarten, z. B. bei Injurien, Sponsalien und Arrestsachen, wegen Zulässigkeit der Revision ohne Rücksicht auf den Betrag des Objekts besondere Vorschriften ertheilt worden sind, hat es dabei lediglich sein Bewenden.

Anh. §. 130. Wegen Berechnung der zur Revision erforderlichen Summen finden die Grundsätze Anwendung,


(416) Prozeßordnung. Funfzehnter Titel.

welche Titel XIV. §. 3. und Titel XXVI. §. 2. vorgeschrieben sind.

§. 3.

Ob und in wie fern bei Pacht-, Berechnungs-, Administrations-, Bau-, Assekuranz- und Arrestsachen; ferner, wenn über die Rechtswohlthat der Vermögensabtretung, über die Konkurseröffnung, im Wechsel- und exekutivischen, und im Provokations-Prozesse, in Injurien- und fiskalischen Untersuchungs-Sachen, über Prodigalitätserkärungen, oder über ein nachgesuchtes Moratorium erkannt worden ist, die Revision Statt findet, wird unten in den für diese Materien bestimmten Titeln festgesetzt werden.

Anmeldung der Revision.

§. 4.

Den Assistenten und Bevollmächtigten der Parteien liegt ob, ihren Parteien das publicirte Appellationserkenntniß auf eben die Art, wie in Ansehung des Erkenntnisses erster Instanz verordnet ist, bekannt zu machen; ihnen von dem dagegen noch zulässigen Rechtsmittel der dritten Instanz Nachricht zu geben; ihre Erklärung: ob sie sich desselben bedienen wollen, abzufordern; ihr eigenes pflichtmäßiges Gutachten darüber beizufügen; zugleich aber auch der Partei die damit verbundenen Kosten, und die gegen den Mißbrauch des Rechtsmittels geordneten Strafen zu eröffnen. Ist eine Partei auch in der zweiten Instanz mit keinem Bevollmächtigten oder Assistenten versehen gewesen, so finden wegen der Publikation des Appellationsurtels durch einen Deputirten des Gerichts, und wegen der in Ansehung des Rechtsmittels der Revision einer solchen Partei zu machenden Bedeutung, die Vorschriften des Dreizehnten Titels §. 51-54. Anwendung.

§. 5.

Wenn darauf die Partei sich erklärt: daß sie sich bei dem zweiten Urtel nicht beruhigen wolle; so muß sie zugleich ihre Beschwerden deutlich und bestimmt anzeigen.


(417) Revisionen.

Eine bloß in allgemeinen Ausdrücken abgefaßte Angabe, z. B. wenn in einer aus mehreren Punkten bestehenden Sache die Revisionsbeschwerde bloß dahin: daß nicht durchgehends angetragenermaaßen erkannt, oder daß die Appellationsbeschwerden verworfen worden sind, gefaßt wird, muß in den Revisionsanmeldungen nicht zugelassen werden. Uebrigens muß die Anmeldung der Revision innerhalb Zehn Tagen bei dem instruirenden Kollegio erfolgen, und diese zehntägige Frist wird eben so, wie Tit. XIV. §. 21-33. festgesetzt ist, berechnet.

Anh. §. 131. Die in der Appellationsinstanz nach §. 34. Titel XIV. nachgelassene Frist gegen die versäumte Appellation findet auch in Absicht der Revision Statt.

Verfahren in Revisorio.

§. 6.

Auf die eingekommene Revisionsanmeldung, welche dem Gegentheile unverzüglich bekannt gemacht werden muß, wird von dem Kollegio eine Frist von vierzehn Tagen, bis vier Wochen, nach der Weitläufigkeit und Wichtigkeit der Sache bestimmt, binnen welcher dem Revidenten frei steht, eine schriftliche Ausführung seiner Beschwerde zu den Akten zu bringen. Wenn diese einkommt, so wird sie dem Revisen zu Einreichung einer Gegendeduktion binnen gleicher Frist zugefertigt, und mit dieser das Verfahren geschlossen. Diese Fristen sind aber, wie in der ersten Instanz, präklusivisch: also, daß eine Verlängerung derselben unter keinerlei Vorwande Statt findet. Wenn daher der Revident die Deduktion mit dem Ablaufe der bestimmten Frist nicht eingereicht hat, so wie alsdann, wenn derselbe sich deren begiebt, und auf die Akten, so wie sie sind, submittirt, wird mit Beförderung der Akten zum Erkenntnisse von Amts wegen verfahren, ohne daß es in beiden Fällen einer Gegendeduktion von Seiten des Revisen bedarf. Eben so werden die Akten von Amts wegen zum Spruche befördert, wenn der Revisus die


(418) Prozeßordnung. Funfzehnter Titel.

Gegendeduktion innerhalb der ihm dazu bestimmten Frist nicht einreicht. Eine förmliche Akteninrotulation ist in der dritten Instanz zwar nicht erforderlich; doch muß in weitläufigen Sachen, wozu viele Aktenstücke oder Hülfsakten, Charten, Risse u. s. w. gehören, der Decernent, indem er die Absendung der Akten an den Revisionsrichter verordnet, zugleich verfügen, daß der Deputirte oder Protokollführer, welcher die lezte Instruktion besorgt, oder derselben beigewohnt hat, mit Zuziehung der Assistenten ein Protokoll aufnehme, in welchem bestimmt angegeben sey: was für Akten oder Beilagen mit versendet werden sollen. In wie fern es nöthig oder von Nutzen seyn könne, bei Versendung der Akten an einen auswärtigen Richter auch die Manualakten der Assistenten mit beizufügen, muß der Decernent bei Verfügung der Transmission, nach Beschaffenheit der Umstände, und je nachdem sich ein davon zu machender Gebrauch mit einiger Wahrscheinlichkeit voraus sehen läßt, oder nicht, bestimmen.

Anh. §. 132. Die Akteninrotulation ist in dritter Instanz jederzeit erforderlich

 Es ist daher in einem anzusetzenden Termin mit Zuziehung der Bevollmächtigten

1. zu specificiren, welche Akten zu versenden, wobei auch die Manualakten übergeben werden müssen;

2. zu prüfen, welche Dokumente beizufügen und zu übersetzen, dem gemäß das Mangelnde vor Absendung der Akten zu erledigen.

Wird hierbei etwas versäumt, so werden in Sachen, wo Justizkommisarien zugezogen worden sind, diese deshalb in eine Strafe von Fünf Thaler genommen; auch haben sie die durch den Verstoß verursachten mehreren Kosten zu tragen. Sind die Parteien selbst erschienen, so trifft die Strafe und der Kostenersatz wegen des etwanigen Verstoßes den Decernenten.

Abfassung der Erkenntnisses.

§. 7.

In der dritten Instanz müssen allemal ein Referent und Korreferent bestellt werden. Wenn von diesen auf die Abänderung zweier übereinstimmender Erkenntnisse


(419) Revisionen.

angetragen, und solcher Antrag von dem Kollegio erheblich befunden wird; so müssen die Akten zwei anderen Mitgliedern des Kollegii zur nochmaligen Relation und Korrelation, wobei sich dieselben der vorigen Relation und Korrelation nicht bedienen dürfen, zugestellt; nach deren Verlesung aber das Urtel schlechterdings nach der Mehrheit der Stimmen abgefaßt werden. Sind für die Bestätigung und für die Abänderung der beiden vorigen Urtel gleich viel Stimmen vorhanden; so sind die vorigen Urtel zu bestätigen, wenn auch gleich der Präsident oder Chef des Kollegii der entgegen gesetzten Meinung gewesen wäre.

Was Statt finde, wenn die Instruktion mangelhaft befunden wird.

§. 8.

Findet das in der Revisionsinstanz sprechende Kollegium bei dem Vortrage der Sache, daß irgend ein in den Akten erster oder zweiter Instanz bereits vorgekommener erheblicher Umstand, entweder, weil ihn die vorigen beiden Richter als irrelevant angesehen haben, gar nicht untersucht, oder doch nicht deutlich und vollständig genug auseinander gesetzt worden ist; oder wird sonst bei der Instruktion der Sache ein vorgefallener Fehler und Verstoß gegen die Vorschriften der Gesetze und Prozeßordnung, welcher die Abfassung eines auf ordnungsmäßig und vollständig instruirte Akten sich gründenden Definitiverkenntnisses hindert, es sey nun aus der Anzeige der Parteien, oder von Amts wegen, wahrgenommen; so muß der Revisionsrichter in einer abzufassenden Resolution festsetzen: daß und wie ein solcher Umstand noch näher ausgemittelt, oder einem solchen Mangel abgeholfen werden solle. Mit dieser Resolution müssen die Akten an das instruirende Gericht zurück geschickt, und nach Maaßgabe desselben das Nöthige von diesem veranlaßt werden. Nach geschlossener Instruktion muß der Richter derjenigen Instanz, in welcher die anderweit


(420) Prozeßordnung. Funfzehnter Titel.

instruirte Thatsache zuerst vorgekommen ist, folglich wenn sie erst in der zweiten Instanz gerügt worden ist, der Appellationsrichter, nochmals erkennen, und in diesem Erkenntnisse ausdrücklich entscheiden: in wie fern das Faktum ausgemittelt sey, und was daraus den Rechten nach folge. Von einem solchen Urtel sind alsdann wieder die ordentlichen Rechtsmittel zulässig.

§. 9.

Betrifft jedoch der Umstand, dessen nähere Untersuchung der Revisionsrichter nöthig findet, nicht die Hauptsache, sondern nur einen Nebenpunkt, z. B. nur die Zinsen, den Satz oder den terminum a quo derselben, oder nur die Kosten, oder den Zahlungstermin; so muß in der Hauptsache, was Rechtens, erkannt, zugleich aber in dem Urtel festgesetzt werden; ob und worüber, eines solchen Nebenpunkts wegen, noch eine nähere Untersuchung zu verfügen, und darauf nochmals in einer der vorigen Instanzen zu sprechen sey.

Gleiche Bewandtniß hat es, wenn mehrere abgesonderte Punkte in die Revisionsinstanz gediehen sind, und nur bei einem oder etlichen derselben eine nähere Untersuchung nöthig gefunden wird: maaßen alsdann, wegen der letztern diese nähere Untersuchung in dem Urtel mit verordnet, wegen der übrigen aber sogleich definitive erkannt werden muß.

Von Novis in Revisorio.

§. 10.

Auf neue Thatsachen oder neue Beweismittel, welche in den beiden ersten Instanzen gar nicht vorgekommen sind, darf der Revisionsrichter keine Entscheidung gründen, sondern er muß diese lediglich nach der in erster und zweiter Instanz ausgemittelten Lage der Sache abfassen; wenn auch von den Parteien, bei Anmeldung der Revision, oder in ihren Rechtsausführungen, neue Thatsachen oder Beweismittel angebracht worden wären.


(421) Revisionen.

§. 11.

Um jedoch den Parteien, dem ganzen Geiste und Zwecke der Prozeßordnung gemäß, die Mittel zur Ausführung oder Vertheidigung ihrer Gerechtsame, auch noch in der letzten Instanz, so weit es ohne Begünstigung offenbarer, auf Verewigung der Prozesse abzielender Chikane, oder unverantwortlicher Sorglosigkeit geschehen kann, zu erleichtern, sind wegen der im Revisorio angebrachten neuen Umstände nachfolgende Fälle zu unterscheiden:

1) wenn über eine in der vorigen Instanz bereits vorgekommene, aber unerörtert gebliebene erhebliche Thatsache neue Umstände oder Beweismittel angebracht werden;

2) wenn der Revident zur Unterstützung oder Widerlegung eines in den vorigen Instanzen wirklich zur Instruktion gezogenen Fakti neue Beweismittel anführt;

3) wenn eine ganz neue Thatsache angegeben wird, worauf ein von dem bisherigen ganz unterschiedener Klagegrund gebauet werden soll;

4) wenn neue Fakta zur Unterstützung eines an sich unverändert bleibenden Klagegrundes angeführt werden;

5) wenn der Beklagte neue Einwendungen, die auf Thatsachen beruhen, entgegen stellt.

§. 12.

Da im Ersten Falle, wenn der Revisionsrichter die in den vorigen Instanzen unerörtert gebliebene Thatsache erheblich findet, darüber ohnehin, nach Vorschrift §. 8., eine neue Instruktion veranlaßt werden muß; so folgt von selbst, daß es keinen Unterschied mache, wenn auch zu Unterstützung dieses Hauptfakti neue Umstände oder neue Beweismittel erst in der dritten Instanz angeführt worden sind; vielmehr der instruirende Richter darauf allerdings gehörige Rücksicht nehmen müsse.


(422) Prozeßordnung. Funfzehnter Titel.

§. 13.

Im zweiten Falle muß der Revisionsrichter die Rückweisung der angegebenen neuen Beweismittel zur Aufnehmung derselben in derjenigen Instanz, wo die Thatsache selbst zuerst vorgekommen ist, allemal verordnen, wenn die Thatsache an sich erheblich ist, und in den vorigen Instanzen gar kein Beweis darüber, bloß aus Mangel an Beweismitteln, hat aufgenommen werden können.

§. 14.

War aber schon in den vorigen Instanzen eine Beweisesaufnahme erfolgt, und es werden in der Revisionsinstanz neue Zeugen vorgeschlagen; so ist darauf keine Rücksicht zu nehmen, sobald die streitige Thatsache ein eigenes Faktum der Partei ist, und dieselbe nicht etwa schon in den vorigen Instanzen sich, wenigstens im Allgemeinen, darauf, daß Zeugen darüber vorhanden wären, bezogen hat.

Ist hingegen eine solche wenigstens allgemeine Beziehung in den Akten der vorigen Instanz vorhanden, oder betrifft die streitige Thatsache nicht das eigene Faktum der Partei; so bleibt es dem Ermessen des Revisionsrichters anheim gestellt: in wie fern, nach Beschaffenheit des bereits aufgenommenen Beweises, noch Gründe vorhanden sind, von der Abhörung der neuen Zeugen eine vollständigere Aufklärung der Wahrheit zu hoffen, und also die Rückweisung der Sache zur Aufnehmung des neuen Beweismittels zu veranlassen.

Eben so ist es zu halten, wenn das neue Beweismittel in Urkunden besteht, welche der Revisionsdeduktion sogleich beigelegt worden sind. Alsdann muß der Revisionsrichter nach dem Inhalte, und der äußern, auf die Glaubwürdigkeit Einfluß habenden Form dieser Urkunden, in Vergleichung mit dem in voriger Instanz bereits aufgenommenen Beweise, gleichmäßig beurtheilen: in wie fern eine Rückweisung


(423) Revisionen.

Statt finde, oder nicht. Bloße Beziehungen auf Urkunden, die nicht sofort beigelegt werden, verdienen gar keine Rücksicht.

§. 15.

Damit jedoch diese Nachsicht der Gesetze wegen der Anführung neuer Beweismittel im Revisorio nicht gemißbraucht werden möge, muß derjenige Richter, welcher nach der unten folgenden Vorschrift den neuen Beweis aufzunehmen hat, die Instruktion allemal mit darauf richten:

woher es komme, daß diese Beweismittel erst in der dritten Instanz angegeben worden?

Der hierüber von der Partei beizubringende mehr oder weniger genugthuende Nachweis hat nicht nur auf die künftige Beurtheilung der Glaubwürdigkeit des neuen Beweismittels, besonders wenn es Zeugen sind, erheblichen Einfluß; sondern es muß auch darnach, wegen des Ersatzes der bisherigen Kosten an den Gegentheil, wegen Vergütung des demselben aus dem Verzuge etwa entstandenen Schadens, ingleichen wegen der Strafen muthwilliger Chikanen und Verschleppungen, das Erforderliche, nach näherer Bestimmung des Drei und Zwanzigsten Titels, in den Erkenntnissen über den aufgenommenen Beweis festgesetzt werden.

§. 16.

In dem dritten §. 11. gesetzten Falle wird bloß nach Lage der bisher verhandelten Akten erkannt, und der neue Klagegrund zur besondern Ausführung verwiesen. Doch wirkt ein solcher Vorbehalt niemals die Kompensation der Kosten; so wie es auf der andern Seite den Rechten der Partei unschädlich ist, wenn auch desselben in dem Revisionserkenntnisse nicht ausdrücklich gedacht worden wäre.

§. 17.

Wenn im vierten Falle bloß neue Thatsachen zur Unterstützung eines unverändert bleibenden


(424) Prozeßordnung. Funfzehnter Titel.

Klagegrundes angeführt werden; z. B. neue Besitzhandlungen zur Begründung der behaupteten Präskription; so ist darauf gar keine Rücksicht zu nehmen: da den Parteien durch den ganzen Lauf zweier Instanzen Zeit genug gelassen ist, Alles und Jedes, was zur Aufklärung des Fakti gehört, anzuführen, und sie gegen Uebereilungen von Seiten des Richters hinlänglich gesichert sind; mithin es sich ohne vorsätzliche Zurückhaltung oder grobes Verschulden der Partei selbst nicht denken läßt, daß erst in der dritten Instanz wirklich gegründete Thatsachen dieser Art sollten zum Vorschein kommen können.

§. 18.

Gleiche Bewandtniß hat es im fünften Falle, wenn der Beklagte neue, auf Thatsachen sich gründende Einwendungen erst in der dritten Instanz aufstellt; es wäre denn, daß dieselben unter diejenigen Exceptionen gehörten, welche nach Vorschrift des Vier und Zwanzigsten Titels §. 36. sogar noch bei der Exekution angebracht werden können. Alsdann ist in der Hauptsache zu erkennen, und nur der privilegirte Einwand zur Verhandlung in erster Instanz zurück zu weisen.

§. 19.

In allen Fällen, wo nach einer Verfügung des Revisionsrichters neue Instruktion Statt findet, muß der Richter sogleich nach Publikation des Erkenntnisses einen Termin anberaumen, in welchem zuvorderst der Allegant über das angebrachte Novum genau und vollständig vernommen, sodann aber mit der weitern Instruktion verfahren werden muß; wobei sich von selbst versteht, daß auch der Gegentheil mit neuen Gründen und Beweismitteln, welche auf die Widerlegung des Novi abzielen, gehört werden müsse.

§. 20.

Findet der Revisionsrichter die angebrachten neuen Umstände oder Beweismittel, auch an sich betrachtet,


(425) Revisionen.

unerheblich; so muß er sie in dem Urtel ausdrücklich verwerfen; so wie es über die Nova keiner Untersuchung bedarf, wenn der Richter, ohne Rücksicht darauf, schon in den bisherigen Verhandlungen hinlängliche Gründe, das vorige Erkenntniß zum Vortheile des Revidenten abzuändern, vorfindet.

§. 21.

Auf neue Umstände oder Beweismittel, die bloß in einer unter die Mitglieder des Revisionsgerichts vertheilten Species facti angeführt oder beigelegt worden sind, darf in keinem Falle Rücksicht genommen werden.

§. 22.

Bei Revisionserkenntnissen bedarf es nicht der Beifügung von Entscheidungsgründen.

§. 23.

Dagegen muß der Revisionsrichter, besonders wenn er zwei gleichförmige Erkenntnisse abändern zu müssen glaubt, außer dem, was für diesen Fall schon oben §. 7. verordnet ist, mit vorzüglicher Sorgfalt und Vorsicht zu Werke gehen; und nicht eher damit verfahren, als bis er sich über die Gründe, welche ihn zur Aenderung der vorigen Urtel bestimmen, die vollständigste Gewißheit und Aufklärung, nöthigenfalls durch Rückfragen und eingeforderte Erläuterungen von den Richtern der vorigen Instanzen, verschafft hat.

Anh. §. 133. Wenn zwei gleichlautende Erkenntnisse abgeändert werden, so muß;

1. von einem der Referenten, welcher für die Abänderung gestimmt hat, das Urtel mit Gründen abgesetzt;

2. solches sodann in der nächstfolgenden Session vollständig vorgelesen und alsdann erst vollzogen;

3. ohne Beifügung der Entscheidungsgründe zur Publikation versendet;

4. eine genaue und vollständige, die Entscheidungsgründe enthaltende ungestempelte Abschrift davon angefertigt, und, ohne daß es einer besondern Berichtserstattung bedarf, in einem Umschlag unter der Adresse des Justizministers postfrei eingesendet werden.

Im Falle einer Beschwerde über die Entscheidung wird nach geschehener Eröffnung und Einsicht der bis dahin versiegelten Abschrift des Erkenntnisses geprüft (!)


(426) Prozeßordnung. Funfzehnter Titel.

ob es rathsam oder zur Ausführung einer etwanigen Nullität nothwendig sey, der Beschwerde führenden Partei die Entscheidungsgründe mitzutheilen.

Publikation des Revisionsurtels.

§. 24.

Die Publikation der Revisionserkenntnisse geschieht bei dem instruirenden Gerichte, auf eben die Art, wie in erster und zweiter Instanz, und müssen die Assistenten und Bevollmächtigten bei Kommunikation derselben an die Parteien, diese zugleich bedeuten: daß es nunmehr bei sothanem Erkenntnisse lediglich sein Bewenden habe, und dagegen keine weitere Instanz, oder anderes Rechtsmittel zulässig sey.

§. 25.

Nach publicirtem Revisionsurtel müssen die Akten sofort ex officio reponirt, und der Prozeß in der Liste gelöscht werden. Ist aber in dem Revisions-, oder in einem dadurch bestätigten oder wieder hergestellten frühern Erkenntnisse, noch auf Ableistung eines Eides, oder Befolgung irgend einer andern, einer Partei gemachten Auflage gesprochen worden; so muß der instruirende Richter für die Befolgung der Auflage von Amtswegen sorgen; wegen der Abnahme des Eides das Nöthige verfügen, und sodann, je nachdem der Eid gehörig abgeleistet worden ist, oder nicht, die nach Tit. XIII. §. 39. in dem Erkenntnisse bestimmten rechtlichen Folgen durch eine Resolution festsetzen.

Deklarationsgesuche.

§. 26.

Deklarationsgesuche gegen Revisionserkenntnisse müssen innerhalb vier Wochen nach der Publikation der Urtels, und zwar immer bei dem instruirenden Gerichte, angebracht werden.

§. 27.

Dieses muß das Deklarationsgesuch mit dem angeblich dunkeln Erkenntnisse sorgfältig vergleichen, und wenn es findet, daß das Gesuch offenbar unstatthaft sey, und auf Vereitelung oder Verdrehung des Erkenntnisses abziele, den Imploranten über den Ungrund seines Antrags bescheiden.


(427) Nullitäts- und Restitutionsklagen.

§. 28.

Findet aber der instruirende Richter die Sache irgend zweifelhaft, so muß er in einem kurz anzuberaumenden Termine beide Parteien, oder deren Bevollmächtigte, über das Deklarationsgesuch näher zum Protokolle vernehmen, und die Akten mit diesem Protokolle an das Gericht, bei welchen das Urtel abgefaßt worden ist, zur Entscheidung über die nachgesuchte Deklaration anderweit einsenden.

Sechszehnter Titel.

Von den Wirkungen eines rechtskräftigen Urtels.

Wirkung eines Judicati.

§. 1.

Wenn gegen ein in erster oder zweiter Instanz ergangenes Urtel die zulässigen Rechtsmittel innerhalb der vorgeschriebenen Fristen nicht eingewendet, oder auch, wenn in der Revisionsinstanz gesprochen worden; so ist ein solches Urtel rechtskräftig: dergestalt, daß selbiges hiernächst unter keinerlei Vorwande, er sey, welcher er wolle, auch nicht unter dem Prätext einer dabei vorwaltenden Nullität, wieder umgestoßen, oder davon abgegangen werden kann.

Causae nullitatis.

§. 2.

Es giebt jedoch einige Fälle, wo ein Urtel dergestalt nichtig ist, daß selbiges zu keiner Zeit die Rechtskraft erlangen kann, nämlich:

1) wenn dasselbe ex falsa causa gegeben worden ist; das heißt, wenn eine Partei bloß auf den Grund eines falschen Dokuments, oder lediglich nach den Aussagen bestochener Zeugen verurtheilt oder abgewiesen worden ist. Unter bestochenen Zeugen aber werden hier nicht bloß solche verstanden, welche durch Geschenke an Geld oder Geldes Werth, sondern auch diejenigen, welche durch die Hoffnung irgend


(428) Prozeßordnung. Sechszehnter Titel.

eines zu erlangenden Gewinns und Vortheils, oder durch Besorgniß eines ihnen bevorstehenden Schadens und Verlustes, zur wissentlichen Ablegung eines falschen Zeugnisses erweislich vermocht worden sind. Dagegen ist es zur Begründung einer Nullitätsklage keinesweges hinreichend, wenn der Provokant bloß das Gegentheil desjenigen, was in dem Prozesse auf den Grund der Zeugenaussagen für wahr angenommen worden ist, durch andere Zeugen, und wenn deren auch noch so viele wären, darthun will. Eben so begründet es keine Nullitätsklage, wenn der Provokant Urkunden vorbringt, aus welchen das Gegentheil der Zeugenaussagen erhellen soll; sondern es kommt in diesem letztern Falle darauf an, in wie fern auf den Grund dieser Urkunden, als neu aufgefundener, die Wiederherstellung in den vorigen Stand nach den unten folgenden Vorschriften, gesucht werden kann.

Den falschen Urkunden werden auch falsche und unrichtige Charten und Vermessungsregister gleich geachtet. Wenn jedoch dergleichen Charten oder Zeichnungen bei Grenzprozessen, oder sonst, den Parteien an Ort und Stelle vorgelegt, und von ihnen ausdrücklich für richtig anerkannt worden sind, so können solche Parteien auf die Behauptung, daß die Charte dennoch falsch sey, eine Nullitätsklage nicht ferner gründen.

Soll übrigens ein Urtel der Nullität um deßwillen, weil es ex falsa causa gegeben worden, beschuldigt werden können; so muß dasselbe lediglich, oder doch hauptsächlich, auf den falschen und ungültigen Beweismitteln beruhen, und der Provokant muß die Falschheit und Unrichtigkeit der Urkunden, oder die Korruption der Zeugen selbst, nachweisen können; allermaaßen es, wie schon vorhin gedacht worden, nicht genug ist, wenn er bloß das Gegentheil desjenigen,


(429) Nullitäts- und Restitutionsklagen.

was in dem rechtskräftigen Urtel als wahr angenommen ist, darthun will.

Behauptet jemand, daß die Urkunde, auf deren Grund er verurtheilt oder abgewiesen worden ist, zwar an sich nicht unrichtig sey, aber zu einem andern und verschiedenen Geschäfte, als woraus der Prozeß entstanden ist, gehöre; so kann er deswegen das rechtskräftige Urtel nicht antasten. Es steht ihm aber frei, seine vermeintliche Gerechtsame aus diesem andern Geschäfte oder Verkehr wider den Gegentheil besonders auszuführen; und dieser kann bei sothaner separaten Ausführung von derjenigen Urkunde, auf deren Grund er den vorigen Prozeß gewonnen hat, nicht abermals Gebrauch machen. Wird hingegen eine Verwechselung der Urkunden behauptet und nachgewiesen, dergestalt, daß die Urkunde, aus welcher der vorgewesene Prozeß entschieden worden ist, einen ganz andern, als den Gegenstand dieses Prozesses betroffen hat; so ist es eben so viel, als wenn das Urtel aus einer falschen Urkunde wäre gegeben worden.

2) Wenn in erster oder zweiter Instanz gegen ein klares, in dem allgemeinen Landrechte, oder in den Landesherrlich bestätigten Provinzial-Gesetzbüchern enthaltenes Gesetz erkannt worden ist, und die ordentlichen Rechtsmittel gegen ein solches Erkenntniß nicht mehr Statt finden; so kann dasselbe als nichtig angefochten werden. Es ist aber zur Nichtigkeitserklärung nicht hinreichend, wenn bloß behauptet wird, daß gegen die Analogie der Gesetze gesprochen, oder daß die Entscheidung aus einem auf den vorliegenden Fall nicht passenden Gesetze genommen, oder daß das Gesetz nicht richtig erklärt, oder auf den Fall nicht richtig angewendet worden sey.

3) Wenn jemand, der mit keiner Jurisdiktion versehen, oder falls er auch damit versehen wäre, dennoch zur Justizverwaltung nicht vorschriftsmäßig


(430) Prozeßordnung. Sechszehnter Titel.

bestellt und vereidet ist, sich in einer Sache als Richter angegeben, und in dieser Qualität einen Prozeß instruirt, oder entschieden hat. Daraus, daß ein an und für sich mit Gerichtsbarkeit versehener, und zur Rechtspflege qualificirter Richter, in einer speciellen Streitsache nicht der gehörige Richter gewesen ist, soll, der Regel nach, keine Nullität hergeleitet werden können, weil alsdann anzunehmen ist, daß eine Prorogation des Gerichtsstandes erfolgt sey.

In Fällen aber, wo dergleichen Prorogation durch ausdrückliche Landesgesetze verboten ist, soll nach der unten §. 7. erfolgenden Vorschrift verfahren werden.

4) Wenn jemand, der nach Vorschrift der Gesetze ohne Vormund oder Kurator vor Gerichten zu handeln nicht fähig ist, ohne den Beistand eines solchen gehörig bestellten Vormundes oder Kurators bei einem Prozesse als Kläger oder Beklagter zugelassen worden ist.

Eben das findet Statt, wenn die obervormundschaftliche Genehmigung in Fällen, bei welchen dieselbe nach Vorschrift der Gesetze zur Gültigkeit der Verhandlung erforderlich ist, (Allg. Landrecht Th. II. Tit. XVIII. §. 501 u. f.) nicht bei- oder nachgebracht werden kann.

Eine gleiche Nullität tritt alsdann ein, wenn in den Tit. I. der gegenwärtigen Prozessordnung bestimmten Fällen jemand, der zu seinen gerichtlichen Verhandlungen eines Beistandes nothwendig bedarf, ohne dergleichen Beistand zu solchen Verhandlungen zugelassen worden ist.

Das Urtel wird aber gültig, wenn der gewesene Pflegebefohlene, oder der eines Beistandes bedurft hätte, die damaligen Verhandlungen zu einer Zeit, wo er den Rechten gemäß über seine Person und sein Vermögen frei, und ohne irgend jemandes Zuziehung disponiren kann, ausdrücklich oder sillschweigend genehmigt. (Allg. Landr. Th. I. Tit. IV. § …)


(431) Nullitäts- und Restitutionsklagen.

An Orten und in Provinzen, wo die Geschlechtsvormundschaft noch dergestalt Statt findet, daß bei gerichtlichen Verhandlungen ein gerichtlich bestätigter Geschlechtsvormund zugezogen werden muß, sind Verhandlungen, die mit einer Frauensperson ohne dergleichen Kurator gerichtlich vorgenommen worden sind, so wie die darauf gegründeten Erkenntnisse, ebenfalls nichtig.

5) Wenn eine Partei im Prozesse durch einen anderen vertreten worden ist, welcher entweder gar nicht bevollmächtigt gewesen, oder eine falsche, von dem angeblichen Prinzipal nicht ausgestellte, oder eine nichtige und unkräftige Vollmacht beigebracht hat.

Es müssen daher bei Prozessinstruktionen diejenigen, welche als Bevollmächtigte einer abwesenden Partei sich melden, zur Beibringung der erforderlichen Vollmacht noch während des Laufes der Instruktion angehalten werden; und der Gegentheil ist nicht schuldig, sich mit einem solchen angeblichen Bevollmächtigten eher einzulassen, als bis derselbe entweder Vollmacht beigebracht, oder doch den ihm wirklich zugekommenen Auftrag durch ein Schreiben der Partei, oder auf irgend eine andere glaubwürdige Art, vorläufig bescheinigt hat.

Wenn jedoch der Principal die Verhandlungen des sich aufgeworfenen Bevollmächtigten nachher genehmigt hat, so wird das Urtel, eben so, wie in dem vorigen Falle, gültig.

Wenn ein Erkenntniß, welches auf Verhandlungen mit einem nicht bestellten oder falschen Bevollmächtigten ergangen ist, der Partei selbst publicirt, oder sonst gehörig insinuirt worden ist; so muß die Partei, wenn sie sich dabei nicht beruhigen will, den Umstand, daß derjenige, welcher sich für ihren Bevollmächtigten ausgegeben hat, es nicht wirklich gewesen sey, dem Gerichte binnen vier Wochen nach erfolgter Bekanntmachung anzeigen, und auf


(432) Prozeßordnung. Sechszehnter Titel.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand antragen. Geschieht dieses nicht, sondern beruhigt sich die Partei bei dem ergangenen Urtel, oder bedient sie sich dagegen der ordinairen und gewöhnlichen Rechtsmittel; so wird angenommen, daß die Nullität gehoben sey, und die Partei muß den bisher nicht legitimirt gewesenen Bevollmächtigten mit gehöriger Vollmacht versehen.

6) Wenn gegen jemanden, dem die erlassenen Citationen nicht insinuirt sind, in der Hauptsache in contumaciam erkannt worden ist.

Ist der Kontumacialbescheid der Partei selbst publicirt, oder sonst gehörig insinuirt worden; so steht ihr nur eben so, wie in dem vorhergehenden Falle, das Rechtsmittel der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, binnen vier Wochen vom Tage der geschehenen Bekanntmachung, offen.

Verfahren bei angestellten Nullitätsklagen.

§. 3.

Wenn eine Partei, aus einer von vorstehenden Ursachen, das wider sie ergangene Urtel als nichtig anfechten will; so muß sie in der Regel, und mit Ausnahme des dritten Falles, in Ansehung dessen weiter unten nähere Bestimmungen erfolgen, bei demjenigen Gerichte, vor welches die Instruktion der Hauptsache im vorigen Prozesse gehört hat, den vermeintlichen Grund der Nullität anzeigen, und um rechtliches Gehör bitten.

§. 4.

Das Gericht muß alsdann den Imploranten, gleich jedem andern Kläger, über die Thatsachen, woraus er die vermeintliche Nullität herleiten will, und über die Beweismittel dafür, umständlich vernehmen; hiernächst aber, wenn es den vorgeschützten Grund der Nullität an sich den Rechten nach erheblich, und gehörigen Beweismittel dafür beigebracht, oder doch bestimmt genug angegeben findet, die fernere


(433) Nullitäts- und Restitutionsklagen.

Instruktion, gleich als in jedem andern Prozesse, verfügen.

§. 5.

Die Instruktion hat jedoch bloß die Ausmittelung der vorgegebenen Nullität zum Gegenstande; und die Hauptsache darf damit noch keinesweges vermischt werden.

§. 6.

Findet der Richter nach geschlossener Instruktion, daß die vorgeschützte Ursache der Nullität ungegründet sey; so muß der Implorant abgewiesen: im entgegen gesetzten Falle aber, wenn das angefochtene Verfahren und Urtel wirklich null ist, dieses in dem Erkenntnisse ausdrücklich festgesetzt, und zugleich die anderweitige Instruktion in der Hauptsache verordnet werden. Gegen beiderlei Erkenntnisse sind die ordentlichen Rechtsmittel zulässig, und die neue Instruktion in der Hauptsache kann nicht eher vor sich gehen, als bis das über die Nullität ergangene Urtel rechtskräftig ist.

Besonders, wenn die Nullität auf eine Inkompetenz des erkennenden Richters gegründet wird.

§. 7.

Wenn in dem §. 2. beschriebenen dritten Falle die Nullität darauf gegründet wird, daß derjenige, der den Prozeß instruirt oder entschieden hat, mit gar keiner Jurisdiktion versehen, oder doch zur Justiz nicht vorschriftsmäßig bestellt und vereidet gewesen sey; so muß die Nullitätsklage bei dem Landesjustizkollegio der Provinz angebracht, und von diesem nach Vorschrift §. 4. 5. 6. weiter verfahren werden.

Wird aber die Nullität darauf gegründet, daß der erkennende Richter nicht der gehörige gewesen sey, und daß auch keine Prorogation auf ihn Statt gefunden habe; so ist ein Unterschied zu machen;

ob es bloß Privatparteien sind, die mit einander streiten, oder ob eine fiskalische Station zu den den Prozeß führenden Parteien gehöre.


(434) Prozeßordnung. Sechszehnter Titel.

Streiten bloß Privatparteien mit einander, so kann eine solche Partei, welche ein von dem angeblich inkompetenten Richter ergangenes Urtel einmal hat rechtskräftig werden lassen, dasselbe unter diesen Vorwande nicht weiter anfechten.

Ist Fiskus unter den streitenden Parteien, die Sache aber durch alle ordinaire zulässige Instanzen entschieden; so muß auch der Fiskus dabei sich lediglich beruhigen.

Ist aber noch eine Instanz übrig, so kann Fiskus darauf antragen, daß die Akten bei der eigentlich kompetenten Behörde in dieser Instanz noch instruirt und zum Spruche vorgelegt werden.

Findet diese Instanz die Sache in den bisher verhandelten Akten hinlänglich aufgeklärt und instruirt, so faßt sie sofort das Erkenntniß ab. Findet sie aber bei der Instruktion noch etwas zu erinnern, oder sind erhebliche Nova angebracht worden; so wird die Sache auf eben die Art, wie in einem ähnlichen Falle oben Tit. XV. §. 8. verordnet ist, zur ersten Instanz, und zwar an den darin kompetenten Richter zurück gewiesen.

Uebrigens muß der Fiskus, der solchergestalt ein Erkenntniß wegen angeblicher Inkompetenz des Richters anfechten will, sein Gesuch binnen der unten näher zu bestimmenden Restitutionsfrist, bei Verlust des Rechts, anbringen.

Dagegen versteht es sich von selbst, daß ein solcher Fall, wo ein von dem inkompetenten Richter ausgesprochenes Urtel aus einem der vorstehenden Stände dennoch aufrecht erhalten wird, auf andere Fälle nicht zur Folge gezogen, noch als ein vermeintliches Präjudicium, zur Beschönigung einer in den gesetzlich bestimmten Jurisdiktionsverhältnissen etwa zu versuchenden Abänderung, angeführt werden könne.


(435) Nullitäts- und Restitutionsklagen.

Da nun solchergestalt der Fiskus allein es ist, welcher unter gewissen Umständen auf die Annullierung eines rechtskräftigen Urtels, wegen vermeintlicher Inkompetenz des erkennenden Richters, antragen kann; so muß ein solches Gesuch allemal bei demjenigen Departement des Staatesminsterii angebracht werden, welchem der Richter, der das angeblich nichtige Urtel ausgesprochen hat, in seinem Amte subordinirt ist. Dieses Departement prüft das Gesuch, und nimmt mit demjenigen, zu dessen Ressort die Sache nach der Behauptung des Imploranten gehören soll, darüber Rücksprache.

Findet sich bei dieser Prüfung, daß entweder die Behauptung wegen des erkennenden Richters ungegründet, oder daß das Gesuch aus anderen, in gegenwärtigen Paragraphen festgesetzten Ursachen unzulässig sey; so wird der Implorant durch ein Reskript sogleich abgewiesen.

Ist das Gesuch an sich zwar zulässig, die behauptete Inkompetenz aber zweifelhaft; so wird die Sache auf Konklusum der Jurisdiktionskommission gerichtet.

Ist auch die Inkompetenz des erkennenden Richters als entschieden anzusehen; so wird dem Kollegio, bei welchem die Sache bisher verhandelt worden ist, aufgegeben, die Akten an die kompetente Behörde sofort auszuliefern, und den Gegentheil dahin zu verweisen.

Bei dieser wird die in der Sache noch übrige Instanz instruirt, und sodann weiter nach der obigen Vorschrift verfahren.

Bei dieser Instruktion kann auch der Gegentheil des Imploranten seine Gerechtsame, sowohl in der Hauptsache, als in Ansehung der etwanigen Gründe, aus welchen er behauptet, daß der erkennende Richter dennoch kompetent gewesen sey, gehörig wahrnehmen.


(436) Prozeßordnung. Sechszehnter Titel.

Folgender Nullität eines Urtels.

§. 8.

Außer dem im vorigen Paragraphen enthaltenen Falle, wenn ein Urtel bloß um deßwillen, weil es von einem inkompetenten Richter gegeben worden, angefochten wird, hat die Nullität eines Erkenntnisses, wenn dieselbe aus einer der übrigen §. 2. angeführten Ursachen eintritt, die rechtliche Wirkung, daß nicht nur das ganze Urtel, sondern auch das Verfahren, worauf selbiges sich gründet, für gar nicht existirend angesehen wird.

§. 9.

Es soll sich jedoch diese Wirkung nur bis auf den Zeitpunkt der vorgefallenen Nullität zurück erstrecken, und auf die vorhergehenden Verhandlungen nicht ausgedehnt werden können. Wenn also z. B. eine Partei die Instruktion des vorigen Prozesses in erster Instanz persönlich abgewartet hat, und erst in der zweiten durch einen falschen Bevollmächtigten ist vertreten worden; so bleibt das Verfahren und Erkenntniß der ersten Instanz stehen; und nur die Appellation muß von neuem instruirt, und darin von neuem erkannt werden.

Wie lange Nullitätsklagen Statt finden.

§. 10.

Die Anbringung einer solchen Nullitätsklage ist, außer dem Falle des §. 7., an keine andere Zeit, als die Anstellung jeder ordinairen persönlichen Klage, gebunden. Dagegen soll aber auch, so lange die Nullität eines angefochtenen Erkenntnisses noch nicht rechtskräftig feststeht, dergleichen Erkenntniß alle Wirklungen eines gültigen Judikati haben: dergestalt, daß wenn auch eine solche obwaltende Nullität vor oder während der Exekution vorgeschützt würde, letztere dennoch nicht aufgehalten, sondern damit dessen ungeachtet verfahren werden, und dem Alleganten sich davon durch Deposition oder Sicherstellung zu befreien, nur unter den Umständen gestattet seyn soll, wo die Gesetze die Anlegung eines Arrests nachgeben.


(437) Nullitäts und Restitutionsklagen.

Hiervon ist allein der Fall ausgenommen, wenn die Nullität darauf gegründet wird, daß der angebliche Bevollmächtigte, mit welchem die Sache verhandelt worden ist, gar keine Vollmacht gehabt habe. Findet sich in den Akten wirklich keine Vollmacht, und ist auch nirgends vermerkt, daß und wie derjenige, welcher sich als Bevollmächtigter angegeben hat, seinen Auftrag wenigstens vorläufig bescheinigt habe; so findet aus dem Urtel keine Exekution Statt, sondern diese muß ausgesetzt bleiben, bis über die vorgeschützte Nullität rechtlich entschieden ist.

In wie fern Nullitätsklagen mit anderen ordentlichen Rechtsmitteln kumuliert werden können.

§. 11.

Uebrigens betreffen die obigen Vorschriften §. 2-10. nur den Fall, wenn das Erkenntniß, welches der Nullität beschuldigt wird, an sich die Rechtskraft bestritten hat.

Wird aber ein in die Rechtskraft noch nicht übergegangenes Erkenntniß als nichtig angefochten, so muß der Implorant sich dazu des ordentlichen Rechtsmittels bedienen. Alsdann kommt es darauf an: ob der Grund der Nullität nach §. 2. Nr. 1. und 2. in einem Mangel bei den Materialien, oder in einem Fehler in Ansehung der persönlichen Qualifikation der Parteien, oder in einem bei der Instruktion vorgefallenen Verstoße gesetzt wird.

Im ersten Falle bezieht sich das Anbringen des Imploranten allemal darauf, daß das Faktum sich anders verhalte, als der vorige Richter auf den Grund des falschen Dokuments, oder der Aussage der bestochenen Zeugen angenommen hat, oder daß die Entscheidung einem klaren Gesetze zuwider sey. Der Appellationsrichter erkennt also, auf den Grund der nach Beschaffenheit der Umstände veranlaßten neuen Instruktion, in zweiter Instanz, und es bedarf keiner Annullirung des vorigen Urtels.

In den beiden letztern Fällen kommt es wieder darauf an: ob dem in der ersten Instanz vorgefallenen


(438) Prozeßordnung. Sechszehnter Titel.

Verstoße ohne erheblichen Nachtheil dessen welcher darunter gelitten, in der zweiten Instanz noch abgeholfen werden könne; welchen Falls der Appellationsrichter dieserhalb das Nöthige verfügt, und sodann in zweiter Instanz erkennt.

Kann aber dem vorgefallenen Verstoße in zweiter Instanz nicht mehr abgeholfen werden; oder besteht der Appellant darauf, daß in der Sache nochmals in erster Instanz erkannt werden müsse: So muß der Appellationsrichter, in so fern er die angegebene Ursache der Nullität an sich richtig und erheblich findet, bloß auf die Nichtigkeit des vorigen Urtels erkennen, und die Hauptsache zur anderweitigen Instruktion und Entscheidung in der ersten Instanz verweisen.

Causae restitutionis.

§. 12.

Außer den Fällen, wo ein Urtel wegen einer in dem Prozesse vorgefallenen Nullität angefochten wird, giebt es deren noch zwei, wo gegen ein an sich gültiges und in der Rechtskraft ergangenes Urtel Restitutio in integrum gesucht werden kann, nämlich:

1) wenn jemand in einem, während seiner Minderjährigkeit, durch seinen Vormund oder Kurator, oder unter dessen Beistande, geführten Prozesse verkürzt zu seyn behauptet;

2) wenn eine Partei angiebt, daß sie nach ergangenem Judikato neue Dokumente gefunden habe, deren sie in dem vorigen Prozesse sich zu bedienen, ohne ihre Schuld verhindert worden.

1) ex capite minorennitatis.

§. 13.

Was den ersten Fall betrifft, so kommt dieses Rechtsmittel allen denjenigen zu Statten, welche, es sey wegen minderjährigen Alters oder aus irgend einem andern gesetzmäßigen Grunde, unter Vormundschaft gesetzt worden sind. Es findet nur Statt, innerhalb vier Jahren, von dem Tage an gerechnet, da das Urtel oder die Verfügung, gegen welche die Restitution gerichtet ist, publicirt, oder erlassen worden


(439) Nullitäts- und Restiutionsklagen

ist. Es setzt voraus, daß weder in Ansehung der Zuziehung des Vormundes, noch in Rücksicht auf die obervormundschaftliche Mitwirkung eine Nullität vorgefallen; daß aber dem Pflegebefohlenen durch das Urtel oder die Verfügung, gegen welche er restituirt werden will, ein erheblicher Nachtheil widerfahren sey. Dieser Nachtheil muß jedoch im Prozesse und in der angefochtenen richterlichen Verfügung seinen Grund haben; allermaaßen seine Verletzung, welche dem Pflegebefohlenen in dem Geschäfte selbst, welches der Anlaß oder Gegenstand des Prozesses ist, widerfahren seyn soll, wenn sonst das Geschäft an sich mit den gesetzmäßigen Erfordernissen der Gültigkeit verstehen ist, keine Restitution begründet. Uebrigens kann unter obigen Voraussetzungen die Restitution sowohl von dem Pflegebefohlenen selbst, wenn er inzwischen der Vormundschaft entlassen worden ist, als von dessen Vormunde oder Kurator, ingleichen von seinen Erben, nachgesucht werden, in so fern nur der vierjährige Zeitraum vom Tage des publicirten Urtels, oder der ergangenen Verfügung, noch nicht verstrichen ist.

§. 14.

Eben diese Rechtswohlthat kommt in Prozessen auch dem Fiskus, den Kirchen und milden Stiftungen, und überhaupt allen denjenigen zu Statten, welchen in den Gesetzen die Rechte der Minorennen beigelegt sind. Sie ist aber auch hier nur innerhalb vier Jahren, und zwar vom Tage des publicirten Urtels, oder der ergangenen Verfügung, zulässig.

Verfahren dabei.

§. 15.

Da zu Begründung eines solchen Restitutionsgesuchs der Ausweis einer erlittenen Läsion erforderlich, dieser Ausweis aber von der Erörterung der Hauptsache untrennbar ist; so muß die Untersuchung des Grundes der Restituion zugleich, und unter


(440) Prozeßordnung. Sechszehnter Titel.

einem, mit der anderweitigen Instruktion der Hauptsache vor sich gehen, und über beide zugleich erkannt werden.

Wirkung.

§. 16.

Durch diese Restitution wird das Urtel nicht durchgängig, sondern nur in Ansehung desjenigen Theiles, Punktes, oder Umstandes, wodurch der Implorant verletzt ist, aufgehoben; alle übrigen damit nicht verbundenen Punkte bleiben unverändert stehen.

Wenn also z. B. die erlittene Verletzung bloß darein gesetzt wird, daß der Vormund wider ein nachtheiliges Urtel die ordentlichen Rechtsmittel einzuwenden verabsäumt habe; so ist die Wirkung der Restitution bloß die, daß dem Imploranten sothane Rechtsmittel in der Hauptsache noch verstattet, und darin sofort erkannt werden muß.

2) Ex instrumentis noviter repertis.

§. 17.

Wenn jemand wegen neu aufgefundener Urkunden gegen ein rechtskräftiges Urtel wieder in den vorigen Stand gesetzt zu werden verlangt, so muß er

1) diese Urkunden selbst produciren;

2) bestimmt anzeigen, auf was für Art und Weise er erst neuerlich zu deren Besitze gelangt sey;

3) sich zur eidlichen Erhärtung, daß er vor der rechtskräftigen Entscheidung von diesen Urkunden nichts gewußt habe; oder (wenn ihm deren Existenz an und für sich bekannt gewesen) daß er selbige, alles angewandten Fleißes ungeachtet, im vorigen Prozesse nicht habe herbei schaffen können, erbieten;

4) muß der Inhalt der Urkunden so beschaffen seyn, daß dadurch die Lage der Hauptsache verändert, und eine von den vorigen abweichende Entscheidung begründet werden könne.

§. 18.

Ein mit diesen Erfordernissen versehenes Restitutionsgesuch muß spätestens innerhalb Acht Wochen,


(441) Nullitäts- und Restitutionsklage.

von dem Tage der Auffindung solcher neuer Urkunden an gerechnet, bei demjenigen Richter, wo der vorige Prozeß in erster Instanz instruirt worden ist, angebracht; dem Imploranten zu dessen Aufnehmung, gleich jedem andern Kläger, ein Deputirter des Gerichts angewiesen, und die Sache fernerweit nach den Vorschriften der gegenwärtigen Prozeßordnung instruirt werden.

§. 19.

Damit jedoch diese Wohlthat von der einen und der andern Partei nicht etwa zur Schutzwehr ihrer Fahrlässigkeit in Aussuchung der in einem Prozesse erforderlichen Nachrichten und Urkunden gemißbraucht werde, so wird der Zeitraum, innerhalb dessen ein Restitutionsgesuch nur zulässig seyn soll, auf Zehn Jahre vom Tage des publicirten rechtskräftigen Urtels festgesetzt: dergestalt, daß derjenige, welcher dergleichen Restitutionsgesuch später anbringt, damit nicht weiter gehört werden soll; es sey denn, daß er zugleich ausweisen könnte, was gestalten er bloß durch die Hinterlist, und Gefährde des Gegners, oder auch eines Dritten, an der frühern Auffindung dieser Urkunden verhindert worden sey.

Es versteht sich aber von selbst, daß bei der Beurtheilung: in wie fern das Recht der Imploranten, auf Restitution anzutragen, durch diese zehnjährige Präskription erloschen sey? eben die Grundsätze und Vorschriften Statt finden, welche wegen der Verjährung durch Nichtgebrauch überhaupt im Allgemeinen Landrechte enthalten sind. (Th. I. Tit. IX. §. 512 u. f.)

Verfahren dabei.

§. 20.

In Fällen, wo hiernach das Restitutionsgesuch zulässig ist, muß die Instruktion sowohl auf diejenigen Thatsachen, wodurch der Implorant nachweisen will, daß er die Urkunden erst neuerlich aufgefunden habe, als auf die Hauptsache gerichtet werden.

Doch


(442) Prozeßordnung. Sechszehnter Titel.

muß die Untersuchung, in Ansehung dieser letztern, bloß bei demjenigen Punkte, auf welchen die neuen Urkunden Beziehung haben, stehen bleiben.

§. 21.

Wenn nach geschlossener Instruktion sich findet, daß durch die producirten neuen Dokumente die Lage der Sache wirklich dergestalt verändert worden ist, daß eine andere dem Imploranten vortheilhaftere Entscheidung daraus folgt; und wenn auch hiernächst die Angabe, wegen deren erst nach dem vorigen Prozesse erfolgten Auffindung, wenigstens wahrscheinlich beigebracht ist: so muß auf die Ableistung des §. 17. Nr. 3. beschriebenen juramenti noviter repertorum, und zugleich, was nach dessen Erfolge in der Hauptsache Rechtens ist, erkannt werden.

Findet sich, daß es, der neuen Urkunden ungeachtet, bei den vorigen Erkenntnissen in der Hauptsache zu belassen sey; so bedarf es nicht erst der Ableistung eines solchergestalt ganz unnützen Eides.

Ist hingegen durch die neuen Urkunden zwar in der Hauptsache etwas zum Vortheile des Imploranten ausgemittelt; zugleich aber bei der Untersuchung ins Licht gesetzt worden, daß der Implorant mit diesen Urkunden im vorigen Prozesse geflissentlich und vorsätzlich zurück gehalten, oder daß derselbe die Dokumente schon länger als Acht Wochen vor der geschehenen Anmeldung in Händen gehabt habe: so ist zwar, wenn anders der §. 19. bestimmte zehnjährige Zeitraum noch nicht verflossen wäre, in der Hauptsache was Rechtens, zu erkennen.

Der Implorant aber muß alsdann nach Beschaffenheit der Umstände, und richterlichem Ermessen, mit einer nachdrücklichen, dem Gegenstande der Sache und dem Grade seiner Verschuldung proportionirten Geldbuße, ohne die geringste Nachsicht oder Ansehen der Person, belegt werden.


(443) Nullitäts- und Restitutionsklage.

§. 22.

Ist ausgemittelt worden, daß der Implorant die neuen Urkunden schon im vorigen Prozesse hinter sich gehabt, und damit vorsätzlich zurückgehalten habe; so muß er, außer der vorbestimmten Strafe, dem Gegentheile auch alle Kosten des vorigen Prozesses erstatten, und ihm für alle aus einer solchen Zurückhaltung entstehende Schäden vollständig gerecht werden.

Aber auch außer diesem Falle hat derjenige, zu dessen Nachtheil ein vorhin ergangenes rechtskräftiges Urtel bloß auf den Grund neuer Urkunden abgeändert worden ist, für die ganze Zwischenzeit, bis zum Instruktionstermine in der Restitutionssache, aller Rechte und Vortheile eines redlichen Besitzers sich zu erfreuen; er könnte denn zugleich überführt werden, daß er entweder den Imploranten an der frühern Auffindung der Urkunden geflissentlich verhindert, oder daß er den Inhalt der Urkunden gewußt, und dennoch die daraus erhellenden Thatsachen in dem vorigen Prozesse, wider dieß sein besseres Wissen, gegen den Richter abgeläugnet habe.

§. 23.

Uebrigens findet die Restitution wegen neuer Dokumente sowohl alsdann Statt, wenn aus den Urkunden neue Thatsachen hervor gehen, als wenn dieselben ein Faktum betreffen, welches zwar schon in dem ersten Prozesse vorgekommen ist, damals aber in Ermangelung anderer Beweismittel, oder wegen deren Unzulänglichkeit, nicht hat ins Licht gesetzt werden können.

§. 24.

Ist jedoch über eine solche Thatsache ein Eid von dem Gegentheile de veritate geschworen, und auf dessen Grund die Thatsache für wahr angenommen, oder als unwahr verworfen worden; so findet dagegen keine Restitution Statt, sondern dem Imploranten steht bloß frei, den Gegentheil allenfalls des


(444) Prozeßordnung. Sechszehnter Titel.

Meineides, wenn er sich dessen getrauet, zu überführen.

Wird dieses bewerkstelligt, so folgt von selbst, daß dem Beschädigten zum Ersatze alles dessen, was er durch das Verbrechen des Gegners verloren hat, durch den Richter verholfen werden muß.

In wie fern aber ein Meineid durch Urkunden dargethan werden könne; wie dieselben beschaffen seyn müssen; und unter welchen Umständen ein Beweis des Meineides durch Zeugen Statt finde, wird in der Kriminalordnung bestimmt.

§. 25.

Schließlich versteht es sich von selbst, daß, wenn ein rechtskräftiges Urtel auf den Grund neu aufgefundener Dokumente angefochten wird; auch der Gegner desjenigen, welcher die neuen Urkunden vorlegt, allerdings befugt sey, zur Unterstützung des vorigen Urtels neue Instruktion zu verlangen; und solchergestalt, auch seiner Seits, neue Beweismittel, ohne Einschränkung, beizubringen.

In wie fern Restitution wegen neuer Zeugen Statt finde.

§. 26.

Wegen vorgeblich neu aufgefundener Zeugen ist, der Regel nach, keine Restitution zulässig; es wäre denn, daß der Implorant diese Zeugen bei einer in dem geendigten Prozesse bereits vorgekommenen Thatsache schon damals bestimmt angezeigt hätte, und ihre Vernehmung bloß um deßwillen, weil ihm deren Aufenthalt unbekannt gewesen, oder weil der auswärtige Richter, unter welchem sie damals gestanden, die wegen deren Abhörung an ihn ergangene Requisition nicht befolgen wollen, oder weil wegen Abwesenheit, oder anhaltender Krankheit, die Abhörung damals nicht erfolgen können. (Tit. X. §. 226. a. und b.), unterblieben wäre.

In diesen Fällen muß der Implorant sich innerhalb Acht Wochen, von der Zeit an gerechnet, da er von dem Aufenthalt der Zeugen Wissenschaft erlangt hat, oder wo ihm bekannt geworden ist, daß deren Abhörung nunmehr erfolgen


(445) Nullitäts- und Restitutionsklage.

könne, bei dem Gerichte melden, wo die Instanz, in welcher er die Zeugen zuerst namhaft gemacht hat, instruirt worden ist.

Das Gericht muß den Gegentheil sowohl über die Gründe des Gesuchs, als was er gegen die Zeugen etwa zu erinnern habe, vernehmen; die Abhörung nach Maaßgabe des in den Akten bereits regulirten Status controversiae verfügen; und, nach eingelangtem Protokolle über diese Zeugenaussagen, die Instruktion der Hauptsache nach den Vorschriften Tit. X. weiter fortsetzen und abschließen.

§. 27.

Das Erkenntniß, in wie fern durch die Aussagen dieser Zeugen eine Abänderung des vorigen Urtels bewirkt werde, gebührt demjenigen Gerichte, welches in der Instanz, wo die Zeugen zuerst benannt worden sind, zu sprechen hat; und gegen das Erkenntniß selbst ist, je nachdem es das erste oder zweite Urtel wäre, die Appellation oder Revision zulässig. Uebrigens wird diese Restitution eben so, wie die wegen neu aufgefundener Dokumente, der Vorschrift des §. 19. gemäß, auf einen Zehnjährigen Zeitraum eingeschränkt.

Auch findet, wenn der Implorant den §. 26. bestimmten Achtwöchentlichen Zeitraum nicht inne gehalten hat, die Vorschrift §. 22. ebenfalls Anwendung.

§. 28.

Die Vorschrift des §. 10., daß durch eine angebrachte Nullitätsklage die Vollstreckung der vorigen Urtel nicht aufgehalten werden solle, findet auch auf die Restitutionsgesuche, nach ihrem ganzen Umfange, Anwendung.

§. 29.

Derjenige, welcher ein Judikatum anzufechten, oder Restitution dagegen zu suchen, ohne hinlänglichen Grund sich unterfangen würde, soll, außer dem


(446) Prozeßordnung. Siebenzehnter Titel.

Kostenerlaße, in eine Geldbuße von 50 bis 300 Rthlr. verurtheilt, oder, wenn er unvermögend ist, mit proportionirlichem Gefängnisse oder Strafarbeit belegt; auch diese Verordnung einem jeden, gleich seinem ersten Anmelden, zur Warnung bekannt gemacht werden.

Siebenzehnter Titel

Von der Litisdenunciation, Adcitation und Nomination.

§. 1.

Nachdem bisher das ganze Verfahren im ordentlichen und gemeinen Prozesse vollständig abgehandelt worden ist, so sind nunmehr noch wegen einiger Nebenpunkte, welche zwar nicht bei jedem, aber doch bei manchem Prozesse vorkommen, die nöthigen Vorschriften beizufügen.

Von Adcitationen und Litisdenunciationen überhaupt.

§. 2.

Ein Kläger, welchem die eingeklagte, von einem Dritten an ihn gediehene Forderung streitig gemacht wird, kann diesen seinen Vormann adcitiren lassen; und ein Beklagter, welcher wegen einer von einem Dritten an ihn gediehenen Sache oder Befugniß angefochten wird, kann diesem seinem Vormanne litem denunciiren; beide in der Absicht, daß der Vormann bei der Instruktion und Verhandlung der Sache erscheine, ihm in Ausführung und Vertheidigung seiner Gerechtsame beistehe, und ihn also wider seinen Gegentheil vertrete.

§. 3.

Eben so kann jede Partei, welche auf den Fall, wenn sie durch den Prozeß ihre Intention nicht erreichen sollte, wegen des Gegenstandes desselben an einen Dritten sich halten will, z. B. der Gläubiger an einen Bürgen, der Bürge an den Hauptschuldner


(447) Litisdenunciationen.

oder an den Rückbürgen, diesen Dritten, an welchen er seinen Regreß zu nehmen gedenkt, zu dem Prozesse mit vorladen lassen. (A. L. R. Th. I. Tit XIV. §. 311. 342 u. f. 380. u. f.)

§. 4.

In welchen Fällen jemand solchergestalt von einem Andern Gewährleistung, Vertretung oder Beistand fordern; und in wie weit er sich mit Uebergehung seines unmittelbaren, an einen entferntern Vormann halten könne, ist in den Gesetzen bestimmt. (A. L. R. Th. I. Tit. V. §. 317 u. f. Tit. XI. §. 136. u. f. §. 420 u. f.)

Von Adcitationen, die durch den Richter ex officio geschehen.

§. 5.

Der Richter, welcher die Wahrheit der bei einem Prozesse vorkommenden Thatsachen von Amts wegen zu erforschen, und alle dazu beitragende Mittel anzuwenden schuldig ist, kann, wenn er es zu Erreichung dieses Endzwecks nöthig findet, den Vormann des Klägers oder Beklagten, ohne Unterschied, ob es der unmittelbare und nächste, oder ein entfernterer ist; ob der Hauptpartei der Regreß wider ihn zustehet, oder nicht; und ohne deswegen an eine gewisse Zeit gebunden zu seyn, zur Vernehmung über die bei der Instruktion vorkommenden Thatsachen, worüber von ihm eine nähere und zuverlässigere Auskunft, als von den Parteien selbst erwartet werden kann, vorladen lassen; und ein solcher Adcitat ist der richterlichen Verordnung schlechterdings Folge zu leisten verbunden; kann auch dazu, und zur Angabe seiner Wissenschaft von dergleichen Thatsachen, in so fern durch Zwangsmittel angehalten werden, als eine zum Zeugen vorgeschlagene Person zur Ablegung ihres Zeugnisses genöthigt werden kann.

§. 6.

Die Absicht einer bloß von Amts wegen verordneten Adcitation ist jedoch bloß die, dem Richter von dem eigentlichen Zusammenhange der Sache, und


(448) Prozeßordnung. Siebenzehnter Titel.

den etwa vorhandenen Mitteln zur Erforschung der Wahrheit, nähere Kenntniß zu verschaffen.

Ein solcher Adcitat wird also dadurch in den Prozeß selbst nicht mit verwickelt; und seine Zuziehung dabei höret auf, so bald er über die von dem Richter ihm vorgelegten Umstände, nach seiner besten Wissenschaft, Auskunft gegeben hat.

§. 7.

Wenn jedoch die Partei, welcher künftig ein Regreß gegen ihn zustehen würde, auch nur noch im Vernehmungstermine selbst erklärt, daß sie von diesem Regresse Gebrauch zu machen gedenke, und also verlange, daß der Adcitat sie im Prozesse vertreten solle; so muß diese Erklärung dem Adcitaten bekannt gemacht werden, und alsdann geht die anfänglich nur von Amtswegen veranlaßte Adcitation in eine wirkliche Litisdenunciation über; bei welcher alle folgende Vorschriften und Wirkungen, wie bei eigentlichen Litisdenunciationen, Statt finden.

Hat aber die Partei, ungeachtet ihr die von Amts wegen verfügte Vorladung ihres Auktors bekannt geworden ist, dennoch ihre Intention, daß sie Vertretung von ihm verlange, nicht erklärt, so treffen sie alle Folgen der unterlassenen Litisdenunciation. (§. 10.)

Von Adcitationen und Litisdenunciationen der Parteien.

§. 8.

Will eine Partei, sie sey Kläger oder Beklagter, auf den Fall, wenn sie in dem Prozesse über die streitige Sache, Forderung oder Befugniß unterliegen sollte, sich an ihren Vormann halten; so ist sie schuldig, demselben ordentlich litem zu denunciiren, und auf seine Adcitation anzutragen.

§. 9.

Dieses Gesuch muß ausdrücklich und gerichtlich angebracht werden, wenn gleich dem Vormanne bereits außergerichtlich von dem obschwebenden Prozesse


(449) Litisdenunciationen.

Nachricht gegeben worden wäre; oder derselbe davon auf andere Art Kenntniß erhalten hätte.

Rechtliche Folgen der unterlassenen Litisdenunciation.

§. 10.

Ist die Litisdenuciation unterlassen worden, so wird derjenige, dem dieselbe obgelegen hätte, zwar durch die bloße Unterlassung allein seines Regresses noch nicht verlustig; er muß aber alle Gründe und Beweismittel, welche der Vormann, wenn die Litisdenunciation gehörig erfolgt wäre, ihm gegen den Dritten hätte an die Hand geben können, dergestalt wider sich gelten lassen, daß, wenn der Richter findet: es würde, wenn in der Hauptsache von diesen Gründen und Beweismitteln hätte Gebrauch gemacht werden können, das Erkenntniß darin anders ausgefallen seyn, die Sache zum Nachtheil dessen, welcher die Litisdenunciation unterlassen hat, so genommen werden muß, als wenn in der Hauptsache wirklich ein solches Urtel erfolgt wäre.

§. 11.

Uebrigens fällt die Nothwendigkeit einer gerichtlichen Litisdenunciation nur alsdann weg, wenn der Vormann derselben durch einen Vertrag ausdrücklich entsagt hat.

§. 12.

Die Instruenten sind in Ansehung des Klägers, Tit. V. §. 4. Nr. 9. und in Ansehung des Beklagten Tit. IX. §. 8. bereits angewiesen worden, bei Einziehung der Information von den Parteien dieselben zugleich zu vernehmen, ob ein solcher Auktor vorhanden sey, dem wegen eines allenfalls an ihn zu nehmenden Regresses lis denunciiret werden müsse, und liegt gedachten Instruenten ob, die Rechte der Parteien, wenn dieselben mit rechtsverständigen Assistenten nicht versehen sind, desfalls von Amts wegen wahrzunehmen; auch ihnen die Vorschriften wegen der Nothwendigkeit dieser Adcitation zur


(450) Prozeßordnung. Siebenzehnter Titel.

Begründung des Regresses gehörig bekannt zu machen, und deren Resolution darüber abzufordern.

Anbringung der Litisdenunciation.

§. 13.

Wenn die Partei die Adcitation oder Litisdenunciation verlangt, so muß der Deputirte des Gerichts darüber ein besonderes Protokoll aufnehmen, und darin mit Beziehung auf das Hauptfaktum, aus welchem der Prozeß entstanden ist, diejenigen Thatsachen, durch welche die Verbindlichkeit des Adcitandi zur Vertretung begründet werden soll, nebst den darüber anzugebenden Beweismitteln, gehörig auseinander setzen. In Fällen, da den Justizkommissarien, als Assistenten oder Bevollmächtigten der Partei, erlaubt ist, schriftliche Klagen oder Beantwortungen einzureichen, kann ihnen auch die Einreichung schriftlicher Litisdenunciationen gestattet werden.

Wann sie angebracht werden müsse.

§. 14.

Die Litisdenunciation ist in der Regel zugleich mit der Klage, oder deren Beantwortung, oder doch im Instruktionstermine anzubringen. Wenn inzwischen die Sache erst während der Instruktion sich dergestalt näher entwickeln sollte, daß die Partei erst dadurch auf die Nothwendigkeit einer anzubringenden Litisdenunciation geführt würde; so soll sie damit noch bis zum Schlusse der Sache gehört werden.

§. 15.

Will jemand noch in zweiter Instanz eine Litisdenunciation anbringen, so muß dieses spätestens sogleich bei Anmeldung der Appellation geschehen; späterhin aber findet die Litisdenunciation zum Behuf des Regresses nicht mehr Statt. Ist die Litisdenunciation erst in zweiter Instanz erfolgt, und der Litisdenunciat hat neue Thatsachen oder Beweismittel angeführt; so steht dem Appellaten frei, darauf anzutragen, daß darüber zuvor nochmals in erster Instanz gesprochen, und die von dem Litisdenuncianten


(451) Litisdenunciationen.

eingewendete Appellation inzwischen ausgesetzt bleiben solle.

Uebrigens findet bei einer erst in zweiter Instanz angebrachten Litisdenunciation, in Ansehung der Kosten eben das Statt, was wegen neuer in dieser Instanz allegirter Thatsachen oder Beweismittel überhaupt, unten Tit. XXIII. verordnet ist.

Verfügung darauf.

§. 16.

Die eingebrachte und gehörig aufgenommene Litisdenunciation wird dem vorzuladenden Auktor, nebst dem, was etwa in der Hauptsache bis daher schon unter den Parteien verhandelt worden ist, auch den sämmtlichen Beilagen kommunicirt, und er angewiesen, sich in einem nach Verhältniß der Umstände zu bestimmenden Termine zur nähern Vernehmung bei dem in der Hauptsache bestellten Deputirten zu melden. Für die Insinuation dieser Verordnung muß der Adcitant oder Litisdenunciant Sorge tragen, und sie demnächst zu den Akten gehörig nachweisen.

Uebrigens versteht es sich von selbst, daß es dem Litisdenunciaten, so wie jeder anderen Partei, frei steht, sich entweder einen Rechtsbeistand unter den bei dem Gerichte angesetzten Justizkommissarien selbst zu wählen, oder die Zuordnung eines Assistenten bei dem Richter nachzusuchen.

§. 17.

Es darf aber durch dergleichen Litisdenunciation, oder Adcitationsgesuch, die Instruktion der Hauptsache nicht aufgehalten, sondern diese muß unter den Hauptparteien gehörig fortgesetzt werden. Wenn jedoch die Anbringung der Litisdenunciation erst so spät erfolgt wäre, daß der Litisdenunciat sich darüber nicht füglich vor dem Abschlusse der Instruktion unter den Hauptparteien hat erklären können; so bleibt es dem vernünftigen Ermessen des Instruenten anheim gestellt, diesen Abschluß der Instruktion so


(452) Siebenzehnter Titel.

lange auszusetzen, als erforderlich ist, um dem Litisdenunciaten den nöthigen Raum zu seiner Anmeldung und Beobachtung seiner Nothdurft zu lassen. Wenn sich aber in dieser nach Bewandtniß der Umstände zu bestimmenden Zwischenzeit der Litisdenunciat nicht gemeldet hat, so darf mit dem Abschlusse der Instruktion nicht länger auf ihn gewartet werden; allermaaßen es von ihm abhängt: ob er sich in den Prozeß mit einlassen, und dem Adcitanten darin assistiren; oder ob er es auf den Ausschlag der Sache, und den alsdann wider ihn zu nehmenden Regreß, ankommen lassen wolle.

§. 18.

Wenn der Litisdenunciat noch vor dem Abschlusse der Instruktion sich meldet; zu der von ihm geforderten Vertretung sich erbietet; zugleich aber wahrscheinliche Gründe, warum er damit vor dem Ablaufe der §. 17. bestimmten Frist nicht fertig werden könne, anführt; und daher um eine Verlängerung dieser Frist bittet: so kann ihm dieselbe von dem Gerichte, nach Beschaffenheit der Umstände, gestattet werden.

Rechtliche Folgen, wenn der Litisdenunciat sich nicht meldet.

§. 19.

Eine Wiederholung der einmal gehörig geschehenen und richtig insinuirten Litisdenunciation oder Adcitation ist in keinem Falle erforderlich; und die im Hauptprozesse ergehenden Judikate sind gegen den Adcitaten dergestalt gültig, daß er bei dem hiernächst an ihn zu nehmenden Regresse mit keinen Gründen, Allegaten oder Einwendungen, welche auf die streitig gewesene Hauptsache Beziehung haben, weiter gehört werden kann. Es muß also dem Adcitaten diese rechtliche Folge seiner unterbleibenden Anmeldung in der nach Maaßgabe §. 16. an ihn zu erlassenden Verordnung, jedesmal ausdrücklich bekannt gemacht werden.


(453) Litisdenunciationen.

§. 20.

Wenn jedoch der Litisdenunciant überführt werden könnte, daß er, allenfalls auch nur durch Privatäußerungen und Insinuationen, den Litisdenunciaten von der Anmeldung bei dem Richter zurück gehalten, oder gar vorsätzlich und durch Kollusion mit dem Gegentheile, zum Schaden des Litisdenunciaten, von Gründen und Beweismitteln zur Unterstützung oder Vertheidigung des streitigen Rechtes, die ihm wohl bekannt gewesen, keinen Gebrauch gemacht habe; so muß derselbe dergleichen Gründe und Beweismittel in dem hiernächst über den Regreß zwischen ihm und dem Litisdenuncianten entstehenden Prozesse allerdings wider sich gelten lassen.

Weiteres Verfahren, wenn der Litisdenunciat sich meldet und

§. 21.

Meldet sich hingegen der Litisdenunciat auf die an ihn ergangene Bekanntmachung, so muß er vernommen werden:

1) ob er das Fundament des von dem Litisdenuncianten gegen ihn sich vorbehaltenen Regresses für bekannt annehme, und wenn Ersterer den Prozeß verlieren sollte, ihm das Objekte desselben zu vertreten sich für schuldig erkenne;

2) ob er demselben bei der Verhandlung der Hauptsache assistiren wolle;

3) was er solchenfalls zur Unterstützung oder Vertheidigung desselben anzuführen habe.

a) dem Litisdenuncianten nicht assistiren, oder

§. 22.

Hat der Litisdenunciat sich erklärt, daß er die Befugniß des Litisdenuncianten oder Adcitanten, sich an ihn zu halten, nicht anerkennen, und demselben in dem Hauptprozesse nicht assistiren wolle, so hat es dabei sein Bewenden; der Hauptprozeß unter den Parteien wird fortgesetzt, und die Frage: ob dem Litisdenuncianten der behauptete Regreß wirklich zustehe? wird eben so, wie im Falle, wenn der Adcitat


(454) Siebenzehnter Titel.

oder Litisdenunciat sich gar nicht meldet, zu einer besondern Verhandlung von der ordentlichen Instanz des Litisdenunciaten, oder dem sonst in der Sache kompetenten Gerichte, verwiesen; worin der Litisdenunciant Klägers Stelle vertritt, und welche, so wie jeder andere Prozeß, besonders instruirt, folglich mit dem Hauptprozesse über die streitige Sache, Forderung oder Befugniß, auf keine Weise vermischt, noch der gewesene Litisdenunciat in selbiger mit irgend einigem Grunde oder Einwande, der auf den Hauptprozeß Beziehung hat, in der Regel weiter gehört werden muß. (§. 19. 20.)

§. 23.

Es hängt alsdann von dem Litisdenuncianten ab: ob er die Regreßklage sofort anstellen, oder damit den Ausgang des Hauptprozesses abwarten wolle.

b) wenn er ihm assistiren will.

§. 24.

Erklärt sich der Litisdenunciat, daß er zwar die Befugniß des Litisdenuncianten oder Adcitanten, sich an ihn zu regressiren, noch nicht anerkenne, gleichwohl aber demselben in der Hauptsache assistiren wolle; so hat es in Ansehung der Regreßklage bei der Unterweisung der vorstehenden Paragraphen sein Bewenden; in der Hauptsache aber muß alsdann der Litisdenunciat eben so, wie in dem Falle, wenn er seine Vertretungsverbindlichkeit völlig einräumt, über Alles und Jedes, was bisher in der Sache vorgekommen ist, und über diejenigen Thatsachen, welche er seines Orts zur Unterstützung oder Vertheidigung des Adcitanten anzubringen hat, auf gleiche Art, wie in Ansehung der Hauptparteien vorgeschrieben ist, umständlich vernommen, seine Angabe beiden Theilen vorgelegt oder kommunicirt, und er bei der weitern Instruktion und Verhandlung der Hauptsache überall mit zugezogen werden.


(455) Litisdenunciationen.

§. 25.

Von Eiden bei Litisdenunciationen.

Bei dieser stellt er mit dem Adcitanten oder Litisdenuncianten Eine Person vor, und hat alle die Rechte und Verbindlichkeiten, welche diesem zukommen oder obliegen. Es kann aber keiner von ihnen wider den Willen des andern, und wenn dieser Andere Beweismittel anzugeben hat, über streitige Thatsachen Eide deferiren, sondern es muß mit Aufnehmung dieser andern Beweismittel verfahren werden; und wenn durch diese die Thatsache nicht ausgemittelt worden ist, so kommt es nach Maaßgabe Tit. X. § 289. lediglich auf richterlichen Befund an: in wie fern dem Gegentheile noch ein Eid darüber abzufordern sey.

§. 26.

Bedient der Gegentheil sich der Eides-De- oder Relation, so muß derjenige, dessen eigene Handlung der Eid betrifft, oder der von dem Gegenstande desselben aus eigener Kenntniß unterrichtet seyn kann, es sey nun der Litisdenunciant oder Denunciat, diesen Eid ableisten; doch kann, wenn es der Denunciat ist, welcher solchergestalt geschworen hat, der De- oder Referent noch außerdem auch von dem Denuncianten die Leistung eben dieses Eides de ignorantia fordern. Ist von einer Thatsache die Rede, die weder der Denunciant noch Denunciat aus eigener Wissenschaft eidlich erhärten, oder ablehnen können; so muß die Zu- oder Zurückschiebung des Eides dem Litisdenuncianten, als der eigentlichen Gegenpartei, geschehen.

§. 27.

Hat der Litisdenunciant einen über sein eigenes Faktum ihm de- oder referirten, oder auch von dem Richter auferlegten nothwendigen Eid nicht ableisten können, und verliert er aus diesem Grunde den Prozeß; so kann er sich an den Litisdenunciaten, welcher


(456) Siebenzehnter Titel.

diese seine Handlungen nicht vertreten darf, keinesweges regressiren.

Wenn aber der Litisdenunciant einen ihm über die Handlung eines Dritten de- oder referirten, oder von dem Richter auferlegten Eid nicht schwören will; so muß er über die Ursachen, warum er sich dazu nicht entschließen könne, vernommen werden. Alsdann behält der Prozeß zwischen den beiden Hauptparteien seinen Fortgang, und es wird gegen den Litisdenuncianten dasjenige, was nach dieser seiner Erklärung, daß er den Eid nicht schwören könne oder wolle, Rechtens ist, erkannt. Wenn er aber alsdann an den Litisdenunciaten sich regressiren, und dieser aus dem Grunde, daß der Litisdenunciant ohne hinreichenden Grund die Ableistung des Eides verweigert habe, den Regreß nicht anerkennen will; so müssen der Denunciant und Denunciat darüber besonders gehört, und nach ordnungsmäßig instruirter Sache zwischen ihnen besonders erkannt werden.

In wie fern der Beklagte durch die Litisdenunciation ex nexu komme.

§. 28.

Der Beklagte, welcher seinen Auktor hat vorladen lassen, ist auch in dem Falle, wenn der Litisdenunciat erscheint, und ihm assistiren will, sich der fernern Instruktion der Sache zu entziehen, keinesweges befugt; sondern er muß dieselbe bis zur rechtskräftigen Entscheidung mit abwarten.

§. 29.

Wenn jedoch der Litisdenunciat sich erklärt, den ganzen Prozeß übernehmen zu wollen, und der Denunciant ihm denselben zu überlassen einwilligt; so ist der Kläger schuldig, die Sache mit dem Litisdenunciaten allein fortzusetzen; es bleiben ihm aber seine Rechte gegen den Hauptbeklagten, so wie in Ansehung der Exekution, also auch sonst überall, vorbehalten; und muß folglich das Erkenntniß, welches auf die zwischen dem Kläger und dem Litisdenunciaten


(457) Litisdenunciationen.

erfolgte Instruktion der Sache abgefaßt wird, auch gegen den Litisdenuncianten mit gerichtet werden.

§. 30.

Wenn der Kläger sich äußert, seine Forderung oder sein Recht gegen den sich gemeldeten Litisdenunciaten allein auszuführen zu wollen; so muß er zugleich ausdrücklich erklären, daß er den Beklagten und Litisdenuncianten gänzlich außer Anspruch lasse.

Alsdann wird das Erkenntniß bloß zwischen dem Kläger und dem Litisdenunciaten abgefaßt; und Ersterer ist, wenn er gegen den Litisdenunciaten den Prozeß verliert, oder auch nach erhaltenem obsieglichen Urtel von ihm nicht befriedigt werden kann, den ehemaligen Beklagten und Litisdenuncianten weiter anzugreifen nicht berechtigt.

Von den Remediis bei Litisdenunciationen.

§. 31.

Wenn in der Hauptsache ein Urtel ergangen ist, und der Adcitant oder Litisdenunciant will kein weiteres Rechtsmittel dagegen einwenden, so steht dem Litisdenunciaten oder Adcitaten frei, dieses zu thun; und wenn er dadurch ein besseres Erkenntniß in der Hauptsache bewirkt, so kommt selbiges auch dem Litisdenuncianten oder Adcitanten zu Statten.

§. 32.

Hat der Adcitat oder Litisdenunciat sich erst während der Instruktion in erster oder gar erst in der zweiten Instanz gemeldet; und giebt er darin zur Unterstützung oder Vertheidigung des Adcitanten neue Umstände oder Beweismittel an; so ist es dabei, sowohl in Betracht ihrer Untersuchung und Aufnehmung, als auch, wenn die Litisdenunciaton zur gehörigen Zeit geschehen ist, in Rücksicht der von ihm den Hauptparteien, wegen des Verzugs, zu erstattenden Schäden und Kosten eben so zu halten, als Tit. X. und XIV., wenn dergleichen Nova von einer Partei selbst angebracht werden, verordnet ist. In der Revisionsinstanz aber kann auf das alsdann erst


(458) Siebenzehnter Titel.

erfolgende Anmelden eines Litisdenunciaten nicht weiter geachtet werden.

Von Exekutionen.

§. 33.

Nur in dem Falle, wenn nach Maaßgabe §. 21. Nr. 1. der Litisdenunciat sich dem gegen den Beklagten und Litisdenuncianten ergehenden Urtel im voraus völlig unterworfen hat, kann der Kläger nach erstrittenem Judikato die Exekution, wenn er will, unmittelbar gegen den Litisdenunciaten suchen; und nur in eben diesem Falle kann der Litisdenunciant, wenn der Kläger sich an ihn hält, seines Orts die Exekution gegen den Litisdenunciaten sofort verlangen. In allen anderen Fällen, wenn in der Hauptsache nur zwischen dem Kläger und Beklagten erkannt worden ist, findet die Exekution auch nur gegen Letztern Statt; und dieser muß seines Orts den Regreß an den Litisdenunciaten, so wie in §. 22. verordnet ist, durch einen Separatprozeß betreiben. Uebrigens versteht es sich von selbst, daß, wenn der Kläger nach den Gesetzen ein Recht hat, sich auch unmittelbar an den Litisdenunciaten zu halten, demselben unbenommen sey, auch wenn der Litisdenunciat sich dem gegen den Denuncianten ergangenen Urtel im voraus nicht ausdrücklich unterworfen hat, dieses Recht gegen ihn durch eine besondere Klage geltend zu machen.

Von Nominationen.

§. 34.

Wenn jemand als der Besitzer einer beweglichen oder unbeweglichen Sache in Anspruch genommen wird, und er diese Sache nicht für sich, sondern im Namen eines Anderen besitzt; so ist er schuldig, gleich nach insinuirter Klage, oder spätestens im Termine zur Beantwortung derselben, anzuzeigen, auch in so fern es nöthig ist, sofort zu bescheinigen, für wen und in wessen Namen er besitze, und wo der Nominatus sich aufhalte. (Allg. L. R. Th. I. Tit. VII. §. 165. 166.)


(459) Litisdenunciationen.

§. 35.

Thut er dieses nicht, sondern läßt in contumaciam verfahren; oder läßt er sich gar mit dem Kläger ein, und verliert den Prozeß: so kann dieses zwar gegen den Eigenthümer und wahren Besitzer von keiner Wirkung seyn; der Beklagte macht sich aber dem Kläger wegen allen Kosten und des aus dem Verzuge entstehenden Interesse verantwortlich.

§. 36.

Wird hingegen die Nomination von dem Beklagten gehörig angebracht, so muß selbige sofort dem Kläger kommunicirt, und derselbe angewiesen werden, die Sache gegen den Nominatus fortzusetzen. Nimmt der Kläger Anstand, sich diese Verweisung an den Nominatus so schlechterdings gefallen zu lassen; so muß Letzterm aufgegeben werden, daß er sich innerhalb einer gewissen bestimmten Frist erklären solle: ob er sich zu dem Eigenthume der streitigen Sache bekenne, und in dieser Qualität sich mit dem Kläger einlassen wolle.

§. 37.

Erklärt er sich hierauf bejahend, so muß der Prozeß zwischen dem Kläger und ihm gehörig fortgesetzt werden; und der Nominant darf der Regel nach sich darauf weiter nicht einlassen. Erklärt sich der Nominat gar nicht, oder läugnet er, Eigenthümer der streitigen Sache zu seyn; so muß der Beklagte und Nominant, entweder wenn er bei der Forderung des Klägers, in Ansehung seines eigenen Interesse, noch etwas zu erinnern hat, den Prozeß dieserhalb mit selbigem gehörig fortsetzen; oder wenn er dergleichen Erinnerungen nicht hätte, muß er zur Herausgabe der streitigen Sache an den Kläger angehalten, oder falls es ein Realrecht betrifft, welches dieser in Anspruch genommen hat, ihm dasselbe zuerkannt werden. Doch muß in beiden Fällen der Kläger den Grund seines Anspruchs, in so fern es nicht schon bei

(460) Prozeßordnung. Siebenzehnter Titel.

Anstellung der Klage geschehen ist, dem Richter wenigstens wahrscheinlich nachweisen.

§. 38.

Zur Abforderung der §. 56. beschriebenen Erklärung von dem Nominaten ist der Richter, bei welchem die Klage gegen den Nominanten angestellt worden ist, in allen Fällen befugt und schuldig, auch wenn der Nominat keiner Gerichtsbarkeit sonst nicht unterworfen wäre; und muß nur in diesem letztern Falle die Erklärung des Nominaten durch Requisition des kompetenten Richters eingezogen werden. Wenn aber die Sache nach §. 37. zwischen dem Kläger und dem Nominaten fortgesetzt werden soll, und Letzterer der Gerichtsbarkeit desjenigen Richters, bei welchem gegen den Nominanten geklagt worden, nicht unterworfen ist; so versteht es sich von selbst, daß der Kläger die Sache bei dem kompetenten Richter des Nominaten, als nunmehrigen Beklagten, fortsetzen müsse.

§. 39.

Wenn der Nominat auf die kommunicirte Nomination sich nicht gemeldet, oder wenn er sogar, daß ihn die Sache nichts angehe, gerichtlich erklärt hat; so kann er hernach weder den Nominanten deshalb in irgend einigen Anspruch nehmen, noch dem zwischen selbigem und dem Kläger ergangenen Urtel, und dessen Vollstreckung, etwas entgegen setzen. Es muß ihm also die rechtliche Folge seiner unterbleibenden Anmeldung, in der bei Zufertigung der Nomination an ihn ergehenden Verordnung, jedes Mal ausdrücklich bekannt gemacht werden.

§. 40.

Wenn jemand, welcher nicht für sich, sondern im Namen eines Andern besitzt, der Sache halber aus seinem eigenen Fakto, z. B. wegen eines daran begangenen Spolii belangt wird; so kann er sich mit der Nomination des wahren Besitzers nicht schützen,


(461) Interventionen

sondern muß dem Kläger von diesem seinem Fakto und dessen rechtlichen Folgen selbst Rede und Antwort geben.

§. 41.

Wenn daher der Kläger, daß er an den Nominaten sich verweisen, und den Nominanten aus der Sache zu lassen schuldig ist, nicht einräumen will; so muß die geschehene Nomination mit zum Instruktionstermine verwiesen; in diesem Termine aber mit deren näheren Auseinandersetzung der Anfang gemacht, und dabei eben so, wie Tit. X. wegen der Exceptionum litis finitae vorgeschrieben ist, verfahren werden.

Achtzehnter Titel.

Von Interventionen.

§. 1.

Wenn jemand an eine Sache oder Befugniß, worüber zwei Parteien mit einander im Prozesse befangen sind, ein Recht, oder ein Interesse, dabei zu haben glaubt; so steht ihm frei, sich bei dem Prozesse zu melden, und dieses sein Recht oder Interesse als Intervenient auszuführen.

§. 2.

Ein solcher Intervenient behauptet entweder, daß die streitige Sache, Forderung oder Befugniß, weder dem Kläger, noch dem Beklagten zustehe, sondern daß sie ihm selbst gebühre (interventio principalis); oder er macht für sich selbst keinen dergleichen Anspruch, sondern seine Absicht ist bloß, dem einen oder dem andern Theile, wegen seines mit selbigem gemeinschaftlich bei der Sache habenden Interesse, zu assistiren (interventio accessoria).

I. Interventio principalis.

§. 3. Die Interventio principalis ist eigentlich ein ganz besonderer Prozeß, worin der Intervenient als


(462) Prozeßordnung. Achtzehnter Titel.

Kläger, die beiden im Hauptprozesse verwickelten Parteien aber als beklagter Theil anzusehen sind.

§. 4.

Diese Intervention muß also auch, gleich jeder andern Klage, bei dem Gerichte besonders angebracht, und die Sache, der Regel nach, ganz abgesondert von dem Hauptprozesse, ordnungsmäßig instruirt werden.

§. 5.

Sie kann also auch die Instruktion des Hauptprozesses zwischen dem Kläger und Beklagten nicht aufhalten; und wenn Letzterer vor Beendigung der Intervention rechtskräftig verurtheilt worden ist, so muß das Erkenntniß wider ihn in Exekution gesetzt werden; dergestalt, daß der Intervenient darin Einspruch zu thun, und auf Deposition oder Sequestration der streitigen Summe oder Sache anzutragen, oder Kautionsbestellung deshalb zu fordern, nur in so weit berechtigt ist, als ihm, den Rechten nach, die Befugniß, Arrest anzulegen, zusteht.

§. 6.

Wenn inzwischen ein solcher Principalintervenient sich bei dem Gerichte in Zeiten, und ehe noch der Instruktionstermin zwischen Klägern und Beklagten vor sich gegangen ist, meldet, und den Grund seiner Intervention vorträgt; so bleibt es dem vernünftigen Ermessen des Gerichts überlassen, nach Maaßgabe dieses Vortrags, um alle unnöthige Vervielfältigung der Prozesse über einerlei Objekt zu vermeiden, den Intervenienten dahin anzuweisen, daß er mit derjenigen Hauptpartei, mit welcher seine Rechte und Behauptungen, in Rücksicht der anderen, am meisten übereinkommen, darunter gemeinschaftliche Sache machen; und allenfalls nur diejenigen Fakta, worauf er sein specielles, von beiden Parteien widersprochenes Recht gründen will, besonders mit ihnen ausführen müsse. Wenn also z. B. ein


(463) Interventionen.

Testamentserbe von einem angeblichen Intestaterben belangt wird, und ein anderer angeblicher Intestaterbe sich dabei als Intervenient meldet; auch Beide, nämlich der Kläger und Intervenient, die Ungültigkeit des Testaments behaupten; unter sich aber, wegen ihrer Verwandtschaft mit dem Erblasser, oder wegen des Grades derselben, streitig sind; so muß der Richter den Intervenienten anweisen, daß er, in Ansehung des Punktes der Ungültigkeit des Testaments, mit dem Kläger gegen den Beklagten gemeinschaftliche Sache mache; seine Legitimation aber, sowohl gegen den Kläger, als Beklagten, in so fern Beide ihn für den nächsten Intestaterben nicht anerkennen wollen, besonders ausführe.

Eben so kann, wenn Mehrere zu gleicher Zeit ein Retraktrecht auf ein Grundstück ausüben wollen, und sowohl mit dem Besitzer darüber: ob der Retrakt überhaupt Statt finde? als unter sich darüber: wer von ihnen zu dessen Ausübung vorzüglich berechtigt sey? streiten, der Richter diese mehreren Interessenten, in so fern besonders der Anspruch derselben auf einerlei Fundamente beruhet, anweisen, gegen den Besitzer gemeinschaftliche Sache zu machen, und den Anspruch wider ihn in Einem Prozesse auszuführen; so wie auf der anderen Seite das streitige Vorzugsrecht unter ihnen selbst, ebenfalls in Einem Prozesse, nach Art eines Prioritätsverfahrens, erörtert, und durch Ein Erkenntniß entschieden werden kann.

II. Interventio accessoria.

§. 7.

Wenn jemand sich bei einem Prozesse bloß in der Absicht meldet, einer oder der andern von beiden Hauptparteien zu assistiren (interventio accessoria); so muß er mit dieser Hauptpartei gemeinschaftliche Sache machen, folglich an den in der Hauptsache bestellten Instruenten verwiesen werden.


(464) Prozeßordnung. Achzehnter Titel.

§. 8.

Diesem muß er die Fakta oder Beweismittel, womit er die Rechte der Hauptpartei zu unterstützen oder zu vertheidigen gedenke, eben so, wie jede andere Partei, deutlich und bestimmt angeben, und es muß davon bei Fortsetzung der Instruktion der erforderliche Gebrauch gemacht werden.

§. 9.

Wenn der Intervenient zugleich sein bei der Sache habendes Interesse wenigstens eingermaaßen bescheinigt hat, so muß er bei dieser fernern Verhandlung und Instruktion auf eben die Art, wie in dem ähnlichen Falle eines Litisdenunciaten, welcher der einen Hauptpartei assistiret, im vorigen Titel §. 25. verordnet ist, mit zugezogen werden.

§. 10.

Er muß aber auch diese Instruktion, und überhaupt den ganzen Prozeß, in der Lage annehmen, worin sich selbiger zu der Zeit, wo die Intervention von ihm angebracht wird, befindet.

Wenn er sich also erst während des Instruktionstermins, oder gar erst in der Appellationsinstanz meldet; so hat die wegen eines assistirenden Litisdenunciaten im vorigen Titel §. 32. gegebene Vorschrift auf ihn ebenfalls Anwendung.

§. 11.

Nach rechtskräftig entschiedener Hauptsache kann auf dergleichen interventionem accessoriam keine Rücksicht mehr genommen, viel weniger die Vollstreckung des Urtels dadurch aufgehalten werden.


(465) Rekonventionen.

Neunzehnter Titel.

Von der Rekonvention oder Wiederklage.

I. Von Ausführung der Gegenforderungen, ohne besondere Wiederklage.

§. 1.

Wenn jemand, der aus einem gewissen Geschäfte oder Handel verklagt worden ist, aus eben diesem Geschäfte eine rechtsmäßige Gegenforderung an den Kläger zu haben vermeinet; so bedarf es zu deren Ausführung, der Regel nach, keiner förmlichen Wiederklage, sondern es ist genug, wenn er, bei Gelegenheit seiner Vernehmung über die Hauptklage, diese Gegenforderung und deren Grund gehörig anzeigt, und auf ordnungsmäßige Instruktion deshalb anträgt.

§. 2.

Der Instruent muß alsdann, der Anweisung Tit. IX. §. 9. gemäß, den Beklagten über die zum Grunde der Gegenforderung liegenden Fakta eben so, wie bei den Faktis der Klage vorgeschrieben ist, umständlich vernehmen; selbige gehörig auseinander setzen; die Beweismittel angeben lassen, und nach Möglichkeit vorbereiten; hiernächst aber in dem Beantwortungsprotokolle der Klage zugleich die Gegenforderung des Beklagten, zur fernern rechtlichen Erörterung, bestimmt vortragen.

§. 3.

Findet jedoch der Instruent bei dieser Vernehmung, daß die Gegenforderung des Beklagten zwar an sich aus einem und eben demselben Geschäfte mit der Forderung des Klägers entspringe, daß aber die Konvention zu einer von den summarischen Arten des Prozesses gehöre; so muß er den Beklagten dessen bedeuten, und wegen fernerer Einleitung dieser Gegenforderung, nach Art einer neuen Klage, sich nach den unten §. 9. u. f. erfolgenden Vorschriften achten; allenfalls den obwaltenden Anstand dem Gerichte


(466) Prozeßordnung. Neunzehnter Titel.

vorläufig anzeigen, und dessen fernere Anweisung vorüber gewärtigen.

§. 4.

Eben so muß der Richter, wenn aus dem Vortrage des Verantwortungsprotokolls sich ergiebt, daß der Instruent darin eine Gegenforderung des Beklagten, welche zu einer andern Art des Prozesses sich qualificiret, mit eingemischt habe, ihn deshalb zurechte weisen; auch den Beklagten selbst, wegen fernerer Einleitung dieser Gegenforderung zu einem besondern Prozesse, nach den unten §. 9. u. f. darüber ertheilten Vorschriften gehörig bedeuten.

§. 5.

Ist aber die Gegenforderung nicht nur aus eben dem Geschäfte, wie die Forderung des Klägers, entsprungen, sondern auch mit selbiger zu einerlei Art des Prozesses qualificirt; so muß der Richter, ohne Unterschied, ob der Kläger sonst vor ihm keinen ordentlichen Gerichtsstand habe oder nicht, einerlei Termin zur weitern Instruktion der wechselseitigen Ansprüche bestimmen; in diesem Termine die ganze Sache auseinander setzen; die Parteien über Forderung und Gegenforderung vernehmen; in Ansehung beider mit Regulirung des Status controversiae und Aufnehmung der Beweismittel verfahren; und über beide zugleich in einem und eben demselben Urtel erkennen; wenn auch gleich die Forderung eher, als die Gegenforderung, oder umgekehrt, durch die Instruktion ausgemittelt seyn sollte.

§. 6.

Wenn sich also bei Abfassung des Erkenntnisses findet, daß der Beklagte durch seine Gegenforderung wider den Kläger mehr, als dieser wider ihn, ausgeführt habe; so muß der Richter dennoch nach der wahren Lage der Sache sprechen, und den Kläger in die Bezahlung der übersteigenden Summe verurtheilen; allermaaßen es auf den bisherigen Unterschied:


(467) Rekonvention.

ob der Beklagte dergleichen Gegenforderung bloß in seiner Exception angebracht, oder ob er deshalb eine förmliche Wiederklage angestellt habe, als eine bloße Formalität nicht weiter ankommen soll.

§. 7.

Es macht auch in Ansehung des bisher beschriebenen Verfahrens an und für sich keinen Unterschied, wenn gleich das Geschäft, oder der Handel, aus welchem Forderung und Gegenforderung entspringen, zwischen dem Beklagten und einem Dritten vorgefallen ist, und dieser Dritte kein Recht an den Kläger cedirt hat. Denn wenn diese Cession ohne Zuziehung des Beklagten, als Schuldners, geschehen ist; so kann derselbe dem Cessionarius alle die Einwendungen und Gegenforderungen, welche ihm wider den Cedenten aus eben diesem Handel oder Geschäfte zustehen, entgegen setzen; doch kann der klagende Cessionarius niemals in eine höhere Summe, als er gegen den Beklagten ausmittelt, verurtheilt werden.

§. 8.

Um jedoch die Vervielfältigung der Prozesse möglichst zu vermeiden, und den Beklagten nicht in die Nothwendigkeit zu versetzen, daß er seine die Forderung des klagenden Cessionarii übersteigende Gegenforderung mit zwiefachem Kostenaufwande erst gegen ihn zum Behuf der Kompensation, und hiernächst, wegen des Ueberschusses, auch gegen den Cedenten ausführen müsse; so soll einem solchen Beklagten frei stehen, den Cedenten mit vorladen zu lassen. Doch muß er diese Vorladung noch vor dem Eintritte des Instruktionstermins nachsuchen; widrigenfalls der Cedent nicht mehr gezwungen werden kann, sich mit ihm in demselben Prozesse wegen des Ueberschusses einzulassen. Ist aber die Adcitation zu rechter Zeit nachgesucht worden, so kann der Cedent eben so wenig, als der Cessionarius, die Einlassung auf die Rekonvention unter dem Vorwande, daß er der


(468) Prozeßordnung. Neunzehnter Titel.

Jurisdiktion des Richters der Konvention nicht unterworfen sey, ablehnen.

II. Von der eigentlichen Rekonvention.

§. 9. Wenn die Gegenforderung eines Beklagten nicht aus eben dem bei der Klage zum Grunde liegenden, sondern aus einem andern und verschiedenen Geschäfte entspringt: so findet alsdann die Rekonvention im eigentlichen Verstande Statt; welche jedoch, sie betreffe nun ein höheres, oder ein gleiches, oder auch ein geringeres Quantum, als die Hauptklage, niemals in einem und eben demselben Prozesse mit dieser letztern verhandelt werden soll.

§. 10.

Nur in dem Falle, wenn Parteien, als Kaufleute, in laufender Rechnung oder sonst in fortgesetztem Verkehre mit einander gestanden haben, können Forderungen und Gegenforderungen, wenn sie auch aus verschiedenen Geschäften entspringen, dennoch in Einem Prozesse verhandelt werden, so bald nicht einzelne Posten, sondern ein Rechnungssaldo eingeklagt worden.

§. 11.

Außer diesem Falle muß, wenn die Gegenforderung aus einem verschiedenen Geschäfte sich herschreibt, zwar der in dem Hauptprozesse bestellte Deputirte, bei welchem die Gegenforderung angegeben worden ist, dieselbe gehörig und vollständig, so wie jedes Faktum, auf welches eine Klage gegründet werden soll, aufnehmen; dieß muß aber in einem besondern Protokolle geschehen, in welchem nur bei dem Punkte wegen des Gerichtsstandes der Umstand, daß derselbe durch die Konvention begründet werde, bemerkt wird.

§. 12.

Eben so muß im ganzen Fortgange der Sache die Rekonvention als ein besonderer Prozeß betrachtet; auf das darüber vorstehendermaaßen aufgenommene


(469) Rekonventionen.

besondere Klageprotokoll, so wie auf eine andere neue Klage, nach Maaßgabe ihrer Qualität besonders verfügt; ein besonderer Instruktionstermin dazu anberaumt, und besonders darüber erkannt werden.

§. 13.

Eine dergleichen Rekonvention kann also auch nicht durch die Konvention, so wie diese nicht durch jene, aufgehalten werden. Wenn daher die eine früher als die andere rechtskräftig entschieden wird, so kann der darin unterliegende Theil die Exekution eines solchen Urtels durch den Vorwand, daß der andere Prozeß noch nicht entschieden sey, keinesweges abwenden; auch sich davon durch Deposition oder Sicherstellung nur in so fern befreien, als er in dem andern Prozesse etwas beigebracht hat, oder noch unverzüglich beibringt, was den Rechten nach zur Begründung eines Arrestschlages hinreichend ist.

§. 14.

Da diese aus einem verschiedenen Geschäfte entspringende Rekonvention jedesmal in einem besondern Prozesse verhandelt wird, so folgt von selbst, daß wenn der Kläger und Wiederbeklagte aus eben diesem Geschäfte, worauf die Rekonvention beruhet, an den Beklagten und Wiederkläger Gegenforderungen hätte, ihm frei stehen müsse, diese Gegenforderungen in dem die Rekonvention halber angestellten Separatprozesse, nach Vorschriften §. 1-8. mit auszuführen; und daher in so weit Reconventio reconventionis allerdings zulässig sey.

§. 15. Wenn also auch der Kläger, nachdem die Rekonvention aufgenommen und darüber verfügt worden ist, der Konvention sich begiebt, so ändert doch dieses nichts in der Behandlung der Rekonvention; vielmehr muß diese in dem Separatprozesse, zu welchem


(470) Prozeßordnung. Neunzehnter Titel.

sie gleich vom Anfange eingeleitet worden ist, gehörig fortgesetzt werden.

Wirkung der Rekonvention.

§. 16.

Die Wirkung der eigentlichen Rekonvention, wenn nämlich die wechselseitigen Forderungen aus verschiedenen Negotiis entspringen, soll also bloß darin bestehen, daß der Kläger der Regel nach, bei eben dem Gerichte, wo er geklagt hat, als Wiederbeklagter, wenn er gleich sonst einen andern Gerichtsstand hätte, Recht zu nehmen verbunden ist. Es wird jedoch, wenn die Rekonvention diese Wirkung hervor bringen soll, dabei nothwendig voraus gesetzt, daß die Gegenforderung noch vor, aber spätestens in dem zu Instruirung der Konvention bestimmten Termine angemeldet worden sey; allermaaßen, wenn der Beklagte seine Gegenforderung später rügen sollte, er damit lediglich an des Klägers ordentliche Obrigkeit zu verweisen ist.

§. 17.

Aber auch unter dieser Voraussetzung soll die Prorogation des Fori alsdann nicht Statt finden:

1) Wenn die Rekonvention bloß auf Vindikation des Eigentums eines unbeweglichen Grundstücks, oder auf Ausmittelung gewisser, dem Beklagten an einem solchen Grundstücke zustehender Pfand- oder Servitutsrechte gerichtet ist; denn alsdann ist der anmaaßliche Wiederkläger diese seine Gegenforderung bei dem Gerichte, unter welchem die Sache gelegen (forum rei sitae), auszuführen schuldig. Hat jedoch der Beklagte, neben dem Realanspruche an das Grundstück, zugleich ein persönliches Recht an den Kläger, so kann er dieses letztere durch die Wiederklage in dem Foro der Konvention geltend machen. Ist ferner der Kläger ein Ausländer, und der Beklagte hätte an selbigen, wegen eines außerhalb Landes belegenen beweglichen oder unbeweglichen Gutes, einen Realanspruch, so muß er sich


(471) Rekonventionen.

auf diese Gegenforderung bei dem Richter der Konvention schlechterdings einlassen. Ist endlich die Konvention auf den Grund eines Realanspruchs in dem Gerichtsstande der Sache angestellt, so kann der Beklagte eine gegen den Kläger ihm zustehende persönliche Forderung, in eben demselben Gerichtsstande, durch Rekonvention ausführen.

2) Wenn die Gegenforderung von der Art ist, daß sie nach hiesiger Landesverfassung vor ein besonderes privilegirtes Gericht gehört (Forum privilegiatum causae); so muß der Beklagte mit deren Ausführung an dieß Gericht verwiesen werden. Eben so muß, wenn in einem privilegirten Gerichtsstande eine Gegenforderung, die ihrer Qualität nach vor die ordentlichen Gerichte gehört, angebracht werden will, der Richter der Konvention den anmaaßlichen Wiederkläger an diesen ordentlichen Gerichtsstand verweisen.

3) Wenn der Richter der Konvention findet, daß die an sich vor einen andern einländischen Gerichtsstand gehörende Gegenforderung eine weitläufige Instruktion erfordern dürfte, die in dem ordentlichen Gerichtsstande mit weniger Aufenthalte und Kosten, als bei ihm, würde erfolgen können; so steht ihm frei, den Beklagten und anmaaßlichen Wiederkläger damit an den ordentlichen Gerichtsstand des Klägers zu verweisen.

In welchen Fällen die eigentliche Rekonvention zulässig ist.

§. 18.

In allen Fällen, da die Rekonvention zulässig seyn soll, muß der Kläger in eben der Qualität, in welcher er geklagt hat, wiederum belangt werden. Es kann also ein Beklagter, welcher von einem Vormunde in Vertretung seiner Pflegebefohlenen belangt wird, gegen den Kläger wegen einer Forderung, die ihm dieser für seine Person schuldig ist, seine Rekonvention anstellen; gegen eine klagende Gemeine kann aus den Schulden einzelner Mitglieder dergleichen


(472) Prozeßordnung. Neunzehnter Titel.

Rekonvention nicht Statt finden; und einem Handlungsgenossen, der Namens der Societät klagt, können nur solche Forderungen, die dem Beklagten an die ganze Societät gebühren, entgegen gestellt werden.

§. 19.

Gegen einen Kläger, welcher als Cessionarius eines Dritten klagt, kann der Beklagte wegen Forderungen, so ihm gegen diesen Dritten, als Cedenten, aus einem andern Geschäfte zustehen, keine Rekonvention anstellen; sondern er muß dieserhalb den Cedenten besonders belangen. Ist jedoch die Gegenforderung an sich so beschaffen, daß sie, den Rechten nach, eine Kompensation gegen den Cedenten bewirken kann; und ist die Cession ohne des Schuldners Zuziehung erfolgt; so soll dieser Letztere befugt sein, dergleichen Gegenforderung auch wider den klagenden Cessionarius, zwar in einem Separatprozesse, aber doch vor eben dem Richter, vor welchem die Konvention schwebt, auszuführen; und der Cessionarius ist sich auf diese Gegenklage daselbst einzulassen verbunden. Es findet aber die Wiederklage gegen den klagenden Cessionarius nur nach Höhe der in der Konvention eingeklagten Summe Statt; dergestalt, daß, wenn die aus einem verschiedenen Negotio entstandene Gegenforderung des Schuldners an den Cedenten höher ansteigt, Ersterer den Letztern wegen des Ueberschusses besonders belangen; oder ihn allenfalls wenn er unter dem Gerichtszwange des Konventionsrichters steht, nach Maaßgabe §. 8. zu der wider den Cessionarius angestellten Rekonvention mit adcitiren lassen muß. Ist der Cedent ein Ausländer, der innerhalb der Königlichen Lande keinen ordentlichen Gerichtsstand hat; so ist, den bisherigen Verordnungen gemäß, der klagende Cessionarius schuldig, sich auf die Gegenforderung des Beklagten an den fremden Cedenten, wenn auch selbige von verschiedener Art, und an sich zur Kompensation nicht


(473) Rekonventionen.

qualificirt wären, jedoch nur nach Höhe der cedirten und eingeklagten Summe, vor dem Richter der Konvention einzulassen.

§. 20.

Da durch vorstehende Verordnungen in Fälle, wo eine Gegenforderung in einem und eben demselben Prozesse mit der Hauptklage ausgeführt werden kann, wo deshalb zwar ein besonderer Prozeß,  aber doch vor dem Richter der Konvention Statt findet; und wo der Beklagte und anmaaßliche Wiederkläger an des Klägers ordentliche Obrigkeit verwiesen wird, deutlich und bestimmt auseinander gesetzt sind; so bedarf es darüber keines Verfahrens oder Erkenntnissess, sondern der Richter ist, das Erforderliche deshalb durch ein bloßes Dekret festzusetzen, berechtigt.

Sollten jedoch in dem einen oder dem andern besondern Falle die Umstände in facto, von welchen die Beurtheilung dieser Frage abhängt, durch vorläufige richterliche, von Amts wegen zu erlassende Verfügungen nicht sofort hinlänglich auseinander gesetzt werden können, sondern zur Erörterung derselben eine nähere Untersuchung und förmliche Instruktion nöthig seyn; so muß dieselbe eben so, wie in einem ähnlichen Falle wegen der dilatorischen Einwendungen festgesetzt worden ist, zur Instruktion der Hauptsache mit verwiesen werden.

Zwanzigster Titel.

Von der Litisreassumtion und Renunciation.

1) Wie zu verfahren, wenn eine Partei während des Laufes des Prozesses verstirbt.

§. 1.

Wenn eine von den Parteien während des Prozesses stirbt, so müssen deren Erben selbigen in der Lage, worin er sich alsdann befindet, annehmen; und die Instruktion der Sache muß auf den Grund der


(474) Prozeßordnung. Zwanzigster Titel.

von dem Verstorbenen ertheilten Information fortgesetzt werden.

§. 2.

Wenn jedoch der Erblasser verstorben wäre, ehe noch sothane Information von ihm vollständig hat aufgenommen werden können; so soll den Erben, außer den nach der Prozeßordnung und vermöge der Beschaffenheit der Sache zulässigen Fristen, auch noch der Zeitraum, welcher ihnen zur Erklärung: ob und wie sie Erben sein wollen, in den Gesetzen nachgegeben ist, zu Statten kommen; und der Prozeß allenfalls bis nach dessen Ablaufe sistirt werden. (A. L. R. Th. I. Tit. XIX. § 583. u. f.)

§. 3.

Eben so ist es zu halten, wenn der Erblasser kurz vor oder bald nach der Publikation des Erkenntnisses erster oder zweiter Instanz verstorben wäre; da alsdann den Erben zur Erklärung: ob sie appelliren oder revidiren wollen, und zur Ertheilung der desfalls nöthigen Information, außer den im Vierzehnten und Fünfzehnten Titel bestimmten Fristen, auch noch die gesetzmäßige Ueberlegungsfrist zu gute gerechnet wird.

§. 4.

Wenn sich während dieser Zeit kein Erbe gemeldet hat, so muß der alsdann, nach Vorschrift der Gesetze, von des Verstorbenen ordentlicher Obrigkeit zu bestellende Verlassenschaftskurator den Prozeß fortsetzen, und die nöthigen Nachrichten dazu aus den Papieren des Erblassers, oder durch Erkundigungen bei denjenigen Personen, deren sich derselbe zur Besorgung seiner Angelegenheiten gewöhnlich bedient hat, einzuziehen bemüht seyn. Ist das Erbrecht streitig, und es findet sich noch keiner der Prätendenten im Besitze der Erbschaft; so muß auf gleiche Art ein Verlassenschaftskurator bestellt, und durch diesen die Sache fortgesetzt, jedoch von ihm über den Betrieb derselben mit den vorhandenen


(475) Litisreassumtionen.

Erbschaftsprätendenten Rücksprache genommen werden.

Ist hingegen der Besitz der Erbschaft durch den gehörigen Richter einem der Prätendenten, auf den Grund der gesetzlichen Vorschriften eingeräumt worden: so ist dieser Besitzer zur Fortsetzung des Prozesses für legitimirt zu achten; und den übrigen Prätendenten steht bloß frei, sich als Intervenienten bei der Instruktion zur Wahrnehmung ihres Interesse zu melden, zu welchem Ende der Richter der Erbschaft dieselben, in so fern ihre Ansprüche und der schwebende Prozeß ihm bekannt sind, von letzterm benachrichtigen soll.

§. 5.

Wird über eine gewisse individuelle Sache, oder ein Grundsück, gestritten, die nach dem Tode des bisherigen Besitzers einem Dritten, welcher nicht zugleich dessen Erbe wird (successori singulari), anheim fallen, z. B. wenn der Prozeß über Pertinenzstücke oder Gerechtigkeiten eines Lehn- oder Fideikommissgutes, welches sich an den Lehnsherrn, Agnaten, oder Fideikommißfolger erledigt, geführt worden ist; so muß dieser in einer proportionirlichen Frist sich erklären: ob und wie er den Prozeß fortsetzen wolle; auch den dem vorigen Besitzer zugeordnet gewesenen Assistenten, oder den von ihm bestellten Bevollmächtigten, mit anderweitiger Information deshalb versehen.

§. 6.

In (allen genügend?) auseinandergesetzten Fällen ist es die .Pflicht des Assistenten oder Bevollmächtigten, dem Gerichte das Absterben der Partei, so bald es zu seiner Wissenschaft gelangt, nebst dem, was ihm von dem Namen und Aufenthalte der Erben bekannt geworden ist, anzuzeigen, und sein Gutachten: was etwa zur Fortsetzung des Prozesses zu veranlassen seyn möchte, beizufügen.


(476) Prozeßordnung. Zanzigster Titel.

§. 7.

Das Gericht muß alsdann von Amts wegen dafür sorgen, daß der Prozeß durch diesen Zwischenfall so wenig als möglich aufgehalten werde. Kommt es auf die Bestellung eines Verlassenschaftskurators an, so muß diese sonder Anstand verfügt; sind bekannte Erben oder ein Successor singularis vorhanden, so muß denselben der fernere Betrieb, nach der alsdann vorwaltenden Lage der Sache, in einem bei Erben mit Einrechnung der Deliberationsfrist, zu bestimmenden proportionirlichen Zeitraume, ausdrücklich aufgegeben; und steht die Verlassenschaft unter einem andern Gerichte, so muß dieses, wegen solcher an die Erben oder den Successor zu erlassenden Verfügung, oder wegen Bestellung des Kurators, requirirt werden.

In Fällen, da der Prozeß mit der Partei selbst, ohne Zuziehung eines Assistenten oder Bevollmächtigten, instruirt worden ist, kann das erfolgte Ableben einer solchen Partei dem Instruenten nicht füglich lange verborgen bleiben; und dieser muß alsdann dasjenige, was §. 6. dem Assistenten vorgeschrieben ist, beobachten.

2) Von Justitiis.

§. 8.

Wenn bei dem Gerichte, wo ein Prozeß schwebt, wegen gegenwärtiger Kriegsgefahr, oder anderer Ursachen halber, ein gänzlicher Stillstand in den Geschäften (justitium) entsteht; oder wenn durch dergleichen Kriegsläufte, oder andere Landplagen, die Kommunikation zwischen dem Wohnorte der Partei und dem Sitze des Gerichts auf eine Zeitlang gänzlich unterbrochen wird: so muß der Prozeß sistirt werden. Nach gehobenem Hindernisse aber müssen die Parteien denselben unverzüglich fortsetzen, und von dem Richter von Amts wegen dazu aufgefordert werden.


(477) Litisreassumtionen.

3) Von Sistirung der Militairprozesse während eines Krieges.

§. 9.

Wenn eine Prozeßführende Partei in Königlichen Militairdiensten ist, und bei entstehendem Kriege ihr Standquartier verlassen muß; so muß zwar der Prozeß so weit, als es nach der dem Assistenten oder Bevollmächtigten bisher etwa schon ertheilten Information möglich ist, fortgesetzt werden; so bald sich aber ein Umstand ereignet, worüber der Bevollmächtigte nähere Information nöthig hat, und dieses durch seine Manualakten bescheinigt, so kann deshalb keineswegs in contumaciam wider eine solche Partei verfahren, sondern der Prozeß muß bis zu ihrer Zurückkunft suspendirt werden.

§. 10.

(Wenn?) jedoch eine dergleichen in wirklichen Kriegsdiensten abwesende Person Beklagtens Stelle vertritt, so ist der Kläger berechtigt, die zur Abwendung eines ihm aus dem Verzuge etwa bevorstehenden unwiederbringlichen Nachtheils erforderlichen interimistischen Verfügungen, z. B. die Eintragung einer Protestation auf die Güter des Abwesenden, die Einziehung eines zur Deckung seiner Zinsen erforderlichen Theils der Revenuen in das gerichtliche Depositum, die Verkümmerung der ausstehenden Schulden u. s. w. (in so fern die streitige Forderung sich zum Arrestschlage qualificirt), auszubringen.

§. 11.

Während des Krieges können gegen Personen, die in wirklichen Militairdiensten stehen, oder sonst Amts und Berufs halber der Armee folgen müssen, wegen Forderungen, die vor dem Kriege entstanden sind, keine Klage angenommen, sondern dergleichen Prozesse müssen bis zur Wiederherstellung des Friedens ausgesetzt werden. Auch können während dieser Zeit keine Ediktalcitationen mit der Wirkung einer Präklusion ergehen, sondern es muß, wenn auch dergleichen Ediktalladung auf das Andringen der dazu


(478) Prozeßordnung. Zwanzigster Titel.

berechtigten Interessenten wirklich ergangen ist, dennoch den Militairpersonen, in dem darauf abzufassenden Präklusionsurtel, ihr Recht bis nach wieder hergestellten Frieden ausdrücklich vorbehalten werden. Es findet aber auch in diesem Falle die Vorschrift des §. 10. wegen der von den Gläubigern zu nehmenden Sicherheitsmaaßregeln Anwendung.

§. 12.

Wenn hingegen der Krieg noch nicht wirklich ausgebrochen ist, sondern nur noch Rüstungen und Anstalten obwalten; auch die Truppen zwar die gewöhnlichen Standquartiere verlassen haben, aber noch in Kantonnirungen oder Grenzlagern stehen: so findet noch keine Sistirung der Prozesse, so wie auch kein Vorbehalt in den auf Ediktalcitationen ergehenden Präklusionserkenntnissen Statt. Wenn aber unter solchen Umständen bei einem ordinairen Zivil- oder auch bei einem Konkurs- oder Liquidationsprozesse, eine Militairperson, er sey als Kläger, Beklagter, Litisdenunciat, Liquidant, oder sonst, ein bekanntes Interesse hat; so müssen die Instruktions-, so wie alle übrigen Termine in solchen Prozessen, bei welchen eine Militairperson zugezogen werden muß, dargestalt geräumig, daß ihr alle Zeit, einen Bevollmächtigten zu bestellen, und denselben mit der nöthigen Information zu versehen, übrig bleibe; bestimmt; auch wenn diese Information, wegen Abwesenheit und Entfernung der Partei, von ihr nicht zu erhalten ist, von Zeit zu Zeit, und nöthigenfalls bis zu ihrer Rückkehr in das Standquartier, verlegt; übrigens aber auch in diesem Falle die Vorschrift des §. 10. beobachtet werden.

4) Suspension der Prozesse wegen Abwesenheit einer Partei.

§. 13.

Eine Suspension des Prozesses findet auch in dem Falle Statt, wenn eine in Königlichen Militair- oder Civildiensten stehende Partei in öffentlichen Angelegenheiten außerhalb Landes geschickt wird, und


(479) Litisreassumtionen.

vor ihrer Abreise ihren Assistenten oder Bevollmächtigten zur vollständigen Instruktion der Sache, nicht mit zureichender Information versehen hat.

§. 14.

Doch gilt die Vorschrift in diesem Falle nur von Prozessen, welche sich auf Geschäfte beziehen, die weitläufig und zusammen gesetzt sind, und zu deren zweckmäßiger Entwicklung umständlichere und genauere Nachrichten erfordert werden. Wird ein solcher Abwesender bloß wegen eines von ihm selbst contrahirten Darlehns, oder einer dergleichen Waarenschuld belangt; so kann seine Abwesenheit ihn gegen die Einlassung darauf nicht schützen, sondern sie kann den Richter allenfalls nur zur billigen Verlängerung der Termine und Fristen bewegen.

§. 15.

Auch versteht sich die Wohltat der Suspension nur von solchen Parteien, die nur eines einzelnen Geschäftes wegen, oder nur auf eine gewisse bestimmte Zeit verschickt werden; und deren Rückkehr also, nach beendigtem Geschäfte, oder verlaufener Zeit, mit Sicherheit zu erwarten ist. Personen, die an einem außerhalb des Landes gelegenem Orte sich längere Zeit hindurch aufhalten, und sich in gewisser Art daselbst fixiren müssen, z. B. Gesandte, die an fremden Höfen residiren, können auf diese Wohlthat keinen Anspruch machen.

§. 16.

Es findet ferner dergleichen Suspension nicht Statt, wenn

1) der Abwesende sich deren selbst nicht bedienen will;

2) wenn er von der in Ansehung seines Dienstes ihm vorgesetzten Instanz zurück gerufen wird, und seine Rückkunft aus eigener Bewegung verzögert;


(480) Prozeßordnung. Zwanzigster Titel.

wenn der Kläger solche Umstände nachweisen kann, woraus sich ergiebt, daß der Abwesende, seiner Entfernung ungeachtet, Zeit und Gelegenheit habe, seine eigenen Angelegenheiten zu besorgen, z. B. wenn er andere Prozesse führt, Güter kauft, oder andere Geschäfte vornimmt, welche sonst ohne seine unmittelbare Theilnehmung nicht Fortgang haben könnten.

4) Suspension der Prozesse wegen streitiger Gerichtsbarkeit.

§. 17.

In wie fern eine Aussetzung des Prozesses Statt finde, wenn über die Kompetenz des Gerichtsstandes Streit entsteht; oder wenn eine von dem Kläger geforderte Kaution nicht bestellt wird, ist gehörigen Orts bestimmt. (Tit. II. §. 134. 135. Tit. XXI. §. 13.)

6) Reassumirung der Prozesse, welche der Kläger liegen gelassen hat.

§. 18.

Außer den bisher abgehandelten Fällen kann ein Prozeß, welcher sich einmal im Gange befindet, unter keinerlei Vorwand suspendirt, sondern er muß vielmehr, bis zur rechtlichen Entscheidung, allenfalls in contumaciam fortgesetzt werden.

§. 19.

Wenn also ein Kläger in dem nach eingekommener Antwort auf die Klage anberaumten Instruktionstermin sich weder persönlich noch schriftlich meldet, noch auch vor dem Termine dessen Prorogation nachgesucht hat; so ist es dafür zu achten, daß er dem Prozesse entsage, und sind daher die Akten zu reponiren, und in der Liste zu löschen. (Tit. IX. §. 42. 43.)

§. 20.

Wenn ein solcher Kläger sich nach der Zeit wieder meldet, und die Sache fortsetzen will; so kommt es darauf an: ob dieses innerhalb vier Wochen nach abgelaufenem Termine, unter Anführung wahrscheinlicher Ursachen, warum er den Termin weder abwarten,


(481) Litisreassumtionen.

noch in Zeiten dessen Verlegung suchen können; oder ob es später geschiehet.

Ersten Falles wird die Sache sofort reassumirt, ein neuer Instruktionstermin dazu anberaumt, und der Kläger bloß zum Ersatze der Kosten des vorigen durch sein Außenbleiben fruchtlos gewordenen Termins angehalten.

Letztern Falles aber, wenn sich der außengebliebene Kläger später als vier Wochen nach dem Termine meldet, ist sein Reassumtionsgesuch als ein neuer Prozeß anzusehen und zu behandeln.

Ein solcher Kläger muß daher nicht nur, ehe ihm das anderweitige Gehör verstattet wird, dem Gegentheile alle bisherigen Kosten bezahlen, sondern es bleibet auch richterlichem Ermessen anheim gestellt, in wie fern ihm zuvörderst noch eine Kaution wegen Fortsetzung der Sache abzufordern sey.

7) Litisrenunciationen.

§. 21.

Gleiche Bewandtniß hat es, wenn während des Laufes eines Prozesses der Kläger demselben entsagt, ohne zugleich sich seiner Forderung zu begeben. Ist in beiden Fällen dem Beklagten daran gelegen, die Sache mit dem Kläger bald auszumachen, und gegen die Wiederholung seiner Ansprüche künftig sicher zu seyn; so kann er denselben anhalten, den Prozeß fortzusetzen, oder ausdrücklich dem eingeklagten Anspruche zu entsagen. Das weitere alsdann zu beobachtende Verfahren wird in dem Titel vom Diffamations- und Präklusionsprozesse vorgeschrieben.

Ein und zwanzigster Titel. Von Kautionen.

(1) Von Prozeßkautionen

§. 1. Ein jeder Beklagter kann in der Regel von dem Kläger wegen der auf den Prozeß zu verwendenden,


(482) Prozeßordn. Ein und zwanzigster Titel.

und ihm demnächst zu erstattenden Kosten, Sicherheits- oder Kautionsbestellung fordern.

Personen und Sachen, wo keine Kautionsforderung Statt findet.

§. 2.

Hiervon sind ausgenommen gewisse Sachen, in welchen keine Kautionsforderung Statt findet; und gewisse Personen, welche von Bestellung solcher Kaution dispensirt sind.

Zu den Sachen, in welchen keine Kautionsforderung Statt findet, gehören

1) Klagen auf laufende Alimente, Besoldungen, Lohn, oder Deputat;

2) Bagatellsachen;

3) Wechselsachen;

4) Exekutivische Prozesse;

5) Klagen aus rechtskräftigen Urteln;

6) Prozesse in possessorio summariissimo;

7) Spoliensachen;

8) Ehescheidungssachen;

9) Merkantilsachen, welche auf die unten Tit. XXX. vorgeschriebene Art auf Messen oder Märkten verhandelt werden, in so fern sie während der Messe, oder des Markts, ohne Weitläufigkeit entschieden werden können;

10) Konkurssachen, in welchen die liquidirenden Gläubiger nur alsdann zu einem Kostenvorstande verbunden sind, wenn die Richtigkeit ihrer Forderungen einer weitläufigen und kostbaren Erörterung bedarf.

Die Prozeßführenden Parteien, welche von Kautionsbestellungen befreit werden, sind

1) der Fiskus;

2) diejenigen, welche mit unbeweglichen innerhalb Landes belegenen Gütern, die ihnen selbst, oder zu dem Eingebrachten ihrer Ehefrauen gehören, angesessen sind;

3) Magisträte und Stadtkommunen;


(483) Kautionen.

4) Kirchen, Schulen, Hospitäler und andere milde Stiftungen.

5) In wie fern diejenigen, welche in angesehenen Militair-, Zivil- oder geistlichen Bedingungen stehen; diejenigen, welche Präbenden besitzen, oder sonst beträchtliche jährliche Hebungen und Einkünfte zu genießen haben; ingleichen diejenigen, welche einen erheblichen Handel treiben, mit Kautionsbestellung zu verschonen sind, bleibt dem billigen Ermessen der Gerichte, nach Beschaffenheit der jedesmaligen Umstände, vorbehalten.

Die Dispensation des einen Mitklägers kommt übrigens dem andern nicht zu Statten; und in wie fern den Gegnern solcher dispensirter Parteien, wegen des demnächst erstrittenen Kostenersatzes, ein Vorzugsrecht in dem Vermögen des Dispensirten gebühre, ist in der Konkursordnung bestimmt.

§. 3.

Damit auch der Kläger, wegen künftiger Beitreibung der Kosten gegen solche von der Kautionsleistung dispensirte Personen, nicht neuen Weiterungen ausgesetzt sey; so soll jedesmal dafür angenommen werden, daß sie sich in Ansehung dieses Kostenpunktes ihres sonstigen ordentlichen oder privilegirten Gerichtsstandes begeben haben.

Wann die Kautionsforderung angebracht werden müsse.

§. 4.

Wenn der Beklagte mit keinem rechtskundigen Assistenten oder Bevollmächtigten versehen ist, so muß der zur Instruktion der Sache bestellte Deputirte des Gerichts, der Vorschrift des Tit. IX. §. 2. gemäß, gleich bei Einziehung der Information, den Beklagten vernehmen: ob er von dem Kläger Kautionsbestellung, der Kosten halber, zu fordern gesonnen sey. Er muß ferner, wenn Beklagter dergleichen verlangt, nach den Vorschriften der Gesetze beurtheilen: ob der Kläger dazu angehalten werden könne. Er muß,


(484) Prozeßordn. Ein und zwanzigster Titel.

wenn er dieses nicht findet, die Partei darüber zu bedeuten suchen, aber wenn dieselbe darauf besteht, dem Richter davon vorläufige Anzeige machen, damit dieser den Beklagten deshalb zurecht, oder auch ihn selbst näher anweisen könne. Wenn er aber dafür hält, daß der Kläger zur Kautionsleistung wirklich verbunden sey; so muß er, in dem über die Beantwortung der Klage aufzunehmenden Protokolle, auf die erforderliche Verfügung deshalb antragen, und zugleich ein proportionirliches Quantum, worauf die Kaution zu bestimmen seyn möchte, in Vorschlag bringen. Hat die Partei einen rechtskundigen Beistand oder Bevollmächtigten, so liegt diesem ob, ob die nöthige Information von ihr, auch wegen des Kautionspunktes, gehörig einzuziehen; und entweder noch vor dem Eintritte des Termins zur Beantwortung der Klage, oder spätestens in diesem Termine selbst, darüber die nöthigen Anträge bei dem Gerichte zu machen.

§. 5.

Der Richter muß alsdann die Sache beurtheilen; wenn der Antrag auf Kaution gegründet zu seyn scheint, dem Kläger deren Bestellung in eben der Verordnung, womit selbigem die Beantwortung der Klage kommunicirt und der Instruktionstermin anberaumt wird, aufgegeben; und das Quantum nach vernünftigem Ermessen, der Wichtigkeit und anscheinenden Weitläufigkeit der Sache gemäß, bestimmt.

§. 6.

Der Assistent des Klägers, welcher nach Vorschrift Tit. V. §. 4. Nr. 12., diesen Punkt schon präparirt hat, muß bei Kommunikation gedachter Verordnung den Kläger näher anweisen, und ihm, was er allenfalls zu Berichtigung der geforderten Kaution zu thun habe, umständlich bekannt machen.

Verfahren darüber.

§. 7.

Wenn die Kaution bis zum Instruktionstermine nicht berichtigt worden ist, so muß der Instruent im


(485) Kautionen.

Termine selbst die Parteien über diesen Punkt näher gegen einander vernehmen; wenn sich findet, daß entweder der Kläger sich zur Kautionsleistung nicht schuldig erkenne, oder daß der Beklagte mit der offerirten Sicherheit nicht zufrieden sey, oder daß die Parteien über das Quantum der Kaution nicht einig sind, die deshalb angegebenen Gründe und Umstände gehörig auseinander setzen; über die wechselseitigen Ausführungen ein besonderes Protokoll aufnehmen lassen, und selbiges dem Gerichte vorläufig zur weitern Verfügung einreichen; unterdessen aber mit der Instruktion der Hauptsache fortfahren.

Verfügung deshalb.

§. 8. Das Protokoll muß von dem ordentlichen Decernenten dem Kollegio umständlich vorgetragen; die vorkommenden Umstände müssen reiflich erwogen, und mit den Vorschriften der Gesetze verglichen; alsdann aber sowohl über die Verbindlichekeit zur Kautionsleistung an sich, als über das Quantum und die Annehmlichkeit der von dem Kläger etwa schon vorgeschlagenen Art, sie zu bestellen, das Erforderliche durch ein Dekret, von welchem keine Appellation Statt findet, festgesetzt werden.

§. 9. Wenn die Gründe, aus welchen der Kläger bei dem Anfange des Prozesses von der Kautionsbestellung befreit war, sich in der Folge verändern, z. B. wenn er sein Gut verkauft, sein Amt niederlegt, seinen Wohnsitz innerhalb Landes verläßt u. s. w.; oder wenn in dieser Zwischenzeit seine Vermögensumstände sich augenscheinlich verschlimmert hätten, z. B. wenn der Besitzer unbeweglicher Grundstücke dieselben während des Prozesses mit neuen Schulden übermäßig belastet, oder gar solcher Schulden halber daraus exmittirt, der Kaufmann in Wechselarrest


(486) Prozeßordn. Ein und zwanzigster Titel.

gezogen wird (et)c.: so kann auch alsdann noch der Beklagte auf Kautionsbestellung antragen.

Vollstreckung derselben.

§. 10.

Wenn der Kläger dem richterlichen Befehle wegen Bestellung der Kaution nicht Folge leistet, so muß er dazu, auf Anmelden des Beklagten, sofort mittelst Exekution angehalten werden. In der Fortsetzung des Prozesses aber, und in der Instruktion der Hauptsache, darf dadurch kein Aufenthalt entstehen.

§. 11.

Ist die einer solchen Kaution halber veranlaßte Exekution, wegen Ermangelung eines tauglichen Objektes dazu, fruchtlos, und kann der Kläger auch keinen Bürgen stelllen; so muß er, wenn es der Beklagte ausdrücklich verlangt, den Kautionseid dahin ableisten:

daß er, alles angewendeten Fleißes ungeachtet, die ihm auferlegte Kaution durch Bürgen oder Pfänder nicht bestellen könne; und daß er dem Gegentheile, falls er demselben die Kosten zu erstatten verurtheilt werden sollte, dieselben nach seinem besten Vermögen redlich bezahlen wolle.

§. 12.

Will der Kläger auch diesen Eid nicht ableisten, so kann er ferner in der Hauptsache kein rechtliches Gehör verlangen, sondern die Akten müssen sofort reponirt werden.

Von Kautionen, die ein Fremder zu bestellen hat.

§. 13. Ist der Kläger ein Ausländer, so kann der Beklagte, unter dem Vorwande der noch nicht berichtigten Kaution, sich der Einlassung auf die Klage nicht entziehen, so bald der Grund derselben auf schriftlichen Urkunden, oder anderen in der Nähe befindlichen, und ohne großen Kostenaufwand herbei zu schaffenden Beweismitteln beruhet. Ist aber die Klage des Ausländers auf weit aussehende, durch glaubwürdige


(487) Kautionen.

Urkunden nicht bescheinigte Ansprüche, die eine kostbare Untersuchung und Beweisesaufnehmung erwarten lassen, gerichtet; so muß derselbe die von dem Richter bestimmte Kaution durch gerichtliche Niederlegung baarer Gelder, oder im Lande zahlbarer Schuldinstrumente, oder durch annehmliche Bürgen oder Pfänder leisten, und kann zum bloßen Kautionseide nicht gelassen werden. Kann oder will er die Kaution solchergestalt nicht bestellen, so ist der Beklagte sich weiter mit ihm einzulassen nicht verbunden; sondern es muß auf seinen Antrag mit Reposition der Akten verfahren werden. Hat ein Ausländer schon ein Erkenntniß wider sich, und will dagegen appelliren; so muß er auf den Antrag des Appellaten zur gleichmäßigen Kautionsbestellung angehalten, und, so lange bis diese berichtigt ist, die Fortsetzung der Appellation suspendirt werden.

II. Von andern Kautionen.

§. 14. Außer diesem Kostenvorstande bleiben die Cautiones de judicio sisti in bürgerlichen Sachen (causis civilibus), ingleichen pro reconventione, nach wie vor abgeschafft. Die Kaution de lite prosequenda soll nur in dem Titel XX. §. 20. angegebenen Falle nach richterlichem Ermessen zulässig seyn; und von der Kaution de judicato solvendo wird in dem Titel von Arresten, da bei diesen dergleichen Kaution am gewöhnlichsten vorkommt, gehandelt werden.

§. 15.

Kautionen, welche nicht bloß beiläufig bei Gelegenheit eines Prozesses gefordet werden, sondern selbst der Gegenstand eines ordentlichen Rechtsbandes seyn können, z. B. Cautio fideicommissaria, usufructuaria, damni infecti etc., gehören nicht hierher sondern dergleichen Kautionsgesuch muß, wie jede andere Klage, besonders instruirt werden.


(488) Prozeßord. Zwei und zwanzigster Titel.

Zwei und zwanzigster Titel.

Von den in einem Prozesse vorkommenden nothwendigen Eiden.

§. 1.

Es können außer den deferirten Eiden, von welchen oben Tit. X. Abschn. V. umständlich gehandelt worden ist, in einem Prozesse noch mehrere vorkommen, welche um deßwillen nothwendige genannt werden, weil eine Partei dieselben in der Regel der andern nicht zurück schieben kann.

I. Vom Suppletorio und Purgatorio.

§. 2.

Zu diesen Eiden gehört: I. der Erfüllungs- und Reinigungseid. Denn obgleich nach der in gegenwärtiger Prozeßordnung dem Richter auferlegten Pflicht, und zugleich ertheilten Befugniß, die Wahrheit durch alle nur irgend dazu vorhandene an sich erlaubte Mittel von Amts wegen aufzusuchen, in den meisten Fällen die in einem Prozesse vorkommenden Thatsachen, und was daran wahr oder falsch sey, durch die Untersuchung in ein vollständiges Licht gesetzt werden wird; so können sich doch Fälle ereignen, wo, aller angewandten pflichtmäßigen Bemühungen des Richters ungeachtet, der Grund oder Ungrund einer solchen streitigen Thatsache, oder gewisser Umstände derselben, noch nicht deutlich und zuverlässig genug ausgemittelt werden können; und es also noch auf einen von dieser oder jener Partei darüber abzuleistenden nothwendigen Eid ankommt.

§. 3

Unter welchen Umständen der Richter entweder auf den Erfüllungs- oder auf den Reinigungseid zu erkennnen habe; in welchen Sachen einer oder der andere von diesen Eiden zulässig sey oder nicht; und welche Personen dazu nicht verstattet werden können,


(489) Nothwendige Eide.

ist nach den Vorschriften der Gesetze, insonderheit Tit. XIII. §. 11. u. f., zu beurtheilen.

§. 4.

Ein solcher Eid setzt daher, ehe er geschworen werden kann, allemal ein Erkenntniß voraus, in welchem der Richter die Formel desselben ausdrücklich bestimmen; den Termin zur Ableistung anberaumen; und zugleich die Wirkung, wenn der Eid solchergestalt geschworen wird, oder nicht, festsetzen muß.

§. 5.

Derjenige, welchem ein solcher Eid in dem Urtel auferlegt worden ist, kann gegen dieß Urtel die Appellation einwenden. Wenn er aber auch dieses nicht thut, und nur der Gegentheil wider seine Zulassung zu sothanem Eid appellirt, so steht ihm dennoch frei, zur Unterstützung des vorigen Erkenntnisses, in eben der Maaße, als überhaupt Nova in der Appellationsinstanz zulässig sind, neue Thatsachen und Beweismittel anzuführen; in welchem Falle sodann die Vorschriften des Tit. XIV. §. 39. und 61. zu beobachten sind.

§. 6.

Wenn Erben einen nothwendigen Eid über Fakta des Erblassers leisten sollen, so sind sie denselben nur eben so, wie einen zugeschobenen, de ignorantia abzuschwören verbunden. (Tit. X. §. 512. 313.)

§. 7.

Wenn jemand, dem ein Nothwendiger Eid, welchen er de veritate leisten könnte, zuerkannt worden ist, vor dessen Ableistung unter Umständen verstirbt, unter welchen dieser Eid noch nicht für geschworen angenommen werden kann (Tit. X. §. 379.), und also die Erben denselben nur de ignorantia würden leisten dürfen; so steht dem Gegentheile frei, darauf anzutragen, daß Acta zum Erkenntniß über die Frage: ob nicht nunmehr er selbst zur Ableistung des entgegen gesetzten Eides de veritate zu lassen sey?


(490) Prozeßordn. Zwei u. zwanzigster Titel.

anderweit vorgelegt werden. Doch ist unter diesem Vorwande keine Beibringung neuer Thatsachen oder Beweismittel zulässig; sondern die Parteien sollen darüber bloß in einem kurzen Termine zum Protokolle, oder allenfalls mit einer schriftlichen Deduktion und Gegendeduktion gehört; und es soll darüber nur in derjenigen Instanz, in welcher zuerst auf den von dem Verstorbenen zu leisten gewesenen Eid gesprochen worden ist, erkannt; auch gegen dieß Erkenntnis ein Rechtsmittel nur in so fern, als dergleichen gegen jenes erste auf den Eid ausgefallene Urtel Statt gefunden haben würde, zugelassen werden.

§. 8.

Wenn derjenige, welcher einen nothwendigen Eid zu leisten hat, denselben nur de ignorantia schwören, der andere aber das Gegentheil de veritate eidlich erhärten kann; so soll Ersterem erlaubt seyn, den Eid de veritate zurück zu schieben.

II. Vom Juramento in litem.

§. 9.

Zu den nothwendigen Eiden gehört ferner: II. das Juramentum in litem, wodurch der Werth einer Sache, oder der Betrag eines Schadens bestimmt werden soll.

Wann dasselbe Statt finde.

§. 10.

Dieser Eid findet nur alsdann Statt, wenn der Werth oder Betrag auf andere Art nicht ausgemittelt werden kann. Es müssen daher die Gerichte jederzeit zuvörderst, durch Vernehmung der Parteien, und Instruktion der sonst vorhandenen Beweismittel, die Wahreit auch hierüber ins Licht zu setzen bemüht seyn; und nur alsdann, wenn dieses nicht bis zur hinreichenden Ueberzeugung geschehen kann, kann in Sachen von erheblichem Belange ein Juramentum in litem gefordert werden. In Bagatellsachen steht dem Richter frei, ein den Umständen nach der Wahrscheinlichkeit angemessenes Quantum, auch ohne vorherige Eidesleistung, festzusetzen.


(491) Nothwendige Eide.

§. 11.

Eben so findet die Zulassung zu diesem Eide nur alsdann Statt, wenn der Gegentheil durch gewaltthätiges, oder betrügliches, oder äußerst nachlässiges, oder widerspenstiges Betragen dazu eine nähere Veranlassung gegeben hat.

§. 12.

Es findet daher dieser Eid alsdann Statt:

1) wenn eine Sache ihrem Eigenthümer gewaltsamer oder betrüglicher Weise entzogen worden ist, und ihm entweder gar nicht, oder nicht in demselben Zustande zurück gegeben werden kann.

2) Wenn jemand durch seine Nachlässigkeit verursacht, daß er eine bei ihm verwahrlich oder pfandweise niedergelegte Sache gar nicht, oder doch nicht so, wie er sie empfangen hat, zurück liefern kann.

3) Wenn jemand einem andern vorsätzlich oder schuldbarer Weise Schaden zugefügt hat.

4) Wenn jemand ein von ihm gefordertes Zeugniß abzulegen, Dokumente heraus zu geben, oder sonst richterlichen Befehlen und Erkenntnissen Folge zu leisten, beharrlich und widerrechtlich sich weigert, und daraus einem Andern ein Nachtheil erwachsen ist. (Allg. L. R. Th. I. Tit. VI. §. 92-97. §. 134. 137.138. Tit. IX. § 457. 459. Tit. XIV. § 26-32. Tit. XX. §. 192. Prozeßordn. Tit. X. §. 105. 185.)

Gegen wen er Statt finde.

§. 13.

So bald die obigen Erfordernisse dieses Eides (§. 10. 11. 12.) vorhanden sind, so ist derselbe ohne Rücksicht auf das besondere Verhältniß, in welchem etwa die Parteien unter einander stehen, zulässig. Es können daher auch Kinder wider ihre Eltern, Unterthanen wider ihre Obrigkeit, und Personen geringern Standes gegen höhere, dazu gelassen werden.


(492) Prozeßordn. Zwei u. zwanzigster Titel.

§. 14.

Auch gegen die Erben desjenigen, welcher einem Andern widerrechtlich Schaden zugefügt hat, in so fern dieselben überhaupt zum Schadensersatze verbunden sind, kann dieser Eid Statt finden.

§. 15.

Auch der Bürge haftet für den durch einen solchen Eid gegen den Hauptschuldner ausgemittelten Betrag. Doch darf er den Werth der besonderen Vorliebe nicht vertreten, wenn nicht die Bürgschaft auch darauf ausdrücklich mit gerichtet war.

§. 16.

Zur Ableistung des Juramenti in litem werden alle diejenigen gestattet, von welchen andere nothwendige Eide geleistet werden können. Es kann daher ein solcher Eid auch von Vormündern, ingleichen einem Erben des Beschädigten, geleistet werden. Wer zu einem nothwendigen Eide für unfähig erklärt worden ist, wird nur dann zum Juramento in litem gelassen, wenn sein Gegentheil sich eines Betrugs oder einer vorsätzlichen Beschädigung schuldig gemacht hat.

§. 17.

Eine Zurückschiebung des Juramenti in litem findet nicht Statt, auch kann, wenn einmal darauf erkannt worden ist, das Gewissen nicht mehr mit Beweise vertreten werden.

Verfahren, wenn auf diesen Eid gleich vom Anfange des Prozesses angetragen wird;

§. 18.

Wenn jemand gleich vom Anfange des Prozesses nach diesen Vorschriften sich zum Juramento in litem für berechtigt hält, so muß er die Thatsachen, worauf er sothane Behauptung gründet, so wie die Umstände, wodurch das nach seinem Antrage von ihm eidlich zu erhärtende Quantum, als der Sache gemäß, dargestellt werden soll, gleich bei Aufnehmung der Klage gehörig anzeigen. Alsdann muß die Frage sowohl wegen Zulässigkeit des Eides überhaupt, als


(493) Nothwendige Eide.

wegen Bestimmung des dadurch zu erhärtenden Quanti, im Instruktionstermine, so weit als deren Beurtheilung auf Thatsachen beruhet, untersucht und erörtert; nach geschlossener Instruktion das Nöthige darüber rechtlich ausgeführt, und sodann über beide Fragen erkannt; die Formel des Eides, wenn der Richter denselbigen zulässig findet, in dem Urtel festgesetzt; die Definitiventscheidung, auf den Fall des geleisteten und nicht geleisteten Eides, beigefügt; und der Termin zu dessen Abschwörung anberaumt werden.

§. 19.

Um eine jede unnütze Vervielfältigung der Prozesse nach Möglichkeit zu vermeiden, wird es der nähern Beurtheilung der Gerichte überlassen und empfohlen, wenn schon bei der Instruktion der Hauptsache mit Wahrscheinlichkeit erhellet, daß dem Kläger die eingeklagte Sache oder Handlung selbst nicht geleistet werden können; sondern es nur auf das ihm dafür zu vergütende Interesse ankommen dürfe, alsdann sogleich die Hauptinstruktion, so weit es ohne großen Aufenthalt geschehen kann, mit darauf zu richten: worin dieses Interesse bestehe, und wie viel solches betrage? damit, wenn der Beklagte zur Gebung oder Leistung der eingeklagten Sache oder Handlung verurtheilt wird, unter einem, auch wegen des allenfalls zu vergütenden Interesse, das Erforderliche festgesetzt werden könne.

w(e)nn es darauf erst bei der Exekution ankommt.

§. 20.

Hat aber dieß nicht geschehen können, und findet es sich also erst bei der Exekution, daß die Sache oder Handlung von dem Kläger nicht mehr geleistet werden, oder die rechtlichen Zwangsmittel ihn zu einer solchen Handlung nicht vermögen können; und will alsdann der Kläger zur eidlichen Erhärtung seines darunter obwaltenden Interesse zugelassen seyn: So muß er dieß sein Gesuch und Erbieten dem Richter besonders vortragen; ein gewisses Quantum,


(494) Prozeßordn. Zwei u. zwanzigster Titel.

welches er eidlich erhärten wolle, angeben; die Umstände, welche diese Bestimmung als der Billigkeit und Wahrheit gemäß darstellen, gehörig auseinander setzen; und selbige so weit, als es nach der Natur der Sache möglich ist, zugleich bescheinigen.

§. 21.

Der Richter muß auf dieses Gesuch einen Präjudicialtermin zur Instruktion der Sache anberaumen; den Beklagten über die Forderung des Klägers vernehmen; die dabei vorkommenden Umstände, welche auf die Bestimmungen des eidlich zu erhärtenden Quanti Beziehung haben, so weit es nach Beschaffenheit dieser Umstände in eben dem Termine geschehen kann, ordnungsmäßig erörtern, und sodann rechtlich darüber erkennen.

§. 22.

Ein solcher Termin kann nicht prorogiert, sondern es muß im selbigen mit der Instruktion vorgeschriebenermaaßen, allenfalls in contumatiam, verfahren werden.

§. 23.

Uebersteigt jedoch das geforderte Interesse die Summe von hundert Thalern, und hat der Kläger, zur Begründeung desselben, auf Thatsachen, welche einer weitläufigen Untersuchung und Erörterung bedürfen, sich bezogen; so muß mit Instruktion derselben Erkenntnisse nach der Vorschrift Tit. X. verfahren werden, und es sind gegen das darauf erfolgende Urtel die gewöhnlichen Rechtsmittel, wie in andern Sachen, zulässig.

§. 24.

Es versteht sich von selbst, daß in allen Fällen die Instruktion auch auf diejenigen Umstände mit gerichtet werden müsse, welche die richterliche Beurtheilung, in wie fern nur auf den gemeinen, oder auch auf den außerordentlichen Werth, oder gar auf den Werth der besondern Vorliebe, nach den


(495) Nothwendige Eide.

Gesetzen zu erkennen sey, bestimmen können. (Allg. L. R.Th. I. Tit. II. § 111-118.)

§. 25.

Ein höheres, als das im Erkenntnisse festgesetzte Quantum, darf nie beschworen werden; dagegen steht dem Schwörenden frei, den Eid auf eine geringere Summe zu richten; und er ist nur in den Eid zu nehmen schuldig: daß er den Werth der streitigen Sache, oder den Betrag des zugefügten Schadens, nach seiner Ueberzeugung auf so hoch, als derselbe bestimmt worden sey, wirklich schätze.

§. 26.

Wider ein abgeleistetes Juramentum in litem soll kein Beweis einer Verletzung oder eines begangenen Meineides zugelassen werden.

§. 27.

Ereignet sich nach abgeleistetem Eide der Fall, daß die Sache selbst zurück gegeben werden kann; so hat der Eigenthümer die Wahl: ob er dieselbe zurück nehmen wolle; in welchem Falle er den erhaltenen Werth, jedoch ohne Zinsen, wieder heraus geben muß.

III. Vom Manifestationseide.

§. 28.

III. Der Manifestationseid kann gefordert werden, wenn jemand einen Inbegriff von Sachen oder Rechten ganz, oder zu einem bestimmten Antheile (pars quota), anzeigen oder heraus geben soll, oder auch über den Betrag eines gewissen Gegenstandes Auskunft zu ertheilen verbunden ist.

§. 29.

Vornehmlich sind zur Ableistung dieses Eides verbunden:

1) diejenigen, welche fremde Güter verwaltet haben, z. B. Vormünder, Kuratoren, Administratoren (et)c., wenn die Richtigkeit der von ihnen übergebenen Verzeichnisse oder Rechnungen nicht ohne scheinbaren Grund in Zweifel gezogen wird.


(496) Prozeßordn. Zwei u. zwanzigster Titel.

2) Gesellschafter, welche einer gemeinschaftlichen Handlung oder anderen Unternehmungen vorgestanden haben. (Allg. L. R. Th. I. Tit. XVII. §. 219. u. f.)

3) Erben, die bei dem Ableben des Erblassers im Sterbehause sich befunden, oder auch nachher in den Besitz der Erbschaft gesetzt worden; wenn Miterben oder erbschaftliche Gläubiger darauf dringen, und entweder kein gerichtliches Inventarium vorgelegt werden kann, oder die Siegelung nicht zu rechter Zeit erfolgt ist. (A. L. R. Th. I. Tit. IX. §. 440. 441.)

4) Schuldner, bei denen kein Vermögen, in welches Exekution vollstreckt werden könnte, vorgefunden wird; oder die von dem Gläubiger, welcher Personalarrest gegen sie ausgebracht hat, Alimente fordern.

5) Ein Verbrecher, von welchem der Beschädigte die Angabe, wo die entwendete Sache hingekommen sey, verlangt.

6) Diejenigen, über deren Vermögen Konkurs eröffnet worden ist.

7) Die Ehegatten, die erwachsenen im Hause lebenden Kinder, und die Dienstboten eines solchen Gemeinschuldners.

8) Diejenigen, bei welchen auf eine Forderung Arrest angelegt worden, wenn deren Betrag ungewiß ist.

9) Diejenigen, welche Abzug oder Abschoß zu entrichten schuldig sind. (A. L. R. Th. II. Tit. XVII. §. 156.)

10) Diejenigen, welche bei einer Erbtheilung etwas einwerfen müssen.

11) Diejenigen, welche einen Schatz gefunden haben. (A. L. R. Th. I. Tit. IX. §. 89.)


(497) Nothwendige Eide.

§. 30.

Wenn von jemanden die Ableistung eines Manifestationseides gefordert wird, und er sich dessen weigert; so muß der, welcher darauf anträgt, in der Regel eine ordentliche Klage anstellen. Diese muß gehörig instruirt, über die Verbindlichkeit zur Ableistung des Eides ordentlich erkannt, die Formel desselben in dem Erkenntnisse bestimmt, und der Termin der Ableistung anberaumt werden.

§. 31.

Doch findet in den oben §. 29. Nr. 4. 5. 6. 7. bestimmten Fällen über die Schuldigkeit, den Manifestationseid zu leisten, kein Prozeß Statt; und wenn die Verbindlichkeit, Rechnung abzulegen, oder in Ermangelung eines gerichtlichen Inventarii eidliche Specifikation zu übergeben, feststehet; so bedarf es über die Frage: ob der Manifestationseid darüber gefordert werden könnte? keines Erkenntnisses.

§. 32.

Zur Ableistung eines Manifestationseides über Verzeichnisse und Rechnungen kann eher nicht geschritten werden, als bis dieselben dem Gegentheile vorgelegt, er mit seinen Ausstellungen darüber gehört, und der Grund oder Ungrund dieser Erinnerungen ausgemittelt worden. Erst wenn dieses geschehen ist, und der andere Theil es noch verlangt, muß der Manifestationseid geschworen werden.

§. 33.

Dieser Eid muß allemal das Versprechen enthalten, wenn sich in der Folge ergeben sollte, daß etwas außer Acht gelassen worden sey, davon noch getreulich Anzeige zu thun. Der Beweis eines Meineides findet also hier nur in so fern Statt, als etwas wissentlich verschwiegen worden ist.

§. 34.

Wenn jemand, welcher zur Ableistung eines Manifestationseides schuldig ist, sich dessen weigert; so


(498) Prozeßordn. Zwei u. zwanzigster Titel.

finden die Vorschriften des Vier und zwanzigsten Titels, wegen Vollstreckung eines Urtels, nach welchem jemand etwas thun soll, Anwendung.

§. 35.

Aus der eidlichen Bestärkung eines Verzeichnisses, oder einer Rechnung, worin ein Dritter als Schuldner aufgeführt worden ist, kann gegen diesen niemals ein Beweismittel der Schuld entnommen werden.

§. 36.

Eben so können diejenigen, die in einer solchen Specifikation oder Rechnung als Gläubiger aufgeführt sind, dadurch allein ihren Anspruch nicht begründen. Ist jedoch der Anspruch gegen den selbst, welcher den Manifestationseid geschworen hat, gerichtet; so muß er, wenn er demselben noch Einwendungen entgegen setzen will, zugleich einen bei der Aufnehmung des Verzeichnisses (et)c. vorgefallenen Irrthum nachweisen.

IV. Vom Juramento calumniae

§. 37.

IV. Das Juramentum calumniae hat zur Absicht, der Chikane einer oder der andern Partei, wodurch sie die Bemühungen des Richters in Ausmittelung der Wahrheit zu vereiteln, oder doch zu erschweren, und den Prozeß in die Länge zu ziehen sucht, Einhalt zu thun.

§. 38.

Dieser Eid kann also alsdann nur Statt finden, wenn ein auf wahrscheinlichen Gründen beruhender Verdacht sich äußert, daß eine Partei entweder mit ihrer Wissenschaft von einer gewissen Thatsache, oder mit Angabe der Mittel zur Entdeckung der Wahrheit, geflissentlich zurück halte; oder daß sie auf entfernteren, nicht anders, als mit großem Zeitverlust und Kosten herbei zu schaffenden Beweismitteln ohne Noth bestehe; oder daß sie bloß zum Verschleife der


(499) Nothwendige Eide.

Sache Verlängerungen der Fristen und Prorogationen der Termine nachsuche.

§. 39.

So bald dergleichen Verdacht, es sey vor oder in dem Instruktionstermine, in erster oder zweiter Instanz sich äußert, so ist der Richter befugt, der Partei zu dessen Ablehnung diesen Eid abzufordern; der Gegentheil aber ist (außer dem Tit. X. §. 99. bestimmten Falle) darauf anzutragen nicht berechtigt.

§. 40.

Der Deputirte des Gerichts muß zwar in solchen Fällen, wenn, seiner Meinung nach, ein dergleichen gegründeter Verdacht von Chikane sich hervor thut, der Partei die Ursachen dieses Verdachts vorhalten, und sie bedeuten, daß sie denselben durch Ableistung des Juramenti calumniae werde ablehnen müssen. Wenn aber die Partei dennoch auf ihrem vorigen Antrage oder Aeußerung beharret, und sich zur Ableistung des Eides nicht freiwillig versteht; so muß der Deputirte dem Kollegio die Gründe seines Verdachts gehörig anzeigen.

§. 41.

Diesem muß alsdann die Sache von dem ordentlichen Decernenten vorgetragen; und wenn dabei sich findet, daß die Partei der Chikane wirklich verdächtig sey, ihr der Eid durch eine Resolution, bei welcher es sodann schlechterdings sein Bewenden hat, auferlegt; auch in dieser Resolution zugleich die Formel nach Lage der Umstände festgesetzt, und der Effekt, wenn der Eid nicht geschworen würde, bestimmt werden.

§. 42.

Wenn nämlich die Partei den Eid nicht ableistet, so ist die Wirkung davon, nach Verschiedenheit der Veranlassungen, weshalb er gefordert wird, zu bestimmen. Es wird also z. B. der Umstand in facto, über welchen die Partei mit ihrer Wissenschaft und


(500) Prozessordn. Drei u. zwanzigster Titel.

Beweismitteln zurück hält, wenn sie ihn selbst angegeben hat, für nicht angebracht, wenn er aber von dem Gegentheile allegirt worden ist, für richtig und zugestanden angenommen; auf die vorgeschlagenen entfernten Beweismittel wird nicht weiter geachtet, die gesuchte Prorogation verweigert, und in contumatiam verfahren (et)c..

§. 43.

Dieser Zwischenpunkt muß jedoch die Instruktion der Hauptsache niemals aufhalten, sondern es muß damit während der Zeit, sowohl daß die Nothwendigkeit des Juramenti calumniae bei dem Kollegio erwogen, als die Abnahme von der etwa abwesenden Partei verfügt wird, ununterbrochen, soviel als möglich, fortgefahren werden.

§. 44.

Wenn der Eid abgeleistet worden ist, und sich im Verfolge der Untersuchung dennoch findet, daß die Partei wirklich chikanirt habe; so soll sie dafür alles Ernstes, auch dem Befinden nach, und bei einer offenbar vorsätzlich gemachten Chikane gleich jedem andern Meineidigen, bestraft werden.

§. 45.

Wegen des Verfahrens bei der Abnahme und Ableistung aller in dem gegenwärtigen Titel vorkommenden Eide, finden die wegen des Haupteides im zehnten Titel Abschn. V. ertheilten Vorschriften Anwendung.

Drei und zwanzigster Titel.

Von Kosten, Strafen, Schäden, Zinsen, Früchten und Abnutzungen.

§. 1.

Die Gerichte sollen bei Abfassung der Erkenntnisse zugleich das Erforderliche wegen der Kosten, Strafen,


(501) Kosten.

Zinsen, Schäden, Früchte und Abnützungen, die etwa eine Partei der anderen zu erstatten, oder sonst zu entrichten hat, jedesmal mit festsetzen.

Anh. §. 134. Sowohl das erste als das zweite Urtel kann, auch vor beschrittener Rechtskraft, in Ansehung des Kostenpunktes als ein Interimisticum angesehen werden, und die Einziehung der Kosten nach der darin enthaltenen Bestimmung gleich nach Publikation des Urtels geschehen. Hat jedoch die eine Partei das Armenrecht, oder genießt sie sonst die Gebührenfreiheit; so darf, vor rechtskräftiger Entscheidung des Kostenpunktes, von der die Gebühren entrichtenden Partei nur der sie treffende Antheil und dasjenige, was sie als Extrahent entrichten muß, eingezogen werden.

1. Kosten in erster Instanz.

§. 2.

1. Was zuvörderst die Kosten betrifft, so soll deren Kompensation in erster Instanz, der Regel nach, niemals Statt finden, sondern derjenige, welcher in der Hauptsache unterliegt, soll auch jedesmal dem Gegentheile die Kosten zu erstatten angehalten werden.

Wann die Kompensation derselben in erster Instanz Statt finde.

§. 3.

Die Kompensation der Kosten in erster Instanz soll also nur alsdann zulässig sein:

1) Wenn der Kläger mehr gefordert hat, als ihm gebührt und zuerkannt wird; oder wenn er die Sache oder Summe früher, oder an einem andern Orte, als wo sie ihm wirklich zukommt, verlangt hat. Wenn jedoch die Plus Petitio des Klägers nur eine Kleinigkeit betroffen hat, und die aufgelaufenen Kosten hauptsächlich nur dadurch, daß der Beklagte auch den wirklich rechtmäßigen Theil der Forderung nicht hat einräumen wollen, verursacht worden sind; so muß der Richter, bei dem Erkenntnisse wegen der Kosten, sich nach Vorschrift der folgenden

Nr. 2. achten.

2) Wenn eine Sache aus mehreren Punkten, aber aus Forderungen und Gegenforderungen besteht, und bei einigen derselben für den Kläger, bei anderen aber für den Beklagten erkannt wird. Doch muß


(502) Prozeßordn. Drei u. zwanzigster Titel.

hierbei ein billiges Verhältniß beobachtet werden; dergestalt, daß, wenn die Punkte, bei welchen der eine Theil obsiegt, nicht von sonderlichem Betrage, und ohne große Weitläufigkeit ins Licht gesetzt worden sind, diejenigen aber, bei welchen ein widriges Urtel gegen ihn ergeht, eine weitläufige und kostbare Instruktion verursacht haben, alsdann die Prozeßkosten von beiden Theilen nicht zur Hälfte, sondern in einem anderweitigen, von dem Richter nach vernünftigem und billigem Ermessen zu bestimmenden Verhältnisse getragen werden müssen.

3) Wenn die Thatsache, aus welcher jemand belangt wird, nicht sein eigenes, sondern das Faktum eines Dritten, z. B. des Erblassers, ist, und sich bei der Untersuchung findet, daß der Beklagte nicht eher, als bei eben dieser Untersuchung, sich von der Richtigkeit der Angaben des Klägers zu überzeugen, Gelegenheit gehabt habe. Ein Gleiches gilt auch von dem Falle, wenn der Kläger aus einer an sich richtigen Thatsache geklagt hat, und nur auf den Grund einer Einwendung abgewiesen wird, die auf Handlungen eines Dritten beruht; in so fern nämlich bei der Untersuchung sich ergeben hat, daß der Kläger von der Richtigkeit dieser von dem Beklagten angeführten fremden Thatsachen sich nicht füglich anders, als durch eben diese Untersuchung, hat überzeugen können.

4) Wenn bei der Instruktion der Sache der Grund oder Ungrund einer Thatsache nicht vollständig hat ausgemittelt werden können, und daher der Richter auf einen Erfüllungs- oder Reinigungseid erkannt hat. Auf den Fall, daß dieser Eid geleistet wird, müssen die Kosten gegen einander aufgehoben; dagegen aber derjenige in den Erlaß derselben verurtheilt werden, welcher dergleichen von ihm geforderten nothwendigen Eid nicht ableisten kann. Doch muß, auf erfolgte Ableistung eines nothwendigen Eides, der


(503) Kosten.

Gegentheil die Kosten ersetzen: a) wenn der Schwörende ein Kaufmann ist, der die Richtigkeit seiner Handlungsbücher eidlich bestärkt; b) wenn die Thatsache, über welche geschworen worden, so beschaffen ist, daß der Gegentheil von dem Grunde oder Ungrunde derselben aus eigener Wissenschaft hat unterrichtet sein können.

5) Wenn eine Rechtsfrage streitig gewesen ist, und zu deren Entscheidung ein Konklusum der Gesetzkommission hat eingeholt werden müssen; so soll dieses die Kompensation der Kosten nach sich ziehen. Hat jedoch diese Rechtsfrage nur einen von mehreren Punkten, oder nur einen Nebenumstand betroffen; so muß der Richter bei dem Erkenntnisse wegen der Kosten sich nach den Vorschriften Nr. 1. und 2. achten.

§. 4.

Das Erkenntniß auf Kompensation der Kosten hat die Wirkung, daß jeder Theil seine eigenen Kosten tragen muß, und einigen Erlaß derselben von dem andern weder ganz noch zum Theil verlangen kann. Wenn aber die Kosten nicht bloß kompensirt, sondern auf einen gewissen, im Verhälniß gegen das Ganze bestimmten Antheil (pars quota), z. B. Ein Viertel, Ein Drittel erkannt worden sind, so müssen die sämmtlichen Kosten zusammen gerechnet, und hiernach die Vertheilung gemacht werden.

Sollte sich bei dieser Berechnungsart finden, daß derjenige, welchem solchergestalt ein Erlaß geleistet werden soll, davon, weil z. B. der Gegentheil viele außergerichtliche Kosten gehabt hat, seinen Nutzen ziehen, sondern vielmehr noch Schaden leiden würde; so steht ihm frei, darauf anzutragen, daß entweder nur die eigentlichen Gerichtskosten, mit Weglassung der außergerichtlichen, oder auch nur die Instruktions- und Urtelsgebühren allein, mit Weglassung aller übrigen Kosten, zusammen gerechnet, und erkanntermaßen vertheilt werden.


(504) Prozeßordn. Drei u. zwanzigster Titel.

Anh. §. 135. Wenn beide Theile appellirt oder revidirt haben, so muß bei erkannter Kompensation der Kosten, in Rücksicht der Trans- und Remissionsgebühren für Versendung der Akten an die höhere Instanz, der Vorschuß jedem Theile zur Hälfte in Rechnung gesetzt werden. Hat nur Eine Partei appellirt oder revidirt, so ist diese als Extrahent zum Vorschuß verpflichtet; genießt dieselbe aber die Sportelfreiheit, so muß die Sache stempel- und portofrei abgesendet werden.

§. 5.

Wenn der obsiegende Theil dennoch Kosten erstatten muß.

Es giebt aber auch Fälle, wo derjenige, welcher zum Theil ein obsiegliches Urtel erhält, dennoch in den Kostenerlaß verurtheilt werden muß, nämlich:

1) Wenn der Beklagte gleich zu Anfange des Prozesses, und in der Antwort auf die Klage, von der Forderung des Klägers so viel eingeräumt hat, als diesem nachher in dem Urtel wirklich zuerkannt wird; der Kläger aber sich damit nicht begnügen, sondern den Prozeß wegen des mehr Geforderten fortsetzen wollen.

2) Wenn dem Kläger oder Beklagten bei dem Versuche der Sühne von dem Gegentheile, oder auch, mit dessen Beistimmung, von dem Deputirten des Gerichts gewisse Vergleichsbedingungen offerirt worden sind, er aber dieselben nicht hat annehmen wollen, und in dem nachherigen Urtel nur eben so, oder noch nachtheiliger für ihn erkannt wird; so muß er, unter den Tit. XІ. §. 14. näher bestimmten Umständen, dem Gegentheile die Kosten erstatten.

Kosten der Appellationsinstanz.

§. 6.

Die Kosten der Appellationsinstanz müssen, wenn das vorige Urtel durchgehends bestätigt wird, allemal dem Appellanten auferlegt werden. Wird aber das vorige Urtel in dem einen oder dem andern Stücke abgeändert, und geschieht dieses ohne neue Untersuchung; so sind die Kosten erster und zweiter Instanz zu kompensiren, dabei aber, wenn mehrere Punkte oder Forderungen verhandelt worden, die Vorschriften


(505) Kosten.

des §. 3. Nr. 2. zu beobachten. Ist die Appellation von einem Untergerichte eingekommen; und der zweite Richter findet, daß in erster Instanz eine solche Nullität begangen worden ist, daß, mit Aufhebung des vorigen Urtels, in erster Instanz nochmals erkannt werden muß (Tit. ΧVІ. §. 11.): so soll der Unterrichter allemal für schuldig erklärt werden, beiden Theilen die Kosten der ersten Instanz zu erstatten: wegen der Appellationskosten aber finden eben die Vorschriften, wie bei denen in erster Instanz, Anwendung.

§. 7.

Wird hingegen das erste Urtel in der Appellationsinstanz auf den Grund einer neuen Untersuchung abgeändert, so kommt es darauf an: ob der Appellant bei dieser Untersuchung die Schuld, daß die neuen Thatsachen oder Beweismittel nicht in erster Instanz angegeben und untersucht worden sind, von sich abgelehnt habe, oder nicht. Erstern Falls sind die Kosten beider Instanzen zu kompensiren; letzteren Falls muß der Appellant die Kosten der Appellationsinstanz des erhaltenen günstigern Urtels ungeachtet, tragen; und mit den Kosten erster Instanz ist es eben so zu halten, wie geschehen seyn würde, wenn diese Thatsachen und Beweismittel schon in dieser Instanz wären angebracht und aufgenommen worden.

§. 8.

Sollte sich auch bei dieser Untersuchung in der Appellationsinstanz ergeben, daß nicht nur die neuen Thatsachen oder Beweismittel in erster Instanz ohne Schuld des Appellanten zurück geblieben sind, sondern auch, daß der Appellat deren Beibringung auf irgend eine Art geflissentlich verhindert habe; so muß Letzterer die Kosten der Appellation allein tragen, und in Ansehung der ersten Instanz bleibt es bei den obigen allgemeinen Vorschriften.


(506) Prozeßordn. Drei u. zwanzigster Titel.

§. 9.

Hat in der zweiten Instanz der Appellant zwar auf seine Untersuchung angetragen; der Appellat aber zur Unterstützung des vorigen Urtels neue Thatsachen oder Beweismittel anzubringen nöthig gefunden (Tit. ΧVІ. §. 64.); und dieses Urtel wird zwar bestätigt; es ergiebt sich aber bei Abfassung des Appellationserkenntnisses, daß, wenn die neue Untersuchung nicht hinzu gekommen wäre, eine Abänderung zum Vortheile des Appellanten hätte erfolgen müssen: so sind die Kosten der Appellationsinstanz, der erfolgenden Bestätigung des ersten Urtels ungeachtet, zu kompensiren; oder auch von dem Appellaten allein zu tragen, wenn er die Schuld der unterbliebenen Verbringung dieser neuen Umstände bei der ersten Untersuchung nicht von sich hat ablehnen können. Mit den Kosten erster Instanz wird es alsdann eben so gehalten, wie §. 6. verordnet ist.

Kosten der dritten Instanz.

§. 10.

In der Revisionsinstanz muß bei erfolgender Bestätigung der vorigen Urtel der Revident allein sämmtliche Kosten tragen; welche hingegen kompensirt werden, wenn in dem Erkenntnisse eine Abänderung dieser Urtel enthalten ist. Bei mehreren in die dritte Instanz gediehenen Punkten muß jedoch die Vorschrift des §. 3. Nr. 2. beobachtet werden.

§. 11.

Ist die Appellations- und Revisionsinstanz von beiden Theilen ergriffen worden, so werden in der Regel die sämmtlichen Kosten gegen einander aufgehoben. Wird jedoch das vorige Urtel nur in Ansehung des einen Theils abgeändert, in Ansehung des Gegners aber bestätigt; so muß der Richter, nach Beschaffenheit der Umstände und vernünftigem Ermessen, der Vorschrift §. 3. Nr. 2. gemäß, Letzterem den Ersatz


(507) Kosten.

eines proportionirlichen Theils der Appellationskosten auflegen.

§. 12.

Wird ein erst in der Revisionsinstanz angebrachter neuer Umstand zur anderweitigen Untersuchung verwiesen, so muß diese Untersuchung in erster Instanz allemal auf Kosten desjenigen, der sich mit diesem Anbringen verspätet hat, erfolgen.

Kosten bei Nullitätsklagen.

§. 13.

Eben so ist es zu halten, wenn ein rechtskräftiges Urtel, nach Vorschrift des Tit. XVI. auf den Grund einer obwaltenden Nullität angefochten wird. Denn wenn auch diese Nullität ausgewiesen wird, so muß dennoch der Implorant allemal die Kosten der desfalls zu veranlassenden Untersuchung allein tragen; es wäre denn, daß der Implorat an der vorgefallenen Nullität, z. B. durch Verfälschung des Dokuments, Bestechung der Zeugen u. s. w., selbst Schuld hätte, als in welchem Falle derselbe dem Imploranten sämmtliche Kosten zu erstatten verbunden ist. Findet sich hingegen bei der Untersuchung, daß ein Dritter daran Ursache sei, z. B. welcher sich, ohne überhaupt mit Jurisdiktion versehen zu sein, des Richteramts angemaaßt; der sich fälschlich für den Bevollmächtigten des Imploranten ausgegeben; der Richter, der ohne hinlänglich bescheinigte Insinuation in contumaciam erkannt; der Gerichtsbediente, welcher von der Insinuation falsch berichtet hat u. s. w.: so hat es zwar dabei, daß der Implorant die Kosten der Untersuchung, ohne Theilnehmung des Imploraten, tragen müsse, sein Bewenden; der Richter aber muß in dergleichen Fällen von Amts wegen dafür sorgen, daß der Schuldige deshalb zur Verantwortung gezogen, und den Parteien allen Schaden, folglich auch dem Imploranten die Kosten der neuen Untersuchung, zu erstatten angehalten werde.


(508) Prozeßordn. Drei u. zwanzigster Titel.

Kosten bei Restitutionsgesuchen.

§. 14.

Bei dem Restitutionsgesuche wegen neu aufgefundener Dokumente oder Zeugen, muß der Provokant gleichergestalt allemal, und ohne Unterschied, wenn er auch restituirt wird, und ein besseres Urtel erhält, die Kosten der Untersuchung in erster Instanz tragen; es wäre denn, daß sich bei dieser Untersuchung ergeben hätte: was maaßen der Gegentheil auf die eine oder die andere Art vorsätzlich und thätig verhindert habe, daß die Urkunden nicht früher zur Wissenschaft des Provokanten gelangt sind; in welchem Falle er demselben die Kosten der Untersuchung zu erstatten schuldig ist.

§. 15.

Bei der Restitution, die von einem gewesenen Minderjährigen, oder einer andern, die Rechte der Minderjährigen habenden Partei, wegen erlittener Läsion gesucht wird, soll die Entscheidung der Frage: wer die Kosten zu tragen habe, von der Entscheidung der Hauptsache abhängen.

§. 16.

In allen Fällen, wo gegen ein rechtskräftiges Urtel eine Nullität ausgeführt, oder Restitution gesucht und erhalten wird, muß darüber: wer die Kosten des vorigen Prozesses zu tragen habe? in dem neuen Haupturtel, nach obigen Vorschriften, besonders mit erkannt, und vorzüglich darauf Rücksicht genommen werden: in wie fern der eine oder der andere Theil daran, daß die vorigen Urtel null gewesen, oder dem Imploranten dadurch eine Läsion zugefügt worden sei, mehr oder weniger Schuld gehabt habe.

Kosten bei Litisdenunciationen.

§. 17.

Wenn, bei einer Litisdenunciation, der Litisdenunciat seine Verbindlichkeit, den Denuncianten zu vertreten, anerkennt; so muß er demselben allemal die Kosten, sowohl der Litisdenunciation als des Hauptprozesses, erstatten; in so fern nicht der


(509) Kosten.

Gegentheil in letztere verurtheilt worden ist. (Allg. L. R. Th. I. Tit. XI. §. 156.) Wenn jedoch der Denuntiant den Prozeß oder die Remedia gegen den Willen des Denuncianten fortgesetzt hat, so kann er für die dadurch verursachten Kosten von dem Denuncianten keinen Ersatz fordern.

Wenn der Litisdenunciant seine Vertretungsverbindlichkeit nicht anerkennt, so muß zwar der Litisdenunciant ihm die Kosten der Denunciation vor der Hand ersetzen. Es steht aber demselben frei, seine demnächst anzustellende Regreßklage auf die Vergütung sowohl dieser, als der Kosten des Hauptprozeßes mit zu richten. Hat der Litisdenunciat in dem Hauptprozesse ein obsiegliches Urtel erhalten, so kann er unter den Kosten, die ihm der Gegentheil ersetzen muß, auch diejenigen fordern, welche durch die Litisdenunciation verursacht worden sind.

Bei der Intervention.

§. 18.

Bei der Principalintervention finden zwischen dem Intervenienten, und den sämmtlichen Interventen, in Ansehung der Kosten eben die Vorschriften Statt, wie in jedem andern Prozesse.

Bei der Interventione accessoria kann der Intervenient von derjenigen Partei, zu deren Besten er sich freiwillig gemeldet hat, niemals einen Kostenersatz fordern. In wie fern ihm aber der Gegentheil Kosten vergüten müsse, ist nach eben den Regeln, wie unter den Hauptparteien, zu bestimmen. Nach eben diesen Regeln ist auch festzusetzen: in wie fern in dem Falle, da der Litisdenunciat seine Vertretungsverbindlichkeit anerkannt hat, mithin nach §. 17. dem Denuncianten die Kosten der Litisdenunciation erstatten muß, er diese Kosten von dem Gegentheile zurück fordern könne.

Bei der Nomination.

§. 19.

Bei der Nomination muß der Kläger dem Nominanten die Kosten erstatten; in wie fern er sich


(510) Prozeßordn. Drei u. zwanzigster Titel.

aber deshalb an den Nominaten halten könne, ist von dem Richter, je nachdem sein Irrthum in der Person des eigentlich Beklagten verschuldet oder unverschuldet war, zu bestimmen. Hat der Nominant selbst den Kläger zu einem solchen Irrthume verleitet, so muß er demselben die Kosten des Nominationsprozesses ersetzen.

Bei Litisdenunciationen.

§. 20.

Wenn jemand im Fortgange der Sache dem Prozesse entsagt, so ist er dem Gegentheile die bis dahin aufgelaufenen Kosten zu erstatten schuldig; außer, wenn die §. 3. Nr. 3. bestimmten Umstände vorwalten.

Gleiche Bewandtniß hat es, wenn jemand der ergriffenen Appellation oder Revision entsagt; denn alsdann muß er dem Gegner die in dieser Instanz etwa schon gehabten Kosten erstatten; wegen der Kosten der vorigen Instanz aber hat es bei dem diesfälligen Urtel sein Bewenden.

Bei Vergleichen.

§. 21.

Wird eine Sache durch Vergleich abgethan, und es ist darin wegen der Kosten nichts Ausdrückliches festgesetzt worden; so soll angenommen werden, daß die Parteien sich deren Kompensation haben gefallen lassen. Inzwischen soll diese Vorschrift die Deputirten und Instruenten nicht berechtigen, bei dem Vorschlage und der Abschließung der Vergleiche den Kostenpunkt geflissentlich zu übergehen.

Anh. §. 136. Wenn eine Partei zum Armenrechte zugelassen, die Tragung der Kosten aber von dem der vermögenden Partei auferlegten nothwendigen Eide abhängig geworden ist, und letztere den Eid nicht ableistet, sondern sich mit der armen Partei vor der Ableistung vergleicht; so werden der vermögenden Partei die Gebühren für die von Amts wegen erlassenen Verfügungen, folglich auch die Instruktions- und Urtelsgebühren, zur Hälfte, und diejenigen, wobei der Vermögende Extrahent war, ganz auferlegt.


(511) Kosten.

Wenn der Kostenpunkt übergangen worden ist.

§. 22.

Wenn der Kostenpunkt in einem Urtel gänzlich übergangen worden ist, und in der Hauptsache kein Remedium eingewendet wird, so muß darüber nach Vorschrift Tit. XIV. §. 1. Deklaration gesucht werden. In wie fern gegn die ertheilte Deklaration ein Rechtsmittel Statt finde, ist nach §. 5. Nr. 2. ebendas. zu beurtheilen.

Absonderung der Kosten der Hauptsache von Nebenpunkten.

§. 23.

In allen und jeden vorstehenden Fällen müssen jedoch die Kosten der Hauptsache von denjenigen, welche wegen gewisser bei dieser Gelegenheit mit vorgekommener Nebenumstände erwachsen sind, sorgfältig unterschieden werden. Wenn also

1) ein Beklagter entweder im Termine ungehorsam ausgeblieben ist, oder gar in contumaciam wider sich hat erkennen lassen; so muß er jedesmal die Kontumacialkosten, mit Inbegriff der Terminskosten, selbst tragen, wenn er auch demnächst restituirt würde, und in der Hauptsache ein vortheilhaftes Urtel davon trüge. Wird durch einen Kontumacialbescheid der Kläger abgewiesen, so muß derselbe alle, auch die Kontumacialkosten, allein tragen.

2) Wenn eine Partei die Verlegung eines Termins zu spät nachgesucht hat, dergestalt, daß selbige dem Gegentheile nicht zeitig genug hat bekannt gemacht werden können, und demselben dadurch Kosten verursacht worden sind; so muß sie diese Kosten dem Gegentheile jedesmal, und ohne Unterschied der Fälle: ob dieß Prorogationsgesuch gegründet gewesen, oder nicht, und ob in der Hauptsache ein vortheilhaftes oder widriges Urtel erfolgt, dennoch erstatten.

3) Wenn eine Partei auf der Untersuchung eines Umstandes, den der Instruent und die Assistenten für unerheblich achten, besteht, und diese


(512) Prozeßordn. Drei u. zwanzigster Titel.

Untersuchung auf ihr Andringen wirklich veranlaßt wird; bei Abfassung des Erkenntnisses aber sich ergiebt, daß der Umstand in der That unerheblich sey: so muß eine solche Partei dem Gegentheile die durch sothane Untersuchung ihm verursachten Kosten, ohne Unterschied dessen, was sonst in der Hauptsache erkannt wird, ersetzen.

4) Wenn eine Partei über eine und eben dieselbe Thatsache mehr als drei Zeugen in Vorschlag bringt, und auf der Abhörung aller Zeugen besteht; in der Folge aber sich ergiebt, daß die Abhörung so vieler Zeugen wirklich überflüssig gewesen sey: so kann sie, wenn auch der Gegentheil in die Kosten verurtheilt worden ist, dennoch nur in Ansehung dreier Zeugen den Erlaß der Abhörungskosten fordern. In Injuriensachen soll allemal die Abhörung der mehreren Zeugen über drei, welche von eben derselben Thatsache aussagen sollen, auf Kosten des Producenten, welcher darauf besteht, erfolgen.

5) Bei allen sogenannten Incidentpunkten, z. B. wenn wegen eines Dokuments die Vergleichung der Handschriften veranlaßt werden muß, wenn ein Zeuge als verdächtig angefochten, und die causa recusationis besonders untersucht worden u. s. w., muß derjenige, von welchem sich bei der Abfassung des Haupterkenntnisses findet, daß er ohne rechtlichen Grund dergleichen Untersuchung veranlaßt habe, z. B. der, welcher gegen die Glaubwürdigkeit eines Zeugen unrichtige und ungegründete Einwendungen macht; oder der einen untauglichen Zeugen wissentlich vorschlägt, und die demselben entgegen gesetzten Ausstellungen ohne Grund läugnet, in die dadurch verursachten Kosten verurtheilt werden.


(513) Kosten.

§. 24.

Sollte schließlich der Richter bei Beurtheilung der Kosten finden, daß eine Partei, welche in dem angestandenen Instruktionstermine persönlich erscheinen sollen, unter Anführung offenbar unerheblicher oder gar nicht bescheinigter Ehehaften außen geblieben sey, und dadurch mehrere Kosten, als sonst bei ihrer persönlichen Anwesenheit erforderlich gewesen wären, aufgelaufen sind; so müssen diese Kosten von den übrigen abgesondert, und von dem Ausbleibenden in jedem Falle allein getragen werden.

Verschiedene Arten der Kosten.

§. 25.

Unter die Kosten, von welchen in gegenwärtigem Titel die Rede ist, werden gerechnet:

1. Die sämmtlichen Gebühren des Gerichts, und der den Parteien von dem Gerichte zugeordneten Beistände.

2. Die Gebühren auswärtiger Kommissarien oder Gerichte, für gewisse von denselben auf Befehl oder Requisition des den Prozeß dirigirenden Richters vorgenommene Handlungen.

3. Die bei dem Gerichte, oder den Assistenten, vorgefallenen baaren Auslagen.

4. Die den abgehörten Zeugen zugekommenen Reise- und Zehrungskosten.

5. Die Kosten, welche eine Partei auf die Korrespondenz mit ihrem Assistenten, und auf die Herbeischaffung der nöthigen Nachrichten oder Urkunden, außergerichtlich hat verwenden müssen. Hierunter sollen jedoch die einem unbefugten Konsulenten gegebene Belohnung, oder die Gebühren für ein von einer Fakultät oder andern Rechtsgelehrten eingeholtes Responsum oder Gutachten, keinesweges mit begriffen seyn.

6. Die Reise- und Zehrungskosten der Partei selbst, wenn sie von auswärtsher bei der


(514) Prozeßordn. Drei u. zwanzigster Titel.

Instruktion der Sache auf richterliche Vorladung persönlich erschienen ist.

7. Die Reise- und Zehrungskosten der nach Tit. III. zulässigen Bevollmächtigten, welche keine Justizkommissarien sind.

8. Die Reise- und Zehrungskosten der etwa noch außerdem zur gerichtlichen Verhandlung einer Sache nach den Gesetzen nothwendigen Beistände, z. B. der Geschlechtsvormünder. Endlich

9. Die Gebühren und Auslagen der Justizkommissarien, deren sich die Parteien als ihrer Bevollmächtigten oder Rathgeber bedient haben.

a) Wenn an Orten, wo keine Justizkommissarien wohnen, eine Partei einen auswärtigen Justizkommissarius mitbringt, so kann sie für denselben, außer den Gebühren, auch die Reise- und Zehrungskosten liquidiren; sie kann aber alsdann für sich selbst keine Reisekosten fordern.

b) Wenn eine am persönlichen Erscheinen aus legalen Ursachen verhinderte Partei einen solchen auswärtigen Justizkommissarius, als ihren Bevollmächtigten, an einen Ort, wo keine Justizkommissarien wohnen, abordnet, so müssen demselben ebenfalls Reise- und Zehrungskosten zugebilligt werden. Doch bleibt es in beiden Fällen (a und b) richterlichem Ermessen vorbehalten, wenn eine solche Partei ohne Noth einen entlegenen Justizkommissarius gewählt hatte, da sie doch ein gehörig qualificirtes Subject in mehrerer Nähe hätte finden können, die Reise- und Zehrungskosten dieses Bevollmächtigten oder Beistandes, in so fern der Gegentheil dieselben ersetzen soll, nur nach Verhältniß dieser mehrern Nähe zu bestimmen.

c) Wenn eine Partei, die mit einem selbst gewählten, oder ihr zugeordneten Assistenten schon versehen ist, außer demselben noch einen Rechtsbeistand mitbringt; so kann sie für


(515) Kosten.

denselben weder Gebühren noch Reise- oder Zehrungskosten ansetzen. In wie fern aber in dem Falle, wenn eine Partei, nach der ihr dazu Tit. III. gegebenen Erlaubniß, außer dem Rechts-, auch einen Sachverständigen mitgebracht hat, sie für diesen Erlaß von Gebühren und anderen Kosten fordern können, bleibt, nach Maaßgabe der aus den Verhandlungen sich ergebenden mehrern oder mindern Nothwendigkeit oder Nützlichkeit eines solchen Assistenten, richterlicher Beurtheilung vorbehalten.

10. Wenn Parteien als Minderjährige, oder sonst, unter Vormundschaft stehen; so können sie von dem Gegentheile nur den Erlaß solcher Kosten fordern, welche die obervormundschaftliche Approbation zur Anstellung der Klage, oder zur Beantwortung derselben, verursacht hat.

Anh. §. 137. Ein Justizkommissarius kann in seiner eigenen Sache so wenig, als eine andere Partei, Informations- und Instruktionsgebühren, sondern allenfalls nur Versäumnißkosten und außerdem die baaren Auslagen nebst dem Honorario für schriftliche Aufsätze und Ausarbeitungen fordern.

Dieses findet auch für den Fall Anwendung, wenn ein Justizkommissarius als Vormund einen Prozeß geführt hat.

Anh. §. 138. Wenn eine Partei sich anderer Rechtsverständigen, welche nicht Justizkommissarien sind, bedient; so können diese nur diejenigen Kosten liquidiren, welche die den Prozeß persönlich betreibende Partei zu verlangen berechtigt ist.

Anh. §. 139. Wenn Parteien von geringem Stande in ihren Injuriensachen zu ihrer Bequemlichkeit Bevollmächtigte bestellen; so ist der Gegner die Gebühren dafür zu erstatten nicht schuldig.

Verfahren bei Liquidirung und Festsetzung der Kosten

§. 26.

Alle vorstehend benannte Kosten müssen die Parteien bei dem Schlusse jeder Instanz ordentlich specificiren; auch, in Ansehung der unter Nr. 5. bemerkten außergerichtlichen Aufwendungen, die etwa darüber in Händen habenden Beläge beifügen; damit


(516) Prozeßordn. Drei u. zwanzigster Titel.

die Specifikation dem Gegentheile vorgelegt, und er darüber; besonders über die liquidirten außergerichtlichen Kosten, vernommen werden könne.

§. 27.

Bei Abfassung des Erkenntnisses muß der Richter zugleich diese Kostenspecifikation näher prüfen; die Gebühren unter Nr. 1. 2. 3. 4. lediglich nach den Akten und der vorgeschriebenen Sporteltaxe festsetzen; die Reise- und Zehrungskosten in Ansehung des Quanti nach dem Stande der Person, der Entfernung des Orts, und den dieserhalb in der Sporteltaxe ebenfalls abgemessenen Sätzen bestimmen; zugleich aber aus den Akten beurtheilen: ob die auswärtige Partei sich wirklich des Prozesses halber so viele Zeit hindurch, als angegeben wird, am Orte des Gerichts habe aufhalten müssen. Findet sich, daß eine Partei während ihres Aufenthalts am Sitze des Gerichts mehr als Eine Rechtssache betrieben habe, so müssen die Reise- und Zehrungskosten auf sämmtliche Sachen, mit Rücksicht auf die Zeit, welche zu dem Betriebe einer jeden derselben erforderlich gewesen ist, in einem billigen Verhältnisse eingetheilt werden.

Bei den anderen außergerichtlichen Kosten muß der Richter untersuchen: ob selbige nach Maaßgabe der Manualakten der Assistenten, oder der beigebrachten Beläge, wirklich verwendet worden; und ob deren Aufwendung zum Betrieb der Sache nothwendig oder nützlich gewesen; oder ob wenigstens die Partei nicht ganz unerhebliche Ursachen, sie dafür anzusehen, gehabt habe.

Nach diesen Grundsätzen muß er dem Haupterkenntnisse bei dem Punkte der Kosten auch deren Festsetzung beifügen.

§. 28.

Hat eine Partei diese Kostenspecifikation am Schlusse der Instanz nicht übergeben, so muß ihr


(517) Kosten.

deren Nachbringung innerhalb einer gewissen Frist in dem Urtel abgefordert; sodann dieselbe dem Gegentheile, zur Erklärung darüber, innerhalb einer gleichmäßig bestimmten Frist, kommunicirt; nach Ablauf dieser Frist aber, die Erklärung mag eingekommen seyn, oder nicht, die Festsetzung durch ein bloßes Dekret von Amts wegen veranlaßt werden.

Hat die Partei sothane Specifikation in dem bestimmten Zeitraume nicht beigebracht, so muß der Richter die Gerichtskosten nach den Akten festsetzen; der außergerichtlichen aber wird die Partei dieser Saumseligkeit wegen verlustig.

Von einem der Kosten wegen ergangenen Festsetzungsdekrete findet übrigens keine Appellation, sondern nur der Weg einer bloßen Beschwerde bei der vorgesetzten Behörde Statt.

Von den Kosten bei mehreren Litiskonsorten.

§. 29.

Sind mehrere Listiskonsorten in den Kostenersatz verurtheilt worden, so ist zwar ein jeder derselben hauptsächlich nur für seinen Theil verhaftet; wenn aber einer oder der andere von ihnen seinen Antheil nicht bezahlen könnte, so kann die obsiegende Partei sich dieserhalb an seine Mitgenossen halten. Jedoch ist sie hierzu nur alsdann berechtigt, wenn sie innerhalb vier Wochen nach dem Dato der richterlichen Festsetzung die Exekution der Kosten halber gehörig nachgesucht, und sich dabei das Unvermögen eines solchen Mitgenossen gefunden hat. Uebrigens gilt die hier festgesetzte Verbindlichkeit der Litiskonsorten, wegen der dem Gegentheil in subsidium zu vertretenden Kosten, auch in Ansehung derjenigen, welche der Richter zu fordern hat.

Hat einer von mehreren Litiskonsorten, ohne Zuthun der anderen, gewisse Kosten verursacht; so fallen ihm dieselben allein zur Last. Wenn daher wider ein Erkenntniß erster oder zweiter Instanz nur Einer von mehreren Klägern oder Beklagten appellirt oder


(518) Prozeßordn. Drei u. zwanzigster Titel.

revidirt hat, und das vorige Urtel wird bestätigt; so hat der Appellant oder Revident die Kosten allein zu tragen. Dagegen müssen aber auch die übrigen Interessenten für ihren Antheil konkurriren, wenn ein besseres Urtel erfolgt, und sie verlangen, daß ihnen selbiges ebenfalls zu Statten kommen solle.

Wenn mehrere Litiskonsorten in der ersten Instanz ein obsiegliches Urtel erhalten, der Gegentheil aber davon appellirt, und während der Instruktion der Appellationsinstanz einige der Litiskonsorten gänzlich aus der Sache scheiden; so müssen dieselben dennoch zu allen bis zu dem Zeipunkte ihrer Abtretung aufgelaufenen Kosten beitragen.

Vom Armenrechte.

§. 30.

Es pflegen sehr oft prozeßführende Parteien, um von den Kosten befreit zu werden, ihr Unvermögen zur Bezahlung derselben vorzuschützen, und auf ihre Zulassung zum Armenrechte anzutragen. Mit Verstattung dieses Armenrechts soll es folgendermaaßen gehalten werden.

§. 31.

Auf das Armenrecht kann nur derjenige Anspruch machen, welcher weder an liegenden Gründen, noch fahrender Haabe, noch ausstehenden Schulden so viel besitzt, noch auch in seinem Amte, Profession, oder Gewerbe so viel verdienen kann, daß ihm, nach Abzug des nothdürftigen Unterhalts für sich und die Seinigen, noch etwas zur Bestreitung der Prozeßkosten, nach einem ungefähren Ueberschlage derselben, frei bleibt.

§. 32.

Wer also sich des Armenrechts bedienen will, muß,

1) daß er sich in den vorbeschriebenen Umständen wirklich befinde, durch Atteste, welche entweder von seiner ordentlichen Gerichtsobrigkeit aus eigener Wissenschaft, oder nach vorhergängiger


(519) Kosten.

Vernehmung derjenigen, welche von seinen Vermögensumständen Kenntniß haben können; oder auch von dergleichen anderen, dem Richter bekannten glaubwürdigen Personen, z. B. dem Prediger des Orts, ausgestellt sind, bescheinigen. Er muß

2) über seine häuslichen und Vermögensumstände, z. B. ob er verheirathet, wie viel Kinder er habe? wie viel derselben noch unerzogen, und unversorgt sind? wie viel sein Amt, oder seine Bedienung, oder sein Gewerbe ihm ungefähr einbringe? u. s. w., näher zum Protokolle vernommen werden.

§. 33.

Dieß Protokoll muß in dem Kollegio ordentlich zum Vortrage kommen; und letzteres muß nach dem Inhalte desselben näher beurtheilen: ob der Provokant nach den angegebenen und bescheinigten Umständen zum Armenrechte qualificirt sey; dergestalt, daß ihm entweder sämmtliche Kosten, oder doch die Gerichtsgebühren, mit Vorbehalt der baaren Auslagen, zu erlassen sind.

§. 34.

Findet das Kollegium bei gedachtem Vortrage, daß der Provokant entweder ganz, oder zum Theil, mit den Kosten verschont werden müsse, und die Umstände, worauf dieser Befund sich gründet, sind hinlänglich bescheinigt; so bedarf es nicht erst der Ableistung des Armeneides. Ist aber wegen der Richtigkeit dieser Umstände noch ein Bedenken übrig, so muß der Provokant schwören:

Daß er weder an liegender und fahrender Haabe oder ausstehenden Schulden so viel besitze, noch in seinem Amte, Profession, oder Gewerbe so viel verdienen könne, daß ihm, nach Bestreitung des nothdürftigen Unterhalts für sich und diejenigen, die er nach den Gesetzen zu ernähren


(520) Prozeßordn. Drei u. zwanzigster Titel.

schuldig ist, noch etwas zur Bezahlung der Prozeßkosten (oder, mutatis mutandis, der Gerichtsgebühren u. s. w.) übrig bleibe;

daß er, um Leistung dieses Eides willen, daß (!) Seinige nicht verborgen, veräußert, oder sonst gefährlicher Weise verbracht habe;

und daß er, wenn er künftig einmal zu besserm Vermögen gelangen sollte, die jetzt auflaufenden Prozeßkosten, so weit ihm selbige sonst zur Last fallen, ehrlich nachzahlen wolle.

§. 35.

Wenn sich jemand solchergestalt zum Armenrechte qualificirt, so können ihm von der Zeit an, wo er sich dazu erboten hat, keine Kosten weiter für seinen Theil abgefordert werden. Die Zurückgabe der bereits entrichteten aber kann er nicht verlangen; doch sind ihm diejenigen, womit er etwa noch im Rückstande ist, zu erlassen: in so fern sich nämlich bei der §. 32. vorgeschriebenen Vernehmung gefunden hat, daß er schon damals zum Armenrechte qualificirt gewesen sey, und nur aus Unwissenheit oder Einfalt, sich darum geziemend zu melden, unterlassen habe. Wenn eine Partei erst nach völlig geendigter Sache das Armenrecht nachsucht, so kann sie damit nur in so fern gehört werden, als schon während des Prozesses die Kosten auf ihr Ansuchen gestundet worden sind.

Anh. §. 140. Jedoch darf eine Partei auch in dem am Schlusse dieses Paragraphen erwähnten Falle nach dem fruchtlosen Versuche anderer Exekutionsmittel nicht zum persönlichen Arrest gebracht, sondern es müssen, falls sich bei der Exekution das Unvermögen derselben ergiebt, die rückständigen Gebühren niedergeschlagen werden.

§. 36.

Die Zulassung der einen Partei zum Armenrechte soll der andern auf keinerlei Art und Weise lästig fallen, und kein Richter soll sich beigehen lassen, die Kosten, welche der Arme zu entrichten hätte, es sey unter welchem Vorwande es wolle, dem Gegentheile anzurechnen.


(521) Kosten.

Es müssen daher,

1) bei den Dekreten und Expeditionsgebühren, dem vermögenden Theile nur von denjenigen, die auf sein Ansuchen ergehen, die ganzen; von denjenigen, die der Richter von Amts wegen erläßt, bloß die halben; und von denjenigen, welche die arme Partei nachgesucht hat, gar keine Kosten angesetzt werden.

2) Eben so ist von den Instruktions- und Urtelsgebühren, ingleichen von den etwanigen Assistenz- und Inrotulationsgebühren, der vermögenden Partei nur so viel auf ihre Rechnung zu setzen, als ihr vermöge des über den Kostenpunkt ergangenen Urtels wirklich zu Last fällt. Folglich können, wenn die arme Partei allein in die Kosten kondemnirt wird, dem vermögenden Theile gar keine Instruktions- und Urtelsgebühren zur Last gelegt werden. Erfolgt in den ferneren Instanzen ein abänderndes Urtel, nach welchem diese Gebühren von dem Vermögenden ganz oder zum Theil zu tragen sind; so können dieselben von dem Richter nachliquidirt werden.

3) Wenn jemand einen Armen, wegen einer Forderung, zu deren Erhaltung er, bei dem Unvermögen seines Schuldners, keine wahrscheinliche Hoffnung haben kann, dennoch rechtlich belangt, und auch nach ausgewiesenem Unvermögen des Beklagten den Prozeß fortsetzt; so kann sich derselbe nicht entbrechen, seinen Theil des (!) Urtels- und Instruktionsgebühren, selbst alsdann, wenn der Arme in die Kosten verurtheilt wird, mit Vorbehalt des Regresses an denselben, dem Richter abzuführen.

4) Das Stempelpapier zu den von der Armenpartei nachgesuchten, oder von Amts wegen erlassenen Verfügungen, ingleichen dasjenige, was zu den Protokollen gebraucht werden soll, muß bis zur Abfassung des Urtels ausgesetzt bleiben; alsdann aber, wenn der Vermögende ganz oder zum Theil in die


(522) Prozeßordn. Drei u. zwanzigster Titel.

Kosten kondemnirt wird, in eben diesem Verhältnisse zu den Akten nachgebracht werden.

5) In Fällen, da selbst der obliegende Theil gewisse Kosten tragen muß, bleiben dieselben der dazu verpflichteten vermögenden Partei, auch wenn in der Hauptsache der Arme in die Kosten verurtheilt worden ist, wie sich von selbst versteht, zur Last.

6) Wenn andere unvermeidliche baare Auslagen, z. B. Portogebühren ausländischer Gerichte (et)c., vorkommen; so muß die arme Partei, des erhaltenen Armenrechts ungeachtet, ihren Antheil daran herbei schaffen. Wenn aber derselbe von ihr gleichwohl nicht zu erhalten stünde, so soll er dennoch dem Vermögenden nicht aufgebürdet, sondern allenfalls aus der Salarienkasse des Gerichts vorgeschossen werden.

Anh. §. 141. Gleichergestalt wird es mit den baaren Auslagen der Justizkommissarien in Armensachen gehalten.

Anh. §. 142. Wegen Sicherstellung und Kontrollirung des reservirten Porto’s in Armensachen werden die Gerichte auf das Reglement vom 9. April 1804 verwiesen.

§. 37.

Wenn ein Armer in die Kosten verurtheilt wird, und sich aus den Akten ergiebt, daß ihm der Ungrund seiner Klage oder Weigerung gleich bei der ersten Auseinandersetzung der Sache gebührend vorgehalten worden ist, er aber dennoch auf die Fortsetzung des Prozesses gedrungen hat; so soll die daraus sich ergebende Prozeßsucht mit Gefängniß oder Strafarbeit, von vier und zwanzig Stunden bis zu vierzehn Tagen, an ihm geahndet werden.

§. 38.

Wenn unter mehreren Litiskonsorten einer das Armenrecht erhalten hat, so können die übrigen davon keinen Vortheil ziehen. Doch sollen ihnen auch nicht mehrere Kosten aufgebürdet werden, als sie zu tragen haben würden, wenn der Arme an dem Prozesse gar keinen Antheil nähme. Es werden also


(523) Kosten.

zwar den zum Armenrechte nicht qualificirten Mitinteressenten die Gebühren in der Regel für voll angesetzt; wenn aber Gebühren vorkommen, auf deren Bestimmung die Personenzahl Einfluß hat, so wird der Antheil des Armen übergangen; und wenn ein Objekt, das außerdem nur zu einer niedrigern Kolonne der Sporteltaxe gehören würde, bloß durch die Theilnehmung des Armen in eine höhere Kolonne hinauf treten würde; so werden die Gebühren für denjenigen Theil, zu welchem der Arme gehört, nur nach der niedrigern Kolonne angesetzt.

§. 39.

Das erhaltene Armenrecht soll die Partei, welche dazu gestattet worden ist, von dem Ersatze der Kosten an den Gegentheil, in Fällen, wo ihr selbiger nach den obigen Vorschriften obliegt, keinesweges befreien; sondern es muß auf Instanz sothanen Gegentheils, wegen exekutivischer Beitreibung erwähnter Kosten, das Erforderliche jedesmal verfügt, und allenfalls eine solche Partei zur Abarbeitung derselben, nach Vorschrift der Exekutionsordnung, angehalten werden.

§. 40.

Wenn auch eine solche Partei durch den Prozeß, oder durch einen darüber geschlossenen Vergleich, etwas über den Betrag oder Werth von funfzig Thalern gewonnen hat; so soll dieselbe angehalten werden, von diesem Ueberschusse, so weit er erforderlich oder hinreichend ist, die bisher nachgelassenen Kosten ganz oder zum Theil zu berichtigen. Vornehmlich aber müssen, wenn die Partei in dem Prozesse mehr als hundert Thaler erstritten hat, die von ihrer Seite erforderlich gewesenen Stempel allemal nachgebracht werden. Wie denn auch eine Partei, welche das Armenrecht genossen hat, wenn sie nach der Zeit zu bessern Vermögensumständen gelangte, ihrer übernommenen Verbindlichkeit gemäß, die Kosten


(524) Prozeßordn. Drei u. zwanzigster Titel.

nachzahlen, und allenfalls durch Exekution dazu angehalten werden muß. Diese Verbindlichkeit muß einer Partei, welche den Armeneid nach §. 34. nicht wirklich abgeleistet hat, am Ende des Prozesses ausdrücklich bekannt gemacht, und das Angelöbniß, derselben nachkommen zu wollen, von ihr zum Protokoll geleistet werden.

§. 41.

Wenn jemand überführt wird, daß er sich des Armenrechts zur Ungebühr angemaaßt habe; so sollen nicht nur sämmtliche Kosten von ihm beigetrieben, sondern er auch außerdem mit willkührlicher, jedoch empfindlicher Geld- oder Leibesstrafe belegt, auch, wenn er den Armeneid wirklich geleistet hätte, nach Beschaffenheit der Umstände, mit den im Landrechte Th. II. Tit. XX. §. 1405. u. f.) verordneten Strafen des Meineides wider ihn verfahren werden.

Kostenfreiheit der Unteroffiziere und Soldaten.

§. 42.

Unteroffiziere, und die in Reihe und Gliedern stehenden gemeinen Soldaten, ingleichen die bei dem Kriegswesen verpflichteten niederen Beamten und Knechte, so lange sie im Solde stehen, genießen, gleich den Armen, die Sportelfreiheit; und es bedarf bei ihnen keiner Ableistung des Armeneides.

Anh. §. 143. Den reitenden Feldjägern, den Beurlaubten, ingleichen den auf einen sogenannten Laufpaß entlassenen Soldaten, stehet ebenfalls die Sportelfreiheit zu; Kompagniechirurgen haben aber darauf keinen Anspruch.

§. 43.

Eben diese Befreiung kommt auch ihren in der Garnison sich aufhaltenden Ehefrauen, so wie den daselbst bei ihnen lebenden, noch unter ihrer väterlichen Gewalt stehenden Kindern, zu Statten.

Anh. §. 144. Den Ehefrauen der im §. 42. genannten Militairpersonen kommt die Kostenfreiheit auch dann zu Statten, wenn sie nicht in der Garnison, sondern in ihrer Heimath oder an einem dritten Orte sich aufhalten.


(525) Kosten.

§. 44.

Dagegen können vorstehend (§. 42. 43.) benannte Personen auf die Sportelfreiheit keinen Anspruch machen: 1) wenn sie in der Eigenschaft als Besitzer von liegenden Gründen oder Gerechtigkeiten klagen, oder belangt werden; 2) wenn sie bürgerliche Nahrung treiben, und Prozesse führen, welche auf diese Nahrung sich beziehen.

§. 45.

Die Vorschriften §. 36-39. finden auch bei Militairpersonen Anwendung. Doch sind dieselben von dem Kostenersatze an den Gegentheil frei; und müssen vielmehr diesem, wenn er Gebühren, die nach der Regel die arme Partei ersetzen müßte, schon bezahlt hat, dieselben restituirt; von einem Mißbrauche aber, den sich die Militairperson bei ihrer Sportelfreiheit hat zu Schulden kommen lassen, muß ihrer vorgesetzten Militairbehörde Anzeige gemacht werden.

des Fiskus.

§. 46.

Von der Sportelfreiheit des Fiskus wird unten im Fünf und dreißigsten Titel gehandelt. Die bloße Beigebung der fiskalischen Assistenz kann die Privatpartei, welcher sie zu Statten kommt, von den Kosten niemals befreien.

Anh. §. 145. Auf die Kostenfreiheit haben Anspruch:

1. die allgemeine Wittwenverpflegungsanstalt,

2. die Offizierwittwenkasse,

3. die Predigerwittwenkasse in Berlin,

4. die Wittwenkasse des königlichen Orchesters,

5. die Akademie der Wissenschaften,

6. die Universitäten zu Berlin, Königsberg und Breslau,

7. das Rettungsinstitut in Berlin,

8. sämmtliche Armenanstalten.

Die von diesen Instituten angestellten Klagen müssen jedoch sorgfältig geprüft und ungegründete Klagen sogleich durch ein Dekret zurück gewiesen werden. Tritt der Fall eines muthwilligen Prozessirens ein, so ist davon dem Chef der Justiz Anzeige zu machen.

Anh. §. 146. Den Prinzen des Königlichen Hauses gebührt die Sportelfreiheit in allen Rechtsangelegenheiten, die vor die Gerichte gehören und nicht durch Hausausträge


(526) Prozeßordn. Drei u. zwanzigster Titel.

zu regulieren sind. Auch erstreckt sich diese Sportelfreiheit auf alle diejenigen Handlungen willkührlicher und streitiger Gerichtsbarkeit, welche die persönlichen Verhältnisse der gedachten Prinzen, Appanagen derselben und Kronfideikommißgüter betreffen. Selbige kann aber auf diejenigen Verhältnisse nicht ausgedehnt werden, welche sich auf Präbenden beziehen, so wie auf die sonstigen persönlichen und dinglichen Rechte und Verbindlichkeiten der Prinzen, die mit den von Privatpersonen erworbenen Landgütern und städtischen Besitzungen in Beziehung stehen.

Kostenvorschuß.

§. 47.

Was schließlich den Vorschuß der Kosten betrifft, so wird festgesetzt, daß jede Partei von denjenigen Verfügungen, welche auf ihr alleiniges Ansuchen ergehen, die Kosten vorzuschießen schuldig sey; daß, wenn beide Theile gemeinschaftlich auf dergleichen Verfügung antragen, oder dieselbe von dem Richter aus eigener Bewegung erlassen wird, alsdann beide Parteien den Vorschuß zu gleichen Theilen übernehmen; und daß, wenn eine Partei das Armenrecht hat, alsdann die Vorschriften des §. 36. beobachtet werden sollen.

Anh. §. 147. Wenn eine auswärtige Partei bei hiesigen Gerichten einen Rechtsstreit führt, so sind letztere befugt, durch Einforderung eines verhältnißmäßigen Vorschusses sich wegen der Kosten zu sichern, und, wenn die Beschleunigung der Sache nicht dringend nothwendig ist, die Vorladung des einländischen Beklagten so lange auszusetzen, bis der Vorschuß geleistet worden. In keinem Falle aber sind die Justizkommissarien für auswärtige Parteien wegen der Kosten zu haften verbunden, in so fern sie sich nicht zur Uebernahme derselben verpflichtet haben.

II. Strafen.

§. 48.

Außer der Kosten muß II. der Richter auch auf die der einen oder der anderen Partei, nach der gegenwärtigen Prozessordnung, zur Last fallenden Strafen, so wie dieselben überall am gehörigen Orte bestimmt sind, bei Abfassung des Erkenntnisses von Amts wegen Rücksicht nehmen.


(527) Kosten.

Sukkumbenzgelder.

§. 49.

Unter diese Strafen gehören auch die Sukkumbenzgelder, welche die Partei, die gegen ein Urtel ohne Grund Rechtsmittel eingewandt hat, bei erfolgender Bestätigung desselben, nach den in der Sporteltaxe bestimmten Sätzen entrichten, und worauf im vorkommenden Falle jedesmal erkannt werden muß. Dem Richter liegt dabei ob, in dem Erkenntnisse auf den Fall, wenn die unterliegende Partei Unvermögens halber die Sukkumbenzgelder nicht bezahlen könnte, denselben einen proportionirlichen Arrest oder Strafarbeit zu substituiren.

Wegen der Sukkumbenzgelder in der dritten Instanz bleibt es, nach der verschiedenen Verfassung der Provinzen und Kollegien, bei den bisherigen Bestimmungen, zu welcher Kasse dieselben fließen.

Sukkumbenzgelder in der zweiten Instanz bekommt der Appellationsrichter, wenn derselbe eine dem Richter erster Instanz vorgesetzte Behörde ausmacht. Erkennt er aber nur vermöge eines allgemeinen oder besonderen Auftrags, so werden die Sukkumbenzgelder zwischen ihm und dem Richter erster Instanz getheilt.

Ueberhaupt können die Sukkumbenzgelder in der zweiten Instanz nicht eher eingefordert werden, als bis das Appellationsurtel rechtskräftig, oder in der dritten Instanz bestätigt ist. Erfolgt in dieser ein abänderndes Urtel mit Kompensation der Kosten, so fallen die von dem Appellationsrichter angesetzten Sukkumbenzgelder ganz weg.

§. 50.

Wenn auch außerdem noch der Appellations- oder Revisionsrichter finden sollte, daß die Partei, welche sich des Rechtsmittels bedient, solches aus bloßer Chikane, und nur zum Verschleif der Sache, gethan habe; so muß er dieselbe noch über die Sukkumbenzgelder, oder auch in Fällen, wo dergleichen sonst nicht


(528) Prozeßordn. Drei u. zwanzigster Titel.

üblich sind, mit einer dem Werthe des Objekts proportionirten Geld-, Gefängniß- oder andern Leibesstrafe belegen. (A. L. R. Th. II. Tit. XX. §. 35.)

Poenae temerarii litigii et inficiationis.

§. 51.

Da auch bisher der Strafen des frevelhaften Läugnens verschiedentlich gedacht worden, so wird hier festgesetzt, daß dieselben denjenigen treffen sollen, der eine Forderung oder Einwendung auf Thatsachen bauet, deren Ungrund und Unrichtigkeit ihm bekannt ist; ferner denjenigen, welcher eine von dem Gegentheile angegebene Thatsache wider seine eigene Wissenschaft und Ueberzeugung in Abrede stellt; ferner den, welcher gegen den instruirenden Richter mit seiner Wissenschaft von dem Hergange oder Bewandtniß eines Fakti, oder von den zur Aufklärung desselben vorhandenen Beweismitteln, auf die darüber an ihn erlassenen Fragen, unter dem Vorwande, daß ihm nichts davon bekannt sey, vorsätzlich zurück hält.

Ueberhaupt aber treffen diese Strafen denjenigen, welcher sonst, mit Vorbedacht und Ueberlegung, die Wahrheit zu verdunkeln, oder deren Ausmittelung auf irgend einige Art zu verhindern, oder zu erschweren sich beigehen läßt.

§. 52.

Außer dem Kostenersatze, welcher in allen vorgenannten Fällen der eines solchen Vergehens sich schuldig machenden Partei in Ansehung dieses Punktes zur Last bleibt, werden darauf noch nachstehende Strafen verordnet:

1) Wenn jemand eine von dem Gegentheile angeführte Thatsache, worauf selbiger einen Anspruch oder Einwand gegründet hat, vorsätzlich läugnet, und diese Thatsache wird hiernächst bei der Untersuchung dargethan; so soll derselbe mit seinen Einwendungen oder Erinnerungen dagegen, die er etwa nachher in den weiteren Instanzen anbringen wollte, nicht gehört werden.


(529) Kosten.

Wer also z. B. ein wider ihn eingeklagtes Darlehn erhalten zu haben läugnet, dessen aber bei der Instruktion erster Instanz überführt wird, soll, wenn er demnächst von dem Urtel appelliren, und den Einwand der Zahlung vorschützen will, damit weiter kein rechtliches Gehör finden.

Hat jemand eine solche Thatsache geläugnet; zu gleicher Zeit aber derselben eventualiter einen Einwand, oder eine Erwiederung entgegen gesetzt; und es findet sich bei der Untersuchung, daß sowohl die geläugnete Thatsache wahr, als der Einwand oder die Erwiederung gegründet sey: so muß zwar in der Hauptsache nach der wahren Lage derselben erkannt; der oder die Parteien aber, welche sich des frevelhaften Läugnens schuldig gemacht haben, müssen nach der unten Nr. 4. erfolgenden Vorschrift bestraft werden. Wenn also z. B. der Beklagte das wider ihn eingeklagte Darlehn läugnet, eventualiter aber den Einwand der Kompensation entgegen setzt, und sich bei der Untersuchung findet, daß Beides, das Darlehn und die Gegenforderungen, richtig sind; so muß zwar in der Hauptsache der Kläger abgewiesen, der Beklagte aber, welcher den Empfang des Darlehns vorsätzlich geläugnet hat, muß deshalb in Strafe genommen werden; und eben dieß muß auch in Ansehung des Klägers geschehen, wenn auch dieser bei der Kompensationsforderung sich eines dergleichen frevelhaften Läugnens schuldig gemacht hätte.

2) Wenn jemand einen Anspruch oder Einwand auf eine unwahre oder ungegründete Thatsache wissentlich gebaut hat, so wird er, nach ausgemitteltem Ungrunde dieser Thatsache, des Rechts oder Einwands selbst verlustig; gesetzt auch, daß er sie nachher aus einem andern Fundamente herzuleiten oder zu unterstützen bereit wäre.


(530) Prozeßordn. Drei u. zwanzigster Titel.

3) Wenn jemand seine Wissenschaft von einer Thatsache oder einem Beweismittel vorsätzlich zurück hält, so soll in dem ganzen Verfolge der Sache auf dieß Faktum oder Beweismittel, zu seinem Vortheile, keine Rücksicht genommen werden.

4) Wenn in einem der vorstehenden Fälle die darauf geordneten Strafen nach der Lage der Sache keine Anwendung finden können; oder auch, wenn eine Partei sich hat beigehen lassen, auf irgend eine andere Art die Ausmittelung der Wahrheit zu verhindern, oder zu erschweren: so soll dieselbe, außer dem Ersatze der Schäden und Kosten an den Gegentheil, auch noch zur öffentlichen Genugthuung, nach Beschaffenheit der Umstände und des Grades der Moralität, in 10, 20 bis 100 Rthlr. Geld-, oder, bei ihrem Unvermögen, in eine proportionirliche Leibesstrafe genommen werden.

5) Wer sich des frevelhaften Läugnens, oder vorsätzlicher Unwahrheiten, im Gerichte einmal schuldig gemacht hat, soll sowohl in diesem, als in allen nachherigen Prozessen, unfähig seyn, zur Ableistung eines nothwendigen Eides, so weit als derselbe zu seinem Vortheile gereichen würde, verstattet zu werden. Das Gericht muß daher das Erkenntniß, worin diese Unfähigkeit einer solchen Partei zu einem nothwendigen Eide erklärt wird, sämmtlichen bei ihm angesetzten Justizkommissarien vorlegen lassen; auch wenn die Partei bei einem andern Gerichte ihren ordentlichen Gerichtsstand hat, diesem von dem Erkenntnisse besonders Nachricht geben.

Überdieß soll ein jedes Gericht ein Verzeichniß von dergleichen Perteien nach alphabetischer Ordnung, unter der Benennung des schwarzen Registers, halten, und darin den Namen einer jeden Partei, welche


(531) Kosten.

solchergestalt zur Ableistung eines nothwendigen Eides unfähig ist, nach rechtskräftig gewordenem Urtel, mit bestimmter Allegirung desselben eintragen lassen; auch davon demjenigen Gerichte, welches in den Rechtsangelegenheiten einer solchen Partei, nach dem gewöhnlichen Zuge, in den höheren Instanzen zu erkennen hat, Anzeige machen.

§. 53.

Die Gerichte werden hierdurch alles Ernstes angewiesen, auf diese Strafen, in vorkommenden Fällen, ohne alle Ausnahme oder Ansehen der Person zu erkennen. Da aber auch gedachte Strafen eine sattsam ausgewiesene vorsätzliche und muthwillige Chikane voraus setzen, so sollen die instruirenden Gerichtspersonen schuldig seyn, den Parteien die gegenwärtige Vorschrift bei aller Gelegenheit, wo dieselben den Verdacht des frevelhaften Läugnens, oder vorsätzlicher Unwahrheiten, oder geflissentlicher Verstellung oder Verdunkelung der Wahrheit auf sich ziehen, bekannt und eingedenk zu machen; und, wie es geschehen, in dem Protokolle zu vermerken, damit demnächst niemand sich dagegen mit dem Vorwande der Unwissenheit schützen könne.

§. 54.

Es soll aber auch keine Partei unter dem Vorwande, daß ihr Gegner sich in dem Prozesse einer von diesen Strafen schuldig gemacht habe, berechtigt seyn, die weitere Einlassung mit ihm in eben der Instanz abzulehnen, noch soll die Instruktion für diese Instanz dadurch auf irgend eine Art unterbrochen werden; sondern es lediglich die Sache des Richters seyn, in dem auf sothane Instruktion folgenden Urtel festzusetzen: in wie fern die eine oder die andere Partei dergleichen Strafen verwirkt habe. Uebrigens ist gegen ein solches Urtel, wenn daraus der Partei ein Präjudiz in der Sache selbst erwachsen ist, das ordentliche Rechtsmittel, sonst aber die Tit. XIV.


(532) Prozeßordn. Drei u. zwanzigster Titel.

§. 3. Nr. 2. beschriebene Provokation auf eine nochmalige Revision der Akten zulässig.

§. 55 a.

Schließlich wird hierdurch verordnet, daß, wenn die Gerichte und Instruenten wahrnehmen, daß eine Partei sich dergleichen vorsätzlicher Verbergung, Verstellung, und Zurückhaltung der Wahrheit, oder eines frevelhaften Läugnens schuldig mache, sie jedesmal von Amts wegen, so viel ohne merklichen Aufenthalt der Hauptsache geschehen kann, darauf: in wie fern eine solche Partei durch die Rathschläge und Einblasungen eines unbefugten Konsulenten verleitet worden ist, Nachforschung thun sollen; damit hiernächst einem solchen Winkelkonsulenten der Prozeß gemacht, und derselbe mit der verdienten nachdrücklichen Geld- oder Leibesstrafe belegt werden könne.

§. 55 b.

Die in Prozessen von dem Richter, nach der gegenwärtigen Ordnung, den Parteien oder ihren Bevollmächtigten aufzulegende Ordnungsstrafen fallen demjenigen Gerichte zu, bei welchem die Instruktion in derjenigen Instanz, in welcher die Festsetzung erfolgt, verhandelt worden ist.

III. Betrug.

§. 56.

Wenn III. zwar nicht bei Gelegenheit des Prozesses, wohl aber bei Gelegenheit des Geschäftes, aus welchem der Rechtsstreit entstanden ist, eine Partei sich eines gemeinen Betrugs schuldig gemacht hat, und dieser bei der Instruktion der Hauptsache hinlänglich ausgemittelt ist; so muß auf die Bestrafung desselben, nach Vorschrift des Landrechts Th. II. Tit. XX. §. 1325. 26. 27. in dem Haupturtel mit erkannt werden; und findet gegen diesen Theil des Erkenntnisses, wenn in der Sache selbst kein Rechtsmittel eingewendet wird, nur der oben Tit. XIV. §. 3. Nr. 2. beschriebene Rekurs Statt.


(533) Kosten.

§. 57.

Wenn aber bei Gelegenheit eines Zivilprozesses gegen eine Partei ein von ihr unter erschwerenden Umständen verübter Betrug zum Vorschein käme (L. R. a. a. O. §. 1328. 2c.), so muß der Richter, wegen der deshalb zu veranlassenden fiskalischen oder Kriminal-Untersuchung, das Nöthige von Amts wegen verfügen.

IV. Zinsen.

§. 58.

iV. In Fällen, wo nach den Gesetzen ein Grund zur Zinsenforderung obwaltet, muß der Richter von Amts wegen darauf erkennen. Ist aber auf Zinsen angetragen, und ein gewisser Satz, ingleichen ein bestimmter Terminus a quo und ad quem angegeben worden; so soll nicht auf einen höheren Satz, und eben so wenig auf einen frühern und resp. spätern Termin, von Amts wegen erkannt werden. (L. R. Th. I. Tit. XI. §. 845-848.)

V. Schäden.

§. 59.

Was V. die Schäden betrifft, so sind darunter nur diejenigen zu verstehen, welche dem einen oder dem andern Theile aus Gelegenheit des Prozesses, und einer darin vorgefallenen Handlung oder Unterlassung des Gegners, entstanden sind. Schäden, welche jemand hauptsächlich zu fordern hat, müssen durch eine ordentliche Klage besonders ausgemittelt werden. Schäden, welche als ein Zubehör der Hauptsache anzusehen sind, müssen mit dieser zugleich instruirt und darüber erkannt; oder wenn sie mit der Hauptsache zugleich nicht verhandelt worden sind, von dem Beschädigten besonders eingeklagt werden.

§. 60.

Eigentliche Prozeßschäden hingegen, z. B. wenn jemand, um auf eine widerrechtliche Klage zu antworten, und den Assistenten mit Informationen zu versehen, oder auch dem Instruktionstermine beizuwohnen, sich in seiner Nahrung oder Gewerbe versäumt


(534) Prozeßordn. Drei u. zwanzigster Titel.

hat; oder wenn die von einem Kläger in Anspruch genommene Sache, während der Dauer des durch den ungegründeten Widerspruch des Beklagten veranlaßten oder verlängerten Prozesses, an ihrem Werthe verloren hat, muß die Partei, zugleich mit den Kosten, bei dem Schlusse jeder Instanz liquidiren, und sowohl der Existenz als dem Betrage nach, so weit es ihr möglich ist, bescheinigen. Der Gegentheil muß darüber, so wie wegen der Kosten, summarisch, und ohne dieserhalb eine besondere Untersuchung zu veranlassen, vernommen, und sodann in dem Haupterkenntnisse mit festgesetzt werden: ob und wie viel an dergleichen Schäden eine Partei der anderen zu erstatten habe.

§. 61.

Hat eine Partei dergleichen Schäden vor dem Abschlusse der Instruktion nicht angegeben, so kann sie damit nur innerhalb vier Wochen vom Tage des publicirten Erkenntnisses noch gehört werden. Die Festsetzung geschieht alsdann durch eine Resolution, gegen welche bloß der Rekurs nach Tit. XIV. §. 3. Nr. 2. Statt findet.

§. 62.

Wenn Schäden und Kosten in dem Erkenntnisse übergangen worden sind, so sind dieselben für aberkannt zu achten; wegen der Zinsen aber hat es bei den Vorschriften des L. R. Th. I. Tit. XI. §. 845-848. sein Bewenden.

VI. Früchte und Nutzungen.

§. 63.

Wenn endlich VI. auf Vindikation oder Herausgabe einer gewissen Sache, oder eines Inbegriffs von Sachen oder Rechten, geklagt worden ist, und der Beklagte in die Herausgabe verurtheilt wird; so muß in dem Erkenntnisse zugleich, wegen der davon zu erstattenden Früchte und Abnutzungen, das Erforderliche festgesetzt werden.


(535) Kosten.

§. 64.

In wie fern die Ausmittelung des Betrags dieser Früchte und Abnutzungen mit der Hauptsache zugleich vorgenommen und instruirt werden könne, ist nach den Tit. V. §. 24. 25. angegebenen Grundsätzen, gleich bei Aufnehmung der Klage und bei der Verordnung darauf zu beurtheilen. Ist die Instruktion auf die Ausmittelung in Quanto mitgerichtet gewesen, so muß auch darüber miterkannt werden. Hat aber der Kläger nur überhaupt die Sache mit den Früchten und Abnutzungen gefordert, so wird bei der Instruktion nur untersucht, und in dem Erkenntnisse festgesetzt: ob Kläger dergleichen Früchte, und welche, ob nämlich nur die existirenden, oder auch die vom Beklagten wirklich erhobenen; und zwar ohne Unterschied, oder nur in so fern, als er dadurch reicher geworden; oder selbst die, welcher Beklagter hatte erheben können; ingleichen von welchem Zeitpunkte an er sie zu fordern habe; ob Beklagter ihm deshalb Rechnung zu legen schuldig, oder wie der Betrag der zu restituirenden Früchte sonst auf eine andere rechtliche Art auszumitteln sey. Die Untersuchung dieses Betrages selbst wird alsdann zur besondern Verhandlung gewiesen, und dabei nach der Vorschrift des Titels von Rechnungssachen verfahren.

Vier und zwanzigster Titel.

Von der Vollstreckung der rechtskräftigen Urtel.

Erster Abschnitt.

Von Nachsuchung und Verfügung der Exekution.

Wo die Exekution gesucht und verfügt werden muß.

§. 1.

Niemand ist befugt, sich selbst Recht zu verschaffen, oder ein wider den Andern erstrittenes Urtel eigenmächtig


(536) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

zu vollstrecken; sondern die Exekution eines solchen Urtels muß bei demjenigen Gerichte, vor welches die Instruktion der Sache in erster Instanz gehört hat, geziemend nachgesucht werden. Wenn daher in einem Prozesse, welcher zuerst bei einem Untergerichte geschwebt hat, in den ferneren Instanzen bei dem Obergerichte gesprochen wird; so muß dieses, nach rechtskräftig entschiedener Sache, die Akten der ersten Instanz sofort von Amts wegen an dem Unterrichter zurück senden, ihm die ergangenen weiteren Urtel abschriftlich zufertigen, und ihm aufgeben, für deren Verfolgung Sorge zu tragen.

Wie bald und wie lange das Exekutionsgesuch Statt finde.

§. 2.

Das Exekutionsgesuch findet Statt, so bald das Urtel seine Rechtskraft erhalten hat. Ist jedoch in selbigem eine Frist bestimmt, innerhalb welcher der Gegentheil dem Erkenntnisse genügen solle, so muß der Ablauf dieser Frist, welcher vom Tage der beschrittenen Rechtskraft zu verstehen ist, abgewartet werden.

§. 3.

Wenn jemand ein ganzes Jahr, vom Tage der beschrittenen Rechtskraft an gerechnet, verstreichen läßt, ohne die Vollstreckung des Urtels nachzusuchen; so kann dieselbe hiernächst nicht weiter verfügt, sondern es muß aus dem rechtskräftigen Urtel von Neuem geklagt werden. Ist in dem Urtel ein gewisser Termin, innerhalb dessen etwas gezahlt, oder geleistet werden soll, bestimmt; so wird das Jahr von dem Ablaufe dieses Termins an gerechnet. Erhellet aus den Akten, oder wird von den Extrahenten bei Anbringung des Exekutionsgesuchs bescheinigt, daß er dem Schuldner auf sein Verlangen, es sey gerichtlich oder außergerichtlich, auf eine gewisse bestimmte Zeit, zur Verfolgung des Urtels Nachsicht verstattet habe; so wird die Verjährungsfrist von dem Tage, an dem diese Nachsicht zu Ende gelaufen ist, an


(537) Exekution.

gerechnet. Ist das Urtel dahin gerichtet, daß der Gegentheil etwas unterlassen soll, so behält dasselbe auch nach Jahr und Tag seine volle Wirkung; und der obliegende Theil kann sich damit wider die Beeinträchtigungen des andern zu allen Zeiten schützen.

Anh. §. 148. Ist die zeitig nachgesuchte Exekution wegen Mangels eines Objekts, oder, weil der Schuldner latitirt, vergeblich gewesen; oder kann der Gläubiger nachweisen, daß, wenn auch die Exekution nachgesucht oder verfügt worden wäre, solche dennoch ohne Erfolg gewesen seyn würde: so stehet demselben nach gehobenem Hinderniß frei, die Exekution nachzusuchen, wenn auch ein Jahr nach beschrittener Rechtskraft des Urtels schon abgelaufen seyn sollte. In einem solchen Falle fängt daher die einjährige Frist, binnen welcher noch Exekution nachgesucht werden kann, erst von der Zeit zu laufen an, zu der das Hinderniß, welches der Exekution entgegen gestanden hat, wieder gehoben worden ist.

§. 4.

Aus einem Kontumacialbescheide, wider welchen der Gegner kein Rechtsmittel innerhalb der gesetzten Frist eingewendet hat; desgleichen aus einem gerichtlichen Anerkenntnisse der Schuld, und der darauf erfolgten Resolution; wie auch aus einem gerichtlich geschlossenen Vergleiche, kann eben sowohl, wie aus einem Judicato, innerhalb Jahresfrist Exekution gesucht werden.

Gegen wen es Statt finde.

§. 5.

Ein Exekutionsgesuch findet nur gegen denjenigen Statt, welcher in dem ergangenen Urtel kondemnirt worden ist. Gegen einen Dritten hat dergleichen Urtel, der Regel nach, keine Wirkung.

In wie fern gegen Erben;

§. 6.

Es muß aber zuvörderst ein Erbe die gegen den Erblasser ergangenen Urtel auch wider sich gelten lassen. Wie weit er dafür nun nach Verhältniß seines Erbtheils haften dürfe, und in wie fern ihm die Rechtswohlthat des Inventarii zu Statten komme, ist in den Gesetzen bestimmt. (Allg. L. R. Th. I. Tit. IX. §. 367. 368. §. 422. u. f. Tit. XVII. §.127 u. f.)


(538) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

gegen den Successorem singularem;

§. 7.

Derjenige, dessen Gerechtsame in Ansehung eines gewissen Gegenstandes lediglich von den Gerechtsamen eines Andern abhängen, muß alles dasjenige gegen sich gelten lassen, was wider jenen wegen sothanen Gegenstandes rechtlich erkannt worden ist.

gegen den Bürgen;

§. 8.

In wie fern das gegen den Hauptschuldner ergangene Urtel dem Bürgen entgegen stehe, wird, nach Unterschied der Fälle, in den Gesetzen vorgeschrieben. (A. L. R. Th. I. Tit. XIV. §. 310-315.)

gegen den Inhaber einer rei litigiosae;

§. 9.

Wenn jemand einen im Streite befangenen Gegenstand erst nach der Zeit, da dem bisherigen Inhaber die gerichtliche Vorladung zugestellt worden ist, durch Kauf, Tausch, Cession, Schenkung, oder auf andere Art erhalten hat; so muß er sich demjenigen unterwerfen, was darüber in dem rechtshängigen Prozesse entschieden wird, wenn er auch bei diesem Prozesse nicht zugezogen worden ist. (Allg. L. R. Th. I. Tit. XI. §. 383. 381.)

gegen einen falschen Bevollmächtigten;

§. 10.                         

Wer wissentlich eine falsche Vollmacht beigebracht, oder sich ohne erhaltenen Auftrag als Bevollmächtigten angegeben hat, wird dadurch, wenn das ergehende Urtel gegen die Hauptpartei nicht in Ausübung gebracht werden kann, zur vollständigen Entschädigung des Gegners verpflichtet.

gegen den, welcher sich liti offerirt;

§. 11.

Wenn jemand wegen solcher Gerechtsame, derer Vertheidigung ihm entweder gar nicht, oder nicht allein, oder nicht hauptsächlich obliegt, in einen Prozeß sich eingelassen, und bei seiner Vernehmung über den Legitimationspunkt das wahre Verhältniß der Sache verschwiegen, mithin veranlaßt hat, daß die Haupt- oder Mitinteressenten nicht zugezogen worden sind; so findet, wegen der von ihm zu leistenden


(539) Exekution.

Entschädigung, die Vorschrift §. 10. Anwendung.

Wider die nicht zugezogenen Interessenten hingegen bleibt ein solches Urtel auch selbst in dem Falle ohne Wirkung, wenn sie davon Wissenschaft gehabt haben, daß über ihre Gerechtsame gestritten werde; indem sie, ehe deshalb eine Vorladung an sie ergangen ist, sich in den Prozeß einzulassen nicht schuldig sind.

gegen Vormünder und Kuratoren (et)c.,

§. 12.

Wenn jemand als Vormund oder Kurator einer minderjährigen, oder sonst unter Kuratel stehenden Partei, als Vorsteher einer Kirche, Schule, Hospitals, oder andern milden Stiftung, als Administrator einer Kasse, Kämmerei, Domainenamts u. s. w., den Prozeß geführt hat, und darin sachfällig geworden ist; so kann, wenn das Urtel auch namentlich wider ihn gerichtet wäre, die Exekution dennoch nur in das Vermögen der Pflegebefohlenen des Hospitals u. s. w. Statt finden. Doch steht dem obsiegenden Theile frei, wenn ein solcher Vormund oder Administrator in Nachsuchung der zur Befriedigung desselben erforderlichen Verfügungen bei der vorgesetzten Instanz säumig wäre, ihn zur Beobachtung dieser seiner Obliegenheit durch Strafbefehle, und andere exekutivische Zwangsmittel, anhalten zu lassen.

gegen Litiskonsorten;

§. 13.

Wenn mehrere Litiskonsorten verurtheilt worden sind, so kommt es auf den Inhalt des Erkenntnisses an: ob die Exekution gegen einen unter ihnen, nach der Wahl des obsiegenden Theils, auf das Ganze, oder gegen jeden nur für seinen Antheil zu vollstrecken sey. Im zweifelhaften Falle entscheiden die Vorschriften der Gesetze. (A. L. R. Th. I. Tit. V. §. 424. u. f. Tit. VI. §. 29. u. f.)

§. 14.

Ist derjenige, gegen welchen ein Urtel ergangen ist, verstorben, und wer sein Erbe sey, oder wo


(540) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

derselbe sich aufhalte, unbekannt; so muß der alsdann zu bestellende Kurator für die Befriedigung des obsiegenden Theils aus der Verlassenschaft, nach Vorschrift der Gesetze, eben so, wie es einem Beneficialerben obliegt, Sorge tragen, und kann zur Beobachtung dieser seiner Obliegenheit allenfalls durch Exekution angehalten werden. Ist die Erbschaft streitig, so finden die Vorschriften Tit. XX. §. 4. Anwendung, und der Erbschaftsgläubiger ist mit der Exekution auf die Entscheidung des Streits unter den Prätendenten zu warten nicht schuldig.

Nähere Bestimmungen wegen der Exekution gegen Erben.

§. 15.

Sind Erben vorhanden, so kommt denselben die in den Gesetzen geordnete Deliberationsfrist zu Statten, und während derselben kann die Exekution nicht verfügt werden. Doch steht dem obsiegenden Theile frei, wenn Umstände, wo Gefahr aus dem Verzuge für ihn zu besorgen ist, obwalten, unter gehöriger Bescheinigung derselben, die Siegelung des Nachlasses, die Verkümmerung der ausstehenden Schulden, oder andere nach Lage der Sache zu seiner Sicherstellung erforderliche Verfügung nachzusuchen. (A. L. R. Th. I. Tit. IX. §. 386. 387.)

§. 16.

Wenn nach abgelaufener Ueberlegungsfrist der Erbe der Verlassenschaft ganz entsagt, so ist nach Anweisung der Gesetze (Th. I. Tit. IX. §. 406-410.) und des Titels vom Konkursprozesse zu verfahren.

§. 17.

Wenn er sich, Erbe seyn zu wollen, ohne Vorbehalt erklärt; so muß gegen ihn die Exekution nach dem ganzen Umfange des Urtels verfügt werden: es wäre denn, daß gegen den Erblasser auf eine gewisse, bloß an seine Person gebundene Prästation, zum Beispiel auf Verfertigung eines Kunstwerks u. s. w., erkannt worden; in welchem Falle der Erbe nur zur


(541) Exekution.

Vergütung des Interesse gehalten, und daher nach den unten folgenden Vorschriften zu verfahren ist.

§. 18.

Hat sich der Erbe bis zum Ablaufe der Ueberlegungsfrist entweder gar nicht, oder ausdrücklich nur unter der Wohlthat des Inventarii erklärt; so muß der Exekutionssucher die alsdann nach Vorschrift der Gesetze vorzunehmende Regulirung der Verlassenschaft abwarten.

§. 19.

Wenn der Erbe noch vor der rechtskräftigen Entscheidung des Prozesses zur Erbschaft gekommen ist, so muß er, wenn er von der Rechtswohlthat des Inventarii Gebrauch machen will, diesen Einwand noch vor dem Abschlusse der Instruktion entgegen setzen; oder wenigstens seine Eigenschaft, daß er nur Beneficial-Erbe sey, zu den Akten anzeigen. Ist weder das Eine noch das Andere geschehen, so kann er demnächst durch diese Angabe die Exekution nicht aufhalten.

§. 20.

Ein Erbe, welcher sich der Rechtswohlthat des Inventarii bedienen will, muß nach Ablauf der gesetzlichen Frist die erfolgte Niederlegung des Inventarii bescheinigen, oder eine von dem Richter der Erbschaft ihm dazu gestattete längere Frist zu den Akten nachweisen. (Allg. L. R. Th. I. Tit. IX. §. 423. u. f.)

Exekutionen finden von Amts wegen nicht Statt.

§. 21.

Die Exekution von Amts wegen zu verhängen, ist der Richter weder befugt noch schuldig, sondern es ist die Sache des obsiegenden Theils, dieselbe entweder durch sich selbst, oder durch seinen Bevollmächtigten gehörig zu betreiben.

Wie ein Exekutionsgesuch beschaffen seyn muß.

§. 22.

Das Exekutionsgesuch muß deutlich, bestimmt und genau nach dem Inhalte des Urtels eingerichtet seyn. Ist auf Bezahlung einer Geldsumme erkannt,


(542) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

so muß darin diese Summe unter gehöriger Bestimmung der Münzsorten ausgedrückt werden. Sind dem obsiegenden Theile auch Zinsen zugesprochen, so müssen selbige nach dem erkannten, oder wenn es Verzögerungszinsen wären, nach dem in den Gesetzen bestimmten Satze, von dem im Urtel feststehenden Termine an, richtig berechnet werden. Sind auch Kosten zu erstatten, so ist der Betrag derselben mit Beziehung auf das Urtel oder Dekret, in welchem sie festgesetzt worden, und unter Beifügung einer Specifikation derjenigen, welche etwa nachher noch aufgelaufen sind, oder dem Extrahenten durch das Exekutionsgesuch selbst verursacht werden, gehörig auszuwerfen.

§. 23.

Hat der Prozeß mehrere Punkte, Forderungen und Gegenforderungen, oder gar eine förmliche Berechnungssache betroffen, und ist über das Liquidum selbst nicht etwa schon besonders erkannt worden; so muß dem Exekutionsgesuche eine nach dem ergangenen Urtel angelegte, und bei jeder Post auf das Erkenntniß, wodurch sie rechtskräftig festgesetzt worden ist, sich beziehende, auch von einem vereideten Kalkulator als richtig attestirte Liquidation beigefügt werden.

Vortrag und Prüfung desselben.

§. 24.

Jedes Exekutionsgesuch muß von dem ordentlichen Decernenten dem Kollegio gehörig vorgetragen, und wenn sich findet, daß es mit dem obbeschriebenen Erfordernissen versehen sey, die Exekution selbst, nach den Vorschriften des folgenden Abschnitts, sofort verfügt werden, ohne daß es einer Erklärung des Gegentheils darüber bedarf.

Zeiten, in welchen Exekutionen Statt finden.

§. 25.

Während der Gerichtsferien findet die Verhängung einer Exekution in der Regel nicht Statt; es wäre denn in Aliment-, Wechsel oder andern dergleichen


(543) Exekution.

Sachen, bei welchen Gefahr im Verzuge obwaltet; oder wenn der in dem ausgeklagten Instrumente bestimmte Zahlungstermin in die Zeit der Ferien fällt; oder wenn der Schuldner, bei einer ihm verstatteten Nachsicht, sich einen in die Ferien treffenden Zahlungstermin hat gefallen lassen. Die Fortsetzung einer schon wirklich eingelegten Exekution wird durch die inzwischen eintretenden Ferien niemals unterbrochen.

In wie fern der Richter Exekutionen unmittelbar, oder

§. 26.

Der Regel nach ist jeder Richter, dem die Instruktion einer Sache in erster Instanz gebührt hat, das von ihm gefällte rechtskräftige Urtel zu vollstrecken berechtigt. Wenn also auch derjenige, gegen welchen Exekution nachgesucht wird, zwar einen anderen persönlichen Gerichtsstand hat, die Exekution selbst aber in ein Grundstück, das unter des erkennenden Gerichts Jurisdiktion belegen, zu vollstrecken ist; so kann dieses letztere dergleichen Exekution unmittelbar verfügen; doch muß davon dem Schuldner, wenn derselbe eine in Königlichen Militairdiensten stehende Person ist, durch die ihm vorgesetzten Regimentsgerichte besondere Bekanntmachung geschehen.

Anh. §. 149. Des aufgehobenen Militairgerichtsstandes in Civilsachen ungeachtet können Exekutionen gegen Militairpersonen, mit Ausnahme der Fälle, wenn Grundstücke des Schuldners oder ausstehende Forderungen desselben in Beschlag genommen werden, von den Civilgerichten nicht unmittelbar, sondern nur durch Requisition der Militairgerichte und beziehungsweise des Generalauditoriats, in so fern die Schuldner seiner Gerichtsbarkeit bisher unmittelbar untergeordnet gewesen, vollstreckt werden. Die Civilgerichte müssen daher den Zahlungsbefehl zwar erlassen, gleichzeitig aber das Militairgericht um die Vollstreckung der Exekution nach Ablauf der im Zahlungsbefehl bestimmten Frist ersuchen. Dieses Requisitoriale wird dem Extrahenten der Exekution gewöhnlichermaaßen zugestellt, um davon nach Ablauf der Frist, wenn keine Zahlung erfolgt, Gebrauch zu machen.

Die Requisitionen wegen Vollziehung der Exekutionen wider die bei der Gensd'armerie angestellten Militairpersonen


(544) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

werden an den Oberbrigadier der Provinz erlassen.

Anh. §. 150. In Absicht der Exekutionen gegen die Ehefrauen, Kinder und das Gesinde der Militairpersonen, welche sich bei ihnen am Garnisonsorte befinden, ist dasselbe Verfahren zu beobachten.

durch Requisition vollstrecken müsse.

§. 27.

Ist hingegen derjenige, gegen welchen eine persönliche Exekution verfügt werden soll, einem andern ordentlichen Gerichtsstande unterworfen, oder ist die Sache, auf welche die Hülfe zu vollstrecken, unter einer andern Jurisdiktion gelegen; so muß der kompetente Richter, wegen dieser Vollstreckung, mittelst Requisition oder Berichts ersucht; zugleich auch dasjenige, wodurch die Gerichtsbarkeit des erkennenden Richters in der Sache begründet worden, wenn es nicht von selbst klar ist, in dem Requisitionsschreiben oder Berichte mit angeführt werden.

Anh. §. 151. Die Exekution des in der Rekonvention gegebenen Erkenntnisses kann der Richter der Konvention nicht unmittelbar, sondern nur mittelst Requisition des ordentlichen Richters des Wiederbeklagten, vollstrecken.

§. 28.

Sämmtliche Gerichte in Königlichen Landen sollen einander die nachgesuchte Rechtshülfe bei Vollstreckung der Exekutionen unter keinerlei Vorwande versagen; auch sich über die Rechtmäßigkeit des gesprochenen Urtels, oder der verordneten Exekution, keine Beurtheilung und Entscheidung anmaaßen; vielmehr den Schuldner, wenn er dagegen Einwendungen machen wollte, damit lediglich an das requirirende Gericht verweisen, und die Exekution fortsetzen. Ereignet sich wegen der Kompetenz des erkennenden und requirirenden Richters irgend einiger Anstand, oder glaubt das wegen Vollstreckung der Hülfe requirirte Gericht, daß in seine Rechte eingegriffen worden sey, so ist nach der Vorschrift Tit. II. §. 131 u. f. zu verfahren.


(545) Exekution.

§. 29.

Wenn das um die Exekution requirirte Gericht die vorgesetzte Behörde desjenigen ist, von welchem die Exekution veranlaßt wird, und es findet sich bei der Vollstreckung der Exekution ein Bedenken; so ist das requirirte Gericht berechtigt, zuvörderst wegen Hebung dieses Bedenkens die nöthige Auskunft von dem Unterrichter, noch ehe mit Vollstreckung der Exekution verfahren wird, zu erfordern.

§. 30.

Auch die von fremden und ausländischen Gerichten geziemend nachgesuchte Exekution der bei selbigen ergangenen Urtel müssen die Gerichte in Königlichen Landen gehörig vollstrecken; es wäre denn, daß sich wegen der Kompetenz des requirirenden Gerichts, oder sonst bei der Sache selbst, ein Anstand ereignete; in welchem Falle das hiesige Gericht, wenn es ein Untergericht ist, bei dem ihm vorgesetzten Landesjustizkollegio, dieses aber, nach Beschaffenheit der Umstände, ferner bei dem Ministerio anfragen muß.

Von Erlassung des Exekutionsbefehls und des Monitorii an den Exequendum.

§. 31.

Wenn die Exekution verordnet wird, so muß dem Exekutor jedesmal, außer in Wechselsachen, eine gewisse Frist, welche, nach Beschaffenheit der Umstände, auf 8 oder 14 Tage bis höchstens 4 Wochen, zu bestimmen ist, nach deren Ablaufe mit der Hülfsvollstreckung ohne weitere Rückfrage verfahren werden soll, vorgeschrieben; diese Verordnung auch dem Gegentheile bekannt gemacht, und derselbe bedeutet werden, daß, wenn er innerhalb dieser Frist den Extrahenten nach seinem Gesuche nicht vollständig befriedigen würde, er die wirkliche Exekution unfehlbar zu erwarten habe.

§. 32.

Diese Bekanntmachung wird, außer dem §. 26. bemerkten Falle, dem Schuldner unmittelbar insinuirt, die Verordnung an den Exekutor hingegen


(546) Prozeßordn. Vier und zwanzigster Titel.

wird dem Extrahenten zugestellt; damit derselbe davon, wenn die bestimmte Frist fruchtlos verlaufen ist, sofort davon Gebrauch machen könne.

§. 33.

Leistet der Schuldner innerhalb der bestimmten Frist der Verordnung völlig Genüge, so muß der Extrahent den Befehl an den Exekutor nicht abgehen lassen, sondern denselben mit der Anzeige, daß er befriedigt sey, zu den Akten zurück geben. Verläuft hingegen die Frist, ohne daß der Extrahent befriedigt worden ist; so kann er den Befehl dem Exekutor zustellen, welcher alsdann sofort mit der wirklichen Exekution verfahren muß.

§. 34.

Sollte der Extrahent, nachdem er schon befriedigt worden ist, den Befehl an den Exekutor dennoch abgehen lassen; so bleibt er dem Gegentheile wegen Schimpf, Schäden und Kosten verhaftet. Hätte aber der Schuldner nach Verlauf dieser Frist, und nachdem der Befehl an den Exekutor bereits abgegangen ist, sich zur Befriedigung des Extrahenten angeschickt: so muß zwar der Exekutor, wenn ihm bei seiner Anmeldung die inzwischen erfolgte Befriedigung des Extrahenten, durch dessen Quittung, oder auf andere Art, hinlänglich nachgewiesen wird, wiederum abgehen; der Schuldner aber muß die aus dem Anfange der Exekution entstandenen Kosten tragen; es wäre denn, daß der Extrahent die Benachrichtigung an den Exekutor, wasmaaßen es der Vollstreckung der Exekution nicht bedürfe, selbst zu besorgen übernommen, und dabei etwas aus einem auch nur mäßigen Versehen verabsäumt hätte.

Von den in der Exekution noch zulässigen Einwendungen.

§. 35.

Außer der Befolgung des Judicati soll die Vollstreckung desselben durch keine Einwendungen, auch nicht durch Vorschützung einer bei dem Urtel zum Grunde liegenden Nullität, viel weniger durch ein


(547) Exekution.

Restitutionsgesuch, der Vorschrift Tit. XVI. gemäß, abgewendet werden können.

§. 36.

Es finden also gegen die Vollstreckung eines rechtskräftigen Urtels nur die Einwendungen der Zahlung, der Kompensation, des Erlasses, wie nicht minder des Vergleichs, in so weit Statt, als durch letztere die Schuld verringert, oder eine längere Zahlungsfrist bewilligt worden ist.

Anh. §. 152. Es macht hierbei keinen Unterschied, ob der Grund dieser Einwendungen vor oder nach der Rechtskraft des zu vollstreckenden Urtel eingetreten ist.

§. 37.

Wenn der Schuldner einen solchen Einwand für sich zu haben glaubt, so muß er denselben dem Gerichte, von welchem die Exekution verordnet ist, sofort anzeigen, und zugleich bescheinigen.

§. 38.

Auf ganz unbescheinigte Angaben dieser Art muß das Gericht gar keine Rücksicht nehmen. Wenn sie aber wenigstens einigermaaßen bescheinigt wären, so muß die wirkliche Vollstreckung der Exekution sofort ausgesetzt, und zugleich dem Gegentheile davon Nachricht gegeben; auch ein nach den Umständen so nahe als möglich zu bestimmender Termin, zur Erörterung und Instruktion dieses Einwandes, anberaumt werden.

§. 39.

In diesem Termine, dessen Prorogation dem Provokanten unter keinerlei Vorwande gestattet werden darf, muß der vorige Instruent die Thatsache, worauf der Einwand beruht, gehörig auseinander setzen; Statum controversiae darüber reguliren; nur diejenigen Beweismittel, welche der Provokant bis zu oder in dem Termine wirklich zur Stelle gebracht hat, aufnehmen; nach solchergestalt geschlossener Instruktion die Parteien mit der etwanigen Ausführung ihrer Rechte kürzlich zum Protokolle hören; und sodann


(548) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

die Akten dem Gerichte zur Abfassung des Erkenntnisses einreichen.

§. 40.

Befindet der Richter, daß Einwand gegründet und ausgewiesen sey; so muß die gänzliche Aufhebung der Exekution erkannt werden; und wenn dagegen appellirt wird, so muß es, bis zur rechtskräftigen Entscheidung, bei der bereits verfügten Suspension sein Bewenden haben.

Wird der Einwand in dem Erkenntnisse für ganz ungegründet und unerheblich befunden, so muß auf Fortsetzung der Exekution gesprochen werden; und die Appellation gegen ein solches Urtel kann die Vollstreckung desselben nicht aufhalten.

Hat aber durch die bisherige Untersuchung der Grund oder Ungrund des Einwandes nicht völlig ins Licht gesetzt werden können, sondern ist zur Ausmittelung desselben noch eine weitere Instruktion erforderlich; so muß der Richter diese durch eine bloße Resolution verfügen, zugleich aber, und in eben dieser Resolution, die Fortsetzung der Exekution verordnen.

Uebrigens versteht es sich von selbst, daß, wenn jemand dergleichen Einwand in der Exekution selbst ganz ohne rechtlichen Grund entgegen setzt, derselbe eben so wohl, wie derjenige, welcher, ungeachtet ihm der entgegen stehende Einwand und dessen Rechtmäßigkeit bekannt gewesen, dennoch auf der Exekution bestanden hat, mit den im vorigen Titel geordneten Strafen der muthwilligen Chikane belegt werden müsse.

§. 41.

Hat der Einwand nur einen oder etliche von mehreren auf der Exekution stehenden Punkten oder Forderungen, oder nur einen gewissen Theil des beizutreibenden Liquidi zum Gegenstande, so ist die §. 38. verordnete Aussetzung der Exekution nur auf diesen


(549) Exekution.

Punkt oder Summe zu verstehen; wegen des Uebrigen aber muß dieselbe ihren ungehinderten Fortgang behalten.

Durch Moratoriengesuche (et)c. sollen die Exekutionen nicht vereitelt werden.

§. 42.

Unter dem Vorwande eines gegenwärtigen Zahlungsunvermögens, durch Dilationsgesuche, Anbietung terminlicher Zahlung u. s. w., soll die einmal verordnete Exekution nicht aufgehalten, viel weniger abgewendet werden können; maaßen ein jeder Schuldner Gelegenheit genug gehabt hat, dergleichen Gesuch, nach Maaßgabe Tit. XI., bei dem am Schlusse der Instruktion vorzunehmenden Versuche der Sühne näher an- und auszuführen; folglich, wenn er dieses verabsäumt, oder das Gesuch in dem ergangenen Urtel unzulässig befunden wird, ihm, darauf in der Exekution sich anderweit zu berufen, nicht gestattet werden kann.

§. 43.

Niemand soll gegen eine von den kompetenten Gerichten angeordnete Exekution Beschwerden bei Seiner Königlichen Majestät Allerhöchsten Person, noch auch bei dem Ministerio zu führen, und dadurch die Vollstreckung der Exekution abzuwenden, berechtigt seyn; allermaaßen Seine Königliche Majestät, nach wie vor, schlechterdings nicht gesonnen sind, dem Laufe des Rechts auf einseitiges Anbringen Einhalt thun zu lassen.

§. 44.

Wenn daher auch in dem einen oder dem andern ganz besondern Falle durch eine Kabinetsordre oder Hofreskript eine Exekution suspendirt oder aufgehoben würde, so müssen zwar die Gerichte solchem gebührende Folge leisten; zugleich aber ungesäumt, und von Amts wegen, an das vorgesetzte Ministerium von der wahren Lage der Sache berichten; auch, bis zur Einlangung weiterer Verhaltungsbefehle, Alles, was nach Beschaffenheit der Umstände, ohne


(550) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

Vereitelung der erhaltenen Ordre, geschehen kann, zur Sicherheit des Exekutionssuchers gleichergestalt von Amts wegen vorkehren.

Zweiter Abschnitt.

Von Vollstreckung der Exekution.

Allgemeine Vorschriften für die Exekutoren.

§. 45.

Die an den Exekutor zu erlassende Verordnung muß jedesmal eine bestimmte Anweisung, wozu er den Exequendum anhalten; was und wie viel er von demselben beitreiben; und auf was für Art er die Exekution vollstrecken solle, enthalten. Nach dieser Anweisung muß der Exekutor sich genau achten, und nach Verlauf der im Befehle bestimmten Frist, wenn er von dem vorgesetzten Gerichte keine Gegenordre, oder von dem Extrahenten keine Nachricht, daß es der Exekution nicht bedürfe, erhalten hat, mit deren wirklichen Vollstreckung, ohne fernern Verzug, und ohne weitere Rückfrage oder vorläufige Ankündigung, der erhaltenen Instruktion gemäß verfahren.

Anh. §. 153. Soll gegen Stadt- oder Dorfgemeinen, oder gegen eine ganze Klasse von Mitgliedern derselben, oder sonst gegen eine moralische Person, eine Exekution vollstreckt werden; so müssen die Gerichte über die Art, wie solche ohne gänzlichen Ruin der Schuldner zu realisiren ist, jederzeit mit der Regierung Rücksprache halten, und wenn sie sich mit dieser über die zu nehmenden Maaßregeln nicht vereinigen können, die Exekution aussetzen und die Vorbescheidung des Justizministers einholen.

Eben dieses muß geschehen, wenn die Exekution gegen ein nicht unter der Regierung stehendes Institut zu verordnen ist, und also der Justizminister Anlaß finden möchte, mit den übrigen Ministerien Rücksprache zu nehmen.

§. 46.

Von dieser Vollstreckung muß sich der Exekutor durch keine Protestation oder Einwendungen des Schuldners so wenig, als durch ein bloß einseitiges


(551) Exekution.

und unbescheinigtes Vorgeben desselben, daß er den Extrahenten befriedigt, daß er Nachsicht von selbigem erhalten habe, daß die Exekution von dem sie verordnenden Gerichte wieder aufgehoben worden sey u. s. w., abhalten lassen.

Wird ihm aber ein dahin lautendes, und spater als seine Exekutionsordre ausgefertigtes Dekret des Gerichts, oder des demselben vorgesetzten Kollegii, oder eine von dem Extrahenten ausgestellte Bescheinigung über zugestandene Nachsicht, oder eine von demselben gegebene Quittung, oder ein Postschein, woraus deutlich erhellet, daß der Schuldner die beizutreibende Summe an die Behörde wirklich schon abgesendet habe, im Original vorgelegt; so muß er zwar, gegen Erhaltung seiner Gebühren, sofort wieder abweichen, zugleich aber davon ohne den geringsten Verzug berichten, und weitere Verordnung abwarten.

§. 47.

Die Art, wie ein Urtel zu vollstrecken sey, bestimmt sich nach demjenigen, worauf das Urtel selbst gerichtet ist.

I. Executiones ad faciendum.

§. 48.

Wenn also I. jemand verurtheilt worden ist, etwas zu thun, z. B. eine gewisse Arbeit zu verfertigen, oder ein Geschäft zu verrichten; so muß der Exekutor angewiesen werden, sich nach Beschaffenheit der Umstände auf 3 bis 8 Tage bei ihm einzulegen, und ihn solchergestalt zu Befolgung des Urtels anzuhalten. Ist dieses Mittel fruchtlos, so muß der Exekutor, nach Verlauf der bestimmten Zeit, gegen Erhaltung seiner Gebühren, wiederum abweichen, und dem Gerichte davon Anzeige machen.

§. 49.

Das Gericht muß hierauf in Erwägung ziehen, ob die dem Exequendo in dem Urtel geschehene Auflage so beschaffen sey, daß sie auch durch einen Andern


(552) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

eben so gut und mit gleichem Effekte in Erfüllung gesetzt werden könne; und alsdann muß es, auf ferneres Anmelden des Gegentheils, dem Exekutor, oder nach Beschaffenheit und Wichtigkeit der Sache, einem besondern Kommissario auftragen, die Handlung durch einen Andern auf Kosten des Verpflichteten vornehmen zu lassen, und die Kosten von Letzterm, nach den unten folgenden Vorschriften, beizutreiben.

Anh. §. 154. Ueber den Betrag der dazu erforderlichen Kosten bedarf es keines besondern Rechtsstreites; diese Kosten werden vielmehr nach dem Gutachten vereideter Sachverständigen mittelst Dekrets festgesetzt und so dann exekutivisch beigetrieben.

§. 50.

Ist aber die Handlung nicht so beschaffen, daß sie ein Anderer eben so wohl und mit gleicher Wirkung verrichten kann; oder ist eine wahrscheinliche Besorgniß, daß die dazu erforderlichen Kosten aus dem Vermögen des Verpflichteten nicht zu erhalten seyn möchten, vorhanden; so ist dem Exekutionssucher die Wahl zu lassen: ob er auf der wörtlichen Befolgung des Urtels bestehen, oder sofort sein dabei vorwaltendes Interesse fordern wolle.

§. 51.

Besteht der Exekutionssucher auf der Befolgung des Urtels, so muß der Verpflichtete zur gefänglichen Haft gebracht, oder allenfalls nach dem Ermessen des Gerichts, nach Bewandtniß seines Standes und seiner Vermögensumstände, durch Androhung gewisser, dem Gegenstande angemessener Geldstrafen zu seiner Schuldigkeit gezwungen werden.

§. 52.

Ist der höchstens bis auf 3 Monate hinaus zu verlängernde Arrest, oder die nach richterlichem Ermessen allenfalls zu verdoppelnde Geldstrafe, den Verpflichteten zu Befolgung des Urtels zu bringen nicht vermögend; oder zeigt es sich gleich auf die Veranlassung des zweiten Grades der Exekution, daß es


(553) Exekution.

nicht mehr von dem Willen des Exequendi abhange, das Urtel zu befolgen: so bleibt nichts weiter übrig, als daß der obsiegende Theil sein Interesse, das ihm daraus erwachsen ist, liquidire, und der Betrag desselben aus dem Vermögen des Schuldners beigetrieben werde.

In wie fern bei dieser Art der Exekution, welche auf Zahlung einer schuldigen Summe gerichtet ist, der Extrahent sich auch an die Person seines Schuldners halten könne, ist nach den unten folgenden Vorschriften zu beurtheilen.

§. 53.

Wie es wegen der Ausmittelung dieses Interesse, und dessen dem obsiegenden Theile zu gestattenden eidlichen Erhärtung (Juramentum in litem), sowohl in dem §. 52. als in dem §. 60. bestimmten Falle, wenn der obsiegende Theil gleich bei der ersten Weigerung des Gegners, dem Urtel genügen zu wollen, sofort sein Interesse fordert, gehalten werden solle, darüber ist Tit. XXII. §. 19. u. f. das Nöthige vorgeschrieben.

II. Exekutionen auf Unterlassungen.

§. 54.

Wenn ferner II. der Inhalt des Urtels dahin geht, daß jemand etwas zu unterlassen schuldig sey; so läßt zwar die Exekution eines solchen Urtels im eigentlichen Verstande sich nicht denken; wenn aber der unterliegende Theil die ihm verbotene Handlung dennoch vornimmt, z. B. wenn er den Gegner in dem Besitze einer ihm zuerkannten Sache, oder in dem Genusse eines erstrittenen Rechts beunruhigt: so muß ihm dieses durch unbedingte Strafbefehle (Mandata sine clausula) untersagt; wenn er diesen zuwider handelt, die Strafe wirklich beigetrieben, und die Inhibition unter verdoppelter Bedrohung wiederholt; der Widerspenstige zur Bestellung einer annehmlichen Kaution wegen künftiger Befolgung des Urtels angehalten; in jedem Falle aber der Betrag


(554) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

des dem Gegner durch seine Beeinträchtigungen verursachten Schadens von ihm beigetrieben werden.

Auch bleibt es dem richterlichen Ermessen anheim gestellt, denjenigen, welcher den obsiegenden Theil, dem Urtel entgegen, beharrlich zu beunruhigen fortfährt, daran durch seine Verhaftnehmung zu hindern; oder die nach den Umständen etwa sonst noch Statt findenden Anstalten, wodurch der obsiegende Theil gegen fernere Störungen geschützt werden kann, auf dessen Antrag und auf Kosten des Widerspenstigen vorzukehren.

III. Auf Herausgebung einer beweglichen Sache.

§. 55.

Ist III. jemand zur Herausgabe einer beweglichen Sache verurtheilt worden, so muß dem Exekutor aufgegeben werden, ihm dieselbe wegzunehmen, und dem obsiegenden Theile einzuhändigen.

§. 56.

Kann auf diese Art das Urtel nicht befolgt werden, weil die Sache in der Behausung oder dem Gewahrsame des Verpflichteten nicht zu finden ist; so hängt es von der Wahl des Exekutionssuchers ab: entweder den Manifestationseid von dem Gegner abzufordern; oder sogleich sein Interesse, welches ihm daraus, daß er die Sache erkanntermaaßen nicht überkommen kann, erwachsen ist, zu liquidiren, und auf dessen Beitreibung anzutragen.

§. 57.

Wie es wegen Ausmittelung dieses Interesse, und wegen Verstattung des Liquidanten zum Juramento in litem darüber gehalten werden soll, ist Tit. XXII. §. 19. u. f. verordnet.

IV. Auf Räumung einer unbeweglichen.

§. 58.

Wenn IV. jemand dem Andern ein gewisses Grundstück abzutreten verurtheilt worden ist, so ist ein solches Urtel dergestalt zu vollstrecken, daß der Verurtheilte herausgeschafft, und dagegen der obsiegende Theil eingewiesen wird.


(555) Exekution.

§. 59.

Die Exmission geschieht zwar durch den ordentlichen Exekutor; doch müssen die Gerichte, wenn es ein Grundstück von Wichtigkeit, z. B. ein ganzes Haus oder Gut betrifft, einer Gerichtsperson auftragen, den Exekutor bei der Vollstreckung des Urtels zu dirigiren.

§. 60.

Die Exmission geschieht in der Art, daß der zur Räumung kondemnirte Besitzer mit seinen Effekten, für deren anderweitige Uebertretung er selbst sorgen muß, allenfalls mit Gewalt aus dem Hause oder Gute heraus geschafft; sich aller Wiederergreifung des Besitzes, so wie aller andern Störung des Gegners, bei namhafter Strafe gänzlich zu enthalten, alles Ernstes bedeutet; der obsiegende Theil in den solchergestalt geräumten Besitz eingeführt; auch wenn zu dem Grundstücke Unterthanen, Pächter, oder Lehnleute gehören, dieselben ihrer Pflichten gegen den vorigen Inhaber entbunden, und damit an den neuen Besitzer verwiesen werden. Ist der, welcher exmittirt werden soll, nicht gegenwärtig, und hat er auch niemanden zur Wahrnehmung seiner Angelegenheiten dabei bestellt; so muß der Exekutor die heraus zu schaffenden Effekten desselben irgendwo auf seine Kosten unterzubringen suchen. Dem Exmittirten muß sodann die Abholung der Sachen gegen Berichtigung der Kosten aufgegeben; wenn er sich aber dabei über die Gebühr säumig erweiset: so muß mit dem öffentlichen Verkaufe der Sachen verfahren, der Kostenbetrag davon berichtigt, und der Ueberrest so lange, bis der Eigenthümer sich weiter meldet, in das gerichtliche Depositum genommen werden.

§. 61.

Wenn die Exekutionsordre mit auf die Pertinenz- und Inventarienstücke gerichtet ist; so müssen auch diese dem neuen Besitzer übergeben; davon aber


(556) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

zugleich eine genaue Specifikation aufgenommen, und dem Berichte über die vollstreckte Exekution beigelegt werden.

V. Auf Zahlung einer Geldsumme.

§. 62.

Wenn endlich V. jemand zur Bezahlung einer gewissen Geldsumme verurtheilt worden ist, so ist ein Unterschied zu machen: ob die Forderung des Exekutionssuchers aus einem bloß persönlichen, oder ob sie aus einem dinglichen Rechte entspringe.

§. 63.

Im letztern Falle kommt dem obsiegenden Theile die Wahl zu: ob er zuvörderst die Exekution in das bewegliche Vermögen des Schuldners suchen, oder sich sofort an das ihm verhaftete Grundstück halten wolle.

A. Personalexekution.

I. Einlegung des Exekutors.

§. 64.

Wählt der Exekutionssucher das Erstere, oder gründet sich seine Forderung auf ein bloßes persönliches Recht; so muß der Exekutor, nach Ablauf der in seiner Verordnung bestimmten Frist, der Vorschrift des §. 45. gemäß, sich sofort auf Exekution bei dem Schuldner einlegen.

§. 65.

Offerirt bei dieser Einlegung der Schuldner, die erkannte Zahlung zu leisten; so muß der Exekutor, der Regel nach, das Geld in Empfang nehmen; darüber quittiren; sich von dem Schuldner einen Schein über den Tag der geleisteten Zahlung, das Quantum und die Münzsorte, worin sie bestanden hat, ertheilen lassen; die Gelder selbst aber mit nächster Post dem Extrahenten zuschicken; oder wenn ihm von diesem ein gewisser Empfänger ausdrücklich genannt und angewiesen worden, diesem sothane Gelder unverzüglich einhändigen; auch wie dieses alles geschehen ist, dem Gerichte pflichtmäßig anzeigen.

§. 66.

Ist das beizutreibende Quantum von solcher Beträchtlichkeit, daß nach der bei einem jeden Gerichte


(557) Exekution.

desfalls üblichen, und besonders nach der von dem Exekutor höher oder niedriger bestellten Amtskaution sich richtenden Verfassung, diesem die Empfangnehmung und weitere Beförderung des Geldes nicht überlassen werden kann; so muß nicht allein in der Verordnung an den Exekutor selbst, sondern auch in der Bekanntmachung an den Schuldner, nach der darüber von dem Extrahenten gleich bei der Anbringung seines Exekutionsgesuchs zu machenden Anzeige, ausdrücklich bestimmt werden: an wen die Zahlung geleistet, oder auf was für Art dem Gläubiger das Geld überschickt werden solle.

In solchem Falle muß der Exekutor sich, bei Strafe der Kassation, mit der Annahme einiger baaren Zahlung nicht befassen, sondern nur darauf halten, daß der Schuldner sothane Zahlung an die in der Verordnung benannte Person, oder auf die darin vorgeschriebene Art leiste; und wie es geschehen ist, gegen ihn ausweise.

Wenn ein Schuldner, der ihm geschehenen Bekanntmachung zuwider, dennoch an den Exekutor Zahlung leistet, und dieser die Gelder nicht richtig abliefert; so soll eine solche Zahlung, ihn von seiner Schuldigkeit gegen den Gläubiger zu entbinden, nicht hinreichend seyn.

§. 67.

Ist bei der Ankunft des Exekutors der Schuldner abwesend, oder verspricht derselbe ungesäumt zur Zahlung Rath zu schaffen; so muß der Exekutor ihm noch drei Tage Zeit dazu lassen, und während dieser drei Tage auf Exekution liegen bleiben; auch dahin sehen, daß unterdessen der Schuldner, die künftigen Objekte der Exekution und Auspfändung bei Seite zu schaffen, nicht Gelegenheit haben möge. Nach fruchtlosem Ablaufe dieses Zeitraumes aber, oder wenn der Schuldner gleich anfänglich die Zahlung in


(558) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

Güte zu leisten weigert, muß ohne weitern Verzug oder Anfrage zur Auspfändung geschritten werden.

2. Pfändung der beweglichen Sachen.

§. 68.

Der Exekutor muß also den Schuldner anhalten, ihm seine Effekten und Habseligkeiten vorzuzeigen, und zu dem Ende seine Zimmer, Gewölbe, Keller und übrigen Behältnisse, wie auch die darin befindlichen Kasten, Schränke, Spinden (et)c. zu eröffnen. Doch muß der Exekutor dabei die gebührende Bescheidenheit gebrauchen, daß er diese Vorzeigung und Eröffnung nicht weiter verlange, als es nach Verhältniß der beizutreibenden Summe nothwendig ist. Will der Schuldner dem Ansinnen des Exekutors keine Folge leisten, oder hat er sich, um selbigem auszuweichen, entfernt, und niemanden zur Wahrnehmung seines Interesse zurück gelassen; so muß der Exekutor entweder eine Gerichtsperson, und wenn die Exekution auf dem Lande zu vollstrecken ist, den Schulzen, oder Dorfrichter, nebst den Gerichtsgeschwornen, oder, wenn dergleichen Gerichtspersonen nicht zu haben wären, zwei andere unbescholtene Männer als Zeugen zuziehen, und in deren Beiseyn die Auspfändung nöthigenfalls mit Gewalt vornehmen.

§. 69.

Der Exekutor muß nur so viel an Effekten auspfänden, als nach einem ungefähren Ueberschlage zu Deckung der beizutreibenden Summe, und der Exekutionskosten, erforderlich ist.

§. 70.

Er muß dabei sein Augenmerk hauptsächlich auf solche Effekten richten, die eines Theils leicht zu transportiren, und andern Theils dem Schuldner unter den übrigen am entbehrlichsten sind, z. B. baares Geld, Gold, Silber, Medaillen, Münzen, Edelsteine, Kleinodien, kostbare Kleider, feine Wäsche u. s. w. Sind aber dergleichen nicht, oder doch nicht


(559) Exekution.

zu einem hinlänglichen Betrage vorhanden; so müssen auch andere Sachen, z. B. Zinn, Kupfer, Hausgeräth, Betten u. s. w., angegriffen werden.

Anh. §. 155. Das Mobiliare dienstthuender Offiziere, welches sich an dem Orte befindet, woselbst der Schuldner in Garnison steht, kann keiner Exekution oder Auspfändung unterworfen werden. Dieses gilt auch von dem Mobiliare der auf halben Sold stehenden Offiziere, wenn sie sich an Orten aufhalten, welche ihnen zum Genuß von Servis und Brod angewiesen, und die also gewissermaaßen als ihre Garnison zu betrachten sind.

Ausstehende Forderungen, öffentliche Papiere, ingleichen baares Geld, goldene, silberne und andere Medaillen, Juwelen und Kleinodien, welche ein Offizier besitzt, sind in keinem Falle von der Exekution und Auspfändung befreit. Jedoch muß der Schuldner darüber, ob er dergleichen besitze, vorher vernommen und bei vorhandenem Zweifel zum Manifestationseide verstattet werden.

Anh. §. 156. Wenn wider einen noch im Dienste oder auf Pension stehenden Civilbeamten zur Auspfändung geschritten wird, so sollen ihm die zur Verwaltung seines Dienstes erforderlichen Bücher, das unentbehrlichste Hausgeräth, Betten, anständige Kleider und Wäsche nicht genommen, auch dessen Frau und unerzogenen Kindern nothdürftige Wäsche, Kleider und Betten gelassen werden.

Anh. §. 157. Sämmtliche in den §. 155. und 156. gemachte Ausnahmen, hinsichtlich das (!) Exekutivverfahrens, haben auf solche Schulden, welche aus unerlaubten Handlungen entspringen, keine Anwendung; vielmehr muß in diesem Falle die Exekution ohne Rücksicht auf die Person und ohne Ausnahme irgend eines Vermögensstücks vollstreckt werden.

§. 71.

Hingegen soll die Auspfändung auf Betten, worin Kranke oder Wöchnerinnen liegen; bei Künstlern und Professionisten auf ihr Werkzeug, und was ihnen sonst zur Fortsetzung ihrer Kunst oder ihres Handwerks unentbehrlich nothwendig ist; und bei Schuldnern, welche Landwirthschaft treiben, auf das zum Betrieb der Wirthschaft nöthige Geräthe, Vieh- und Feldinventarium, so wie auf das bis zur nächsten Ernte nöthige Saat-, Brod- und Futtergetreide,


(560) Prozeßordn. Vier und zwanzigster Titel.

nicht erstreckt; sondern dergleichen Effekten sollen, wenn sonst kein anders, aber doch kein zugängliches Objekt zur Auspfändung vorhanden ist, in eine Spezifikation gebracht, dem Schuldner aber deren Veräußerung, bei nachdrücklicher Leibesstrafe, bis auf weitern Befehl untersagt werden.

Anh. §. 158 Wenn außer dem Falle eines Konkurses, im Wege der Exekution das Warenlager eines Kaufmanns oder einer Fabrik, oder die Materialien und Warenvorräte eines in ausgebreitetem Verkehr stehenden Handwerkers in Beschlag genommen werden sollen; so müssen die auf die Exekution andringenden Gläubiger jederzeit ihre bestimmte Erklärung über die bei der Beschlagnehmung zu treffenden näheren Maßregeln abgeben, damit dem gemäß, und, dem Befinden der Umstände nach, allenfalls mit Zuziehung des Schuldners und eines Werkverständigen, die weitere Einleitung getroffen werden könne.

§. 72.

Ueber die abgepfändeten Stücke muß der Exekutor auf der Stelle ein genaues Verzeichnis anfertigen, und es von dem Schuldner oder den zugezogenen Gerichtspersonen, oder Zeugen, mit unterschreiben lassen.

§. 73.

Sodann muß er auf Kosten des Schuldners dafür Sorge tragen, daß die ausgepfändeten Effekten entweder an Orte selbst, oder, wenn daselbst keine taugliche Gelegenheit vorhanden wäre, in der nächsten Stadt, in einem sichern Gelasse untergebracht werden; auch dieses Gelaß mit dem ihm anvertrauten Siegel verwahren.

§. 74.

Bei der Auspfändung selbst muß der Gläubiger, wenn er auch in Person zugegen wäre, oder desselben dazu etwa abgeordneter Bevollmächtigter, sich in nichts mengen, viel weniger den Exekutor anweisen wollen: worauf er die Auspfändung zu richten, und wie er sie zu vollstrecken habe; allermaßen dieser sich lediglich nach obigen Vorschriften, und der ihm etwa,


(561) Exekution.

bei vorkommenden besonderen Umständen, von dem Gerichte ertheilten nähern Instruktion achten muß. Uebrigens kann zwar der Schuldner dem Exekutor nicht vorschreiben: was für Effekten, und wie viel er pfänden solle; wenn jedoch mehrere Sachen von gleichem Werthe vorhanden sind, und aus einer derselben die Befriedigung des Gläubigers eben so gut und geschwind, als aus der andern erfolgen kann, so muß der Exekutor auf den Antrag des Schuldners bei der Pfändung billige Rücksicht nehmen.

Wie es zu halten, wenn dabei Eigentumsansprüche angemeldet werden.

§. 75.

Meldet sich bei oder nach der Aufpfändung jemand, welcher behauptet, daß die gepfändeten Sachen nicht dem Schuldner, sondern ihm zugehören; so muß der Exekutor, wenn noch andere Gegenstände, in welche die Exekution vollstreckt werden kann, vorhanden sind, diese, mit Uebergehung der in Anspruch genommenen, angreifen; sonst aber mit der Auspfändung fortfahren; den Intervenierten wegen näherer Ausführung des sich angemaßten Eigentums an das Gericht verweisen, und die von ihm angesprochenen Stücke in seinem Verzeichnisse besonders bemerken.

§. 76.

Von dergleichen vorgefallener Intervention muß der Exekutor sofort berichten, und die Sache muß alsdann zwischen den Intervenienten einer-, und dem Gläubiger und Schuldner andererseits, nach Vorschrift des Tit. XVIII. vor der interventione principali ordnungsmäßig, jedoch so schleunig als möglich, erörtert werden.

§. 77.

Wenn der Eigentumsanspruch mit nichts bescheinigt worden ist, so muß mit dem Verkaufe der gerichtlich angesprochenen Sachen dennoch verfahren, und die Intervention allenfalls auf das dafür gelöste Kaufgeld gerichtet werden. Insonderheit ist,


(562) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

wenn die Frau des Schuldners ausgepfändete Sachen als ihr Eigentum in Anspruch nimmt, auf die Vorschriften des Allg. L. R. Th. II. Tit. I. § 206. 208. 213. 314-317 gehörig Rücksicht zu nehmen.

3. Auktion.

§. 78.

Wenn die beizutreibende Summe fünfzig Thaler nicht übersteigt, so muß der Exekutor nach verrichteter Auspfändung sofort, und ohne daß es einer vorher gängigen Anfrage bedarf, zum öffentlichen Verkaufe der gepfändeten Sachen Anstalt machen.

§. 79.

Diesen anstehenden Verkauf muß er am Orte selbst sowohl, als so viel die Zeit es gestattet, in der Nachbarschaft, auf die in jeder Provinz und Gegend übliche Art, doch so, daß zugleich die Kosten möglichst gespart werden, öffentlich bekannt machen.

§. 80.

Bei dem Verkaufe selbst muß er eine zum Protokolle vereidete Gerichtsperson des Orts, oder wenn es auf dem Lande wäre, Schulzen und Gerichte mit zuziehen; übrigens aber sowohl wegen Abschätzung der zu verkaufenden Effekten, als wegen des Ausgebots und der Zuschlagung selbst, ingleichen wegen Abgebung der Gelder, sich nach demjenigen achten, was in den folgenden Paragraphen von dem Verfahren bei gerichtlichen Auktionen überhaupt, verordnet ist.

§. 81.

Wenn die beizutreibende Summe, und also auch die abgepfändeten Effekten, den Werth von 50 Reichsthaler übersteigt; so muß der Exekutor nach verrichteter Auspfändung unverzüglich an das Kollegium berichten, und zugleich das Verzeichnis der abgepfändeten Sache beilegen.

§. 82.

Finden sich darunter Juwelen von beträchtlichem Werthe, oder andere Kostbarkeiten, deren Verkauf


(563) Exekution.

durch eine ordentliche Subhastation erfolgen muß; so sind die Vorschriften des Titels vom Subhastationsprozesse zu beobachten.

§. 83.

Kann aber der Verkauf bloß durch Auktion erfolgen, so muß das Gericht, zu deren Besorgung, einen Kommissarius am Orte selbst, oder in der Nachbarschaft bestellen; die Interessenten über die dabei zu beobachtenden Modalitäten entweder unmittelbar, oder durch ihre bei den Akten genannten Bevollmächtigte, mit ihrem Gutachten vernehmen, und nach den Anträgen derselben, so wie nach den übrigen vernünftig zu erwägende Umständen, den Kommissarius wegen des Orts, wo, und wegen der Zeit, wann der Verkauf erfolgen solle, mit bestimmter Instruktion versehen. Wird die Auktion nicht durch einen öffentlich, unter geleisteter Kaution, bestellten Kommissarius besorgt; so steht den Extrahenten frei, jemanden zu ernennen, an welchen der Kommissarius die tägliche Einnahme abliefern muß.

§. 84.

Der ernannte Kommissarius muß vor allen Dingen die ausgepfändeten Effekten durch Sachverständige taxiren lassen, und zu gleicher Zeit den Termin zur Auktion nicht nur durch Anschlagung schriftlicher Nachrichten, worin die zu verkaufenden Effekten nach ihren Gattungen und Arten benannt sind, an der Gerichtsstätte, oder anderen öffentlichen, von dem Publikum häufig besuchten Plätzen der Stadt, oder des Orts, wo die Auktion erfolgen soll, und eines oder zweier benachbarter Örter, sondern auch durch ein- oder mehrmalige Einrückung derselben in die Zeitungen und Intelligenzblätter der Provinz, öffentlich bekannt machen. Auch muß er dafür sorgen, daß nach Beschaffenheit der Umstände die anstehende Auktion derjenigen Gattung von Leuten, unter welchen die meisten Kauflustigen zu erwarten


(564) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

sind, z. B. der Judenschaft des Orts durch den Ausruf in ihrer Schule, zur wahren Wissenschaft gebracht werde. Wenn auch die zu verkaufenden Effekten zahlreich sind, und zusammen eine beträchtliche Summe am Werthe ausmachen; so muß der Kommissarius das Verzeichnis davon drucken, und so viel als möglich unter das Publikum vertheilen lassen.

§. 85.

Obige Vorschriften wegen der Art der Bekanntmachung enthalten die Regel, an welche jedoch der Richter nicht schlechterdings gebunden ist, sondern nach Beschaffenheit der Umstände diese oder jene Art der Publikation weglassen, oder an deren Stelle eine andere verfügen kann. So kann z. B. in gewöhnlichen Fällen, wenn die Auktion an einem großen Orte gehalten werden soll, die Bekanntmachung an benachbarten Orten unterbleiben. Es kann an deren Stelle die Vertheilung gedruckter Nachrichten von der bevorstehenden Auktion, und den dabei zum Verkauf auszubietenden Sachen verordnet; oder an kleineren Orten die Verkündigung von den Kanzeln, oder vor den Kirchthüren, wo es bisher üblich gewesen, oder rathsam befunden wird, beibehalten werden. Dagegen ist es nothwendig daß jede Auktion, wenn der Gegenstand über fünfzig Taler beträgt, wenigsten Einmal in den Zeitungen oder Intelligenzblättern der Provinz bekannt gemacht werde.

§. 86.

Im Termine selbst muß die Auktion nach der Folgeordnung des aufgenommen oder gedruckten Verzeichnisses vor sich gehen; die darin verzeichneten Stücke müssen nach und nach ausgerufen und öffentlich vorgezeigt; wenn es dabei auf Gewichte, Ellen- oder Quartmaß ankommt, der Betrag desselben jedes Mal zugleich bekannt gemacht; sodann die Gebote der anwesenden Kauflustigen abgewartet, und zuletzt


(565) Exekution.

das ausgebotene Stück den Meistbietenden zugeschlagen werden.

§. 87.

Der Auktionskommissarius muß in seinem Protokolle bei jedem Stücke die Summe, für welche der Zuschlag, und den Namen desjenigen, an den er geschehen ist, genau und richtig bemerken. Den Interessenten stehet frei, bei der Auktion gegenwärtig zu seyn, oder auch auf Bestellung eines zweiten Kommissarii, zur Führung des Nebenprotokolls, als einer Kontrolle dabei, anzutragen. Bemerkt der Schuldner im Fortlaufe der Auktion, daß aus den bisher verkauften Sachen bereits so viel, als zur Tilgung der beizutreibenden Summe, mit Inbegriff der Kosten, erforderlich ist, heraus gebracht sey; so muß er es dem Auktionskommissarius anzeigen; und dieser muß, wenn er die Anzeige nach gemachtem Ueberschlage richtig findet, mit dem fernern Verkaufe sogleich abbrechen.

§. 88.

Der Kommissarius und der Ausrufer müssen sich, bei schwerer Ahndung, nicht unterfangen, auf die zu verkaufenden Stücke weder selbst, noch durch Andere mitzubieten. (Allg. L. R. Th. I. Tit. XI. §. 21-25.) Bei dem Ausbieten, und dem Zuschlage selbst, muß mit aller Redlichkeit und Unparteilichkeit verfahren, und Letzterer nicht etwa zu Gunsten eines oder des anderen Bietenden übereilt werden.

§. 89.

Bei Einziehung der Gelder muß der Auktionskommissarius keine Reste zulassen, und die erstandenen Sachen, ohne Einwilligung des Extrahenten, oder ohne Ordre des Gerichts, nicht anders, als gegen baare Zahlung, verabfolgen; wie denn auch wenn der Meistbietende ein Fremder und unbekannter Mensch wäre, der Zuschlag, geschehen muß. Wenn auch


(566) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

der Meistbietende bis zum völligen Abschlusse der Auktion die erstandenen Stücke gegen baare Bezahlung nicht abholt, so müssen selbige auf seine Gefahr und Kosten nochmals ausgeboten, und der dabei sich etwa ergebende Ausfall von diesem ersten Licitanten sofort, und ohne den geringsten Anstand, durch Exekution beigetrieben werden.

§. 90.

Von den gelöseten Geldern müssen zuvörderst die Auspfändungs- und Exekutionskosten abgezogen; sodann aber die Summe, welche beigetrieben werden soll nach Anleitung der Vorschriften des §. 60. dem Gläubiger selbst, oder dessen zu deren Empfange besonders ernannten Bevollmächtigten, gegen Quittung bezahlt, oder durch die Post übermacht werden. Sollte auch, nach Berichtigung alles dessen, von der Auktionslösung noch etwas übrig bleiben, so muß der Kommissarius dergleichen Ueberrest dem Schuldner gegen Quittung verabfolgen lassen.

§. 91.

Nach beendigter Auktion muß der Kommissarius sein Protokoll, die Berechnung der Gelder, und die dazu gehörige Beläge, an Quittungen, Postscheine u. s. w. mittelst Berichts an das Kollegium einreichen.

§. 92

In Provinzen, wo öffentliche Beamte zur Besorgung der vorfallenden Auktionen besonders bestellt sind, hat es dabei, und bei den ihnen ertheilten näheren Instruktionen oder Reglements, auch ferner sein Bewenden. Doch müssen auch diese nach dem wesentlichen Inhalte der §. 84. u. f. enthaltenen Vorschriften, so weit sie davon durch gedachte Reglements und Instruktionen nicht ausdrücklich dispensiert sind, sich achten.

Besondere Vorschriften von Pfändungen bei Getreide.

§. 93.

Wenn bloß Getreide abgepfändet worden ist, so muß der Exekutor dafür sorgen, daß selbiges durch


(567) Exekution.

des Schuldners Gespann, oder sonst auf dessen Kosten, nach der nächsten Stadt, wo ein ordentlicher Getreidemarkt ist, geführt, und daselbst verkauft werde. Wegen Auszahlung der Gelder muß es sich nach obigen Vorschriften achten; und übrigens seinem über den Erfolg der Exekution zu erstattenden Berichte auch einen von dem Magistrate des Orts zu attestirenden Marktzettel beilegen.

§. 94.

Wird Getreide, das noch nicht ausgedroschen ist, bei der Auspfändung in den Scheuren vorgefunden, so muß der Exekutor die Scheuren versiegeln, den Schlüssel einem aus den Gericht des Orts zu bestellenden und besonders zu vereidenden Aufseher übergeben, unter dessen Aufsicht das Dreschen besorgen lassen, und sodann den Verkauf nach obstehender Vorschrift veranstalten.

Bei Kunst- und Handwerksgeräthschaften.

§. 95.

Findet sich bei der gegen einen Künstler oder Professionisten verfügten Auspfändung kein anderes Mobiliarvermögen, als das zum Betriebe seiner Kunst oder seines Handwerks unumgänglich nöthige Werkzeug, oder sind die übrigen gepfändeten und verkauften Effekten zur Bezahlung des Gläubigers nicht hinreichend; so muß das die Exekution dirigirende Gericht mit dem Polizeimagistrate des Orts Rücksprache halten: ob und was etwa für Modalitäten, zur Konservation des Schuldners in seinem Nahrungsstande, und zugleich zur Befriedigung des Gläubigers, nach Beschaffenheit der Umstände Statt finden können. Es muß alsdann erwogen werden: ob etwa dem Schuldner aus einer öffentlichen Kasse, von dem Mittel oder Gewerke, zu welchem er gehört, oder von dem Inhaber der Fabrik, bei welcher er in Arbeit steht, zu einem Vorschusse, wodurch der andringende Gläubiger befriedigt, und der von ihm durch Abzüge von seinem Verdienste, nach und nach


(568) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

wieder erstattet werden könne, zu helfen sey. Falls aber auch hierdurch aus der Sache nicht zu kommen wäre, so muß Werkverständige beurtheilt werden: wie viel der Schuldner, nach den vorwaltenden speziellen Umständen, die Woche hindurch verdienen könne; wie viel er zum nothdürftigen täglichen Unterhalte für sich und die Seinigen gebrauche; und wie viel er also wöchentlich von seinem Verdienste auf die unter Exekution stehende Schuld abzuzahlen im Stande sey. Hiernach müssen die Zahlungstermine regulirt werden, und der Gläubiger kann, dieselben anzunehmen, sich nicht entbrechen; maaßen die daraus für ihn entstehende Unbequemlichkeit, durch die Betrachtung des allgemeinen Besten, welchem daran, daß nützliche Bürger im Staate nicht ohne die dringendste Noth zu Grunde gerichtet werden, gelegen ist, offenbar weit überwogen wird.

§. 96.

Wenn jedoch ein solcher Schuldner sich unterfängt, das ihm zur Fortsetzung seines Gewerbes gelassene Werkzeug zu veräußern, oder wenn er die ihm gesetzten Zahlungstermine nicht inne hält; so wird er der verstatteten Nachfrist sogleich verlustig, und es muß, auf Anmelden des Gläubigers, mit dem öffentlichen Verkaufe sothaner Werkzeuge ohne fernern Anstand verfahren werden.

Anh. §. 159. Wenn ein Gläubiger, welcher schuldig erachtet worden ist, seinem zur Klasse der Künstler oder Handwerker gehörenden Schuldner Zahlungstermine zu bewilligen, hiernächst behauptet, daß der Schuldner der ihm zugestandenen Rechtswohltat sich unwerth bezeigt habe, oder daß die bei der Verfügung zum Grunde liegenden Thatsachen unrichtig befunden worden; so findet eben das Verfahren statt, welches wegen des Indults Th. I. Tit. XLVII. §. 41. und 42. vorgeschrieben ist.

Hat der Gläubiger durch Abzüge von dem Verdienst des Schuldners befriedigt werden sollen, und ist dieser Abzug so gering, daß nicht einmal die Zinsen getilgt oder auch nur nach aller Wahrscheinlichkeit des Kapital während der Lebenszeit des Schuldners abgeführt werden


(569) kann; so muß auf den Antrag des Gläubigers mit den übrigen Graden der Exekution, und wenn dazu kein anderes Objekt vorhanden ist, mit dem Personalarrest verfahren werden.

Bei Wirtschaftsinventarien.

§. 97.

Es ist bereits oben §. 71. verordnet: daß bei der gegen einen Landwirth veranlassten Auspfändung, das zum Betriebe der Wirthschaft gehörige Geräthe, das Vieh- und Feldinventarium, das Brod-, Samen- und Futtergetreide nicht angegriffen werden soll. Behauptet nun aber ein Gläubiger, daß unter diesen Stücken verschiedenes begriffen sey, was ohne wirklichen Nachtheil des Wirthschaftsbetriebes füglich veräußert, und zu seiner Befriedigung angewendet werden könne; so ist darüber nähere Untersuchungen zu veranlassen.

§. 98.

Das die Exekution dirigirende Gericht muß dazu einen Kommissarius ernennen, und demselben einen Ökonomieverständigen zuordnen, um bei der Untersuchung dem Justizkommissario mit seiner Wissenschaft und seinem Gutachten an die Hand zu gehen.

§. 99.

Zeigt es sich bei dieser Untersuchung, bei welcher es hauptsächlich auf den pflichtmäßigen, mit vernünftigen Gründen zu unterstützenden Befund des Ökonomiekommissarii ankommt, daß wirklich ein oder das andere von dem Geräthe, Vieh- und Feldinventario, ohne Ruin der Wirthschaft entbehrt und veräußert werden könne; so muß der Justizkommissarius für den Verkauf dieser Stücke vorschriftsmäßig sorgen. Im entgegen gesetzten Falle aber muß der Gläubiger, auf den darüber von der Kommission erstatteten Bericht, mit seinem Suchen ab-, und allenfalls auf die noch übrigen Grade der Exekution verwiesen werden.


(570) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

§. 100.

Die Kosten dieser Untersuchung muß der Gläubiger, als Extrahent, gleich den übrigen Exekutioskosten, nöthigenfalls vorschießen. Er ist aber dieselben von dem Schuldner wieder einzuziehen, und mit seinem andern judikatmäßigen Liquido zugleich beitreiben zu lassen berechtigt.

4. Beschlag der Activorum;

§. 101.

Wenn bei der veranlaßten Auspfändung kein Mobiliarvermögen, aus welchem der Gläubiger befriedigt werden kann, vorgefunden wird; oder auch, wenn der Gläubiger ehe er zur Auspfändung greifen will, die etwa vorhandenen ausstehenden Schulden des Exequendi zum Objekt seiner Befriedigung vorschlägt; so muß an die Schuldner entweder unmittelbar, oder durch Requisition, die Verordnung erlassen werden: vom Tage der Insinuation an, ihrem Gläubiger weiter keine Zahlung zu leisten; mit dem Bedeuten, daß, wenn sie diesem Verbote zuwider handelten, die Gelder ihnen auf ihre Schuld als gültige Zahlung, nicht angerechnet werden würden. Zugleich muß ihnen aufgegeben werden: sich über die etwa schon vorhin geleisteten Zahlungen durch Quittung auszuweisen; und Kapital sowohl als Interessen, so weit es zur Befriedigung des Extrahenten erforderlich ist, in den gewöhnlichen oder stipulirten Terminen, nach Beschaffenheit der Umstände, und dem Ermessen des Gerichts, an den Exekutionssucher unmittelbar oder in das gerichtliche Depositium abzuführen. Von dieser Verordnung muß sogleich dem Exequndo Nachricht gegeben, und demselben anbefohlen werden, sich aller Cession, Verpfändung oder anderweitigen Disposition über die in Beschlag genommenen Kapitalien, bei Vermeidung der in den peinlichen Rechten verordneten Strafen des Betrugs, schlechterdings zu enthalten. Uebrigen muß der Exequendus allenfalls durch Zwangsmittel


(571) Exekution.

angehalten werden, die Instrumente über dergleichen Aktivforderungen in das gerichtliche Depositium abzuliefern.

§. 102.

Wenn der Exekutionssucher zwar überhaupt weiß, oder auch nur mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuthet, daß sein Schuldner dergleichen Aktivforderungen habe; ihm aber der Betrag derselben, und wo sie ausstehen, nicht eigentlich bekannt ist; so kann er den Schuldner zur Manifestation davon, allenfalls eidlich, anhalten.

§. 103.

Wenn die angeblichen Schuldner auf die an sie ergangenen Inhibitionen und Zahlungsbefehle dem Gerichte anzeigen: daß sie dem Exequndo entweder gar nichts, oder nicht so viel, oder nicht zu der angegebenen Zeit, sondern später zu bezahlen schuldig sind; so muß zwischen ihnen und dem Exekutionssucher kein Prozeß zugelassen werden, sondern der Exequendus muß mit ihnen die Sache ausmachen, wobei jener sich allenfalls als Intervenient melden, und seine Gerechtsame wahrnehmen kann.

§. 104.

Wenn der Exequendus nicht klagen will so muß der Exekutionssucher die übrigen Grade der Exekution ergreifen, und kann allenfalls nach den unten folgenden Vorschriften auf Personalarrest gegen den Schuldner antragen.

§. 105.

Wenn ein dringender Verdacht der Kollusion zwischen dem Exequndo, und denjenigen die als Schuldner der ihm zustehenden Aktivkapitalien angegeben woeswn, vorhanden ist; so kann der Richter dem Exekutionssucher ein solches Aktivum, auf sein Verlangen, an Zahlungs Statt anweisen; und alsdann isst der Exekutionssucheer dasselbe auch ohne Cession des Exequendi einzuklagen berechtigt.


(572) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

Auf Besoldungen und Pensionen.

§. 106.

Wenn der Exequendus eine feste Besoldung oder Pension zu genießen hat, so kann der Exekutionssucher dieselbe, entweder nach fruchtlos erfolgter Auspfändung, oder auch sofort, und ehe noch zu dieser geschritten wird, zum Objekte seiner Befriedigung in Vorschlag bringen; worauf an dasjenige Kollegium oder die Kasse, bei welchen die Besoldung zu erheben ist, die Verordnung oder Requisition ergehen muß, dem Exequndo die Hälfte davon so lange zu bezahlen, bis dieser Letztere dadurch seine Befriedigung vollständig erhalten habe.

§. 107.

Jedoch hat es in Ansehung derjenigen Officianten, deren Salaria, nach desfalls ergangenen speciellen Verordnungen, im Wege der Exekution gar nicht angegriffen werden können bei besagten Verordnungen nach wie vor sei Bewenden.

§. 108.

Es findet daher in die Besoldungen der Officianten bei der Accise- und Zolladministration, ingleichen bei der Seehandlung keine Exekution statt. Auch können Gläubiger verabschiedeter Offiziere wenn gleich ihre Forderungen an sich rechtsgültig wären, sich an die den Schuldnern angewiesenen Pensionen und Wartegelder nur in so weit als dieselben die Summe von vierhundert Thalern übersteigen, und nur auf die Hälfte dieses Ueberschusses halten.

Anh. §.160. Auf die Besoldungen und Emolumente der Civilbeamten findet ein Beschlag nur in der Art statt, daß ein jeder jährlich 400 Rthlr. frei behält. Gegen diejenigen, welche nur 400 Rthlr. oder Diensteinkünfte haben, soll daher kein Arrestschlag, desgleichen bei den übrigen der Beschlag nur auf die Hälfte des nach Abrechnung der 400 Rthlr. bleibenden Ueberschusses der Besoldung und Emolumente gestattet werden.

Anh. §.161. Allen im Allgemeinen Landrecht Th. II. Tit. X. §. 68. und 69. gedachten Beamten, mithin


(573) Exekution.

auch den städischen, geistlichen und landschaftlichen, kommt die Vorschrift des §. 106. des Anhangs zu Statten. Ein Gleiches gilt in Absicht der Justizkommissarien, nicht aber in Absicht der als praktische Aerzte appprobirten Doktoren deer Medicin.

Anh. §. 162. Auch auf diejenigen, welche aus einem unter öffentlicher Verwaltung stehenden Fonds eine ihnen vom Staate oder der vorgesetzten Behörde angewiesene Pension beziehen, findet die gedachte Vorschrift jedoch mit der Einschränkung Anwendung, daß ihnen nur 200 Rthlr. ganz und von dem Ueberschuß die Hälfte, frei bleiben soll.

Anh. §. 163. Eine Verzichtleistung auf die vorstehend festgelegte Befreiung vom Arrestschlag ist, so wie jede Verpfändung und Anweisung fixirter Besoldungen, Emolumente und Pensionen, ohne alle rechtliche Wirkung.

Anh. §. 164. Die Königlichen Kassen können nicht mit der unmittelbaren Zahlung der Gehaltsabzüge für einzelne Gläubiger belästigt werden. Die jedesmal für die Gläubiger bestimmte Summe muß vielmehr an dasjenige Gericht, welches die Exekution dirigirt, gezahlt, und demnächst die Einrichtung getroffen werden, daß entweder die Vorladung der Gläubiger zum Empfange sofort erfolgt oder daß von dem Gericht ein Kurator oder Rendant zum Empfang und zur Distribution ernannt, von diesem das Geld zur Stelle gebracht, und, wenn die Distribution oder Zahlung nicht sogleich geschehen kann, die erhobene Summe einstweilen zur Asservation gegeben wird.

Anh. §. 165. Wegen der Abzüge von den Gehalten der Offiziere finden folgende Vorschriften Statt:

1. Sämmtlichen Generalen, Kommandeurs, Kommandanten, Staabsoffizieren und den Kompagnie- und Eskadronschefs müssen bei Gehaltsabzügen zur Befriedigung der Gläubiger, von ihrem jährlichen Gehalte 400 Rthlr. frei bleiben und nur von dem den Betrag von 400Rthlr. übersteigenden Gehalte kann die Hälfte von den Gläubigern in Beschlag genommen werden. Einer Anfrage bei Sr. Königlichen Majestät über diese Abzüge bedarf es in keinem Falle.

2. Eben dieses findet auch bei allen Offizieren; welche Pension oder Wartegeld genießen, oder auf halbes Gehalt gesetzt sind, Statt.

3. Was die den Subalternoffizieren zu machenden Gehaltsabzüge betrifft, so können bei der Infanterie einem Fähnrich und Sekondelieutenant nicht mehr als 2 Rthlr., einem Premierlieutenant aber 3 Rthlr., und bei der Kavallerie einem Kornet und Sekondelieutenant


(574) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

3Rthlr., und einem Premierlieutenant höchstens 4 Rthlr. monatlich, abgezogen werden.

Anh. §. 166. Die Abzüge, welche einem Offizier zur Deckung und Wiederstattung der ihm aus den Regiments- und Bataillonskassen gesetzmäßig vorgeschossenen Equipagegelder gemacht werden, haben vor allen übtigen selbst früher kontrahirten Schulden den Vorzug, und müssen ungetheilt den Darleihern verabfolgt werden.

Anh. §. 167. Bei den Generalen und anderen Offizieren höhern Ranges müssen die ihnen für ihre Dinstverhältnisse bewilligten sogenannten Tafelgelder und sonstigen Zulagen, welche nicht mit zum eigentlichen Gehalte gehören, von den Abzügen Behufs der Bezahlung von Schulden ausgeschlossen werden. Eben so bleibt in Absicht sämmtlicher Offiziere der Servis, weil solcher statt der Naturaleinquartirung gezahlt wird von den Abzügen ausgeschlossen.

Anh. §. 168. Sowohl Militairpersonen als Civilbeamte und Pensionisten müssen sich Abzüge bis zur Hälfte ihres ganzen Gehalts, Wartegelds oder Pension ohne Unterschied des Betrages gefallen lassen, wenn es auf Entrichtung laufender Alimente ankommt.

Anh. §. 169. Die in Absicht der Beschlagnahme von Besoldungen und Pensionen vorgeschriebenen Einschränkungen finden bei solchen Schulden keine Anwendung, welche aus unerlaubten Handlungen entstanden sind; vielmehr soll bei Schulden dieser Art, der Schuldner sey eine Militärperson oder ein Civilbeamter, die Exekution ohne Rücksicht auf einen dem Schuldner sonst zu seiner Subsistenz zu belassenden Theil seines Einkommens vollstreckt werden.

Anh. §. 170. Kurrente öffentliche Abgaben sind ohne Unterschied der höhern oder niedrigern Besoldung oder Pension durch deren Beschlagnahme von Militairpersonen und Civilbeamten oder Pensionisten einzuziehen. Wenn aber andere Gläubiger auf solche Besoldungen und Pensionen schon Beschlag gelegt haben, so wird nur die eine Hälfte der zu entrichtenden Abgaben von dem freien Antheil des Besoldeten oder Pensionisten, die andere Hälfte aber von dem den Gläubigern angewiesenen Antheile dergestalt erhoben, daß leztere bis zur Tilgung der öffentlichen Abgaben zurückstehen müssen.

§. 109.

Die aus der allgemeinen, ing…chen… Offiziers-Wittwenkasse den Wittwen zu zahlenden Pensionen können nur von solchen Gläubigern, welche die Beiträge zur Bezahlung des Pensionsrechts


(575) Exekution.

vorgeschossen haben, zur Befriedigung wegen dieser Beiträge, als Objekt der Exekution vorgeschlagen werden.

5. Beschlag der Gutseinkünfte.

§.110.

Sind alle vorstehende Grade der Exekution nicht hinreichend, dem Gläubiger wegen seiner habenden Personalforderung zu seiner Befriedigung zu verhelfen; so ist er an die seinem Schuldner zugehörigen unbeweglichen Grundstücke sich zu halten berechtigt.

§. 111.

Eben dergleichen Befugniß steht auch demjenigen zu, welcher eine gültige Realforderung an ein Grundstück erstritten hat; und dieser kann sein Unterpfand sofort angreifen, ohne daß er nöthig hat, erst die übrigen Grade der Personalexekution gegen den Schuldner durchzugehen.

§. 112.

Ist die Forderung so beschaffen, daß sie wahrscheinlicher Weise in nicht allzu langer, Jahr und Tag nicht übersteigender Frist, aus dem Betrage des Guts bezahlt werden kann; so müssen die Gerichte bloß diese Einkünfte auf Anmelden des Gläubigers in Beschlag nehmen.

Anh. §. 171. Bei jeder im Wege der Exekution von einem Personal- oder Realgläubiger nachgesuchten Subhastation eines Grundstücks muß der Richter die im §. 112. vorgeschriebene Prüfung anstellen: ob die exekutivisch beizutreibende Forderung binnen Jahresfrist aus den Gutseinkünften berichtigt werden kann. Nur wenn dieß möglich ist, muß die Subhastation verweigert und Sequestration auf ein Jahr verfügt, im entgegen gesezzten Falle aber die ungesäumte Subhastation gestattet werden.

§. 113.

Ist das Grundstück verpachtet oder vermiethet, so wird dem Pachter oder Miether bloß aufgegeben: von dem zu entrichtenden Pacht- oder Miethgelde so viel, als zur Befriedigung des Gläubigers erforderlich ist, in den festgesetzten Terminen an selbigen zu


(576) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

bezahlen; und ist dabei alles das zu beobachten, was in dem Falle des §. 101., wenn ausstehende Schulden zum Objekte der Exekution vorgeschlagen sind, verordnet worden ist.

§. 114.

Wird das Gut von dem Schuldner selbst administrirt, so muß das Gericht einen Aufseher zur Erhebung der Einkünfte und Ablieferung derselben an den Gläubiger bestellen. Zugleich müssen alle Wirthschaftsbeamte, welche mit Einziehung der Gutseinkünfte etwas zu thun haben, z. B. Verwalter, Vögte, Schäfer u. dgl., ingleichen die Unterthanen, welche Zinsen und Ehrungen, oder andere Natural- und Geldabgaben zu entrichten haben, ernstlich angewiesen, allenfalls auch Erstere, nach dem Ermessen des Gerichts, vereidet werden: die eingehobenen oder zu entrichtenden Gelder nicht an den Schuldneer, sondern an den ernannten Aufseher abzuführen.

§. 115.

Duch diese Verfügungen wird also dem Schuldner die Bewirthschaftung des Guts selbst noch nicht entzogen, sondern er behält in diesem Stücke, nach wie vor, seine freie Disposition. So bald sich aber derselbe dem verordneten Beschlage der Einkünfte widersetzt, oder selbige dem Gläubiger und dessen bestelltem Aufseher zu entziehen sucht; so muß auf die in der Folge verordnete Art zur Sequestration oder Immission geschritten werde.

6. Sequestration.

§. 116.

Wenn ein bloßer auf die Einkünfte des Guts zu legender Beschlag zur Befriedigung des Gläubigers nicht hinreichend ist, so muß das Gericht denselben in das Grundstück selbst gehörig immittiren, und dem Schuldner alle fernere Bewirthschaftung und Disposition darüber untersagen.


(577) Exekution.

§. 117.

Die Administration eines solchen Grundstücks geschieht durch eine anzuordnende Sequestration, von welcher die Nutzungen erhoben, und zur Befriedigung des Gläubigers, nach der Anweisung des Gerichts, verwendet werden.

§. 118.

Die bisher statt gefundene Immission der Gläubiger für eigene Rechnung, wo denselben das Grundstück nach einem gefertigten Anschlage, zur eigenen Administration und Nutznießung, gleichsam auf Gewinn und Verlust, ohne Verbindlichkeit zur Rechnungslegung eingeräumt worden ist, soll in der Folge nicht mehr zugelassen werden; da die Erfahrung gelehrt hat, daß wegen der großen Unzuverlässigkeit, welche bei den meisten Nutzungsanschlägen schon zur Zeit ihrer ersten Aufnehmung aus Mangel der erforderlichen Nachrichten obwaltet, und wegen der großen und wichtigen Veränderungen, welche die Verschiedenheit der Witterung, und andere zufällige Umstände, in dem Ertrage der Grundstücke, besonders der Landgüter, hervor bringen können, bei der auf den Grund eines solchen Anschlages über die Dauer der Immissionszeit anzulegenden Berechnung, wenn diese unabänderlich seyn soll, schwere Verkürzungen des Gläubigers oder des Schuldners unvermeidlich sind; und wenn Revisionen des Anschlags statuirt werden wollten, dadurch eine Quelle unzähliger, beide Theile erschöpfender Prozesse von Neuem eröffnet werden würde.

§. 119.

Dergleichen Immission eines Gläubigers für eigene Rechnung findet also nur alsdann Statt, wenn sich derselbe mit dem Schuldner darüber vereinigt. Alsdann müssen die Dauer der Immission, die Art der Wirthschaftsführung, die Remissionsfälle, und alle übrige Bedingungen, in einem unter Direktion


(578) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

des Gerichts zu schließenden Abkommen, so genau und bestimmt als möglich, festgesetzt werden. In Ermangelung verabredeter Bestimmungen finden die Vorschriften des Allgemeinen Landrechts Th. I. Tit. XX. §. 226-242. Anwendung.

§. 120.

Außeer diesem Falle hat also bei Exekutionen in Immobilien nur die gerichtliche Sequestration Statt. Dabei kann zwar dem Gläubiger selbst, wenn er sich sonst dazu qualificirt, die Führung der Wirthschaft aufgetragen werden; er hat aber alsdann alle Verbindlichkeiten eines andern Sequesters.

a. Bei städtischen Grundstücken.

§. 121.

Ist das zu sequestrirende Immobile ein Haus oder anderes städtisches Grundstück (praedium urbanum), so muß das Gericht, mit Zuziehung der Interessenten, einen Administrator bestellen; denselben, in so fern er nicht etwa zu dergleichen Verrichtungen überhaupt in Pflichten steht, besonders vereiden, und mit näherer Instruktion nach den Umständen versehen.

§. 122.

Diesem Administrator muß das Grundstück von einem gerichtlichen Kommisario übergeben, und von den dazu gehörigen Pertinenzstücken, Hausgeräthe u. s. w. ein richtiges Inventarium mit Taxe aufgenommen werden.

§. 123.

Bei dieser Uebergabe muß zugleich von der Kommission, mit Zuziehung von Sachverständigen, untersucht werden: ob und was etwa für Reparaturen nothwendig sind, um das Grundstück in gehörigen Baustand zu setzen, und darin ferner zu unterhalten. Die dazu erforderlichen Kosten, wenn sie entweder so beträchtlich sind, daß sie die Einkünfte eines Vierteljahrs übersteigen, oder wenn die Reparatur selbst keinen Aufschub leidet, muß in Ermangelung eines


(579) Exekution.

andern Fonds, der Gläubiger, unter Vorbehalt der landüblichen Verzinsung, und des künftigen Ersatzes aus dem Werthe oder den Einkünften des Grundstücks, so wie der bei entstehendem Konkurs solchen Vorschüssen gesetzmäßig zukommenden Priorität, herbei schaffen; und der Administrator muß für die anschlagsmäßige Vollführung der Reparatur Sorge tragen.

§. 124.

Der Administrator hat hiernächst, in Ansehung der ihm übertragenen Verwaltung, alle Gerechtsame und Obliegenheiten eines wirklichen Wirthes und Eigenthümers. Er muß also darauf Acht haben, daß die Miethe, in den nach den Kontrakten feststehenden Terminen, an ihn richtig abgetragen, keine Deteriorationen von den Miethern vorgenommen, die leer gewordenen Quartiere anderweit angebracht, das Grundstück und dessen Inventarienstücke in baulichem und tauglichem Stande unterhalten, und alle darauf liegende Lasten und Abgaben gehörig entrichtet werden. Was am Ende jedes Quartals von den Einkünften nach Abzug der Ausgabe übrig bleibt, muß er nach Anweisung des Gerichts abliefern.

§. 125.

Die Gerichte müssen ihn bei Beobachtung seiner Pflichten gehörig schützen, und dem Schuldner alle Einmischung in die Administration, und alle Beeinträchtigungen des Administrators, bei nachdrücklicher Ahndung, und allenfalls bei Personalarrest, untersagen. Sollte jedoch der Schuldner, oder auch der Gläubiger, wahrnehmen, daß der Administrator schlechte Wirthschaft treibe, das Grundstück in Verfall gerathen lasse u. s. w.; so steht einem wie dem andern frei, es dem Gerichte anzuzeigen, und auf Untersuchung und Abhelfung, allenfalls auch auf Bestellung eines andern Administrators, zu dringen.


(580) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

§. 126.

Schließlich muß der Administrator entweder bei erfolgender Aufhebung der Sequestration, oder, wenn diese sich über ein Jahr lang verzögern sollte, am Schlusse jedes Jahres, von seiner geführten Administration dem Gerichte Rechnung legen, bei deren Abnahme sowohl der Gläubiger als der Schuldner zuzuziehen sind.

b. Bei unadeligen Landgütern.

§. 127.

Ist von der Sequestration eines Landgutes, das aber kein adeliges ist, die Rede; so muß dieselbe von dem Gerichte auf eben die Art, wie vorstehend wegen eines städtischen Grundstücks geordnet ist, verfügt; es müssen aber bei der Einsetzung des Administrators oder Sequesters Oekonomieverständige mit zugezogen; auch besonders, wenn das Gut von einiger Beträchtlichkeit ist, einem derselben die Aufsicht über die Wirtschaft des Sequesters, und über die Konservation des Guts überhaupt, aufgetragen werden.

c. Bei adeligen Landgütern.

§. 128.

Wird auf die Sequestration eines adeligen oder Rittergutes angetragen, so soll dieselbe an denjenigen Provinzen, wo bereits landschaftliche Kreditsysteme errichtet sind, der Kreditdirektion oder Fürstenthumslandschaft des Departements, zu welcher das Gut gehört, überlassen, und dieselbe von Gerichts wegen um die erforderliche Verfügung requirirt werden.

Anh. §. 172. Haften auf dem Gute keine Pfandbriefe, so gehört die Sequestration und Taxation desselben vor die ordentlichen Gerichte.

§. 129.

Die Kollegia müssen, wenn die Güter verpachtet sind, zwar die Pächter in ihrem Kontrakte und den darin festgesetzten Konditionen lassen; zugleich aber auf die Wirtschaft der Pächter die nöthige Aufsicht führen, und dafür sorgen, daß die Gebäude


(581) Exekution.

in baulichem Stande unterhalten, und alle Deteriorationen vermieden, auch die Pachtgelder richtig abgeführt werden.

§. 130.

Ueberhaupt wird sowohl in diesem, als in allen andern Fällen, wenn ein Gläubiger aus den Pacht- oder Miethgeldern der seinem Schuldner gehörenden Grundstücke seine Befriedigung sucht; der Pachter oder Miether aber eine geschehene Vorausbezahlung behauptet, und auf Erfordern nachweiset, hierdurch festgesetzt: daß in Ansehung der eingetragenen Gläubiger es bei den Vorschriften des Landrechts Th. 1. Tit. XX. §. 480. 481. sein Bewenden habe; andere Gläubiger des Verpachters oder Vermiethers aber, die vor erfolgter gerichtlicher Untersagung, oder Einsetzung der Sequestration, von dem Pachter wirklich geleistete Vorausbezahlung auch gegen sich gelten lassen müssen.

§. 131.

Hat der Schuldner das Gut selbst verwaltet, so müssen die Landschaftlichen Kollegia zuvörderst wegen Instandsetzung der Gebäude und des Inventarii die erforderlichen Veranstaltungen treffen: wozu, in Ermangelung eines andern Fonds, der Kreditor unter den §, 123. festgesetzten Bedingungen den Vorschuß thun muß. Hiernächst müssen sie die Verpachtung der Güter nach einem von ihnen anzunehmenden Anschlage zu bewirken suchen; in deren Entstehung aber die Wirtschaft durch einen Administrator unter ihrer Aufsicht und Direktion besorgen lassen.

§. 132.

Bei allen diesen Veranstaltungen müssen die Interessenten zugezogen, und mit ihren Anliegen und Einwendungen gehört werden; jedoch dergestalt, daß bei entstehenden Widersprüchen die Entscheidung, in allen die Wirtschaft und Administration betreffenden Punkten, lediglich von dem Ermessen der Kreditdirektion


(582) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

abhängt; und den Interessenten, wenn sie sich dabei nicht beruhigen wollen, bloß der Rekurs an die Hauptritterschaftsdirektion, und in Schlesien an die Generallandschaftsdirektion, offen bleibt.

§. 133.

Wenn Hauptveränderungen in der Administration zu treffen sind, z. B. wenn ein bisher verpachtet gewesenes Gut in Verwaltung gesetzt, wenn neue Baue geführt, Prozesse angefangen, Meliorationen vorgenommen, oder neue Wirtschaftsarten, Feldereintheilungen

u. s. w. eingeführt werden sollen; so müssen die Kreditdirektionen darüber mit dem Landesjustizkollegio, auf dessen Verfügung die Sequestration verhängt worden ist, Rückfrage halten, damit dieses die bei der Sache interessierten Parteien darüber vernehmen, und nach den Erklärungen derselben, und der übrigen Lage der Umstände, wegen Genehmigung oder Verwerfung eines solchen Antrags, das Weitere veranlassen könne.

§. 134.

Wenn entweder der landschaftliche Kommissarius eigenmächtig und ohne die verordnete Zuziehung der Interessenten Veranstaltungen von der §. 131. beschriebenen Art getroffen, oder die Kreditdirektion selbst die §. 133. ihr vorgeschriebenen Schranken überschritten hat, und aus solchen einseitigen Verfügungen Nachtheil entsteht; oder wenn sonst landschaftliche Officianten bei der Administration, oder bei Führung der Aufsicht über selbige, sich solcher Pflichtwidrigkeiten, die eine Regreßklage rechtlich begründen, schuldig gemacht haben sollten: so müssen dieselben für ihre Personen demjenigen, welcher dadurch Schaden leidet, vor dem Landesjustizkollegio, von welchem die Sequestration verhängt worden ist, gerecht werden.


(583) Exekution.

§. 135.

Die eingehenden reinen Einkünfte müssen, nach der Anweisung der Gerichts, an den Gläubiger gegen Quittung ausgezahlt, oder wenn deren mehrere vorhanden sind, in das gerichtliche Depositum abgeführt werden. Wie es zu halten sey, wenn über das Vermögen eines Schuldners Konkurs entstanden, und deswegen sein Gut in Sequestration genommen ist, davon wird im Funfzigsten Titel von Konkursprozessen umständlich gehandelt. Nach eben diesen Vorschriften ist auch zu verfahren, wenn zwar noch kein Konkurs vorhanden sind, aber doch die Einkünfte zur Bezahlung der Zinsen von sämmtlichen eingetragenen Posten nicht hinreichend sind.

§. 136.

Inzwischen ist der Richter, so lange noch kein Konkurs- oder Liquidationsprozeß eröffnet worden ist, für die Befriedigung der Realgläubiger, welche sich nicht gemeldet haben, von Amts wegen zu sorgen nicht schuldig. Der Extrahent der Sequestration aber muß einen Hypothekenschein des in Beschlag zu nehmenden Gutes zu den Akten bringen, und daraus antragen, daß den daraus zu ersehenden Realgläubigern von der verhängten Sequestration Nachricht gegeben werde. Hat er dieß nicht gethan, und diesen Gläubigern auch nicht selbst unmittelbar schriftliche Nachricht von der verfügten Sequestration ertheilt; so muß er, wenn Gläubiger, die nach dem Hypothekenschein ihm vorgehen, ihre Zinsen nicht erhalten haben, denselben die vorweg genommenen Einkünfte, so weit selbige zu diesen Zinsen erforderlich und hinreichend sind, wieder heraus geben.

§. 137.

Nach aufgehobener Sequestration müssen die Kollegia, von welchen dieselbe dirigirt worden ist, die Zurückgabe des Guts an den vormaligen Schuldner mit Zuziehung einer gerichtlichen Kommission bewirken.


(584) Prozeßordn. Vier. u. zwanzigster Titel.

§. 138.

Bei eben diesen Kollegien, nämlich den Kreditdirektionen, muß auch der angesetzte Sequester von seiner Administration Rechnung legen; es muß ihm dieselbe durch diese Kollegia, mit Zuziehung der Interessenten, gehörig abgenommen; und alle Monita dagegen, welche bloß die Wirtschaftsführung betreffen, müssen bei eben diesen Kollegien angebracht, und mit Vorbehalt des §. 132. erwähnten Rekurses entschieden werden.

§. 139.

Ein gleiches versteht sich auch, wenn das Gut von dem die Sequestration dirigirenden Kollegio selbst verpachtet worden ist; maaßen alsdann die Instruktion und Erörterung der zwischen dem Pachter und dem Gläubiger oder Schuldner entstandenen Differenzien zunächst für das die Sequestration dirigirende Kollegium gehört. Betrifft aber der Streit einen schon vor der Verhängung der Sequestration angesetzt gewesenen Pachter, so gehört die Untersuchung und das Erkenntniß darüber vor die ordentliche Justizinstanz. Eben dahin sind auch Streitigkeiten zwischen einem von der Kreditdirektion gesetzten Sequester oder Pachter, und den Gläubigern zu verweisen, wenn entweder die Kreditdirektion selbst darauf anträgt; oder wenn der Gegenstand und Grund des Streits nicht auf die bloße Wirtschaftsführung, sondern auf andere Handlungen des Pachters oder Administrators sich bezieht; oder wenn die Entscheidung nicht hauptsächlich auf Wirtschafts-, sondern auf eigentlichen Rechtskenntnissen beruhet.

§. 140.

Wenn in einer Provinz kein Kreditsystem errichtet ist, und auch sonst keine besonderen allgemeinen Anordnungen über die Führung und Direktion der Sequestrationen adeliger Güter getroffen sind; so bleibt die Einführung der Sequestration und die


(585) Exekution.

fernere Direktion derselben dem ordentlichen Gerichte, unter dessen Realjurisdiktion das zu sequestrirende Grundstück gehört. Es muß aber dasselbe nicht nur die Einführung der Sequestration, mit Zuziehung eines geprüften und zuverlässigen Oekonomieverständigen vornehmen lassen; sondern auch zur Aufsicht über die Wirtschaft einen dergleichen fachkundigen Kurator bestellen, und dazu ein taugliches Subjekt, so viel als möglich unter den benachbarten Guthsbesitzern, aussuchen. Uebrigens müssen dabei die Vorschriften §. 129. bis 139., so weit dieselben nicht bloß auf das besondere Verhältnis zwischen den Gerichten und Kreditdirektionen sich beziehen, gehörig befolgt werden.

B. Realexekution

§. 141.

Wenn dann endlich aus der wenigstens Ein Jahr lang gedauerten Fortsetzung der Sequestration sich ergiebt, daß selbige kein Mittel sey, dem Gläubiger zu seiner Befriedigung zu verhelfen, und den Schuldner zugleich bei dem Besitze des Guts zu erhalten; oder wenn die Forderung des Erstern so beschaffen ist, daß ihm, den Rechten nach, die Befugniß, sich deswegen, mit Uebergehung der Zwischengrade, sofort an die Substanz des Gutes zu halten, gebührt: so muß die Subhastation desselben veranlaßt, und dabei nach den Vorschriften des unten folgenden Zwei und fünfzigsten Titels vom Subhastationsprozesse verfahren werden.

Anh. §. 173. Sollten die Grundstücke des Schuldners so verschuldet seyn, daß der Gläubiger keine Hoffnung hat, daraus seine Befriedigung zu erhalten, und derselbe daher, ohne den Erfolg der Subhastation abzuwarten, zu seiner Sicherheit auf die persönliche Verhaftung des Schuldners antragen; so ist dieser Antrag als ein Arrestschlag anzusehen, welcher nach Vorschrift Th. I. Tit. XXIX. mit besondere Rücksicht auf die §. 10. aufgestellte Grundsätze geprüft und erörtert werden muß, jedoch mit der aus der Natur der Sache sich ergebenden Maaßgabe, daß es, da die Schuld bereits rechtskräftig feststeht, dieserhalb keiner Bescheinigung und keines Verfahrens weiter bedarf.


(586) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel.

Wenn hiernach der Arrestschlag zulässig befunden wird; so ist die persönliche Verhaftung des Schuldners zu verfügen, zugleich aber jedesmal wegen der Subhastation des Grundstücks, in so fern diese nicht bereits anhängig ist, das Nöthige entweder von dem den Arrest verhängenden Gerichte selbst, oder durch Auftrag oder Requisition des ordentlichen Richters der Sache zu veranlassen.

C. Exekution gegen die Person.

§. 142.

In Ermangelung jedes andern Objekts der Befriedigung stehet dem Gläubiger frei, dahin anzutragen: daß der Schuldner das judikatmäßige Liquidum durch Arbeiten, welche seinen Kenntnissen und Kräften gemäß, und für seinen Stand nicht entehrend sind, nach und nach abzuführen angehalten werde; und ist dabei nach den §. 95. vorgeschriebenen Grundsätzen zu verfahren.

Anh. §. 174. Gegen keinen im Dienst oder auf Pension oder Wartegeld stehenden Zivilbeamten findet wegen Schulden, sie mögen aus einem Darlehen herrühren, oder sonst durch eine einseitige Handlung oder eingegangenen Betrag begründet werden, oder für Alimente, Gesindelohn, oder wofür es sonst wolle, kontrahirt seyn, ein Personalarrest Statt, und jede Verzichtleistung auf diese gesetzliche Befreiung ist ohne rechtliche Wirkung. Nur in Hinsicht derjenigen Zivilbeamten oder Pensionisten, welche entweder in anderer Beziehung wechselfähig oder dafür erklärt worden sind, behält es, in so fern sie wegen Wechselschulden belangt werden, bei den gesetzlichen Vorschriften sein Bewenden.

§. 143.

Kann aber auch auf solche Art der Gläubiger zu seiner Bezahlung nicht gelangen; oder will er sich darauf nicht einlassen; oder werden die dem Schuldner gesetzten Termine von ihm nicht inne gehalten: so soll auf Andringen des Gläubigers der Schuldner in Personalarrest gebracht werden. Es muß aber alsdann der Kreditor, wenn sich ergiebt, daß der Schuldner wegen Krankheit, Alters, oder sonstigen Unvermögens, sich seinen Unterhalt im Gefängnisse oder Arbeitshause auf eine erlaubte Art nicht selbst verdienen könne, demselben die nach den Umständen,


(587) Exekution.

jedoch nur zur äußersten Nothdurft, von dem Gerichte zu bestimmenden Alimente reichen, und dieselben dem Gefangenwärter, oder Vorsteher des Arbeitshauses, wöchentlich zum Voraus bezahlen. Wenn diese Zahlung in der festgesetzten Zeit von dem Gläubiger nicht geleistet wird, so muß das Gericht, auf die Anzeige des Gefangenwärters u. s. w., den Schuldner des Arrests unverzüglich wieder entlassen.

Anh. §. 175. Es ist nicht Sache der Gefangenanstalt, sondern des Gläubigers, seinem Schuldner im Gefängnisse die Gelegenheit und die Mittel zur Arbeit, zu welcher er sich eignet, zu verschaffen, damit dieser dadurch seine Alimente sich selbst verdienen könne.

Haben dergleichen Schuldgefangene nach ihrer äußern Lage im Zustande der Freiheit sich durch mechanische Handarbeiten ihren Unterhalt erworben, so können sie unter billiger Rücksicht auf ihre sonstigen individuellen Verhältnisse zu den Arbeiten der übrigen Gefangenen mit angehalten werden.

Anh. §. 176. Die Verpflichtung des Gläubigers zur Alimentation des Schuldners kann nicht auf die Familie des Letztern ausgedehnt werden.

Anh. §. 177. Zu den von dem Gläubiger zu tragenden Kosten für die Verhaftung seines Schuldners gehören auch die Heizungs- und Reinigungskosten für das Gefängniß, nicht aber die Aufwartungsgebühren des Gefangenwärters, die Ein- und Ausschreibe-, ingleichen die Sitzgebühren.

§. 144.

In wie fern zur Vollstreckung eines wechselmäßigen Erkenntnisses, mit Uebergehung aller anderen Grade der Exekution, sofort zum Personalarrest geschritten werden könne, ist im Titel vom Wechselprozesse verordnet.

§. 145.

Wenn der in Personalarrest zu bringende Schuldner in königlichen Diensten steht, so muß der ihm unmittelbar vorgesetzten Behörde von der Verfügung jedesmal Nachricht gegeben werden; damit diese wegen Versehung seines Amtes die erforderlichen Vorkehrungen treffen könne. Diese Benachrichtigung muß dergestalt geschehen, daß die vorgesetzte Amtsbehörde


(588) Prozeßordn. Vier u. zwanzigster Titel

die unumgänglich nothwendige Zeit behalte, zur Versehung des Dienstes Vorkehrungen zu treffen. Unterdessen aber muß der Schuldner durch den Exekutor in Observation genommen werden.

§. 146.

Wenn die Gefangenschaft ein volles Jahr gedauert hat, ohne daß der Schuldner inzwischen die Befriedigung des Gläubigers hat bewerkstelligen können; so steht ihm zwar frei, auf seine Entlassung anzutragen. Es muß aber alsdann der Gläubiger vernommen werden: ob er noch eine Wahrscheinlichkeit, daß der fortgesetzte Arrest ein Mittel, ihm zu seiner Befriedigung zu verhelfen, seyn werde, nachweisen, oder ob er behaupten und bescheinigen könne, daß der Schuldner durch Verschwendung, Spiel, lüderliche Lebensart, oder anderes unmoralisches Verhalten, sich selbst in sein dermaliges Zahlungsunvermögen gesetzt habe. Widerspricht der Gläubiger aus einem oder dem andern dieser Gründe der Entlassung des Schuldners, so muß das Gericht beide Theile in einem anzusetzenden Termine darüber hören, die Angaben des Gläubigers, so weit sie auf Thatsachen beruhen, jedoch nur summarisch, untersuchen, und das Nöthige durch eine Resolution festsetzen. Gegen eine solche Resolution findet kein förmliches Rechtsmittel, sondern nur der gewöhnliche Rekurs Statt. Wenn aber auch dadurch die Entlassung des Schuldners beschlossen wird, so muß derselbe dennoch zuvor nicht nur auf Verlangen des Gläubigers seinen Vermögenszustand eidlich manifestiren; sondern auch gleichergestalt eidlich angeloben, daß er den Gläubiger, so bald es ihm nur irgend möglich seyn werde, befriedigen wolle.

Anh. §. 178 Der Umstand allein, daß der Schuldner sich wahrscheinlich entfernen werde, rechtfertigt die Fortsetzung des Arrestes nicht.


(589) Exekution.

§. 147.

Obige Vorschrift ist jedoch nur von ordinairen Personalarresten zu verstehen. Wechselarrest kann nicht anders, als durch förmliche Qualifikation des Schuldners zum Beneficio cessionis bonorum, aufgehoben werden.

Warnung vor dem Widerstand gegen Exekutionen.

§. 148.

Schließlich soll niemand der gegen ihn gerichtlich verhängten Exekution sich widersetzen, und den Exekutor mit Schimpfworten, viel weniger mit Thätigkeiten, zu behandeln sich unterfangen; widrigenfalls gegen einen solchen Renitenten sofort fiskalische Untersuchung veranlaßt, und er nach Vorschrift der Gesetze nachdrücklich dafür bestraft werden soll. (Allg. Landr. Th. II. Tit. XX. §. 166.)

§. 149.

Kann der Exekutor, eines solchen thätigen Widerstandes halber, den ihm geschehenen Auftrag allein nicht vollziehen; so muß er sich bei dem nächsten Gerichte melden, und durch Vorzeigung des Originaldekrets legitimiren; worauf sodann das Gericht ihm durch seinen Gerichtsdiener, nöthigenfalls auch durch aufgebotene Bürger oder Bauern, die erforderliche Assistenz zu leisten schuldig seyn soll.

§. 150.

Wenn auch diese Mittel, den richterlichen Verfügungen die gebührende Parition zu verschaffen, nicht hinreichend sind, so soll den Gerichten die nöthige militairische Hülfe dabei zu Statten kommen. Es soll aber kein Gericht solche eigenmächtig nachzusuchen und vorzukehren berechtigt seyn; sondern es muß deshalb jedesmal zuvor von den Untergerichten bei den vorgesetzten Landesjustizkollegien, von diesen aber bei Hofe angefragt, und weitere Verordnung abgewartet werden.

Anh. §. 179. Ist Gefahr im Verzuge, so kann zwar das Gericht nach vorheriger Androhung sofort die militairische Exekution verfügen; es muß jedoch der vorge-


(590) Prozeßordn. Fünf u. zwanzigster Titel.

(vorge)setzten Behörde gleichzeitig davon Anzeige gemacht werden. Wenn zur Vollstreckung der Exekution gegen eine große Anzahl von Menschen, oder wegen zu besorgender hartnäckiger Widersetzlichkeit, ein beträchtliches Militairkommando erforderlich ist, oder wenn überhaupt ein bedenklicher Umstand eintritt; so muß jedesmal bei der Regierung Erkundigung eingezogen werden, ob Ursachen vorhanden sind, welche die Anwendung militairischer Hülfe wiederrathen, und wie etwa ohne dieselbe der Zweck am besten zu erreichen sey.

Fünf und zwanzigster Titel.

Von dem Verfahren bei Untergerichten.

§. 1.

Unter dem Namen der Untergerichte werden in diesem Titel alle diejenigen verstanden, welche keine Landesjustizkollegia sind; doch soll diese hier nur der Kürze wegen gebrauchte Benennung keinem dieser Gerichte an seinen sonstigen Würden und Vorrechten nachtheilig sein.

§. 2.

Die in den bisherigen Titeln enthaltenen Vorschriften wegen Instruktion der Prozesse finden auch bei den Untergerichten Anwendung.

§. 3.

Um jedoch die Art dieser Anwendung näher zu bestimmen, werden die Untergerichte in zwei Klassen eingetheilt.

I. Zur ersten Kasse gehören diejenigen, die ein formiertes Kollegium ausmachen, d. h. bei welchen wenigsten drei zur Justiz vollständig qualificirte und verpflichtete Mitglieder vorhanden sind.

II. Alle übrigen Untergerichte, bei welchen das richterliche Amt nur von Einer Person, mit Zuziehung eines Sekretarii, Aktuarii, Protokollführers, oder ungelehrter Beisitzer und Schöppen,


(591) Verfahren bei Untergerichten

ausgeübt wird, werden zur zweiten Klasse gerechnet.

Erster Abschnitt

Von dem Verfahren bei Untergerichten der ersten Klasse.

Allgemeine Regel.

§. 4.

Bei den Untergerichten der ersten Klasse findet die gegenwärtige Prozeßordnung in ihrem vollen Umfange Anwendung. Es muß also mit der Aufnehmung der Klage und deren Beantwortung, so wie mit der Instruktion selbst, nach eben den Anweisungen, welche vorstehend den Obergerichten ertheilt worden ist, verfahren werden.

Nähere Bestimmung.

§. 5.

Der Unterschied zwischen solchen Unter- und den Obergerichten bestehet nur darin:

Wegen Abkürzung der Fristen;

1) daß, da gewöhnlich beide oder wenigstens Eine Partei an dem Orte, wo das Untergericht seinen Sitz hat, oder in der Nähe desselben sich aufhalten, die Termine näher anberaumt, und die Fristen kürzer bestimmt werden können und müssen, als es bei Obergerichten, wegen des größeren Umfangs ihres Gerichtssprengels, und der größeren Entlegenheit des Aufenthalts der Parteien, geschehen kann;

wegen des persönlichen Erscheinens;

2) daß zwar den Parteien in allen Fällen, wo es ihnen bei den Obergerichten erlaubt ist, auch bei Untergerichten sich der Justizkommissarien als ihrer Assistenten und Konsulenten zu bedienen frei stehe; daß aber dagegen, aus dem vorstehend bemerkten Grunde, die Untergerichte noch mehr auf das Erscheinen der Parteien halten können und müssen: mithin die Zulassung von Justizkommissarien, als bloßen Bevollmächtigten der Parteien, noch mehr, als es bei


(592) Prozeßordn. Fünf u. zwanzigster Titel.

den Obergerichten nach den Umständen gesehen kann, einzuschränken sey.

wegen Festlegung des Status controversiae.

§. 6.

Wenn bei Regulirung des Status causae et controversiae, und Bestimmung der durch Beweis noch näher auszumittelnden Umstände, über die Erheblichkeit dieser oder jener Thatsache Streit entsteht; so muß das Untergericht vor allen Dingen näher prüfen: ob die Entscheidung darüber von der Erklärung eines vorhandenen, aber nicht ganz klaren Gesetzes; oder ob der Mangel eines auf den vorliegenden Fall anwendbaren Gesetzes die Ungewißheit verursache; oder endlich, ob es nur auf die Art der Anwendung eines an sich klaren Gesetzes auf den vorliegenden Fall ankomme.

Wenn derselbe auf einem vermeintlich dunkeln Gesetze beruht;

§. 7.

Glaubt der Unterrichter wahrzunehmen, daß die Bestimmung von der Erklärung eines dunkeln Gesetzes abhange; so muß er darüber bei dem vorgesetzten Obergerichte, mit Beifügung eines den Akten gemäßigten Status causae, und seines Gutachtens, allenfalls auch, wenn die Sache sehr weitläufig und wichtig ist, mit Beilegung der Akten selbst, um Belehrung anfragen.

§. 8.

Das Obergericht muß alsdann ohne Zeitverlust in reifliche Erwägung ziehen:

Ob es bei der Sache auf eine solche Erklärung eines dunkeln Gesetzes wirklich ankomme; und ob die Aufnehmung des Beweises, nach Maaßgabe der dazu vorhandenen Mittel, beträchtliche Weitläufigkeiten und Kosten bei sich führe;

oder:

ob die aufgeworfene Rechtsfrage in den vorhandenen Gesetzten deutlich entschieden sey, und also der Zweifel des Unterrichters nicht in dem Gesetze


(593) Verfahren bei Untergerichten.

selbst, sondern bloß in einer subjektiven Dunkelheit seinen Grund habe; oder ob die Ausmittelung der streitigen Thatsache, wenn auch ihre Erheblichkeit noch zweifelhaft wäre, ohne sonderlichen Aufenthalt und Kosten erfolgen könne.

§. 9.

Letztern Falls, wenn nämlich entweder das Gesetz an sich klar, oder die Thatsache ohne sonderlichen Verzug und Kosten auszumitteln ist, muß der anfragende Unterrichter sofort beschieden, und mit der nöthigen Anzweiflung versehen werden. Nach dieser muß er sich für diese Instanz in Ansehung der Instruktion lediglich achten. Bei Abfassung des Erkenntnisses hingegen bleibt dem Unterrichter die Befugniß, den Streit selbst, in Beziehung auf die Hauptsache, nach seiner besten Einsicht und Ueberzeugung zu entscheiden, ganz frei und unverschränkt; sowie auch den Parteien ihre Nothdurft, gegen diese vorläufige Aeußerung des Obergerichtes über die Erheblichkeit und Unerheblichkeit einer solchen Thatsache, in dieser und den folgenden Instanzen zu beobachten, unbenommen ist.

§. 10.

Kommt es hingegen in dem §. 8. angegebenen ersten Falle, bei der Bestimmung der Erheblichkeit oder Unerheblichkeit eines solchen streitigen Umstandes, auf die Erklärung eines dunkeln Gesetzes wirklich an; und ist dabei voraus zu sehen, daß die Ausmittelung der Thatsachen mit beträchtlichen Weitläufigkeiten und Kosten verknüpft seyn würde: so muß darüber vor allen Dingen die Entscheidung der Gesetzkommission auf die Tit. XIII. §. 32. u. f. vorgeschriebene Art durch das Obergericht eingeholt, und sodann erst der Unterrichter wegen fernerer Instruktion der Sache beschieden werden.


(594) Prozeßordn. Fünf u. zwanzigster Titel.

§. 11.

Während der Zeit, daß die Erheblichkeit oder Unerheblichkeit eines solchen Umstandes bei dem Obergerichte geprüft wird, muß der Unterrichter die Sache nicht gänzlich liegen lassen; vielmehr in Untersuchung und Erörterung der übrigen durch Beweis auszugmittelnden Thatsachen, in so fern dergleichen vorhanden sind, fortfahren; auch wegen des Umstandes selbst, welcher zu der Anfrage Gelegenheit gegeben hat, die Beweismittel, so viel als es die Umstände gestatten, vorbereiten.

wenn es bloß auf Applicationem legis ad factum ankommt;

§. 12. Findet der Unterrichter bei der nach Vorschrift §. 6. anzustellenden Prüfung, daß es bei der Bestimmung: ob ein streitiger Umstand durch Beweis ausgemittelt werden solle, oder nicht, nur auf die Anwendung des an sich klaren Gesetzes auf die vorgetragenen Thatsachen ankomme; so liegt ihm ob, diese Bestimmung, nach genauer Erwägung der Sache, und nach den Tit. X. §. 45 bis 51. enthaltenen Vorschriften, selbst festzusetzen.

wenn es an einer gesetzlichen Vorschrift zu ermangeln scheint.

§. 13.

Eben so ist in dem dritten §. 6. bestimmten Falle zu verfahren, wenn nämlich der Unterrichter zu bemerken glaubt: daß der Streit über die Erheblichkeit oder Unerheblichkeit der Thatsache daher entstehe, weil es an einer darauf anwendbaren gesetzlichen Vorschrift ermangelt. In diesem Falle muß der Unterrichter eben so, wie es den Obergerichten vorgeschrieben ist, den obwaltenden Streit aus den allgemeinen Grundsätzen und der Analogie der Gesetze, nach seiner besten Einsicht und Ueberzeugung, entscheiden.

von dem Rekurs der Parteien an das Obergericht über die Festsetzung des status controversiae.

§. 14.

Auch den Parteien soll verstattet seyn, wenn sie der Meinung sind, daß das instruirende Untergericht entweder erhebliche Thatsachen zur Ungebühr verwerfe und übergebe; oder daß es durch Untersuchung


(595) Verfahren bei Untergerichten.

und Beweisaufnehmung über ganz unerhebliche Umstände, die Sache ohne Noth verzögere, und die Kosten häufe, den Rekurs dagegen an das Obergericht zu ergreifen. Es muß aber alsdann der rechtskundige Beistand oder Bevollmächtigte einer solchen Partei, wenn er darüber mit der Partei einig ist, oder wenn diese sich durch seine Remostrationen nicht beruhigen lassen will, eine Vorstellung bei dem Obergerichte einreichen; darin die Lage der Sache, so weit sie den streitigen Punkt angeht, deutlich und richtig vortragen; die Gründe, warum seiner oder der Partei Meinung nach, der Umstand erheblich oder unerheblich sey, näher auseinander setzen, und diesem Berichte seine Manualakten beilegen.

§. 15.

Das Obergericht muß, je nachdem es entweder in diesem Manualakten hinlängliche Nachrichten, die Sache gehörig zu beurtheilen, vorfindet, oder nicht, entweder sofort, oder nach vorhergehender Einforderung der gerichtlichen Akten, den Unterrichter mit der nöthigen Anzweiflung, oder die Partei mit Resolution, versetzen; wobei es denn für die gegenwärtige Instanz, nach Maaßgabe §. 9., lediglich sein Bewenden hat.

§. 16.

Ergiebt sich aber bei der Prüfung eines solchen von der Partei vorgenommenen Rekursus; daß es bei der Sache auf die Erklärung eines solchen dunkeln Gesetzes ankommt, so muß der Oberrichter auch desfalls die Vorschriften des §. 8. 9. 10. beobachten.

§. 17.

Durch dergleichen Rekurs einer Partei an den Oberrichter kann die Instruktion der Sache nicht aufgehalten werden; sondern das Untergericht muß damit so lange fortfahren, bis ihm entweder eine andere Anzweiflung von dem Oberrichter ertheilt, oder


(596) Prozessordn. Fünf u. zwanzigster Titel.

doch durch einen Befehl desselben das weitere Verfahren darin ausdrücklich untersagt wird.

§. 18.

Die durch einen solchen Rekurs entstehenden Kosten muß die Partei, welche sich desselben bedienen will, vorschießen, und, falls die Beschwerde ungegründet befunden wird, dieselben jedesmal allein tragen, wenn sie auch demnächst in der Hauptsache ein obsiegliches Urtel erhalten sollte. Auch muß eine solche Partei dem Gegentheile allen aus dem etwanigen Verzuge entstehenden Nachtheil und Versäumniß erstatten, überdieß aber von dem Oberrichter nachdrücklich bestraft werden, so bald sich findet, daß der Rekurs von ihr ohne scheinbaren Grund, bloß aus Chikane und zum Verschleif der Sache, ergriffen worden ist.

Was Untergerichte wegen Abfassung der Erkenntnisse und der Anfragen an die Gesetzkommission zu beobachten haben.

§. 19.

Wenn die Instruktion der Sache in facto bei dem Untergerichte geschlossen ist, so findet wegen des Versuchs der Sühne, der Ausführungen in jure, der Vorlegung der Akten, und der Abfassung und Publikation der Erkenntnisse eben das Statt, was über diese Gegenstände Tit. XI. XII. und XIII. verordnet ist; mit dem einzigen Unterschiede, daß, wenn die Entscheidung der Hauptsache von der Erklärung eines dunkeln Gesetzes abzuhangen scheint, der Unterrichter die Anfrage nicht unmittelbar an die Gesetzkommission, sondern an sein Obergericht zu dirigiren hat; welches, je nachdem es bei näherer Erwägung dieses Berichts findet, daß das Gesetz einer Erklärung durch die Gesetzkommission wirklich bedürfe, oder nicht, entweder den Unterrichter bedeuten, oder die Anfrage weiter an die Gesetzkommission befördern muß.

§. 20.

Wenn der Unterrichter zu bemerken glaubt, daß es zur Entscheidung der Hauptsache an einem auf


(597) Verfahren bei Untergerichten.

den vorliegenden Fall anwendbaren Gesetze ermangele, so muß er zwar diesen Fall nach seiner besten Einsicht und Ueberzeugung aus den allgemeinen Grundsätzen und der Analogie der Gesetze entscheiden; es bedarf aber von seiner Seite nicht der in der Einleitung des Landrechts §. 54. vorgeschriebenen Anzeige an den Chef der Justiz, sondern er muß dieselbe dem Obergerichte, an welches eine solche Sache durch den Weg der Appellation ohnehin gelangen wird, überlassen.

Von Appellationen.

§. 21.

Wenn einer oder beide Theile sich bei dem Erkenntnisse des Unterrichters in der Hauptsache nicht beruhigen wollen, so steht ihnen die Appellation an das kompetente Obergericht offen.

§. 22.

Auch wegen der Fälle, wo dieß Rechtsmitel zu- oder unzulässig ist, und wo, dessen ungeachtet, das Urtel in Exekution gesetzt werden muß, hat es bei den Vorschriften Tit. XIV. Abschn. I. mit der einzigen, wegen der appellablen Summe in Bagatellsachen, und des Verfahrens darin bei den Untergerichten, im folgenden Titel vorkommenden abgeänderten Bestimmung, lediglich sein Bewenden.

Von deren Anmeldung.

§. 23.

Mit Anmeldung der Appellation und Erstattung des Appellationsberichts wird es eben so gehalten, wie Tit. XIV. Abschn. II. §. 16-37. verordnet ist; und muß dieser Bericht von dem Assistenten des appellirenden Theils jedesmal bei dem Unterrichter eingegeben werden.

von der weitern Instruktion. In wie fern dieselbe

§. 24.

Was aber die weiter Instruktion des Appellatorii betrifft, so ist ein Unterschied zu machen:

ob dabei neue Thatsachen erörtert, oder neue Beweismittel aufgenommen werden sollen;


(598) Prozeßordn. Fünf u. zwanzigster Titel.

oder ob es einer solchen neuen Instruktion in facto nicht bedürfen werde.

bei dem Untergerichte verbleibt; oder

§. 25.

Im letztern Falle wird das Appellatorium bei dem Untergerichte instruirt, und die geschlossenen Akten werden nur zum Spruch an das Obergericht eingesendet; welches dieselben demnächst mit dem abgefaßten Erkenntnisse an das Untergericht zurück schickt, worauf mit der Publikation des Urtels gewöhnlichermaaßen verfahren wird.

bei dem Obergerichte geschieht.

§. 26.

Wenn hingegen in der zweiten Instanz eine neue Instruktion in facto erfolgen soll, so muß dieselbe allemal bei dem Obergerichte geführt werden; wenn nicht der Appellant selbst ausdrücklich verlangt, daß diese neue Instruktion von dem Untergerichte besorgt werden solle; als in welchem Falle ferner nach der Vorschrift des §. 25. verfahren wird.

§. 27.

In der Regel aber, und wenn der Appellant von dieser ihm gestatteten Wahl keinen Gebrauch macht, muß der Unterrichter, so bald der Appellationsbericht eingekommen ist, den Appellanten vernehmen; ob er vom dem Obergerichte die Zuordnung eines Assistenten verlange, oder ob und was für einen Rechtsbeistand er unter den bei dem Obergerichte zur Prozeßpraxis angesetzten Justizkommissarien sich wählen wolle.

§. 28.

Kann oder will der Appellant keine solche Wahl anstellen, so wird angenommen, daß er die Zuordnung eines Assistenten von Seiten des Obergerichts erwarte, wenn er auch darauf nicht ausdrücklich angetragen hat. Befindet sich das Obergericht an eben


(599) Verfahren bei Untergerichten

dem Orte, wo das Untergericht seinen Sitz hat: so bleibt dem Appellanten frei, wenn er auch die Instruktion des Appellatorii bei dem Obergerichte verlangt, sich dabei dennoch der Assistenz eben des Justizkommissarii, den er sich für die erste Instanz gewählt hatte, zu bedienen.

Verfahren bei dem Obergerichte, wenn das Appellatorium von dem Unterrichter instruirt worden ist.

§. 29.

Wenn nach der Bestimmung §. 25. 26. die Instruktion des Appellatorii bei dem Untergerichte geführt, und von diesen die geschlossenen Akten an das Obergericht zum Erkenntnisse eingesendet worden sind; Letzteres aber bei dem Vortrage der Sache die Instruktion des Unterrichters, es sey in Ansehung der ersten oder zweiten Instanz, mangelhaft und unvollständig findet: dergestalt, daß darin, ehe und bevor ein Definitivurtel abgefaßt werden kann, noch etwas nachgeholt und ergänzt, oder einem von dem Unterrichter begangenen Fehler und Verstoße fördersamst abgeholfen werden muß: so ist das Nöthige deshalb, der Vorschrift Tit. XIV. §. 63. gemäß, durch eine Resolution zu verordnen, und es soll alsdann von dem Ermessen des Appellationsrichters nach Beschaffenheit der Umstände abhangen: ob er die dießfällige Verhandlung an den Unterrichter zurück weisen, oder dieselbe vor sich selbst ziehen wolle; in welchem letztern Falle die ganze fernere Instruktion der Sache, bis zur völligen rechtskräftigen Beendigung, bei dem Obergerichte verbleiben muß.

Ein Gleiches gilt auch von dem Falle, wenn erst der Revisionsrichter eine dergleichen fernere Instruktion zu veranlassen befindet; wo alsdann derselbe in der abzufassenden Resolution mit bestimmen muß: ob selbige vor dem Ober- oder dem ersten Unterrichter geführt werden solle.

Ingleichen wegen der Revisionen.

§. 30.

Wenn das Obergericht in den Fällen des §. 25. 26. bloß auf geschlossene, von dem Unterrichter ein(gesendete)


(600) Prozeßordn. Fünf u. zwanzigster Titel.

Revisionen.

gesendete Akten erkannt hat, und also das Urtel bei dem Untergerichte publicirt worden ist; so muß, wenn dagegen die Revision eingewendet wird, die Instruktion dieses Rechtsmittels allemal bei dem Untergerichte erfolgen. Doch sendet selbiges die im Revisorio geschlossenen Akten nicht unmittelbar an den Revisionsrichter, wenn dieser eine von dem vorsetzten Landesjustizkollegio verschiedene Behörde ist; sondern das Untergericht muß allemal die im Revisorio zum Spruche vorzulegenden Akten dem ihm unmittelbar vorgesetzten Landesjustizkollegio zur weiteren Beförderung einreichen.

Anh. §. 182. Das Revisionsurtel muß, sobald es bei dem Landesjustizkollegio eingeht, dem Untergerichte verschlossen mit der Anweisung zugefertigt werden, nach geschehener Publikation desselben eine Abschrift davon zu den Akten des Obergerichtes einzureichen.

§. 31.

Wenn bei einer Sache, in welcher ein Untergericht in erster Instanz gesprochen hat, das Object Einhundert Thaler oder mehr beträgt; so findet die Revision allemal, selbst alsdann Statt, wenn die neuen beiden ersten Urtel gleichförmig ausgefallen sind. Wegen Berechnung der appellablen und revisiblen Summe hat es bei den Vorschriften Tit. XIV. §. 3. Nr. 1. sein Bewenden.

Anh. §. 183. Wegen der revisiblen Summe tritt die Vorschrift Th. I. Th. XV. §. 2. (Anh. §. 129.) ein.

Verfahren bei dem Obergerichte, wenn das Appellatorium von ihm selbst instruirt werden soll.

§. 32.

Wenn nach Maaßgabe §. 26. 27. die Instruktion des Appellatorii, weil darin neue Thatsachen, oder neue Beweismittel vorkommen, bei dem Obergerichte geführt werden muß; so muß der bei letzterm auf den Einsendungsbericht des Untergerichts zu bestellende Decernent, die bei dem Untergerichte eingekommene Appellationsanmeldung, sowohl in Rücksicht der Zulässigkeit des Rechtsmittels prüfen, als auch, wenn dabei nichts zu erinnern ist, näher beurtheilen:


(601) Verfahren bei Untergerichten.

ob die darin enthaltenen Angaben von den neuen Thatsachen bestimmt und vollständig genug sind; oder ob es nöthig seyn werde, den Appellanten darüber noch erst näher zu vernehmen.

§. 33.

Zugleich muß dem Appellanten, wenn nach Vorschrift §. 28. nicht erhellet, daß er sich einen Rechtsbeistand aus den zur Prozeßpraxis bei dem Obergerichte zugelassenen Justizkommissarien selbst gewählt habe, ein Assistent von Amts wegen zugeordnet werden.

§. 34.

Findet der Appellationsrichter nach §. 32., daß es noch erst einer Vernehmung des Appellanten über die neuen Thatsachen oder Beweismittel bedürfe, so muß er dazu selbst einen möglichst nahen Termin anberaumen, den Appellanten dazu (unter Bekanntmachung des ihm etwa zugeordneten Assistenten) schriftlich vorladen; ihm dasjenige, was bei seinen Angaben noch zu erinnern, zu ergänzen, oder näher zu bestimmen sey, eröffnen; und die Verwarnung beifügen, daß, wenn er diesem Befehle nicht die gehörige Folge leisten würde, die Sache dafür, daß er sich der neuen Thatsachen oder Beweismittel begebe, angenommen, und hiernach wegen Abschließung der Instruktion das Weitere verfügt werden würde.

§. 35.

Bedarf es aber keiner weiteren vorläufigen Vernehmung des Appellanten, so wird sogleich auf den Einsendungsbericht des Untergerichts ein Termin zur Instruktion des Appellatorii gewöhnlichermaaßen anberaumt, und beide Theile werden dazu schriftlich vorgeladen. Ein gleiches geschieht in dem Falle des §. 34., wenn die nähere Vernehmung des Appellanten erfolgt ist; doch bedarf es in diesem Falle einer schriftlichen Vorladung nur in Ansehung des Appellaten.


(602) Prozeßordn. Fünf u. zwanzigster Titel.

§. 36.

Es versteht sich von selbst, daß in den Zwischenzeiten, zwischen den in beiden Fällen (§. 33. 34.) anzuberaumenden Terminen, der Assistent oder Bevollmächtigte des Appellanten mit seiner Partei korrespondiren, und sich die nöthige Information, besonders für den Fall, wenn voraus zu sehen ist, daß die Partei die Instruktion nicht persönlich abwarten werde, zu verschaffen bemüht seyn müsse.

§. 37.

Auch steht es dem Obergerichte frei, in eben den Fällen, wo eine Instruktion in erster Instanz einem auswärtigen Kommissario übertragen werden kann, ein Gleiches auch wegen der Instruktion eines Appellatorii von einem Untergerichtsurtel zu verfügen. Doch muß der Antrag dazu in der Regel, und wo nicht besondere Umstände eine Ausnahme erfordern, nicht auf das Untergericht, welches in erster Instanz gesprochen hat, sondern vielmehr auf einen andern Kommissarius gerichtet werden.

§. 38.

Wenn der Appellant der neuen Thatsachen oder Beweismittel sich begeben hat, oder deren in dem Falle des §. 34. verlustig geworden ist, so bleibt dennoch die weitere Behandlung des Appellatorii durch Rechtfertigung der Beschwerden aus den Akten erster Instanz, und deren Beantwortung bei dem Obergerichte.

§. 39.

Kommt es aber zur wirklich neuen Instruktion im Appellatorio, so wird dabei eben so, wie in erster Instanz, nach den Vorschriften des Zehnten Titels, mit Rücksicht auf die Vorschriften des Vierzehnten Titels §. 57. u. f., verfahren.

§. 40.

Wenn auch der Appellant nicht neue Thatsachen sondern nur neue Beweismittel über die schon in erster


(603) Verfahren bei Untergerichten.

Instanz vorgekommenen Thatsachen angegeben hat; so muß dennoch der Depurtierte des Obergerichts den von dem Unterrichter regulirten Statum causae et controversiae besonders prüfen, und mit Zuziehung der Parteien und ihrer Rechtsbeistände näher erörtern: ob selbiger richtig und den Akten gemäß, oder was etwa dabei in Ansehung der Vollständigkeit, oder der Anpassung auf die eigentliche Lage der Sache, und auf die mit einem wahrscheinlichen Einflusse in die künftige Entscheidung verknüpften Umstände, zu erinnern sey. Finden sich dergleichen Erinnerungen, so muß der Statum causae et controversiae vor allen Dingen erst in Richtigkeit gesetzt werden, ehe mit Aufnehmung der neuen Beweismittel verfahren wird.

§. 41.

Wenn der Appellant zum Theil neue Thatsachen oder Beweismittel angegeben, zum Theil aber auch seine Beschwerden darauf gegründet hat, daß ein von ihm angeführter Umstand in der ersten Instanz als unerheblich verworfen, und daher nicht näher untersucht worden ist; so m sowohl der Decernent bei dem Obergerichte, bei der nach §. 32. ihm obliegenden Prüfung, als der neue Instruent bei der Einleitung der neuen Instruktion, seine Aufmerksamkeit vorzüglich mit auf einen solchen Umstand richten; damit wenn die Erheblichkeit desselben klar, oder doch mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, erhellet, die Untersuchung desselben sofort verfügt, und dadurch der Aufenthalt erspart werde, welcher unvermeidlich ist, wenn dergleichen Umstände erst durch eine besondere Resolution des Appellationsrichters, auf die zum Spruche vorgelegten Akten, zur Instruktion verwiesen werden muß. (Tit. XIV. §. 42. 43.)

 Ingleichen wegen der Revisionen.

§. 42.

Es versteht sich von selbst, daß wenn das Apellatorium bei dem Obergerichte verhandelt worden ist, nicht nur die Publikation des Erkenntnisses, sondern


(604) Prozeßordn. Fünf u. zwanzigster Titel.

auch die Instruktion des Revisorii bei selbigem erfolgen müsse; mithin die Akten nicht eher, als bis ein rechtskräftiges Urtel vorhanden ist, an den Unterrichter zurück geschickt werden.

 Von Kontumacialbescheiden bei Untergerichten.

§. 43.

Die Instruktion und das Erkenntniß bei dem gegen einen Kontumacialbescheid Statt findenden Rechtsmittel verbleibt allemal dem Untergerichte, welches das Kontumacialurtel abgefaßt hat.

 Von Kosten.

§. 44.

Wegen der in einem Untergerichtsprozesse vorkommenden Kosten, deren Liquidation und Festsetzung, hat es bei den Vorschriften des Tit. XXII. sein Bewenden; und werden dabei die Obergerichte auf die a. a. O. §. 5. enthaltene Bestimmung nochmals ausdrücklich verwiesen.

Zweiter Abschnitt.

Von dem Verfahren bei Untergerichten der zweiten Klasse.

 Allgemeine Anweisungen.

§. 45.

Bei den Untergerichten der zweiten Klasse finden zwar an und für sich eben die Regeln des Prozesses überhaupt, welche bisher vorgeschrieben worden sind, und die im Ersten Abschnitt enthaltenen näheren Bestimmungen derselben, Anwendung. Es müssen daher die Untergerichte, auch von dieser Klasse, die Vorschriften der Prozeßordnung wegen Aufnehmung der Klage, Vorladung des Beklagten, Vernehmung desselben mit seiner Antwort, Zusammenstellung der Parteien, Regulirung des Status causae et controversiae, und Aufnehmung der Beweismittel über die streitig gebliebenen erheblichen Thatsachen gehörig beobachten; und es macht übrigens die Qualität des Gerichts, bei welchem ein Prozeß schwebt, keinen


(605) Verfahren bei Untergerichten.

Unterschied in den gesetzlichen Obliegenheiten und Befugnissen der Parteien, die Instruktion persönlich abzuwarten; sich dazu des Beistandes rechtskundiger Assistenten aus der Klasse der Justizkommissarien zu bedienen; oder sich in Fällen, da sie durch wirkliche im Gesetze gebilligte Gründe vom persönlichen Erscheinen dispensirt sind, durch Bevollmächtigte vertreten zu lassen.

 besonders wegen Abkürzung der Fristen; des persönlichen Erscheinens der Parteien (et)c.

§. 46.

Da inzwischen der Gerichtssprengel und Geschäftskreis solcher Untergerichte gewöhnlich weit eingeschränkter ist, als bei Ober- oder auch bei den meisten Untergerichten der ersten Klasse, so müssen dieselben nicht nur ihre Gerichtsgesessenen zur persönlichen Abwartung des Instruktionen desto nachdrücklicher anhalten, sondern auch bei Anberaumung der Termine die Vorschrift Tit. III. §. 2.aufmerksam beobachten; übrigens aber die Termine nach dem Maaße wie die Parteien mehr in der Nähe und ihre eigenen Geschäfte minder weitläufig sind, noch kürzer als es bei Ober- und auch bei manchen Untergerichten der ersten Klasse geschehen kann, jedoch ohne Uebereilung der Parteien, anberaumen.

§. 47.

Besonders müssen die sich meldenden Kläger sofort, und ohne erst einen von der Anmeldung verschiedenen Termin dazu anzusetzen, über die Klage vernommen werden. Kann aber auch dieses in einem oder dem andern Falle nicht sogleich geschehen, so muß dennoch der Richter eine kurze Registratur über die geschehene Anmeldung aufnehmen; den Kläger auf eine gewisse nahe Zeit wieder bestellen; und wenn derselbe sich alsdann meldet, mit der wirklichen Aufnehmung der Klage ohne fernern Aufenthalt verfahren. Richter, die unter dem Vorwande einer mündlichen dem Kläger gemachten Bedeutung, welche in den Akten nicht verzeichnet ist, oder eines


(606) Prozeßordn. Fünf u. zwanzigster Titel.

außergerichtlich zu versuchenden Vergleichs, die Aufnehmung der Klagen und die rechtliche Verfügung darauf verzögern, sollen wegen einer soche Saumseligkeit, wenn sie durch den Weg der Beschwerde, oder durch eine Justizvisitation zur Kenntnis des Obergerichts gelangt, außerdem Schadenersatze, mit einer Ordnungsstrafe von 2 bis 10 Thalern belegt werden.

 Wie es zu halten, wenn eine Partei abwesend und entfernt ist.

§. 48.

Wenn bei einem solchen Untergerichte von einem Abwesenden und Entfernten, dem das persönliche Erscheinen nicht angemuthet werden kann, eine Klage schriftlich angemeldet wird; so muß der Richter einen solchen Kläger anweisen, jemanden von dem am Orte oder in der Nähe befindlichen Justizkommissarien mit Vollmacht und Information zum Betriebe der Sache zu versehen; und er muß dieser schrifltichen Anweisung nöthigenfalls ein Verzeichniß der Justizkommissarien, aus welchen der Kläger sich einen Bevollmächtigten wählen kann, beischließen. Fehlt es aber am Orte oder in der Gegend an Justizkommissarien, an welche ein solcher Kläger verwiesen werden könnte; so muß der Richter einen andern am Orte oder in der Nähe wohnenden Justizbedienten requiriren, oder sich dessen Beigebung von dem Obergerichte erbitten, der in dieser Sache die Funktion eines Assistenten für den abwesenden Kläger übernehme, und die Instrukttion Namens desselben, nach der von ihm einzuziehenden Information abwarte.

 Auch bei kleinen Untergerichten müssen zu den Instruktionen Protokollführer oder

§. 49.

Da bei den Untergerichten der zweiten Klasse die meisten Sachen mit den Parteien selbst, ohne Zuziehung besonderer rechtsverständiger Assistenten, verhandelt werden können und sollen; in dergleichen Fällen aber das Interesse der Parteien von der Legalität und Genauigkeit des richterlichen Verfahrens in einem noch höhern Grade als gewöhnlich abhängt: so muß dabei auch für die Sicherheit der Parteien


(607) Verfahren bei Untergerichten.

gegen alles unrichtige oder willkührliche Verfahren des Richters mit desto größerer Vorsicht gesorgt werden.

§. 50.

Der Richter muß daher bei den Instruktionen der Prozesse den ihm beigeordneten Aktuarius, Sekretair, oder verpflichteten Protokollführer, vom Anfange bis zum Ende zuziehen, und durch denselben das Protokoll halten lassen.

Anh. §. 184. Siehe Th. I. Tit. X. §. 19. (Anh. §. 66.)

 Gerichtsbeisitzer zugezogen werden.

§. 51.

Ist irgendwo ein dergleichen Aktuarius oder Protokollführer nicht bestellt, so muß der Richter zwar die Instruktion allein besorgen, und das Protokoll selbst halten; er muß aber dabei jedesmal zwei Schöppen oder Gerichtsbeisitzer zuziehen.

 Von deren Bestellung.

§. 52.

Bei den Magisträten können die Polizeirathmänner die Stelle dieser Gerichtsbeisitzer vertreten; bei Patrimonial- und anderen kleinen Untergerichten hingegen muß der Gerichtsherr dafür sorgen, daß dem Richter zwei dergleichen Schöppen ein- für allemal zugeordnet und angewiesen werden.

§. 53.

Zu solchen Gerichtsschöppen müssen in der Regel Einsassen des Dorfs oder Gerichtsbezirks, die bekannte vernünftige Männer von unbescholtenem Rufe, und des Lesens und Schreibens kundig sind, gewählt werden. Doch können auch Wirthschaftsbeamte und Schulmeister, in Ermangelung anderer qualificirter Subjekte, als Gerichtsmänner zugelassen werden.

§. 54.

Sollte auch wider Vermuthen der Bezirk irgend einer Patrimonialgerichtsbarkeit so eingeschränkt seyn, daß es nicht möglich wäre, zwei solchergestalt qualificirte Gerichtsmänner daraus zu bestellen; so muß wenigstens ein dergleichen Gerichtsschöppe dem


(608) Prozeßordn. Fünf u. zwanzigster Titel.

Justitiario für beständig zugeordet und angewiesen werden; und alsdann kann der Justitiarius anstatt des zweiten, einen bloßen Zeugen zuziehen, von welchem weiter nichts erfordert wird, als daß keine von denjenigen Mängeln bei ihm vorwalten, wodurch jemand nach den Gesetzen zur Ablegung eines Zeugnisses, entweder durchaus, oder über die vorliegende Sache, unfähig gemacht wird. Die Zuziehung eines solchen Zeugen findet auch alsdann Statt, wenn einer der ordentlichen Gerichtsschöppen einer Verhandlung beizuwohnen verhindert ist.

§. 55.

Die nach §. 51. bis 54. zu bestellenden Gerichtsschöppen müssen dahin vereidet werden:

daß sie auf den Hergang der gerichtlichen Verhandlungen, bei welchen sie zugezogen werden, und darauf, daß selbige so, wie sich wirklich ereignet haben, niedergeschrieben werden, genau Acht haben, auch das Protokoll nicht anders, als wenn sie dessen Inhalt diesem wahren Hergange der Sache gemäß finden, mit ihrer Unterschrift bekräftigen wollen.

Diesem Eide gemäß sind sie schuldig, mit aller Aufmerksamkeit dahin zu sehen, daß dasjenige, was die Parteien oder Zeugen angeben, oder aussagen, ohne fremden Zusatz und Weglassung, getreu und vollständig im Protokolle niedergeschrieben werde.

§. 56.

Ein Zeuge, der nach §. 54. statt des zweiten Gerichtsschöppen zugezogen worden ist, wird in der Regel nicht vereidet, sondern nur zur Aufmerksamkeit auf dasjenige, was verhandelt werden soll, angewiesen. Wenn aber hiernächst die Verhandlung selbst angefochten wird, so soll die eidliche Bekräftigung des Zeugen:

daß die Sache in seiner Gegenwart verhandelt, das darüber aufgenommene Protokoll den Parteien


(609) Verfahren bei Untergerichten.

vorgelesen, und von ihnen ohne gegen die Richtigkeit desselben etwas einzuwenden, anerkannt worden sey,

den aus dem Mangel des zweiten Gerichtsschöppen hergeleiteten Einwand gegen die Legalität der Handlung zu entkräften, hinreichend sein.

 In welchen Fällen es der Protokollführer und Gerichtsbeisitzer nicht bedürfe.

§. 57.

Die Zuziehung eines vereideten Protokollführers, oder anderer Personen an dessen Stelle, ist nicht nothwendig, wenn die Prozeßführenden Parteien dieses nicht zu verlangen ausdrücklich erklären. Es muß aber in einem solchen Falle:

1) der Richter den Parteien die Regel des Gesetzes, nach welcher bei der vorliegenden Verhandlung die Zuziehung eines Protokollführers erforderlich sey, bekannt machen; die Parteien müssen sich dieser zu ihrer Sicherheit abzielenden Vorsorge der Gesetze einmüthig und ausdrücklich begeben, und wie solches geschehen, muß in dem Eingange des Protokolls bemerkt werden.

2) die Parteien müssen insgesammt des Lesens und Schreibens vollkommen kundig seyn und also

nicht bloß ihren Namen zu schreiben verstehen.

3) Sie müssen das Protokoll nicht bloß unterschreiben, sondern bei der Unterschrift zugleich eigenhändig versichern, daß sie es selbst gelesen haben, und

daß der Inhalt dem wahren Hergange und der eigentlichen Verhandlung der Sache gemäß sey. Sollte sich aber

4) der Fall ereignen, daß Parteien, auf deren Verlangen die Verhandlung ohne Zuziehung eines besondern Protokollführers vorgenommen worden ist, wenn sie das Protokol unterzeichnen und attestiren

sollen, Anstand dabei finden; so muß der Richter sofort eine zweite Gerichtsperson oder einen vereideten Protokollführer, oder zwei Zeugen, herbei rufen; in deren Gegenwart den Parteien das Protokoll


(610) Prozessordn. Fünf u. zwanzigster Titel.

vorlesen; dasjenige, was eine oder die andere bei dem Inhalte zu erinnern hat, am Schlusse desselben umständlich verzeichnen, und sodann das Protokoll vorbeschriebenermaßen von den Parteien, oder, wenn auch alsdann noch eine davon sich dessen weigert, von den zugezogenen Personen unterschreiben lassen. Alsdann behält der übrige Inhalt des Protokolls, außer den am Schlusse desselben von den Parteien widersprochenen Umständen, seine volle Kraft und Glaubwürdigkeit; und die fernerer Erörterung der widersprochenen Umstände gehört, so weit es darauf ankommt, zur Fortsetzung der Instruktion.

§. 58.

Ferner bedarf es nicht der Zuziehung besonderer Protokollführer oder Gerichtsschöppen, wenn Assistenten oder Justizkommissarien als Bevollmächtigte oder Konsulenten der Parteien bei der Verhandlung zugezogen, und das Protokoll von diesen mitunterschrieben worden. Ist aber nur von der einen Seite ein Assistent oder Justizkommissarius gegenwärtig, so muß die andere in Person erscheinende Partei, oder deren sonstiger Bevollmächtigter, ausdrücklich vernommen werden: ob sie von ihrer Seite einen Assistenten, wenn es auch kein Justizkommissarius ist, zu der Verhandlung mitbringen wolle, oder dessen Zuordnung von dem Richter verlange. In beiden Fällen muß dergleichen Assistent zugezogen, und das Protokoll von ihm mitunterschrieben werden. Erklärt aber die Partei, oder ihr Bevollmächtigter, dergleichen Zuziehung nicht zu verlangen; so finden in Ansehung eines solchen Erklärenden die Vorschriften des §. 57. Anwendung.

§. 59.

Ueberhaupt ist die Zuziehung des Aktuarii, des Protokollführers, oder der Schöppen, nicht nothwendig; a) wenn der Gegenstand weniger als Fünfzig Thaler beträgt; oder b) eine von denjenigen


(611) Verfahren bei Untergerichten.

Injuriensachen betrifft, welche, nach Anleitung des 26ten Titels, den Bagatellsachen gleich geachtet werden; c) wenn eine bloß einseitige Anzeige oder Erklärung einer Partei, wodurch sie weder eine Verbindlichkeit übernimmt, noch einem Rechte entsagt, z. B. ein Prorogationsgesuch, eine bloße Anmeldung zur Klage oder Appellation, zum Protokolle aufgenommen; d) wenn einer Partei etwas bloß zum Protokolle bekannt gemacht, oder angedeutet, z. B. eine Situation oder andere Verordnung insinuirt, ein Urtel oder eine Resolution publizirt werden soll; endlich e) wenn eine Partei ihrem Assistenten oder Konsulenten bloß Information über die künftige Instruktion der Sache zum Protokolle ertheilt.

In allen diesen Fällen ist die alleinige Unterschrift der protokollirenden Gerichtsperson hinreichend, und obgleich dieselbe allerdings, bei willkürlicher Strafe, schuldig ist, dergleichen Protokoll der Partei zur Mitunterschrift, oder, wenn sie nicht schreiben kann, zur Beisetzung von Kreuzen statt ihres Namens vorzulegen; so entsteht doch aus dessen Unterlassung kein wesentlicher Mangel in der Legalität des Verfahrens, sondern die Folge ist nur, daß, wenn hiernächst die Partei den Inhalt des Protokolls ansieht, ihr darüber, und daß die Sache nicht so, wie sie niedergeschrieben ist, verhandelt worden, eher und leichter, als wenn jene Formalität beobachtet worden wäre, Gehör zu verstatten ist.

Rechtliche Folgen der unterbliebenen Zuziehung der Protokollführer oder Beistzer.

§. 60

Außer diesen Fällen der Ausnahme aber (§. 57. 58. 59.) folgt daraus, daß die vorschriftsmäßige Zuziehung des Protokollführers oder der ihn ersetzenden Personen unterblieben ist, die Nullität des Verfahrens oder der Verhandlung, bei welcher der Fehler vorgefallen ist; also, daß, so bald eine Partei die in einem solchen unvollständigen Protokolle niedergeschriebenen Verhandlungen als unrichtig, und der


(612) Prozeßordn. Fünf u. zwanzigster Titel.

wahren Lage der Sache nicht gemäß verzeichnet, ansieht, auf dieses Protokoll gar nicht weiter Rücksicht genommen werden kann; sondern die Verhandlung, oder, wenn es dabei auf wesentliche Theile des Prozesses angekommen, die ganze Instruktion, von Neuem anzufangen ist.

§. 61.

Wenn jedoch eine Partei von dem Erkenntnisse auf solche mangelhaft aufgenommene Protokolle und Akten appellirt, und bei den Verhandlungen in zweiter Instanz den vorgefallenen Mangel nicht rügt; vielmehr den Inhalt der in voriger Instanz von dem Richter allein aufgenommenen Protokolle ausdrücklich oder stillschweigend für richtig anerkennt: so ist der Appellationsrichter weder befugt noch schuldig, die vorige Instruktion, als mangelhaft oder nichtig, von Amts wegen zu verwerfen; und auch die Partei kann, wenn in der zweiten Instanz erkannt worden ist, die Richtigkeit der in der ersten Instanz aufgenommenen Protokolle, wegen des dabei in der Form begangenen Fehlers, nicht mehr anfechten.

§. 62 a.

Wird von dem Erkenntnisse nicht appellirt, so müssen die Parteien, welche die aus dem Mangel der Form entstehende Nullität rügen wollen, sich damit binnen sechs Wochen, nach publizirtem Urtel, bei der dem erkennenden Richter vorgesetzten Behörde melden; widrigenfalls ihr Recht, auf die Annullirung der vorigen Instruktion und des darauf gegründeten Urtels, anzutragen, erloschen ist.

§. 62 b.

Von dem Falle,

wenn ein Protokoll und die Richtigkeit seines Inhalts, wegen des Mangels in der Form, angefochten wird,

ist der zu unterscheiden,


(613) Verfahren bei Untergerichten.

wenn ein Geständnis in einem der Form nach richtigen Protokolle widerrufen wird.

In diesem letztern Falle finden, auch bei Untergerichten, die Vorschriften Tit. X. §. 27. Anwendung.

Wie bei Aufnehmung der Protokolle selbst zu verfahren.

§. 63.

Bei Aufnehmung der Protokolle selbst muß der Richter mit genauer Sorgfalt und Aufmerksamkeit verfahren, damit die Verhandlung so, wie sie wirklich vorgefallen ist, treu und richtig niedergeschrieben werde. Zur mehreren Versicherung dessen muß er das Protokoll, in Gegenwart der Parteien und ihrer Beistände, dem Protokollführer laut in die Feder diktiren. Haben die Parteien keine rechtskundigen Beistände, die bei der Verhandlung gegenwärtig sind; so muß er ihnen, oder den angehörten Zeugen, das aufgenommene Protokoll Wort für Wort, langsam und vernehmlich vorlesen; sie befragen: ob der Inhalt ihren Angaben und Aussagen gemäß niedergeschrieben sei; nach richtigem Befunde die geschehene Vorlesung und Genehmigung, oder was etwa dabei noch erinnert worden, am Schlusse des Protokolls ausdrücklich bemerken; und das Protokoll von den Parteien oder Zeugen eigenhändig unterschreiben lassen. Kann eine Partei oder ein Zeuge nicht schreiben, so muß er wenigstens sein gewöhnliches Handzeichen, oder Kreuz, dem Protokolle statt der Unterschrift beifügen; der Richter aber muß dabei ausdrücklich bemerken, daß die Partei, oder der Zeuge, diese Zeichen statt seiner Unterschrift beigefügt habe.

§. 64.

Ist diese Vorschrift, wegen Vorlesung, Genehmigung und Unterzeichnung des Protokolls, nicht gehörig beobachtet worden; so entsteht zwar daraus noch keine gänzliche Nullität der Verhandlung selbst; das Protokoll macht aber auch gegen die Partei keinen vollständigen Beweis: sondern wenn dieselbe behauptet, daß sie, oder daß der Zeuge nicht so, wie


(614) Prozeßordn. Fünf u. zwanzigster Titel.

es niedergeschrieben ist, sich erklärt oder ausgesagt habe; daß ein Irrtum bei dem Niederschreiben der Angaben oder Aussagen vorgefallen sei; daß der Richter sie oder den Zeugen nicht recht verstanden habe u. s. w.: so wirkt der Inhalt eines solchen Protokolls bloß eine Vermuthung gegen die Partei, welche durch entgegen stehende Vermuthungen oder Beweise gehoben werden kann. Enthält das Protokoll ein Zeugenverhör, so muß dasselbe, wenn anders der Zeuge noch zu haben ist, demselben anderweit vorgelegt, vorgelesen, und das über dessen Genehmigung, oder über die dabei gemachte Erinnerungen aufgenommene neue Protokoll, von dem Zeugen gehörig mit unterzeichnet werden.

§. 65.

Insonderheit müssen, bei Aufnehmung der Instruktionsprotokolle, die Parteien nicht übereilt, sondern ihnen Zeit zur Besinnung gelassen, auch ihre Angaben und Geständnisse über die im Prozesse vorkommenden Thatsachen, besonders wenn ihnen dieselben nachtheilig sind, nicht in allgemeinen und unbestimmten Ausdrücken, sondern so viel als möglich mit ihren eigenen Worten niedergeschrieben werden. Wenn aber eine mit keinem rechtskundigen Beistande versehene Partei, welche zu den niederen Volksklassen aus dem Bauer- und geringern Bürgerstande gehört, nicht bloß Thatsachen einräumt, sondern Verbindlichkeiten anerkennt, oder Befugnissen entsagt; so muß sie der rechtlichen Folgen davon gehörig bedeutet, und wie es geschehen ist, im Protokolle ausdrücklich bemerkt werden. Ist die Bedeutung nicht geschehen, so haben das Anerkenntnis oder die Entsagung gegen eine solche Partei keine rechtliche Wirkung, sondern werden als nicht erfolgt angesehen.

§. 66.

Obgleich übrigens die Vorschriften §. 50-65. hauptsächlich bei Untergerichten der zweiten Klasse


(615) Verfahren bei Untergerichten.

zur Sicherheit der Parteien nothwendig sind, und daher von den Obergerichten auf deren genauen Befolgung mit vorzüglichem Nachdrucke gehalten werden muß; so finden sie doch an und für sich auf die protokollarischen Verhandlungen bei den Untergerichten der ersten Klasse, so wie bei den Obergerichten, gleicher Gestalt Anwendung.

Von Appellationen gegen die Erkenntnisse der Untergerichte zweiter Klasse.

§. 67.

Wenn in einem Prozesse, der bei einem Untergerichte der zweiten Klasse geschwebt hat, von dem Erkenntnisse desselben appellirt wird, und der Appellant mit einem rechtsverständigen Assistenten oder Bevollmächtigten versehen gewesen ist; so findet, wegen Einwendung und Instruktion des Appellatorii, völlig eben das statt, was bei Untergerichten der ersten Klasse §. 21-42. vorgeschrieben ist.

§. 68.

Ist aber die Sache mit den Parteien allein, ohne Zuziehung rechtskundiger Beistände oder Bevollmächtigten, verhandelt worden; so muß der Richter, bei Publikation des von ihm abgefassten Urtels, die Parteien ausdrücklich bedeuten, daß derjenige, welcher sich bei diesem Urtel nicht beruhigen wolle, die Appellation an das Obergericht offen stehe; daß aber eine solche Partei sich innerhalb 10 Tagen bei ihm melden, und ihre Beschwerden, oder die Punkte, wegen welcher sie ein besseres Urtel verlange, zum Protokolle anzeigen müsse; und daß, wenn diese Anzeige innerhalb der gesetzten 10 Tage nicht erfolgte, das Urtel in die Rechtskraft übergehe, mithin auf ferneres Anrufen des Gegentheils in Exekution gesetzt werden würde. Daß und wie diese Bekanntmachung geschehen ist, muß in der über die Publikation des Urtels aufzunehmenden Registratur jedes Mal mitbemerkt werden; und diese Registratur muß in den Abschriften des Urtels, welche den Parteien zugestellt werden, mit begriffen seyn.


(616) Prozeßordn. Fünf u. zwanzigster Titel.

§. 69.

Ist die Bedeutung ganz unterblieben, so erlangt das Urtel nicht anders die Rechtskraft, als wenn der unterliegende Theil die Exekution wider sich, ohne Beschwerden anzubringen, hat ergeben, oder in Fällen, wo nach der Natur der Sache keine Exekution erfolgt, drei Monate, ohne über das Erkenntnis sich zu beschweren, hat verstreichen lassen.

§. 70.

Ist die Bedeutung zwar geschehen, der vorschriftsmäßige Vermerk aber nicht angenommen worden; so ist dennoch die Appellation binnen zehn Tagen nach erfolgter Exekutionsankündigung, oder nach Verlauf der §. 6. bestimmten dreimonatlichen Frist, zulässig; und muß übrigens in beiden Fällen (§. 69. 70.) der Richter, welcher seine Schuldigkeit nach §. 68. nicht gehörig beobachtet hat, mit zwei bis zehn Talern Ordnungsstrafe belegt werden.

§. 71.

So bald die Summe oder Sache nach Maßgabe §. 22. appellabel ist, muß der Unterrichter das bei ihm angemeldete Rechtsmittel zulassen, wenn ihm auch dasselbe aus einem anderen Grunde unstatthaft scheinen möchte; indem die Beurtheilung hierüber nur dem Obergerichte zustehen soll.

Anmeldung und Aufnehmung der Appellation.

§. 72.

Wenn die Partei sich zur Appellation meldet, so muss der Unterrichter sie umständlich vernehmen: gegen welche Punkte oder Festsetzungen des Urtels sie sich beschwere, und worin eigentlich ihre Gravamina bestehen.

§. 73.

Zugleich muss der Appellant, wegen des zur Fortsetzung der Sache bei dem Obergerichte zu bestellenden, oder ihm dasselbst zuzuordnenden Beistandes oder Bevollmächtigten, nach Vorschrift §. 27. 28. vernommen werden.


(617) Verfahren bei Untergerichten.

Einsendung der Akten an das Obergericht.

§. 74.

Alsdann muss das Untergericht die Akten unverzüglich an das Obergericht einsenden, und dem Gegentheile davon, unter Zufertigung des Appellationsprotokolls, Nachricht geben.

Weiteres Verfahren bei dem Obergerichte.

§. 75.

Wenn der Oberrichter die Appellation an sich zulässig findet, so muss er dem von dem Appellanten gewählten, oder ihm zuzuordnenden Rechtsbeistande, einen nach Bewandtnis der Sache und der Entfernung abzumessenden Termin bestimmen, in welchem er entweder die neuen Thatsachen oder Beweismittel, worüber etwa eine neue Instruktion zu veranlassen seyn möchte, zum Protokolle anzeigen, oder die weitere Ausführung der Beschwerden des Appellanten aus den Akten der ersten Instanz beibringen müsse.

§. 76.

In der Zwischenzeit muss der Assistent oder Bevollmächtigte mit dem Appellanten über die weitere Verhandlung der Sache Rücksprache nehmen, und sich von demselben über die etwa anzubringenden neuen Thatsachen, oder Beweismittel, mit der erforderlichen Information versehen.

§. 77.

Der Termin selbst kann nicht prorogirt werden: sondern wenn der Assistent oder Bevollmächtigte des Appellanten bis dahin keine nähere Information von demselben, wegen anzubringender neuer Thatsachen oder Beweismittel, erhalten hat; so muss er im Termine selbst die Rechtfertigung der Beschwerden aus den bisherigen Verhandlungen entweder zum Protokoll geben, oder schriftlich einbringen.

§. 78.

Zeigt der Assistent oder Bevollmächtigte in dem Termine, mit Vorlegung seiner Manualakten, an, daß die Erklärung der Partei, von welcher es


(618) Prozeßordn. Fünf u. zwaqnzigster Titel.

abhing: ob in der zweiten Instanz eine neue Instruktion werde erfolgen müssen, oder nicht, ihm so spät vor dem Termine zugekommen sey, daß ihm zur Anfertigung der Rechtfertigungsschrift nicht mehr Zeit genug übrig geblieben; so soll ihm dazu eine Nachfrist von acht Tagen bis drei Wochen nicht versagt werden. Wegen der rechtlichen Folgen, wenn die Schrift nicht innerhalb dieser letztern Frist eingereicht wird, findet die Bestimmung des §. 44. Tit. XIV. Anwendung.

§. 79.

Zeigt der Assistent oder Bevollmächtigte des Appellanten im Termine an, daß seine Partei zwar auf eine neue Instruktion im Appellatorio antrage, ihn aber dazu noch nicht mit hinlänglich vollständiger und bestimmter Information versehen habe; so muss er die Richtigkeit dieser Anzeige durch seine Manualakten bescheinigen. Alsdann bestimmt der Richter einen anderweitigen Termin, in welchem die gehörige Angabe der neuen Thatsachen oder Beweismittel nothwendig geschehen müsse; und wegen nicht zulässiger Prorogation dieses Termins gelten die im XIVten Titel §. 54. ertheilten Vorschriften.

§. 80.

Wenn in der zweiten Instanz keine neue Instruktion vorkommt, so wird die Rechtfertigungsschrift des Appellanten dem Gegentheile, wenn sich nicht etwa schon für denselben ein Bevollmächtigter bei den Akten gemeldet hat, schriftlich zugefertigt, und ein Termin anberaumt, bis zu oder spätestens in welchem er seine Gegendeduktion einreichen müsse. Dieser Termin kann auf sein Gesuch höchstens nur Einmal verlängert werden. Kommt aber in dem ersten, oder allenfalls in dem verlängerten Termine, die Gegendeduktion nicht ein, so wird angenommen, daß der Appellat auf die Akten der ersten Instanz submittire,


(619) Verfahren bei den Untergerichten.und das Appellationsverfahren wird für geschlossen geachtet.

§. 81.

Kommt es aber zu einer neuen Instruktion, so finden auch hier die obigen Vorschriften §. 35-41. Anwendung.

Von Revisionen.

§. 82.

Da solchergestalt die Verhandlung des Appellatorii gegen das Urtel eines Untergerichts der zweiten Klasse in der Regel (§. 67.) allemal bei dem Obergerichte erfolgt, so versteht sich von selbst, daß auch das Revisorium gegen das Appellationserkenntnis eben daselbst instruirt werden müsse.

Sechs und zwanzigster Titel.

Vom Verfahren in Bagatellsachen.

Was Bagatellsachen sind.

§. 1.

Unter Bagatellsachen werden solche verstanden, wo der Betrag der streitigen Summe, oder der Wert der Sache, nur Fünfzig Thaler, oder weniger ausmacht. Die Berechnung dieses Quanti wird den im Vierzehnten Titel §. 3. Nr. 1. vorgeschriebenen Grundsätzen gemäß angelegt.

§. 2.

Jährliche Geld- oder Naturalprästationen werden mit Vier vom Hundert zu Kapital gerechnet. Gerechtigkeiten, die keiner Schätzung nach Gelde fähig sind, werden niemals, wenn nicht ihre Unerheblichkeit ganz klar erhellet, als Bagatellsachen angesehen.

§. 3.

Bei dem Verfahren in Bagatellsachen findet einiger Unterschied statt, je nachdem sie in erster Instanz bei einem Ober- oder Untergerichte anhängig gemacht werden.


(620) Prozeßordn. Sechs u. zwanzigster Titel.

Erster Abschnitt.

Vom Verfahren in Bagatellsachen bei Obergerichten.

Regel.

§. 4.

Bei der Instruktion der Bagatellsachen, welche vor Obergerichte gehören, müssen bei der Aufnehmung der Klagen, wegen Vorladung des Beklagten, wegen Beantwortung der Klage, Vernehmung der Parteien gegen einander, Regulirung des Status causae et controversiae, und Instruktion des Beweises, alle wesentlichen Vorschriften der Prozeßordnung, so wie in allen anderen Sachen, beobachtet werden.

Besondere Bestimmungen.

§. 5.

Die Abweichungen davon, welche in Bagatellsachen Statt finden können, sind nur folgende:

1) Es wird sogleich auf die Klage ein Deputirter ernannt, welcher die ganze Sache vom Anfangee bis zum Ende besorgen, und in der Regel die Akten beim Kollegio erst völlig instruirt zum Erkenntnisse einreichen muß.

2) Außer der ersten Verordnung auf die Klage, welche von dem Kollegio selbst erlassen wird, werden alle übrige während des Laufes der Instruktion vorkommende Verfügungen von dem Deputirten allein abgefasst, und beiden Parteien, ingleichen den am Orte sich aufhaltenden und abzuhörenden Zeugen, nur durch Kanzelleiabschriften der Dekrete bekannt gemacht.

3) Eine Rückfrage und Anzeige an das Kollegium ist nur dann nöthig, wenn Verfügungen an auswärts wohnende Parteien, Zeugen oder Gerichte zu erlassen sind; aber wenn der Instruent sich mit den Parteien, oder deren Bevollmächtigten, über die Thatsachen, worüber Beweis aufzunehmen ist, nicht


(621) Bagatellsachen.

vereinigen kann, oder wenn etwas Exekutivisches gegen Parteien, Bevollmächtigte, oder Zeugen, die sich nach dem Ansinnen des Deputirten ihren gesetzmäßigen Obliegenheiten nicht unterwerfen wollen, zu veranlassen ist.

4) Da in allen Sachen der ersten Termin sogleich unter der Warnung, daß der Beklagte, bei ungehorsamem Ausbleiben, der in der Klage vorgetragenen Thatsachen für geständig werde geachtet werden, anberaumt wird; so findet eben dieß auch in Bagatellsachen Statt; und müssen übrigens, da dergleichen Sachen in der Regel weniger verwickelt sind, und weniger Vorbereitung zur Auseinandersetzung der Thatsachen erfordern, die Termine verhältnismäßig kürzer angesetzt, und Prorogationen derselben nur wegen solcher Ehehaften bewilligt werden, welche der Extrahent sofort bescheinigt, und von denen erhellet, daß sie ihm ohne alles sein Verschulden die gehörige Abwartung des Termins unmöglich machen.

5) Werden Zeugen von einer Partei als unzulässig rekusirt, und die Gründe dieser Rekusation beruhen entweder nicht in klaren Vorschriften der Gesetze (Tit. X. §. 227 u. f.), oder sie können nicht sofort bescheinigt werden; so muß der Deputirte mit der Abhörung solcher Zeugen, der Rekusation ungeachtet, verfahren, und nur dieselben zugleich über den Grund der Einwendungen vernehmen. Ergiebt sich aus dieser Vernehmung, daß die Zeugen wirklich, entweder überhaupt, oder als Beweiszeugen unzulässig sind, so muß die Vereidung derselben unterbleiben.

6) Schriftliche Deduktionen finden in Bagatellsachen niemals Statt, vielmehr muß der Richter bei Abschaffung des Erkenntnisses den Rechtspunkt hier besonders wahrnehmen. Sollten aber in einer solchen Bagatellsache wirklich zweifelhafte Rechtsfragen vorkommen, so ergeht zwar die gewöhnliche Anfrage an


(622) Prozeßordn. Sechs u. zwanzigster Titel.

die Gesetzkommission, doch ohne Kosten der Parteien, das Postporto ausgenommen; und müssen diese Kosten allenfalls aus der Salarienkasse getragen werden.

§. 6.

Da in Bagatellsachen die persönliche Zusammenbringung der Parteien zur Abkürzung der Sache und Ersparung der Kosten vorzüglich diensam ist, so kann in dergleichen Fällen, besonders wenn dem Beklagten wegen der Entfernung nicht füglich anzumuthen ist, daß er an ordentlicher Gerichtsstelle in Person erscheine, die ganze Instruktion der Sache einem auswärtigen an seinem Wohnorte, oder in der Nähe desselben, befindlichen Kommissarius aufgetragen werden.

Erkenntnisse.

§. 7.

Wenn nach geschlossener Instruktion die Akten dem Kollegio eingereicht werden, und das Objekt nur Dreißig Thaler oder weniger ausmacht; so muß das Kollegium die Sache in pleno durch den ordentlichen Decernenten mündlich vortragen lassen, und ein Erkenntniß darüber abfassen, welches dem instruirenden Deputato zur Publikation an die Parteien zugestellt wird; und wobei es nach der Vorschrift Tit. XIV. §. 3. Nr. 1. ohne Bestattung eines eitern Rechtsmittels sein Bewenden hat.

§. 8.

Beträgt das Objekt über Dreißig, obwohl unter oder nur bis Funfzig Thaler; so müssen in dem Falle, wann das zur Aburtelung der Appellation bestellte Kollegium an eben dem Orte seinen Sitz hat, wo das instruirende Kollegium sich befindet, die Akten bei diesem letztern, so wie in jeder andern Sache vorgelegt, und das Erkenntniß abgefasst werden. Sind aber die Appellationen von dem instruirenden Obergerichte an ein anderes auswärtiges Kollegium gewiesen, so muß das instruirende Gericht eine Deputation von drei Personen aus seiner Mitte ernennen, welche die Sachen unter sich vortragen, ein Erkenntniß


(623) Bagatellsachen.

darüber abfassen, und selbiges den Parteien durch den instruirenden Deputatus eröffnen lassen.

Appellationen.

§. 9.

Da gegen ein solches Erkenntniß, nach der §. 7. angeführten Vorschrift, die Appellation zulässig ist; so muß der Instruent dieses den Parteien bei der Publikation bekannt machen, und sie anweisen, wenn einer oder der andere von ihnen sich dieses Rechtsmittels bedienen wolle, selbiges innerhalb der nach Maßgabe §. 16. u. f. im Vierzehnten Titel zu berechnenden zehntägigen Frist bei ihm anzumelden.

§. 10.

Nach Ablauf dieser Frist muß der Deputirte dem Kollegio anzeigen: ob dergleichen Appellation bei ihm angemeldet worden, oder nicht; auch erstern Falls das Protokoll, den Brief, oder die anderweitige schriftliche Anzeige, wodurch diese Anmeldung geschehen ist, beilegen.

§. 11.

Das Kollegium muß alsdann einen andern Deputirten ernennen, und ihm die Instruktion des Appellatorii übertragen, und auch die Parteien schriftlich an ihn verweisen. Dieser Deputirte muß das ganze Appellatorium, den wesentlichen Vorschriften des Tit. X. und XIV. gemäß, und mit Beobachtung der oben §. 5. festgesetzten Bestimmungen, auf eben die Art, wie der Deputatus in erster Instanz, zum Definitiverkenntnisse instruiren.

§. 12.

Haben die Parteien schon in erster Instanz durch Justizkommissarien sich vertreten lassen, und zeigt der appellirende Theil gleich bei Anmeldung des Rechtsmittels an, daß keine neuen Thatsachen vorhanden sind, so kann das Gericht, statt der Instruktion zum Protokolle, eine binnen Vierzehn Tagen einzureichende schriftliche Ausführung der Beschwerde nerfordern, und dieselbe dem Gegentheile zur


(624) Prozeßordn. Sechs u. zwanzigster Titel.

Gegenausführung, ebenfalls binnen Vierzehn Tagen, durch Abschrift des Dekrets kommuniciren. Diese Fristen sind dergestalt präklusivisch, daß eine Verlängerung derselben gar nicht Statt findet; sondern, wenn sie fruchtlos verlaufen, mit der Vorlegung der Akten zum Spruche sofort verfahren wird.

§. 13.

Die Abfassung des Erkenntnisses erfolgt auf mündlichen Vortrag eines dazu ernannten Referenten von dem Pleno des Kollegii, jedoch mit Ausschluss derjenigen Mitglieder, welche nach §. 8. das Urtel in erster Instanz abgefaßt haben; und gegen dies Erkenntniß ist kein weiteres Rechtsmittel zulässig.

§. 14.

Sollte das eine oder das andere Obergericht aus einer so geringen Anzahl von Mitgliedern bestehen, daß aus selbigen eine besondere Deputation für die erste, und ein Plenum für die zweite Instanz nicht formirt werden könnte; so muß die erste Instanz in pleno abgeurtelt, das Appellatorium zwar nach vorstehenden Anweisungen instruirt, die Abfassung des zweiten Urtels aber demjenigen Kollegio, an welches die Appellationen von dem instruirenden Gerichte überhaupt gewiesen sind, wie gewöhnlich überlassen werden.

Dieses Letztere soll auch alsbald Statt finden, wenn der Appellant ausdrücklich verlangt, daß in zweiter Instanz bei dem gewöhnlichen Appellationsgerichte erkannt werden solle; doch muß ein solcher Appellant die Transmissionskosten allein tragen.


(625) Bagatellsachen.

Zweiter Abschnitt.

Vom Verfahren in Bagatellsachen bei Untergerichten.

Von Bagatellsachen unter 10 Thalern.

§. 15.

Zur Instruktion der Bagatellsachen, welche nur Zehn Thaler und weniger betragen, wohin auch die Gesindesachen an Orten, wo selbige nicht zur Polizei verwiesen sind, gehören, muß bei den Untergerichten der ersten Klasse ein beständiger Deputirter ernannt; auch dazu ein, oder nach Beschaffenheit des Jurisdiktionsbezirks, zwei gewisse Tage in der Woche, ein für allemal bestimmt und öffentlich bekannt gemacht werden.

§. 16.

In diesen Gerichtstagen muß der Deputirte die sich meldenden Kläger anhören; ihr Anbringen kürzlich zu Protokoll nehmen; den Beklagten zu dem nächsten Gerichtstage durch den Diener oder Boten, mit Zustellung einer Abschrift des Klageprotokolls, mündlich vorfordern lassen; wenn derselbe ungehorsamlich außen bleibt, das Nöthige sofort durch einen Kontumacialbescheid festsetzen, und beiden Theilen davon Abschriften aufstellen lassen; wenn aber der Beklagte erscheint, ihm die Klage vorlesen und erklären; seine Antwort darüber vernehmen; die über die streitigen Thatsachen etwa vorgeschlagenen, und mit zur Stelle gebrachten, oder durch den Gerichtsboten nur mündlich vorzuladenden Zeugen abhören; die Sühne vorschriftsmäßig versuchen; wenn aber dieselbe fehlschlägt, das über die ganze Verhandlung aufgenommene Protokoll in der Registratur auf den Tagezettel setzen lassen, und es solchergestalt zum mündlichen Vortrage im Kollegio befördern.

§. 17.

Auf diesen mündlichen Vortrag muß das Kollegium sofort das Erkenntniß abfassen und dem Deputirten


(626) Prozeßordn. Sechs u. zwanzigster Titel.

zustellen, welcher es den Parteien, die er dazu auf den nächsten Gerichtstag schon im Voraus beschieden hat, gewöhnlichermaaßen publicirt.

§. 18.

Gegen ein solches Erkenntniß findet kein weiteres Rechtsmittel statt; doch steht dem vorgesetzten Obergerichte frei, wenn die verlierende Partei sich bei ihm beschwert, bewandten Umständen nach die Akten von dem Untergerichte abzufordern; wenn wesentliche Mängel bei der Instruktion vorgefallen oder offenbar erhebliche Thatsachen übergangen sind, die Ergänzung der Instruktion zu verfügen; und sodann, oder auch, wenn schon aus den Akten erster Instanz sich findet, daß der Unterrichter gegen die klare Lage der Sache, oder gegen klare Rechte gesprochen habe, den Beschwerden, durch eine auf Kosten dieses Unterrichters zu ertheilende Resolution, abhelfliche Maaße zu verschaffen.

Bagatellsachen von 10 bis 50 Thalern.

§. 19.

In Bagatellsachen über Zehn bis Funfzig Thaler wird, bei Untergerichten der ersten Klasse, auf erfolgtes Anmelden des Klägers, einem Mitgliede des Gerichts die Instruktion der Sache aufgetragen, welches dabei eben das zu beobachten hat, was im Ersten Abschnitte des gegenwärtigen Titels dem zu einer solchen Instruktion bestellten Deputirten vorgeschrieben ist.

§. 20.

Nach geschlossener Instruktion wird die Sache im Kollegio von dem Decernenten mündlich vorgetragen, das Erkenntniß darüber abgefaßt, und den Parteien durch den vorigen Deputirten gewöhnlichermaaßen publicirt.

§. 21.

Wenn gegen dieß Erkenntniß appellirt wird, so bleibt die Instruktion des Appellatorii bei dem Untergerichte, und es wird dazu ein anderer Deputirter


(627) Bagatellsachen.

ernannt, welcher eben so, wie es dem Deputirten des Obergerichts im Ersten Abschnitte vorgeschrieben ist, zu verfahren hat.

§. 22.

Die instruirten Akten werden sodann an das Obergericht eingesendet, welches ein Erkenntniß darauf abfaßt, und dasselbe, nebst den Akten, zur Publikation an den Unterrichter remittirt.

§. 23.

Bei Untergerichten der zweiten Klasse findet in Bagatellsachen eben das Verfahren tatt, wie bei denen der ersten; außer daß, da bei selbigen nur Eine richterliche Person eristirt, diese, so wie in allen andern, also auch in Bagatellsachen, die Stelle des Instruenten und Urtelsfassers zugleich vertreten muß.

§. 24.

Wenn von dem Erkenntnisse eines solchen Untergerichts appellirt wird, und das Objekt beträgt nur Dreißig Reichsthaler, oder weniger: so wird die zweite Instanz bei dem Unterrichte instruirt, und die geschlossenen Akten werden zum Erkenntnisse darüber an das Obergericht eingesendet.

§. 25.

Beträgt das Objekt zwar über Dreißig, doch unter oder nur Funfzig Reichsthaler; so soll dem Appellanten die Wahl zustehen: ob er die Instruktion des Appellatorii bei dem Unter- oder Obergerichte verlange. Erstern Falls muß der Unterrichten nach der Anweisung des vorigen Paragraphen verfahren; letztern Falls hingegen muß er, gleich nach erfolgter Anmeldung der Appellation, die Akten an das Obergericht einsenden, und die Parteien dahin verweisen; das Obergericht aber muß die fernere Instruktion durch einen Deputirten, nach Vorschrift des Ersten Abschnitts von gegenwärtigem Titel, veranlassen.


(628) Prozeßordn. Sieben u. zwanzigster Titel.

Sieben und zwanzigster Titel.

Vom Wechselprozesse.

Wann der Wechselprozeß Statt finde.

§. 1.

Der Wechselprozeß findet nur aus eigentlichen, sowohl trockenen als gezogenen Wechseln Statt, welche mit den gesetzmäßigen Erfordernissen versehen, und von solchen Personen ausgestellt sind, denen die Gesetze die Fähigkeiten, sich wechselmäßig zu verpflichten, beilegen. (Allg. Landrecht Th. 11. Tit. VIII. §. 715-747.)

§. 2.

Aus Handlungsbillets, kaufmännischen Assignationen, und andern dergleichen unter Kaufleuten cirkulirenden Papieren, kann in der Regel nicht wechselmäßig geklagt werden; es wäre denn, daß vermöge ausdrücklicher Gesetze, oder der ununterbrochenen Observanz eines gewissen Handlungsplatzes, das wechselmäßige Verfahren aus dergleichen Instrumenten daselbst eingeführt ist. (Allg. L.R. a. a. O. §. 1256. 1297.)

Aufnehmung der Klage.

§. 3.

Die Wechselklage kann sowohl schriftlich, als zum Protokolle angebracht werden.

§. 4.

In beiden Fällen muß der Kläger den Originalwechsel, nebst den dazu gehörigen Protesten, Kontraprotesten, und übrigen zur Begründung der Wechselklage, nach Beschaffenheit des Falles, etwa erforderlichen Dokumenten sogleich beibringen, und kann, so lange dieß nicht geschehen ist, keine wechselmäßige Verfügung erlassen werden. Die wenigen Fälle, wo die Klage auf Deposition oder Sicherstellunng auf den Grund des Protestes, und gegen vorbehaltene Nachbringung des Wechsels selbst, angenommen werden kann, sind in den Gesetzen ausdrücklich bestimmt.(A. L. R. a. a. O. §. 1074. 1075.)


(629) Wechselprozeß.

§. 5.

Gehört der Beklagte nicht zu den Kaufleuten, oder denjenigen Personen, welche diesen nach den Gesetzen gleich zu achten sind (A. L. R. Ebend. §. 718-724.).); so muß die Fähigkeit desselben, sich wechselmäßig zu verpflichten, sogleich bei Anstellung der Klage nachgewiesen werden. (a. a. O. §. 726. 727. 731-747.)

§. 6.

Beruhet insonderheit die Wechselfähigkeit des Beklagten auf einem dazu erhaltenen gerichtlichen Certifikate, so muß der Kläger seiner Klage entweder eine beglaubte Abschrift dieses Certifikats, oder doch ein gerichtliches Attest darüber, beilegen. (Ebend. §. 746. 747.)

§. 7.

Will der Kläger die Wechselklage nicht schriftlich, sondern nur mündlich zum Protokolle anbringen; so muß der Vorgesetzte des Gerichts auf die erste Anzeige davon sofort, und ohne erst eine Zusammenkunft des Kollegii abzuwarten, einen Deputirten ernennen, welcher die Klagen eben so unverzüglich aufnehmen, und für deren Begründung nach Vorschrift §. 4. 5. 6. gehörig sorgen muß.

Verordnung auf die Klage.

§. 8.

Die aufgenommene oder schriftlich eingerichtete Wechselklage wird, der Regel nach, im versammelten Gerichte gewöhnlichermaaßen vorgetragen. Wenn aber Gefahr im Verzuge vorwaltet, und die Zulässigkeit des Wechselprozesses, sowohl in Ansehung der Beschaffenheit der zur Begründung der Wechselklage beigebrachten Dokumente, als in Ansehung der persönlichen Fähigkeit des Beklagten, sich wechselmäßig zu verpflichten, ganz klar und keinem Bedenken unterworfen ist; so muß der Vorgesetzte des Gerichts die Wechselcitation sofort, und ohne erst eine Session abzuwarten, verfügen.


(630) Prozeßordn. Sieben u. zwanzigster Titel.

§. 9.

Findet das versammelte Gericht den Wechselprozeß, aus Mangel der gesetzmäßigen Erfordernisse entweder bei den Instrumenten, oder in der Person des Beklagten, nicht zulässig; so muß dasselbe den Kläger durch eine Resolution mit seiner Wechselklage ab-, und zur Ausführung seines Anspruchs im Wege des ordentlichen, oder, nach Beschaffenheit der Sache, des exekutivischen Prozesses anweisen.

§. 10.

Gegen eine solche abweisende Resolution steht dem Kläger der gewöhnliche Weg der Beschwerde bei der vorgesetzten Behörden offen. Er kann aber auch in dem ihm nachgelassenen ordentlichen oder exekutivischen Prozesse nachweisen, daß ihm ein wirkliches Wechselrecht gegen den Beklagten zustehe, und die dawider von dem Richter anfänglich gemachten Zweifel ungegründet oder unerheblich sind. Hat er diesen Nachweis hinreichend geführt, so muß, wenn auch die Sache nicht im Wechselprozesse instruirt worden ist, dennoch wechselmäßig erkannt werden.

Vorladung.

§. 11.

Ist aber gegen die Zulässigkeit des Wechselprozesses von Anfang an kein Bedenken, so muß der Beklagte zu einem nahen Präjudicialtermine vorgeladen werden, um sich darin über die Rekognition oder Diffession des Wechsels zu erklären, und auf die Klage selbst gehörig einzulassen; mit beigefügter Warnung, daß auf sein ungehorsames Außenbleiben in contumaciam wider ihn verfahren, und er zur Bezahlung der eingeklagten Summe wechselmäßig verurtheilt werden würde.

§. 12.

Bei der Bestimmung des Termins ist ein Unterschied zu machen: ob der Beklagte zu den Kaufleuten, oder zu denjenigen gehöre, die vermöge eines erhaltenen Certifikats zum Wechselausstellen qualificirt sind;


(631) Wechselprozeß.

oder ob sich seine Fähigkeit dazu bloß auf seine Eigenschaft als Besitzer adelicher Güter, oder als Generalpachter Königlicher oder Prinzlicher Aemter gründe. Im ersten Falle muß der Termin nicht leicht über 24 Stunden, oder höchstens nicht über drei Tage hinaus gesetzt werden. Im letztern Falle hingegen muß zwar der Richter den Termin ebenfalls so nahe als möglich anberaumen, jedoch dabei auf die Beschaffenheit der Umstände, und besonders auf die Entfernung des Wohnorts des Beklagten von dem Sitze des Gerichts, gehörig Rücksicht nehmen.

§. 13.

Hält der Beklagte an eben dem Orte sich auf, wo das Gericht seinen Sitz hat; so bedarf es keiner schriftlichen Ausfertigung der Wechselcitation, sondern sie wird nur durch Abschrift des Dekrets, welcher Abschriften der Klage und ihrer Beilagen angehängt seyn müssen, dem Beklagten insinuirt; und der Gerichtsbediente, welcher die Insinuation besorgt hat, muß unverzüglich bei dem Instruenten zum Protokolle anzeigen: wie dieselbe geschehen sey.

§. 14.

Ist der Beklagte außerhalb des Ortes des Gerichts wohnhaft, so muß die Citation zwar schriftlich und unter des Gerichts gewöhnlicher Unterschrift erlassen, jedoch schleunigst expedirt, die Insinuation aber auf vorstehende Art besorgt werden.

§. 15.

Uebrigens ist es nach Maaßgabe Tit. VII. §20. 21. 22. genug, wenn die Insinuation in des Beklagten Laden, Komtoir, Schreibestube, oder gewöhnlicher Behausung geschieht, wenn er auch daselbst in Person nicht zugegen wäre; allermaaßen ein jeder, welcher mit Wechselgeschäften sich abgiebt, wenn er auch von dem Orte seines gewöhnlichen Aufenthaltes sich auf einige Zeit zu entfernen genöthigt wäre, dennoch schuldig ist, jemanden mit gehöriger Information


(632) Prozeßordn. Sieben u. zwanzigster Titel.

und Vollmacht zur Besorgung solcher Angelegenheiten zurück zu lassen.

§. 16.

Die Termine in Wechselsachen können nicht prorogirt werden; den einzigen Fall ausgenommen, wenn klar erhellet, daß Naturbegebenheiten, oder andere unabwendbare Zufälle, es dem Beklagten unmöglich machen, den Termin persönlich, oder auch nur durch einen Bevollmächtigung, abzuwarten.

Kontumacialverfahren.

§. 17.

Wenn also der gehörig vorgeladene Beklagte in dem anberaumten Termine weder persönlich, noch durch einen Bevollmächtigten erscheint, so muß der instruirende Deputatus über dieses sein Außenbleiben eine Registratur aufnehmen, und dieselbe nebst den gesammten Akten dem Gerichte unverzüglich vorlegen. Das Gericht muß, wenn es bei den Verhandlungen nichts zu erinnern findet, in so fern der Termin auf einen Gerichtstag angestanden hat, noch an eben dem, sonst aber an dem nächsten Gerichtstage, oder wenn Ferien sind, bei einer sofort zu veranlassenden außerordentlichen Session, oder auch durch schriftliches ungesäumtes Votiren, ein Kontumacialerkenntniß abfassen; darin das eingeklagte Instrument für rekognoscirt erklären, und den Beklagten zu dessen Bezahlung wechselmäßig kondemniren.

§. 18.

Dieß Erkenntniß von dem Gerichte gewöhnlichermaaßen unterschrieben, dem Kläger, welcher zu dem Ende an der Gerichtsstelle gegenwärtig bleiben, oder in der ihm zu bestimmenden Zeit sich daselbst wieder einfinden muß, oder auch dessen Bevollmächtigten, durch den vorigen Deputirten ordentlich publicirt; dem Beklagten aber statt der Publikation Abschrift davon durch den Exekutor auf vorstehende Art (§. 15.) insinuirt werden.


(633) Wechselprozeß.

§. 19.

Gegen ein solches Kontumacialurtel findet das Rechtsmittel der Restitution nicht, sondern nur die Appellation, und auch diese nur in so fern Statt, als sie nach den unten folgenden Bestimmungen gegen ein Wechselerkenntniß überhaupt zulässig ist. Die erforderliche Bedeutung darüber muß unter die dem Beklagten nach §. 18. zu insinuirende Abschrift des Urtels verzeichnet werden.

Instruktion.

§. 20.

Erscheint hingegen der Wechselbeklagte auf die ergangene Vorladung, so muß ihm vor allen Dingen das Originalinstrument, nebst den etwa dazu gehörigen Protesten u. s. w. vorgelegt, und seine Erklärung über dessen Rekognition oder Diffession erfordert werden; wobei die Vorschriften Tit. X. Abschn. III. ebenfalls Anwendung finden.

Von der Diffession.

§. 21.

Erklärt er sich zur Diffession, und der Kläger will ihn dazu admittiren; so muß der Diffessionseid ihm sofort abgenommen, und damit das Verfahren geschlossen werden. Will ihn aber der Kläger zu diesem Eide nicht verstatten, sondern die Richtigkeit der Hand durch Zeugen oder Vergleichung der Handschriften darthun; so muß mit Aufnehmung des Beweises nach der Vorschrift Tit. X. §. 145 u. f. verfahren, und zwar den Parteien dazu die nöthige Zeit verstattet, in der Sache selbst aber demnächst gleichwohl wechselmäßig erkannt werden.

§. 22.

Ist der Beklagte nicht in Person, sondern nur durch einen Bevollmächtigten erschienen, also, daß der Diffessionseid ihm noch in eben dem Termine nicht abgenommen werden kann; so ist ein Unterschied zu machen: ob er wegen einer vor Insinuation der Klage unternommenen Reise, oder wegen einer gehörig bescheinigten Krankheit, außen geblieben sey. Ist er


(634) Prozeßordn. Sieben u. zwanzigster Titel.

wegen einer unternommenen Reise entschuldigt, so muß der für ihn Generalbevollmächtigte schwören: daß nach den vom Beklagten ihm anvertrauten oder sonst in seinen Händen befindlichen Büchern, Korrespondenz, und anderen Skripturen, und nach dem ihm bekannten Dispositionen seines Prinzipals, ihm von der Ausstellung, Acceptation, oder Indossirung des eingeklagten Wechsels nichts vorgekommen sey; er ihn daher für unrichtig halte, und gewiß glaube, daß sein Prinzipal denselben diffitiren werde. Leistet der Bevollmächtigte diesen Eid ab, so steht es alsdann in der Wahl des Klägers: ob er entweder den Termin bis zur Zurückkunft des Principals, deren ungefähren Zeitpunkt der Bevollmächtigte angeben muß, prorogiren lassen wolle; oder verlange, daß der Wechsel dem Principal nachgeschickt werde. Im letztern Falle muß der Bevollmächtige einen Ort namhaft machen, wohin die Nachsendung geschehen könne; und die Gerichte dieses Orts müssen requirirt werden, den Wechsel dem Principal zur Rekognition oder Diffession vorzulegen. Will aber der Bevollmächtige vorstehenden Eid nicht abschwören, oder weigert er sich, einen Ort, wo die Vorlegung an den Principal geschehen könne, anzuzeigen; so kann auf die von ihm etwa offerirte Diffession keine Rücksicht genommen, sondern der Wechsel muß in contumaciam für rekognoscirt geachtet werden. Will der Kläger den Bevollmächtigten zu diesem Eide nicht lassen, so steht ihm frei, die Richtigkeit der Hand- und Unterschrift durch Zeugen oder Vergleichung der Handschrift, nach Vorschrift §. 21. nachzuweisen. Ist dieser Nachweis hinlänglich beigebracht worden, so muß vorläufig auf gerichtliche Niederlegung oder annemliche Sicherstellung der eingeklagten Summe erkannt, und dieß Erkenntniß in das Vermögen des Beklagten vollstreckt werden.


(635) Wechselprozeß.

§. 23.

Ist hingegen der Beklagte wegen bescheinigter Krankheit außen geblieben, so muß mit der Abnahme des Diffessionseides, in so fern es nach Maaßgabe §. 21. darauf ankommt, in seiner Behausung verfahren werden; es wäre denn, daß der Beklagte von dem dazu ernannten Deputirten so krank befunden würde, daß dergleichen Handlung von ihm mit Bewußtseyn und Ueberlegung nicht vorgenommen werden könnte; in welchem Falle der Ableistung des Eides bis zu seiner Besserung ausgesetzt bleiben, oder, wenn die Krankheit in einem anhaltenden Wahn- oder Blödsinn ausartet, ihm ein Kurator bestellt, und gegen diesen die Sache fortgesetzt werden muß.

§. 24.

Ist endlich ein Wechselbeklagter, in dessen Namen Bevollmächtigter die Diffession offerirt, ohne alle scheinbare Ursache außen geblieben; so muß auf die angebotene Diffession gar nicht geachtet, sondern der Wechsel in contumaciam für rekognoscirt angenommen werden.

Instruktion der Einwendung.

§. 25.

Rekognoscirt hingegen der Beklagte den Wechsel, so muß er vernommen werden: ob und was er entweder gegen die Form und Wechselkraft des Instruments, oder gegen die Forderung selbst, einzuwenden habe.

§. 26.

Daß im Wechselprozesse nur solche Einwendungen, welche sofort liquid gemacht werden können, zulässig sind, verordnen die Gesetze; in welchen zugleich die Arten dieser Einwendungen, und die zufälligen Mittel, selbige liquid zu machen, näher bestimmt werden (Allg. L. R. Th. II. Tit. VIII. §. 916-929.)

§. 27.

Einwendungen dieser Art muß also der instruirende Deputirte in dem Protokolle gehörig auseinander


(636) Prozeßordn. Sieben u. zwanzigster Titel.

setzen; den Kläger darüber vernehmen ; in so fern sie auf Thatsachen beruhen, und von dem Kläger geläugnet werden, die von dem Beklagten darüber Stelle gebrachten, nach den Gesetzen zulässigen Beweismittel sofort aufnehmen; den Rechtspunkt in Ansehung beider Theile nöthigenfalls von Amtswegen beobachten, und solchergestalt die Sache zum Definitiverkenntnisse instruiren.

§. 28.

Bedient sich der Beklagte zur Begründung eines solchen Einwandes der Eidesdelation, so muß der Kläger sich sofort über dessen Annahme oder Zurückschiebung erklären; und der Deputirte muß mit der Abnahme des Eides noch in eben dem Termine, alsdann aber, wenn die Parteien sich darüber nicht einigen können, nach der Vorschrift Tit. X §. 306. u. f. verfahren.

Ist der Kläger nicht in Person gegenwärtig, und hat auch seinen Bevollmächtigten über Acceptation oder Relation eines solchen Eides mit hinlänglicher Information nicht versehen; so muß diesem Letztern die Beibringung der diesfälligen Erklärung aufgegeben, und also der Termin prorogirt werden; wie denn ein solcher Kläger den Verzug, welcher sowohl hieraus, als aus der an ein auswärtiges Gericht, wegen Abnehmung des Eides von ihm, etwa zu erlassenden Requisition entstehen möchte, lediglich sich selbst beizumessen hat. Ist hingegen der Beklagte, welchem ein solcher Eid de- oder referirt wird, nicht in Person zugegen, so muß er sich innerhalb vier und zwanzig Stunden zu Ableistung des Eides in Person stellen; oder der Bevollmächtigte muss, wenn der Termin dazu weiter hinaus gesetzt werden soll, binnen eben dieser Frist die streitigen Valuta in das Depositum einzahlen. Geschieht weder das Eine noch das Andere, so ist der Beklagte dafür, daß er den Eid nicht schwören könne, oder wolle, zu achten;


(637) Wechselprozeß.

und, nach Maaßgabe dessen, das Erkenntniß abzufassen.

§. 29.

Setzt der Wechselbeklagte Einwendungen entgegen, die nicht sofort liquid zu machen sind, sondern einer nähern Erörterung bedürfen; so muß der instruirende Deputirte dieselben zwar ganz kurz im Protokolle bemerken, keinesweges aber bei deren näherer Erörterung, viel weniger bei Aufnehmung der darüber etwa angegebenen Beweismittel, sich aufhalten.

Abfassung und Publikation des Erkenntnisses.

§. 30.

Nach geschlossener Instruktion muß der instruirende Deputirte die Akten, ohne Zulassung irgendeiniger Deduktion, dem Kollegio sofort einreichen; welches das Erkenntniß auf die §. 17. vorgeschriebene Art schleunigst abfassen, und den Parteien oder deren Bevollmächtigten, welche entweder an der Gerichtsstelle bis dahin gegenwärtig bleiben, oder sich in der ihnen zu bestimmenden Zeit daselbst wieder einfinden müssen, durch den vorigen Deputirten publiciren muß. Sollte bei der Publikation der eine oder der andere Theil nicht erscheinen, so wird das Erkenntniß in Ansehung seiner in contumaciam für publicirt angenommen, und der außenbleibenden Partei, oder deren Bevollmächtigten, Abschrift davon durch den Boten oder Exekutor, auf ihre Kosten zugestellt.

Anh. §. 185. Der Deputirte muß am Schlusse der Instruktion die Partei auf den nächsten Gerichtstag zur Publikation des Urtels ausdrücklich bestellen, und, daß dieß geschehen, im Protokolle bemerken.

Appellation.

§. 31.

Wider dieß Erkenntniß steht beiden Theilen die Appellation, doch nur in so fern, offen, als die erhobenen Beschwerden mit der Natur des Wechselprozesses bestehen können.

§. 32.

Der Kläger kann also nur darüber, daß dem ausgeklagten Instrumente die Wechselkraft abgesprochen,


(638) Prozeßordn. Sieben u. zwanstigster Titel.

oder daß der Beklagte zur eidlichen Diffession verstattet, oder daß ein von demselben entgegen gesetzter Einwand für liquid, welches er doch nicht sey, angenommen worden; so wie der Beklagte nur darüber, daß der Richter erster Instanz dem eingeklagten Instrumente Wechselkraft beigelegt, oder ihn zu der offerirten eidlichen Diffession nicht gestattet, oder einen von ihm entgegen gesetzten Einwand als illiquid verworfen habe, Beschwerden anbringen.

§. 33.

Die Appellation hat in Ansehung des Beklagten nur effectum devolutivum: dergestalt, daß durch selbige die Vollstreckung des Wechselerkenntnisses nicht aufgehalten werden kann.

§. 34.

Zur Einwendung dieses Rechtsmittels ist die gewöhnliche Frist von Zehn Tagen zulässig; doch kann der Appellant dieselbe, wie in andern Prozessen, verkürzen, und sich damit auch früher melden.

§. 35.

Die Anmeldung selbst muß bei dem Gerichte der ersten Instanz eben so, wie die Anbringung der Klage, von dem Appellanten persönlich, oder durch einen zulässigen Bevollmächtigten geschehen.

§. 36.

Das Gericht muß den Appellanten mit seinen Beschwerden, und was er zur Unterstützung derselben anführt, und zwar bei den Ober- oder bei den aus mehr als Einer Person bestehenden Untergerichten, durch einen andern Deputirten zum Protokolle vernehmen, und sodann den Appellaten, unter Zufertigung einer Abschrift von besagtem Protokolle, auf einen kurzen nicht leicht über 48 Stunden hinaus zu setzenden Termin, durch den Gerichtsboten, mittelst Abschrift des Dekrets, in welchem die erforderliche Warnung über die rechtlichen Folgen des


(639) Wechselprozeß.

Außenbleibens ausdrücken ist, mündlich vorladen lassen.

§. 37.

Bleibt der Appellat in diesem Termine außen, so wird angenommen, daß er auf die Akten erster Instanz submittire; und es wird also mit deren Einsendung zum Spruche nach der unten folgenden Vorschrift, oder wenn von dem Appellanten neue Fakta oder Beweismittel angegeben worden sind, mit deren Instruktion in contumaciam verfahren.

§. 38.

Erscheint hingegen der Appellat, so wird er, gleich dem Appellanten, mit dem, was er etwa zur Widerlegung der erhobenen Beschwerden, und zur Bekräftigung des vorigen Erkenntnisses anzubringen hat, von dem instruirenden Deputirten zum Protokolle vernommen, und mit der Instruktion des Appellatorii verfahren.

§. 39.

Bei dieser Instruktion sind neue Thatsachen und Beweismittel nur in eben der Maaße zulässig, als dergleichen in der ersten Instanz nach gesetzlicher Vorschrift hätten Statt finden können. Einwendungen und Thatsachen, die nicht im Termine selbst liquid zu machen sind, gehören eben so, wie diejenigen, welche in erster Instanz vorkommen, zur Separatverhandlung; und überhaupt müssen die für die erste Instanz oben §. 20-29. ertheilten Vorschriften auch bei Instruktion des Appellatorii beobachtet werden.

§. 40.

Sind beide Theile mit rechtsverständigen Assistenten oder Bevollmächtigten versehen, und sind keine neue Thatsachen oder Beweismittel aufzunehmen; so kann der Appellant, statt der mündlichen Anmeldung und Vernehmung zum Protokolle, sogleich innerhalb der §. 34. bestimmten Frist eine schriftliche Ausführung


(640) Prozeßordn. Sieben u. zwanzigster Titel.

(Ausfüh)rung seiner Beschwerden gegen das erste Urtel einreichen, welche dem Appellaten zur schriftlichen Beantwortung binnen einer nicht leicht über drei Tage hinaus zu setzenden Frist zugefertigt, und mit dem Ablaufe dieser Frist, die Gegendeduktion komme ein oder nicht, die Instruktion des Appellatorii für geschlossen angenommen wird.

§. 41.

Nach geschlossener Instruktion müssen die Akten unverzüglich zum Spruche befördert, und bei deren Einsendung an den Appellationsrichter ausdrücklich bemerkt werden, daß sie eine Wechselsache zum Gegenstande haben.

§. 42.

Der Appellationsrichter ist schuldig, längstens in acht Tagen nach Einlangung der Akten das Erkenntniß abzufassen, und an den vorigen Richter zur Publikation zu remittiren.

§. 43.

Wenn der Appellationsrichter findet, daß in der Sache keine Wechselklage, und also auch kein wechselmäßiges Verfahren hätte Statt finden sollen; so muß er den Kläger mit seiner angestellten Wechselklage abweisen, ohne sich dabei eines Erkenntnisses über den anderweitigen Grund oder Ungrund seiner Forderung anzumaaßen, oder die Sache durch eine bloße Resolution zur Instruktion im ordentlichen oder exekutivischen Prozesse zu verweisen.

Revision.

§. 44.

Gegen das Appellationsurtel steht beiden Theilen die Revision offen; doch hat dieselbe in Ansehung des Beklagten nur Effectum devolutivum, selbst alsdann, wenn derselbe in der ersten Instanz von der Wechselklage entbunden, und nur in der zweiten wechselmäßig verurtheilt worden ist. Uebrigens muß bei Einsendung der Akten zum Revisionserkenntnisse die


(641) Wechselprozeß.

§. 41. vorgeschriebene Bemerkung von dem instruirenden Gerichte ebenfalls beigefügt werden.

Anh. §. 186. Ist der Beklagte in erster Instanz verurtheilt, in zweiter aber losgesprochen und von dem Kläger dagegen revidirt worden; so hat die Vollziehung des ersten Erkenntnisses nichts desto weniger so lange ihren Fortgang, bis das zweite Urtel rechtskräftig geworden ist.

Exekution.

§. 45.

So bald gegen den Beklagten ein wechselmäßiges Erkenntniß vorhanden ist, muß dem Exekutor auf Verlangen des Klägers, welches derselbe sogleich bei Publikation des Erkenntnisses anbringen kann, schleunigst aufgegeben werden, die Zahlung von dem Wechselschuldner abzufordern, und wenn sie nicht alsbald geleistet wird, sich seiner Person zu versichern.

Erfolgt alsdann die Zahlung innerhalb dreier Tage nicht, so muß der Exekutor den Schuldner unverzüglich, und ohne weitere Rückfrage, in genauen bürgerlichen Personalarrest abliefern.

Auf Handelspläzen, wo nach dem eingeführten Gerichtsbrauche kürzere oder gar keine Fristen üblich sind, und der Schuldner, wenn er nicht gleich nach publicirtem Urtel Zahlung leistet, sofort im Personalarreste behalten wird, hat es bei dieser Verfassung lediglich sein Bewenden.

Anh. §. 187. Eine bloße landreiterliche Observation findet bei der Wechselexekution nicht statt, vielmehr muß der Schuldner auf Verlangen des Klägers in das bürgerliche Gefängniß abgeliefert werden.

Anh. §. 188. Hat der Wechselgläubiger auch ein Pfand in Händen, so kann in Ermangelung einer entgegenstehenden ausdrücklichen Verabredung der Personalarrest nicht anders verhängt werden, als wenn das Pfand heraus gegeben worden ist.

§. 46.

Dem Kläger steht frei, die Exekution des erstrittenen Wechselerkenntnisses auch in das Vermögen des Beklagten zu suchen; wobei sich jedoch von selbst versteht, so lange er diese fortsetzt, kein


(642) Prozeßordn. Sieben u. zwanzigster Titel.

Personalarrest gegen den Beklagten von ihm nachgesucht werden könne.

§. 47.

Verlangt der Kläger die Exekution in das Vermögen des Schuldners, so muß dieselbe durch Siegelung und Beschlag auf das Mobiliarvermögen des Letztern sofort verfügt werden.

§. 48.

Sind nach verhängter Siegelung vier und zwanzig Stunden verstrichen, ohne daß Zahlung erfolgt wäre; so kann der Kläger auf gerichtliche Versteigerung der gepfändeten Effekten antragen.

§. 49.

Wird aber innerhalb dieser Frist auf Eröffnung des Konkurses gegen den Schuldner angetragen, so muß der Versteigerung Anstand gegeben werden, und der Kläger erlangt, wenn in der Folge der Konkurs eröffnet wird, durch den auf das Vermögen des Schuldners ausgebrachten Beschlag keine Priorität.

§. 50.

Erfolgt hingegen die Provokation auf Konkurs erst nach Verlauf von vier und zwanzig Stunden, von der Zeit des angelegten Beschlags gerechnet, so kann der Kläger, wenn auch hiernächst vor seiner wirklich erfolgten Befriedigung der Konkurs eröffnet worden, den Ansatz in der fünften Klasse, so weit der Werth der auf seine Instanz in Beschlag genommenen Effekten reicht, fordern.

§. 51.

Gegen die Wechselexekution kann sich der Beklagte nur durch baare Einzahlung der erkannten Summe, nebst Zinsen und Kosten, in das gerichtliche Depositum, und auch damit nur alsdann schüzen, wenn er entweder von dem Erkenntnisse appellirt, oder bei der separaten Verhandlung seiner Exceptionen, wovon gleich geredet werden soll, solche Umstände beigebracht hat, die nach Vorschrift des folgenden


(643) Wechselprozeß.

XXIXsten Titels einen Arrestschlag begründen können.

Vom Separato in Wechselsachen.

§. 52.

Es ist oben §. 29. verordnet, daß, wenn der Wechselbeklagte Einwendungen entgegen setzt, die nicht sofort liquid zu machen sind, der instruirende Deputirte sie nur kürzlich, ohne sich bei Erörterung derselben aufzuhalten, in dem Protokolle bemerken müsse.

Wenn nun der Richter auf dieß Protokoll das wechselmäßige Erkenntniß abfasst, so muß er zugleich in einer besondern Resolution dasjenige verfügen, was erforderlich ist, um die Sache zur weitern rechtlichen Verhandlung in derjenigen Art des Prozesses, wozu sich selbige nach der Natur und Beschaffenheit der angebrachten Einwendungen oder Gegenforderungen qualificirt, gehörig einzuleiten. Mit dieser Instruktion muß alsdann sofort, auch während der Appellation oder Exekution, ununterbrochen verfahren werden.

§. 53.

Die Separatinstruktion gehört in der Regel allemal für denjenigen Richter, welcher in der Wechselsache erkannt hat; wenn auch der vorige Wechselkläger und jetzige Beklagte einen andern ordentlichen Gerichtsstand hätte; es wäre denn, daß entweder das Gericht in der Wechselsache nur ein Forum privilegiatum causae vorstellte, oder daß die angebrachte Gegenforderung ihrer Natur nach für ein besonderes privilegirtes Gericht gehörte. (S. Tit. XIX. §. 17. Nr. 2)

§. 54.

Bei dieser Separatinstruktion kann der vormalige Wechselbeklagte alle seine Einwendungen gegen die Forderungen des Wechselklägers ausführen; wenn er auch derselben in dem Wechselverfahren nicht gedacht hätte, oder sie in dem Wechselprozesse, aus


(644) Prozeßordn. Sieben u. zwanzigster Titel.

Mangel am Beweise, ausdrücklich verworfen worden wären.

Ein gleiches findet statt in Ansehung der Gegen- oder Kompensationsforderungen, so bald der Richter im Wechselprozesse zugleich des vormaligen Wechselklägers ordentlicher Gerichtsstand ist.

Hat hingegen der Wechselkläger einen andern ordentlichen Gerichtsstand, so darf er sich auf die Separatverhandlung bei dem Richter des Wechselprozesses nur wegen solcher Gegenforderungen einlassen, die im Wechselverfahren gerügt worden sind. Andere Gegenforderungen müssen an des Wechselklägers ordentliche Obrigkeit verwiesen werden. (Tit. XIX. §. 16.)

$. 55.

Wenn der Wechselkläger mit der angestellten Wechselforderung abgewiesen worden ist, so steht ihm frei, den Beklagten anderweit durch einen ordentlichen Prozeß zu belangen; und muß alsdann die Sache dergestalt eingeleitet und instruirt werden, wie es die Natur der Forderung, ohne Rücksicht auf den darüber ausgestellt gewesenen Wechsel, mit sich bringt.

Acht und zwanzigster Titel.

Von exekutivischen Prozessen, und von der Klage aus einem Judikato.

I. Processus executivus ex instrumentis guarentigionatis.

I. Der exekutivische Prozeß findet statt, wegen Forderungen, die in Geldsummen oder andern bestimmten Quantitäten verbrauchbarer Sachen bestehen, zu deren in einem gewissen bestimmten Termine zu leistenden Zahlungen oder Ablieferung sich jemand in einer gerichtlichen, oder sonst ausdrücklich privilegirten Verschreibung verpflichtet hat. Auf Lieferung oder Gewährung anderer Sachen, ingleichen auf


(645) Exekutivprozeß.

Leistung von Handlungen, kann nicht exekutivisch geklagt werden.

Anh. §. 189. Unter dem Ausdrucke „Verschreibung“ werden nur einseitig ausgestellte Instrumente verstanden; aus zweiseitigen Verträgen findet der Exekutivprozeß nicht statt.

Anh. §. 190. Aus Schuldinstrumenten, welche an sich den Exekutivpozeß begründen, kann auch alsdann, wenn sie auf Kündigung lauten, exekutivisch geklagt werden. Es muß aber bei der Einreichung der Klage zugleich bescheinigt werden, daß die Kündigung zur gehörigen Zeit, wenn auch nur außergerichtlich, wirklich geschehen ist.

Aus was für Instrumenten derselbe statt findet.

§. 2.

Die Instrumente, aus welchen der exekutivische Prozeß statt findet, sind:

1) Alle diejenigen, welche von Gerichten in königlichen Landen aufgenommen und ausgefertigt worden sind. Auf Instrumente, die vor auswärtigen Gerichten errichtet sind, kann der exekutivische Prozeß in so fern veranlaßt werden, als in dem auswärtigen Staate aus dergleichen bei hiesigen Gerichten vollzogenen Instrumenten ein gleichmäßiges summarisches und abgekürztes Verfahren zugelassen wird.

Anh. §. 191. Auch von Notariatsurkunden, welche in den mit der Preußischen Monarchie wieder vereinigten Provinzen nach dem dort gültig gewesenen Französischen oder Westphälschen Rechte aufgenommen worden sind, kann der exekutivische Prozeß eingeleitet werden.

2) Die vor Justizkommissarien und Notarien in hiesigen Landen, auf die im DrittenTheile der gegenwärtigen Gerichtsordnung vorgeschriebene Art, errichtet und vollzogen worden sind.

3) Aus Privatinstrumenten, die nur gerichtlich oder vor einem Justizkommissario und Notario rekognoscirt sind, findet der exekutivische Prozeß nur alsdann statt, wenn in einer darüber aufgenommenen und unter das Originalinstrument gesetzten Registratur nicht bloß die Anerkennung der Unterschrift, sondern auch die Genehmigung der Handlung und


(646) Prozeßordn. Acht und zwanzigster Titel.

Verpflichtung selbst, von Seiten des Schuldners, attestirt ist.

4) Privatinstrumente, welche auf den eigenen Antrag des Schuldners und Besitzers in das Hypothekenbuch eingetragen worden, begründen ebenfalls den Exekutivprozeß.

5) Eben dieser Prozeß findet ferner statt, aus Handlungsbillet und kaufmännischen Assignationen. (A. L. R. Th. II. Tit. VIII. §. 1256. 1297.)

6) Ingleichen aus einer Assekuranzpolice auf die Einzahlung der darin versprochenen Prämie. (Ebendaselbst §. 2110.)

7) Aus Schuldinstrumenten, welche von Personen, die sich wechselmäßig nicht verpflichten können, in der Wechselform ausgestellt worden sind. (A. L. R. Th. I. Tit. XI. §. 750.)

Anh. §. 192. Aus Schuldinstrumenten, welche von nicht wechselfähigen Personen in Form eigner Wechsel ausgestellt worden sind, kann nur so lange exekutivisch geklagt werden, als deren Wechselkraft - in so fern sie von wechselfähigen Personen ausgestellt wären - nicht erloschen seyn würde.

8) Aus den ordnungsmäßig geführten Büchern öffentlich bestellter Pfandverleiher, auf Bezahlung der darin eingetragenen Pfandschulden. (Allg. L. R. Th. I. Tit. XX. §. 263. u. f.)

Verfahren dabei.

§. 5.

Die Klage im exekutivischen Prozesse kann eben so, wie die Wechselklage, schriftlich eingereicht, oder mündlich zum Protokolle angebracht werden.

§. 4.

Auch wegen Aufnehmung der Klage, und wegen des ganzen fernern Verfahrens bei der Instruktion der Sache, finden hier eben die Vorschriften, welche in dem vorhergehenden Titel bei dem Wechselprozesse gegeben worden sind, Anwendung; nur unter folgenden näheren Bestimmungen und Ausnahmen:

1) Aus Wechseln kann nur, wenn die Verfallzeit vorüber ist, geklagt werden. Hingegen findet


(647) Exekutivprozeß.

aus den Instrumenten §. 2. Nr. 1. 2. 3. 4. die exekutivische Klage auch noch vor der Verfallzeit zu dem Ende Statt, daß entweder der Beklagte seine Verbindlichkeit, zur Verfallzeit zu zahlen, nochmals gerichtlich anerkenne, oder zu dieser mit dem Ablaufe der Verfallzeit zu bestimmenden Zahlung durch den Richter verurtheilt werde. Doch muß in einem solchen Falle, wenn der Beklagte seine Verbindlichkeit zur Zahlung mit der Verfallzeit pure anerkennt, und dieselbe zur gehörigen Zeit wirklich leistet, der Kläger demselben alle Kosten erstatten.

2) Der Termin, welcher auf die Klage anberaumt wird, muß zwar eben so, wie im Wechselprozesse, so nahe als möglich gesetzt; es muß jedoch, da hier der Aufsteller des Instruments nicht immer, wie es bei dem Wechselschuldner der Fall zu seyn pflegt, an dem Orte des Gerichts, oder doch in der Nähe sich aufhält, bei der Bestimmung des Termins auf die vorwaltenden Umstände, besonders auf die mehrere oder mindere Entfernung des Beklagten, Rücksicht genommen werden.

Die Citation muß schriftlich unter des Kollegii gewöhnlicher Unterschrift, jedoch schleunigst, erlassen, auch die Insinuation gewöhnlichermaaßen besorgt und nachgewiesen werden.

4) Die Verlegung eines solchen Termins auf Instanz des Beklagten findet in Fällen, wo die im Instrumente bestimmte Verfallzeit schon abgelaufen ist, unter Prätexten, die aus der Sache selbst hergenommen sind, z. B. wegen noch näher einzuziehenden Nachrichten, hier eben so wenig, als im Wechselprozesse statt; maaßen der Aussteller eines solchen Instruments die Verfallzeit desselben eben sowohl, wie der Aussteller oder Acceptant eines Wechsels, voraus weiß, und sich also, wenn er gegen die Forderung erhebliche Einwendungen hat, darauf in Zeiten vorbereiten kann.


(648) Prozeßordn. Acht u. zwanzigster Titel.

Wenn aber nach Maaßgabe Tit. VIII. §. 24. 25., dergleichen Verlegung des Termins von dem Beklagten wegen persönlicher Ehehaften gesucht wird; so muß dieselbe, jedoch nur ein für allemal, und nur alsdann verstattet werden, wenn die angegebenen Ehehaften durch gerichtliche, oder durch solche Atteste, die von glaubwürdigen bei dem Gerichte dafür bekannten Personen an Eides statt ausgestellt sind, bescheinigt worden. Im Mangel einer solchen Bescheinigung muß auf das Prorogationsgesuch keine Rücksicht genommen, sondern in contumaciam weiter verfahren werden.

5) Obgleich ein solches Instrument, woraus dieser exekutivische Prozeß statt findet, nach desselben §. 2. enthaltenen Beschreibung, an sich und in der Regel, außer den Fällen Nr. 5. 6. 7., keiner nochmaligen Rekognition bedarf; so muß dennoch das Originalinstrument dem Beklagten, zur Beobachtung seiner Nothdurft, nach Maaßgabe Tit. X. §. 126. vorgelegt, und hiernächst mit Aufnehmung der von ihm in der Sache selbst angebrachten, den Gesetzen nach gegen ein solches Schuldinstrument zulässigen Einwendungen, nach Vorschrift §. 25. 26. 27. sofort verfahren werden. Wird hingegen aus den §. 2. Nr. 5. 6. 7. beschriebenen Instrumenten geklagt, so muß vor allen Dingen dem Beklagten die Erklärung über deren Rekognition oder Diffession abgefordert, und dabei überall wie im Wechselprozesse verfahren werden. (Tit. XXVII. §. 20-24.)

6) Wenn der Beklagte, welchem ein Eid de- oder referirt wird, nicht persönlich, sondern nur durch einen Bevollmächtigten erschienen ist, und also der Eid im Termine selbst von ihm nicht abgenommen werden kann; so soll, nach dem Antrage des Bevollmächtigten, sofort entweder ein neuer möglichst kurzer Termin zur Ableistung des Eides vor dem instruirenden Deputato anberaumt, oder die Abnahme


(649) Exekutivprozeß.

desselben einem auswärtigen Kommissario schleunigst aufgetragen werden. Wenn aber der Beklagte in dem vor dem Deputato oder Kommissario anstehenden Termine dessen Prorogation, außer dem Falle einer ganz offenbaren und hinlänglich bescheinigten Unmöglichkeit der persönlichen Bestellung, unter keinerlei Vorwande statt haben soll, den Eid nicht ableistet; so soll ohne fernern Verzug mit Vorlegung der Akten verfahren, und auf den Einwand selbst in dem exekutivischen Prozesse nicht weiter Rücksicht genommen werden.

Anh. §. 193. Wenn der Beklagte auch nur unter der im ordentlichen Prozeß üblichen Verwarnung vorgeladen worden ist, so kann dennoch die Instruktion und das Erkenntniß im Wege des Exekutivprozesses erfolgen.

Anh. §. 194. Leistet der Schuldner die Zahlung zur Verfallzeit nicht, so muß er dem Gläubiger alle durch das voraus gegangene Verfahren verursachte Kosten erstatten.

Erkenntniß und Remedia.§. 5.

Wegen schleuniger Abfassung und Eröffnung des Urtels, wegen der dagegen statt habenden Appellation, wegen der Wirkung dieses Rechtsmittels, und wegen des Verfahrens bei der Instruktion desselben, finden die Vorschriften des vorigen Titels §. 30-43. ebenfalls Anwendung; mit der einzigen Ausnahme, daß, wenn der Beklagte Appellat wäre, demselben, nach Bewandtniß der Umstände, auch eine längere als acht und vierzigstündige, doch aber möglichst kurze Frist, zur Beantwortung der Appellationsbeschwerden zu verstatten ist.

§. 6.

Auch wegen Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der dritten Instanz müssen die Vorschriften a. a. O. beobachtet werden.

Exekution.

§. 7.

Sobald gegen den Beklagten ein Erkenntniß vorhanden ist, muß derselbe, wenn nicht etwa in dem Urtel selbst, wegen noch nicht völlig abgelaufener


(650) Prozeßordn. Acht u. zwanzigster Titel.

Verfallzeit (§. 4. Nr. 1.), ein längerer Termin bestimmt wäre, innerhalb acht Tagen, nach dessen ihm oder seinem Bevollmächtigten geschehenen Bekanntmachung, Zahlung leisten, oder in deren Entstehung sofort mit Exekution belegt werden.

§. 8.

Bei Vollstreckung der Hülfe sind jedoch die Tit. XXIV. §. 62. u. f. vorgeschriebenen Grade zu beobachten, folglich die Person des Schuldners nicht anders als in subsidium, nach Vorschrift §. 142. a. a. O. anzugreifen.

§. 9.

Von dieser Exekution kann sich der Schuldner in der Regel nicht anders, als durch Deposition des erkannten Liquidi, und zwar nur unter den im vorigen Titel §. 51. angegebenen Bestimmungen, frei machen.

§. 10.

Wenn jedoch der Beklagte in dem angestandenen Termine, unter Anführung solcher Einwendungen, die an sich erheblich, und nur nicht sofort liquid zu machen, folglich zur Separatverhandlung gehörig sind, zur Sicherstellung der eingeklagten Summe durch Grundstücke, Bürgen oder Pfänder sich erboten, und zugleich die Annehmlichkeit dieser Kaution sofort gehörig nachgewiesen hätte; oder wenn die Forderung an und für sich schon mit einer hinlänglichen Realsicherheit versehen wäre; der Richter aber bei dem Vortrage der Sache finden sollte, daß dem Beklagten aus der unbedingten Vollstreckung des Urtels auf den Fall, wenn er in der zweiten Instanz ein besseres Urtel erhielte, oder seine Exceptionen bei der Separatverhandlung geltend machen könnte, ein erheblicher oder gar unwiederbringlicher Nachtheil erwachsen würde; so soll der Richter, nach reifer und pflichtmäßiger Erwägung der obwaltenden Umstände, statt der baaren Bezahlung oder Deposition,


(651) Exekutivprozeß.

auf wirkliche Bestellung der offerirten Sicherheit von Seiten des Beklagten, bis zum Austrage der Separatverhandlung; oder auch, daß es bei der schon bestellten Sicherheit bis dahin sein Bewenden habe; oder auf vorhergängige Leistung einer annehmlichen Kaution von Seiten des Klägers, für die dem Beklagten aus Vollstreckung der Exekution bevorstehende Schäden, sein Erkenntniß richten.

§. 11.

Gegen dergleichen Erkenntniß ist dem Kläger sowohl die Appellation als Revision offen; und es findet in Ansehung der erstern das im vorigen Titel §. 34. u. f. beschriebene kürzere Verfahren Statt. Während der Verhandlung dieser Rechtsmittel aber kann der Beklagte zur Zahlung oder Deposition durch Exekution nicht angehalten werden; sondern es ist genug, wenn nur die erkannte Sicherheit von ihm bestellt wird.

§. 12.

Von dem §. 10. und 11. bestimmten Falle, wo der Beklagte sich zur Kautionsbestellung offerirt, um während der Separatverhandlung seiner illiquiden Exceptionen von der Exekution frei zu bleiben, ist der Fall zu unterscheiden, wenn der Beklagte die Schuld selbst eingesteht, und nur wegen verlangter Zahlungsnachsicht Sicherheit offerirt; maaßen in diesem Falle lediglich nach der Vorschrift Tit. XI. §. 5. verfahren werden muß.

Vom Separato.

§. 13.

Uebrigens finden wegen der Separatverhandlung der im exekutivischen Prozesse von dem Beklagten entgegengesetzten illiquiden Exceptionen, Kompensations- oder Rekonventionsforderungen, alle darüber im vorigen Titel §. 52. u. f. gegebenen Vorschriften nach ihrem ganzen Umfange Anwendung.


(652) Prozeßordn. Acht u. zwanzigster Titel.

II. Klagen ex Judicato.

§. 14.

Wenn II. jemand aus einem Judikato, woraus er, wegen abgelaufener Frist, der Vorschrift Titel XXIV. §. 3. zufolge, nicht mehr Exekution suchen kann, von neuem klagen muß; so soll auf diese Klage eben das im Vorstehenden beschriebene exekutivische Verfahren durchgehends Statt finden; doch muß in solchem Falle, wenn besonders das Judikatum schon aus älteren Zeiten herrührt, der Deputirte bei Aufnehmung der Klage sein Augenmerk besonders dahin richten, genau zu erforschen, und auseinander zu setzen: ob auch das Judikatum wirklich unter eben den Parteien, oder solchen, die im gesetzlichen Verstande für einerlei Personen mit ihnen zu halten sind, und über eben die Sache, welche die gegenwärtige neue Klage betrifft, ergangen sey. Ist das Judikatum vor länger als Fünf Jahren ergangen, so findet daraus nicht der exekutivische, sondern nur der ordinaire Prozeß Statt.

Anh. §. 195. Die fünfjährige Frist läuft vom Tage des Judikats, wenn auch inzwischen Exekution nachgesucht worden ist.

III. Klagen wegen rückständiger Hypothekenzinsen.

§. 15.

Wenn III. bloß rückständige Zinsen einer im Hypothekenbuche eingetragenen Post, oder rückständige Termine gewisser jährlicher aus dem Hypothekenbuche ersichtlicher Prästationen gefordert werden; so muß der Richter, auf die diesfällige Eingabe oder Anzeige, einen Befehl an den Schuldner erlassen, den geforderten Rückstand binnen 14 Tagen entweder zu bezahlen: oder ob und was er dagegen einzuwenden habe, dem Gerichte anzuzeigen. Meldet sich der Schuldner mit dergleichen Einwendungen, so wird die Sache sogleich auf einen Instruktionstermin gerichtet, und darin nach Art des exekutivischen Prozesses weiter verfahren. Geschieht aber keine Anzeige, und die Insinutation der Verordnung ist hinlänglich


(653) Exekutivprozeß.

nachgewiesen; so kann nach Ablauf der Frist, auf Andringen des Gläubigers, sofort mit der Exekution verfahren werden.

Anh. §. 196. Es hängt nicht von dem Gläubiger ab, ob er eine Klage anstellen; oder bloß einen Zahlungsbefehl nachsuchen wolle. Nur letzterer kann erlassen werden, es sey denn, daß der Gläubiger anzeigt, der Schuldner habe seine Zahlungsverbindlichkeit schon außergerichtlich bestritten. Aus dem erlassenen Zahlungsbefehl kann auch die Subhastation nachgesucht werden.

IV. Kapitalsaufkündigungen.

§. 16.

Wenn IV. Kapitalien gerichtlich aufgekündigt werden, und der Gläubiger erklärt, daß er nur über die zu rechter Zeit erfolgte Kündigung mit einem Bescheinigungsmittel auf allen Fall versehen seyn wolle; so hat der Richter dabei weiter nichts zu thun, als daß er das Gesuch dem Schuldner, auf Kosten des Gläubigers, zu seiner Nachricht und Achtung zufertigt, und für die Herbeischaffung eines richtigen Insinuationsdokuments sorgt; welches hiernächst dem Gläubiger zum fernern Gebrauche zugestellt wird.

Will hingegen der Gläubiger sich durch das angebrachte Gesuch ein rechtskräftiges Urtel, oder ein gerichtliches Anerkenntniß verschaffen, aus welchem er nach verflossener Aufkündigung Exekution suchen könne; so muß darauf, wie auf jede andere Klage, verfügt, und wenn die Forderung auf einem der §. 2. Nr. 1. 2. 3. 4. beschriebenen Instrumente beruhet, nach der Vorschrift §. 4. Nr. 1. verfahren werden.

Der Richter muß also, bei jeder angebrachten Aufkündigung, den Imploranten zugleich darüber vernehmen, was dabei seine Absicht sey; und wie also die Sache weiter eingeleitet werden solle.


(654) Prozeßordn. Neun u. zwanzigster Titel.

Neun und zwanzigster Titel.

Von Arresten, und wie dabei zu verfahren.

Begriff und Eintheilung der Arreste.

§. 1.

Die Absicht der Arrestlegung ist die Sicherstellung einer Forderung, welche der angebliche Kreditor zu verlieren besorgt, wenn dem Schuldner über das Objekt des Arrests die freie Disposition verbliebe. Ist das Objekt die Person des angeblichen Schuldners, so heißt es der Personalarrest; sind es Sachen, Gelder, Effekten, oder Aktivforderungen desselben, so wird die Benennung des Realarrests gebraucht.

Gegen wen Arreste Statt finden oder nicht.

§. 2.

Ein Arrestschlag findet nur gegen den Schuldner selbst, nicht gegen denjenigen Statt, welcher dessen Gerechtsame wahrnimmt. Es kann daher wider einen Vormund, Kurator, Vorsteher oder Administrator, wegen der Verbindlichkeiten derjenigen, deren Stelle sie vertreten, weder Personalarrest verfügt, noch eine Verkümmerung der ihnen zugehörigen Effekten gestattet werden. Ein Gleiches findet in Ansehung der Faktore, Handlungsbedienten oder Dienstboten Staat (!), wenn diese im Namen ihrer Herrschaften Geschäfte betreiben. Sollten jedoch einige der hier benannten Personen sich selbstverbindlich gemacht haben, so ist in Fällen, welche sich sonst dazu qualifiziren, ein Arrestschlag wider sie zulässig.

§. 3.

Wider Gesellschafter und Handlungsgenossen kann wegen solcher Schulden, welche von ihrem Socio kontrahirt worden sind, nur alsdann ein Arrestschlag gestattet werden, wenn die ganze Societät für die Forderung nach gesetzlichen Vorschriften haftet (A. L. R. Th. 1. Tit. XVII. §. 230. u. f. Th. II. Tit. VIII. §. 647. u. f.); widrigenfalls auch nicht


(655) Arrestsachen.

einmal die gemeinschaftlich sämmtlichen Sociis gehörigen Waaren mit Arrest belegt werden können.

§. 4.

Die Bürger einer Stadt, oder die Mitglieder einer andern Kommune, einer Gemeine, oder eines Kollegii, können wegen der Schulden, welche die Stadt, die Kommune, die Gemeine, oder das Kollegium kontrahirt hat, weder mit Personal- noch Realarrest verfolgt werden; in so fern sie sich nicht etwa als Selbstschuldner, Alle für Einen und Einer für Alle, ausdrücklich verpflichtet haben; oder wenn eine von der kompetenten Behörde auf die einzelnen Mitglieder angelegte Vertheilung vorhanden ist, und von einem derselben nur der hiernach auf ihn kommende Antheil gefordert wird.

§. 5.

Die ausstehenden Forderungen seines Schuldners kann zwar jemand mit Arrest belegen; er muß aber dieselben in der Lage nehmen, wie sie sind; und kann daher eine bessere Sicherheit dafür, als womit der Arrestat sich begnügt hat, und auch in der Folge zu begnügen verbunden gewesen wäre, weder durch einen gegen den Schuldner seines Schuldners auszubringenden Arrest, noch sonst aus eigenem Rechte fordern.

§. 6.

Ein Erbe kann wegen der Schulden des Erblassers weder mit Personalarrest belegt werden, noch kann eine Verkümmerung der ihm eigenthümlich zugehörigen Effekten Statt finden; es wäre denn, daß er die Erbschaft ohne Vorbehalt angetreten, oder sich der Rechtswohlthat des Inventarii auf irgend eine Art verlustig gemacht hätte. Dahingegen kann auf die zum Nachlasse gehörigen Effekten der Realarrest in jedem Falle extrahirt werden, in welchem ein Arrestschlag gegen den Erblasser zulässig gewesen wäre.


(656) Prozeßordn. Neun u. zwanzigster Titel.

§. 7.

Hingegen findet wegen der eigenen Schulden des Erben ein Arrest auf die zum Nachlasse gehörenden Stücke, jedoch mit Vorbehalt des den Gläubigern des Erblassers etwa noch zukommenden Separationsrechts, allerdings Statt.

§. 8.

Daraus, daß eine Forderung sich gegen den Hauptschuldner zum Arrestschlage qualifizirt, folgt nicht, daß ein Gleiches gegen den Bürgen Statt finde; sondern wenn dieses geschehen soll, muß der Bürge selbst in einem solchen Verhältnisse stehen, daß mit dem Arrestschlage wider ihn verfahren werden kann.

§. 9.

Ein in Anspruch genommener Bürge kann bloß um deßwillen wider den Hauptschuldner nicht Arrest extrahiren; sondern es kommt darauf an: ob die sonstigen Erfordernisse der Arrestlegung gegen den Hauptschuldner vorhanden sind. Wird hingegen der Bürge selbst mit Arrest belegt, so steht ihm jederzeit frei, ein Gleiches in Ansehung des Hauptschuldners nachzusuchen.

§. 10.

Wider diejenigen, welche in den königlichen Landen mit Immobilien angesessen sind, findet die Anlegung eines Arrests nur in folgenden Fällen Statt:

1) Wenn sie sich in den ausgestellten Verschreibungen einem Personal- oder Realarreste ausdrücklich unterworfen haben.

2) Wenn ein Verpächter oder Vermiether das ihm zustehende Zurückbehaltungsrecht ausübt.

3) Wenn ihre Grundstücke dergestalt verschuldet, oder von so geringem Werthe sind, daß sie in Ansehung einer sonst zum Arreste qualificirten Forderung nicht hinlängliche Sicherheit gewähren. Ob dieser Fall vorhanden sey, ist nach den


(657) Arrestsachen.

im 47sten Titel vorgeschriebenen Grundsätzen zu beurtheilen.

4) Wenn sie in Verfall ihres Vermögens gerathen, oder zu dem Verdachte Gelegenheit geben, daß sie ihr Vermögen zu veräußern oder außer Landes zu schaffen suchen.

§. 11.

Wenn eine Ehefrau, ohne Vorwissen ihres Ehemannes, während der Ehe sich in Kontrakte eingelassen, und dadurch Schulden gemacht hat; so kann der Gläubiger wider des Ehemannes Willen, so lange die Ehe besteht, weder Personalarrest, noch die Verkümmerung der dem Ehemanne eingebrachten Effekten nachsuchen.

§. 12.

Hat ein Gläubiger sich zur Sicherstellung seiner Forderung ein Pfand einhändigen, oder eine Hypothek bestellen lassen; so kann er in der Folge, wegen einer solchergestalt versicherten Forderung, nur in dem Falle Arrest suchen, wenn er nachweisen kann, daß sich Umstände ereignet haben, weshalb das Unterpfand, oder die Hypothek, die anfänglich davon zu erwartende Sicherheit nicht mehr gewähren.

Was für Sachen mit Arrest belegt werden können, oder nicht.

§. 13.

Früchte, welche noch nicht eingeerndtet worden, sind zwar eigentlich kein Gegenstand eines Arrestschlags; jedoch kann derjenige, welcher daraus seine Befriedigung verlangt, in so fern übrigens die Erfordernisse eines Arrestschlags vorhanden sind, bei den Gerichten dahin antragen, daß die zu seiner Sicherheit erforderlichen Maaßregeln getroffen werden.

§. 14.

Wenn Sachen, welche dem Verderben ausgesetzt sind, oder deren Erhaltung und Aufbewahrung sehr kostbar seyn würde, mit Arrest belegt werden sollen; so kann dieses nur in der Art geschehen, daß


(658) Prozeßordn. Neun u. zwanzigster Titel.

deren Verkauf veranlaßt wird, und hiernächst die Kaufgelder in gerichtliche Verwahrung genommen werden.

§. 15.

Die zum Postwesen bestimmten Pferde, Wagen und Geschirr, können, wenn gleich sonst wider deren Eigenthümer ein Realarrest Statt findet, nicht mit verkümmert werden; sondern der Gläubiger muß auf andere Art seine Befriedigung zu erhalten suchen.

§. 16.

Wenn die Unternehmer einer Fabrik einem Fabrikanten, Moulinier, Färber, oder anderen Arbeitern, rohe oder bereits zum Theil verarbeitete Materialien, kreditiren, oder ihnen Stühle, Mühlen, oder andre Werkzeuge, unentgeldlich überlassen; so können dieselben so wenig, als die aus den erhaltenen Materialien verfertigten Waaren, wegen der Schulden der Fabrikanten, Mouliniers, Färber, oder anderer Arbeiter, mit Arrest belegt werden.

§. 17.

Auch bei anderen Künstlern und Handwerkern findet, wegen ihrer eigenen Schulden, ein Arrest auf die von einem Dritten zum Verarbeiten gegebenen Waaren, oder auf die daraus verfertigten Arbeiten nicht Statt; der Besteller aber kann zur gerichtlichen Niederlegung desjenigen, was der Werkmeister an Arbeitslohn oder Auslagen von ihm noch zu fordern hat, angehalten werden.

§. 18.

Die aus den Feuersocietätskassen zu zahlenden Entschädigungen, ingleichen die aus öffentlichen Kassen bewilligten Bauhülfsgelder, dürfen zu keinem andern Behufe, als zum Aufbau der abgebrannten, oder der mit der bewilligten Hülfe zu errichtenden Gebäude verwendet werden. Es kann daher nur derjenige darauf Arrest suchen, welcher zu diesem Behufe Materialien geliefert, oder Arbeitslohn, oder


(659) Arrestsachen.

solche Geldvorschüsse zu fordern hat, welche wirklich zum Bau verwendet worden sind.

§. 19.

Die bei der Königlichen Bank oder kurmärkschen Landschaft zinsbar belegten Gelder, ingleichen die Aktien der Seehandlungskompagnie, der Assekuranzgesellschaft, und der Emdenschen Heringsfischereigesellschaft, können, vermöge der erhaltenen speciellen Privilegien, zwar nicht mit Arrest belegt werden; jedoch steht den Gerichten, sowohl bei Konkurseröffnungen, als im Wege der Exekution, frei, die Veranstaltung zu treffen, daß die Inhaber angehalten werden, die darüber ausgestellten Dokumente in das Depositum abzuliefern; wohin alsdann auch die darauf fallenden Zinsen und Dividenden zu ziehen sind.

§. 20.

Die aus der Allgemeinen, ingleichen aus der Militair-Wittwenverpflegungsanstalt, den Wittwen zu zahlenden Pensionen, können nur in dem einzigen Falle mit Arrest belegt werden, wenn jemand zur Erhaltung des Pensionsrechts die Beiträge bezahlt hat, und hiernächst aus der Pension seine Befriedigung verlangt.

§. 21.

Wenn sämmtliche oder einige Gläubiger des Gemeinschuldners demselben zu seiner Erhaltung eine Kompetenz bewilligen, oder zur Zahlung einer solchen Kompetenz schuldig erkannt worden sind, soll dieselbe wegen keiner, auch nach eröffnetem Konkurs kontrahirten, Schuldforderungen mit Arrest belegt werden können.

§. 22.

Die Besoldungen sämmtlicher bei der Accise und Zolladministration und Seehandlungsgesellschaft angestellten Bedienten, sollen Schulden halber nicht verkümmert werden dürfen. Ein Gleiches soll in


(660) Prozeßordn. Neun u. zwanzigster Titel.

Ansehung der Besoldungen und Emolumente der Postbedienten Statt finden, in so fern nicht etwa die Vorschüsse zum Besten des Postwesens geliehen und verwendet worden sind.

§. 23.

Die Besoldungen und Emolumente anderer Staats- und öffentlicher Bedienten (Allg. L. R. Th. II. Tit. X. §. 68. 69.) können nur zur Hälfte mit Arrest belegt werden.

§. 24.

Wenn dergleichen Officianten ihre Entlassung mit einer vom Staate, oder der vorgesetzten Behörde selbst, ihnen angewiesenen Pensionen erhalten haben; so kann diese Pension auch nur bis zur Hälfte verkümmert werden. Wegen einer Pension hingegen, die sich der abgegangene Officiant nur durch ein Privatabkommen mit seinem Amtsfolger vorbehalten hat, findet der Arrest auf das Ganze Statt.

§. 25.

Aus Pensionen und Wartegelder entlassener Militairpersonen kann ein Arrest nur in so weit, als dieselben die Summe von Vierhundert Thalern übersteigen, und nur auf die Hälfte dieses Ueberschusses, angelegt werden.

Anh. §. 197. Siehe Th. I. Tit. XXIV. §. 106 – 108. (Anh. §. 160-170.)

§. 26.

Dagegen ist auf die einer Wittwe aus Gesetzen oder Verträgen zukommenden Verpflegungsgelder der Arrest an sich zulässig; und hängt es von den übrigen Umständen ab: in wie fern eine solche Arrestantin verlangen könne, daß ihr daraus eine Kompetenz frei gelassen werde.

§. 27.

Wie weit das Bergwerkseigentum einem Arrestschlage unterworfen sey, ist in den Gesetzen bestimmt.

(Th. II. Tit. XVI. §. 335. u. f.)


(661) Arrestsachen.

§. 28.

Vorsicht bei Anlegung der Arreste.

Auch bei Arresten, die in Ansehung der Sache oder Person an sich zulässig sind, muß der Richter mit genauer Ueberlegung und Bedachtsamkeit zu Werke gehen; da die Unterthanen des Staats, und diejenigen, welche sich dem Schutze seiner Gesetze anvertraut haben, ohne wirkliche und dringende Nothwendigkeit, weder in der Disposition über ihr Vermögen, noch viel weniger in ihrer persönlichen Freiheit, gekränkt werden müssen.

Allgemeine Erfordernisse zu einem Arrestschlage.

§. 29.

Jeder Arrestschlag setzt zwar, wenn er zulässig seyn soll, eine obwaltende Gefahr voraus, daß, wenn dem Schuldner die freie Disposition über das Objekt des Arrests verbliebe, dem Gläubiger die Mittel zu seiner Befriedigung zu gelangen, entzogen werden möchten. Diese Gefahr aber ist entweder noch entfernt, und bloß wahrscheinlich; oder sie ist schon gegenwärtig und dringend; wenn nämlich der Schuldner bereits wirkliche Anstalten macht, seine Person oder Sachen zu entfernen, und bei Seite zu schaffen, oder wenn er gar damit wirklich auf der Flucht begriffen ist; also, daß zu Beibringung der sonst nöthigen Bescheinigungen und übrigen gesetzmäßigen Erfordernisse eines gewöhnlichen Arrestschlages, die Zeit nicht hinreichend ist.

Nach diesen Umständen, über deren nähere Bestimmung sich keine allgemeine Regeln angeben lassen, sondern die der Richter, nach der individuellen Beschaffenheit eines jeden vorkommenden Falles, sorgfältig und pflichtmäßig zu beurtheilen hat, muß bei Verhängung des Arrests ein verschiedenes Verfahren beobachtet werden.


(662) Prozeßordn. Neun u. zwanzigster Titel.

Erster Abschnitt.

Von Arresten in schleunigen und dringenden Fällen.

Anbringung schleuniger Arrestgesuche.

§. 30.

Wenn eine nahe und dringende Besorgniß, daß der Schuldner dem Gläubiger das Objekt seiner Sicherheit und künftigen Befriedigung entziehen, oder daß er sich selbst auf flüchtigen Fuß setzen wolle, vorhanden ist; so steht dem Gläubiger frei, sich an den Richter, unter dessen Jurisdiktion die Person oder Sache betroffen wird, zu wenden; und dieser soll schuldig seyn, ihn ohne den geringsten Aufschub mit seinem Gesuche zum Protokolle zu hören.

Fundierung derselben.

§. 31.

Zur Begründung eines solchen Arrestgesuchs ist weiter nichts erforderlich, als

1) daß der Implorant die angebliche Forderung, und worin sie besteht, anzeige;

2) daß er Umstände, woraus eine gegenwärtige Gefahr beim Verzuge sich entnehmen läßt, nachweise, oder wenigstens bestimmt angebe, und die Beweismittel darüber anzeige;

3) daß er sofort eine annehmliche Kaution, sowohl zur Deckung des Richters, als des Arrestandi, wegen des demselben aus der Verkümmerung etwa bevorstehenden Nachtheils, bestelle.

§. 32.

Diese Kaution muß zu Anfang unbestimmt, und nur in einer ungefähren Beziehung auf da Objekt des Arrests, oder die Qualität der Person des Arrestandi bestellt werden; bis nach näher erörterten Umständen ihre Bestimmung auf ein gewisses Quantum Statt finden kann. Uebrigens kann die Leistung derselben durch Bürgen oder Pfänder, oder auch dadurch


(663) Arrestsachen.

geschehen, daß der Arrestsucher sich selbst zum persönlichen Verhafte erbietet. Eidliche Kaution kann zur Anbringung eines Arrests niemals angenommen werden.

§. 33.

Von dieser Kautionsbestellung ist nur der Fiskus befreit, wenn der den Arrest nachsuchende fiskalische Bediente sich dazu durch einen ausdrücklichen Auftrag der vorgesetzten Behörde legitimiert hat.

§. 34.

Kirchen, Schulen, Hospitäler, Armen- und Waisenhäuser, in so fern dieselben wirklich unvermögend sind, d. h. wenn sie außer demjenigen, was zu den laufenden Ausgaben eines jeden Jahres erfordert wird, weder baare Gelder noch Grundstücke, oder ausstehende Kapitalien besitzen, sind von dieser Kautionsbestellung ebenfalls frei; in so fern die Vorsteher bei Nachsuchung des Arrests auf ihre Pflicht und an Eides Statt versichern, daß die Anstalt die erforderliche Kaution aufzubringen nicht vermöge.

Doch kann diese Vorschrift auf vermögende Anstalten dieser, und überhaupt auf Anstalten und milde Stiftungen anderer Art, keinesweges ausgedehnt werden.

Auch muß bei Anstalten, welchen hiernach die Kautionsbestellung erlassen worden ist, der Richter, bei der hiernächst erfolgenden rechtlichen Erörterung und Entscheidung der Arrest- so wie der Hauptsache, mit vorzüglicher Aufmerksamkeit darauf sehen: ob etwa wegen offenbaren Ungrundes der Forderung selbst, oder bei dem Arrestaten gar nicht vorhanden gewesenen Unsicherheit, oder aus anderen Umständen des Falles, den Vorstehern der Vorwurf einer Chikane, oder einer aus Vorsatz oder grobem Versehen unternommenen Kränkung des Kredits und guten Namens des Arrestaten zur Last bleibe; in welchem Falle dieselben dem Arrestaten wegen Schäden, Kosten,


(664) Prozeßordn. Neun u. zwanzigster Titel.

und sonst überall, aus eigenem Vermögen gerecht, und noch außerdem mit einer willkührlichen Gefängniß- oder Geldstraffe belegt werden müssen.

Verfügung daraus.

§. 35.

Ist das Arrestgesuch nach Vorschrift §. 31 u. f. begründet, so muß der Richter demselben ungesäumt Statt geben, und die nöthigen Verfügungen treffen, daß die verkümmerten Sachen zurück gehalten, oder die Person des Arrestaten in sichere Gewahrsam gebracht, oder, nach Beschaffenheit der Umstände, unter Observation genommen werde.

Weiteres Verfahren.

§. 36.

So bald dieses geschehen ist, muß er beide Theile vorfordern; sich von dem Arrestanten die in Händen habenden Bescheinigungsmittel über seinen Anspruch vorzeigen lassen; dieselben von Amts wegen, obwohl nur summarisch, prüfen; sie dem Arrestaten vorlegen: was er dabei, und gegen den verhängten Arrest überhaupt zu erinnern habe, jedoch ebenfalls nur kurz und summarisch zum Protokolle nehmen; besonders aber auszumitteln suchen: worin das Interesse des Arrestaten, oder der aus der Verkümmerung für ihn zu besorgende Nachtheil bestehe; und auf wie hoch also die Anfangs nur unbestimmt geleistete Kaution festzusetzen seyn möchte. Auch müssen bei dieser Gelegenheit die Parteien nur vernommen werden, was etwa für Veranstaltungen zu treffen sind, um die mit Arrest belegten Sachen vor aller Gefahr, sowohl der Entwendung, als des sonstigen Verderbens, sicher zu stellen.

§. 37.

Sollte sich bei dieser vorläufigen Untersuchung finden, daß die verkümmerte Person oder Sache unter diejenigen gehöre, worauf nach wörtlicher und ausdrücklicher Vorschrift der Gesetzte kein Arrestschlag Statt finden soll; oder daß die Forderung des Arrestanten ganz offenbar ungegründet sey; so muß der


(665) Arrestsachen.

Arrest sofort wieder aufgehoben, und dem Arrestaten durch die Behörde zu seiner Entschädigung und Genugthuung, aus der zur Erlangung des Arrests bestellten Kaution, verholfen werden.

Unter dieser Behörde ist in der Regel der ordentliche persönliche Richter des unbefugten Arrestanten zu verstehen. Doch kann der Arrestat, wenn er will, seine Entschädigungsklage auch bei demjenigen Richter, bei welchem der Arrest ausgebracht worden ist, anstellen.

§. 38.

Ist dergleichen klarer Grund zur Aufhebung des Arrests nicht vorhanden, so muß der Richter, bei Gelegenheit dieser vorläufigen Vernehmung, die Parteien, wo nicht in der Haupt-, doch in der Arrestsache, zu vereinbaren bemüht seyn; und besonders, wenn der Arrestat die Aufhebung des Arrests gegen Kaution verlangt, diese Kaution in Güte zu reguliren suchen.

§. 39.

Findet dieser Versuch der Güte nicht Statt, so muß der Richter durch ein Dekret festsetzen: daß es bei dem verhängten Arreste sein Bewenden habe; und auf wie hoch die von dem Extrahenten anfänglich unbestimmt geleistete Kaution zu bestimmen, auch wie nunmehr die Sache zur fernern rechtlichen Erörterung einzuleiten sey.

§. 40.

Sollte sich auch der Fall ereignen, daß der Richter, bei welchem der Arrest nachgesucht wird, weder der ordentliche Richter des Arrestaten wäre, noch derselbe für seine Person in dem Jurisdiktionsbezirke dieses Richters sich wirklich aufhielte; so muß dennoch die weitere Regulirung der Sache, nach Vorschrift §. 36. u. f., bei dem den Arrest anlegenden Richter verbleiben, und der Arrestat muß durch schleunige Requisition seines ordentlichen Richters ausgewiesen


(666) Prozeßordn. Neun u. zwanzigster Titel.

werden, dieser Regulirung in Person, oder durch einen Bevollmächtigten, beizuwohnen. Hiervon findet nur alsdann eine Ausnahme Statt, wenn entweder der ordentliche Richter an eben dem Orte, wo der Arrest angelegt worden ist, sich befindet; oder wenn der Arrestat selbst darauf anträgt, daß die weitere Regulirung des Arrests, nach obigen Vorschriften, seinem ordentlichen Richter überlassen werden möge.

Einleitung der Hauptsache.

§. 41.

Bei der fernern Einleitung der Sache kommt es darauf an:

ob der Richter, welcher den Arrest angelegt hat, zugleich der kompetente Richter in der Hauptsache sey;

oder:

ob die Erörterung der Hauptsache für einen andern, als den den Arrest verhängenden Richter gehöre.

1.Wenn der arrestirende Richter zugleich in der Hauptsache kompetent ist;

§. 42.

In dem Falle, wenn der Richter, von welchem der Arrest angelegt worden, zugleich der ordentliche Richter des Arrestaten in der Hauptsache, folglich auch alsdann, wenn der Arrestat ein Fremder, und also der Gerichtsstand wider ihn, nach Vorschrift der gemeinen Rechte, durch den Arrest selbst begründet ist, muß der sothane Arrest verhängende Richter, wegen vorschriftsmäßiger Instruktion der Hauptsache, das Erforderliche im Wege des ordentlichen, Bagatell-, Wechsel-, oder exekutivischen Prozesses, nach der Natur besagter Hauptforderung, sofort verfügen.

2. Wenn ein anderer der kompetente Richter in der Hauptsache ist.

§. 43.

Gehört aber die Instruktion der Hauptsache für einen andern, als den den Arrest verhängenden Richter; so muß derselbe sogleich, als nach Maaßgabe §. 36 u. f. die vorläufige Regulirung von ihm besorgt


(667) Arrestsachen.

ist, dem Richter in der Hauptsache von seiner Verfügung ungesäumte Nachricht geben; ihm die verhandelten Protokolle und übrigen Aktenstücke, bewandten Umständen nach, im Originale, oder abschriftlich kommuniciren, und die Parteien zur weitern Betreibung der Sache, und Beobachtung ihrer Nothdurft, an ihn erweisen.

Anh. §. 198. Hat ein hiesiger Unterthan gegen einen auswärtigen, welcher von ihm in dem auswäritgen Foro belangt worden ist, aus dessen in hiesigen Landen befindliches Vermögen einen Arrest nachgesucht, und ist von einem Arrest in dringenden Fällen die Rede; so tritt das im §. 43. vorgeschriebeneVerfahren ein; es sey denn, daß der Kläger der in dem auswärtigen Foro angestellten Klage entsagt und auf die Fortsetzung der Sache bei den hiesigen Gerichten anträgt.

Ein gewöhnlicher Arrest kann in dem voraus gesetzen Falle nicht anders verfügt werden, als wenn das einländische Gericht von dem ausländischen, bei welchem die Hauptsache anhängig ist, darum gebührend requirirt wird.

§. 44.

Von dieser Zeit an muß der den Arrest verhängende Richter sich weder in dem Haupt- noch Arrestprozesse, einiger weitern Verfügung anmaaßen; sondern lediglich die Aufträge, Requisitionen, oder Implorationen des kompetenten Richters in der Hauptsache, ohne Unterschied; ob derselbe mit ihm, dem arrestirenden Richter, von gleichem, oder von geringerm Range, oder gar ihm subordinirt ist, abwarten, und selbigen gehörig nachkommen; jedoch aber dahin sehen, daß weder mit der verkümmerten Sache, noch mit der bestellten Kaution, irgend einige den Parteien nachtheilige Veränderungen und Verfügungen von einem oder dem andern Theile eigenmächtig getroffen werden.

§. 45.

Wenn dem Richter in der Hauptsache die wegen Anlegung des Arrest ergangenen Akten nach Maaßgabe §. 43. zukommen, und er findet aus deren Erwägung,


(668) Prozeßordn. Neun u. zwanzigster Titel.

daß der vorige Richter bei Anlegung des Arrests offenbar widerrechtlich verfahren habe; so ist er schuldig und befugt, den von diesem vorigen Richter ohnehin nur durch ein bloßes Dekret, ohne förmliches Erkenntniß, verhängten Arrest, auf das erste Anmelden des Arrestaten, oder auch von Amts wegen, wiederum aufzuheben.

§. 46.

Findet sich hingegen zu einer solchen Verfügung kein hinlänglicher Grund, so muß die Instruktion der Hauptsache, nach der Anweisung §. 42., der Natur der Forderung gemäß, unverzüglich eingeleitet werden.

Zweiter Abschnitt.

Vom Verfahren bei ordentlichen und gewöhnlichen Arresten.

Begründung eines gewöhnlichen Arrestgesuchs.

§. 47.

Bisher ist davon gehandelt worden, wie mit Anlegung des Arrests in dem Falle zu verfahren sey, wenn eine nahe und dringende Gefahr vorhanden ist, daß sich der Schuldner auf flüchtigen Fuß setzen, oder sein Vermögen und Effekten entfernen, und über die Seite schaffen werde.

In gewöhnlichen Fällen aber, wo die Gefahr nur noch entfernt, und bloß wahrscheinlich ist, muß die Anlegung des Arrests nicht anders, als nach vorhergängiger summarischer Prüfung der Beschaffenheit der Forderung selbst, und der Umstände, woraus die Besorgniß einer bevorstehenden Gefahr hergeleitet wird, verfügt werden.

§. 48.

In solchen Fällen also muß der, welcher einen Arrest ausbringen will, sich bei demjenigen Richter melden, für welchen die in der Hauptsache anzustellende


(669) Arrestsachen.

Klage gehört; die Klage selbst auf die gewöhnliche Art, entweder mündlich zum Protokolle, oder schriftlich durch einen Justizkommmissarius anstellen, und sein Arrestgesuch dadurch begründen, daß er

1) seine Forderung durch unverdächtige Urkunden, oder auf andere Art, wenigstens einigermaaßen bescheinigt;

2) eine wahrscheinliche Besorgniß nachweist, daß, wenn dem Schuldner die fernere freie Disposition bis zum Austrage der Hauptsache verbliebe, ihm, dem Gläubiger, das Objekt seiner Sicherheit und Befriedigung entzogen werden möchte.

§. 49.

Sind jedoch zur wirklichen Aufnehmung der vollständigen Klage noch Nachrichten erforderlich, deren Einziehung nicht sogleich, sondern nur nach einigem Zeitverlaufe erfolgen kann; so kann der Kläger das Arrestgesuch auch vorläufig und besonders anbringen. Zu diesem ist es alsdann hinreichend,

1) wenn nur die Forderung überhaupt und im Ganzen bescheinigt ist; obgleich etwa noch zu deren näherer Bestimmung, in Ansehung des Betrags, der Münzsorten, der Zinsen, Früchte, oder anderer Nebenpunkte, zur vollständigen Berichtigung der Legitimation des Klägers, oder sonst, noch etwas nachzubringen wäre; dabei aber

2) Gründe der wahrscheinlichen Besorgniß einer Entziehung des Objekts der Forderung oder künftigen Befriedigung beigebracht sind.

§. 50.

In Fällen, wo die Forderung selbst durch unverdächtige Urkunden bescheinigt ist, und die Person des Beklagten nicht unter diejenigen gehört, gegen welche nach obigen Vorschriften gar kein Arrest Statt findet, kann der Arrest nachgesucht werden, wenn auch die Umstände auf welche der Kläger seine

(670) Prozeßordn. Neun u. zwanzigster Titel.

(Be)sorgniß der Unsicherheit gründet, vor der Hand noch nicht bescheinigt wären, sondern nur noch in seinen Angaben, die jedoch deutlich, bestimmt, und an sich erheblich seyn müssen, beruheten.

Verfügung darauf.

§. 51.

Der Richter muß das Arrestgesuch nach den Vorschriften der Gesetze mit der genauesten Sorgfalt prüfen. Findet er dabei nicht die gesetzmäßigen Erfordernisse, so muß er den Imploranten durch ein schriftliches, mit Gründen unterstütztes Dekret abweisen; und sollen daher künftig, außer dem §. 30. angegebenen Falle einer dringenden Gefahr bei dem Verzuge, keine Arreste bloß auf Gefahr des Nachsuchenden gestattet werden. Dagegen ist aber auch, wenn die gesetzmäßigen Erfordernisse vorhanden sind, dem Arreste Statt zu geben, ohne daß es dazu einer besondern Kautionsbestellung von Seiten des Imploranten bedarf.

§. 52.

Wird der Implorant mit seinem Arrestgesuche wegen nicht vorhandener gesetzmäßiger Erfordernisse desselben abgewiesen, so muß es bei diesem Dekrete lediglich sein Bewenden haben. Doch steht dem Kläger frei, bei der Instruktion der Hauptsache sein Gesuch zu wiederholen, und die Gründe desselben, so wie das, was er zu Widerlegung des ergangenen Abweisungsdekrets etwa beizubringen hat, näher auszuführen; worauf sodann in dem Haupturtel darüber zugleich mit erkannt werden muß.

Anh. §. 199. Wird in dem Haupturtel der Arrest für zulässig erklärt, so muß derselbe sofort angelegt werden.

§. 53.

Findet hingegen der Richter das Arrestgesuch nach den Gesetzen für zulässig, so muß er den gebetenen Arrest sofort gehörig anlegen, und die nöthige Verfügung deshalb entweder unmittelbar, oder durch Requisition oder Auftrag an denjenigen Richter, zu dessen


(671) Arrestsachen.

Gerichtbarkeit die Sache, welche verkümmert werden soll, gehört, unverzüglich erlassen. Die Insinuation dieser Verordnung muß in der Regel der Extrahent besorgen, und die Bescheinigung darüber zu den Akten verschaffen.

§. 54.

Ist ein ausstehendes Aktivkapital verkümmert worden, so muß der Richter zugleich die erforderliche Verfügung treffen, daß das darüber sprechende Schuldinstrument, bis zum Austrage der Sache, in das gerichtliche Depositum abgeliefert werde. Zögert der Arrestat damit, dieser Auflage ein Genüge zu leisten, so muß ihn der Richter dazu, auf das Andringen des Arrestanten, mittelst Exekution anhalten. Sind Umstände vorhanden, welche die Besorgniß begründen, daß der die Herausgabe des Instruments verweigernde Arrestat damit nachtheilige Verfügungen für den Arrestanten, oder zur Hintergehung des Publikums teffen möchte; so muß der Richter, auf Verlangen des Arrestanten, durch zweimalige Einrückung in die Intelligenzblätter der Provinz bekannt machen, und jedermann öffentlich warnen, sich über das verkümmerte Aktivum in keine Cessionen, Verpfändungen, Zahlungen, oder andere dergleichen Geschäfte mit dem Arrestaten einzulassen. Den Schuldner eines solchen Aktivkapitals aber muß allemal, auch ohne besondern Antrag des Arrestanten, bekannt

gemacht werden, daß er vor erfolgter Aufhebung des Arrests an den Arrestaten keine Zahlung leisten solle.

Wie es übrigens zu halten sey, wenn der angebliche dritte Inhaber oder Schuldner läugnet, das

Objekt des Arrests hinter sich zu haben, ist Tit. XXIV. §. 103. 104. 105. verordnet.

§.55.

Ferneres Verfahren.

Was das fernere Verfahren anlangt, so muß ein Unterschied gemacht werden, ob nur ein Real- oder ob ein persönlicher Arrest verhängt worden ist.


(672) Prozeßordn. Neun u. zwanzigster Titel.

1. Bei Realarresten.

§. 56.

Ist nur von einem Realarreste die Rede, so muß dem Beklagten und Arrestaten von der ergangenen Verfügung sofort Nachricht ertheilt; die fernere Ausführung aber über die Rechtmäßigkeit und Unrechtmäßigkeit des angelegten Arrests zur Instruktion der Hauptsache verwiesen; und diese Instruktion in dergleichen Fällen möglichst und ganz vorzüglich beschleunigt werden.

§. 57.

Wenn also in dem anberaumten Instruktionstermine der Kläger und Arrestant ungehorsam außen bliebe, so muß nicht nur in der Hauptsache die Vorschrift Tit. XX. §. 19. wider ihn beobachtet, sondern auch der Arrest auf des Arrestaten Anmeldung sofort aufgehoben werden.

Eine Verlegung des Instruktionstermins findet also auf den Antrag des Klägers in der Regel gar nicht, sonder nur in dem einzigen Falle Statt, wenn es dem Kläger durch äußere unabwendbare Zufälle ganz unmöglich gemacht worden ist, den Termin persönlich, oder auch nur durch einen Bevollmächtigten, abzuwarten.

§. 58.

Außer diesem Falle kann der einmal angelegte Arrest auf bloße einseitige Gegenvorstellung des Arrestaten nicht wieder aufgehoben, sondern dieser muß mit seinem dießfälligen Anbringen zum Instruktionstermine verwiesen, und in dem künftigen Haupturtel zugleich darüber:

ob es beim verhängten Arreste bis zum gänzlichen Austrage der Sache und erfolgender Befriedigung des Klägers zu belassen, oder ob derselbe wiederum aufzugehen sey?

mit erkannt werden.


(673) Arrestsachen.

§. 59.

Eben so muß in der Regel, wenn der Arrestat die Relaxation des Arrests gegen Kaution nachsucht, und der Arrestant sich den Antrag nicht freiwillig gefallen läßt, die nähere Untersuchung darüber, und zugleich die Prüfung der Annehmlichkeit der offerirten Kaution, im Instruktionstermine vorgenommen, und darüber in dem Haupturtel zugleich erkannt werden.

Erkenntniß über den Arrest, und Remedia dagegen.

§. 60.

Wird in diesem Erkenntnisse der Arrest für gerechtfertigt geachtet, oder wird auf dessen Wiederaufhebung schlechterdings, oder gegen Kautionsbestellung erkannt; so findet deshalb die Appellation Statt; doch muß der Arrest bis zum erfolgenden Appellationsurtel liegen bleiben, wenn auch gleich das erste Erkenntniß auf desselben Relaxation ausgefallen wäre. Es ist aber in diesem Falle die Instruktion und Aburtelung des Appellatorii, welches die Haupt- und Arrestsache zugleich betrifft, ganz vorzüglich zu beschleunigen.

§. 61.

Die dritte Instanz soll über die Frage: ob der verhängte Arrest wieder aufzuheben, oder es dabei zu belassen sey? gar nicht Statt finden; sondern es soll, in Ansehung dieses Punkts, bei der Festsetzung des Appellationsurtels lediglich sein Bewenden haben, wenn gleich in der Hauptsache die Revision Statt fände, und wirklich eingewandt würde.

§. 62.

Allg. Gerichtsordn. 1. Th.

So bald der Arrest durch ein rechtskräftiges Erkenntniß schlechterdings aufgehoben ist, muß der Richter die erforderlichen Verfügungen wegen wirklicher Aufhebung desselben sofort erlassen. Ist aber die Aufhebung bloß gegen Sicherheitsbestellung erkannt worden, so müssen diese Verfügungen erst alsdann ergehen, wenn der Arrestat durch vollständige


(674) Prozeßordn. Neun u. zwanzigster Titel.

Berichtigung der Kaution dem Erkenntnisse ein Genüge geleistet hat.

Verfahren, wenn vor Entscheidung der Hauptsache die Relaxation des Arrests gesucht würde.

§. 63.

Wenn in dem einen oder dem andern besondern Falle der Arrestat es für sich allzu bedenklich und nachtheilig findet, die Entscheidung der Frage: ob es bei dem Arreste zu belassen, oder selbiger wiederum aufzuheben sey? bis zum Haupturtel auszusetzen, so steht ihm frei, auf besonderes Gehör und Erkenntniß über die entweder pure, oder Kaution, zu erlangende Relaxation des Arrests anzutragen.

§. 64.

Wenn der Richter bei Beurtheilung dieses Gesuchs findet, daß dem Arrestaten ein erheblicher Nachtheil von der längern Aussetzung dieses Punktes wirklich bevorstehe; besonders, wenn aus den Umständen sich im Voraus abnehmen läßt, daß der Abschluß der Hauptinstruktion sich, wegen Weitlaufigkeit der Sache, und der vielen aufzunehmenden auswärtigen oder entfernten Beweismittel, in die Länge ziehen dürfte; so muß er einen nahen Termin zur Untersuchung der Frage: ob der Arrest während des Hauptprozesses wieder aufgehoben werden könne oder nicht? anberaumen; in diesem Termine die von dem Arrestaten angeführten Gründe näher auseinander, und zugleich die Beschaffenheit der von ihm allenfalls angebotenen Kaution in gehöriges Licht setzen. Auf die Hauptsache kann dabei nur so weit, als es zur Beurtheilung der Liquidität oder Illiquidität der Forderung des Klägers unumgänglich nothwendig ist, Rücksicht genommen, und auf Thatsachen, die der eine oder andere Theil allegirt, ohne bei dem Widerspruche des Gegners sie sofort in eben dem Termine darthun zu können, soll dabei gar nicht geachtet werden.

Bei Beurtheilung der von dem Arrestaten angebotenen Kaution sind eben die Grundsätze zu befolgen,


(675) Arrestsachen.

welche wegen Beurtheilung der Sicherheit in Moratoriensachen unten (Tit. XLVII.) vorgeschrieben werden.

§. 65.

Auf diese vorläufige Untersuchung muß das Erkenntniß sofort abgefasst, und an dem nächstfolgenden Gerichtstage publicirt werden.

§. 66.

Gegen dieß Erkenntniß ist die Appellation eben so, wie in dem Falle des §. 60. , ohne Unterschied zulässig; es mag nun der Arrestat mit seinem Gesuche abgewiesen, oder es mag auf Raelaxation des Arrests pure, oder gegen Kaution, erkannt seyn. Der Arrest muß also auch in den beiden letzteren Fällen, bis nach erfolgter Entscheidung, in zweiter Instanz liegen bleiben.

§. 67.

Da jedoch, wenn in dem hier voraus gesetzten besondern Falle, wo die Arrestsache nicht mit der Hauptsache zugleich verhandelt worden, sondern zum Verfahren über die erstere ein besonderer Termin nach Maaßgabe des §. 64. anberaumt gewesen ist, allemal ein erheblicher Nachtheil für den Arrestaten aus der längern Dauer des Arrests vorwaltet; so muß in diesem Falle ein kürzeres Appellationsverfahren Statt finden.

§. 68.

Der Appellant muß nämlich die Gründe, womit er seine Beschwerden zu unterstützen, und die Gegengründe des vorigen Urtels zu widerlegen denkt, innerhalb dreier Tage nach Publikation des ersten Erkenntnisses, bei dem instruirenden Richter zum Protokolle anzeigen; der Appellat muß innerhalb gleichmäßiger drei Tage ebenfalls zum Protokolle darauf antworten;

und die Akten müssen alsdann sofort an den Appellationsrichter befördert, auch diesem zugleich, daß sie eine Arrestsache betreffen, gemeldet werden. Der


(676) Prozeßordn. Neun u. zwanzigster Titel.

Appellationsrichter aber soll schuldig seyn, die Sache sofort vorzunehmen; innerhalb acht Tagen das Erkenntniß darin abzufassen, und selbiges an den instruirenden Richter zur Publikation unverzüglich zu remittiren. Bei diesem Erkenntnisse hat es sodann in Ansehung des Arrests lediglich sein Bewenden; in der Hauptsache aber bleibt beiden Theilen die fernere

Ausführung ihrer Rechte vorbehalten.

Anh. §. 200. Eine Verlängerung der zur Anzeige der Appellationsbeschwerde festgesetzten dreitägigen Frist findet ohne Unterschied der Fälle nicht Statt, der Appellant mag an dem Orte, wo das Gericht seinen Sitz hat, sich in Person aufhalten, oder nur daselbst einen

Bevollmächtigten bestellt haben.

§. 69.

Während der Zeit, daß solchergestalt der Nebenpunkt wegen Relaxation des Arrests besonders verhandelt wird, muß die Instruktion der Hauptsache ihren ununterbrochenen Fortgang behalten.

2. Bei Personalarresten.

§. 70.

In vorstehenden §. 56-69. ist von der weitern Instruktion und dem Verfahren in Arrestsachen gehandelt worden, wenn nur von einem Realarreste die Rede ist. Wird aber ein Personalarrest veranlaßt, so muß auf das erste Anmelden des Arrestaten allemal, wenn nicht der Fall eines Wechsel- oder oder exekutivischen Prozesses vorwaltet, ein besonderer kurzer Termin zur Untersuchung darüber:

ob es bei dem Arreste bis zum Austrage der Hauptsache zu belassen, oder derselbe pure, oder gegen Kautionsleistung, wieder aufzuheben sey?

anberaumt werden.

§. 71.

In diesem Termine muß der Richter beide Theile mit dem, was sie zur Erörterung dieser Frage anzuführen haben, zum Protokolle vernehmen; sich dabei, so viel die Einmischung der Hauptsache, oder die etwa sonst von dem einen und dem andern Theile allegirten


(677) Arrestsachen.

Thatsachen betrifft, nach der Vorschrift des §. 64. lediglich achten; übrigens aber die Beschaffenheit der wegen Relaxirung des Arrests etwa angebotenene Kaution näher ins Licht setzen, und sodann auf dieß Protokoll schleunigst erkennen.

§. 72.

Wegen der gegen ein solches Erkenntniß zulässigen Appellation, und der Art, dieselbe zu instruiren, finden die Vorschriften §. 66-69. Anwendung. Doch ist bei einem Personalarreste auch die dritte Instanz für den Arrestaten zulässig.

§. 73.

Ist ein Personalarrest auf Requisition eines anderen Gerichts angelegt worden, so kann der denselben verhängte Richter auf Untersuchung und Erkenntniß über dessen Relaxation sich nicht einlassen, sondern er muß die Parteien deshalb an den requirirenden Richter verweisen. Ist jedoch die Requisition auf eine gewisse bestimmte Summe gerichtet, und der

Arrestat erbietet sich, dafür sofort annehmliche Kaution zu bestellen; so muß der arrestirende Richter den Arrestanten, wenn er in Person gegenwärtig ist, darüber sofort nach Vorschrift §. 71. hören, und über die Relaxation des Arrests erkennen, auch den requirirenden Richter davon unverzüglich Nachricht geben.

§. 74.

Allgemeine Bemerkung über den Fall, wenn das Arrestgesuch nicht mit der Hauptsache zugleich angebracht wird.

In allen Fällen ohne Unterschied, wo das Arrestgesuch nicht mit der Hauptsache zugleich angebracht wird, muß dem Arrestanten ein nach den Umständen zu bestimmender Zeitraum gesetzt werden, innerhalb dessen er, bei Strafe der Relaxation des Arrests, die Hauptsache bei der kompetenten Instanz anbringen müsse; wobei zugleich wegen Einsendung der über den Arrest verhandelten Akten an den Richter in der Hauptsache, die Vorschrift §. 43. zu beobachten ist. Hat der Arrestant dieser Anweisung keine Folge


(678) Prozeßordn. Neun u. zwanzigster Titel.

geleistet, so muß, auf Anhalten des Arrestaten, die Verkümmmerung sofort wieder aufgehoben werden.

Von Personalarresten gegen Officianten.

§. 75.

Wenn jemand, der in einer öffentlichen Bedienung steht, in Personalarrest gebracht werden soll; so muß die Vorschrift Tit. XXIV. §. 145. beobachtet werden.

Gegen Fremde.

§. 76.

Wenn gegen einen Fremden von einigem Range Personalarrest verhängt worden ist, so muß dem Departement der auswärtigen Geschäfte durch das Landesjustizkollegium, welches entweder den Arrest selbst angelegt hat, oder dem ihn verhängenden Unterrichter unmittelbar vorgesetzt ist, Bericht abgestattet werden.

Alimentation des Arrestanten.

§. 77.

Wenn der in Personalarrest gebrachte Schuldner verlangt, daß der Arrestant ihm Alimente reichen solle, und es nicht etwa notorisch ist, daß er sich in guten Vermögensumständen befinde; so soll der Arrestant schuldig seyn, ihm diese Alimente nach richterlicher Festsetzung, während des Prozesses in der Hauptsache, so lange zu reichen, und der Vorschrift

Tit. XXIV. §. 143. gemäß, voraus zu bezahlen, bis er nachgewiesen hat, daß der Arrestat sich selbst füglich ernähren könne; und steht ihm zu dem Ende frei, von dem Arrestaten ein eidliches Vermögensverzeichniß abzufordern. Es muß jedoch weder über die Schuldigkeit, Alimente zu reichen, noch über das Quantum derselben, ein besonderes Verhör und Erkenntniß gestattet, sondern Beides muß von dem Richter, mit pflichtmäßiger Rücksicht auf die obwaltenden individuellen Umstände eines jeden Falles, durch ein bloßes Dekret entschieden werden.

§. 78.

Wenn der Arrestant dem Arrestaten die richterlich festgesetzten Alimente während des Prozesses nicht


(679) Arrestsachen

zahlt, so muß, auf Anmelden des Arrestaten, der Verhaft sofort wieder aufgehoben werden.

§. 79.

Wenn nach rechtkräftig entschiedener Hauptsache der Personalarrest bloß im Wege der Exekution fortgesetzt wird, so hat es bei der Vorschrift Tit. XXIV. dahin sein Bewenden, daß der Schuldner nur alsdann, wenn er sich seinen Unterhalt im Gefängnisse oder Arbeitshause nicht selbst verdienen kann, Alimente zu fordern berechtigt sey.

Wirkungen des Arrests.

§. 80.

Was der Arrestant dem Arrestaten zu vertreten habe, wenn der Arrest für unstatthaft, oder die Forderung selbst für ungegründet erklärt wird, ist in den Gesetzen bestimmt. Allg. L. R. Th. I. Tit. VI. §. 132-138.)

§. 81.

Dagegen hat ein rechtmäßig angelegter Arrest die Wirkung, daß so wenig der Eigenthümer, als der Inhaber der verkümmerten Sache, sich darüber irgend einer für den Arrestanten nachtheiligen Disposition anmaaßen darf: vielmehr die Sache als ein bei ihm niedergelegtes Depositum aufbewahren muß.

§. 82.

Will der dritte Inhaber der verkümmerten Sache mit dieser Aufbewahrung sich nicht belasten, so steht ihm frei, dieselbe zur gerichtlichen Verwahrung zu überliefern.

§. 83.

Wird eine mit Arrest belegte Sache von dem Eigenthümer oder Inhaber veräußert, oder verpfändet; so ist diese Handlung, wenn in der Folge der Arrest für gerechtfertigt erklärt worden ist, in Ansehung des Arrestanten null und nichtig; und die Sache kann von dem, welcher sie Eigenthums- oder Pfandsweise an sich gebracht hat, unentgeldlich zurück gefordert werden. Sollte jedoch nachgewiesen werden können,


(680) Prozeßordn. Neun u. zwanzigster Titel.

daß der Erwerber von dem Arrestschlage keine Wissenschaft gehabt habe; so kann der Arrestant die Herausgabe nur gegen Vergütung des gezahlten Kaufgeldes oder Pfandschillings fordern, und hat es sich selbst beizumessen, daß er nicht angetragen hat, die Sache in gerichtliche Verwahrung nehmen zu lassen.

§. 84.

Der Schuldner einer mit Arrest belegten Forderung ist von dem Augenblicke an, da ihm der Arrestbefehl zugestellt worden, nicht berechtigt, ohne Vorwissen und Genehmigung des Gerichts, Zahlung darauf zu leisten, oder mit Forderungen gegen den Arrestaten, die erst nachher aus seinen, des Schuldners, eigenen freien Handlungen entstanden sind, zu kompensiren.

§. 85.

Zahlungen, die dem zuwider geleistet worden, sind in Ansehung des Arrestanten für nicht geschehen, und Kompensationsrechte in Ansehung seiner für nicht entstanden anzusehen.

§. 86.

Durch den auf ein zinsbares Kapital gelegten Arrest wird der Zinsenlauf nicht gehemmt, sondern der Schuldner muß, wenn er sich von der fernern Zinsenzahlung befreien will, die an sich zahlbare Schuldpost in das gerichtliche Depositum abliefern.

§. 87.

Der Arrestschlag begründet unter mehreren Gläubigern kein Vorzugsrecht; außer

1) wenn ein Fremder mit einem inländischen Gläubiger konkurrirt, und in der Heimath des Fremden der Arrest einen Vorzug ertheilt.

2) Wenn bei entstandenem Konkurs ein Gläubiger die Person des Gemeinschuldners, oder Effekten, welche zur Masse gehören, durch rechtzeitigen Arrestschlag in Sicherheit gebracht hat.

(Tit. L. §. 484 u. f.)


(681) Arrestsachen.

Von den Arresten der Fremden gegen Fremde.

§. 88.

Arrestgesuche eines Fremden gegen einen andern Fremden können bei hiesigen Gerichten nur angebracht werden:

1) wenn der Kontrakt, auf welchen die Forderung sich gründet, in hiesigen Landen geschlossen, oder dessen Erfüllung in hiesigen Landen versprochen ist;

2) wenn in dem Instrumente, aus welchem der Arrest gesucht wird, der Schuldner die Zahlung aller Orten, wo es verlangt würde, zu leisten versprochen, oder sich gar dem Arreste aller Orten, wo er angetroffen würde, ausdrücklich unterworfen hat;

3) wenn zwar dergleichen Klausel sich in dem Instrumente nicht befindet, das Insrument aber ein Wechsel, derselbe verfallen, und der Aussteller ein Kaufmann ist, welcher hiesige Messen und Märkte besucht.

Uebrigens versteht es sich von selbst, daß ein solcher Arrest nur alsdann verhängt werden könne, wenn entweder der Schuldner für seine Person in hiesigen Landen ist, oder wenn Waaren, oder anderes Vermögen, von ihm daselbst vorhanden sind.

§. 89.

Außer diesen Fällen finden auf den Antrag eines Fremden gegen einen andern Fremden Arreste in hiesigen Landen nur alsdann Statt, wenn auswärtige kompetente Gerichte die hiesigen darum gebührend requiriren. Doch muß auch in diesen, so wie in den Fällen des §. 88., wenn von einem Personalarreste die Rede ist, die Vorschrift §. 76. gehörig beobachtet werden.

§. 90.

Uebrigens hat es, wegen der Arreste gegen Fremde überhaupt, bei den zwischen dem hiesigen und verschiedenen benachbarten Staaten bestehenden Verträgen,


(682) Prozeßordn. Neun u. Zwanzigster Titel.

und den in deren Gefolge ergangenen besonderen Verordnungen, sein Bewenden.

Anh. §. 201. Wider regierende deutsche Fürsten, wie abgetheilte Fürsten aus den Häusern der regierenden deutschen Fürsten, desgleichen wider fremde am hiesigen Hofe akkreditirte Gesandte und gegen alle andere Geschäftsträger eines andern Staats am hiesigen Hofe, die nicht bei ihrer Bestallung der einländischen Gerichtsbarkeit unterworfen geblieben sind, findet kein Arrest Statt.

Anh. §. 202. Dagegen sind andere Fürsten, als die vorgenannten, fremde, durchreisende, nach einem dritten Hofe oder Staate bestimmte Gesandte und fremde durchreisende Hof, Kriegs- und Staatsbediente, die in Angelegenheiten ihres Hofes oder Staats an einen drittten Hof oder Staat geschickt werden, den Arreste unterworfen. Jedoch muß vor der Verfügung desselben an den Justizminister berichtet werden, welcher über die gemeinschaftlich zu erheilende Vorbescheidung mit dem Ministerio der auswärtigen Angelegenheiten Rücksprache zu nehmen hat.

Anh. §. 203. Ist es notorisch oder bekannt, oder von dem Extrahenten angezeigt, daß derjenige, wider welchen der Arrest nachgesucht worden ist, zu den in dem vorhergehenden §phen erwähnten Personen gehört; so soll an ihn vor eingegangener Bescheidung auf die Anfrage keine Insinuation geschehen. Verlangt aber der Extrahent ausdrücklich die Kommunikation des Arrestgesuchs, so soll ihm solches nachgegeben, der Bekanntmachung an den Arrestaten aber beigefügt werden, daß die Anfrage geschehen und die Bescheidung auf solche abzuwarten sey.

Anh. §. 204. In so fern es nicht notorisch oder sonst bekannt ist, daß der Arrestat zu den im §. 202. des Anhangs benannten Personen gehört, muß der Extrahent des Arrests bei dessen Aufnehmung darüber, ob dieses seines Wissens der Fall sey, vernommen werden. Kommt erst durch die Anzeige des Arrestaten die vorhin gedachte Qualität desselben zur Sprache, so muß der Richter darüber Bescheinigung erfordern, sich aber auch mit einer solchen begnügen, welche ihm die Richtigkeit der Angabe wahrscheinlich macht.

Anh. §. 205. Gegen andere Fremde kann der Arrest, den gesetzlichen Vorschriften gemäß, ohne Anfrage verfügt werden; jedoch soll, wenn es Personen von einigem Ansehen oder Range sind, nach der Verhängung des Arrests davon unverzüglich dem Justizminister zur


(683) Arrestsachen.

Benachrichtigung des Ministerii der auswärtigen Angelegenheiten Anzeige gemacht werden.

Anh. §. 206. Bei solchen gegen Fremde zu verfügenden Arresten ist nicht sogleich und ohne Hinsicht auf die Personen mit Einsetzung des Arrestaten in das Gefängniß zu verfahren, sondern es müssen, vornehmlich gegen Fremde höhern Ranges, die gelinderen Wege der Ankündigung des Stadt- oder Hausarrests, Observation, Beschlagnehmung der Reisepässe, Inhibition an den Gastwirth wegen Verabfolgung von Pferden, Wagen, Reisegeräthschaften und anderer Effekten gewählt werden.

Anh. §. 207. So oft ein Personal- oder Realarrest gegen einen sich in hiesigen Landen aufhaltenden Fremden verhängt wird, muß demselben allemal in der deshalb an ihn ergehenden Verfügung bekannt gemacht werden, daß ihm nach Th. I. Tit. XXIX. §. 63. und 70. freistehe, den Arrest durch eine auf den Betrag der gegen ihn eingeklagten, von dem Kläger jederzeit bestimmt anzuzeigenden Forderung, und der wahrscheinlich entstehenden Kosten zu bestellende Kaution sofort abzuwenden.

Anh. §. 208. Gehört der Arrestat zu den höheren Ständen, oder steht derselbe in ansehnlichen Militair- oder Zivildiensten eines fremden Staates, oder sind sonst nach dem Ermessen des Präsidii oder Dirigenten Gründe vorhanden, ihn mit ausgezeichneter Schonung zu behandeln; so muß, indem der Arrestschlag verfügt wird, ein Sekretarius abgeordnet werden, um ihm die oberwähnte Befugniß (§. 207.) noch besonders mündlich zu erklären, und ihn zu vernehmen, in wie fern er von derselben Gebrauch zu machen denke.

Anh. §. 209. Erklärt der Fremde hierauf, daß er bereit sei, Kaution zu bestellen, und bietet er baares Geld oder solche Staatspapiere an, womit nach den Gesetzen Kaution bestellt werden kann; so muß, so bald der hinlängliche Betrag deponirt worden ist, der Arrest sofort, ohne daß es einer Vernehmung des Klägers bedarf, ausgehoben werden, und der Sekretarius ist jedesmal zu autorisieren, auf diesen Fall die zur Aufhebung des Arrests erforderliche Verfügung ohne weitere Rückfrage zu treffen.

Anh. §. 210. Erbietet sich der Arrestat auf andere Art, Kaution zu bestellen, so muß der deputirte Sekretarius unverzüglich den Kläger oder dessen Bevollmächtigten zur Erklärung auffordern, und wenn solche beifällig ausfällt, auf das deshalb aufzunehmende Protokoll die Verfügung wegen Aufhebung des Arrests treffen. Entsteht hingegen über die Hinlänglichkeit der Kaution ein Streit, welcher in Güte nicht beigelegt werden kann; so muß


(684) Prozeßordn. Dreißigster Titel.

der Sekretarius das deshalb aufzunehmende Protokoll ungesäumt zum Vortrag befördern, da denn, wenn sich ergiebt, daß die Kaution unbedenklich für hinlänglich geachtet werden kann, nach deren Bestellung der Arrest durch ein bloßes Dekret, gegen welche kein Rechtsmittel Statt findet, aufgehoben werden muß. Hiervon findet nur alsdann eine Ausnahme Statt, wenn wegen einer Wechselschuld Personalarrest verhängt ist, indem ein solcher Arrest wider den Willen des Klägers nicht anders als durch baare Deposition der streitigen Summe abgewandt werden kann.

Anh. §. 211. Ist die Kaution so angethan, daß deren Annahme nicht für unbedenklich zu achten, so muß über deren Zulässigkeit rechliches Gehör und Erkenntniß erfolgen und dabei überall nach den Vorschriften §. 63. u.

fs. verfahren werden.

Anh. §. 212. So bald der Arrest einen Fremden betrifft, soll die Frage: ob es bei dem Arreste zu belassen, oder derselbe wieder aufzuheben ist, auf Verlangen des Arrestaten jedesmal ohne Unterschied der Fälle von der Hauptsache getrennt werden, wenn nicht diese an sich schon den Wechsel- oder Exekutionsprozeß begründet, und muß die Instruktion in jedem Falle ganz vorzüglich beschleunigt werden.

Dreißigster Titel.

Vom Verfahren in Merkantil- oder Meß- und Handlungs-, desgleichen in Assekuranzsachen.

I. Von Handlungsprozessen überhaupt.

§. 1.

In Prozessen zwischen Kaufleuten, welche I. Handlungsgeschäfte überhaupt zum Gegenstande haben, findet der Regel nach keine besondere Art des Verführens Statt; sondern dergleichen Sachen müssen, je nachdem sie sich ihrer Natur nach zum ordentlichen, oder zum Wechsel- oder exekutivischen Prozesse qualificiren; oder die zwischen Handlungsgenossen, wegen ihrer Auseinandersetzung nach aufgehobener Societät, entstehenden Streitigkeiten zum Vorwurfe haben, nach den auf alle diese Fälle in gegenwärtiger Prozeßordnung theils schon gegebenen, theils


(685) Merkantilprozeß.

nach folgenden Vorschriften instruirt und entschieden werden.

Von besondern Handlungsgerichten.

§. 2.

In so fern jedoch an dem einen und dem andern Orte der Königlichen Lande, zur Instruktion und Aburtelung solcher Handlungsstreitigkeiten, besondere Handlungs-, Wett- oder Seegerichte, oder wie sie sonst genannt werden, errichtet, und zu deren Beisitzern auch Kaufleute mit Sitz und Stimme bestellt sind, soll es bei der dießfälligen Verfassung, und den solchen Gerichten ertheilten besondern Reglements und Instruktionen, nach wie vor sein Bewenden haben.

Von Zuziehung der Sachverständigen bei kaufmännischen Prozessen.

§. 3.

Aber auch an anderen Orten, wo dergleichen eigene Handlungsgerichte nicht bestellt sind, wird in Beziehung auf die allgemeine Vorschrift Tit. IX. §. 38. hierdurch verordnet, daß, so bald aus der eingekommenen Klage, oder deren Beantworrung, sich ergiebt, was maaßen es bei der Sache auf genauere Kenntnisse des kaufmännischen Verkehrs; der Art, die Geschäfte zu verhandeln und abzuschließen; der bei Führung der Bücher und Rechnungen üblichen Methode; und auf andere dergleichen Handlungsüsancen, Gebräuche und Gewohnheiten ankommt, alsdann jedesmal dem zur Instruktion der Sache ernannten Deputirten des Gerichts, ein in solchen Angelegenheiten geübter und erfahrner Kaufmann, welcher auch sonst wegen seiner Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit in gutem Ansehen steht, als Gehülfe beigegeben werden sollte.

§. 4.

In wie fern dazu ein- für allemal gewisse Personen, als beständige Beisitzer des Gerichts, zur Instruktion der Sachen dieser Art anzusetzen und zu verpflichten; oder in jedem einzeln vorkommenden Falle aus dem Mittel der Kaufmannschaft des Orts,


(686) Prozeßordn. Dreißigster Titel.

allenfalls nach dem Vorschlage der Aeltesten oder Güldemeister, zu bestellen, und gleichmäßig zu verpflichten sind, ist, nach Beschaffenheit der verschiedenen in den Königlichen Landen befindlichen Handelsplätze, jeden Orts besonders bestimmt.

§. 5.

Diesen Assistenten muß der Deputirte des Gerichts bei der ganzen Instruktion, wo es erforderlich ist, insonderheit aber bei der Regulirung des Status controversiae; bei Prüfung der vorkommenden Waaren- und Geld-, auch anderer Rechnungen; bei Erörterung der unter den Parteien streitigen Thatsachen, aus der zwischen ihnen geführten Korrespondez; desgleichen bei Prüfung der Bücher in Ansehung ihrer Richtigkeit, Ordnung und Uebereinstimmung, so wie der dagegen etwa gemachten Ausstellungen, mit zuziehen, und auf seinen Rath und sein Gutachten dabei Rücksicht nehmen.

§. 6.

Am Schlusse der Instruktion muß der Deputirte des Gerichts diesen Assistenten mit seiner Meinung und Gutachten über die Sache selbst, in so fern die auf einem wirklichen Handlungsverkehre beruht, zum Protokolle besonders vernehmen, und dabei dahin sehen, daß derselbe dieses Gutachten deutlich, bestimmt, auf die wirkliche Streitfrage passend, und mit Gründen unterstützt, abgebe. Das Gericht aber muß auf sothanes Gutachten, in so fern es mit vernünftigen, der Sache gemäßen, und aus kaufmännischer Wissenschaft und Erfahrung hergenommenen Gründen versehen ist, bei Entscheidung der Hauptsache gehörig achten.

Besonders in der Appelationsinstanz.

§. 7.

Wenn von einem solchen Erkenntnisse appellirt worden ist, und es auch in der zweiten Instanz noch an dergleichen Punkte, zu deren richtigen Erörterung ...


(687) Merkantilprozeß.

ankommen sollte; so muß alsdann eben so, wie ein anderer Deputirter des Gerichts zur Instruktion des Appelatorii ernannt wird, demselben auch ein anderer Assistent aus der Kaufmannschaft beigegeben; dieser bei der Instruktion der Sache auf eben die Art, wie in der ersten Instanz (§. 5.) zugezogen, und am Schlusse der Sache sein Gutachten nach der Vorschrift des §. 6. abgefordert werden.

§. 8.

Wenn der Appellationsrichter bei dem Vortrage der Sache findet, daß die Gutachten der beiden in erster und zweiter Instanz zugezogenen Sachverständigen über einen zu ihrem Metier gehörigen Punkt, auf den es bei der Entscheidung wirklich ankommt, von einander abweichen, oder sich gar widersprechen; so liegt der Grund davon entweder darin, daß die Lage der Sache selbst durch die neue Untersuchung, und die dabei erst zum Vorschein gekommenen oder näher entwickelten Thatsachen verändert worden ist; und alsdann muß der Richter das Erkenntniß, nach seiner besten Einsicht und Ueberzeugung, mit gehöriger Rücksicht auf das Gutachten des zweiten Sachverständigen abfassen. Ist aber die Lage der Sache unverändert geblieben, und die Verschiedenheit der beiden Gutachten hat also in einer wirklichen Verschiedenheit der Meinungen und Behauptungen über das, was in dem angegebenen Falle den Handlungsgebräuchen und Gewohnheiten gemäß sey, ihrer Grund; so muß das Gericht beide Kaufleute, die bei der Instruktion in erster und zweiter Instanz assistirt haben, von Amts wegen vorfordern; sie über die Verschiedenheit ihrer Meinungen, und die von jedem zu deren Unterstützung angeführten Gründe näher gegen einander vernehmen; solchergestalt sie durch gegenseitige Erklärungen und Erläuterungen zur Uebereinstimmung bringen, oder doch wenigstens die Sache so genau und umständlich, als möglich, auseinander zu setzen


(688) Prozeßordn. Dreißigster Titel.

bedacht seyn; sodann aber, wenn nämlich keine Uebereinstimmung zu erreichen wäre, die Akten, nebst den beiderseitigen Gutachten, und dem obgedachten Vernehmungsprotokolle, einem dritten erfahrenen Kaufmanne vorlegen, und von demselben, als Obmann, ein anderweitiges, ebenfalls mit Gründen unterstütztes Gutachten einfordern; auf welches sodann bei Abfassung des Erkenntnisses vorzüglich Rücksicht zu nehmen ist.

Einseitig von den Parteien eingeholte und beigebrachte Atteste, oder sogenannte Parere's, können zwar der Erläuterung wegen zu den Akten verstattet werden; verdienen aber nicht gleiche Rücksicht mit den, unter Direktion des Richters, aus den vorgelegten Akten abgestatteten Gutachten vereideter Sachverständigen.

II. Von eigentlichen Merkantilprozessen.

§. 9.

II. Bisher ist von den gewöhnlichen, unter Kaufleuten über Handlungsgeschäfte sich ereignenden Rechtsstreitigkeiten geredet worden. Da aber an denjenigen Orten, wo Messen, Vieh- und andere Märkte gehalten werden, zwischen den dazu sich einfindenden Fremden, entweder unter sich, oder mit einheimischen Kaufleuten, über Geschäfte, welche von ihnen während der Messe, oder des Marktes, verhandelt worden sind, Prozesse zu entstehen pflegen, und die möglichste Beschleunigung solcher Prozesse zur Beförderung des Handels vorzüglich nothwendig ist; so soll es mit dergleichen Merkantilprozessen folgendergestalt gehalten werden.

Wo, und unter welchen Parteien er Statt findet.

§. 10.

An allen Orten, wo Messen oder stark besuchte Vieh- und andere Märkte eingeführt sind, soll eine Deputation niedergesetzt werden, welche aus Migliedern des ordentlichen Gerichts- und Polizeimagistrats, und aus Handlungserfahrenen bestehen; mit den nöthigen Unterbedienten versehen seyn; und, so lange


(689) Merkantilprozeß.

die Messe oder der Markt dauert, täglich Vor- und Nachmittags an einem dazu schicklichen Orte sich versammeln soll. Die nähere Verfassung dieser Deputation, aus wie vielen und welchen Mitgliedern und Subalternen sie bestehen, und wo sie ihre Versammlungen halten solle, wird nach den besonderen Umständen jedes Handlungsorts besonders regulirt.

§. 11.

Bei dieser Deputation sollen alle Prozesse, welche während der Messe oder des Markts über Handlungsgeschäfte entstehen, wobei ein auswärtiger Kaufmann, es sey als Kläger, oder Beklagter, oder Adcitat und Litisdeunciat interressirt, angebracht und instruirt werden.

Unter auswärtigen Kaufleuten werden hier alle diejenigen verstanden, welche anderswo, als an dem Orte der Messe oder des Markts, ihren ordentlichen Wohnsitz haben, ohne Unterschied: ob sie an sich Fremde, oder Königliche Unterthanen sind.

§. 12.

Die Instruktion geschieht vor der versammelten Deputation; wenn aber die Geschäfte sich häufen, oder eine Sache weitläufiger als gewöhnlich zu werden scheint, so steht dem Dirigenten der Deputation frei, dergleichen Instruktionen einzelnen Mitgliedern derselben, mit Zugebung vereideter Protokollführer, zu übertragen.

Abkürzung des Verfahrens dabei;

§. 13.

Wenn die angebrachte Rechtssache sich nicht etwa zu einem der im XXVII. und XXVIII. Titel dieses Theils beschriebenen ganz summarischen Prozesse qualificirt, so finden bi der Instruktion die Regeln des ordentlichen Prozesses in allen wesentlichen Stücken Anwendung; doch müssen die Termine und Fristen um so viel mehr abgekürzt werden, als beide Theile in Person, oder doch durch ihre Handlungsbedienten, Faktore, oder andere dergleichen zulässige


(690) Prozeßordn. Dreißigster Titel.

Generalbevollmächtigte zugegen sind, und die Sache ein erst vor kurzer Zeit vorgefallenes Geschäft zum Grunde hat.

bei Aufnehmung der Klage;

§. 14.

Der sich meldende Kläger muß daher sofort umständlich zum Protokolle vernommen, über die zum Grunde seiner Forderung liegenden Fakta und deren Beweismittel, über den Legitimationspunkt, und über die von Beklagten vermuthlich entgegen zu setzenden Einwendungen gehörig examinirt; und solchergestalt die Klage zum Protokolle ordnungsmäßig instruirt werden.

bei der Vorladung;

§. 15.

Dieses Klageprotokoll, oder ein Extrakt desselben (wenn nämlich in dem Hauptprotokolle Remonstrationen und Vorhaltungen, welche dem Kläger von Amts wegen gemacht worden sind, vorkommen), muß das Gericht, nebst getreuen Abschriften von den etwa beigebrachten Urkunden, dem Beklagten kommuniciren, und denselben zu einem Termine, worin er sich auf die Klage zu erklären, und weitere Instruktion zu gewarten habe, vorladen.

§. 16.

Die Vorladung geschieht zwar durch ein schriftliches, von den anwesenden Mitgliedern des Gerichts zu vollziehendes Dekret, welches aber nicht förmlich ausgefertigt werden darf; sondern dem Beklagten durch den vereideten Gerichtsboten insinuirt, und von diesem, wie die Insinuation geschehen, zum Protokolle angezeigt wird.

§. 17.

Der Termin muß nach Bewandtniß der Umstände so kurz als möglich, und nicht leicht über vier und zwanzig Stunden hinaus gesetzt; auch dem Dekrete die vorschriftsmäßige Warnung, wegen der Folgen des ungehorsamen Außenbleibens, beigefügt werden.


(691) Merkantilprozeß.

§. 18.

Eine Prorogation dieses Termins findet nur alsdann Statt, wenn der Baklagte wirklich erhebliche Ehehaften anzeigt, und zugleich gehörig bescheinigt. Mehr als Einmal kann jedoch dergleichen Prorogation nicht zugestanden werden.

wegen persönlicher Abwartung der Instruktion;

§. 19.

Den Termin muß der Beklagte schlechterdings persönlich abwarten, und die Vertretung, selbst durch einen sonst qualificirten Bevollmächtigten, ist nur alsdann zulässig, wenn der Beklagte die Messe oder den Markt nicht persönlich, sondern nur durch einen Faktor, Handlungsbedienten, oder andern dergleichen Bevollmächtigten besucht hat; oder wenn er zwar am Orte gegenwärtig ist, zugleich aber sehr erhebliche Umstände, welche ihn an der persönlichen Beiwohnung der Instruktion verhindern, anführt, und gehörig bescheinigt.

wegen der Kontumacien;

§. 20.

Bleibt in dem angestandenen Termin der Beklagte ungehorsam außen, so wird dieses zum Protokolle vermerkt; der Kontumacialbescheid, wie gewöhnlich, abgefaßt und vollzogen, dem gegenwärtigen Kläger sofort publicirt, dem Beklagten aber Abschrift davon durch den Gerichtsboten statt der Publikation zugestellt.

§. 21.

Gegen dergleichen Kontumacialbescheid findet zwar das Tit. XIV. Abschn. III. beschriebene Rechtsmittel Statt; jedoch mit der Einschränkung, daß der Beklagte sich, statt zehn Tagen, innerhalb vier und zwanzig Stunden, von der Zeit an, da ihm die Abschrift des Bescheides zugestellt worden, bei dem Gerichte melden, und von diesem Rechtsmittel Gebrauch machen muß.


(692) Prozeßordn. Dreißigster Titel.

bei der Instruktion selbst;

§. 22.

Erscheint hingegen der Beklagte, so muß er zuvörderst allein, und ohne Beiseyn des Klägers, mit seiner Antwort auf die Klage, und seinen dagegen habenden Einwendungen, nach Anleitung des Neunten Titels, zum Protokolle vernommen werden.

§. 23.

Alsdann wird der Kläger herbei gerufen, demselben das über die Antwort des Beklagten aufgenommene Protokoll, oder ein Extrakt desselben (wenn nämlich in dem Hauptprotokolle der eine oder der andere Umstand, welcher nach der Vorschrift in ein Separatprotokoll gehören würde, vorgekommen wäre), langsam und deutlich vorgelesen; Punkt für Punkt, wo es nöthig ist, erklärt; er mit seinen Einwendungen darauf gehört; solchergestalt, mit Zusammennehmung beider Theile, jede zur Sache erhebliche Thatsache ordentlich auseinandergesetzt, und der Status controversiae regulirt.

§. 24.

Anfragen über die Erheblichkeit oder Unerheblichkeit einer streitigen Thatsache sollen nur alsdann zulässig seyn, wenn die Sache an sich sehr zweifelhaft ist, und zur Ausmittelung eines solchen Fakti nur auswärtige und entfernte Beweismittel angegeben werden. Ist hiernach dergleichen Anfrage unvermeidlich, so muß sie von dem instruirenden Gerichte (welches ohnehin, der Regel nach, ein Untergericht ist) an das vorgesetzte Obergericht schleunigst erlassen, und von diesem zwar die Vorschrift Tit. XXV. §. 8 u. f. gehörig beobachtet; die Resolution aber ganz vorzüglich beschleunigt werden.

bei Aufnehmung der Beweismittel.

§. 25.

Bei Aufnehmung der Beweismittel selbst sind die im Zehnten Titel enthaltenen Vorschriften zu beobachten; nur mit dem Unterschiede, daß, wenn die abzuhörenden Zeugen an eben dem Orte, wo das Gerichte


(693) Merkantilprozeß.

seinen Sitz hat, befindlich sind, es einer förmlichen schriftlichen Citation derselben nicht bedarf, sondern sie bloß durch den vereideten Gerichtsboten mündlich vorzuladen sind, und diesem der Auftrag dazu durch ein zwar schriftlich abgefaßtes, aber nicht expedirtes Dekret, durch dessen Vorzeigung er sich gegen die Vorgeladenen legitimiren muß, gemacht wird.

§. 26.

Wenn eine Partei Beweismittel in Vorschlag bringt, deren Aufnehmung mit beträchtlichem Zeitverluste verknüpft seyn würde, z. B. wenn die Edition eines Dokuments von einer dritten, außerhalb des Sitzes des Gerichts wohnhaften Person gefordert wird, oder wenn auswärtige weit entfernte Zeugen vorgeschlagen werden; so kann zwar das Gericht dergleichen Beweismittel, wenn sonst das streitige Faktum erheblich scheint, nicht verwerfen; es müssen aber die Tit. XXII. §. 37 u. f. gegebenen Vorschriften, wegen des juramenti calumniae, in solchem Falle genau beobachtet, die an die fremden Gerichte zu erlassenden Requisitionen ganz vorzüglich beschleunigt, und darin jedesmal, daß sie einen Merkantilprozeß betreffen, ausdrücklich angezeigt werden. Alle Gerichte in königlichen Landen sollen schuldig seyn, dergleichen Requisitionen auf das schleunigste zu befolgen; und diejenigen, welche sich darunter säumig finden lassen, sollen deshalb auf die Anzeige des instruirenden Gerichts, oder, wenn sonst die Sache zur Kenntniß der vorgesetzten obern Instanz gelangt, von Amts wegen nachdrücklich bestraft werden.

wegen der Sühnsvorschläge;

§. 27.

Uebrigens muß das instruirende Gericht die Stiftung eines Vergleichs, so wie überhaupt, also insonderheit alsdann, wenn entweder nach Maaßgabe


(694) Prozeßordn. Dreißigster Titel.

§. 24. eine Anfrage an das Obergericht nothwendig, oder wenn auf auswärtige und entfernte Beweismittel nach Maaßgabe §. 26. provocirt wird, sich ganz vorzüglich angelegen seyn lassen.

wegen der Deduktionen;

§. 28.

Nach geschlossener Instruktion, und fruchtlos gebliebenem Versuch der Sühne, müssen die Akten sofort zur Abfassung des Erkenntnisses vorgelegt werden; und sollen in diesem Prozesse schriftliche Deduktionen, der Regel nach, nicht Statt finden. Wenn es jedoch die Parteien verlangen, oder auch, wenn in wichtigen Sachen der Richter bei der Instruktion wahrgenommen hat, daß es bei deren Entscheidung auf eine zweifelhafte Rechtsfrage wirklich ankommen dürfte; so sollen beiden Theilen Assistenten, in so fern sie damit nicht schon versehen sind, zugeordnet, und denselben die Akten vorgelegt werden, um die Deduktionen nach der Vorschrift Tit. XII. ungesäumt, entweder zum Protokolle zu geben; oder schriftlich einzureichen. Es ist aber alsdann die Sache dergestalt zu fassen, daß die Vorlegung der Akten durch die Einbringung dieser Deduktionen höchstens nicht über drei Tage, nach geschlossener Instruktion, aufgehalten werde.

wegen Beschleunigung des Erkenntnisses;

§. 29.

Das Erkenntniß muß, wenn es nicht etwa durch eine Anfrage an die Gesetzeskommission aufgehalten wird, innerhalb vier und zwanzig, oder, wenn die Sache sehr weitläufig ist, innerhalb acht und vierzig Stunden nach erfolgter Vorlegung der Akten abgefaßt, und den Parteien durch den vorigen Deputirten, welcher sie zu dem Ende im Voraus bestellen muß, publicirt werden. Bleibt eine oder die andere Partei dabei außen, so wird das Erkenntniß in Ansehung ihrer für publicirt angenommen, und derselben die Abschrift davon durch den Gerichtsbedienten oder Boten zugeschickt.


(695) Merkantilprozeß.

wegen der Remediorum.

§. 30.

Gegen dergleichen Erkenntniß steht die Appellation beiden Theilen eben so, und in eben den Fällen offen, wie sie gegen ein im ordentlichen Prozesse ergangenes Urtel zulässig ist.

§. 31.

Dieses Rechtsmittel muß jedoch derjenige, welcher sich desselben bedienen will, entweder gleich bei der Publikation des Urtels, oder wenigstens vier und zwanzig Stunden nachher, bei dem instruirenden Gerichte zum Protokolle anmelden; zu welchem Ende der Deputirte die Parteien, gleich bei der Publikation, über ihre dießfällige Befugniß, die zur Appellation offen stehende Frist, und die rechtlichen Folgen der unterbleibenden Anmeldung gehörig bedeuten, und, wie es geschehen, zu den Akten registriren muß.

§. 32.

Die Instruktion des Appellatorii gehört, der Regel nach, ohne Unterschied der Fälle, für den Richter der ersten Instanz.

§. 33.

Wenn jedoch der bei der Sache als Appellant oder Appellat interessirende fremde Kaufmann selbst darauf antrüge, oder es sich nach dem Antrage des Gegners ausdrücklich gefallen ließe: daß diese Instruktion bei dem Obergerichte geschehen solle; so muß dem Antrage zwar gewillfahrt werden; es findet aber alsdann das abgekürzte Merkantilverfahren nicht ferner Statt, sondern die Sache wird (wenn wenn es nicht eine bloße Bagatellsache betrifft) wie jeder andere ordentliche Prozeß der zweiten Instanz behandelt; folglich, wenn die Appellationsanfrage nach der Vorschrift Tit. XXV. §. 72. gehörig aufgenommen worden ist, mit Einsendung der Akten an das Obergericht, und von diesem mit der weitern Instruktion gewöhnlichermaaßen verfahren.


(696) Prozeßordn. Dreißigster Titel.

§. 34.

Bleibt hingegen die Instruktion der Sache bei dem Untergerichte, so muß dazu, wenn dasselbe ein formirtes Kollegium ausmacht, jedesmal ein anderer Deputirter, als der die vorige Instanz instruirt hat, bestellt werden.

§. 35.

Der Deputirte muß den Appellanten sogleich bei Anmeldung der Appellation umständlich zum Protokolle vernehmen, worin eigentlich seine Beschwerden bestehen, und was er zur Unterstützung derselben etwa anzuführen habe.

§. 36.

Verlangt der Appellant eine längere Frist zur Ausführung dieser seiner Beschwerden; so muß ihm dieselbe, jedoch niemals weiter, als höchstens bis auf den dritten Tag nach geschehener Anmeldung der Appellation, verstattet werden.

§. 37.

Die Aufnehmung des Appellationsprotokolls geschieht, wenn die Anmeldung des Rechtsmittels gleich bei der Publikation erfolgt, noch von dem Deputirten der ersten Instanz; sonst aber muß sie schon von dem zur Instruktion des Appellatorii nach §. 34. ernannten neuen Deputirten besorgt werden.

§. 38.

Das aufgenommene Appellationsprotokoll wird alsdann dem Appellaten in Abschrift kommunicirt, und derselbe durch ein auf diese Abschrift vermerktes Dekret zum Instruktionstermine vorgeladen. Dieser Termin muß, wenn der Appellant nicht Neues in facto angeführt hat, auf den folgenden, sonst aber auf den dritten Tag anberaumt werden.

§. 39.

In dem Instruktionstermine muß, wenn nichts Neues in facto vorgekommen ist, der Appellat darüber: ob und was er zur Unterstützung des vorigen


(697) Merkantilprozeß.

Erkenntnisses, und zur Widerlegung der von dem Gegner erhobenen Beschwerden noch beizubringen habe, zum Protokolle vernommen; wenn aber eine neue Instruktion in facto erforderlich ist, damit nach der Vorschrift Tit. XIV., unter gehöriger Rücksicht auf die im gegenwärtigen Titel §. 25. u. f. enthaltenen Bestimmungen, verfahren; auch wegen der Deduktionen in jure die Anweisung §. 28. beobachtet werden.

§. 40.

Alsdann muß das instruirende Gericht die Akten schleunigst an das Obergericht einsenden, und daß sie eine Merkantilsache betreffen, sowohl auf dem Couverte, als in dem Berichte selbst, ausdrücklich bemerken.

§. 41.

Das Obergericht muß die Sache unverzüglich vornehmen; den nächstfolgenden Gerichtstag das Erkenntniß abfassen, und es an den instruirenden Unterrichter zur Publikation ungesäumt remittiren. Den Präsidenten der Kollegien liegt vorzüglich ob, auf die Beschleunigung solcher Erkenntnisse mit allem Ernste zu halten.

§. 42.

Zur Publikatin des Appellationsurtels werden die Parteien durch den Gerichtsboten mündlich bestellt, und demjenigen, welcher dabei etwa außen bleibt, wird die Abschrift davon statt der Publikation zugefertigt; übrigens aber beiden Theilen von dem ihnen dagegen noch offen stehenden Revisorio Nachricht gegeben.

§. 43.

Will nun eine Partei sich dieses Rechtsmittels noch bedienen, so muß selbiges von ihr entweder alsbald, oder längstens innerhalb 24 Stunden nach publicirtem Appellationsurtel, bei dem instruirenden Unterrichter zum Protokoll angemeldet; der


(698) Prozeßordn. Dreißigster Titel.

Revident, worin seine Beschwerden eigentlich bestehen, sofort näher vernommen; das Protokoll dem Revisen zur Beantwortung binnen anderweitigen 24 Stunden vorgelegt, hiernächst Acta auf die §. 40. vorgeschriebene Art an den Revisionsrichter unmittelbar eingesendet; von diesem das Urtel nach Vorschrift §. 41. ganz vorzüglich beschleunigt, und zur gewöhnlichen Publikation an den Unterrichter remittirt werden.

III. Anwendung des Merkantilprozesses auf andere kaufmännische Rechtssachen.

§. 44.

Die obigen Vorschriften §. 9.–43. finden, auch außer den Meß- und Marktzeiten, in eigentlichen Handlungsprozessen zwischen Kaufleuten in solchen Zeiten Anwendung, wo wegen des Ab- und Zugangs fremder Handelsleute, oder Schiffe, ein vorzüglich lebhaftes (!)Verkehr getrieben wird.

§. 45.

Auch muß in solchen Zeiten ein beständiger Deputirter aus der Mitte des Gerichts ernannt, und ihm einer oder mehrere Sachverständige zugeordnet werden, denen es ganz eigentlich und vorzüglich obliegt, sich einer schnellen Erörterung und Abmachung solcher Streitigkeiten, die über einen getroffenen Handel, dessen Erfüllung oder Aufhebung entstehen. Die hierzu bestellten Personen müssen der Kaufmannschaft durch Anschlag auf der Börse, oder auf andere schickliche Art, allgemein bekannt gemacht werden; und sie sind schuldig, so bald sich jemand, wenn auch nur mündlich, wegen eines solchen entstandenen Streits bei einem von ihnen meldet, die Sache sofort, und mit Beiseitsetzung aller anderen Geschäfte, vorzunehmen.

§. 46.

Die Absicht dieser Anordnung ist, dergleichen Streitigkeiten dadurch, daß sie auf der Stelle erörtert werden, und durch die Vermittelung des zugezogenen Sachverständigen, in Güte möglichst abzumachen. Erst wenn dieser Sühnsversuch fehlschlägt, muß die


(699) Merkantilprozeß.

Sache zur prozeßmäßigen Instruktion eingeleitet, dabei aber, wegen der vorzüglichen Beschleunigung, die Vorschriften §. 9-43. beobachtet werden.

§. 47.

Nähere Anweisungen hierüber sind in den Instruktionen für die Gerichte an solchen Handelsplätzen enthalten.

IV. Von Assekuranzstreitigkeiten.

§. 48.

Wenn IV. aus einem Assekuranzkontrakte zwischen den Interessenten Streit entsteht, so soll die Sache, der Regel nach, in erster Instanz vor Schiedsrichtern verhandelt und entschieden werden. Doch ist den Parteien, oder auch einer derselben allein, unbenommen, auf die Entscheidung durch den ordentlichen Richter anzutragen.

§. 49.

Diese Schiedsrichter müssen von den Parteien, und zwar von jedem Theile einer oder mehrere, erwählt werden; es muß jedoch allemal ein Rechtsgelehrter darunter befindlich seyn, welcher das Protokoll führen, und auf Beobachtung der erforderlichen Legalitäten bei der Instruktion Acht haben muß.

§. 50.

Bei diesen erwählten Schiedsrichtern muß also der Kläger mit seiner Klage zum Protokolle vernommen; über alle Umstände der Sache in Facto, und die daraus entstehenden Gründe seiner Forderung umständlich examinirt, und die Assekuranzpolice, nebst allen übrigen zur Sache gehörigen Schriften, Papiere und Urkunden, auch, nach Bewandtniß der Umstände, die von dem vereideten Dispacheur gefertigte Rechnung, besagten Schiedsrichtern vorgelegt und eingehändigt werden.

§. 51.

Die Schiedsrichter müssen alsdann den Beklagten eben so mit seiner Antwort vernehmen; und wenn sich daraus ergiebt, worauf es bei der Sache


(700) Prozeßordn. Dreißigster Titel. (et)c.

eigentlich ankomme, sich angelegen seyn lassen, einen Vergleich unter den Parteien zu stiften, und die Entschädigung, allenfalls nach der Rechnung des vereideten Dispacheur, gütlich zu reguliren.

§. 52.

In Entstehung der Sühne müssen die streitigen Fakta, durch Abhörung der darüber benannten Zeugen, oder Aufnehmung der sonstigen Beweismittel, ins Licht gesetzt, und sodann von den Schiedsrichtern ein Spruch gefällt werden.

§. 53.

Können sich die Schiedsrichter darüber nicht vereinigen, so müssen sie einen Obmann wählen, dessen Stimme sodann den Ausschlag geben soll.

§. 54.

Wenn die Parteien sich dabei beruhigen, so hat dieser Spruch alle Kraft und Wirkung eines Iudikati, und muß von dem ordentlichen Richter, auf Anrufen des obsiegenden Theiles, in Exekution gesetzt werden.

§. 55.

Wenn aber der eine oder der andere Theil sich bei dem schiedsrichterlichen Urtel nicht beruhigen will, so muß er, innerhalb zehn Tagen nach dessen Publikation, die Appellation dagegen bei den dieserhalb jeden Orts verordneten besondern, oder, wenn dergleichen nicht vorhanden sind, bei den ordentlichen Appellationsgerichten anmelden; welche die verhandelten Akten von den Schiedsrichtern einfordern, und wegen fernerer Instruktion des Appellatorii das Nöthige, nach Beschaffenheit der Sache, je nachdem sich dieselbe zum ordentlichen, oder zu einem der summarischen Prozesse qualificirt, gehörig verfügen müssen.

§. 56.

Bei demjenigen, was hierauf erkannt wird, soll es lediglich sein Bewenden haben, und die Revision dagegen nicht zulässig seyn.


(701) Merkantilprozeß.

Anh. §. 213. Die Revision ist auch in dem Falle unzulässig, wenn die Sache in erster Instanz nicht von Schiedsrichtern, sondern von den gewöhnlichen Gerichten entschieden worden ist.

Ein und dreißigster Titel.

Vom Verfahren im Possessorio summarissimo und in Spoliensachen.

Wann das Possessorium Statt finde.

§. 1.

Das Possessorium summarissimum findet Statt, wenn jemand in dem Besitze einer Sache oder eines Rechts beunruhigt, oder wenn er dieses Besitzes neuerlich heimlicher oder gewaltsamer Weise entsetzt worden ist.

Aufnehmung der Klage.

§. 2.

Wer über dergleichen Störungen oder Beraubungen seines Besitzes zu klagen hat, muß sich, wie gewöhnlich, bei dem Gerichte melden, und von diesem sofort an einen Deputirten zur weitern Instruktion verwiesen werden.

§. 3.

Dieser Instruent muß den Kläger über die Fakta, worauf es bei der Sache ankommt, ungesäumt näher vernehmen, seine Erkundigungen aber besonders darauf richten: ob Kläger sich wirklich zuletzt im ruhigen und ungestörten Besitze befunden habe; und ob er darin von dem Beklagten gestört, oder dessen heimlich, oder mit Gewalt entsetzt worden ist. Hierüber muß er sich die erforderlichen Beweismittel bestimmt angeben, auch selbige, in so fern sie der Kläger zur Hand hat, sofort beibringen lassen. Selbst die von dem Kläger etwa mit zur Stelle gebrachten Zeugen, welche den Besitz oder die Störung bekunden sollen, muß der Instruent sofort vernehmen, jedoch nicht eidlich, sondern nur unter der Bedeutung, daß sie in


(702) Prozeßordn. Ein u. Dreißigster Titel.

der Folge zur eidlichen Bestärkung ihrer Angaben aufgefordert zu werden, gewärtigen müßten.
§. 4.

Bei Thatsachen, welche bloß das Recht zum Besitze, oder den Titel desselben betreffen, muß sich der Instruent nicht aufhalten.

Verordnung auf die Klage.

§. 5.

Dieß von dem Deputirten aufgenommene, und dem Gerichte unverzüglich einzureichende Protokoll, muß das Gericht dem Beklagten schleunigst zufertigen, und demselben, wenn der letzte ruhige Besitz des Klägers einigermaaßen bescheinigt ist, aufgeben: bei einer verhältnißmäßigen Strafe sich aller ferneren Störungen zu enthalten, auch die etwa abgepfändeten Stücke, gegen Bezahlung des Pfand- und Futtergeldes, sofort, mit Vorbehalt seines Rechts, zurück zu geben. Hat aber der Kläger seinen Besitz mit nichts bescheinigt, so muß beiden Theilen, unter gleichmäßiger Androhung einer solchen Strafe, anbefohlen werden, sich, bis zur Untersuchung, des streitigen Besitzes und aller dahin gehörenden Handlungen und Verfügungen zu enthalten; und einem benachbarten Gerichtsbedienten muß der Auftrag geschehen, dafür zu sorgen, daß diesem Befehle von beiden Theilen ein Genüge geleistet werde.

Räumt der Kläger dem Beklagten den Mitbesitz ein, so wird die Verordnung, wenn die Klage bescheinigt ist, auf fernere Gestattung des von dem Kläger behaupteten Mitbesitzes, sonst aber bloß darauf, daß der Beklagte die Sache schlechterdings in der Lage, worin sie sich gegenwärtig befindet, lassen solle, gerichtet.

§. 6.

In eben dieser Verordnung (auf die Klage ?) muß das Gericht einen Termin zur Instruktion der Sache anberaumen, und den Beklagten dazu unter der Warnung:


(703) Possessorium summarissimum

daß bei seinem Außenbleiben in contumaciam wider ihn erkannt werden würde, vorladen(.)

§. 7.

Ob dieser Termin an ordentlicher Gerichtsstelle, vor dem nach §. 2. ernannten Instruenten anzusetzen, oder die Sache auf Lokalkommission zu richten, und ein auswärtiger Kommissarius dazu zu benennen sey, muß der Richter, nach Beschaffenheit der Umstände, gehörig beurtheilen(.)

§. 8.

Zu diesem Termine muß der Beklagte jedesmal in Person, oder durch einen Tit. III. §. 22. beschriebenen Bevollmächtigten zu erscheinen, vorgeladen werden.

§. 9.

In der Verordnung auf das Klageprotokoll muß der Beklagte zugleich angewiesen werden, die Beweismittel, und insonderheit die Zeugen, wodurch er entweder die Angaben des Klägers widerlegen, oder sonst zu seiner Vertheidigung gereichende Thatsachen darthun will, entweder mit zum Termine zu bringen, oder sie zeitig vor dem Termine, ihrem Namen, Charakter, und Aufenthalte nach, anzuzeigen, damit dieselben zum Termine mit vorgeladen werden können.

§. 10.

Die vom Kläger benannten Zeugen müssen zu diesem Instruktionstermine ebenfalls mit vorgeladen werden; es wäre denn, daß der Kläger übernommen hätte, sie selbst zur Stelle zu bringen, oder daß aus ihrer vorläufigen, nach §. 3. geschehenen Abhörung sich ergeben hätte, daß ihnen nichts zur Sache Gehöriges bekannt sey.

Kontumacialverfahren.

§. 11.

Wenn in dem anberaumten Termine der Beklagte nicht erscheint, so muß wider ihn in contumaciam verfahren, und der Besitzstand so, wie er aus den vom Kläger angegebenen, und für eingestanden zu


(704) Prozeßordn. Ein u. dreißigster Titel.

achtenden Faktis rechtlich folgt, in einem darauf abzufassenden Kontumacialbescheide regulirt werden.

Instruktion.

§. 12.

Erscheint aber der Beklagte, so muß derselbe über die Fakta, worauf der Kläger seinen Anspruch gründet, und über seine Einwendungen dagegen vernommen; die Sache gehörig auseinander gesetzt; der Status controversiae formirt; die zur Hand befindlichen Beweismittel aufgenommen; und dabei im Wesentlichen überall nach den Vorschriften des Zehnten Titels verfahren werden. Doch ist bei dieser Instruktion nur auf solche Fakta, welche den vor der eingeklagten Turbation unmittelbar vorher gegangenen Besitz betreffen, und nur auf solche Beweismittel, welche entweder vor dem Termine gehörig angezeigt und vorbereitet worden sind, oder noch im Termine selbst zur Stelle gebracht werden, Rücksicht zu nehmen.

§. 13.

Es findet also in diesem Prozesse die Editionsforderung von einem Dritten, ingleichen gegen die erbotene Diffession einer Urkunde, Beweis durch Zeugen, oder durch Vergleichung der Handschriften nicht Statt; sondern der Producent muß in diesem letztern Falle entweder den Produkten zur Diffession verstatten, oder sich dieser Urkunde in Ansehung des gegenwärtigen Prozesses begeben. Eben so müssen, wegen der gegen die Personen der Zeugen etwa gemachten Einwendungen, keine Nebenuntersuchungen, dergleichen in ordentlichen Prozessen sonst zulässig sind, statuirt werden; sondern der Instruent muß, indem er die Zeugen vernimmt, dabei zugleich den Grund oder Ungrund der ihnen gemachten Ausstellungen möglichst ins Licht zu setzen sich angelegen seyn lassen.

§. 14.

Wer (= Wenn?)der von Klägern behauptete neueste Besitz zwar eingeräumt, oder nachgewiesen wird, der Beklagte hingegen behauptet, daß derselbe dazu auf eine


(705) Possessorium summarissimum.

offenbar unredliche oder sonst fehlerhafte Weise gelangt sey; so muß mit Aufnehmung der Instruktion und des Beweises über diese Fehler des Besitzes, ebenfalls, jedoch nur so weit, als es nach den Vorschriften §. 12. u. 13. sofort, und ohne Aufenthalt geschehen kann, verfahren werden. (Allg. L. R. Th. I. Tit. VII. §. 19. 147.)

§. 15.

Rechtliche Deduktionen finden bei diesem Prozesse nicht Statt, sondern es müssen, nach geschlossener Instruktion der Thatsachen, die Akten sofort zum Spruche vorgelegt, das Erkenntniß aber muß ganz vorzüglich beschleunigt werden.

Erkenntniß.

§. 16.

In diesem Erkenntnisse muß der Richter bloß nach der durch die Instruktion entwickelten Lage der Sache, und nach Vorschrift der Gesetze, bestimmen: in wie fern dem Kläger der entzogene Besitz wiederum einzuräumen; oder er darin zu schützen, und Beklagter zur Bestellung einer Kaution gegen fernere Beeinträchtigungen anzuhalten; oder ob, bei nicht deutlich genug erhellendem Besitzstande, oder wegen bescheinigter Fehler des Besitzes (§. 14.), die streitige Sache in gerichtliche Verwahrung oder Sequestration zu nehmen; oder was sonst interimistisch, mit Vorbehalt des Rechts der Parteien in der Hauptsache, zu verfügen sey. (Allg. Landr. Th. I. Tit. VII. §. 155. u. f.)

§. 17.

Bloß die Frage wegen des Besitzstandes kann durch dieses Erkenntniß entschieden werden. Andere Punkte, z. B. der geforderte Ersatz eines aus der Entsetzung oder Störung des Besitzes erwachsenen Schadens, sind zur besonderen Verhandlung zu verweisen.

Wirkung des Urtels, und Unzulässigkeit der Appellation.

§. 18.

Da durch dieses Urtel bloß der Besitzstand regulirt, und über das Recht selbst nichts entschieden wird;


(706) Prozeßordn. Ein u. dreißigster Titel (et)c.

so soll gegen ein dergleichen Urtel keine Appellation, noch sonst ein anderes Rechtsmittel Statt finden. Wenn jedoch hiernächst die Hauptsache zum ordentlichen Prozesse gelangt, so gilt das durch den Spruch in der Possessoriensache festgesetzte Interimistikum nur so lange, bis das erste Urtel in der Hauptsache erfolgt ist; und muß der Richter, wenn er wegen des Besitzstandes eine Aenderung nöthig findet, das Erforderliche darüber in dem Haupturtel ausdrücklich festsetzen. Bei dieser Festsetzung hat es sodann, bis die Hauptsache rechtskräftig entschieden ist, sein Bewenden.

Anh. §. 214. Haben Naturbegebenheiten oder andere unabwendbare Zufälle es dem Beklagten unmöglich gemacht, den Termin in Person oder durch einen Bevollmächtigten abzuwarten, und hat derselbe zugleich nachgewiesen, daß es ihm ohne das geringste Verschulden von seiner Seite unmöglich gewesen sey, das eingetretene unabwendbare Hinderniß vor dem Termine anzuzeigen; so findet die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Statt.

Anh. §. 215. Wegen des Kostenpunkts ist die Appellation nach den Bestimmungen des §. 3. Tit. XIV. Theil I. zulässig.

§. 19.

Uebrigens wird derjenige, der in der Possessoriensache ein obsiegendes Urtel erhalten hat, dadurch von der Verbindlichkeit nicht frei, dem Gegentheile, wenn derselbe demnächst in der Hauptsache ein besseres Recht zum Besitze darthut, wegen der Schäden, oder entbehrten Nutzungen, nach gesetzlichen Bestimmungen gerecht zu werden. Dagegen kann der, welcher in der Possessoriensache in die Kosten verurtheilt worden ist, die Vergütung derselben, auch wenn er im Hauptprozesse obsiegt, nicht fordern.


(707)

Zwei und dreißigster Titel. Von Diffamations- und Provokationsprozessen.

Von der Provocatione ad agendum überhaupt.

§. 1.

Da die Gesetze von der allgemeinen Rechtsregel: daß niemand zum Klagen gezwungen werden könne, eine doppelte Ausnahme statuiren, nämlich:

I. Wenn sich jemand an des Andern Person, Grundstücke, oder sonstiges Vermögen, gewisser Rechte und Ansprüche, oder sonst gewisser Prärogativen und Befugnisse rühmt, die ihm von dem Gegentheile nicht zugestanden werden;
II. Wenn jemand gegen die Forderungen des Andern Einwendungen hat, von welchen er besorgt, daß dieselben, oder die darüber vorhandenen Beweismittel, bei längerm Verzuge des Gläubigers mit Anstellung seiner Klage ganz verloren gehen, oder doch in der Ausführung erschwert werden möchten:

So soll hier bestimmt werden: was bei der Instruktion dieser beiden Arten von Prozessen, welche den Namen des Diffamations- und des eigentlichen Provokationsprozesses führen, zu beobachten sey.

Erster Abschnitt.

Vom Diffamationsprozesse.

§. 2.

Wenn jemand weiß, daß ein Anderer sich eines gewissen Anspruchs an ihn berühme, welchen er nicht einräumen will; so steht es ihm frei, selbst als Kläger in der Hauptsache wider denselben aufzutreten, und die Unrichtigkeit und Ungültigkeit des behaupteten Anspruchs rechtlich auszuführen.


(708) Prozeßordn. Zwei u. dreißigster Titel.

Anmeldung der Klage.

§. 5.

Er kann aber auch den Weg der Diffamationsklage wählen, und sich mit dieser wie gewöhnlich, entweder zum Protokolle, oder schriftlich, bei dem Richter melden.

§. 4.

Diese Anmeldung muß bei demjenigen Richter geschehen, unter welchem der Diffamant und Provokat seinen ordentlichen persönlichen Gerichtsstand hat. Ist der Diffamant ein Ausländer, so kann der Diffamationsprozeß bei demjenigen einländischen Gerichte, vor welches die rechtliche Ausfürung des Hauptanspruchs gehören würde, angestellt werden.

Begründung derselben.

§. 5.

In der Klage muß die eigentliche Beschaffenheit der Diffamation, und die Angabe der Mittel, selbige im Läugnungsfalle zu bescheinigen, enthalten seyn. Bestehen diese Mittel in Urkunden, so müssen sie der Klage im Original oder abschriftlich beigelegt; oder es müssen die nöthigen vorläufigen Verfügungen wegen deren Herbeischaffung nachgesucht werden.

Verordnung auf die Klage.

§. 6.

Auf das Protkoll, oder die schriftliche Klage, muß das Gericht mit deren Kommunikation an den Provokaten, und mit Bestimmung einer gewissen verhältnißmäßigen Frist, auch Anberaumung eines eventuellen Termins vor dem instruirenden Deputirten, dem Provokaten aufgeben, sich innerhalb dieser Frist zu erklären: ob er den gerühmten Anspruch zu haben vermeine, und denselben, innerhalb eines anderweitigen, durch richterliches Ermessen nach den Umständen zu bestimmenden Zeitraums, im ordentlichen Wege Rechtens ausführen wolle; oder ob er es auf rechtliches Verhör und Erkenntniß über die Diffamationsklage ankommen zu lassen gemeint sey. In diesem letztern Falle ist er zugleich anzuweisen: daß er sich in dem anberaumten eventuellen Termine


(709) Provokationsprozeß.

bei dem ernannten Deputirten gehörig melden, und auf die Instruktion der Sache einlassen müsse.

§. 7.

Der Provokat ist jedesmal zur Erscheinung in Person, oder durch einen zulässigen Bevollmächtigten vorzuladen.

§. 8.

Der Citation wird die Warnung beigefügt: daß der Provokat, bei ungehorsamen Außenbleiben, in contumaciam der Diffamation für geständig, und, die gerühmte Klage innerhalb eines gewissen Zeitraums anzustellen, für schuldig geachtet, in dessen Entstehung aber ihm ein ewiges Stillschweigen damit auferlegt werden würde.

Verfahren in contumaciam.

§. 9.

Hiernach muß auch, bei beharrlichem Ungehorsam des Provokaten, der Kontumacialbescheid wirklich abgefaßt; dem Provokanten, wie gewöhnlich, durch den instruirenden Deputirten publicirt, dem Provokaten aber in Abschrift zugefertigt; und deren Insinuation zu den Akten nachgewiesen werden. Das Tit. XIV. Abschn. III. beschriebene Rechtsmittel ist auch gegen eine solche Resolution zulässig; die Kosten aber müssen von dem Provokaten getragen werden.

§. 10.

Verfahren, wenn der Provokat erklärt, daß ihm kein Anspruch zustehe,

Erklärt sich der Provokat vor dem Termine, daß er einen Anspruch zu machen nicht begehre, so bedarf es keines fernern Prozesses; sondern es wird eine Resolution dahin ausgefertigt: daß dem Provokaten, dieser seiner Erklärung gemäß, der Anspruch, zu dessen rechtlicher Ausführung er provocirt worden ist, nicht zustehe; solchemnach ihm ein ewiges Stillschweigen deshalb aufzulegen sey.

Diese Resolution, welche die volle Wirkung eines Urtels hat, wird dem Provokanten in beglaubter Form ausgefertigt, und dem Provokaten eine


(710) Prozeßordn. Zwei u. dreißigster Titel.

Abschrift davon, statt der Publikation, kommunicirt. Die Kosten müssen in diesem Falle von dem Provokanten als Extrahenten getragen werden.

§. 11.

Es muß jedoch dergleichen Erklärung, wenn der Richter darauf Rücksicht nehmen soll, von dem Provokaten entweder bei dem zur Instruktion der Sache ernannten Deputirten zum Protokolle abgegeben, aber sonst vor einer mit gerichtlichem Glauben versehenen Person ausgestellt, und zu den Akten eingereicht werden. Ist die Erklärung solchergestalt nicht beglaubigt, so muß der Richter in der Sache weiter, allenfalls in contumaciam, verfahren.

ingleichen, wenn er den Anspruch rechtlich ausführen zu wollen erklärt;

§. 12.

Deklarirt der Provokat, daß er die gerügte Klage innerhalb des bestimmten Zeitraums anstellen wolle; so bedarf es ebenfalls keines weiteren Prozesses, sondern es wird nur eine Resolution dahin abgefaßt und publicirt:

daß Provokat, dieser seiner Erklärung gemäß, schuldig sey, die sich angemaaßte Klage innerhalb der bestimmten Frist gehörig anzustellen; in dessen Entstehung aber ihm damit ein ewiges Stillschweigen auferlegt werden solle.

Und diese Resolution hat sodann ebenfalls die volle Wirkung eines rechtskräftigen Urtels. Die Kosten werden auch in diesem Falle von dem Provokanten als Extrahenten vorgeschossen, der aber den Erlaß derselben in dem hiernächst entstehenden Hauptprozesse fordern kann.

§. 13.

Auf gleiche Art wird es gehalten, wenn der Provokat die eine oder die andere Erklärung (§. 10. 12.) erst im Termine abgiebt; doch muß er alsdann die Terminkosten allein tragen.


(711) Provokationsprozeß.

ferner, wenn er der Klage widerspricht, und

§. 14.

Hat hingegen der Provokat gegen den Antrag des Provokanten etwas zu erinnern, so kann dieses nur darin bestehen:

entweder, daß er die Diffamation läugnet, ohne sich darüber: ob er dergleichen Anspruch wirklich habe, oder nicht? weiter heraus zu lassen; oder, daß er zwar den gerühmten Anspruch zu haben behauptet; dabei aber in Abrede stellt, daß er schuldig sey, deshalb Klage anzustellen; oder verlangt, daß ihm dazu eine längere Frist verstattet werden müsse.

entweder bloß die Diffamation läugnet, oder

§. 15.

Begnügt sich der Provokat bloß damit, die Diffamation zu läugnen; so muß mit Aufnehmung der Bescheinigungsmittel darüber, und sodann mit Vorlegung der Akten zum Spruche, ohne daß es schriftlicher Deduktionen bedarf, verfahren werden.

§. 16.

Findet der Richter die Diffamation hinlänglich bescheinigt, so muß er den Provokaten zur Anstellung der sich gerühmten Klage, innerhalb der nach den Umständen zu bestimmenden Frist, bei dem kompetenten Gerichte, unter der Warnung: daß ihm sonst ein ewiges Stillschweigen damit auferlegt werden würde, so wie in den Kostenerlaß, verurtheilen.

Ist hingegen die Diffamation nicht bescheinigt, so muß der Provokant abgewiesen, und in den Kostenersatz kondemnirt werden.

§. 17.

In beiden Fällen soll gegen das Erkenntniß kein weiteres Rechtsmittel Statt finden.

seine Verbindlichkeit, deshalb zu klagen, in Abrede stellt.

§. 18.

Erklärt der Provokat, daß er den gerügten Anspruch allerdings zu haben vermeine; behauptet aber zugleich, daß er deshalb entweder gar nicht, oder doch nicht in der gesetzten, sondern erst in einer längern,


(712) Prozeßordn. Zwei u. dreißigster Titel.

bestimmten, oder unbestimmten Frist klagen dürfe: so kommt es auf das Faktum der Diffamation, wenn auch selbiges geläugnet wäre, nicht weiter an, sondern der Instruent muß den Provokaten bloß über die Gründe dieser Behauptung, so wie den Provokanten mit seiner Erwiederung darauf, vernehmen; die Sache gehörig auseinander, und die dabei vorkommenden Fakta so weit ins Licht setzen, als erforderlich ist, um dem Richter die nötigen Data zu verschaffen, woraus er die Weigerung des Beklagten, die Klage überhaupt anzustellen, rechtlich beurtheilen, oder einen verhältnißmäßigen Zeitraum zur Anstellung dieser Klage festsetzen könne.

§. 19.

Wenn die Instruktion so weit geschlossen ist, müssen die Akten, ohne ferneres Verfahren, sofort zum Erkenntnisse vorgelegt werden.

§. 20.

In so fern die Verbindlichkeit des Provokaten zur Anstellung der Klage überhaupt streitig ist, muß der Richter nach gesetzlichen Vorschriften darüber wie gewöhnlich erkennen. In so fern aber nur der Zeitraum, innerhalb dessen die Klage anzustellen sey, festgesetzt werden soll, muß der Richter denselben nach Bewandtniß der Umstände, und pflichtmäßigem Ermessen, dergestalt bestimmen, daß zwar auf der einen Seite der Provokant nicht ohne Noth in Ungewißheit und Verlegenheit bleiben dürfe; auf der anderen aber auch der Provokat mit der Anstellung der Klage, wenn dieselbe besonders Grundstücke und gewisse daran prätendirte Rechte, aber weitläufige, ihrer Natur nach verwickelte, und in ältere Zeiten zurück gehende Lehns-, Fideikommiß- oder sonstige Familien-Angelegenheiten betrifft, nicht übereilt, vielmehr ihm hinlängliche Zeit, sich darauf vorzubereiten, und die nöthigen Nachrichten und Beweismittel herbei zu schaffen, gelassen werde.


(713) Provokationsprozeß.

§. 21.

Wenn nach bewandten Umständen der Richter dem Provokaten eine längere Frist, als von dem Provokanten angetragen worden ist, zu gestatten befindet; bei der Instruktion aber vorgekommen wäre, daß der Provokant auf die Beschleunigung der Klage um deßwillen mit gedrungen hätte, weil zu besorgen sey, daß er bei längerem Verzuge um seine Beweis- und Vertheidigungsmittel kommen dürfte: so muß der Richter, indem er dem Provokaten die längere Frist zugesteht, zugleich wegen des in der Zwischenzeit zum ewigen Gedächtniß etwa aufzunehmenden Beweises für den Provokanten, das Erforderliche, nach den Vorschriften des folgenden Titels, festsetzen.

Remedia, welche in diesem Falle zulässig sind.

§. 22.

Gegen dieß Erkenntniß, es betreffe nun selbiges entweder die streitige Schuldigkeit des Provokaten, die Klage anzustellen, oder die Bestimmung des Zeitraums dazu, ist die Appellation zulässig; es muß aber bei Instruktion derselben das in Ansehung der Bagatellsachen vorgeschriebene kürzere Verfahren Statt finden, und es bei demjenigen, was in dieser zweiten Instanz erkannt worden ist, lediglich sein Bewenden haben.

Wirkung der in allen diesen Fällen ergangenen Resolutionen oder Erkenntnisse.

§. 23.

Wenn nun durch eine der §. 9. und 12. beschriebenen Resolutionen, oder durch ein rechtskräftiges Urtel, feststeht, daß der Provokat die sich angemaaßte Klage innerhalb eines gewissen Zeitraums anzustellen schuldig sey, und es läßt derselbe diesen Zeitraum, ohne der Anweisung Folge zu leisten, verstreichen; so kann der Provokant nunmehr auf die wirkliche Präklusion des Provokaten damit pure antragen.

Antrag auf Präklusion.

§. 24.

Dieser Antrag muß bei eben dem Richter, welcher die Schuldigkeit zur Anstellung der Klage festgesetzt hat, geschehen, und durch ein Attest desjenigen


(714) Prozeßordn. Zwei u. dreißigster Titel.

Gerichts, bei welchem geklagt werden sollte, daß die Klage wirklich nicht eingekommen sey, begründet werden.

Verfahren dabei.

§. 25.

Dem Provokaten wird darauf eine endliche präklusivische Frist, innerhalb deren er die Klage wirklich anstellen müsse, und zugleich ein Termin bestimmt, in welchem er die Befolgung dieser Auflage durch ein Attest desjenigen Gerichts, bei welchem geklagt werden soll, nachzuweisen habe.

§. 26.

Wenn innerhalb dieser letzten präklusivischen Frist, oder auch im Termine selbst, der Provokat sich meldet, und erhebliche Ursachen, warum er an Anstellung der Hauptklage, ohne seine Schuld, noch immer verhindert werde, nachweiset; so muß der Richter, wenn es besonders auf einen der §. 20. beschriebenen weitläufigen, verwickelten, und in entfernte Zeiten zurück gehenden Realansprüche ankommt, den Provokanten über die angetragene Verlängerung der Frist, und deren Ursachen, kurz und summarisch zum Protokolle hören; und ob, auch auf wie lange dergleichen Verlängerung dem Provokaten noch zu Statten kommen solle, durch ein Erkenntniß festsetzen; wenn er aber die Ursachen der gebetenen Verlängerung unerheblich findet, das Präklusionsurtel dahin: daß dem Provokaten mit dem gerühmten Anspruche, und der deshalb sich angemaaßten Klage nunmehr ein ewiges Stillschweigen aufgelegt werde, sofort abfassen und publiciren.

§. 27.

Gegen ein solches Erkenntniß ist die Appellation, jedoch nur nach Maaßgabe §. 22., zulässig.

§. 28.

Wenn hingegen der Provokat weder vor noch in dem anberaumten Termine sich meldet, noch die wirklich erfolgte Anstellung der Klage bescheinigt; so muß


(715) Provokationsprozeß.

ohne weiteren Verzug das Präklusionsurtel, wodurch dem Provokaten ein ewiges Stillschweigen auferlegt wird, sofort abgefaßt und publicirt werden; und es soll gegen dergleichen Erkenntniß kein weiteres Rechtsmittel, es habe Namen, wie es wolle, Statt finden.

§. 29.

Ist in dem Falle des §. 26. eine Verlängerung der Frist zugestanden worden, und auch diese fruchtlos verlaufen; so muß der Richter des Provokationsprozesses, auf eine darüber geschehene, nach §. 24. bescheinigte Anzeige des Provokanten, das Präklusionserkenntniß wirklich abfassen, und den Provokaten zu dessen Publikation vorladen.

Wird auch im Publikationstermine selbst die erfolgte Anstellung der Klage nicht bescheinigt, so verfährt der Richter ohne den geringsten fernern Verzug mit der wirklichen Eröffnung des Präklusionsurtels, gegen welches ein Rechtsmittel so wenig, als in dem Falle des §. 28., Statt findet.

Wie es zu halten, wenn die Diffamation aktenmäßig ist.

§. 30.

Wenn es über die Diffamation selbst keiner Bescheinigung bedarf, weil dieselbe schon aus den Akten selbst erhellet: z. B. wenn bei dem gewöhnlichen Aufgebote eines Immobilis Realprätendenten sich gemeldet haben, die, weil sie der Besitzer nicht anerkennt, in der ergangenen Präklusoria zur besondern Ausführung ihrer Ansprüche verwiesen worden sind; so wird, auf den Antrag des Provokanten, dem Provokaten sogleich eine gewisse Frist zur Anstellung der Hauptklage, und ein Termin bestimmt, in welchem er die geschehene Befolgung dieser Auflage zu den Akten nachweisen müsse. Alsdann aber wird nach der Vorschrift §. 26.-29. weiter verfahren.

In wie fern mit dem Provokations- ein Injurienprozeß kumulirt werden könne.

§. 31.

Wenn die Diffamation so beschaffen ist, daß der Provokant und Diffamat sich dadurch zugleich zu einer Injurienklage gegen den Provokaten für berechtigt


(716) Prozeßordn. Zwei u. dreißigster Titel.

hält; so kann er in seinem Provokationsgesuche zugleich auf die gebührende öffentliche und Privatgenugthuung gegen den Provokaten antragen.

§. 32.

Wenn in der Folge die Diffamation geläugnet, oder wenn sie eingeräumt, zugleich aber der Ungrund des gerühmten Anspruchs anerkannt wird; so wie in allen Fällen, da bei dem Richter des Provokationsprozesses ein Präklusionserkenntniß gegen den Provokaten wirklich erfolgte, muß zugleich über die angestellte Injurienklage mit erkannt werden. Es finden aber gegen dieß Erkenntniß, so weit es die Injuriensache betrifft, die bei Injurienprozessen nachgelassenen Rechtsmittel selbst alsdann Statt, wenn sie gegen die Präklusion mit der Hauptklage nicht mehr zulässig sind.

§. 33.

So bald hingegen der Provokat die Diffamation zwar einräumt, aber auch die Richtigkeit derselben behauptet, und seine Klage in der Folge wirklich anstellt, kann der Richter des Provokationsprozesses in der Injuriensache weiter nichts verfügen; sondern die Injurienklage muß entweder im Hauptprozesse als Rekonvention angebracht, oder, nach erfolgter Entscheidung des Hauptprozesses, als eine besondere Klage verhandelt werden.

Zweiter Abschnitt.

Vom Provokationsprozesse im genauern Verstande.

§. 34.

Bei dem §. 1. N. II. beschriebenen eigentlichen Provokationsprozesse findet eben das Verfahren, wie im Diffamationsprozesse Statt, und ergeben sich darin aus der Natur der Sache nur folgende Abweichungen:


(717) Provokationsprozeß.

1) Anstatt daß nach Maaßgabe §. 5. der Provokant die geschehene Diffamation bescheinigen soll, muß er in dem eigentlichen Provokationsprozesse die wahrscheinlichen Gründe seiner Besorgniß, daß bei längerm Aufschub der Klage ihm seine Einwendungen, oder die Beweismittel darüber, verloren gehen möchten, nachweisen.

2) Wenn der Richter findet, daß nach der Lage der Sache, und der Vorschrift der Gesetze, der Provokant nicht nöthig habe, die Klage des Provokaten abzuwarten, sondern den Einwand selbst mittelst einer Klage füglich zur rechtlichen Erörterung bringen könne; so muß er den Provokanten sofort auf seine erste Vernehmung dessen umständlich bedeuten, und keinen unnützen Provokationsprozeß statuiren.

3) Die in diesem Prozesse erfolgende Präklusion kann sich nicht weiter erstrecken, als der Einwand, zu dessen Ausführung sich der Provokant durch den Provokationsprozeß die rechtlichen Wege hat eröffnen wollen.

Wenn also diese Exception ihrer Natur nach nicht die ganze Klage, sondern nur einen Theil derselben aufhebt; so kann auch nur in so weit dem Provokaten ein ewiges Stillschweigen damit in dem Präklusionsurtel auferlegt werden.

§. 35.

Außer den bisher vorgetragenen giebt es noch einige andere in den Gesetzen näher bestimmte Fälle, wo eine gerichtliche Aufforderung zur Klage Statt finden kann: z. B. bei dem gerichtlichen Aufgebote eines Grundstücks, oder einer darauf haftenden Forderung; ingleichen wenn eine Erbschaft auf Ansuchen der Beneficialerben gerichtlich aufgeboten wird, u. s. w. Da aber das Verfahren dabei mit dem Verfahren im Liquidationsprozesse übereinstimmt, so soll davon in dem Titel von Liquidationsprozessen umständlich gehandelt werden.


(718) Prozeßordn. Zwei u. dreißigster Titel.

Drei und dreißigster Titel.

Von Aufnehmung des Beweises zum ewigen Gedächtnisse.

In welchen Fällen der Beweis in perpetuam rei memoriam Statt finde.

§. 1.

Von der allgemeinen Regel, daß die Aufnehmung des Beweises über eine streitige Thatsache, woraus gewisse Rechte oder Einwendungen entspringen sollen, erst nach rechtshängig gewordener Sache und darin regulirtem Statu controversiae erfolgen könne, gestatten die Gesetze eine Ausnahme, wenn eine wahrscheinliche Gefahr vorhanden ist, daß bis zu der Zeit, wo die Klage angestellt, oder der Status controversiae regulirt werden kann, das aufzunehmende Beweismittel verloren gehen möchte.

In einem solchen Falle ist demjenigen, welcher sich desselben künftig bedienen will, erlaubt, die Aufnehmung des Beweises, es sey durch Zeugen oder Okularinspektion, zum ewigen Gedächtnisse zu verlangen.

Verfahren dabei.

§. 2.

Bei der Bestimmung des Verfahrens dabei ist ein Unterschied zu machen:

ob der Hauptprozeß bereits anhängig sey, und nur die Regulirung des Status controversiae noch aufgehalten werde;

oder

ob die Hauptklage selbst noch erst angestellt werden solle.

I. Wenn die Hauptklage noch erst angestellt werden soll.

§. 3.

Im letztern Falle muß derjenige, welcher sich für befugt achtet, die Aufnehmung des Beweises zum ewigen Gedächtnisse zu verlangen, sich bei demjenigen Gerichte, unter welchem der Provokat seinen persönlichen Gerichtsstand hat, oder auch bei demjenigen, unter welchem die Sache, die den Gegenstand des Streits ausmacht, gelegen ist, (mit den … Beweis?)en


(719) Beweis zum ewigen Gedächtnisse.

melden, und sein Gesuch entweder schriftlich oder zum Protokolle anbringen.

Gegen wen der Antrag Statt finde.

§. 4.

Als Provokat ist in diesem Prozesse derjenige anzusehen, welcher, wenn die Hauptklage sogleich angestellt werden könnte, die Stelle des Beklagten dabei zu übernehmen haben würde; selbst wenn es, wie z. B. bei Lehnen oder Fideikommissen, noch ungewiß ist: ob bei der erst künftig anzustellenden Hauptklage, eben dieses Individuum als Beklagter anzusehen seyn wird.

Wie er zu begründen sey.

§. 5.

Zur Begründung eines solchen Gesuchs ist erforderlich:

1) daß das Faktum selbst, worüber der Beweis aufgenommen werden soll, bestimmt angezeigt;

2) daß erhebliche Ursachen, warum der Hauptprozeß noch nicht angestellt werden könne; so wie

3) wahrscheinliche Gründe der Besorgniß, daß bis dahin und bei längerem Aufenthalte das Beweismittel verloren gehen möchte, angeführt werden.

Besonders muß der Provokant die zuletzt (Nr. 5.) erwähnten Gründe, in so fern sie auf Thatsachen beruhen, und nicht etwa notorisch sind, durch glaubwürdige Atteste, oder andere Mittel, näher bescheinigen.

§. 6.

Der Richter muß das solchergestalt angebrachte Gesuch sorgfältig prüfen: ob dasselbe an und für sich zulässig, und mit den gesetzmäßigen Erfordernissen versehen sey.

Verfügung auf den Antrag.

§. 7.

Findet sich bei dieser Prüfung, daß entweder die angegebene Ursache, warum der Prozeß noch nicht rechtshängig gemacht werden könne, ganz unstatthaft und unerheblich, oder daß die Besorgniß von


(720) Prozeßordn. Drei u. dreißigster Titel.


dem bevorstehenden Verluste des Beweismittels ohne Grund und unbescheinigt sey; so muß der Provokant durch ein schriftliches Dekret, unter Anführung der diesfälligen Gründe, mit seinem Gesuche ab, und dahin angewiesen werden, die Anstellung der Hauptklage selbst zu bewirken, oder abzuwarten.


§. 8.

Ist hingegen bei dem Gesuche an und für sich nichts zu erinnern, so kann entweder nach den Umständen die wirkliche Aufnehmung des Beweises von dem instruirenden Richter selbst geschehen, oder es muß dieselbe durch einen auswärtigen Kommissarius, oder zu requirirenden andern Richter, bewirkt werden.

§. 9.

1) Wenn die Aufnehmung des Beweises von dem instruirenden Richter erfolgen kann.

Erstern Falls muß wegen dieser Aufnehmung selbst das Erforderliche sofort verfügt, und also der Termin zu Einnehmung des Augenscheins anberaumt, auch die Sachverständigen dazu ernannt; oder der Termin zur Anhörung des Zeugen angesetzt, und die Vorladung an denselben erlassen werden.

§. 10.

Zu gleicher Zeit aber muß der Richter das Provokationsgesuch dem Provokaten kommuniciren; ihm von den ergangenen Verfügungen Nachricht geben; und einen gewissen Termin bestimmen, in welchem er bei dem instruirenden Deputirten sich melden, und was er etwa bei der Sache, vornehmlich bei der von dem Provokanten vorgetragenen Species facti, oder bei der Qulität des Beweismittels, zu erinnern habe, zum Protokolle anzeigen könne.

§. 11.

Dieser Termin muß, der Regel nach, dergestalt anberaumt werden, daß er etwas früher eintrete, als die Aufnehmung des Beweises selbst vor sich gehen soll.


(721) Beweis zum ewigen Gedächtnisse.

§. 12.

Meldet sich der Provokat in diesem Termine gar nicht, so wird dieß sein Außenbleiben durch eine bloße Registratur zu den Akten verzeichnet, und die Aufnehmung des Beweises behält, nach Anleitung der in der Provokation vorgetragenen Species facti, ihren ununterbrochenen Fortgang.

§. 13.

Meldet er sich hingegen, so muß er von dem ernannten Deputirten mit seinem Anbringen sofort umständlich zum Protokolle vernommen werden.

§. 14.

Gesteht der Provokat das Faktum, so wie es von dem Provokanten vorgetragen worden ist, klar und deutlich ein; so hat es dabei sein Bewenden, und es bedarf ferner nicht der Aufnehmung des Beweises.

§. 15.

Ist er aber der Thatsache nicht geständig, so kann sein Anbringen nur darin bestehen, entweder,

daß er das Faktum selbst für unerheblich, oder die von dem Provokanten angeführten Gründe der vorläufigen Beweisesaufnehmung für unstatthaft ausgibt;

oder darin,

daß er bei der von dem Provokanten vorgetragenen Species facti etwas zu erinnern, beizufügen, oder sonst zu berichtigen findet;

oder endlich darin,

daß er gegen die Qualität des Beweismittels etwas einzuwenden hat.

§. 16.

Mit den Einwendungen gegen das Faktum selbst, oder gegen die Gründe der vorläufigen Beweisaufnehmung, muß zwar der Provokat zum Protokolle gehört, weiter aber kein Prozeß nach Erkenntniß darüber zugelassen, vielmehr mit Aufnehmung des Beweises selbst weiter verfahren werden; allermaaßen


(722) Prozeßordn. Drei u. dreißigster Titel.

durch die §. 7. verordnete vorläufige Prüfung des Richters schon dafür gesorgt ist, daß ein solches Gesuch niemals ohne allen rechtlichen Grund Statt finden, übrigens aber aus der Aufnehmung des Beweises selbst dem Provokaten nie ein wesentlicher Nachtheil erwachsen kann; da ihm alle seine Einwendungen gegen die Erheblichkeit des Fakti, gegen die Art des Beweises, und was sonst dabei zur Beobachtung seiner Nothdurft gehört, zur nähern Ausführung in dem künftigen Hauptprozesse vorbehalten bleiben.

§. 17.

Besteht das Anbringen des Provokaten darin, daß er bei der Species facti des Provokanten etwas zu erinnern, oder zu suppliren hat; so muß der Deputirte dieses gehörig aufnehmen, die Umstände in facto dabei auseinander setzen, und in Zusammenhaltung derselben, mit der von dem Provokanten vorgetragenen Erzählung, den Statum controversiae über das streitige Faktum reguliren; damit demnächst, bei der Aufnehmung des Beweises selbst, auf beiderlei Angaben gehörig Rücksicht genommen werden könne.

§. 18.

Hat endlich der Provokat Einwendung gegen die Qualität des Beweismittels, insonderheit gegen die Person des Zeugen; so müssen die Fakta, worauf selbige beruhen, gehörig auseinander gesetzt; der Provokat darüber vernommen; und wenn die Parteien nicht einig sind, die nähere Untersuchung, in so fern es der Povokat verlangt, der Vorschrift Tit. X. §. 234. u.f. gemäß, mit der Aufnehmung des Beweismittels zugleich, verfügt werden.

§. 19.

Ueber dergleichen Verwerfungsursachen findet jedoch hier eben so wenig, als in dem ordentlichen Prozesse, ein besonderes Erkenntniß Statt; sondern so, wie der Provokant bei künftiger Verhandlung


(723) Beweis zum ewigen Gedächtnisse.

der Sache von den durch die vorläufigen Beweisaufnehmung ausgemittelten Thatsachen Gebrauch macht, so kann eben daselbst ein Gleiches auch von dem Provokaten, mit den vorläufig untersuchten Einwendungen gegen die Qualität des Beweismittels, geschehen.

2.) Wenn die Aufnehmung des Beweises anders erfolgen muß.

§. 20.

Ist hingegen in dem zweiten Falle des §. 8. zur Aufnahme des Beweises ein Kommissoriale oder Requisitionsschreiben an auswärtige Gerichte oder Gerichtspersonen erforderlich, so muß zuvörderst der nach Maaßgabe §. 10. 11. so nahe als möglich anzuberaumende Termin abgewartet; in diesem Termine nach der Vorschrift §. 12-19. verfahren, und erst nach dessen Ablaufe die weitere Verfügung wegen wirklicher Aufnahme des Beweises erlassen; auch dem Kommissoriali oder Requisitoriali jedesmal ein nach der Vorschrift Tit.X. §. 218. abgefaßter Status causae beigefügt werden.

Verfahren in dringenden Fällen.

§. 21.

Es ist sowohl im vorstehenden, als oben in dem eilften Paragraphen verordnet, daß der Termin zur Vernehmung des Provokaten in der Regel früher, als die wirkliche Aufnehmung des Beweismittels selbst, vor sich gehen solle. Wenn aber auch eine so nahe und dringende Gefahr des Verlustes dieses letzteren bescheinigt wäre, daß mit der Aufnehmung desselben unverzüglich, und ohne erst die Erklärung des Provokaten abzuwarten, verfahren werden müßte; so muß dieß zwar geschehen, dessen ungeachtet aber doch ein Termin zur Vernehmung des Provokaten anberaumt, und darin wie §. 13.u. f. vorgeschrieben ist, verfahren werden; welches nicht nur den Nutzen haben kann, daß, wenn der Provokat die species facti des Provokanten suppliren oder berichtigen will, der Zeuge, welcher vielleicht noch nicht gestorben, oder noch nicht abgereist ist u. s. w., über die von dem Provokaten angegebenen Umstände des Fakti


(724) Prozeßordn. Drei u.dreißigster Titel.

nochmals vernommen werden könne; sondern auch der Provokat solchergestalt die Gelegenheit behält, seine gegen die Qualität des Beweismittels habenden Einwendungen vorzubringen, und auf deren vorläufige Untersuchung nach Maaßgabe §. 18. anzutragen.

§. 22.

Wenn endlich der Provokant nachgewiesen hätte, daß die im Verzuge obwaltende Gefahr eines gänzlichen Verlustes des Beweismittel so dringend sey, daß die Zeit zur Anbringung seines Gesuchs bei dem nach §. 3. kompetenten Richter nicht einmal hinreiche; so kann zwar ein jeder Richter, in dessen Jurisdiktionsbezirke der zum ewigen Gedächtnisse abzuhörende Zeuge betroffen wird, diese Abhörung sofort verfügen. Er muß aber nicht nur die Veranstaltung treffen, daß dem Provokaten ein Assistent, und zwar, wo möglich, ein Rechtsverständiger, von Amts wegen zugeordnet werde, welcher der Vereidung und Anhörung des Zeugen beiwohne; sondern er muß auch dem Provokaten von der ganzen vorgefallenen Verhandlung umständliche Nachricht schleunigst mittheilen.

II. Wenn der Hauptprozeß schon anhängig ist.

§. 23.

Wenn in dem ersten §. 2. bestimmten Hauptfalle der Prozeß, zu welchem die Aufnehmung des Beweises zum ewigen Gedächtnisse gehört, schon rechtshängig ist, und nur die Regulirung des Status causae et controversiae ohne Schuld des Provokanten aufgehalten wird; so ist die Angabe und Bescheinigung von Umständen, welche den Verlust des Beweismittels besorgen lassen, zur Begründung des Gesuchs hinreichend.

§. 24.

Findet der Richter dasselbe hiernach hinlänglich qualifiziert, so muß er, wegen Aufnehmung des Beweises, die erforderlichen Vorkehrungen nach §. 9.


(725) Beweis zum ewigen Gedächtnisse.

sofort treffen; zugleich aber einen besondern möglichst nahen Termin zur Vernehmung des Gegentheils darüber anberaumen.

§. 25.

In diesem Termine muß mit Verhandlungen der Sache nach Vorschrift §. 12-21. weiter verfahren werden.

Verfahren bei der Aufnehmung der Beweismittel selbst.

§. 26.

Bei der Aufnehmung der Beweismittel selbst sind die desfalls Tit. X, Abschn. IV. u VI. enthaltenen Vorschriften zu beobachten. In Fällen, wo der Hauptprozeß noch nicht anhängig ist, oder sonst die Parteien, oder doch der Provokat, mit selbst gewählten Bevollmächtigten oder Assistenten noch nicht versehen sind, muß nach der Vorschrift Tit. X. §. 219. u. f. verfahren werden.

§. 27.

Von dem aufgenommenen Protokolle werden beiden Theilen Abschriften zugefertigt; das Original aber in der Registratur aufbewahrt, und dem Provokanten über dessen Einbringung Rekognition ertheilt.

§. 28.

Die Aufnehmung des Beweises zum ewigen Gedächtnisse geschieht allemal auf Kosten des Provokanten; welcher jedoch, wenn er künftig in der Hauptsache ein obsiegliches Urtel erhält, auf den Erlaß desselben anzutragen berechtigt ist.

§. 29.

Wenn nun hiernächst die Hauptsache selbst zur ordentlichen rechtlichen Erörterung gelangt, so muß der Richter, bei Ausmittelung der darin vorkommenden Thatsachen, von diesen Protokollen Gebrauch machen. In wie fern dieselben ein dergleichen Faktum ganz oder zum Theil ins Licht setzen; was ihnen für ein Grad von Beweiskraft beizulegen; in wie fern allenfalls über die alsdann näher und umständlicher entwickelten Fakta der vielleicht noch vorhandenen


(726) Prozeßordn. Vier u. dreißigster Titel.

Zeuge (!), unter Erinnerung seines bereits geleisteten Eides, nochmals abzuhören sey? dieß alles muß von den Gerichten, nach Bewandtniß der Umstände eines jeden vorkommenden Falles, geprüft und beurtheilt werden.

Vier und dreißigster Titel.

Vom Verfahren in Injuriensachen.

§. 1.

Bei dem Verfahren in Injuriensachen sind folgende Fälle zu unterscheiden:

1. Wenn beide Theile zum Bauer- oder gemeinen Bürgerstande gehören, und zwischen ihnen bloße Verbal- oder leichte Realinjurien vorgefallen sind. (Allg.L.R.Th.II.Tit.XX.§. 607. 612. 629.) Zum gemeinen Bürgerstande werden hier gerechnet Handwerker und Professionisten, nebst allen denjenigen, welche nach der gemeinen Meinung diesen gleich, oder geringer geachtet werden.

II. Wenn in dem gleichen Falle bloßer Verbal- oder leichter Realinjurien entweder beide Theile, oder der Beleidigte allein, zum mittleren oder höheren Bürgerstande gehören, und bei den vorgefallenen Injurien keine erschwerenden Umstände vorwalten. ( Allgem. L. R. a. a. O..§. 628. 630.)

III. Wenn Verbal- oder leichte Realinjurien unter Personen von Adel- oder Offizierstande, oder solchen, die in adeligen Bedingungen stehen, jedoch ohne erschwerende Umstände, vorgefallen sind; oder wenn in gleichem Falle auch nur der Beleidigte zu einem dieser Stände gehört; oder wenn der Betheiligte zwar nur zum mittlern oder höhern Bürgerstande zu rechnen,


(727) Injuriensachen.

die Beleidigung aber mit erschwerenden Umständen verknüpft ist. (§. 630.)

IV. Wenn schwere Realinjurien vorgefallen sind, wobei es auf den Unterschied des Standes nicht ankommt. (§. 637) Oder wenn die Beleidigung zwischen Personen der Nr. III. benannten Stände unter erschwerenden Umständen vorgefallen ist. (§. 623 u. f.)

V. Wenn von den Parteien der eine zum Militair-, der Andere aber zum Zivilstande gehört.

Verfahren bei Verbal - oder leichten Realinjurien unter Leuten gemeinen Standes.

§. 2.

I. Im erstern Falle, wenn bloße Verbal- oder nur leichte Realinjurien unter Personen gemeinen Standes vorgefallen sind, findet das Tit. XXVI. §. 15. 16. 17. vorgeschriebene abgekürzte Verfahren statt.

§. 3.

Wenn der Denunciat, seines geringen Standes ungeachtet, dennoch in erster Instanz unter das Obergericht gehört; so müssen die Vorschriften Tit. XXVI. §. 4.-7. beobachtet werden.

§. 4.

Von dem auf die Instruktion erfolgenden Urtel findet in Ansehung der Privatgenugthuung gar kein Rechtsmittel, in Ansehung der erkannten Strafe hingegen nur ein Milderungsgesuch statt, so bald diese Strafe einen vier und zwanzigstündigen Arrest übersteigt.

§. 5.

In diesem Falle muß dem Denunciaten das ihm offenstehende Rechtsmittel bei Publikation des Erkenntnisses bekannt gemacht, und ein nicht leicht über Acht Tage hinaus zu setzender Termin bestimmt werden, in welchem er sich melden und das Milderungsgesuch anbringen könne.


(728) Prozeßordn. Vier u. dreißigster Titel.

§. 6.

Meldet er sich in diesem Termin nicht, so wird mit Vollstreckung des Urtels ohne weitern Anstand verfahren. Meldet er sich aber, so wird das Gesuch nebst den zur Unterstützung desselben etwa anzuführenden Gründen, zum Protokolle aufgenommen, und mit diesem Protokolle werden die Akten sofort, und ohne weiteres Verfahren, dem gehörigen Obergerichte vorgelegt.

§. 7.

Bei diesem wird die Sache unter dem gewöhnlichen Memorialienvortrage mit erörtert, und das Erforderliche durch eine bloße Resolution festgesetzt. Mit dieser Resolution werden die Akten an den Unterrichter zur Publikation zurück geschickt; und bei dem, was solchergestalt festgesetzt worden ist, hat es lediglich sein Bewenden.

II. Bei Verbal- und leichten Realinjurien unter Personen des mittleren oder höheren Bürgerstandes ohne erschwerende Umstände.

§. 8.

II. In dem zweiten §. 1. bestimmten Falle, wenn Verbal- und leichte Realinjurien unter Personen des mittleren oder höheren Bürgerstandes vorgefallen sind, oder wenn auch nur der Beleidigte und Kläger zu diesem Stande gehört, und seine erschwerenden Umstände bei der Sache vorwalten,

findet das ordinaire und gewöhnliche Verfahren, wie in jedem anderen Zivilprozesse, der Regel nach Anwendung.

§. 9.

Nur weil außer der von dem Kläger verlangten Privatgenugthuung, zugleich über die vom Beklagten etwa verwirkte öffentliche Strafe zu erkennen ist, so folgt daraus:

1) daß wegen der Vorladung des Beklagten nach den im folgenden Titel vorkommenden Anweisungen zu verfahren sey;

2) daß der Instruent auf diejenigen Punkte, welche in die Bestimmung der Strafe Einfluß haben


(729) Injuriensachen.

könnten, sein Augenmerk von Amts wegen richten, und dergleichen Thatsachen, sie mögen zur Ueberführung oder Entschuldigung des Denunciaten gereichen, auch ohne den Antrag des Denunciaten ins Licht zu setzen, sich angelegen seyn lassen müsse;

3.) daß besonders bei der Regulirung des Status causae et controversiae mit vorzüglicher Aufmerksamkeit darauf zu sehen sey, daß weder unerhebliche noch überflüssige Fakta zum Beweise gestellt, noch auch durch unnöthige Vervielfältigung aufzunehmender Beweismittel der Prozeß verzögert, und die Kosten erschwert werden.

besonders, wenn Exceptio veritatis entgegen gesetzt wird.

§. 10.

Da nach Vorschrift der Gesetze die Wahrheit des gemachten schimpflichen Vorwurfs unter gewissen Umständen den Denunciaten von der Privatgenugthuung entbinden, und die Strafe mildern kann (Allg. L. R .a. a. O.§. 548-551); so muß, wenn der Denunciat diesen Einwand entgegen setzt, der Instruent ihn auffordern, bestimmte Fakta darüber, und unverdächtige Beweismittel anzugeben. Geschiehet dieses, so muß der Instruent das Protokoll sofort dem Kollegio vorlegen, und dieses muß beurtheilen; ob die Angaben des Denuncianten eine förmliche Untersuchung gegen den Denuncianten rechtlich begründen.

§. 11.

Findet das Kollegium die Sache zu einer solchen Untersuchung qualificirt, so muß dieselbe fördersamst veranlaßt, und unterdessen der Injurienprozeß so lange, bis in der Untersuchungssache rechtskräftig erkannt ist, ausgesetzt werden.

Anh. §. 216. In Injuriensachen wird das Verfahren erster Instanz nicht nach den hier ertheilten Vorschriften eingeleitet; es soll vielmehr jederzeit nach den §. 4-7. Titel XXVI. Theil I. verfahren werden, und davonur alsdann eine Ausnahme Statt finden, wenn


(730) Prozeßordn. Vier u. dreißigster Titel.

eine Verwundung erfolgt ist, oder Personen, welche durch Geburt oder Rang eine vorzügliche Achtung zu fordern, berechtigt sind, gröblich beleidigt worden, in welchen Fällen der zweite Abschnitt Tit. XXXV. Theil I. zur Richtschnur dient.

Anh. § 217. Wider die in Injuriensachen ergehenden Urtel, worin entweder auf eine, die summe von 5 Rthlr. nicht übersteigende Geldstrafe erkannt, oder jemand aus dem Bauer-, oder gemeinen Bürgerstande zu Gefängnißstrafe von nicht mehr als 24 Stunden verurtheilt worden ist, soll kein ferneres Rechtsmittel Statt finden, sondern das Erkenntniß nach dessen Publikation unverzüglich vollstreckt werden.

Anh. § 218. Ist auf eine härtere, jedoch nicht mehr als 50 Rthlr. betragende Geldbuße erkannt; so ist dem Bestraften zu gestatten, ein Milderungsesuch einzureichen, und wird sodann das im §. 15. vorgeschriebene verfahren beobachtet.

Anh. § 219. Ein Gleiches findet Statt, wenn jemand aus dem Bauer- oder gemeinen Bürgerstande zu mehr als 24stündigem Arrest, oder jemand aus den mittleren oder höheren Ständen überhaupt zu einer Gefängnißstrafe verurtheilt worden ist, in so fern in beiden Fällen die Dauer der Strafe den Zeitraum von 4 Wochen nicht übersteigt.

Anh. §. 220. Ist auf eine härtere Strafe als 50 Rthlr. Geldbuße oder vierwöchentliches Gefängniß erkannt worden, so findet das Rechtsmittel der weiteren Vertheidigung Statt, und das Verfahren wird durch die Vorschriften des § 88. und folg. Tit. XXXV Th I. bestimmt.

Anh. § 221. In allen Fällen, in welchen der Cestrafte ein Milderungsgesuch anbringt oder das Rechtsmittel der weitern Vertheidigung einwendet, muss die Eingabe oder das aufgenommene Protokoll dem Gegner mitgetheilt und ihm freigestellt werden, binnen einer kurzen präklusivischen Frist eine Gegenausführung einzureichen, auf deren Inhalt bei Entscheidung der Sache Rücksicht zu nehmen ist.

Anh. § 222. Wenn darüber Zweifel entsteht, zu welcher Klasse des Bürgerstandes der

Kläger oder Beklagte gehört, so muss der Richter erster Instanz nach der ihm beiwohnenden Kenntniß seiner Gerichtseingesessenen und nach der allgemeinen Meinung, worin dieses oder jenes Individuum bei seines Gleichen steht, pflichtmäßig bestimmen, zu welcher Klasse des Bürgerstandes, ob zu dem höhern, mittlern oder niedern, die Partei , von der die Rede ist, gehört: Hierüber muss sodann mit Anführung der Gründe das Erfoderliche zu den Akten verzeichnet


(731) Injuriensachen.

werden, um dadurch das Ermessen der höheren Richter gehörig vorzubereiten.

§. 12.

Findet aber das Gericht die Sache zu einer Untersuchung gegen den Deuncianten nicht qualificirt; oder ist der Vorwurf so beschaffen, daß, wenn er auch wahr wäre, der Denunciant dennoch gegen ein Strafgesetz nicht gehandelt haben würde; so muss sich der Instruent auf Erörterungen und Beweisaufnahmen, welche blos die Ausmittelung der Wahrheit des Vorwurfs zur Absicht haben, weiter nicht einlassen; sondern die Instruktion nur auf solche Umstände richten, welche die An- oder Abwesenheit des Vorsatzes zu beleidigen bei dem Denuncianten ins Licht setzen können.

§ 13.

In dem Erkenntnisse ist sowohl die Privat- als öffentliche Genugthuung zu bestimmen. Wenn nach Vorschrift der Gesetze, wegen nicht ausgemittelten Vorsatzes zu beleidigen, auf eine bloße Ehrenerklärung zu erkennen ist (Allg. L. R. 586-594); so muß der Richter zugleich bestimmen: wie die Privatgenugthuung geleistet werden, und was für eine Strafe erfolgen solle, wenn der Denunciat die Ehrenerklärung zu leisten sich weigerte, und also für einen wirklich vorsätzlichen Injurianten geachtet werden müsse. Wenn auf ertheilung eines richterlichen Verweises erkannt wird; so müssen die Ausdrücke, in welchen, und die übrigen Umstände, unter welchen der Beweis ertheilt werden soll, in dem Urtel bestimmt werden. (Enend. §. 595. u. f.)

Rechtsmittel in diesem Falle.

§. 14.

Gegen dergleichen Erkenntniß steht beiden Theilen die zweite, aber keine fernere Instanz, in so weit offen, als der die Privatgenugthuung betreffende Theil desselben allein, oder doch zugleich, den Gegenstand der Beschwerden ausmacht.


(732) Prozeßordn. Vier u. dreißigster Titel.

§. 15.

Wenn aber der Denunciat bloß durch den Theil des Urtels, welcher die öffentliche Genugthuung zum Gegenstande hat, beschwert zu seyn glaubt; so ist ein Unterschied zu machen: ob die erkannte Strafe Gefängnißstrafe von 4 Wochen, oder 50 Thaler Geldbuße übersteige, oder nicht.

Ist nur auf Gefängnißstrafe von 4 wochen oder weniger, oder nur auf Geldstrafe von 50 Thalern oder weniger erkannt; so findet kein formliches Remedium oder Appellationsverfahren, sondern nur ein Niederschlagungs- oder Milderungsgesuch Statt.

Dieß muß der Denunciat binnen 10 Tagen bei dem Richter, von welchem erkannt worden ist, entweder schriftlich, oder zum Protokolle anmelden, und die Gründe zur Unterstützung desselben anführen. Auf neue Umstände in facto wird dabei keine Rücksicht genommen, in so fern sie nicht sogleich bei der Anbringung des Gesuchs bescheinigt worden sind. Mit diesem solchergestalt aufgenommenen Gesuche werden die Akten ohne weiteres Verfahren an dasjenige Gericht, welches sonst in zweiter Instanz, oder auf das förmliche Rechtmittel der weiteren Vertheidigung zu erkennen haben würde, eingesendet; und von diesem wird das Weitere nach Vorschricht §7. verfügt.

Ist hingegen auf eine schwerere Strafe erkannt, so steht dem Denuncianten das Rechtsmittel der weitern Vertheidigung offen, mit dessen Aufnehmung und Instruktion nach vorschrift des folgenden Titels verahren wird.,

§. 16.

Dem Denuncianten, welcher sich entweder über die erfolgte Entbindung des Denunciaten von aller Strafe beschwert, oder der die erkannte Strafe für zu gelinde hält, kann darüber allein kein Rechtstmittel verstattet werden; vielmehr steht es ihm bloß frei,


(733) Injuriensachen.

die Gründe dieser seiner Behauptung dem Obergerichte der Provinz, es mag dieses das Urtel selbst abgefaßt haben aber nicht, schriftlich anzuzeigen. Hat das Obergericht das Urtel nicht selbst abgefaßt, so muss es die aAkten von dem Untergerichte einfordern, und wenn nach selbigen der Antrag des Denuncianten nicht offenbar unerheblich befunden wird, dieselben einem fiskskalischen bedienten vortragen. Ein gleiches muss allemal sofort geschehen, wenn das Obergericht das Erkenntniß selbst abgefaßt hat.

Anh. § 223. Ist wegen harter Beschimpfungen oder Realinjurien geklagt worden, oder gehört der Kläger zu den mittleren oder höheren Ständen, so soll diesem frei stehen, darüber, daß der Beklagte freigesprochen, oder vermeintlich zu gelinde bestraft worden sei, ein Rechtsmittel einzuwenden. Die Zuziehung und Vernehmung eines fiskalischem Bedienten fällt dabei weg.

Anh. § 224. Das vom Kläger einzuwendende Rechtsmittel muß jedoch, bei Verlust desselben, bei der Publikation angemeldet werden, vorausgesetzt, daß der Kläger sich persönlich gegenwärtig befunden hat. Ist Letzteres nicht der Fall gewesen, so tritt die gewöhnliche Appellationsfrist ein. Auf die Anmeldung wird dem Kläger eine kurze präklusivische Frist zur Einreichung einer Deduktion , und nach Eingang derselben dem Beklagten eine gleichmäßige Frist zur Gegendeduktion bestimmt.

Anh. § 225. In allen Fällen, in welchen in zweiter Instanz ein in erster Instanz Freigesprochener zur strafe verurtheilt oder die erkannte Strafe geschärft worden ist, steht dem Verurtheilten frei, auf eine nochmalige Entscheidung der höheren Instanz anzutragen.

Anh. § 226. Hat der Kläger mit der Injurienklage zugleich den Anspruch auf Ersatz des ihm an seiner Gesundheit oder an seinem Vermögen zugefügten Schadens verbunden, so bestimmt der Betrag der geforderten Entschädigung die Zulässigkeit der Appellations- oder Revisionsinstanz Nach den allgemeinen deshalb geltenden Vorschriften.

Anh. § 227. Wenn in Injuriensachen der Kläger vor Publikation des ersten Urtels seiner Klage oder Denunciation ausdrücklich entsagt, oder wenn beide Theile sich vor diesem Zeitpunkte verglichen; so nimmt das Gericht von dem Vorfall keine weitere Kenntniß und es wird mit Reposition der Akten verfahren, wobei es keinen Unterschied macht, ob ein bloßer Injurienprozeß


(734) Prozeßordn. Vier u. dreißigster Titel.

eingeleitet oder eine fiskalische Untersuchung eröffnet worden sey.

Anh. § 228. Wegen der Einwendung des Beklagten, daß der dem Kläger gemachte schimpfliche Vorwurf in der Wahrheit gegründet sei, soll das Verfahren in der Injuriensache nicht ausgesetzt, sondern nur dem Beklagten freigestellt werden, darüber Beweismittel beizubringen, daß er hinlängliche Veranlassung gehabt habe, den Vorwurf für wahr zu halten. Wird dieses vom Beklagten bewiesen, so muß ihm solches als Milderungsgrund zu Statten kommen; und dem Ermessen des erkennenden Gerichts bleibt es überlassen, ob gegründete Veranlassung zu einer Untersuchung wider den Beleidigten vorhanden sey.

Anh. § 229. Der Antrag auf Privatgenugthuung durch Verweis, Abbitte oder Ehrenerklärung findet nicht ferner Statt; vielmehr muss in dem Erkenntnisse bloß über die Strafe erkannt werden, wobei es dem Kläger frei steht, eine Ausfertigung der Urtelsformel auf Kosten des Beleidigers zu verlangen, und bei Beleidigungen, die durch Pasquille zugefügt worden sind, die erkannte Strafe öffentlich bekannt zu machen.

Anh. § 230. Ist gegen ein Kontumacialerkenntniß ein Milderungsgesuch angebracht worden, so muss die Instruktion wegen der zur Entschuldigung angeführten Thatsachen vom Richter jederzeit veranlaßt werden.

Anh. § 231. Das im §.216. des Anhanges vorgeschriebene abgekürzte Verfahren hat übrigens auf die Beschaffenheit des Beweises keinen Einfluß; es begündet mithin die Aussage eines einzigen Zeugen seinen vollen Beweis.

Anh. § 23. Der Eid ist in Injuriensachen als ein zulässiges Beweismittel nicht anzusehen.

§ 17.

Findet der fiskalische Bediente keinen Grund, auf eine Strafe, oder auf die Erhöhung der erkannten anzutragen; so wird der Denunciant durch eine bloße Resolution abgewiesen, bei der es lediglich sein Bewenden hat.

§. 18. Fällt aber das Gutachten des fiskalischen Bedienten dahin aus, daß der Denunciat, nach der in den Akten erster Instanz enwickelten Lage der Sache, eine Strafe, oder eine höhere, als die erkannte, verwirkt haben möchte; so wird dieses Gutachten dem


(735) Injuriensachen.

Denunciaten zur schriftlichen Vertheidigung, innerhalb einer nach den Umständen zu bestimmenden präklusivischen Frist, zugefertigt; und sodann werden die Akten bei derjenigen Behörde, welche sonst auf das Rechtsmittel der weitern Vertheidigung zu erkennen haben würde, zum Spruche vorgelegt. Wird durch das Erkenntniß dieser Behörde eine nicht erkannte Strafe festgesetzt, oder die erkannte geschärft, so steht dem Denunciaten dagegen noch das § 15 beschriebene Rechtsmittel offen

§. 19.

Wenn auch der Denunciant in seiner §16 beschriebenen Beschwerde neue Thatsachen oder Beweismittel einmischt, so wird doch auf diese keine Rücksicht genommen. Zielen die neuen Thatsachen auf Handlungen des Denunciaten ab, welche denselben, wenn auch kein Injurienprozeß angestellt wäre, zur fiskalischen oder gar peinlichen Untersuchung qualificiren würden ; so ist diese Untersuchung, wenn anders der Richter die Anzeigen an sich erheblich und hinreichend beglaubigt findet, in besonderen Akten, und in erster Instanz, zu veranlassen. Mit dem Injurienprozesse hingegen hat dieselbe nichts weiter gemein.

§. 20.

Bei dieser, so wie bei der ersten Klasse der Injurienprozesse, kann die Klage auf Privatgenugthuung zugleich mit auf den Ersatz des am Leibe oder am Vermögen erlittenen Schadens gerichtet werden. Sollte der geforderte Betrag dieses Schadens die Summe von Funfzig Thalern übersteigen, so finden, wegen der darüber zulässigen zweiten und resp. dritten Instanz, die allgemeinen Vorschriften der Prozeßordnung statt.

III. Bei Verbal- oder leichten Realinjurien unter erschwerenden Umständen, oder unter Personen höhern Standes.

§. 21.

In dem dritten § 1. festgesetzten Falle: wenn Verbal- oder leichte Realinjurien unter


(736) Prozeßordn. Vier u. dreißigster Titel.

Personen von höherem Stande, jedoch ohne erschwerende Umstände, vorgefallen sind; oder wenn der Beleidigte zwar nur zum mittlern oder höhern Bürgerstande zu rechnen, die Beleidigung aber unter erschwerenden Umständen erfolgt ist,

findet kein eigentlicher Injurienprozeß,  sondern eine fiskalische Untersuchung nach Vorschrift des folgenden Titels statt.

§. 22. Die Untersuchung wird also zwar von Amts wegen geführt; doch muß der Denunciant die nöthigen Umstände, Data und Beweismittel an die Hand geben; und der Instruent muß die Untersuchung auf diejendigen Umstände, welche die Privatgenugthuung des Beleidigten betreffen, mit richten. Er muß denselben bei der Erörterung solcher Umstände zuziehen; und ihn auch außerdem im ganzen Laufe der Untersuchung, bei allen Verhandlungen, zu denen er sich meldet, und denen nach allgemeinen Vorschriften eine Partei beiwohnen darf, unweigerlich zulassen.

§. 23.

Das darauf abzufassende Erkenntniß hat zwar hauptsächlich die öffentliche Genugthuung zum geGenstande; es muss aber zugleich mit auf die Privatsatifaktion, und den etwanigen eingeklagten Schadensersatz gerichtet werden.

§. 24.

Wegen der gegen ein solches Erkenntniß zulässigen Rechtsmittel finden die Vorschriften § 14-20. Anwendung.

IV. Bei schweren Injurien.

§ 25.

In dem vierten §. 1. angegebenen Falle: wenn entweder überhaupt schwere Realinjurien vorgefallen sind; oder wenn andere Injurien zwischen Personen des Adels oder Offizierstandes unter erschwerenden Umständen verübt worden,


(737) Injuriensachen.

muß förmliche Kriminaluntersuchung veranlaßt werden; wobei zwar auch mit auf die Privatsatifaktion des Beleidigten, in so fern er dergleichen verlangt, und nach Vorschrift der Gesetze verlangen kann, Rücksicht zu nehmen ist; ein etwaniger Schadensersatz aber zu besonderen Verhandlungen verwiesen werden muß.

V. Bei Injurien zwischen Militair- und Civilpersonen.

§. 26.

V. So viel endlich den fünften §. 1. angegebenen Fall betrifft:

wenn Injurien gegen eine Militaiperson von jemanden aus dem Civilstande verübt worden,

so ist zwar die Verfahrensart dabei an sich nach den Vorschriften bei den übrigen vier oben bestimmten Fällen einzurichten.

Anh. §. 233. Die in §. 26. u. f. enthaltene Ausnahme von den Regeln des Gerichtsstandes in Absicht der gegen Militairpersonen ausgeübten Beleidigungen finden nicht mehr Statt. In wechselseitigen Injuriensachen ist jedoch die gegen die Militairperson vom Militairgericht erkannte sStrafe nicht eher zu vollstrecken, als bis auch über die Verschuldung der Civilperson vom Civilgericht erkannt worden ist.

Anh. §. 234. Offizieren, welche wegen Injurien klagen, soll die Vorschrift des Allgemeinen Landrechts Th. II. Tlt. XX. §. 654.

nach welcher ihnen freisteht, wenn sie keine Injurienklage anstellen wollen, die ihnen widerfahrene Beleidigung nebst den Beweismitteln über die Thatsache, dem Richter bloß zur Untersuchung anzuzeigen,

nebst deren Wirkung, vor Einleitung des Verfahrens jederzeit bekannt gemacht werden.

Anh. §. 235. Wenn von den zum königlichen Hofstaate gehörigen Officianten, Livreebedienten oder Stallleuten Klagen gegen ihres Gleichen, ihre Vorgesetzten oder Untergebenen über im Dienst erlittene Injurien angebracht werden; so haben die Gerichte solche nicht anzunehmen, sondern die Kläger damit an den Hofmarschall oder an den Oberstallmeister zu verweisen.

Anh. 236. Ist von einem Regierungsofficianten aus Veranlassung seines Amtes jemand beleidigt worden, und will dieser die Beleidigung nicht im Wege des Prozesses oder der Untersuchung, sondern nur als eine


(738) Prozeßordn. Vier u. dreißigster Titel.

Verletzung der Amtspflichten rügen; so gehört die Sache als eine Disciplinarangelegenheit, vor die Dienstbehörde.

§. 27.

Doch soll, wenn auch sonst die Instruktion, nach dem Stande des Beleidigers und Denunciaten, vor ein Untergericht gehören würde, dieselbe dennoch, so bald der Beleidigte darauf anträgt, von dem Obergerichte der Provinz geführt werden.

§. 28.

Wenn aber auch die Sache bei einem Untergerichte instruirt worden ist, so muß dennoch dasselbe die geschlossenen Akten an das ihm vorgesetzte Obergericht zur Abschaffung des Erkenntnisses einsenden. Wenn jedoch der Beleidigte ausdrücklich erklärt, daß er das Erkenntniß bei dem instruirenden Untergerichte sich gefallen lasse, so muss dasselbe von diesem abgefaßt werden.

§. 29.

Obige Vorschriften (§. 27. 28.) finden auch bei Unteroffizieren und gemeinen Soldaten, deren Weibern, und unter ihrer väterlichen Gewalt stehenden Kindern Anwendung.

§. 30.

Sie leiden aber eine Ausnahme, wenn dergleichen Militairpersonen, als Beurlaubte oder Freiwächter, in bürgerlichem Gewerbe, oder bei dem Landbauer arbeiten, und bloße Verbal- oder geringe Realinjurien bei Gelegenheit eines solchen Geschäfts vorgefallen sind.

§. 31.

Wenn von Realinjurien gegen einen Offizier die Rede ist, so müssen die Obergerichte das abgefaßte Erkenntniß, mit den Akten, an das Kriminaldepartement des Justizministerii zur Bestätigung einreichen; wenn es auch sonst nach allgemeinen Vorschriften nicht erforderlich wäre.


(739) Injuriensachen.

Kosten.

§. 32.

Was schließlich die Kosten in Injuriensachen betrifft, so dürfen dieselben, den vierten Fall §. 25. ausgenommen, von den Gerichtsobrigkeiten in subsidium nicht getragen, sondern sie müssen, wenn der darin Verurtheilte unvermögend ist, gleich anderen ordinairen Prozesskosten, niedergeschlagen werden.

Anh. §. 237. Alles was von den Kosten in Prozessen überhaupt und vom Armenreche gilt, findet auch in Injurienprozessen Anwendung.

Fünf und dreißigster Titel.

Von fiskalischen Prozessen und Untersuchungen.

Erster Abschnitt.

Von fiskalischen Civilprozessen.

Allgemeiner Grundsatz.

§. 1.

Fiskalische Civilprozesse, wo der Fiskus gewisse, dem höchsten Landesherrn zukommende Regalien, Gerechtsame, Prästationen und Einkünfte, oder Domainen und Chatoullengüter, deren Zubehörungen, Grenzen und Gerechtigkeiten gegen andere bei den Gerichten einklagt oder vertheidigt, müssen, gleich anderen Privatrechtsangelegenheiten, je nachdem es die Regeln des im vorkommenden Falle, nach Beschaffenheit der Sache, eintretenden ordentlichen oder summarischen Prozesses mit sich bringen, verhandelt und instruirt werden.

Obliegenheiten des Fiskus.

§. 2.

Die Fiskäle, welchen der Betrieb eines solchen Prozesses von der Kammer oder sonstigen vorgesetzten Finanzbehörde aufgetragen wird, sind dabei als Bevollmächtige des Fiskus anzusehen; und stehen bei der Instruktion der Sache in eben dem Verhältnisse, haben auch eben die Pflichten zu beobachten,


(740) Prozeßordn. Fünf u. dreißigster Titel.

welche einem Justizkommissario, dem eine Privatpartei ihre Vollmacht zum Prozesse aufgetragen hat, obliegen.

§. 3.

Ein solcher Fiskal muß sich, statt der Vollmacht, durch einen Auftrag der Kammer oder sonstigen Finanzbehörde legitimiren. In Forstprozessen muß noch außerdem eine von dem Forstdepartement des Generaldirektorii ertheilte, oder genehmigte Instruktion, dem Richter im Original vorgelegt werden.

Anh. §. 238. Die Regierungen sind befugt, in Sachen ihres Ressorts Prozesse ohne Anfrage nach ihrer pflichtmäßigen Ueberzeugung anhängig zu machen, oder sich darauf einzulassen und durch die gesetzlichen Instanzen fortzusetzen. Es bedarf daher auch der Genehmigung der höhern Behörde in Ansehung der Forstprozesse nicht.

§. 4.

Dem Fiskale liegt, gleich jedem andern Justizkommissario, ob, für die Herbeischaffung der erforderlichen Information von den bei dem Prozesse vorkommenden Thatsachen zu sorgen; zu dem Ende die Kammer– und Amtsregistraturen nachzusehen; die Verwalter der Aemter oder Kassen, welche die Sache angeht, zu vernehmen; und überhaupt die zur Sache gehörenden Nachrichten überall, wo er dergleichen nach Beschaffenheit der Umstände, und nach der Natur des Geschäftes anzutreffen erwarten darf, einzusammeln. Die hieraus gezogene Information muß er der Kammer oder sonstigen Behörde, von welcher sein Auftrag ertheilt ist, zur Genehmigung vorlegen; nach den Anweisungen derselben sich achten; auch von den Nachrichten und Gründen, die ihm von selbiger etwa an die Hand gegeben werden, gehörig Gebrauch machen.

§. 5.

Das Justizkollegium hält sich wegen Herbeischaffung einer solchen vollständigen Information lediglich an den Fiskal, und verfährt gegen denselben, wenn


(741) Fiskalische Prozesse.

wegen eines vorgeschützten Mangels daran Prorogationen gesucht werden, oder Zögerungen sich finden, nach eben den Vorschriften, wie gegen einen andern von einer Privatpartei bevollmächtigten Justizkommissarius.

§. 6.

Die Fiskäle müssen daher eben so wohl, wie andere Bevollmächtigte, ordentliche und vollständige Manualakten halten, und sie dem Richter in allen Fällen, wo es die Prozeßordnung vorschreibt, oder es sonst nöthig gefunden wird, vorlegen.

§. 7.

Wegen bloß persönlicher, und in der Regel auch wegen Amtsverhinderungen, sind den Fiskälen keine Dilations– und Prorogationsgesuche zu verstatten; sondern es muß, wenn dergleichen Verhinderungen eintreten, von Seiten der Finanzbehörde dafür gesorgt werden, daß, statt des verhinderten Fiskals, ein anderer qualificirter Bevollmächtigter den Termin abwarte, oder das sonst Erforderliche wahrnehme.

§. 8.

Wenn ein Fiskal zu einer ihm aufgetragenen Untersuchung außerhalb des Sitzes des Gerichts, wegen der obwaltenden Gefahr im Verzuge, sich schleunig entfernen muß, und während der muthmaaßlichen Dauer seiner Abwesenheit ein Termin eintreten, oder eine Frist ablaufen würde; so liegt ihm ob, dem Gerichte davon sofort Anzeige zu machen. Läßt sich voraus sehen, daß die Abwesenheit nur vierzehn Tage oder kürzer dauern werde; so muß der Termin verhältnißmäßig prorogirt, oder die Frist verlängert werden. Ist aber eine längere Dauer der Abwesenheit zu vermuthen, so muß das Gericht die Manualakten einem Substituten des Fiskals zustellen lassen, und den Termin oder die Frist nur so weit verlängern, als diesem Substituten nöthig seyn möchte, um sich von


(742) Prozeßordn. Fünf u. dreißigster Titel.

der Sache, nach Beschaffenheit und Lage derselben, gehörig zu informiren.

Es muß daher bei allen Justizkollegien, wo fiskalische Prozesse vorkommen können, außer dem ordentlichen Fiskale, auch noch ein fiskalischer Substitut bestellt werden, welcher in den §. 7. u. 8. angezeigten Fällen die Vertretung des verhinderten Fiskals sofort übernehmen könne.

§. 9.

Wenn von einem Fiskale bei dem ordinairen, und bei dem Kammerjustizkollegio, zu einer und eben derselben Stunde Termine abgewartet werden sollen, und also einer derselben dem andern nachstehen muß; so muß diejenige Sache, zu welcher auswärtige Parteien persönlich zugereiset sind, oder die ihrer Beschaffenheit nach besondere Beschleunigung erfordert, der anderen vorgehen. Wegen des in dieser andern Sache zu verlegenden Termins aber, der doch immer nur auf einen oder etliche Tage prorogirt werden darf, muß der Fiskal sofort, wie er das Zusammentreffen dieser Termine erfährt, mit dem Instruenten, so wie mit dem gegenseitigen Bevollmächtigten, die nöthige Rücksprache nehmen.

§. 10.

Der zum Betriebe einer Sache bestellte Fiskal muß allen Verhandlungen in derselben vom Anfange bis zum Ende beiwohnen; und daher auch die etwa vorfallenden auswärtigen Lokalinstruktionen persönlich abwarten; es wäre denn, daß allzu weite Entfernung, oder andere besondere Umstände, in diesem oder jenem einzelnen Falle, die Zulassung eines Substituten bei solchen Lokalkommissionen unvermeidlich machen.

§. 11.

Pflichten der Kammern und anderen Finanzbehörden.

Den Kammern und sonstigen Finanzbehörden, unter deren Direktion und Verwaltung der Gegenstand oder das Geschäft, die der Prozeß betrifft, beruhet,


(743) Fiskalische Prozesse.

liegt ob, den Fiskal bei dem Betriebe desselben zu dirigiren, und unter Aufsicht zu halten; besonders aber demselben, wegen Einsammlung der zu seiner Information gehörigen Nachrichten, mit Fleiß, Sorgfalt und Nachdruck an die Hand zu gehen.

Anh. §. 239. In allen fiskalischen Zivilprozessen steht es den Regierungen frei:

1. nach der Analogie der Allgemeinen Gerichtsordnung Th. I. Tit. III. §. 21., ohne daß dadurch der Gang der Instruktion aufgehalten wird, oder der Gegenpartei Kosten verursacht werden, außer dem gewöhnlichen Stellvertreter des Fiskus, noch einen andern Deputirten abzuschicken, welcher der Instruktion beiwohnt, und darauf sieht, daß überall eine richtige, deutliche und vollständige Auseinandersetzung der Thatsache erfolge, nichts von Erheblichkeit übergangen, und bei Aufnehmung der Beweise mit genauer und gründlicher Sorgfalt verfahren werde. Dieser Deputirte darf sich übrigens in die Leitung des Verfahrens nicht mischen, oder eine Direktion desselben anmaaßen; er hat vielmehr bloß den eigentlichen Instruenten zu kontrolliren, und sich überhaupt in den § 198. Tit. X. Th. I. vorgeschriebenen Grenzen zu halten.

2. sind die Regierungen befugt, vor Abfassung des Erkenntnisses ein schriftliches Gutachten zu den Akten zu geben, worauf, in so fern es nicht auf bloße Rechtsfragen, sondern auf besondere landespolizeiliche oder finanzielle Verhältnisse und Verfassungen ankommt, von den Gerichten gebührende Rücksicht genommen, auch nach Befinden von ihnen die betreffende Regierung ersucht werden soll, einen Deputirten zu ernennen, der dem Vortrage der Sache bei dem Spruche beiwohne.

§. 12.

Das Justizkollegium muß daher, wenn eine Klage gegen den Fiskus aufgenommen worden ist, indem es die Vorladung an das eigentlich Beklagtens Stelle vertretende Amt, die Kasse, oder sonstige fiskalische Station erläßt, der Vorschrift Tit. VII. §. 28. gemäß, zu gleicher Zeit der Kammer, oder sonstigen vorgesetzten Behörde, davon Nachricht geben, und eine Abschrift der Klage, und deren Beilagen, wenigstens


(744) Prozeßordn. Fünf u. dreißigster Titel.

der hauptsächlichsten unter den letzteren, beifügen.

Diese Kommunikation muß ganz unentgeldlich geschehen, und es können der Privatpartei weder Gebühren, noch andere Kosten dafür angesetzt werden. Sind die Beilagen zu einer solchen doppelten Kommunikation zu weitläufig, so wird die einfache Abschrift derselben dem Schreiben an die Kammer (et)c., zur weitern Beförderung an die Behörde, beigeschlossen.

Anh. §. 240. Von den gegen den Post-Fiskus eingehenden Klagen muß nicht der Regierung der Provinz, sondern dem Generalpostamt unmittelbar Nachricht gegeben werden.

§. 13.

Sobald der Kammer (et)c. diese Nachricht zukommt, muß dieselbe

1) den Fiskal, welcher die Sache betreiben soll, sofort ernennen, und ihm den gehörigen Auftrag ertheilen;

2) dem Justizkollegio davon Nachricht geben; und

3) das Amt oder die Behörde, welche die Sache unmittelbar angeht, mit den nöthigen Anweisungen wegen Einsammlung der Nachrichten, und der darüber mit dem Fiskal zu führenden Korrespondenz versehen.

§. 14.

Auch muß die Kammer (et)c. die etwa in ihrer eigenen Registratur befindlichen, oder ihr sonst bekannten Akten und Nachrichten unverzüglich aufsuchen, und dem zur Sache bestellten Fiskal zum Behuf seiner Informationseinziehung vorlegen lassen; auch überhaupt demselben zu solchem Behufe alle in ihrer Kenntniß beruhende Data mit möglichster Sorgfalt ungesäumt an die Hand geben.

§. 15.

Die Kammer muß ferner auf die Korrespondenz zwischen dem Fiskal, und den unteren Behörden,


(745) Fiskalische Prozesse.

von welchen die Information eigentlich zu ertheilen ist, ein wachsames Auge haben; und wenn sie entweder selbst wahrnimmt, oder durch die Anzeige des Fiskals, oder gar des Gerichts, in Erfahrung bringt, daß dabei nicht überall der gehörige Fleiß und die nöthige Thätigkeit angewendet werde, eine solche säumige Behörde zu ihrer Schuldigkeit, durch Strafbefehle, und sonst, mit Ernst und Nachdruck anhalten.

§. 16.

Besonders müssen die Kammern (et)c. ihre eigenen Berichte und Anfragen an ihr vorgesetztes Departement so prompt als gründlich abstatten; damit sie darauf bald und bestimmt beschieden werden können, und also das die Sachen am meisten verzögernde wiederholte Hin- und Herschreiben vermieden werde.

§. 17.

Damit diese Mitwirkung der Kammer (et)c. zur Beschleunigung der fiskalischen Prozesse desto gewisser und leichter beobachtet werden könne, so ist auch bei dem Kammer- (et)c. Kollegio von einem jeden solcher Prozesse ein besonderes Aktenstück anzulegen, und darin ein beständiger Decernent zu bestellen, welcher für den ununterbrochenen Betrieb der Sache hauptsächlich sorgen und haften muß. Auch sind die schriftlichen Verfügungen in solchen Angelegenheiten in der Ausfertigung allemal vorzüglich zu beschleunigen.

§. 18.

So wie bei gehöriger Befolgung obiger Vorschriften erwartet werden kann, daß auch bei fiskalischen Prozessen derjenige ununterbrochene und prompte Betrieb, welchen die gegenwärtige Ordnung bei jeder Rechtssache überhaupt erfordert, in der Folge Statt finden, und jede unnütze zum Nachtheile der Privatpartei gereichende Verzögerung sorgfältig werde vermieden werden; so muß dagegen der Grundsatz dieser Ordnung, daß die Parteien von dem Richter nicht übereilt, noch die Gründlichkeit und Vollständigkeit


(746) Prozeßordn. Fünf u. dreißigster Titel.

der Instruktion der bloßen Beschleunigung, oder wesentliche Rechte bloßer Formalitäten aufgeopfert werden sollen, auch dem Fiskus zu Statten kommen; und daher bei Anberaumung und Verlegung der Termine, bei Bestimmung der Fristen, und sonst überall, sowohl auf die Natur und Beschaffenheit der Sache selbst, als auf die einmal bestehende Finanzverfassung, und die darnach zwischen den oberen und unteren Behörden, den Provinzialkollegien und den Departements des Finanzministerii nothwendigen Rückfragen, gehöriger Bedacht genommen werden.

Obliegenheiten der Justizkollegien.

§. 19.

Den Justizkollegien und deren Präsidenten liegt ob: auf den Betrieb der fiskalischen Prozesse ein ganz genaues ununterbrochenes Augenmerk zu richten, und dahin zu sehen, daß auf der einen Seite hinlänglich geraume Fristen und Termine, so wie es bei jedem Falle die besondere Beschaffenheit desselben erfordert, bestimmt; anderer Seits aber auch, wenn dergleichen Termine und Fristen nicht gehörig eingehalten würden, der Ursache des Verzugs genau nachgeforscht werde.

Beruht dieselbe in einer Vernachlässigung des fiskalischen Bedienten, so ist dieser dafür mit den in gegenwärtiger Ordnung bestimmten Strafen ohne Nachsicht zu belegen. Hat ein Amt oder andere untergeordnete Behörde an der Verzögerung Schuld, so muß den Dienstvorgesetzten derselben davon, zur weitern nach §. 15. zu treffenden Verfügung, Anzeige geschehen. Sollte aber wider Verhoffen die Kammer (et)c. selbst zu dem bemerkten Aufenthalte Anlaß geben, so muß darüber an den Chef der Justiz, zur weitern Rücksprache mit dem kompetenten Departement des Staatsministerii, berichtet werden.

Wegen des Kontumacialverfahrens;

§. 20.

In allen Fällen, wo gegen eine Privatpartei, wegen vorsätzlicher oder aus schuldbarer Sorglosigkeit


(747) Fiskalische Prozesse.

entstehender Verzögerung bei der Einlassung auf die Klage, oder auch im Fortgange der Instruktion, Erkenntnisse und Verfügungen in contumaciam Statt finden, sind die Justizkollegia so schuldig, als berechtigt, diese gesetzlichen Vorschriften auch gegen den Fiskus zur Anwendung zu bringen; und obgleich letzterm, so wenig wie einer Privatpartei, die Rechtswohlthat der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen eine solche Kontumacialverfügung zu versagen ist; so findet doch auch hier die Vorschrift Tit. XIV. §. 71. Nr. 3., wegen der dem Gegentheile vor allen Dingen zu erstattenden Kontumacialkosten, Anwendung. Das Gericht und der Kläger halten sich deswegen an die den Prozeß dirigirende Finanzbehörde, welcher überlassen bleibt, die vorzuschießenden Kosten von dem- oder denjenigen, welche an der Verzögerung oder Verabsäumung schuld sind, wieder einzuziehen.

§. 21.

Aber auch außerdem, wenn es zwar zu einer Kontumacialverfügung noch nicht gekommen ist, sich jedoch bei der Instruktion, oder auch erst bei der Aburtelung eines fiskalischen Prozesses findet, daß durch sorglose, oder gar geflissentliche Verzögerungen von Seiten fiskalischer Behörden, dem Gegentheile unnütze Kosten oder Schäden verursacht worden sind, muß auf deren Ersatz, auf die §. 20. vorgeschriebene Art, erkannt werden. Hat eine solche fiskalische Behörde durch ihr Benehmen in der Sache eine von den im Drei und zwanzigsten Titel bestimmten Strafen verwirkt, so muß auch darauf, wenn es der Fiskal selbst ist, erkannt; sonst aber der den Prozeß dirigirenden Finanzbehörde, oder allenfalls dem Chef der Justiz, zur weiteren Rücksprache mit dem kompetenten Departement des Staatsministerii, Anzeige gemacht werden.


(748) Prozeßordn. Fünf u. dreißigster Titel.

wegen der Appellations- und Revisionsfristen;

Da besonders bei den gegen die Urtel in fiskalischen Prozessen einzuwendenden Rechtsmitteln, bisher große Verzögerungen wahrgenommen worden sind; so wird in der Rücksicht, daß vor Anmeldung der Appellationen und Revisionen, nach der einmal bestehenden Finanzverfassung, allemal eine Rückfrage bei dem vorgesetzten Departement geschehen muß, hierdurch festgesetzt: daß die Appellation spätestens binnen Acht Wochen nach publicirtem Erkenntnisse angemeldet, und damit jedesmal wenigstens die vorläufige Anzeige: ob neue Umstände in facto anzubringen, verbunden werden müsse.

Zur Anmeldung der Revision wird für die Kammern (et)c. diesseits der Weser und Weichsel eine vierwöchentliche, für die entfernteren Kammern aber eine Frist von 6 Wochen bestimmt.

Sind diese Fristen verabsäumt worden, so beschreitet das Erkenntniß die Rechtskraft; und wenn auch Fiskus demnächst von dem ihm dagegen zustehenden Rechtsmittel der Restitution Gebrauch macht, so finden dennoch alsdann auch die Vorschriften Tit. XVI. §. 10 und 28. Anwendung.

wegen entstehender Jurisdiktionsstreitigkeiten;

§. 23.

Da ferner manche fiskalische Sache durch einen entstandenen Jurisdiktionsstreit beträchtlichen Aufenthalt leidet, so sollen, zu dessen möglichster Vermeidung, die Kammern, so bald die bei dem Justizkollegio angebrachte Klage zu ihrer Wissenschaft gelangt, sogleich bei dem ersten Vortrage, darüber: ob die Kompetenz des Gerichts zweifelhaft und zu bestreiten sey? sich bestimmen, und solchen Falls die Korrespondenz mit dem Justizkollegio unverzüglich eröffnen; zu gleicher Zeit aber auch ihre Anfrage an das Generaldirektorium: ob der Streit fortzusetzen sey? eben so ohne allen Verzug abgehen lassen; damit ihre Vorbescheidung darüber, so viel als möglich,


(749) Fiskalische Prozesse.

zu gleicher Zeit mit der Erklärung des Justizkollegii, eintreffe.

In wie fern wegen eines solchen entstandenen Jurisdiktionsstreits die Instruktion der Sache ausgesetzt bleiben müsse, oder nicht, ist Tit. II. §. 134. 135. bestimmt. Wenn aber auch nach dieser Vorschrift die Instruktion sistirt wird; so müssen die Kammer, und der von ihr bestellte Fiskal, dennoch die Zwischenzeit zur Einsammlung der erforderlichen Nachrichten nicht unbenutzt lassen; damit alsbald, nach erfolgtem Konkluso der Jurisdiktionskommission, der Prozeß ohne neuen Aufenthalt fortgesetzt werden könne.

wegen des Possessorii summarissimi.

§. 24.

Von der Nothwendigkeit einer Anfrage bei dem Generaldirektorio, oder der sonstigen Oberbehörde, bleiben die Fälle ausgenommen, wo ein possessorium summarissimum von dem Fisko oder gegen den Fiskus angestellt wird; als dessen in den Gesetzen vorgeschriebener schleuniger Gang unter dem Vorwande solcher Anfragen niemals aufgehalten werden darf.

wegen anderer fiskalischer Privilegien im Prozesse;

§. 25.

Die dem Fiskus in Prozessen zukommenden Privilegien sind in den Gesetzen Th. II. Tit. XIV. §. 78. u. f. und in der Prozeßordnung (Tit. XVI. §. 13. bis 16.) bestimmt.

wegen der Kosten;

§. 26.

Was insonderheit die Befreiung des Fiskus von den Prozeßkosten betrifft, so kommt ihm dieselbe nur in Ansehung des Gerichts, nicht aber in Ansehung des Gegentheils zu Statten: also, daß in allen Fällen, wo nach Vorschrift Tit. XXIII. eine Partei der andern die Kosten erstatten muß, eben dieser Ersatz auch dem Fiskus gegen die mit ihm streitende Privatpartei obliegt.

Anh. §. 241. An außergerichtlichen Kosten können von der Regierung nur für die dem Fiskal zur Anstellung


(750) Prozeßordn. Fünf u. dreißigster Titel.

oder Beantwortung der Klage ertheilte Autorisation die gewöhnlichen Gebühren, außerdem aber nur die durch den Prozeß und die Herbeischaffung der nöthigen Nachrichten und Urkunden verursachten baaren Auslagen, wozu jedoch auch die Kopialien zu rechnen sind, zur Erstattung liquidirt werden.

§. 27.

Wird nach diesen Grundsätzen der Fiskus in den Kostenersatz verurtheilt, so sind unter den zu erstattenden Kosten, außer den etwanigen baaren Auslagen, an Stempel, Postporto u. s. w., und den übrigen Tit. XXIII. §. 25. Nr. 2 – 9. specificirten Posten, auch die von dem Gegentheile als Extrahenten zur Salarienkasse gezahlten Expeditions-, Schreibe- und Insinuationsgebühren mit begriffen.

§. 28.

Dahingegen dürfen in einem solchen Falle keine Instruktions- und Urtelsgebühren, auch nicht für den Antheil der Privatpartei, angesetzt und genommen; sondern was davon liquidirt worden ist, muß, sobald sich findet, daß Fiskus in die Kosten zu verurtheilen sey, niedergeschlagen werden.

§. 29.

Ergiebt sich aber bei dem Vortrage der Sache mit vollständiger Überzeugung, daß ein fiskalischer oder anderer Finanzbedienter, es sey aus Vorsatz oder grober Nachlässigkeit, durch falsche und unrichtige Darstellung der Thatsachen, die Genehmigung der vorgesetzten Behörde zu einem unnützen ungegründeten Prozesse erschlichen habe, so soll ein solcher Officiant, außer den dem Gegentheile nach §. 27. zu erstattenden Kosten, auch die Instruktions- und Urtelsgebühren aus eigenen Mitteln entrichten, und dazu in dem Erkenntnisse ausdrücklich für schuldig erklärt werden.

§. 30.

Diese Vorschrift ist jedoch auf die Räthe und Decernenten bei den Kammern und anderen Provinzial-Oberbehörden,


(751) Fiskalische Prozesse.

welche sich in ihren an das vorgesetzte Departement zu erstattenden Berichten, in Ansehung der Thatsachen, auf die Angaben der Beamten, Forst- und anderer Unterbedienten verlassen müssen, nicht auszudehnen.

§. 31.

Uebrigens hält sich der Gegentheil wegen der ihm vom Fiskus zu erstattenden Kosten an die den Prozeß dirigirende Finanzbehörde, welche für seine Befriedigung sorgen, und den zu solchem Ende gemachten Vorschuß von dem- oder denjenigen, die nach Maaßgabe §. 29. an der Anstellung oder Durchsetzung des ungegründeten Prozesses etwa Schuld haben, wieder einziehen muß.

§. 32.

Wie es übrigens mit dem Beitrage des Fiskus zu den Kommunkosten in Konkursen zu halten sey, wird im Funfzigsten Titel §. 531. bestimmt.

wegen der Exekutionen.

§. 33.

Uebrigens müssen die ergangenen rechtskräftigen Urtel auch gegen den Fiskus, so wie gegen jede andere Partei, gehörig vollstreckt werden. Inzwischen bringen es die bestehenden Finanz- , Dienst- und Kassenverhältnisse mit sich, daß sowohl die Fristen zur Befolgung der Urtel geräumiger, als gegen bloße Privatparteien, bestimmt werden müssen; als auch daß, indem der Erinnerungsbefehl an die Kasse, das Amt, oder die sonstige zur Zahlung oder Leistung unmittelbar verurtheilte fiskalische Station erlassen wird, der ihr vorgesetzten Finanzbehörde davon Nachricht gegeben werde. Letztere muß alsdann alle nach der Finanzverfassung nöthigen Anstalten und Verfügungen unverzüglich treffen, damit dem Urtel in der bestimmten Zeit unfehlbar genügt werde; und das Generaldirektorium wird darauf halten daß derjenige, der aus Nachlässigkeit oder anderen unerlaubten Ursachen seine Pflicht hierunter nicht beobachtet,


(752) Prozeßordn. Fünf u. dreißigster Titel.

dem obsiegenden Theile alles erweislichen Interesse aus eigenen Mitteln erstatten müsse, auch, nach Befinden, noch überdieß empfindlich bestraft werde.

Sollte wider Verhoffen eine obere Finanzbehörde der Vollstreckung der gegen den Fiskus ergangenen Urtel Schwierigkeiten oder Hindernisse in den Weg legen; so muß das Justizkollegium an das Justizdepartement, zur weitern Verfügung der Seiner königlichen Majestät Allerhöchst selbst davon zu machenden Anzeige, von Amts wegen berichten.

Anh. §. 242. Liegt die Schuld der verzögerten Autorisation zu der zu leistenden Zahlung an der dazu verurtheilten untergeordneten fiskalischen Station selbst, so tritt der Fall einer Exekution ad faciendum ein, welche gegen den Beamten, Rendanten (et)c. persönlich verhängt werden muß.

Zweiter Abschnitt.

Von fiskalischen Untersuchungen.

Was fiskalische Untersuchungen sind.

§. 34.

Von den fiskalischen Zivilprozessen sind die fiskalischen Untersuchungen wohl zu unterscheiden. Dergleichen Untersuchungen finden Statt:

1) Bei geringeren Verbrechen, worauf in den Gesetzen nur eine Geld- oder eine Gefängnißstrafe von höchstens sechs Monaten, als die ordentliche Strafe bestimmt ist; wohin also auch die Kontraventionen gegen die landesherrlichen Verordnungen, durch welche gewisse Handlungen unter einer geordneten Strafe verboten, oder denselben unter einer gleichmäßigen Pönalsanction, eine gewisse Form vorgeschrieben worden, zu rechnen sind.

2) Bei Defraudationen öffentlicher Kassen und Gefälle, und anderen Vergehungen wider die deren Entrichtung und Erhebung bestimmenden Vorschriften.


(753) Fiskalische Prozesse.

3) Bei Widersetzlichkeiten gegen Königliche Bediente in Ausübung ihrer Dienstpflichten.

4) Bei der im vorstehenden Tit. §. 21 – 24. bestimmten dritten Klasse der Injuriensachen.

5) Bei Vergehungen Königlicher oder anderer öffentlicher Bedienten höhern oder niedern Ranges, in Ansehung ihrer Dienstobliegenheiten und Geschäfte, so bald die darauf bestimmte Strafe die Dienstentsetzung nicht übersteigt. Verbrechen, durch welche, außer der Dienstentsetzung noch eine Leibesstrafe verwirkt seyn würde, müssen durch eine förmliche Kriminaluntersuchung erörtert werden.

Anh. §. 243. Bei Kontraventionen gegen Finanz- und Polizei- und andere zum Ressort der Regierungen gehörigen Gesetze, ingleichen bei Defraudationen landesherrlicher, den Regierungen zur Verwaltung übergebener Gefälle und nutzbarer Regalien, sind die Regierungen berechtigt, nach einer summarischen Untersuchung die Sache durch eine Resolution zu entscheiden, auch die festgesetzte Strafe vollstrecken zu lassen, wenn der Beschuldigte nicht binnen zehn Tagen nach Empfang der Resolution auf förmliches rechtliches Gehör und Erkenntniß bei dem kompetenten Obergericht anträgt. Zu dem Ende muß es in der Resolution ihm auch jedesmal bekannt gemacht werden, daß er diese Befugniß habe, ihrer aber verlustig gehe, wenn er binnen zehn Tagen vom Empfange keinen Gebrauch davon mache.

Geschieht aber dieses, oder will die Finanzbehörde ihre Befugniß, die Sache durch eine Resolution zu entscheiden, nicht ausüben; so werden die Akten sogleich an das Landesjustizkollegium zu weitern rechtlichen Einleitung abgegeben. Die Regierungen können jedoch im erstern Falle die nöthigen Verfügungen wegen Sicherstellung der vorläufig festgesetzten Geldstrafe treffen, wenn sie solches für nöthig erachten. zu diesen Verfügungen sind selbige auch dann noch berechtigt, wenn die Akten schon an das Gericht abgegeben worden sind, und die Justizbehörden sind schuldig, ihnen bei der Beitreibung der Geldstrafen den erforderlichen Beistand zu leisten.

Anh. §. 244. Auch bei den von Militairpersonen begangenen Kontraventionen und Defraudationen stehet den Zivilbehörden nach §. 11. (§. 239. des Anhangs) bis Kognition zu, unter folgenden Einschränkungen:


(754) Prozeßordn. Fünf u. dreißigster Titel.

1. Wenn von der Bestrafung eines Offiziers die Rede ist, und diese nicht bloß in Geldbuße und Konfiskation der defraudirten Sachen besteht, die begangene strafbare Handlung vielmehr Gefängniß- oder Festungsstrafe, oder gar die Kassation nach sich zieht; so müssen sich die Zivilbehörden alles Verfahrens enthalten, und die Sache den Militärgerichten überlassen.

2. In allen Fällen, in welchen sich die Angeschuldigten bei den von den Regierungen festgesetzten Strafen beruhigt haben, oder in welchen von den Justizkollegien auf Strafe erkannt worden ist, geschieht die Vollstreckung nicht von Seiten der Zivilbehörden. Es muß vielmehr deshalb in Absicht der Offiziere das kompetente Militairgericht, und in Absicht der Unteroffiziere und gemeinen Soldaten der Kommandeur einer solchen Militairperson requirirt werden. Letzterer hat alsdann ein Stand- oder Kriegsgericht nach Befinden anzuordnen, von welchem die gegen einen Unteroffizier oder gemeinen Soldaten festgesetzte Strafe in eine verhältnißmäßige Militairstrafe verwandelt werden muß, wovon der Regierung oder dem Jutizkollegio Nachricht zu geben ist. Bei dieser Verwandlung darf sich jedoch das Stand- oder Kriegsgericht auf keine weitere Beurtheilung der schon entschiedenen Straffälligkeit der Handlung einlassen.

3. Hat sich ein Unteroffizier oder gemeiner Soldat außer der Kontravention oder Defraudation noch eines andern Vergehens schuldig gemacht, so gebührt die Untersuchung und Bestrafung desselben der Militairbehörde.

4. Bei der Untersuchung wider einen Unteroffizier oder gemeinen Soldaten soll, zur Erhaltung der Ordnung ein von dem Kommandeur einer solchen MIlitairperson kommandirter Vorgesetzter des Denuncianten zugegen seyn.

5. In Ansehung der Unterstaabsbedienten tritt das bei den Offizieren vorgeschriebene Verfahren ein.

Anh. §. 245. Haben beurlaubte Unteroffiziere und Soldaten in Treibung eines bürgerlichen Nahrungsgewerbes oder sonst eine Polizeikontravention begangen, .worauf die Polizeigesetze eine Geldstrafe verordnen; so ist von den Zivilgerichten oder Polizeibehörden auf diese gesetzliche Strafe zu erkennen und solche zu vollstrecken.

Anh. §. 246. Sollte das Obergericht Kenntniß davon erhalten, daß eine von der FInanzbehörde eröffnete summarische Untersuchung gegen einen zur Sicherheit der künftigen Strafe bereits verhafteten Defraudanten zur Ungebühr verzögert wird; so muß auf die Abgabe der Akten gedrungen, und, wenn solche nicht erfolgt, der Fall dem Justizminister angezeigt werden.


(755) Fiskalische Prozesse.

Anh. §. 247. in Fällen, in welchen wegen Polizeikontraventionen die von den Polizeibehörden festgesetzte Strafe, eine mäßige körperliche Züchtigung, vierzehntägiges Gefängniß oder Strafarbeit von dieser Dauer, oder fünf Thaler Geldbuße nicht übersteigt, findet die Provokation auf rechtliches Gehör nicht Statt, sonder es kann nur über die geschehene Festsetzung bei der der Polizeibehörde vorgesetzten Behörde geklagt werden.

Anh. §. 248. Vergehungen gegen Hoheitsrechte und Landes-Polizeiverordnungen in gleichen Dienstvergehungen gehören vor das kompetente Obergericht. Wegen der lokalpolizeilichen Kontraventionen hat es einstweilen bei der bisherigen Verfassung sein Bewenden.

Anh. §. 249. Untersuchungen wegen verbotenen Spiels gehören nicht mehr vor das Generalfiskalat, sondern vor die ordentlichen Gerichte des Denunciaten.

Anh. §. 250. Ueber Defraudationen landes- und grundherrlicher Nutzungen, überhaupt wegen Vergehungen gegen Finanzgesetze, sind die Untergerichte die Untersuchung zu führen und zu erkennen berechtigt, wenn

1. die darauf gesetzte Strafe, inkl. des Werths des Confiscati, nicht Funfzig Thaler Geld oder eine dieser gleichgestellte Gefängnißstrafe überschreitet,

2. der Kontravenient nicht für seine Person unter dem Obergericht steht, und

3. die Finanzbehörde von der ihr nachgelassenen Befugniß:

die Sache durch eine Resolution zu entscheiden, keinen Gebrauch gemacht hat.

Anh. §. 251. Die Untergerichte können, wenn diese Sachen (§. 250. des Anhangs) einmal an sie verwiesen sind, im Falle einer Saumseeligkeit oder sonst, nur von dem Obergericht mit Anweisung versehen werden.

Anh. §. 252. Untersuchungen gegen Regierungsofficianten über bloße Dienstvergehungen können die Gerichte nicht anders als auf einen vorher ergangenen Antrag der betreffenden Regierung einleiten, es sey denn, daß mit dem Vergehen ein solcher Exzeß verbunden wäre, der den Thäter, wenn er auch nicht Officiant wäre, schon der Beahndung der Gesetze schuldig machte.

Wenn außerdem gegen einen Regierungsbedienten eine fiskalische Untersuchung eingeleitet werden soll, so muß das Gericht solches sogleich von Amts wegen der betreffenden Regierung bekannt machen und ihr demnächst das Erkenntniß mittheilen.

Anh. §. 253. Bei geringeren Vergehungen, deren Strafe nach den Umständen in einem Verweise, einer mäßigen körperlichen Züchtigung, einer Geldstrafe von nicht mehr als Funfzig Thaler, oder einem vierwöchentlichen


(756) Prozeßordn. Fünf u. dreißigster Titel.

Gefängniß bestehen würde, soll bei den Obergerichten folgendes abgekürzte Verfahren Statt finden:

1. So bald dem Kollegio ein dergleichen Vergehen angezeigt wird, und aus der Denunciation und den derselben beigelegten Bescheinigungen der Zusammenhang der Sache nicht schon hinlänglich zu ersehen ist, wird deshalb der nähere Bericht der davon etwa Wissenschaft habenden königlichen in Eid und Pflicht stehenden Officianten erfordert, oder es ist die Vernehmung des Denuncianten und der von ihm mitzubringenden Zeugen, weshalb ihm bei der Vorladung das Nöthige eröffnet werden muß, zu verfügen. Die solchergestalt näher substantiierte Denunciation wird dem Angeschuldigten zur Verantwortung binnen einer auf 14 Tage bis 4 Wochen zu bestimmenden Frist mitgetheilt.

2. Der dießfälligen Verfügung ist die Warnung hinzu zu setzen, daß, wenn die Verantwortung binnen der geordneten Frist nicht eingehen würde, dafür angenommen werden solle, der Angeschuldigte wolle es auf die gerichtliche, förmliche Untersuchung ankommen lassen. Zugleich ist demselben zu eröffnen, daß er die Erlaubniß habe, die Verantwortung bei der ihm zunächst wohnenden Justizperson oder dem Kollegio selbst zu Protokoll zu geben und sich dazu durch Produktion der an ihn erlassenen Verfügung zu legitimieren, damit das Protokoll sodann von dieser Justizperson an das vorgesetzte Kollegium befördert werde, wenn der Angeschuldigte Bedenken trage, die Verantwortung selbst schriftlich abzufassen und an die Behörde zu senden.

3. Dem Kollegio bleibt unbenommen, den Angeschuldigten unter der erwähnten Verwarnung sofort zu einem Termin zur Abgabe seiner Verantwortung vorladen zu lassen, wenn voraus zu sehen ist, daß derselbe sich schriftlich zu vertheidigen nicht im Stande seyn möchte.

4. Nach Eingang einer solchen schriftlichen oder protokollarischen Verantwortung hat das Kollegium, ohne ein weiteres Verfahren einzuleiten, sogleich nach Maaßgabe der Verhandlung zu bestimmen, ob und welche Strafe durch das angeschuldigte Vergehen verwirkt sey, wobei auf die gesetzlichen Vorschriften in Verbindung mit den konkurrirenden Umständen, vorzüglich auf die mehrere oder mindere Geisteskultur des Angeschuldigten, und ob er aus Vorsatz oder Unachtsamkeit gefehlt, billig Rücksicht zu nehmen ist.

5. Die solchergestalt auf den Vortrag des Decernenten bei dem Kollegio beschlossene Verfügung wird dem


(757) Fiskalische Prozesse.

Angeschuldigten mit Eröffnung der Entscheidungsgründe mittelst Resolution bekannt gemacht, nebst der Bedeutung, daß er die etwa arbitrirte Geldstrafe sammt Kosten binnen vier Wochen an die ihm nahmhaft zu machende Behörde, wenn er sich nicht am Orte des Kollegii befindet, berichtigen, oder wenn auf Züchtigung oder Gefängniß konkludirt worden, sich binnen gleicher Frist zur Erleidung der Strafe ebenmäßig bei der ihm zu bezeichnenden Behörde melden müsse. Dabei ist ihm zu eröffnen, daß es ihm freistehe, gegen dergleichen Resolution auf förmliche Untersuchung und Entscheidung zu provociren, wenn ihm seiner Meinung nach zu viel geschehen sey, weshalb jedoch die Anzeige gleichfalls binnen der bestimmten vierwöchentlichen Frist bei der in der Resolution bemerkten Behörde geschehen müsse, widrigenfalls die festgesetzte Strafe zur Exekution zu bringen.

6. Zu diesem Behuf ist von der erlassenen Verfügung demjenigen Justizbedienten oder Untergericht, welches dem Angeschuldigten in der Resolution benannt wird, mit der Anweisung Nachricht zu geben, die Vollstreckung der Strafe nach achttägiger Ankündigung zu bewirken, wenn binnen der geordneten vierwöchentlichen Frist keine Anzeige des Angeschuldigten eingeht, oder derselbe noch vor Vollstreckung der Strafe auf förmliche Untersuchung provocirt, auch von dem Erfolge des Auftrags zu seiner Zeit an das kommittirende Kollegium zu berichten.

7. Befindet sich der Angeschuldigte am Orte des Gerichts, welches die Strafe festsetzt, so muss dieses unter Beobachtung der oben beschriebenen Modalitäten für die Realisirung der Verfügung selbst sorgen, und den Angeschuldigten sogleich bedeuten, bei wem er sich zu melden habe.

8. Eines besondern documenti insinuationis über dergleichen an den Angeschuldigten zu richtenden Strafverfügungen bedarf es nicht, sondern es ist hinlänglich, wenn solche zur Post gegeben und die Insinutation zu den Akten bescheinigt worden.

9. Was die Gebühren für Verhandlungen dieser Art betrifft, so können nur die Sätze der ersten Kolonne der Sporteltaxe vom 11ten August 1787. zur Anwendung kommen. Der Betrag derselben ist unter Beilegung einer Specifikation dem Angeschuldigten zugleich in der Hauptverfügung mitzutheilen, die Zahlung auch mit Bestimmung einer vierwöchentlichen Frist zu forden. Gehet dagegen bei dem Kollegio die Anzeige ein, daß der Angeschuldigte der Strafverfügung sich nicht unterwerfen wolle, oder ist das Vergehen


(758) Prozeßordn. Fünf u. dreißigster Titel.

seiner aus der ersten Denunciation zu entnehmenden Erheblichkeit wegen zu dem eben beschriebenen Verfahren nicht geeignet; so muß dem Befinden nach die kriminal- oder fiskalische Untersuchung gewöhnlichermaaßen eröffnet, und der Salarienkasse sofort Nachricht gegeben werden, daß die etwa schon liquidirten Gebühren bis zur Beendigung der Untersuchung zu suspendiren, wogegen die Kasse die Zahlung zu urgiren hat, wenn dergleichen Benachrichtigung nicht erfolgt.

10. Die Verhandlungen über diese summarischen Untersuchungen sind, gleich den Beschwerdeakten, nach Jahrgängen in einem Bande zu sammeln, welchem ein Register vorzuheften ist, worin der Inhalt nach alphabetischer Ordnung der Namen der Angeschuldigten mit Bemerkung der Seite angegeben werden muß.

Anh. §. 254. Wenn die Regierung von ihrer Befudniß, das Vergehen vorläufig zu untersuchen und die Strafe desselben festzusetzen, Gebrauch gemacht hat, und die Sache gelangt durch Provokation des Angeschuldigten auf rechtliches Gehör an das Obergericht, so findet das im vorhergehenden Paragraphen bestimmte Verfahren keine Anwendung; vielmehr muß alsdann zur Eröffnung einer förmlichen Untersuchung geschritten werden.

Von wem sie geführt werden.

§. 35.

Fiskalische Untersuchungen werden in der Regel durch die dazu bestellten fiskalischen Bedienten geführt. Doch können dieselben auch von anderen Gerichtspersonen, welche entweder dazu unter einem besonderen Namen und Charakter ein- für allemal bestellt sind, oder denen deshalb von der Behörde ein besonderer Auftrag gemacht wird, besorgt werden.

§. 36. Veranlassung derselben.

Kein fiskalischer Bedienter muß dergleichen Untersuchungen eigenmächtig vornehmen, sondern den Auftrag dazu von dem vorgesetzten Kollegio, oder derjenigen Behörde abwarten, welche zur Aufsicht und Direktion bei der Art von Angelegenheiten, wobei die Kontravention oder Defraudation vorgefallen seyn soll, bestellt ist.

§. 37.

Wenn jedoch der fiskalische Bediente von einer vorgefallenen Vergehung, einem Exzesse, oder einer


(759) Fiskalische Prozesse.

Defraudation etwas, es sey durch eine bei ihm einkommende Denunciation, oder sonst, in Erfahrung bringt, und bei näherer Erkundigung findet, daß die Sache wahrscheinlichen Grund habe; so muß er gedachter Behörde davon Anzeige machen, und weitere Verhaltungsbefehle darüber, welche ihm unverzüglich ertheilt werden sollen, einholen.

§. 38.

Wenn Vergehungen, welche zu einer fiskalischen Untersuchung sich qualificiren, den Kollegien in Prozessen, oder sonst, glaubhaft bekannt werden, so müssen sie die Untersuchung von Amts wegen verfügen.

§. 39. Begründung derselben.

Wenn nun solchergestalt die fiskalische Untersuchung veranlaßt wird, so muß der Inquirent vor allen Dingen prüfen:

ob die Existenz einer wirklich vorgefallenen Kontravention oder Defraudation an und für sich schon ausgemittelt sey;

und

ob wahrscheinliche Vermuthungen, daß der Denunciant sie begangen, oder wenigstens Theil daran genommen habe, vorhanden sind.

Ehe und bevor diese beiden Erfordernisse feststehen, kann die Untersuchung gegen den Denuncianten selbst nicht gerichtet, sondern es muß vom Inquirenten mit vorläufigen Nachforschungen und Erkundigungen solange fortgefahren werden, bis dadurch diese beiden Präliminairpunkte in das gehörige Licht gesetzt worden sind.

§. 40. Findet der Inquirent dabei ein Bedenken oder einen Anstand, so steht ihm frei, bei der vorgesetzten Behörde, mit Einreichung der Akten, zu seiner Belehrung anzufragen.

Anh. §. 255. Zur Begründung der fiskalischen Untersuchung ist, in so fern sich der Fall nicht zu dem in §. 34.


(760) Prozeßordn. Fünf u. dreißigster Titel.

(Anh. § 253) vorgeschriebenen abgekürzten Verfahren eignet, die vorläufige Vernehmung der vorgeschlagenen Zeugen nicht erforderlich.

Ausnahmen von dieser Regel treten nur alsdann ein:

1. wenn von Verhängung eines Personalarrestes gegen den Angeschuldigten die Rede ist;

2. wenn die besonderen Verhältnisse des Denunciaten oder Angeschuldigten eine nicht unwahrscheinliche Vermuthung begründen, daß die Denunciation bloß um zu verläumden angebracht sei, oder wenn sich in den Angaben des Denuncianten Lücken oder innere Unwahrscheinlichkeiten finden, die nicht anders als durch eine von den Zeugen zu ertheilende Auskunft erledigt werden können;

3. wenn sonst der Richter nach seinem, durch die obwaltenden speciellen Umstände geleiteten pflichtmäßigen Ermessen es nöthig findet, einen oder den andern der vorgeschlagenen Zeugen vorläufig, um Auskunft von der Sache zu erhalten, zu vernehmen. Die Vereidigung bleibt jedoch in einem solchen Falle ausgesetzt.

Vorladung.

§. 41.

So bald hingegen die Existenz eines vorgefallenen Vermögens an sich klar, und wahrscheinlicher Verdacht gegen jemand, daß er Urheber und Theilnehmer davon sey, vorhanden ist, muß der Inquirent mit der Untersuchung wider denselben verfahren, und ihn dazu gehörig vorladen.

Anh. § 256. In allen geringfügigen Kontraventions- und Defraudationssachen, in welchen aus der Denunciation mit Gewißheit hervor geht, daß die verwirkte Strafe nicht mehr als zehn Thaler an Gelde oder vierzehntägiges Gefängniß betragen wird, kann der Angeschuldigte gleich in der ersten Vorladung unter der Verwarnung vorgeladen werden, daß bei seinem Ausbleiben die Untersuchung in contumaciam fortgesetzt und geschlossen werden wird.

§. 42.

In der Vorladung muß dem Denunciaten oder Inkulpaten die Art des Verbrechens oder der Defraudation, deren er verdächtig ist, bekannt gemacht, und ihm aufgegeben werden, sich in dem anberaumten Termine zur Einlassung und Antwort auf die Beschuldigung, zur Ausführung seiner Defension dagegen, und zu bestimmer Anzeige der über seine


(761) Fiskalische Prozesse.

Vertheidigungsgründe etwa vorhandenen Beweismittel gefaßt zu halten, auch diese Beweismittel, in so fern selbige in Urkunden bestehen, sofort mit zur Stelle bringen.

§ 43.

Auch muß dem Denunciaten in der Vorladung das Gesetz, nach welchem er, wenn die Denunciation gegründet wäre, zu bestrafen seyn würde, bekannt gemacht werden.

§ 44.

Die persönliche Arretirung des Denunciaten kann mit der Vorladung zugleich in der Regel nicht, sondern nur alsdann verfügt werden, wenn der Exzeß oder die Kontravention von einiger Erheblichkeit, der Denunciat aber nach Maaßgabe seines Standes, persönlichen Verhältnisses, Mangels der Anfälligkeit, aber auch nach vorwaltenden besonderen Umständen, der Flucht verdächtig ist. Auch kann der Inquirent dergleichen Verhaftnehmung eigenmächtiger Weise niemals verfügen; sondern er muß dazu entweder schon gleich bei dem ihm geschehenen Auftrage vorläufig authorisirt seyn, oder mit Anzeigung der Umstände, bei der kompetenten Behörde die erforderliche Verfügung deshalb nachsuchen. Doch ist er, wenn die Besorgniß der Entweichung des Denunciaten sehr nahe und dringend wäre, schuldig und befugt, die interimistischen Vorkehrungen wegen Sicherung der Person desselben, oder seiner Effekten, durch Observation u. s. w. vorläufig, und bis er auf seine Anfrage näher beschieden wird, zu veranlassen.

Anh. § 257. Wenn ein Officiant der Regierung zum persönlichen Arrest gebracht werden soll, so muß solches der betreffenden Regierung sogleich von Amts wegen bekannt gemacht werden, der Exekutor muß das Benachrichtigungsschreiben dem Amtsvorgesetzten einhändigen, zugleich aber den, welcher in Arrest gesetzt werden soll, solange unter Observation nehmen, bis wegen Verwaltung seines Amtes die nöthigen Vorkehrungen getroffen werden sind.


(762) Prozeßordn. Fünf u. dreißigster Titel.

§. 45.

Zu der Untersuchung muß der Denunciat jedesmal persönlich vorgeladen werden. Ob aber dieselbe an gewöhnlicher Gerichtstelle, oder in der Behausung des Inquirenten, oder auch des Denunciaten selbst vorzunehmen, oder ob sie einem auswärtigen Kommissario aufzutragen sei: dieses muß nach den Umständen eines jeden Falles, der Qualität der Personen des Denunciaten, und dessen übrigen Verhältnissen, seiner mehrern oder mindern Entfernung, und nach der größern oder geringern Wichtigkeit der Sache selbst, beurtheilt werden.

§. 46.

Wenn der Denunciat zur Zeit der ergehenden Vorladung in Diensten des Staats, oder in seinen Privatgeschäften, oder aus einer andern löblichen Ursache abwesend ist; so muß die Untersuchung in der Regel so lange, bis er zurück kommt, und sich persönlich stellen kann, ausgesetzt bleiben.

Will jedoch derselbe auf die ihm zugekommmene Vorladung seine Unschuld ausführen, und meldet er sich zu dem Ende durch einen an sich zulässigen Bevollmächtigten; so muß dieser angenommen, und die Untersuchung mit seiner Zuziehung fortgesetzt werden.

Nimmt jedoch der Inquirent wahr, daß eine zweckmäßige Instruktion der Sache mit diesem Bevollmächtigten, wegen Mangels vollständiger Information, beharrlichen Läugnens, gesuchter Ausflüchte und Schlupfwinkel, oder aus anderen Ursachen nicht erfolgen könne; so steht ihm frei, damit abzubrechen, und die Rückkehr des Denunciaten abzuwarten.

§. 47

Außer diesem Falle (§ 46) ist die Vertretung durch einen Bevollmächtigten in fiskalischen Untersuchungssachen nicht zulässig; sondern es muß, wenn der Denunciat auf die erste Vorladung nicht in


(763) Fiskalische Prozesse.

Person erscheint, eine zweite erlassen, und ihm darin bekannt gemacht werden, daß bei fernerm ungehorsamen Außenbleiben, die Untersuchung in contumaciam fortgesetzt und geschlossen werden solle.

Verfahren in contumaciam.

§. 48.

Beruhet die Denunciation auf der Angabe eines vereideten Beamten, welcher in Gegeständen seines Amts die begangene Kontravention aus eigener Wissenschaft angezeigt hat; oder wird dieselbe durch Urkunden unterstützt; so wird der Denunciat, bei beharrlichem ungehorsamen Außenbleiben, der That für geständig und überführt geachtet.

§. 49.

Soll die Denunciation erst durch Zeugen erwiesen werden, so wird mit der Abhörung der Zeugen in contumaciam verfahren, und der Denunciat verliert seine Einwendungen und Ausstellungen gegen die Person und Glaubwürdigkeit der Zeugen, so weit sie sich nicht etwa aus der Vernehmung derselben auf die vorgeschriebenen allgemeinen Fragen, oder sonst aus deren Aussagen, von selbst ergeben.

§. 50.

In beiden Fällen (§.48. 49.) wird der Denunciat auch der ihm sonst zustehenden Befugniß, sich nach geschlossener Untersuchung schriftlich zu vertheidigen, verlustig; und muß ihm daher der nach Unterschied der Fälle aus seinem ungehorsamen Ausbleiben bevorstehende Nachtheil, in der nach §. 47. zu erlassenden zweiten Vorladung, ausdrücklich bekannt gemacht werden.

§. 51.

Tritt der Fall des ungehorsamen Außenbleibens wirklich ein, so wird die Untersuchung vorstehendermaaßen in contumaciam fortgesetzt und geschlossen, und die Akten werden zur Abfassung des Erkenntnisses vorgelegt.


(764) Prozeßordn. Fünf u. dreißigster Titel.

§. 52.

Fällt das Erkenntniß nur auf eine Geldstrafe aus, so wird dasselbe dem Denuncianten, wenn immer vorhanden ist, der ein Interesse bei der Sache hat, gewöhnlichermaaßen publicirt; dem Denunciaten aber wird eine Abschrift davon, statt der Publikation, schriftlich zugefertigt.

§. 53.

Gegen ein solches Erkenntniß kann der Denunciat das Rechtsmittel der Restitution binnen zehn Tagen nach erfolgter Insinuation des Urtels nachsuchen, und finden dabei die Vorschriften Tit. XIV. Abschn. III. Anwendung. Läßt der Denunciat diese Frist verstreichen, so wird die erkannte Geldstrafe aus seinem Vermögen beigetrieben.

§. 54.

Ist hingegen auf Gefängniß oder andere Leibesstrafe erkannt, so bleibt die Publikation so lange ausgesetzt, bis man sich der Person des Denunciaten versichern, und dieselbe vor den Inquirenten gestellt werden kann. Wenn dieß geschehen ist, so werden ihm die bisherigen Verhandlungen vorgelegt; er wird vernommen, was er dagegen und zu seiner Vertheidigung etwa noch anzuführen habe; und es wird überhaupt das Nöthige zur Vervollständigung der Untersuchung verfügt. Allsdann werden die Akten anderweit zum Erkenntnisse vorgelegt; der Denunciat aber muß so lange, bis dieses Erkenntniß publicirt werden kann, in sicherer Verwahrung behalten werden.

§. 55.

Wenn nach Maaßgabe §. 49. bei der in contumaciam fortgesetzten Instruktion Zeugen abgehört worden sind, und der Denunciat demnächst entweder nach §. 53. das Rechtsmittel der Restituion einwendet, oder nach §.54. bei seiner erfolgten Bestellung noch gehört wird; so bedarf es keiner


(765) Fiskalische Prozesse.

Wiederholung des Zeugenverhörs: es wäre denn, daß bei der Vernehmung des Denunciaten neue Umstände, auf welche bei der Vernehmung des Zeugen nicht Rücksicht genommen ist, vorgekommen wären.

§. 56.

Uebrigens versteht es sich von selbst, daß gegen einen Denunciaten, dessen Aufenthalt unbekannt ist, oder welcher dergestalt latitirt, daß ihm die Vorladung nicht insinuirt werden kann, in der Regel eben so, wie im Zivilprozesse, Ediktalcitation ergehen müsse; und ist in diesem Falle die Ableistung des Tit. VII. §. 16. vorgeschriebenen Eides, auch von Seiten des Denunciaten, nicht erforderlich. (Vergl. Tit LI. §. 179 u. f.)

Instruktion der Sache.

§. 57.

Wenn hingegen der Denunciat in dem anberaumten Termine erscheint, so muß mit seiner Vernehmung, und mit der weitern Untersuchung, unverzüglich verfahren, beide aber müssen vornehmlich darauf gerichtet werden:

1) ob der Denunciat die Kontravention oder Defraudation wirklich begangen habe;

2) was dabei für vorhergehende, begleitende, und nachfolgende Umstände, wodurch der Grad der Moralität bestimmt wird, vorfallen;

3) was für Gründe zu seiner Vertheidigung oder Entschuldigung vorhanden sind.

4) Wenn das Faktum von der Art ist, daß es nur mit Hülfe und Theilnehmung Anderer hat ausgeführt werden können; so muß die Untersuchung auch auf die Ausmittelung dieser Theilnehmer mit gerichtet werden.

§. 58.

Der Endzweck bei dergleichen Untersuchung ist eben so, wie bei der Instruktion im Zivilprozesse, die Ausmittelung der Wahrheit. Der Inquirent muß folglich das Wesentliche der zur Erreichung dieses


(766) Prozeßordn. Fünf u. dreißigster Titel.

Endzwecks in den vorigen Titeln gegebenen Vorschriften gleichergestalt beobachten. Er muß also den Denunciaten zur bestimmten Einlassung und zu positiven Antworten über die gegen ihn vorkommenden Thatsachen gehörigt anhalten; er muß die Sache vollständig und deutlich auseinander setzen; und alle erlaubte Mittel, den Denunciaten durch Vorhaltung der gegen ihn streitenden Anzeigen und Vermuthungen zu seinem freien und ungezwungenen Geständnisse der Wahrheit zu bringen, anwenden; dabei aber auch alle Verleitungen und Suggestionen mit pflichtmäßiger Sorgfalt vermeiden.

Anh. §. 258. Hält der Inquirent zur Ausmittelung der Wahrheit die Edition der in den Händen des Angeschuldigten befindlichen Bücher, Rechnungen, Dokumente und Skripturen für nothwendig; so ist der Angeschuldgte dazu auf Erfordern verbunden. Behauptet derselbe, dergleichen nicht zu besitzen; so muß er sich zum Editionseide erbieten, und kann zu dem einen oder dem andern durch Strafbefehle, und allenfalls durch Personalarrest, angehalten werden.

§. 59.

Wenn solchergestalt die Vernehmung des Denunciaten geschlossen ist, und derselbe die Denunciation ganz oder zum Theil geläugnet hat, so muß der Inquirent eben so, wie im Civilprozeß, einen ordentlichen Statum causae et controversiae entwerfen, und denselben dem Denunciaten zu seiner Erklärung, und zur Beibringung seiner etwanigen Erinnerungen dagegen, vorlegen. Wenn der Denunciat dergleichen Erinnerungen gegen die Erheblichkeit aufgenommener, oder gegen die Uebergehung weggelassener Umstände, oder gegen die Zulässigkeit aufzunehmender Beweismittel zu machen hat, und darüber von dem Inquirenten nicht bedeutet werden kann; so muß Letzterer die Akten dem die Untersuchung dirigirenden Gerichte vorlegen, und dessen Anweisung über die weitere Fortsetzung der Instruktion erwarten. Bei den Verhandlungen


(767) Fiskalische Prozesse.

über den Statum causae et controversiae kann der Denunciat des Beistandes eines rechtsverständigen Assistenten sich bedienen.

§. 60.

Nach regulirtem Statu causae et controversiae muß der Inquirent die streitig gebliebenen erheblichen Thatsachen, durch Aufnehmung der darüber vorhandenen Beweismittel, welche entweder von dem Denuncianten angegeben, oder von ihm selbst durch die von Amts wegen eingezogenen Erkundigungen ausgeforscht worden sind, ins Licht zu setzen bemüht seyn; die Zeugen nach der Vorschrift Tit. X. Abschn. IV. ordnungsmäßig vereiden und abhören; sie nöthigenfalls mit dem Denunciaten, auch nach bewandten Umständen, wenn ein dringender Verdacht wider ihn obwaltet, und gleichwohl keine andere Mittel zur zuverlässigen Entdeckung der Wahrheit vorhanden sind, den Denunciaten mit dem Denuncianten konfrontieren; dabei aber auch auf diejenigen Umstände in facto, welche die persönliche Glaubwürdigkeit eines Zeugen, oder die Zuverlässigkeit eines andern Beweismittels stärken oder schwächen können, gehörige Rücksicht nehmen. Bei dem Zeugenverhöre selbst muß, auf Verlangen des Denunciaten, der rechtsverständige Assistent desselben zugelassen werden.

§. 61.

Um dergleichen Untersuchungen so wenig als möglich aufzuhalten, soll ein solcher Inquirent befugt seyn, die an eben dem Orte sich aufhaltenden Zeugen, ohne Unterschied, unter welche Gerichtsbarkeit sie sonst gehören, entweder schriftlich, oder, wenn es Personen geringen Standes sind, oder sonst eine vorzügliche Beschleunigung nöthig ist, durch den Gerichtsboten mündlich vorladen zu lassen; und alle höhere und niedere Gerichte sollen schuldig seyn, ihm auf die erlassenen Requisitionen in solchen


(768) Prozeßordn. Fünf u. dreißigster Titel.

Angelegenheiten prompten und unweigerlichen Beistand zu leisten.

§. 62.

Nur allein wenn die vorzuladende Person ein im wirklichen Dienst begriffener unbeurlaubter Unteroffizier oder Soldat wäre, soll der Kapitain der Kompagnie, oder der Kommandeur oder Kommandant des Orts, um dessen Gestellung requirirt werden; und wenn das Zeugniß eines Oberoffiziers, oder andern höheren Kriegsbedienten verlangt wird, muß der Inquirent das Regiments- oder Kriegsgericht um dessen Aufnehmung, unter Beifügung des vorschriftsmäßigen Status causae, geziemend ersuchen.

§. 63.

So wie der Inquirent alle Mühe anwenden muß, das denunciirte Faktum, und die Schuld des Denunciaten dabei, in das vollständigste Licht zu setzen; so muß er ein Gleiches auch wegen der von dem Denunciaten angegebenen Gründe seiner Rechtfertigung oder Entschuldigung zu thun, sich pflichtmäßig angelegen seyn lassen.

§. 64.

Es müssen daher in dem nach §. 59. zu regulirenden Statu causae et controversiae auch solche Thatsachen, welche zur Vertheidigung des Angeschuldigten erheblich seyn können, mit aufgenommen, und durch die von ihm anzugebenden Beweismittel ins Licht gesetzt werden.

§. 65.

Bestimmte Fristen, Fatalien und andere Formlichkeiten, lassen sich dem Inquirenten so wenig, als dem instruirenden Richter im Civilprozesse vorschreiben. Die Inquirenten werden also hierdurch nur im Allgemeinen angewiesen, auf der einen Seite nicht eher abzulassen, als bis entweder das Faktum mit allen seinen zur Sache gehörigen Umständen in völliges Licht gesetzt, oder wenigstens alle vorhandene


(769) Fiskalische Prozesse.

Mittel, hinter die Wahrheit zu kommen, erschöpft worden sind; auf der andern Seite aber auch die Untersuchung niemals liegen zu lassen, noch dieselbe ohne Noth weitläufig zu machen, oder sie auf unnütze zur Sache gar nicht gehörende Nebenumstände zu erstrecken; vielmehr sie in beständigem ununterbrochenem Gange zu erhalten, und den Abschluß derselben, so viel als irgend möglich ist, zu beschleunigen.

§. 66.

Nach geschlossener Untersuchung muß der Inquirent den Denunciaten vernehmen, ob er eine besondere Defension für sich einreichen wolle, und ob er auf jemanden von den am Orte der geführten Untersuchung bestellten Justizkomissarien zu solchem Ende ein besonderes Vertrauen habe.

§. 67.

Erklärt der Denunciat, daß er dergleichen Defension verlange, und benennt den unter den Justizkommissarien sich erwählten Defensor; so muß dieser zur Unterredung mit ihm verstattet, und es müssen ihm die Akten auf sein Verlangen von dem Inquirenten vorgelegt werden. Die Defension aber muß binnen einer nach den Umständen auf acht Tage bis vier Wochen zu bestimmenden Frist, von der Zeit des geschehenen Auftrags an gerechnet, bei dem Inquirenten übergeben; zu dem Ende dem ernannten Justizkommissario die Beschleunigung nachdrücklich empfohlen; nach fruchtlosem Ablaufe dieser Frist aber der Defensor durch Strafbefehle, und wenn auch diese nichts verfangen, durch Einlegung des Exekutors, zur Einreichung der Defension angehalten werden.

§. 68.

Eben so ist es zu halten, wenn der Denunciat zwar eine Defension verlangt, aber kein gewisses Subjekt zu seinem Defensor vorschlägt; nur daß alsdann der Inquirent dergleichen Subjekt von Amts wegen benennen, und denselben wegen Uebernehmung der


(770) Prozeßordn. Fünf u. dreißigster Titel.

Defension requiriren muß. Es soll daher jeder Justizkommissarius sich einem solchen, von dem Inquirenten ihm gemachten Auftrage unweigerlich zu unterziehen schuldig seyn.

Schluß und Einreichung der Akten.

§. 69.

Wenn die Defension eingekommen ist, oder der Denuniciat, daß er dergleichen nicht verlange, ausdrücklich erklärt hat; so muß der Inquirent die Akten schließen; sie mit einem Rotulo versehen, und dem kompetenten Kollegio unverzüglich einreichen; dabei aber allemal sein Gutachten, was von dem denunciirten Fakto ausgemittelt, und nach welchem Gesetze der Denuniciat zu bestrafen sey, beifügen.

§. 70.

Wenn die Untersuchung eine Injuriensache betrifft; außerdem aber, wenn der Inquirent Ursache hat, zu vermuthen, daß die Denunciation als ungegründet werde verworfen werden, muß er die Akten, ehe er sie noch dem Kollegio einreicht, dem Denuncianten vorlegen; damit dieser sich erkläre, was er etwa bei der geführten Untersuchung zu erinnern, oder was er, in Rücksicht seines bei der Sache mit obwaltenden Privatinteresse anzuführen habe; oder womit er den Vorwurf einer vorsächlich falschen Denuniciation von sich abzulehnen gedenke.

Erkenntniß.

§. 71.

Da in diesem Untersuchungs-, so wenig als in dem Civilprozesse, irgend einiges Interlokut Statt finden kann; so muß der Richter, wenn er an der Instruktion noch etwas zu erinnern oder zu suppliren findet, die Berichtigung desselben auf eben die Art, wie im Civilprozesse, durch eine vorläufige Resolution verfügen.

§. 72.

Wenn es bei der Beurtheilung des Fakti, der Moralität desselben, der Qualität und Glaubwürdigkeit der Beweismittel, auf genauere Kenntniß


(771) Fiskalische Prozesse.

gewisser Geschäfte, oder der gewisse Gattungen des Verkehrs im bürgerlichen Leben bestimmenden Polizei, und anderer dergleichen Verordnungen ankommt; so muß schon der Inquirent, ehe er die Akten zu Defension ausstellt, das Gutachten eines Sachverständigen darüber einziehen. Wäre aber dieses von dem Inquirenten übersehen worden, so muß dennoch der erkennende Richter ein solches Gutachten noch vor Abfassung des Erkenntnisses einfordern.

Vom Reinigungseide. §. 73.

In fiskalischen Untersuchungssachen soll niemals auf einen Reinigungseid erkannt, sondern wenn der Denunciat weder vollständig überführt, noch seine Unschuld hinlänglich ausgemittelt ist, er entweder nur vorläufig (ab instantia) losgesprochen, oder gegen ihn auf eine außerordentliche Strafe erkannt werden.

§. 74.

Die vorläufige Lossprechung findet statt, wenn der eigentliche Hergang der Sache gar nicht hat aufgeklärt werden, und der Denunciat den gegen ihn streitenden Verdacht nicht hat ablehnen können; wohl aber Hoffnung vorhanden ist, daß die Sache in der Folge noch näher ins Licht zu setzen seyn werde.

§. 75.

Eine außerordentliche Strafe findet Statt, wenn gegen den Denunciaten erhebliche Beweise vorhanden, diese aber nicht so vollständig sind, daß er der That für völlig überführt geachtet werden könnte; und es also, wenn die Sache im Wege des Civilprozesses verhandelt würde, ncoh auf einen nothwendigen Eid ankommen würde.

§. 76.

Bei Bestimmung dieser außerordentlichen Strafe muß der Richter das Gewicht der gegen den Denuncianten vorhandenen Beweismittel, und in wie fern sich dieselben der vollständigen Ueberführung mehr


(772) Prozeßordn. Fünf u. dreißigster Titel.

oder weniger nähern, sorgfältig prüfen; besonders aber, wenn von den Polizeivergehungen, oder von Accise- und Zollverbrechen die Rede ist, darauf Rücksicht nehmen: ob der Denunciat die Angaben eines oder mehrerer vereideter Officianten wider sich habe; ob diese Denunciationen durch andere Indicia mehr oder weniger unterstützt werden; und ob der Denunciat wegen solcher Vergehungen schon ein- oder mehreremale denunciirt und bestraft worden ist, oder nicht.

§. 77.

Ist die ordentliche Strafe des denunciirten Vergehens eine Geldstrafe, so muß der Richter den Betrag der zu erkennenden außerordentlichen Strafe, mit Rücksicht auf vorstehende Umstände, pflichtmäßig abmessen, und kann dieselbe hiernach von einem Zwölftel bis zur Hälfte der ordentlichen Geldbuße bestimmt werden.

§. 78.

In Accise- und Zollsachen findet die Konfiskation der gefundenen Kontrebande, oder die doppelte Besteuerung der als verschwiegen denunciirten zoll- oder accisbaren Waren, nebst Verurtheilung in die Kosten, schon alsdann Statt, wenn der Denunciat die Angabe auch nur Eines verpflichteten Accise- oder Zollbedienten wider sich hat, und er dieselbe mit nichts hat widerlegen oder entkräften können.

§. 79.

Ist die ordentliche Strafe des denunciirten Vergehens eine Leibesstrafe, so muß der Richter die außerordentliche Strafe in einer gelindern Gattung, und von kürzerer Dauer, bestimmen. Doch soll eine dergleichen willkührliche Strafe niemals über sechs Wochen Gefängnis ausgedehnt werden. (Allg. L. R. Th. II. Tit. XX. §. 35.)

§. 80.

Außerdem ist der Richter nicht befugt, die Gattung der Strafe zu ändern, und z. B. statt Gefängniß-


(773) Fiskalische Prozesse.

auf Geldstrafe, oder umgekehrt, zu erkennen; es wäre denn, daß das Gesetz beiderlei Arten der Strafe zur Wahl des Denunciaten ausdrücklich bestimmt hätte; oder daß die besonderen Umstände und Verhältnisse eines der Anschuldigung nicht völlig überführten, aber doch auch dagegen nicht völlig gerechtfertigten Denunciaten die Anwendung einer außerordentlichen Leibesstrafe, auch nur von gelinderer Art oder kürzerer Dauer, bedenklich machten; in welchem Falle der Richter eine Geldstrafe, die mit der eigentlich verwirkten außerordentlichen Leibesstrafe im Verhältnisse steht, an die Stelle der letztern erkennen kann.

Kosten.

§. 81.

Auch der Kostenpunkt muß in dem Erkenntisse mit bestimmt werden.

§. 82.

Die Kosten fallen dem Denunciaten zur Last, nicht nur, wenn er in die ordentliche, sondern auch wenn er in eine außerordentliche Strafe verurtheilt, und selbst alsdann, wenn er nur vor der Hand (ab instantia) losgesprochen wird.

Anh. §. 259. Wenn die Untersuchung mehrere Denunciationspunkte zum Gegenstand gehabt hat, und nur einige davon erwiesen, die anderen aber dergestalt unerwiesen geblieben sind, daß deshalb die völlige Freisprechung des Angeschuldigten erfolgt; so müssen die durch die Untersuchung dieser letzteren unerwiesen gebliebenen Vergehen verursachten Kosten niedergeschlagen, oder nach Lage der Sache dem Denuncianten zur Last gelegt werden; es wäre denn, daß Denunciat zur Ausmittelung jener Denunciationspunkte schuldbarerweise Veranlassung gegeben hätte.

Anh. §. 260. In Untersuchungen gegen Unteroffiziere und Soldaten (Th. I. Tit. II. §. 48. Anh. §. 17. 18.) können keine Kosten genommen werden.

Anh. §. 261. In Accisekontraventionssachen werden die baaren Auslagen, so wie sie der Fiskus in Kriminalsachen trägt, incl. der durch besondere Verordnungen näher bestimmten Urtelsgebühren, von der Finanzbehörde vergütigt, in so fern der Angeschuldigte zu deren Bezahlung nicht vermögend oder nicht verbunden ist,


(774) Prozessordn. Fünf u. dreißigster Titel.

und im letztern Falle auch nicht etwa die Zahlungsverbindlichkeit des Denuncianten eintritt.

Anh. §. 262. Magisträte und Gutsherrschaften sind in fiskalischen Untersuchungssachen für die Kosten zu haften niemals verbunden.

Anh. §. 263. Die Kosten der Untersuchung gegen einen Officianten, welcher vorläufig vom Amte suspendirt ist, können aus dessen zurückbehaltenem Gehalte nur in so fern gefordert und entnommen werden, als dieses letztere nicht für die interimistische Dienstverwaltung hat verwendet werden müssen.

Die Gerichte können jedoch gleich beim Anfang einer solchen Untersuchung die vorgesetzte Behörde des suspendirten Officianten ersuchen, von dem eingezogenen Gehalte desselben eine verhältnismäßige Summe zur Deckung der Kosten zurück zu behalten.

§. 83.

Ist hingegen bei der Untersuchung das Gegentheil der Denunciation ausgemittelt, und also diese falsch befunden worden; so muß der Denunciant in die Kosten verurtheilt werden.

§. 84.

Ist zwar das Gegentheil der Denunciation nicht ausgemittelt, der Denunciat aber wird losgesprochen, weil er den gegen ihn streitenden Verdacht hinlänglich abgelehnt hat; so müssen alle Kosten niedergeschlagen werden.

§. 85.

Ist die Denunciation an sich gegründet, die Entbindung des Denunciaten aber nur die Folge eines während des Laufes der Untersuchung ausgemittelten Einwands; so muß der Denunciat, mit Niederschlagung der eigentlichen Gebühren, nur in den Ersatz der baaren Auslagen verurtheilt werden.

Publikation des Urtels.

§. 86.

Das sochergestalt abgefaßte Erkenntniß wird dem vorigen Inquirenten zur Publikation an den Denunciaten zugefertigt.

Anh. §. 264. Zur Publikation des Erkenntnisses wird der Denunciat nach dem Ermessen des Inquirenten unter Androhung einer Geldstrafe, der Realcitation oder


(775) Fiskalische Prozesse.

der Zufertigung des Urtels, in Kraft der Eröffnung vorgeladen.

Anh. §. 265. Die in Postkontraventionssachen verwirkten Geldstrafen sind der Poststrafkasse zuzuerkennen. Auch müssen die Erkenntnisse in solchen Sachen, worin auf Geldstrafe erkannt worden ist, dem Generalpostamte jedesmal mitgetheilt werden.

Remedia für den Denunciaten,

§. 87.

Ist darin nur auf Geldbuße von funfzig Thalern oder weniger, oder nur auf ordinaire Gefängnißstrafe von vier Wochen, oder weniger, erkannt; so steht dem Denunciaten dagegen ein Niederschlagungs- oder Milderungsgesuch offen, bei welchem nach der Anweisung des vorigen Titels §. 15. zu verfahren ist.

§. 88.

Ist aber eine höhere Strafe erkannt, so kann sich der Denunciat dagegen des Rechtsmittels der weiteren Vertheidigung bedienen, welches er jedoch entweder gleich bei Publikation des Urtels, oder wenigstens binnen zehn Tagen nachher, bei dem Inquirenten gehörig anmelden muß. Diesem liegt ob, ihn von der Zuständigkeit dieses Rechtsmittels, und was er dabei zu beobachten habe, von Amts wegen zu benachrichtigen, und wie es geschehen, in der über die Publikation aufgenommenen Registratur ausdrücklich zu bemerken.

§. 89.

Wenn der Denunciat sich dieses Rechtsmittels bedient, so führt er entweder neue Umstände und Beweismittel zur Widerlegung der ihm beigemessenen Beschuldigungen, und zu seiner Defension, dagegen an: oder er bezieht sich bloß auf dasjenige, was in erster Instanz bei der Untersuchung vorgekommen, und ausgemittelt worden ist.

§. 90.

Letztern Falles ist er bloß darüber zum Protokolle zu vernehmen: auf welche von diesen Umständen er das Verlangen und die Erwartung eines besseren Urtels hauptsächlich gründe; und wenn dieß geschehen


(776) Prozeßordn. Fünf u. dreißigster Titel.

ist, müssen die Akten sofort, und ohne weiteres Verfahren, an den Richter der zweiten Instanz zum Spruche befördert werden.

§. 91.

Statt dieser Ausführung zum Protokolle steht dem Denunciaten auch frei, eine schriftliche Vertheidigung durch seinen Defensor einreichen zu lassen, wobei die Vorschriften des §. 67. Anwendung finden.

§. 92.

Eine Gegenausführung oder Deduktion von Seiten des Denuncianten ist nicht zulässig. Wohl aber müssen die Akten einem fiskalischen Bedienten, allenfalls dem, welcher die Untersuchung in erster Instanz gehabt hat, vorgelegt werden, um in einer zu bestimmenden präklusivischen Frist entweder schriftlich oder zum Protokoll anzuzeigen: was er etwa gegen die Vertheidigung des Denunciaten, aus den Akten der ersten Instanz, oder aus den Gesetzen anzuführen habe.

§. 93.

Hat hingegen der Denunciat neue Umstände oder Beweismittel angeführt, so müssen dieselben gehörig aufgenommen, untersucht, und dabei, wie in erster Instanz, verfahren werden.

§. 94.

Die neue Instruktion wird, der Regel nach, einem andern fiskalischen Bedienten, oder auch einer andern Gerichtsperson übertragen; doch soll das den Prozeß dirigirende Gericht hieran nicht schlechterdings gebunden, sondern bewandten Umständen nach, wenn die Sache nicht von sehr großer Wichtigkeit, und die Veränderung des Inquirenten mit Verzögerung und Kosten verbunden wäre, den vorigen beizubehalten berechtigt seyn.

§. 95.

Nach geschlossener neuer Untersuchung soll dem Denunciaten frei stehen, auf eben die Art, wie in


(777) Fiskalische Prozesse

erster Instanz, eine anderweitige Defensionsschrift durch einen Justizkommissarius anfertigen und einreichen zu lassen; wogegen ein fiskalischer Bedienter nach Maaßgabe §. 92. mit einer Gegenausführung zu hören ist.

§. 96.

Bei demjenigen, was in zweiter Instanz erkannt wird, soll es lediglich sein Bewenden haben, und dagegen kein weiteres Rechtsmittel zulässig seyn.

gegen den Denunciaten.

§. 97.

Wenn der Denunciat durch das Urtel erster Instanz entweder ganz oder vorläufig entbunden, oder in eine mindere, als die ordentliche Strafe verurtheilt worden ist; so findet dagegen kein Rechtsmittel von Seiten des Denuncianten Statt; sondern dieser kann bloß, wenn er in die Kosten verurtheilt worden ist, ein nach Vorschrift Tit. XXXIV. §. 15. einzuleitendes und zu entscheidendes Niederschlagungs- oder Milderungsgesuch dagegen anbringen.

§. 98.

Wenn hingegen die fiskalische Behörde, in deren Ressort die Sache einschlägt, dafür hält, daß gegen den Denunciaten zu gelinde erkannt sey, so steht ihr frei, binnen vier Wochen nach Publikation des Erkenntnisses eine schriftliche Ausführung darüber, durch einen fiskalischen Bedienten, zu den Akten einreichen zu lassen; welche sodann dem Denunciaten zur schriftlichen Beantwortung, binnen einer nach den Umständen zu bestimmenden präklusivischen Frist, die Beantwortung komme ein oder nicht, mit Vorlegung der Akten zum Spruche bei denjenigen Kollegio, welches auf ein von dem Denunciaten eingewendetes Rechtsmittel zu erkennen haben würde, verfahren werden muß.


(778) Prozeßordn. Fünf u. dreißigster Titel.

§. 99.

Die fiskalische Deduktion muß lediglich aus den Akten erster Instanz genommen seyn. Neue Thatsachen oder neue Beweismittel können darin nicht zugelassen werden; sondern allenfalls nur eine neue Untersuchung gegen den Denunciaten in erster Instanz begründen.

§. 100.

Während der Instruktion dieser zweiten Instanz muß dennoch das vorige Urtel, so weit es zu Gunsten des Denunciaten ausgefallen ist, vollzogen; mithin derselbe, wenn er im Verhaft war, auf freien Fuß gestellt, die etwa geleistete Kaution losgegeben, der auf Sachen oder Waaren gelegte Beschlag wieder aufgehoben werden, u. s. w. Nur unter Umständen, wo auch einer Appellation, gegen die Regel, aufschiebende Wirkung (effectus suspensivus) beigelegt wird, findet ein Gleiches auch im gegenwärtigen Falle Statt.

§.101.

Wird in dieser zweiten Instanz das erste Erkenntniß zum Nachtheile des Denunciaten geändert, so bleiben demselben dagegen die §. 87. 88. beschriebenen Rechtsmittel offen.

§. 102.

Hingegen hat es bei dem, was in zweiter Instanz zu Gunsten des Denunciaten erkannt wird, lediglich sein Bewenden; und wenn eine gänzliche Bestätigung des ersten Urtels erfolgt, so muß dem Denunciaten auch zu den ihm verursachten Kosten allemal und ohne Unterschied der Fälle, prompt und mit Nachdruck verholfen werden.

§. 103.

Eine dritte Instanz findet also in der Regel niemals, sondern nur bei denjenigen Arten der fiskalischen Untersuchungen, wo sie durch besondere Gesetze zugelassen worden ist, z. B. bei Accise- und


(779) Fiskalische Prozesse.

Zollsachen, bei Untersuchungen wegen Holzdevastationen u. s. w. Anwendung.

§. 104.

Uebrigens versteht es sich von selbst, daß, wenn die Untersuchung, wie z. B. bei Jagd - oder Forstkontraventionen, zugleich auf den von dem Denunciaten verursachten Schaden und dessen Erfatz gerichtet gewesen, gegen den hierüber sprechenden Theil des Erkenntnisses, dem Denunciaten sowohl, als dem Denuncianten, oder dem Fiskus, die ordentlichen Rechtsmittel, wie im Civilprozesse, offen stehen. Wird nur gegen diesen Theil des Urtels appellirt, so muß die zweite Instanz nicht mehr als Untersuchung, sondern nur nach Art des Civilprozesses instruirt werden.

Vollstreckung.

§. 105.

Die Vollstreckung eines gegen den Denunciaten ausgefallenen und rechtskräftig gewordenen Urtels muß der fiskalische Bediente, welcher die Untersuchung geführt hat, betreiben, und die nöthigen Verfügungen deshalb bei der Behörde nachsuchen.

§. 106.

Wenn gegen den Denunciaten auf Geld- oder Gefängnißstrafe, nach seiner Wahl, erkannt worden ist, und die letztere von ihm gewählt wird; so muß ihm eine gewisse Frist, binnen welcher er sich zur gefänglichen Haft stellen müsse, bestimmt werden. Befolgt er die Anweisung nicht, so verliert er die Wahl, und die Geldstrafe kann aus seinem Vermögen beigetrieben werden.

§. 107.

Von dem Verfahren gegen ausgetretene Vasallen und Enrollirte, ingleichen bei dem Aufgebote eines Nachlasses oder einer anderen Forderung, wozu kein Erbe oder Inhaber bekannt ist, und die der Fiskus als ein bonum vacans in Anspruch nimmt, wird unten besonders gehandelt.


(780) Prozeßordn. Sechs u. dreißigster Titel.

Sechs und dreißigster Titel.

Von dem Verfahren gegen ausgetretene Vasallen und Unterthanen.

§. 1.

Da nach den Geßetzen nicht nur die vermöge ihres Standes dem Kanton unterworfene, sondern, unter gewissen Umständen, auch Königliche Vasallen und Unterthanen, durch Verlassung der Königlichen Staaten sich dem Lande und ihrer Unterthanspflichten zu entziehen, nicht berechtigt sind; vielmehr diejenigen, die sich dessen eigenmächtig unterfangen, bei Strafe der Konfiskation zur Rückkehr aufgefordert werden können: so soll in dem gegenwärtigen Titel von dem Verfahren gegen solche ausgetretene Vasallen und Unterthanen gehandelt werden.

§. 2.

Die Vorschriften selbst, welche die Auswanderungen, ohne Vorwissen und Erlaubniß des Staats, bei Strafe der Konfiskation untersagen, sind theils im Allg. Landr. enthalten (Th. II. Tit. X. §. 48. bis 52. Tit. XVI. §. 12. Tit. XVII. §. 127 bis 130. §. 145.), theils durch Provinzialgesetze näher bestimmt.

§. 3.

Da das Verfahren gegen ausgetretene Kantonisten von demjenigen, welches gegen andere ausgetretene Vasallen und Unterthanen Statt findet, in einigen Punkten verschieden ist; so soll von jedem besonders gehandelt werden.

Erster Abschnitt.

Von dem Verfahren gegen ausgetretene Kantonisten.

Wo dieser Konfiskationsprozeß anzustellen.

§. 4.

Der Konfiskationsprozeß gegen ausgetretene Kantonisten muß allemal bei dem Landesjustizkollegio der Provinz angestellt werden.


(781) Konfiskationsprozesse.

Anh. §. 266. Diese Vorschrift findet auch jetzt noch Anwendung, nachdem der privilegirte Gerichtsstand des Fiskus aufgehoben worden ist.

Durch wen;

§. 5.

Zur Anstellung der Klage ist ein fiskalischer Bedienter durch einen allgemeinen Auftrag der der Invalidenkasse vorgesetzten Behörde autorisirt und verpflichtet.

Anh. §. 267. Die Ansprüche auf das Vermögen des Ausgetretenen werden nicht mehr im Namen der Invaliden-, sondern im Namen der Regierungs-Hauptkasse jeder Provinz geltend gemacht.

Wie die Klage zu begründen.

§. 6.

Da nach den Vorschriften der Gesetze es zur Begründung des Konfiskationsprozesses gegen einen Kantonisten hinreicht, wenn derselbe sich ohne Vorwissen und Erlaubniß der Behörde aus seiner Heimath, oder gar aus der Provinz entfernt hat, und sein gegenwärtiger Aufenthalt unbekannt ist (Allg. L. R. Th. II. Tit. X. §. 49. 50.); diese gegen ihn streitende Vermuthung aber durch andere vorwaltende Umstände gehoben werden kann; so ist hier näher zu bestimmen:

1) wie die Konfiskationsklage gegen einen Kantonisten zu begründen sey;

2) auf was für Umstände, welche die Strafbarkeit der Entfernung ausschließen, der Richter bei der Instruktion der Sache Rücksicht zu nehmen habe.

Anh. §. 286. Der Konfiskationsprozeß gegen einen Ausgetretenen kann auch während seiner Minderjährigkeit eröffnet werden; jedoch ist alsdann außer den nächsten Anverwandten des Ausgetretenen zugleich dessen Vormund zuzuziehen.

Unter welchen Umständen die Absicht, sich den Kriegsdiensten zu entziehen, vermuthet werde.

§. 7.

Jeder Kantonist, welcher sich von seinem Geburts- oder bisherigen Wohnorte anders wohin, es sey in eben derselben, oder in einer andern Königlichen Provinz, begeben will, um entweder beständig dort zu wohnen, oder sich doch länger, als ein halbes


(782) Prozeßordn. Sechs u. dreißigster Titel.

Jahr, dort aufzuhalten, ist schuldig, diese Veränderung, und den Ort seines künftigen Aufenthalts, seiner Obrigkeit jedesmal ganz bestimmt anzuzeigen.

§. 8.

Es bleibt daher nicht nur in Ansehung derjenigen Kantonisten, welche unter der Verpflichtung einer persönlichen Unterthänigkeit stehen, bei demjenigen, was die Provinzialgesetze und Gesindeordnungen wegen der Erlaubnißscheine zum Auswärtsdienen festsetzen; ingleichen bei demjenigen, was in Ansehung der Handwerksgesellen, wegen der von selbigen nachzusuchenden Wanderpässe verordnet ist; sondern es müssen auch alle übrige Kantonisten ihrer Obrigkeit die vorbeschriebene Anzeige machen, und sich darüber ein schriftliches Attest ertheilen lassen.

§. 9.

Mit diesem Erlaubnißscheine, Wanderpasse, oder Atteste, welches unentgeldlich ertheilt werden muß, muß der Kantonist in den Städten bei dem Steuerrathe, auf dem Lande aber bei dem Landrathe sich melden; und dieses zu thun, von der Obrigkeit, bei Aushändigung des Scheins, Passes oder Attests, jedesmal ausdrücklich angewiesen werden.

§. 10.

Der Land- oder Steuerrath muß den sich Meldenden in ein über sämmtliche abwesende Kantonisten zu haltendes Verzeichniß eintragen, und daß dieses geschehen sey, auf dem Scheine oder Atteste selbst bemerken.

§. 11. Ohne dergleichen Erlaubnißschein, Wanderpaß, oder Attest, soll kein Unterthan oder anderer Kantonist von irgendeiner Gerichtsobrigkeit, bei nachdrücklicher Ahndung, aufgenommen und geduldet werden.

§. 12.

Damit aber auch dergleichen Leute nicht Gelegenheit finden, fremde Gerichtsobrigkeiten durch


(783) Konfiskationsprozesse.

Verhehlung dieser ihrer Dualität zu ihrer Aufnahme zu verleiten, und die Absicht der gegenwärtigen Ordnung zu vereiteln; so sollen überhaupt alle fremde und unbekannte Leute gemeinen Standes, die weder dergleichen Schein, Paß oder Attest vorzeigen, noch sich sonst über ihre Herkunft und Gewerbe auf eine glaubhafte Art sofort ausweisen können, als Landstreicher und Vagabonden, nach den desfalls ergangenen Vorschriften, angesehen und behandelt werden.

§. 13.

Wenn ein mit Vorwissen der Obrigkeit einmal weggegangener Kantonist seinen Aufenthaltsort weiter verändern will, so ist derselbe schuldig, entweder dem Land- oder Steuerrath unmittelbar, oder der Obrigkeit seines Geburtsorts, oder doch seinen daselbst wohnenden Eltern, Vormündern, oder anderen Verwandten, davon, und von dem Orte, wo er sich nunmehro hinbegeben wolle, Nachricht zu ertheilen.

§. 14.

Die Nachricht muß er so oft wiederholen, als er seinen bisherigen Aufenthaltsort wieder verändert.

§. 15.

Diese Verbindlichkeit muß ihm von der Obrigkeit, von der er die erste Erlaubniß erhalten hat, ausdrücklich bekannt gemacht, und wie es geschehen, in dem Scheine selbst bemerkt werden.

§. 16.

Wenn nun bei den vorgenommenen Kantonrevisionen einer oder der andere dem Enrollement Unterworfene sich nicht gestellt, so müssen die bei der Revision mitwirkenden Zivilbediente nicht nur die nach §. 10. von den Land- und Steuerräthen zu führenden Listen nachsehen, sondern sich auch alle Mühe geben, durch nähere Vernehmung der Obrigkeiten, Eltern, Vormünder, oder Verwandten, und durch weitere Erkundigungen, auf den Grund der


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solchergestalt eingezogenen Nachrichten, gehörig auszumitteln: ob ein solcher Kantonist aus dem Lande gegangen sey, oder wo derselbe innerhalb Landes sich aufhalte.

§. 17.

Kann durch solche Nachforschungen der Aufenthalt des fehlenden Kantonisten nicht ausgemittelt werden, so tritt gegen denselben die Vermuthung ein: daß er ohne Erlaubniß der vorgesetzten Behörde aus dem Lande gegangen sey; und diese rechtliche Vermuthung ist hinreichend, den Konfiskationsprozeß wider ihn zu begründen.

Unter welchen Umständen diese Vermuthung wegfalle.

§. 18.

Da es aber auch Fälle giebt, in welchen gegen Menschen von dieser Klasse, wenn er auch wirklich ohne Erlaubniß aus dem Lande gegangen ist, dennoch der Konfiskationsprozeß entweder gar nicht, oder doch nicht als gegen einen ausgetretenen Kantonisten Statt findet; so muß auch hierauf vor der Eröffnung des Konfiskationsprozesses die erforderliche Rücksicht genommen werden.

§. 19.

Der Konfiskationsprozeß findet 1) gegen den nicht Statt, welcher, ungeachtet er an und für sich zu einem der kantonpflichtigen Stände gehört, dennoch vermöge der besonderen, im Kantonreglement enthaltenen Ausnahmen von dieser Verpflichtung frei ist.

Anh. §. 269. Den im Lande geborenen und vor dem 12ten Februar 1792. ausgetretenen Söhnen der eingewanderten und sich auf alten Stellen etablirten Ausländer kann der Konfiskationsprozeß nicht gemacht werden, da ihnen die auf den Austritt haftende Strafe der Konfiskation ihres Vermögend nicht angedroht ist.

§. 20.

2) Auch gegen den nicht, welcher von dem Kantonregimente seine Entlassung erhalten hat. Doch kann eines Theils das Regiment einem Kantonisten,


(785) Konfiskationsprozesse.

welcher ausgetreten ist, und seine Entlassung erst aus der Fremde nachsucht, dieselbe nicht ertheilen, und dadurch der Invalidenkasse das aus dem strafbaren Austritte einmal erworbene Recht nicht benehmen; anderntheils wird ein Kantonist, welcher seinen Abschied nur unter der Bedingung, sich im Lande zu etabliren, erhalten hat, und, dieser Bedingung entgegen, dennoch das Land verlässt, nach wie vor, und eben so, als wenn er gar nicht entlassen worden wäre, als ein ausgetretener Kantonist angesehen und behandelt.

§. 21.

3) Wenn nachgewiesen werden kann, daß ein aus dem Lande gegangener Kantonist wegen Alters oder kleiner Statur zu Kriegsdiensten nicht tauglich gewesen, und also nicht angenommen werden kann, daß er in der Absicht, sich dem Enrollement zu entziehen, ausgetreten sey; so findet der Konfiskationsprozeß wider ihn in der Eigenschaft eines ausgetretenen Kantonisten nicht Statt. Wenn er aber zum Felddienste, als Pack-, Stück- oder Proviantknecht bereits aufgezeichnet gewesen, oder zu einer Zeit sich entfernt hat, wo Truppen marschieren sollen, und die Aushebung der Knechte für die Regimenter und Trains bereits verfügt ist; so wird er für einen ausgetretenen Kantonisten geachtet. Uebrigens kann der Einwand, daß der Ausgetretene wegen Alters oder kleiner Statur zum Kriegsdienste untauglich gewesen, von dem Richter niemals von Amts wegen ergänzt, noch der Nachweis des Gegentheils zur Begründung der Konfiskationsklage gefordert werden; sondern es ist abzuwarten: ob der Vorgeladene selbst, oder seine Anverwandten (et)c. in dem anberaumten Termine diesen Einwand entgegen setzen, und wie sie denselben darthun werden.


(786) Prozeßordn. Sechs u. dreißigster Titel.

§. 22.

4) Wenn der ausgetretene Kantonist bereits verstorben ist, ehe noch der Konfiskationsprozeß gegen ihn anhängig gemacht, und seine Vorladung erlassen worden ist; so kann auf die Strafe der Konfiskation, zum Nachtheile seiner Erben, nicht mehr angetragen werden.

§. 23.

Hingegen wird durch die gerichtliche Todeserklärung eines verschollenen Kantonisten das Recht der Invalidenkasse auf sein zurück gelassenes Vermögen nicht ausgeschlossen; vielmehr muß ihr die Ausübung desselben auch gegen die Erben, die etwa schon auf den Grund eines solchen Erkenntnisses in den Besitz dieses Vermögens gesetzt worden sind, allemal noch frei stehen; in so fern nur sonst die Konfiskationsklage nach §. 7 hinlänglich fundirt ist, und bei der Instruktion der Sache von Seiten der Erben weder diese Präsumtion gehoben, noch das natürliche Absterben des Ausgetretenen nachgewiesen werden kann. Auch kann der Fiskus von solchen Erben nicht mehr fordern, als der Abwesende selbst, wenn er nach der Todeserklärung zurück käme; oder seine wahren Erben von dem Besitzer der Erbschaft zu verlangen berechtigt seyn würden. (Allg. L. R. Th. II Tit. XVIII. §. 842-853.)

Anh. §. 270. Die Verwandten eines abwesenden Kantonpflichtigen können, durch Nachsuchung der öffentlichen Vorladung desselben, Behufs der Todeserklärung die Folgen eines auf Instanz der Regierungs- Hauptkasse ergehenden Konfiskationserkenntnisses in Ansehung künftiger Erbschaftsanfälle nicht entkräften. Es tritt vielmehr die Regierungs- Hauptkasse in des ausgetretenen Kantonpflichtigen Stelle, in so fern nicht von den Miterben nachgewiesen werden kann, daß der Kantonist zur Zeit des Erbanfalls wirklich verstorben gewesen oder das 70ste Jahr seines Alters vollendet gehabt. Im letztern Falle bleiben jedoch auch dann die Rechte der Regierungs- Hauptkasse ungekränkt, wenn dieselbe beweisen kann, daß der mehr als 70jährige Kantonist


(787) Konfiskationsprozesse.

zur Zeit des Erbanfalls wirklich noch am Leben gewesen sey.

§. 24.

Die Konfiskationsklage findet daher gegen einen ausgetretenen Kantonisten auch alsdann noch Statt, wenn der zur Todeserklärung nach den Gesetzen erforderliche Zeitraum verflossen ist; indem der Ausgetretene durch sein Beharren in seinem strafbaren Betragen eine Verjährung gegen den Fiskus, weder zu seinem, noch zu seiner Erben Vortheil, anfangen und vollenden kann.

§. 25.

Damit aber nicht durch unpassende Todeserklärungen bei den Untergerichten entweder die Rechte des Fiskus geschmälert, oder doch Unordnungen angerichtet, und unnütze Kosten verursacht werden; so muß das Untergericht, bei welchem die Verwandten eines abwesenden Kantonisten seine Todeserklärung nachsuchen, bei der Aufnehmung der Klage und der Thatsachen, welche das Gesuch begründen sollen, zugleich auch wegen derjenigen Umstände, durch welche der Konfiskationsprozeß fundirt werden könnte, von Amts wegen Erkundigung einziehen, und das darüber aufgenommene Informationsprotokoll an das vorgesetzte Obergericht einsenden. Von diesem muß das Protokoll dem fiskalischem Bedientem zur Nachricht und Erklärung vorgelegt, sodann aber beurtheilt werden: ob die nach Vorschrift der Gesetze zur Eröffnung des Konfiskationsprozesses erforderlichen Gründe vorhanden sind, oder nicht? Ist Letzteres, so wird dem Untergerichte die Fortsetzung des Prozesses auf Todeserklärung überlassen. Sind aber Umstände, die den Konfiskationsprozeß begründen, vorhanden; so muß dieser bei dem Obergerichte veranlaßt, der darin aufgesetzte Termin den auf Todeserklärung an tragenden Verwandten bekannt gemacht, und diese von dem Untergerichte belehrt werden, was sie zu


(788) Prozeßordn. Sechs u. dreißigster Titel.

thun oder beizubringen haben, um den fiskalischen Anspruch abzulehnen. Wird hiernach auf Konfiskation erkannt, so erledigt sich der Antrag auf Todeserklärung von selbst. Wird aber der Fiskus abgewiesen, so hat demnächst der Prozeß auf Todeserklärung bei dem Untergerichte seinen Fortgang.

Aufnehmung der Klage.

§. 26.

So viel das Verfahren nun selbst betrifft, welches bei der Instruktion des Konfiskationsprozesses gegen ausgetretene Kantonisten zu beobachten ist; so muß der fiskalische Bediente, wenn er sich zur Anstellung der Klage meldet, vor allem Dingen die Klage selbst durch den Nachweis, daß der Beklagte wirklich, um sich dem Kriegsdienste zu entziehen, aus dem Lande gegangen sey, oder doch, nach den §. 7.-17. festgesetzten Bestimmungen, die rechtliche Vermuthung deshalb wider sich habe, gehörig begründen. Zu diesem Nachweise ist ein Attest der zu den Kantonrevisionen geordneten Beamten über die nach §. 16. 17. fruchtlos angestellte Erkundigung hinreichend.

§. 27.

Sodann muß er von dem Deputirten des Gerichts auch darüber: ob vielleicht einer von den §. 18- 22. vorgetragenen Umständen, welche den Konfiskationsprozeß ausschließen, vorhanden und liquid sey, von Amte wegen vernommen werden.

§. 28.

Dieß Vernehmungsprotokoll muß im versammelten Kollegio gehörig vorgetragen, und dabei erwogen werden: ob die gesetzlichen Erfordernisse eines Konfiskationsprozesses wirklich vorhanden sind; oder ob die Sache sich vielmehr zur Vorladung des Abwesenden als eines Verschollenen qualificire; oder ob demselben vielleicht, vorkommenden besonderen Umständen nach, eine längere Frist zu seiner Rückkehr zu verstatten sey.


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Beschlag des Vermögens.

§. 29.

Sind die Erfordnernisse des Konfiskationsprozesses wirklich vorhanden, so muß die Citation des Beklagten gehörig verfügt; zugleich aber das Erforderliche von Amts wegen erlassen werden, um das Vermögen desselben in Beschlag zu nehmen, und gegen alle Verbringung, Fortschaffung, oder Belastung mit Schulden, sicher zu stellen.

Anh. §. 271. So bald den Gerichten bei Gelegenheit einer Erbtheilung, durch die Publikation eines Testaments oder bei anderen gerichtlichen Verhandlungen, glaubhaft bekannt wird, daß einem des Kriegsdienstes wegen ausgetretenen Unterthan einiges Vermögen, zugefallen sey; so müssen sie wegen dessen Sicherstellung sofort von Amts wegen das Nöthige verfügen, auch der vorgesetzten Regierung oder dem Fiskal davon ungesäumt Nachricht geben, damit der Konfiskationsprozeß veranlaßt und wegen der Einziehung des Vermögens die weitere Vorkehrung getroffen werden könne.

Citation.

§. 30.

In der Citation ist der Beklagte zur ungesäumten Rückkehr in die königlichen Lande aufzufordern, und besonders auf einen gewissen Termin, vor dem ernannten Deputirten, zur Verantwortung wegen seines Austritts vorzuladen; diesem auch die Androhung der Konfiskation, und des Verlusts seines gesammelten Vermögens, ingleichen aller etwanigen künftigen Anfälle, beizufügen.

Anh. §. 272. Unter dem Ausbruch: gesammtes Vermögen, wird sowohl daß (!) einländische als das ausländische Vermögen verstanden.

Termin und Bekanntmachung

§. 31.

Wegen der Art der Citation, und der Bestimmung des Termins, ist ein Unterschied zu machen: ob der auswärtige Aufenthalt des Beklagten bekannt sey, oder nicht.

Wenn der Aufenthaltsort des Beklagten bekannt ist;

§. 32.

Ist der Aufenthalt desselben bekannt, so wird ein Termin von 12 Wochen anberaumt; die Citation auf die Post gegeben; und seinen etwa im Lande noch


(790) Prozeßordn. Sechs u. dreißigster Titel.

befindlichen Eltern, Vormündern, Ehegatten, oder Geschwistern davon Nachricht ertheilt. Der Termin muß dergestalt hinaus gesetzt werden, daß die 12 Wochen erst von der Zeit, wo die Citation nach dem gewöhnlichen Gange der Posten an den Vorgeladenen kommen kann, zu laufen anfangen. In Ansehung seiner eigenen Vorladung wird ein von dem Kanzellei- oder Gerichtsdiener auf seinen Amtseid erheiltes Attest, daß und wann die Citation auf die Post gegeben worden, für zureichend angenommen; wegen der Bekanntmachung aber an die Eltern, Vormünder, Ehegatten oder Geschwister, muß die Insinuation wie gewöhnlich bescheinigt werden.

Anh. §. 273. Wenn der ausgetretene Kantonist sich in Rußland befindet und der Aufenthalt desselben bekannt ist, so geschieht die Insinuation der Vorladung an seine Verwandten.

§. 33.

Ist der bekannte Aufenthalt des Beklagten außer Deutschland, so wird die Frist auf 6 Monate, und wenn er gar außerhalb Europa wäre, auf Ein Jahr bestimmt. Wenn nach und von dem Orte, wo der Beklagte sich aufhält, kein regelmäßiger Postenlauf ist, so wird die Frist nach der Vorschrift des Alllg. L. R. Th. II. Tit. VIII. §. 2204. 2205. berechnet. Doch soll ein dabei vorgefallener Rechnungsfehler, wenn nicht daraus eine gänzliche Unmöglichkeit, daß der Vorgeladene die Citation zu rechter Zeit hat erhalten können, entsteht, keine Nullität im Verfahren begründen.

Anh. §. 274. Die spezielle Vorladung solcher ausgetretenen Kantonisten, deren Aufenthalt in Nordamerika bekannt ist, kann, wenn auch kein Postenlauf dahin Statt findet, nicht unterbleiben, und die Gerichte haben sich wegen der Uebermachung und Bescheinigung solcher Vorladungen an den Gesandten in Hamburg zu wenden.

Wegen der sich in England aufhaltenden ausgetretenen Kantonisten ist die Vorladung durch Requisition des Postamts zu Hamburg weiter zu befördern.


(791) Konfiskationsprozesse.

§. 34.

Uebrigens ist in Fällen, da der Aufenthaltsort des Beklagten in einem auswärtigen Lande bekannt ist, auch auf die mit der Regierung dieses Landes etwa bestehenden Traktaten und Kartelkonventionen die erforderliche Rücksicht zu nehmen.

wenn derselbe unbekannt ist.

§. 35.

Ist der Aufenthalt des ausgetretenen Kantonisten unbekannt, so muß Ediktalcitation ergehen, und darin der Termin ebenfalls auf 12 Wochen hinaus gesetzt werden. Die Anschlagung dieser Citation geschieht an gewöhnlicher Gerichtsstelle des Orts, wo das vorladende Gericht seinen Sitz hat, und desjenigen, wo die Heimath, und der letzte bekannte Aufenthalt des Beklagten innerhalb Landes, gewesen ist. Sind der Ort der Heimath und der Ort des letzten bekannten Aufenthalts verschieden, so muß die Citation an beiden Orten angeschlagen werden.

Die Einrückung derselben geschieht bloß in die Zeitungen und Intelligenzblätter der Provinz, und zwar zu dreien Malen, jedesmal von drei zu drei Wochen; dergestalt, daß vom Tage der ersten in den Intelligenzblättern geschehenen Bekanntmachung an, bis zum Termine, volle 12 Wochen ablaufen; wonnach also die Ansetzung des Termins zu reguliren ist. Die Einrückung in auswärtige Zeitungen ist nicht erforderlich; dagegen aber muß den etwa vorhandenen, und dem Gerichte bekannten Eltern, Vormündern, Ehegatten, oder Geschwistern des Beklagten, die ergangene Ediktalvorladung und der Termin bekannt gemacht werden.

Anh. §. 275. Werden mehrere Ausgetretene zusammen vorgeladen, oder kann deren Vorladung auf Einen Tag geschehen; so ist die Citation zur Ersparung der Kosten in Eine Bekanntmachung zusammen zu fassen. Wegen der Aushänge der Insertionen in den Zeitungen sind die Vorschriften Th. I. Tit. VII. §. 42. (Anh. §. 59.) zu beobachten.


(792) Prozeßordn. Sechs u. dreißigster Titel.

Verfahren, wenn der Beklagte nicht erscheint;

§. 36.

Wenn der solchergestalt gehörig vorgeladene Beklagte in dem anberaumten Präjudicialtermine nicht erscheint, so muß der ernannte Deputirte des Kollegii über dieß sein Außenbleiben die gewöhnliche Registratur aufnehmen, und für die Herbeischaffung der nach Verschiedenheit der Fälle erforderlichen Insinuationsbescheinigungen, Zeitungen und Intelligenzblätter durch den fiskalischen Bedienten Sorge tragen.

§. 37.

Wenn die Sache solchergestalt vollständig instruirt ist, so müssen die Akten dem Kollegio eingereicht; von diesem, wenn die Ansehung der Legalität des Verfahrens nichts zu erinnern wäre, das Urtel, der ergangenen Kommination gemäß, abgefaßt, dem fiskalischen Bedienten gewöhnlichermaaßen publicirt; und den Eltern, Vormündern, Ehegatten, oder Verwandten des Vorgeladenen, davon Nachricht gegeben werden.

§. 38.

Der fiskalische Bediente muß für die Vollstreckung des Erkenntnisses Sorge tragen, und das Nöthige deshalb gehörig betreiben.

§. 39.

Aus dem beigetriebenen Vermögen wird dem fiskalischen Bedienten die ihm zukommende Quota bezahlt, und der Ueberrest, nebst der Quittung über diese Quota sowohl, als über die anderen etwa zulässigen Ausgaben, durch das Gericht an die Invalidenkasse eingesendet werden. Dem Oberkriegskollegio ist von der geschehenen Einsendung allemal zu gleicher Zeit Anzeige zu machen.

Anh. §. 276. Zu den Kosten, welche durch den Verkauf der Grundstücke und Mobilien ausgetretener Kantonisten veranlaßt worden sind, ist der Fiskus etwas beizutragen nicht verbunden, vielmehr sind solche, so weit sie ihn treffen, niederzuschlagen.

Anh. §. 277. Die Kostenfreiheit des Fiskus in Ansehung des Vermögens eines ausgetretenen Kantonisten


(793) Konfiskationsprozesse.

erstreckt sich bis auf den Zeitpunkt seiner Entfernung zurück.

Anh. §. 278. Die Einsendung der Gelder geschieht an die Regierungs-Hauptkasse jeder Provinz, und es ist der Regierung von der geschehenen Einsendung zu gleicher Zeit Anzeige zu machen.

§. 40.

wenn Eltern, Verwandte (et)c. sich melden;

Meldet sich zwar der Ausgetretene nicht selbst, es erscheinen aber seine Eltern, Verwandten oder Vormünder, und widersprechen der Konfiskationsklage, entweder in der Absicht, den Ausgetretenen selbst gegen die Ansprüche des Fiskus aus den §. 18.bis 22. bemerkten Gründen zu vertheidigen; oder auch ihres eigenen Interesse wegen auszuführen, daß der Beklagte nicht für einen strafbaren Ausgetretenen, sondern nur überhaupt für einen Abwesenden oder Verschollenen zu achten sey: so muß die Sache zwischen ihnen und dem Fiskus gewöhnlichermaaßen instruirt, darüber erkannt, und das Erkenntniß sowohl gegen den Vorgeladenen, als gegen die an seiner Statt erscheinenden Eltern (et)c. gerichtet werden. Von diesem Erkenntnisse finden die gewöhnlichen Rechtsmittel statt.

wenn der Beklagte selbst sich meldet;

§. 41.

Meldet sich hingegen der Beklagte selbst in dem anberaumten Termine, so muß er über das, was er zur Entschuldigung seines Austritts anzuführen hat, zum Protokolle vernommen; der fiskalische Bediente dagegen summarisch gehört; und alsdann durch das Erkenntniß des Gerichts festgesetzt werden: ob die Konfiskation dennoch Statt finde, oder ob der Prozeß entweder schlechterdings und ohne weitere Bestrafung aufzuheben, oder mit welcher fiskalischen Geldbuße der Beklagte, wegen seiner ohne die erforderliche Erlaubniß außerhalb Landes vorgenommenen Reise, zu belegen sey.

§. 42.

Diese Strafe ist, nach Bewandtniß der Umstände, von dem Richter, der Vorschrift des A. L. R. Th. II.


(794) Prozeßordn. Sechs u. dreißigster Titel.

Tit. XX. §. 35. gemäß zu bestimmen; und findet auch alsdann Statt, wenn der Beklagte gar nicht aus dem Lande gegangen ist, aber doch bei seiner ersten Entfernung aus seiner Heimath, oder bei nachherigen Veränderungen seines Aufenthalts, die vorgeschriebene Anzeige §. 7-15. vernachlässigt hat. Gegen ein solches Erkenntniß sind nur die Rechtsmittel, wie in fiskalischen Untersuchungen, zulässig.

§. 43.

Meldet sich der Beklagte vor oder in dem Termine schriftlich, oder durch einen zulässigen Bevollmächtigten, und trägt, mit Anführung scheinbarer Ursachen, auf eine Nachfrist zu seiner Rückkehr in die Königlichen Staaten an; so kann ihm selbige, nach Bewandtniß der Umstände, nicht leicht versagt; es muß aber auch zugleich ein anderer Präjudicialtermin auf die Zeit des Ablaufs der bestimmten Frist angesetzt werden, in welchem er die wirklich erfolgte Zurückkunft ausweisen, und zugleich dem Fisko von seiner Entfernung Rede und Antwort geben müsse. Verstreicht dieser Termin abermals fruchtlos, so muß alsdann, ohne weitern Aufenthalt, das Kontumacialurtel wider ihn eröffnet werden.

besonders wenn dieses erst nach ergangenem Kontumacialbescheide geschieht.

§. 44.

Ist gegen den Ausgetretenen etwas in contumaciam erkannt worden, und es meldet sich derselbe entweder innerhalb zehn Tagen nach publicirtem Urtel, oder doch noch eher, als der Fiskus von seinem Vermögen wirklich etwas eingezogen hat; so soll er noch zu dem Tit. XIV. Abschn. III. beschriebenen Rechtsmittel verstattet; solchemnach mit seinen Entschuldigungsursachen, sowohl wegen seiner Entfernung außerhalb Landes überhaupt, als insonderheit wegen seines Außenbleibens in dem angestandenen Termine, vernommen, der fiskalische Bediente dagegen gehört, und sodann nach Vorschrift §. 41. in


(795) Konfiskationsprozesse.

erster Instanz erkannt werden. Ist aber das Vermögen des Ausgetretenen zur Zeit seiner Anmeldung schon wirklich eingezogen, so muß er entweder seine Begnadigung unmittelbar nachsuchen, oder, wenn er rechtliche Gründe zu Ablehnung aller Schuld wegen seines Austritts und ungehorsamen Außenbleibens für sich zu haben vermeint, deshalb auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand antragen, in welchem letztern Falle die Sache als ein ordentlicher fiskalischer Civilprozeß behandelt werden muß.

§. 45.

Wird in einem dieser Fälle der Implorant von der erkannten Konfiskationsstrafe entbunden, so finden wegen Herausgabe seines eingezogenen Vermögens die Vorschriften des A. L. R. Th. II. Tit. XVIII. §. 842-853. Anwendung.

§. 46.

Gegen wirkliche Deserteurs, die schon zur Fahne geschworen haben, ingleichen gegen Kantonisten, welche schon ausgehoben, oder zur Einrangirung beordert, obwohl noch nicht vereidet sind, wird der Konfiskationsprozeß von den Kriegsgerichten, nach der denselben darüber ertheilten besondern Vorschrift, instruirt, die Exekution des ergangenen Urtels aber muß bei der kompetenten Civilinstanz betrieben werden.

Anh. §. 279. Auch gegen Deserteurs von solchen Regimentern oder Bataillons, welche nachher aufgelöst werden, ingleichen gegen kriegsgefangene Ausländer, welche sich selbst in Freiheit gesetzt haben und ins Ausland zurück gegangen sind, wird der Konfiskationsprozeß von den Kriegsgerichten instruirt.

Anh. §. 280. Gegen die von der Armee entwichenen Packknechte ist, wenn sie noch nicht im Lande sind, von den Gerichten ihres Geburts- oder Wohnorts der Konfiskationsprozeß einzuleiten.


(796) Prozeßordn. Sechs u. dreißigster Titel.

Zweiter Abschnitt. Von dem Verfahren gegen andere ausgetretene Vasallen und Unterthanen.

Durch wen eine solche Klage anzustellen.

§. 47.

Der fiskalische Prozeß gegen andere ohne Erlaubniß aus dem Lande gegangene Vasallen und Unterthanen wird in Fällen, wo derselbe nach den Gesetzen (§. 2.) Statt findet, durch einen fiskalischen Bedienten betrieben, der dazu durch einen besondern Auftrag derjenigen Behörde legitimirt seyn muß, welchem nach der Landesverfassung, und der Qualität des Entwichenen, die Aufsicht gegen das unerlaubte Auswandern obliegt.

§. 48.

Wie sie zu begründen.

Der klagende fiskalische Bediente muß, so wie jeder anderer Kläger, seine Klage durch Anführung des Gesetzes, gegen welches der Beklagte gehandelt hat; der Thatsachen, woraus erhellet, daß er das Land in der Absicht, sich seinen Unterthans- und Vasallenpflichten zu entziehen, verlassen habe; und der Beweismittel über diese Thatsachen, gehörig begründen.

Citation.

§. 49.

Ist bei der Klage nichts zu erinnern, so ist der Beklagte zur Rückkehr in hiesige Lande, und zur Verantwortung über seinen ordnungswidrigen Austritt, vor einen Deputirten des Gerichts, auf einen gewissen Termin vorzuladen, und ihm, bei seinem ungehorsamen Ausbleiben, die in den Gesetzen nach Verschiedenheit der Fälle bestimmte Strafe ausdrücklich anzukündigen.

§. 50.

Ist der Beklagte mit Landgütern angesessen, so finden zwei Termine, jeder von drei Monaten, und zwei Citationen, deren erst die letztere die vorbemerkte


(797) Konfiskationsprozesse.

Drohung enthält, Statt; und die Insinuation derselben geschieht auf dem inländischen Gute.

§. 51.

Ist er mit Landgütern nicht angesessen, so muß Ediktalcitation ergehen, der Termin darin auf 9 Monate hinausgesetzt, und wegen der Bekanntmachung die allgemeine Vorschrift Tit. VII., jedoch mit dem Unterschiede, beobachtet werden, daß die letzte Bekanntmachung wenigstens 3 Monate vor dem anstehenden Termine erfolgen muß.

§. 52.

Ist der Aufenthalt des Abwesenden bekannt, so muß, außer der Ediktalcitation, zugleich eine besondere Vorladung an ihn erlassen, und das Gericht seines Aufenthaltsortes um die Insinuation ersucht werden. Wird diese verzögert, oder das Ersuchschreiben gar nicht beantwortet; so wird nach Vorschrift Tit. VII. § 11. verfahren.

Anh. §. 281. Wenn die an den Abwesenden erlassene besondere Vorladung gehörig bescheinigt worden, so kann der Umstand, daß keine Ediktalcitation erfolgt ist, das weitere Verfahren nicht aufhalten.

§. 53.

Bei der weitern Instruktion der Sache, der Abfassung und Publikation des Erkenntnisses, finden die Vorschriften §. 36 u. f. Anwendung; jedoch mit der Maaßgabe, daß, wenn der Aufenthalt des Vorgeladenen bekannt ist, demselben ein Bevollmächtigter von Amts wegen, um die Publikation des Kontumacialurtels anzuhören, und dem Beklagten davon Nachricht zu geben, bestellt werden muß.

Sieben und dreißigster Titel. Vom Verfahren gegen Verschollene.

Anordnung der Kuratel über Abwesende.

§. 1.

Wenn jemand die Königlichen Staaten zwar nicht in der Absicht, sich dem Lande und seine Unterthanspflichten


(798) Prozeßordn. Sechs u. dreißigster Titel.

zu entziehen, verlassen, dennoch aber in langer Zeit von seinem Leben und Aufenthalte keine Nachricht gegeben hat; so soll demselben, nach Vorschrift der Gesetze, von dem kompetenten Obervormundschaftlichen Gerichte ein Kurator bestellt werden.

§. 2.

Wann dergleichen Kuratel eigentlich Statt finde; wem selbige zu übertragen sen; wie es mit der Administration und dem Genusse des Vermögens gehalten werden solle, ist in den Gesetzen näher bestimmt. (Allg. L. R. Th. II. Tit. XVIII. §. 19-27. §. 63 bis 67. §. 195. §. 821 u. f.)

Wo und von wem die Klage anzustellen.

§. 3.

So bald die eben daselbst bestimmten Jahre in Abwesenheit verlaufen sind, muß das Obervormundschaftliche Gericht den Kurator anweisen, die Todeserklärung des Abwesenden bei demjenigen Gerichte, unter welchem der Verschollene zuletzt innerhalb der Königlichen Lande wohnhaft gewesen, oder wenn er noch nirgends einen Wohnsitz gehabt hat, in seinem Foro originis gehörig nachzusuchen. Ist der Abwesende noch im minderjährigen Alter aus dem Foro originis in einen andern Gerichtsstand gebracht, und daselbst über ihn, oder über sein zurück gelassenes Vermögen, ein Kuratel angeordnet worden; so kann die Vorladung in eben diesem Gerichtsstande der geführten Vormundschaft verfügt werden.

Anh. §. 282. Die Wirksamkeit der vormundschaftlichen Behörde (Allg. L. R. Th. II. Tit. XVIII. §. 825. 826.) tritt erst alsdann ein, wenn keine Verwandten des Abwesenden bekannt sind, oder wenn die bekannten nächsten Verwandten von der ihnen zustehenden Befugniß, auf Todeserklärung anzutragen, keinen Gebrauch machen.

Anmeldung und Aufnehmung der Klage.

§. 4.

Die Anmeldung geschieht, wie gewöhnlich, in der Registratur des Gerichts, und zur Aufnehmung des Gesuchs zum Protokolle wird von dem Kollegio ein


(799) Todeserklärungen.

Deputirter ernannt. Doch sind auch hier, wie in anderen Fällen, schriftliche gehörig substantiirte Klagen zulässig.

§. 5.

Bei diesem Deputirten muß der Kurator die näheren Umstände des Gesuchs gehörig anzeigen, und zugleich das Approbationsdekret des vormundschaftlichen Kollegii beibringen.

Citation.

§. 6.

Das Gericht muß alsdann die Ediktalcitation des Abwesenden erlassen, und dabei zwar überhaupt die Vorschriften Tit. VII. beobachten, zugleich aber auch nachfolgende nähere Bestimmungen sorgfältig wahrnehmen:

1) Die Citation muß nicht nur an den Abwesenden für seine Person, sondern auch an die von ihm etwa zurück gelassenen unbekannten Erben und Erbnehmer gerichtet werden.

2) Der Termin wird auf Neun Monate hinaus gesetzt, und dieser neunmonatliche Zeitraum dergestalt berechnet, daß er erst von dem Zeitpunkte, wo die Citation den Intelligenzblättern das erstemal hat eingerückt werden können, zu laufen anfange.

3) Dem Vorgeladenen wird aufgegeben, sich vor oder in dem Termine bei dem Gerichte, oder in der Registratur desselben, schriftlich oder persönlich zu melden, und daselbst weitere Anweisung zu erwarten.

4) Der Regel nach werden zwei Exemplare der Ediktalcitation ausgefertigt; wovon das eine bei dem citirenden Gerichte selbst, das andere aber, nach dem Ermessen desselben, an demjenigen Orte, wo der Verschollene sich zuletzt innerhalb der Königlichen Lande aufgehalten hat, oder wo seine Familie wohnhaft ist, angeschlagen werden muß.

5) Die Citation muß eingerückt werden:

a) In die Zeitungen und Intelligenzblätter derjenigen Provinz, wo das citirende Gericht seinen Sitz hat.


(800) Prozessordn. Sieben u. dreißigster Titel.

b) In die Zeitungen einer andern Königlichen Provinz, in welche, oder nach deren Gegend, der Verschollene, den letzten Nachrichten oder Vermuthungen zufolge, sich hingewendet hat.

c) In eine ausländische fremde Zeitung, worin dergleichen Inserirung nach der Vorschrift Tit. VII. geschehen kann.

6) Die Einrückung in die einländische Zeitung und Intelligenzblätter sub a. muß sechsmal geschehen; so daß für jedesmal ein und ein halber Monat gerechnet wird: folglich von der letzten Bekanntmachung bis zum Termine noch wenigstens ein und ein halber Monat offen bleiben. In die auswärtigen Zeitungen sub b. und c. hingegen darf die Citation nur dreimal, nämlich alle drei Monate nur einmal, eingerückt werden; so daß der Zwischenraum von der letzten Einrückung bis zum Termine drei Monate ausmacht.

§. 7.

Von der verfügten Vorladung und dem anstehenden Termine muß jedesmal dem fiskalischem Amte Nachricht gegeben werden; damit dieses von den Umständen der Entfernung außerhalb Landes nähere Erkundigung einziehen, und überhaupt auch auf den Fall, wenn sich gar kein rechtsmäßiger Erbe meldete, die Rechte des Fiskus bei der Sache gehörig wahrnehmen könne.

Wie es zu halten sey, wenn der Abwesende zu den Kantonisten gehört, ist im vorigen Tit. §. 25. vorgeschrieben.

§. 8.

Auch der vermuthlich nächste Erbe muß, wenn er nicht selbst die Citation ausgebracht hat, zu diesem Termine mit vorgeladen werden, damit in dem Falle des §. 10. Nr. 2. die Berechtigung des Legitimationspunktes unter einem erfolgen könne.


(801) Todeserklärungen.

§. 9.

Instruktion.

Wenn weder der Abwesende selbst, noch sonst jemand in dessen Namen, sich vor oder im Termine gemeldet hat, so muß auf Anregung des Extrahenten mit der Instruktion der Sache ferner verfahren werden.

§. 10.

Der Deputirte des Gerichtes muß

1) dafür sorgen, daß die Exemplare der Ediktalcitation, so wie der Zeitungen und Intelligenzblätter, worin dieselbe bekannt gemacht worden ist, durch den Extrahenten zu den Akten gebracht werden.

2) Er muß, wenn in der Zwischenzeit, seit Erlassung der Citation, irgend eine Veränderung in der Person des bekannten nächsten Erben sich ereignet hätte, die Berichtigung des Legitimationspunktes von Amts wegen betreiben.

3) Er muß den Extrahenten nochmals vernehmen: ob er wirklich innerhalb der gesetzmäßigen bestimmten Zeit, und insonderheit seit der veranlaßten öffentlichen Vorladung, von dem Abwesenden, dessen Leben und Aufenthalte, keine Nachricht erhalten habe; und ihn diese seine Angabe eidlich bestärken lassen.

§. 11.

Erkenntniß.

Wenn alles Vorstehende berichtigt ist, so müssen die Akten dem Kollegio eingereicht, und von diesem auf die Todeserklärung, und was dem anhängig, nach Vorschrift der Gesetze erkannt werden.

Wie es zu halten, wenn der Vorgeladene sich meldet;

§. 12.

So bald der Abwesende sich, es sey perönlich oder schriftlich, meldet, muß das ganze Verfahren aufhören; und wegen seiner Legitimation, wegen Herausgabe des Vermögens an ihn, oder wegen der dem Fisko über seine Entfernung außerhalb Landes zu gebenden Rechenschaft, das Weitere nach


(802) Prozessordn. Sieben u. dreißigster Titel (et)c.

Beschaffenheit der Umstände, und nach Vorschrift der Gesetze verfügt werden.

Wenn Erben sich melden.

§. 13.

Wenn vor oder in dem Termine sich jemand meldet, welcher behauptet, daß ihm zu der Succession des Abwesenden ein näheres Recht zustehe; oder wenn der Fiskus diesen Nachlass wegen strafbaren Austretens außerhalb Landes in Anspruch nimmt; oder behauptet, daß der sich gemeldete Erbe nicht Erbe sey, sondern der Nachlaß für ein bonum vacans geachtet werden müsse: so ist dieses eine Intervention, welche nach der auf den Fall passenden Art des Verfahrens besonders instruirt werden muß. Die Todeserklärung selbst aber wird dadurch nicht aufgehalten.

Von Zusammenziehung mehrerer Vorladungen in Einem Prozesse.

§. 14.

Zu Ersparung der Kosten einer solchen öffentlichen Vorladung können die Gerichte, wenn das Vermögen des Verschollenen nicht wenigstens hundert Thaler beträgt, die Erlassung der Citation, in so fern die Interessenten nicht ein Anderes ausdrücklich bitten, so lange aussetzen, bis noch ein zweiter oder mehrere Fälle, wo die aufzubietenden Vermögensmassen, zusammen genommen, wenigstens die Summe von hundert Thalern erreichen, bei ihnen vorkommen.

§. 15.

Auch können in gleichem Falle Interessenten, die zu mehreren, bei verschiedenen Untergerichten nachzusuchenden Todeserklärungen gehören, oder auch diese Untergerichte selbst, bei dem Obergerichte der Provinz sich melden, und darauf antragen, daß von letzterm die gemeinschaftliche Vorladung der zu den verschiedenen Untergerichten gehörenden Verschollenen unter einem verfügt werden.


(803) Acht und dreißigster Titel.

Von dem Verfahren bei der Erklärung eines Menschen für einen Blödsinnigen oder Verschwender.

§. 1.

Die Gesetze verordnen, daß den Wahn- und Blödsinnigen, ingleichen den Verschwendern, Vormünder bestellt; zuvor aber durch den Richter untersucht werden soll: ob jemand in dem Zustande, wo ihm die Befugniß, über seine Person, Handlungen und Güter frei zu vefügen, benommen werden muß, sich wirklich befinde. (Allg. L. R. Th. I. Tit. I. §. 27–31. Th. II. Tit. XVIII. §. 12. 13. 14.)

Blösinnigkeitserklärungen. Von wem, und

§. 2.

I. Der Antrag, jemanden für wahn- oder blödsinnig zu erklären, kann sowohl von den Verwandten desselben, als von Amts wegen durch einen fiskalischen Bedienten, gemacht werden.

wo darauf angetragen werden könne.

§. 3.

Die Untersuchung gehört nicht vor das vormundschaftliche Gericht, sondern vor den ordentlichen persönlichen Richter des Imploraten.

Begründung des Antrags.

§. 4.

Der Antrag selbst muß durch bestimmte Angaben von Thatsachen und Beweismitteln unterstützt, und einigermaaßen bescheinigt seyn.

Einleitung der Sache.

§. 5.

Wenn der Richter den Antrag für hinlänglich begründet hält, so muß dem Imploraten vor allen Dingen ein besonderer Kurator zur Wahrnehmung seiner Gerechtsame bestellt, und dazu jemand ausgesucht werden, der, wo möglich, zu den Bekannten des Imploraten gehöre, in keinem Falle aber irgend ein Interesse bei der Sache habe.


(804) Prozeßordn. Acht u. dreißigster Titel.

Anh. §. 283. Der Kurator wird von dem instruirenden Richter, und nicht von der vormundschaftlichen Behörde bestellt.

Anh. §. 284. Die Sorge für die Sicherstellung des Vermögens während der Instruktion des Prozesses liegt jederzeit dem Richter ob.

Instruktion.

§. 6.

Alsdann muß das Gericht eine nähere Untersuchung des Gemüthszustandes des Imploraten durch einen Deputirten, mit Zuziehung des Kurators, der Verwandten, und zweier Sachverständigen Aerzte veranlassen. Von diesen Sachverständigen wird der eine von dem Kurator, der andere von den Verwandten vorgeschlagen.

Anh. §. 285. Ein Arzt der weder als Physikus, noch sonst gegen den Staat oder die Kommune in besonderen Pflichten steht, hat keine Verbindlichkeit, sich dergleichen Geschäften zu unterziehen. Wenn der Kurator und die Verwandten, aller Mühe ungeachtet, keinen Sachverständigen finden können, der sich zur Uebernehmung des Geschäfts versteht, und die Instruktion dadurch aufgehalten wird; so muß das Gericht die Medicinalbehörde wegen Ernennung eines Sachverständigen requiriren.

§. 7.

Können der Kurator und die Verwandten unter einander, und mit den Sachverständigen, sich nicht vereinigen; so giebt das einmüthige Gutachten der Letzteren den Ausschlag. Sind aber auch diese miteinander nicht einig, so muß der Richter entweder von Amts wegen einen dritten Sachverständigen ernennen, und mit Zuziehung desselben die Untersuchung wiederholen lassen; oder er muß von den beiden ersten Sachverständigen schriftliche, mit Gründen unterstützte Gutachten erfordern, dieselben mit den Akten dem collegio Medico der Provinz vorlegen, und von diesem die Eröffnung seiner Sachkundigen Meinung sich erbitten.

Erkenntniß und Rechtsmittel.

§. 8.

Die Erklärung eines Menschen für wahn- oder blödsinnig muß allemal durch ein förmliches Erkenntniß geschehen. Gegen dasselbe wird den Verwandten


(805) Prodigalitätserklärungen.

kein Rechtsmittel verstattet. Dem Kurator aber stehen die ordentlichen Rechtsmittel, er mag sie aus eigener Bewegung, oder auf Verlangen seines Pflegebefohlenen einwenden, offen; doch gilt während derselben das erste Erkenntnis als ein Interimisticum.

Anh. §. 286. Einer öffentlichen Bekanntmachung dieses Erkentnisses bedarf es nicht.

Prodigalitätserklärungen. Von wem darauf anzutragen sey.

§. 9.

II. Wenn jemand vom seinem Vermögen einen dergestalt leichtsinnigen, unbesonnenen, und ausschweifenden Gebrauch macht, daß die gesetzlichen Merkzeichen eines Verschwenders bei ihm vorhanden zu seyn scheinen; und der Richter, welcher ihm in Ansehung seiner Person vorgesetzt ist, etwas davon, es sey durch die Anzeige seiner Verwandten, oder sonst, in glaubwürdige Erfahrung bringt: so muß derselbe einem fiskalischen Bedienten aufgeben, darüber unverzüglich nähere Erkundigungen einzuziehen, und nach Befund der Umstände das Weitere nachzusuchen.

§. 10.

Der fiskalische Bediente muß sich sodann alle Mühe geben, theils von den Verwandten des der Verschwendung Verdächtigen, welche er über die ihm bedenklich scheinenden Umstände, auf ihre dem Staate und dessen Gesetzen schuldige Pflichten, zu befragen hat, theils von anderen mit dem Verdächtigen in näherer Bekanntschaft und Verbindung stehenden Personen, oder durch die sonst etwa vorhandenen, an sich erlaubten, jedoch mit möglichst wenigem Aufsehen verknüpften Mittel, von dem Betragen und der Wirthschaftsführung des Verdächtigen sichere Nachricht einzuziehen, und die nöthigen Data zu sammeln, woraus beurtheilt werden könne: ob derselbe nach Vorschrift der Rechte zur Prodigalitätserklärung wirklich qualificirt sey.


(806) Prozessordn. Acht u. dreißigster Titel.

§. 11.

Glaubt der fiskalische Bediente, nach reifer und pflichtmäßiger Erwägung der vorwaltenden Umstände, daß dergleichen Data wirklich vorhanden sind; so muß er sich unverzüglich bei dem Gerichte melden, und auf nähere Vernehmung darüber antragen.

§. 12.

Bei Ober- sowohl, als besonders bei Untergerichten, wo keine fikalischen Bediente bestellt sind, steht es den Verwandten selbst frei, die Klage auf Prodigalitätserklärung anzustellen. Wenn daher ein Untergericht Umstände in Erfahrung bringt, welche die Prodigalitätserklärung eines seiner Jurisdiktionsgesessenen zu erfordern scheinen; so muß es die Verwandten desselben, besonders diejenigen, denen bei erfolgender gänzlicher Verarmung seine Ernährung obliegen würde, von diesen Umständen benachrichtigen, und ihnen den fernern Betrieb der Sache überlassen.

§. 13.

Wenn aber keine Verwandten vorhanden, oder dem Gerichte bekannt sind, so muß dasselbe die obwaltenden Umstände dem ihm vorgesetzten Obergerichte von Amts wegen anzeigen; damit dieses einem Justizkommissario, oder anderen Justzbedienten, den Auftrag mache, die Funkton des fiskalischen Bedienten in diesem Falle zu übernehmen.

Klage.

§. 14.

Wenn nun ein auf Prodigalitätserklärung antragender Provokant sich meldet, so muß das Gericht sofort einen Deputirten ernennen, welcher den Provokanten über die Gründe, warum er auf die Prodigalitätserklärung antragen zu müssen glaube, zum Protokolle umständlich vernehmen, und besonders darauf sehen muß, daß der Antrag nicht auf bloß allgemeine, unbestimmte, und unzuverlässige Gerüchte gegründet, sondern specielle Thatsachen und Umstände einer unbesonnenen und verschwenderischen Wirthschaftsführung


(807) Prodigalitätserklärungen.

angegeben, auch diese Thatsachen der Natur derselben, gehörig bescheinigt werden. Doch finden auch hier schriftliche, gehörig und vollständig begründete Klagen Statt.

Vorladung.

§. 15.

Dieses Vernehmungsprotokoll muß im versammelten Kollegio gehörig vorgetragen; alle Umstände müssen genau und reiflich erwogen; bei schriftlichen Klagen die Manualakten und Informationsprotokolle mit vorzüglicher Sorgfalt geprüft; und wenn die Sache zur näheren Untersuchung qualificirt befunden wird, muß der Provokat, mit Kommunikation des Protokolls, auf einenso nahe als möglich anzuberaumenden Termin, von den bestellten Deputirten in Person, unter der im folgenden Paragraphen ausgedrückten Warnung, vorgeladen werden.

Verfahren in contumaciam.

§. 16.

Wenn der Provokat sich in diesem Termine nicht meldet, so muß der Deputirte über dieß sein Außenbleiben eine Registratur aufnehmen; das Gericht aber die angegebenen Thatsachen in contumaciam für zugestanden achten; und in Gemäßheit derselben den Provokaten, durch ein gewöhnlichermaaßen abzufassendes und zu publicirendes Kontumacialurtel, für einen Verschwender erklären; auch sodann das Weitere nach der unten folgenden Vorschrift verfügen.

Vernehmung des Provokaten.

§. 17.

Meldet sich aber der Provokat, so muß der Deputirte ihn über die zur Begründung des Antrags angegebenen Thatsachen und Umstände Punkt für Punkt vernehmen; ihn befragen, wie und womit er diese auf Verschwendung und üble Wirthschaft schließende Data abzulehnen und zu entschuldigen gedenke; und was er etwa, wegen seines künftigen ordentlichen und regelmäßigen Betragens, dem Staate und seiner Familie für Versicherung zu geben im Stande sey.


(808) Prozessordn. Acht. u. dreißigster Titel.

§. 18.

Läßt bei dieser Vernehmung der Provokat die Prodigalitätserklärung sich gefallen, so wird dieselbe von dem Gerichte durch eine Resolution nach Vorschrift Tit. VIII. §. 16. festgesetzt. Einigt er sich mit den Verwandten, welche die Prodigalitätserklärung gesucht haben, über gewisse Maaßregeln, wodurch den Besorgnissen einer ferneren Verbringung seines Vermögens vorgebeugt werden kann; so ist dieses ein Vergleich, welcher dem Gerichte zur Bestätigung vorgelegt; von diesem aber nicht anders bestätigt werden muß, als wenn es findet, daß die verabredeten Maaßregeln nicht nur an sich zweckmäßig, sondern auch so beschaffen sind, daß dadurch kein Dritter, oder gar das Publikum überhaupt, gefährdet werde.

Instruktion.

§. 19.

Widerspricht aber der Provokat die Prodigalitätserklärung, und läugnet er die Richtigkeit oder Erheblichkeit der zu Ihrer Begründung angegebenen Thatsachen, so muß mit der ferneren Instruktion nach den allgemeinen Vorschriften der Prozeßordnung gehörig verfahren werden.

Vorläufige Verfügungen während der Instruktion.

§. 20.

Wenn schon in der Klage, oder auch im Fortgange der Instruktion, solche Handlungen des Beklagten bescheinigt werden, welche die Beschuldigung der unordentlichen und verschwenderischen Lebensart unterstützen; so muß der Richter, auf den Antrag des Provokanten, vorläufige und interimistische Verfügung treffen, durch welche dem ferneren Vermögensverfalle während des Prozesses so weit vorgebeugt werde, als geschehen kann, ohne durch öffentliche Bekanntmachung den guten Namen und Kredit des Beklagten, der sich gegen den wider ihn streitenden Schein doch vielleicht rechtferigen könnte, einen unwiederbringlichen Nachtheil zuzufügen.


(809) Prodigalitätserklärungen.

§. 21.

Es kann daher, wenn er Grundstücke oder eingetragene Aktiva besitzt, durch Vermerkung einer Prorestation im Hypothekenbuche, der Veräußerung und weiteren Verpfändung derselben vorgebeugt; wegen anderen ausstehenden Kapitalien können Inhibitionen an die Schuldner erlassen; Juwelen und Kostbarkeiten, die nicht zu seinem täglichen Gebrauche bestimmt sind, können ihm abgefordert, und in gerichtliche Verwahrung genommen; und in einzelnen Fällen können diejenigen, von denen bekannt wird, daß sie in Kontrakte mit ihm sich einlassen wollen, wegen der wider ihn schwebenden, auf die Prodigalitätserklärung gerichteten Untersuchung gewarnt werden.

§. 22.

Auch hat es in Ansehung der von dem Beklagten währen des Prozesses geschlossenen Verträge, und errichteten letztwilligen Dispositionen, für den Fall, wenn hiernächst die Prodigalitätserklärung wirklich erfolgt, bei den Vorschriften des A. L. R. Th. I. Tit. V. §. 16. und Tit. XII. §. 32. 33. sein Bewenden.

Erkenntniß.

§. 23.

Wenn die Instruktion nach §. 19. geschlossen ist, so müssen die Akten, ohne Zulassung schriftlicher Deduktionen, zum Spruche vorgelegt, und die Abfassung des Erkenntnisses muß vorzüglich beschleunigt werden.

Rechtsmittel.

§. 24.

Gegen das Erkenntniß findet die Appellation in Anlehnung beider Theile Statt; und bei der Instruktion des Rechtsmittels sind ebenfalls die allgemeinen Vorschriften der Prozessordnung, mit Rücksicht auf den Unterschied der Fälle, ob neue Thatsachen oder Beweismittel vorrkommen, oder nicht, zu beobachten.

I) In Ansehung des Prokaten (!).

§. 25.

In Ansehung des Provokanten hat dieß Rechtsmittel die volle Wirkung; in Ansehung des Provokaten hingegen kann die Vollstreckung des wider


(810) Prozessordn. Acht u. dreißigster Titel.

denselben ausgefallenen Urtels durch die Appellation nicht aufgehalten werden.

§. 26.

Das erkennende Gericht muß daher, sogleich nach Publikation des Urtels, die öffentliche Bekanntmachung, daß dem Provokaten ferner kein Kredit ertheilt werden solle, nach Vorschrift §. 34. verfügen; auch dem vormundschaftlichen Gerichte, wenn dieses ein von ihm verschiedenes Kollegium ausmacht, eine Abschrift des Erkenntnisses zufertigen; damit dieses wegen Bestellung eines Interimskurators, wegen Verkümmerung der ausstehenden Kapitalien, Beschlagnehmung des übrigen Vermögens, und sonst, das Erforderliche nach Maaßgabe der Vormundschaftsordung verfügen könne.

§. 27.

Wenn der Provokat von dem Urtel appellirt, so muß die Instruktion ganz vorzüglich beschleunigt werden; und sind besonders dem Provokanten und Appellaten Prorogationen und Nachfristen, nicht ohne sehr erhebliche hinlänglich bescheinigte Ehehaften, zu gestatten.

§. 28.

Erfolgt auf die Appellation des Provokaten eine Abänderung des vorigen Urtells zu seinem Besten, so steht dem Provokaten dagegen die Revision offen; und es muß bei den nach §. 26. getroffenen Verfügungen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung, sein Bewenden haben.

§. 29.

Wird das erste Urtel bestätigt, so kann der Provokat dagegen zwar nicht die Revision einwenden; es versteht sich aber von selbst, daß auch alsdann die nach §. 26.getroffenen Verfügungen bis zum Ausgange des Revisorii unverändert bleiben.


(811) Prodigalitätserklärungen.

§. 30.

Von der Vorschrift des §. 26. findet nur dann eine Ausnahme Statt, wenn der Provokat, sogleich bei Anmeldung der Appellation, neue erheblich scheinende Umstände zur Ablehnung der ihm nach den Akten.der ersten Instanz zur Last fallenden Thatsachen anführt, und sofort bescheinigt; oder doch Beweismittel darüber bestimmt angiebt. Alsdann kann der Richter, nach reiflicher Erwägung der Umstände, der Appellation die volle Wirkung beilegen; doch hat es nicht nur während derselben bei den Vorschriften §. 20. 21. 22. sein Bewenden; sondern es wird auch hierdurch festgesetzt, daß, wenn jemand mit einem Menschen, gegen den schon ein auf Prodigalitätserklärung ausgefallenes, obgleich noch nicht rechtskräftiges Urtel vorhanden ist, in Verträge sich eingelassen hat, ein solcher Vertrag, wenn in der Folge die Prodigalitätserklärung rechtskräftig wird, für den Provokaten allemal unverbindlich sey: also, daß der andere Kontrahent, wenn er auch der Wissenschaft von dem vorhandenen Erkenntnisse nicht überführt werden kann, dennoch nicht die Erfüllung eines solchen Vertrages, sondern nur Schadloshaltung für das, was etwa darauf von ihm schon gegeben oder geleistet worden, zu fordern berechtigt ist.

§. 31.

Sind in einem solchen Falle die §. 26. bemerkten Verfügungen ausgesetzt worden, und es wird dennoch zuletzt auf die Prodigalitätserklärung rechtskräftig erkannt; so muß der Richter diese Verfügungen, so bald die Rechtskraft vorhanden ist, zu erlassen niemals verabsäumen.

§. 32.

Sind hingegen mehrbesagte Verfügungen während des Laufes der Rechtsmittel wirklich getroffen worden, und der Provokat wird zuletzt rechtskräftig entbunden, so hört nicht nur die Interimskuratel


(812) Prozeßord. Acht u. dreißigster Titel.

sogleich auf, sondern es muß auch öffentlich bekannt gemacht werden; daß der Provokat sich gegen die ihm Schuld gegebene Verschwendung hinlänglich gerechtfertigt habe, und also sein Kredit hiermit wieder hergestellt werde.(812 Prozessordn. Acht u. Dreißigster Titel

§. 33.

Dem Provokanten steht die Appellation gegen ein Erkenntniß, wodurch der Provokat entbunden worden ist, mit voller Wirkung offen. Erfolgt aber in der zweiten Instanz Bestätigung, so ist keine Revision dagegen zulässig; vielmehr steht demselben nur frei, wenn er nach der Hand nähere Data, den Provokaten für einen Verschwender zu halten, in Erfahrung bringt, daraus, als aus einem neuen Klagegrunde, den Antrag auf Prodigalitätserklärung in der ersten Instanz zu wiederholen.

§. 34.

Die Bekanntmachung der ergangenen Prodigalitätserklärung geschieht durch öffentlichen Aushang, sowohl an ordentlicher Gerichtsstelle, als an dem Orte, wo der Provokat seinen eigentlichen Wohnsitz hat, oder statt dessen, bei einem andern Gerichte, dessen Auswahl dem Richter, nach Bewandtniß der Umstände, der Art des von dem Provokaten bisher getriebenen Verkehrs, oder der Gegend, wohin er bisher seinen gewöhnlichen Ab- und Zugang gehabt hat, überlassen bleibt.

Auch muß die Prodigalitätserklärung durch dreimalige Einrückung in die Zeitungen und Intelligenzblätter der Provinz, dem Publiko bekannt gemacht werden. Ist der Provokat ein Kaufmann, so wird außerdem die Prodigalitätserklärung auf der Börse.bekannt gemacht, und der Kurator muß angewiesen werden, die auswärtigen Handlungskorrespondenten davon zu benachrichtigen.


(813) Prodigalitätserklärungen.

Aufhebung der Prodigalitätserklärung

§. 35.

Die durch Urtel und Recht einmal verhängte Prodigalitätserklärung kann nicht anders wieder aufgehoben werden, als wenn der Pflegebefohlene, nach Anleitung des A. L. R. Th. II. Tit. XVIII. §. 856. u. f. überzeugende Proben seiner Besserung beibringt, welches bei dem Obervormundschaftlichen Gerichte, unter dessen Aufsicht er steht, geschehen muß.

§. 36.

Dieß Kollegium muß dergleichen Gesuch sorgfältig prüfen, und, wenn es dasselbe unerheblich findet, den Supplikanten mit Gründen bescheiden. Scheint aber das Gesuch nicht ganz unerheblich zu seyn, so müssen der Kurator sowohl, als die nächsten Verwandten, mit ihren Erklärungen darüber vernommen werden.

§. 37.

Sind die Verwandten der Meinung, daß die von dem Supplikanten beigebrachten Proben seiner Besserung für hinreichend zu achten, und findet das vormundschaftliche Kollegium auch für sich selbst kein Bedenken dabei, so kann die Prodigalitätserklärung sofort wieder aufgehoben, und das Nöthige deshalb öffentlich bekannt gemacht werden.

§. 38.

Fällt die Meinung der Verwandten dahin aus: daß der Supplikant mit seinem Gesuche abzuweisen sey; und findet sich das vormundschaftliche Kollegium durch die von ihnen angeführten Gründe bewogen dieser Meinung beizutreten: so wird hiernach das Abweisungsdekret ausgefertigt; bei welchem es alsdann lediglich sein Bewenden hat.

§. 39.

Tragen die Verwandten auf den Widerruf der Prodigalitätserklärung an; und das vormundschaftliche Gericht findet Bedenken, ihrer Meinung beizutreten; so muß letzteres, mit Anführung der von den


(814) Prozeßordn. Acht u. dreißigster Titel (et)c.

Verwandten beigebrachten Gründe, und der denselben entgegen stehenden Bedenklichkeiten, an die ihm unmittelbar vorgesetzte Behörde berichten; bei derren Vorbescheidung es denn ebenfalls sein Bewenden hat.

§. 40.

Nur allein in dem Falle, wenn das vormundschaftliche Gericht Gründe zu haben glaubt, die Prodigalitätserklärung aufzuheben; ein Verwandter aber widerspricht,; muß erstgedachtes Kollegium den bisherigen Pflegebefohlenen durch ein schriftliches Dekret autorisiren, sich bei dem kompetenten ordentlichen Gerichte zu melden, und daselbst auf nähere Untersuchung anzutragen.

§. 41.

Dabei muß ihm entweder sein ordentlicher Kurator beistehen; oder, wenn dieser mit dem Aufhebungsgesuche nicht einig wäre, muß ihm ein besonderer Kurator dazu bestellt werden.

§. 42.

Der widersprechende Verwandte ist dabei als Gegentheil zu betrachten, und die Sache zwischen ihm und dem Pflegebefohlenen zu verhandeln.

§. 43.

Wird in dem darauf erfolgenden Urtel auf die Aufhebung der Prodigalitätserklärung gesprochen, so muß es dabei sein Bewenden haben, und findet dagegen kein weiteres Rechtsmittel Statt.

§. 44.

Wird aber der Provokant mit seinem Gesuche abgewiesen, so ist dagegen die Appellation zulässig. Wird auf diese das erste Urtel bestätigt, so muß es dabei sein Bewenden haben, Wird es aber zum Vortheile des Provokanten geändert, so kann der Provokat noch auf ein Drittes Erkenntniß darüber antragen.


(815) Neun und dreißigster Titel.

Von vormundschaftlichen Prozessen.

§. 1.

Es können bei den vormundschaftlichen Kollegien einige Fälle vorkommen, wo es in gewisser Maaße einer Instruktion und eines Erkenntnisses bedarf, nämlich:

1) wenn jemand, der zum Vormunde ernannt worden ist, sich deshalb entschuldigt;

2) wenn mehrere Personen darüber, welcher von ihnen die Vormundschaft gebühre, streiten;

3) wenn ein Vormund als verdächtig entsetzt werden soll;

4) wenn einem Vormunde während seiner Amtsführung Rechnungsmängel gezogen werden. Wie in diesem Falle zu verfahren sey, soll im gegenwärtigen Titel bestimmt werden.

I. Verfahren über die Causas excusationis eines Vormunds.

§. 2.

Wenn I. jemand, welcher zum Vormunde ernannt worden ist, eine von denen in den Gesetzen (Th. II. Tit. XVIII. §. 208 u. f.) bestimmten Ursachen, die ihn von Uebernehmung dieses Amtes entschuldigen, für sich zu haben glaubt; so muß er dieselben entweder noch vor, oder spätestens in dem zu seiner Verpflichtung anberaumten Termine, dem vormundschaftlichen Gerichte gebührend anzeigen.

§. 3.

Das Gericht muß ihn mit seinem Anbringen durch einen Deputirten zum Protokoll hören; ihn die Tatsachen, worauf er sein Entschuldigungsgesuch gründet, sofort näher bescheinigen lassen; und hiernächst durch eine noch an eben demselben, oder dem nächstfolgenden Sessionstage abzufassende, und dem Provokanten zu publicirende Resolution, in welcher die Gründe der Entscheidung mit aufzunehmen sind,


(816) Prozeßordn. Neun u. dreißigster Titel.

festsetzen: in wie fern die Entschuldigung erheblich, und also der Provokant von Uebernehmung der Vormundschaft zu entbinden, oder in wie fern er dazu, der Einwendung ungeachtet, anzuhalten sey.

§. 4.

Ist der Vormund abwesend und entfernt, dergestalt, daß auch die Abnahme der Verpflichtung von ihm einem auswärtigen Kommissario hat übertragen werden müssen; so muß eben dieser Kommissarius auch das von dem bestimmten Vormunde angebrachte Entschuldigungsgesuch zum Protokolle nehmen und instruiren; das Kollegium muß auf dieß ihm eingesendete Protokoll die vorstehend beschriebene Resolution unverzüglich abfassen, und sie dem Provokanten durch den vorigen Kommissarius eröffnen.

§. 5.

Will der Provokant in beiden Fällen bei dieser Resolution sich nicht beruhigen, so muß er entweder gleich bei deren Publikation, oder spätestens drei Tage nachher, dieses gleichergestalt zum Protokolle anzeigen; und was er zur Unterstützung seines Gesuchs, oder zu Widerlegung der vorigen Resolution etwa beizubringen hat, näher ausführen.

§. 6.

Alsdann werden beide Protokolle demjenigen Kollegio zugesendet, an welches von den Gerichten des Orts, wo der Vormund bestellt werden soll, die ordinairen Appellationen in Prozeßsachen verwiesen sind. Besteht dieß Kollegium zur Hälfte, oder zu einem noch größeren Theile, aus Mitgliedern, die auch im vormundschaftlichen Kollegio, von welchem die erste Resolution abgefaßt worden ist, Sitz und Stimme haben; so müssen die Akten dem höhern, oder einem andern auswärtigen Gerichte, zur Entscheidung über den genommenen Rekurs, vorgelegt werden. So geht z. B. diese Entscheidung von dem Kurmärkischen Pupillenkollegio an das Tribunal, von


(817) Vormundschaftliche Prozesse.

dem Neu- und Altmärkschen, ingleichen von dem Pommerschen Pupillenkollegio, an den Oberappellantionssenat des Kammergerichts; von dem Westpreußischen und Insterburgschen Pupillenkollegio an das Ostpreußische Tribunal, von der Ostfriesischen Regierung nah Cleve, von Cleve nach Minden, von Breslau nach Glogau, und so umgekehrt.

§. 7.

Das Kollegium, welchem hiernach die Entscheidung über den Rekurs des Provokanten zukommt, muß die Sache in der nächsten Session vornehmen; Die Entschuldigungsursachen nochmals genau prüfen; und solchergestalt entscheiden: ob es bei der vorigen Resolution zu belassen, oder dieselbe abzuändern sey.

§. 8.

Diese Bestimmung geschieht ebenfalls nur durch eine Resolution, welche innerhalb Acht Tagen an das vormundschaftliche Gericht zurück gesendet werden, und bei der es sodann lediglich sein Bewenden haben muß.

§. 9.

Wegen der Vertretung, welche dem Vormunde obliegt, wenn während der Verhandlung seines zuletzt für unerheblich befundenen Entschuldigungsgesuchs, den Pupillen ein Schade erwächst, hat es bei den Vorschriften der Gesetze lediglich sein Bewenden. (Allg. L. R. Th. II. Tit. XVIII. §. 204-207.)

§. 10.

Da aber nach diesen Vorschriften den Vormund ein sehr beträchtlicher Nachtheil treffen kann; und der Fall möglich ist, daß er wirklich gegründete und erhebliche Entschuldigungsursachen gehabt hat, an deren Nachweisung und Ausführung er nur durch die Schnelligkeit des im Vorstehenden angeordneten vorläufigen Verfahrens gehindert worden: so soll ihm, wann er auf einen solchen Schadenersatz belangt wird, frei stehen, in dem alsdann Statt findenden


(818) Prozeßordn. Neun u. dreißigster Titel.

ordentlichen Prozesse näher auszuführen: daß seine angebrachten Entschuldigungsursachen wirklich gegründet und erheblich gewesen sind, ohne daß ihm dabei aus den vorhergebenden Resolutionen der Einwand der Rechtskraft entgegen gesetzt werden kann. Erhält er in diesem Prozesse ein obsiegendes Urtel, so wird er nicht nur von der Vertretung frei, sondern er kann auch auf die Entlassung von der auf den Grund der vorläufigen Resolutionen übernommenen Vormundschaft antragen.

II. Verfahren, wenn mehrere über die Vormundschaft streiten.

§. 11.

Wenn II. mehrere Personen darüber: welcher von ihnen die Vormundschaft über einen Pflegebefohlenen gebühre streitig sind, und sich deshalb bei dem vormundschaftlichen Kollegio melden; so muß dieses sie insgesammt auf einen nahen Termin vor einem Deputirten aus seiner Mitte bescheiden; jeden von ihnen über den Grund seines Anspruchs, und des vor den übrigen sich anmaaßenden Vorzugs, zum Protokolle vernehmen lassen; sodann aber durch eine Resolution festsetzen, welchem unter ihnen die Vormundschaft aufzutragen sey. (A. L. R. Th. II. Tit. XVIII. §. 200. 201. 997.)

§. 12.

Wenn einer von den abgewiesenen Kompetenten sich bei dieser Entscheidung nicht beruhigen will, so steht ihm dagegen der §. 5-8. beschriebene Rekurs, bei welchem jedoch das vorgezogene Subjekt gehört werden muß, offen; unterdessen aber muß dieser Letztere als Interimskurator verpflichtet, und zu Besorgung der vormundschaftlichen Angelegenheiten angewiesen und zugelassen werden.

III. Verfahren bei Entstehung eines Vormunds, Begründung eines solchen Antrags.

§. 13.

Wenn III. ein vormundschaftliches Kollegium entweder selbst wahrnimmt, oder ihm von glaubwürdigen Personen, besonders von Mit- oder Ehrenvormündern, Verwandten (et)c., angezeigt wird: daß


(819) Vormundschaftliche Prozesse.

ein unter seiner Aufsicht stehender Vormund sich eines unredlichen, aber doch nachlässigen, unachtsamen, und der Person, oder dem Vermögen des Pflegebefohlenen zum Nachtheile gereichenden Betragens verdächtig mache; so muß es zuvörderst über den Grund dieses Verdachts, entweder durch den Neben- oder Ehrenvormund, oder wenn dergleichen nicht vorhanden ist, durch einen fiskalischen Bedienten, nähere Erkundigungen anstellen; und wenn dadurch der Verdacht sich bestätigt, über die Thatsachen , durch welche der Vormund sich verdächtig gemacht hat, nebst der Angabe der Beweismittel darüber, eine Registratur aber ein Promemoria aufnehmen lassen.

In diesem kann der Name des Denuncianten, wenn selbiger nicht genannt seyn will, übergangen werden, da die Richtigkeit seiner Angabe schon vorläufig geprüft worden ist, und ihm also deswegen seine weitere Vertretung angemuthet werden kann.

Vorläufige Vernehmung des Vormunds.

§. 14.

Dieß Promemoria muss dem verdächtigen Vormunde kommunicirt, und derselbe auf einen nahem Termin, zu seiner Ausführung und Verantwortung darüber, bei dem bestellten Deputirten, vorgeladen werden.

§. 15.

In diesem Termine, dessen Verlegung nicht Statt findet, muß der Deputivten dem Provokaten die wider ihn angebrachten verdächtigen Thatsachen und Umstände Punkt für Punkt vorhalten; ihn, wie er dieselben abzulehnen und zu vertheidigen denke, umständlich examiniren; auch den Provokanten, falls dieser seine fernere Zuziehung bei der Sache nicht abgelehnt hat, mit dem , was er bei der Verantwortung des Vormundes seines Orts zu erinnern oder zu bemerken hat, ebenfalls hören.


(820) Prozeßordn. Neun u. dreißigster Titel

§. 16.

Erklärt der beschuldigte Vormund bei Gelegenheit dieser Vernehmung, daß er die Vormundschaft niederlegen wolle; so bedarf es von Seiten des vormundschaftlichen Gerichts keiner ferneren Untersuchung; sondern dieses hat dafür zu sorgen, daß dem Pflegebefohlenen unverzüglich ein anderer Vormund bestellt; der Abgehende zur ungesäumten Abgabe seiner Schlußrechnung und zur Ausantwortung des in Händen gehabten Vermögens angehalten; bei dieser Gelegenheit aber die von ihm etwa zu vertretenden Defekte gehörig ausgemittelt; der Pflegebefohlene deshalb sicher gestellt und demselben zu seiner Entschädigung verholfen werde. Finden sich bei diesen Verhandlungen Anzeigen einer von dem gewesenen Vormunde begangenen Unredlichkeit und Untreue, die eine fiskalische oder gar eine Kriminaluntersuchung gegen denselben begründen können; so muß das vormundschaftliche Gericht davon der kompetenten Behörde zur weiteren Verfügung Nachricht geben.

§. 17.

Widerspricht hingegen der Vormund seiner Entlassung und leugnet er die ihm gemachten Beschuldigungen; so muß der Deputirte die abgeleugneten Tatsachen möglichst ins Licht zu setzen bemüht seyn. Doch findet dabei keine förmliche Beweisaufnehmung statt; sondern es ist nur von denjenigen Mitteln zur Aufklärung der Sache Gebrauch zu machen, welche im Termine selbst zur Stelle gebracht worden, oder doch in der Nähe und ohne Zeitverlust zu erlangen sind.

§. 18.

Nach geschlossener Untersuchung müssen die Akten dem vormundschaftlichen Kollegio, zur Abfassung einer Resolution, vorgelegt, und diese am nächsten Sessionstage publicirt werden.


(821) Vormundschaftliche Prozesse.

Weitere Verfahren.

§. 19.

Findet das vormundschaftliche Gericht, daß durch diese vorläufige Untersuchung die dem Vormunde zur Last fallenden verdächtigen Umstände nicht hinlänglich zu seiner Rechtfertigung aufgeklärt worden; so müssen, zu Abwendungen alles besorglichen Nachtheils von den Pflegebefohlenen, die nach den Umständen möglichen und zweckmäßigen Verfügungen, durch Ansetzung eines Nebenvormundes, abgeänderte Vertheilung der Administration und die etwa schon bestellten mehreren Vormünder, Eintragung oder Erhöhung der Kaution, Erlassung von Inhibitionen an die Schuldner, Pächter oder Wirthschafter und andere dergleichen Vorsichtsmaaßregeln getroffen werden, bei welchen es in allen Fällen, bloß mit Vorbehalt des gewöhnlichen Weges der Beschwerde bei der dem vormundschaftlichen Gericht unmittelbar vorgesetzten Behörde, sein Bewenden hat.

§. 20.

Außerdem muß aber das vormundschaftliche Gericht auf die angestellte vorläufige Untersuchung zugleich beschließen; ob es bloß bei diesen Maaßregeln (§. 19.) belassen, und der angeklagte Vormund beibehalten, oder ob auf seine gänzliche Entlassung, oder gar auf seine Remotion gedrungen werden solle.

§. 21.

Wird Letzeres nöthig gefunden, so muß ferner geprüft werden: ob die gegen den beschuldigten Vormund vorhandenen Anzeigen auf eine vorsätzliche Untreue und Unredlichkeit, oder nur auf schuldbare Nachlässigkeit, und in seiner Verwaltung begangene grobe Versehen folgern lassen.

§. 22.

Ist Ersteres der Fall, so wird fiskalische, oder, nach Beschaffenheit der Umstände, wirkliche Kriminaluntersuchung gegen den beschuldigten Vormund veranlaßt Ist aber nur Schuld und Nachlässigkeit


(822) Prozeßordn. Neun u. dreißigster Titel.

vorhanden, so wird die Sache zu einer ordentlichen Klage gegen ihn eingeleitet, und dem Pflegebefohlenen zu solchem Behufe ein Kurator zugeordnet.

§. 23.

 Die weitere Verhandlung der Sache gehört nicht zu dem vormundschaftlichen, sondern vor dasjenige Gericht, welchem in demselben Bezirke, wo die Vormundschaft geführt wird, die ordentliche Civil- oder Kriminalgerichtsarbeit zusteht.

§. 24.

Besteht dieses Gericht ganz, oder doch zur Hälfte, aus denjenigen Personen, welche zugleich das vormundschaftliche Gericht ausmachen; so muß, wenn es ein Untergericht wäre, die weitere Verhandlung bei dem unmittelbar vorgesetzten Obergericht angestellt werden. Ereignet sich aber dieser Fall bei einem Obergerichte, es sei in der Ersten, oder in der Appellationsinstanz; so muß dem Chef der Justiz, zur Bestimmung eines anderen Kollegii, bei welchem die Verhandlung erfolgen solle, davon Anzeige geschehen.

§. 25.

Ist fiskalische oder Kriminal-Untersuchung veranlasst, so wird dabei nach den für diese Prozessarten besonders ertheilten Vorschriften verfahren. Ist nur eine Civilklage angestellt worden, so erfolgt die Instruktion derselben im Wege des ordentlichen Prozesses, und es sind dabei die gewöhnlichen Rechtsmittel zulässig; da durch die nach §. 19. getroffenen vorläufigen Verfügungen, für die einstweilige Sicherheit des Pflegebefohlenen gesorgt ist.

IV. Verfahren in vormundschaftlichen Defekten-Sachen.

§. 26.

Wenn IV. das vormundschaftliche Gericht bei der Administrationsrechnung eines Vormundes Ausstellungen und Monita zu machen hat, so muß es dieselben dem Rechnungsleger vor dem Termin zur Abnahme kommuniciren; im Termine selbst ihn mit seiner Beantwortung und Ausführung darüber vernehmen;


(823) Vormundschaftliche Prozesse.

und sodann durch eine Resolution festsetzen: welche Monita für erledigt zu achten sind, oder bei welchen dem Vormund eine Vertretung, und auf wie hoch, zur Last falle.

§. 27.

Wenn aber der Vormund sich dabei nicht beruhigen, noch die gezogenen Defekte anerkennen will; so muß entweder der Nebenvormund, oder ein Verwandter, welcher von der Sache Kenntniß hat, oder allenfalls ein Justizkommissarius, dem Pflegebefohlenen zum Kurator ad lites bestellt, von dem Vormundschaftskollegio mit dem erforderlichen Auftrage und Information versehen, und durch ihn die Defekte bei den ordentlichen Gerichten eingeklagt; bei der Instruktion aber, nach der Vorschrift des Titels von Rechnungssachen, verfahren werden.

Vierzigster Titel.

Vom Verfahren in Sponsalien- und Ehesachen.

Klagen auf Ehegelöbnissen.

§. 1.

Wer wegen eines Eheverlöbnisses, es sey auf die Vollziehung oder Aufhebung desselben, klagen will, muß sich bei demjenigen Gerichte, vor welches dergleichen Sachen, nach allgemeiner gesetzlicher Vorschrift, oder nach der besonderen Verfassung der Provinz gehören, gewöhnlichermaaßen melden.

§. 2.

Das Gericht muß ihn sofort vorläufig zum Protokolle vernehmen lassen; und seine Erkundigung vornehmlich darauf richten: ob ein wirkliches, mit gesetzmäßigen Erfordernissen versehenes Eheversprechen vorhanden sey, und worin die Ursachen, warum der Kläger, oder dessen Gegentheil, davon abgehen will, eigentlich bestehen. (Allgem. L. R. Th. II. Tit. I. §.75–135. §. 846. §. 1047–1054.)


(824) Prozeßordnung. Vierzigster Titel.

§. 3.

Aus diesem Protokolle ergibt sich entweder: daß bei der Sache Gefahr in Verzuge obwalte: z. B. wenn der eine oder der andere Theil sich mit einer anderen Person wirklich zu verheirathen im Begriffe steht, und der Gegner in die Proklamation und Vollziehung der Kopulation Einspruch gethan hat;

oder:

daß dergleichen Gefahr bei dem Verzuge nicht obwalte.

§. 4.

Ist keine Gefahr im Verzuge vorhanden, so muß die Sache, gleich jedem anderen ordentlichen Prozeß, eingeleitet und instruirt, und dabei müssen jedesmal, wenn der eine oder andere Theil noch unter Eltern oder Vormündern steht, diese bei der Instruktion mit zugezogen werden.

§. 5.

Um jedoch einen doppelten Prozeß so viel als möglich zu vermeiden, muß der Richter, wenn besonders aus den Umständen sich wahrscheinlich ergibt, daß die Vollziehung des Eheverlöbnisses nicht stattfinden werde, die Instruktion mit darauf richten: wie hoch allenfalls das Interesse, und die Abfindung oder Entschädigung des unschuldigen Theils, nach dem Stande, Vermögen, und übrigen Verhältnissen des Gegners, oder nach dem Inhalte des schriftlichen Eheverlöbnisses zu bestimmen seyn würde; wie denn auch die in solchen Fällen mit besonderem Fleiße vorzunehmende Sühnshandlung auf ein über dieß Interesse zu stiftendes gütliches Abkommen zugleich gerichtet werden muß.

Besonders bei getanem Einspruch.

§. 6.

Ergibt sich hingegen aus der §. 2. geordneten vorläufigen Vernehmung des Imploranten, daß wirklich Gefahr bei dem Verzuge obwalte: so muß der


(825) Ehesachen.

Richter, wenn nicht etwa bei dem zum Grunde liegenden Eheverlöbnisse ein Mangel der wesentlichen gesetzlichen Erfordernisse, und also eine offenbare Nullität vorhanden ist, sofort die nöthige Verfügung erlassen, daß bis zur erfolgenden näheren Erörterung alles im vorigen Stande, und die fernere Proklamation, oder die Kopulation ausgesetzt bleibe.

§. 7.

Doch muß in diesem Falle dem implorantischen Theile, wenn derselbe mit keinem rechtskundigen Assistenten oder Bevollmächtigten versehen ist, die Vorschrift der Gesetze, wegen Bestrafung ungegründeter Einsprüche, ausdrücklich bekannt gemacht werden. (A. L. R. a. a. O. §.164.)

§. 8.

Zugleich muß der Richter den beklagten Theil, und wenn derselbe noch unter Eltern oder Vormündern steht, zugleich auch diese, auf einen nahen Termin, zur vorläufigen nähern Vernehmung in Person, vorladen; allenfalls auch, und nach Bewandtniß der Umstände, diese Vernehmung einem in der Nähe befindlichen Kommisssario übertragen. (U. L. R. ebend. §. 117.)

§. 9.

Die Absicht bei diesem Termine ist hauptsächlich ein Versuch der Sühne, und allenfalls die Regulierung eines Interimistici. Der Deputirte oder Kommissarius muß daher vor allen Dingen den die Vollziehung des Eheverlöbnisses weigernden Theil näher vernehmen: ob diese Weigerung sein freier, ernstlicher, und überlegter Wille sey; und die Hauptsache gütlich beizulegen trachten. Ist aber hiebei seine Bemühung fruchtlos, so muß er den Gegentheil näher befragen: worin sein Interesse bei der Sache eigentlich bestehe; und wenigstens darüber ein gütliches Abkommen zu bewirken, sich angelegen seyn lassen.


(826) Prozeßordnung. Vierzigster Titel.

§. 10.

Wenn der die Vollziehung des Eheverlöbnisses weigernde Theil bei dieser seiner Weigerung beharret, und auch der Versuch einer gütlichen Regulierung des Interesse für den Gegner vergeblich ist; so muß der Richter wegen der Aufhebung, oder ferneren Fortdauer der nach §. 6. ergangenen Inhibition, das Erforderliche den Rechten nach verfügen.

§. 11.

Bei der Instruktion der Hauptsache wird die Vorschrift §. 4 und 5. beobachtet. Diese Instruktion kann entweder, wenn die Sache nicht weitläufig und verwickelt ist, in dem nach Maßgabe §. 8. zur Regulirung des Interimistici anberaumten Termine zugleich geschehen; oder es muß, wenn eine umständliche Erörterung nöthig wäre, in eben dem Dekrete, worin das Interimisticum festgesetzt wird, ein neuer Termin dazu anberaumt werden.

§. 12.

Wenn mit der ein Eheverlöbniß betreffenden Klage zugleich ein Gesuch wegen Entschädigung für die Entjungferung, oder wegen der Alimentierung des, außer der Ehe gezeugten Kindes angebracht wird; so muß die in den vorstehenden Paragraphen beschriebene Instruktion der Sache auch auf diese Nebenpunkte mit gerichtet, und dabei der dem Kinde anzuordnende Kurator zugezogen werden.

II. Bei Klagen ad supplendum consensum.

§. 13.

Wenn Eltern ihre Einwilligung zu der Heirath eines Kindes versagen, und auf deren Ergänzung geklagt werden soll; so muß zwar die Klage auch von demjenigen allein, der die unter den weigernden Eltern stehende Person heirathen will, angenommen werden (A. L. R. Th.II. Tit.I. §. 63.); dieser muß aber, außer den übrigen zur Begründung einer solchen Klage erforderlichen Umständen, zugleich bescheinigen: daß er mit dem Kinde über die unter


(827) Ehesachen

ihnen zu schließende Heirath wirklich einverstanden sey.

§. 14.

Alsdann müssen die weigernden Eltern, nebst dem Kinde, vor einen Deputirten oder Kommissarius des Gerichts in Person vorgefordert, die angebrachte Klage ihnen vorgehalten, und sie mit ihrer Erklärung darüber vernommen werden.

§. 15.

Besonders muß der Deputirte oder Kommissarius die Person, auf deren Ehelichung geklagt worden ist, allein und ohne Beiseyn der Eltern vernehmen: ob sie der Klage beitrete, oder die Weigerung der Eltern sich gefallen lasse. Der Deputirte oder Kommissarius muß dabei mit aller Sorgfalt und Vorsicht zu Werke gehen, damit eine ganz freie, und nicht bloß durch Furcht oder Scham bewirkte Erklärung abgegeben werde.

§. 16.

Läßt das Kind die Weigerung der Eltern sich gefallen, so hat es dabei lediglich sein Bewenden, und der Kläger wird durch ein bloßes Dekret mit der angestellten Klage abgewiesen.

§. 17.

Ist aber das Kind mit dem Kläger einverstanden, so muß der Deputirte oder Kommissarius die Eltern wieder herbei rufen, und sie durch diensame, den Umständen angemessene Vorstellungen zur Ertheilung ihres Konsenses zu vermögen suchen.

§. 18.

Sind diese Bemühungen fruchtlos, so muß der Prozeß im Namen beider Theile, die einander heirathen wollen, fortgesetzt werden, und findet dabei das ordentliche und gewöhnliche Verfahren statt.

§. 19.

Während des Prozesses dürfen die Eltern über die Person des Kindes keine solche Verfügung treffen,


(828) Prozeßordnung. Vierzigster Titel.

wodurch die Rechte des Klägers vereitelt, ihm deren Ausführung erschwert, oder ein die Freiheit des Willens beschränkender Einfluß über das Kind ausgeübt werden könnte. Werden von dem Kläger Besorgnisse dieser Art angeführt und bescheinigt, so muß der Richter das Erforderliche zu seiner Sicherstellung nach Vorschrift der Gesetze verfügen. (A. L. R. Th. I. XIV. §. 107. 108.)

§. 20.

III. Bei Ehescheidungen.

Bei wirklichen Ehescheidungsprozessen finden zwar an sich die allgemeinen Vorschriften der Prozeßordung statt; doch müssen sowohl bei der ersten Einleitung, als bei der ferneren Verhandlung der Sache, nachfolgende nähere Bestimmungen beobachtet werden.

Anh. §. 287. In allen Fällen, wo sich katholische Eheleute mit ihren Ehescheidungsklagen bei den Gerichten melden, muß ihnen gleich bei Einleitung des Prozesses bekannt gemacht werden: daß zwar ihre Klagen bloß nach den Vorschriften der allgemeinen Landesgesetze geprüft werden würden, und wenn sie hiernach gegründet befunden werden sollten, alsdann die Trennung der Ehe mit allen bürgerlichen Wirkungen erfolgen werde, auch es lediglich ihrem Gewissen überlassen bleibe, in wie fern sie davon zur Vollziehung einer zweiten Ehe Gebrauch machen wollten; daß aber, wenn bei erfolgter Wiederverheirathung die katholischen Geistlichen aus den Grundsätzen ihrer Religion Veranlassung nehmen sollten, ihnen die Sakramente zu versagen, solche zu deren Verabreichung nicht angehalten werden könnten; so wie denselben auch nicht zugemuthet werden könne, eine von ihnen einzugehende zweite Ehe durch die Trauung zu vollziehen.

Einleitung der Sache.

§. 21.

Was die erste Einleitung betrifft, so kommt es darauf an: ob der ordentliche persönliche Richter des Ehemannes zugleich das kompetente Ehegericht sey, oder nicht.


(829) Ehesachen.

I) Bei Untergerichten.

§. 22.

Ist der ordentliche persönliche Richter des Ehemannes nicht zugleich das kompetente Ehegericht, so muß der klagende Theil bei dem ersten sich melden, und demselben sein Vorhaben anzeigen.

Anh. §. 288. Alle Sponsalien und Ehe-Sachen gehören vor diejenigen Gerichte, welchen der Beklagte oder der Ehemann persönlich unterworfen ist. Hiernach werden alle auf den Gerichtsstand in diesen Sachen Bezug habende Vorschriften dieses Titels von selbst abgeändert.

§. 23.

Dieser Richter muß den Kläger über die Gründe der gesuchten Scheidung vorläufig befragen; und wenn er sie gleich bei dem ersten Anblick unerheblich findet, denselben zur vernünftigen und friedlichen Fortsetzung der Ehe ernstlich anmahnen.

Sühnsversuch.

§. 24.

Besteht aber der klagende Theil auf seinem Vorsatze, so muß der Richter, mit Zuziehung des gewöhnlichen Seelsorgers, oder eines anderen Predigers, auch, nach Befinden, der Eltern, oder nächsten Freunde, die Sühne unter den Eheleuten alles Ernstes versuchen, und das gute Vernehmen unter ihnen wieder herzustellen bemüht seyn.

§. 25. Zu diesem Sühnsversuche muß sich der Kläger sowohl, als der Beklagte, schlechterdings persönlich einfinden, und dazuhörigenfalls durch Strafbefehle, oder Realcitation, angehalten werden.

§. 26.

Auch steht es dem Richter frei, nach Bewandtniß der Umstände, den Sühnsversuch dem Seelsorger der Parteien in seiner Behausung aufzutragen, und die Parteien an ihn zu verweisen. Bringt der Prediger die Aussöhnung zu Stande, so hat es dabei sein Bewenden, und der Richter nimmt, so lange nicht der eine oder der andere Theil sich wiederum bei


(830) Prozeßordnung. Vierzigster Titel.

ihm meldet, von der Sache weiter seine Kenntniß von Amts wegen. Ist aber die Bemühung des Predigers fruchtlos, so muß dieser dem Richter davon Anzeige machen; damit derselbe seines Orts den Versuch der Sühne, allenfalls ohne weitere Zuziehung des Predigers, anstellen könne.

Anh. §. 289. Den Gerichten bleibt es auch unbenommen, falls sie es den Umständen angemessen finden, den klagenden Ehegatten anzuweisen, sich wegen des Sühneversuch an den Geistlichen seiner Konfession zu wenden. Alsdann kann die Einleitung des Prozesses erst verfügt werden, wenn der Kläger ein Attest des Geistlichen über den fruchtlos angestellten Sühneversuch eingereicht hat.

§. 27.

Sind beide Eheleute, oder doch der klagende Theil, einer Religionspartei zugethan, von welcher kein Geistlicher sich am Orte, oder in der Nähe befindet; so muß dennoch der Sühneversuch auch ohne Zuziehung eines Geistlichen angestellt werden.

§. 28.

Dagegen fällt der vorläufige Sühneversuch weg, wenn es nach den Umständen nicht möglich ist, beide Theile persönlich zu einander zu bringen.

§. 29.

Bei dem, der Regel nach, von dem ordentlichen Richter des Ehemannes anzustellenden Sühneversuche muß derselbe, doch ohne sich auf eine förmliche Prozeßinstruktion einzulassen, den wahren Grund der entstandenen Mißhelligkeiten zu erforschen suchen, und demselben durch zweckmäßige Vorstellungen und Ermahnungen, allenfalls auch durch Anwendung des obrigkeitlichen Amts, nach den Vorschriften der Gesetze, aus dem Wege zu räumen sich angelegen seyn lassen. (A. L. R.Th. 11. Tit. 1. §. 675. 685. 709. 712.714.)

§. 30.

Wenn er bei dieser Gelegenheit, wahrnimmt, daß Leute vorhanden sind, welche durch Verhetzung, Zwischenträgereien,


(831) Ehesachen

oder andere unerlaubte Kunstgriffe, die Gemüther der Eheleute gegen einander aufbringen; so muß er nicht nur den ferneren Einwirkungen solcher Ehestörer nachdrückliche Schranken setzen, sondern auch dieselben der gehörigen Instanz, zur fernern fiskalischen Untersuchung und ernstlichen Bestrafung, anzeigen.

Verweisung zum Prozesse.

§. 31.

Ist der Versuch der Sühne fruchtlos, so muß alsdann dem klagenden Theile frei gelassen werden, seine Klage bei dem kompetenten Ehegerichte förmlich anzustellen. Der Unterrichter muß aber zugleich die über den Sühneversuch bei ihm verhandelten Akten diesem Ehegerichte von Amts wegen einsenden.

Bevormundung der Kinder.

§. 32

Zu gleicher Zeit muß er aber, auch von Amts wegen, dafür sorgen, daß den etwa vorhandenen Kindern von derjenigen Behörde, welcher die Bevormundung derselben, wenn der Vater gestorben wäre, zukommen würde, ein Kurator bestellt werde, welcher nicht nur bei dem Prozeß ihre Rechte und ihr Interesse wahrnehme, sondern auch während der Zeit auf den Unterhalt und die Erziehung derselben Acht haben , und der etwa zu besorgenden Durchbringung, oder Verdunkelung des Vermögens der Eltern vorzubeugen bedacht sey. Von der deshalb getroffenen Verfügung muß dem Ehegerichte unter einem Anzeige gemacht werden.

Anh. §. 290. In Ehescheidungssachen soll es der Bevormundung der Kinder nur dann bedürfen, wenn aus den Verhandlungen hervorgeht, oder dem Gerichte bekannt ist, daß beide Ehegatten,oder auch nur einer, sich der Verschwendung des Vermögens oder der Vernachlässigung der Erziehung ihrer Kinder verdächtig machen.

Verfügung des oberen Ehegerichts.

§. 33.

Wenn nun der auf die Scheidung antragende Theil sich bei dem Ehegerichte meldet, so muß dieses nach den Akten des Unterrichters das Verfahren


(832) Prozeßordnung. Vierzigster Titel.

desselben bei dem Versuche der Sühne sorgfältig prüfen; und wenn dabei nicht die gehörige Mühe angewendet, oder etwas, so zur Hebung der Mißhelligkeiten dienen, und die Fortsetzung der Ehe befördern könne, vernachlässigt worden ist, die Nachholung desselben vor allen Dingen verfügen.

§. 34.

Ergibt sich, daß es dem Kläger an einem gesetzmäßigen Grunde zur Scheidung offenbar ermangele, so muß ein solcher Kläger, gleich jedem andern, der sich ohne allen rechtlichen Grund zur Klage angiebt,durch ein Dekret ab-, und zur vernünftigen Fortsetzung der Ehe nachdrücklich angewiesen werden.

§. 35.

Ist hingegen ein scheinbarer Grund zur Scheidung vorhanden, so muß die Klage gehörig aufgenommen, die Vorladung des beklagten Theils verordnet, und mit der weitern Instruktion der Sache verfahren werden.

2) Bei Ober- oder Ehegerichten.

§. 36.

Wenn in dem zweiten §. 21. gesetzten Falle das kompetente Ehegericht zugleich der ordentliche persönliche Richter des Mannes ist, so muß die Klage sofort ordentlich aufgenommen, und darauf, wenn sich der Ungrund derselben nicht augenscheinlich ergiebt (§. 23. 34.), ein Kommissarius zur Anstellung des vorläufigen Sühnsversuchs ernannt werden.

§. 37.

Dieser Auftrag muß der Vorgesetzte des Gerichts, so viel als möglich, auf eine solche Person, in oder außer dem Kollegio, in der Nachbarschaft, oder unter den gemeinschaftlichen Freunden beider Eheleute richten, von deren Vermittelung sich, wegen ihrer bekannten Gabe, Versöhnungen zu stiften, oder wegen des von den Parteien in sie gesetzten Vertrauens, oder wegen anderer besonderer Verhältnisse, ein guter Erfolg am wahrscheinlichsten hoffen läßt.


(833) Ehesachen.

§. 38

Wegen des Sühnsversuchs selbst muß der Kommissarius die Vorschriften §. 23-30. beobachten, und in Fällen, wo es dabei einer Unterstützung durch das richterliche Amt bedarf, muß auf seine pflichtmäßige Anzeige das Nöthige verfügt werden.

§. 39.

Ist der Sühnsversuch fruchtlos, so muß der Kommissarius dem Gerichte, unter Einreichung der darüber aufgenommenen Verhandlungen, Anzeige machen.

§. 40

Sollte sich aus diesen Verhandlungen mit hinlänglicher rechtlicher Gewißheit ergeben, daß wirklich gesetzmäßige Gründe zur Scheidung vorhanden, und beide Theile sowohl darüber, als wegen der Nebenpunkte, in Ansehung der Ehescheidungsstrafen, und sonst, einig sind; so kann, wenn besonders von einer kinderlosen Ehe die Rede wäre, die Trennung derselben sofort, und ohne weitere Instruktion, erkannt werden.

Verordnung auf die Klage.

§. 41.

Verordnung auf die Klage.

In der Regel aber wird, auf den Bericht des Kommissarii, die Vorladung des beklagten Theils zur Beantwortung der Klage, und weitern Instruktion der Sache, gewöhnlichermaßen, und unter der gewöhnlichen Warnung vor den nachtheiligen Folgen des ungehorsamen Ausbleibens verfügt. Zugleich wird nach Vorschrift §. 32. , wegen Bestellung eines Kurators für die etwa vorhandenen Kinder, das Erforderliche veranlaßt.

§. 42.

Dieser Kurator muß bei der ganzen fernern Instruktion zugezogen werden, damit er den Richter in seinen Bemühungen zum Vergleiche unterstützen, bei Untersuchung der Scheidungsursachen die Rechte und das Interesse der Kinder wahrnehmen, und, wenn die Trennung wirklich erkannt werden sollte, wegen


(834) Prozeßordn. Vierzigster Titel.

des Unterhalts und der Erziehung derselben, auch richtiger Ausmittelung des ihnen etwa zukommenden Vermögens oder Pflichttheils, das Nöthige an die Hand geben könne.

Instruktion.

§. 43.

Bei der Instruktion selbst müssen zwar die Instruenten, so wie durchgehends, auf eine deutliche und vollständige Auseinandersetzung der zum Grunde der Klage oder des Einwands liegenden Thatsachen dringen; sie müssen aber dabei mit besonderer Vorsicht zu Werke gehen, und nicht ohne Noth, viel weniger aus bloßer unschicklicher Neugier, den Parteien die Angebung solcher ihre Personen oder Familienverhältnisse angebenden Umstände, deren öffentliche Bekanntwerdung ihre Ehre, guten Namen, oder Kredit nachtheilig seyn könnte, anmuthen. Wenn daher von dem klagenden Theile eine gesetzmäßige Ursache zur Scheidung angegeben worden, so ist der Instruent nicht befugt, weiter danach zu fragen: ob etwa noch andere oder mehrere Ursachen vorhanden sind.

Anh. §. 291. Die Eheleute müssen befragt werden; ob sie bei der allgemeinen Wittwenkasse associirt sind, oder nicht. Im erstern Falle ist das Interesse derselben über diesen Punkt nach Anleitung des §. 26. litt. a. des Reglements für die allgemeine Wittwenverpflegungsanstalt vom 28sten Dezember 1775. bei erfolgender Trennung der Ehe zu reguliren, und, so bald das Ehescheidungserkenntniß die Rechtskraft beschritten hat, die Generaldirektion gedachter allgemeinen Wittwenverpflegungsanstalt von Amts wegen davon zu benachrichtigen.

Anh. §. 292. Bei Ehescheidungsprozessen unter Katholiken müssen die Gerichte zur Vermeidung alles Anstoßes für andere katholische Glaubensgenossen die Termine entweder in ganz abgesonderten Zimmern am Orte des Gerichts oder in Privatwohnungen abhalten.

§. 44.

Nach regulirtem statu causae et controversiae muß zwar der gewöhnliche Sühnsversuch nochmals angestellt werden; es bedarf aber dabei nicht der Zuziehung eines Geistlichen.


(835) Ehesachen.

Erkenntniß.

§. 45.

Wenn die Scheidung nur aus minder wichtigen Ursachen gesucht wird (A. L.R. a. a. O. §. 675. 676. 702. 703. 708.), und der Richter bei der Instruktion gefunden hat, daß noch nicht alle Hoffnung zur Aussöhnung verloren sey; der Kurator auch, wegen des mit eintretenden Interesse der Kinder, darauf anträgt: so soll das Erkenntniß nach bewandten Umständen, jedoch niemals über ein Jahr vom Instruktionstermin an gerechnet, ausgesetzt, und den Eheleuten gestattet werden, daß sie diese Zeit hindurch von einander getrennt leben mögen.

§. 46.

Es muß jedoch alsdann durch eine vorläufige Resolution bestimmt werden: wie es inzwischen mit dem der Ehegattin zureichenden Unterhalte, mit Verpflegung und Erziehung der Kinder, allenfalls auch mit einstweiliger Konservation des Vermögens, gehalten werden solle.

§. 47.

Nach Ablauf der bestimmten Frist steht beiden Theilen frei, die Publikation des Erkenntnisses zu suchen.

§. 48.

Sobald dieß geschieht, muß das Gericht einen nochmaligen Sühnsversuch anstellen, und, wenn auch dieses fruchtlos ist, das Urtheil ohne weitern Anstand publiciren.

§. 49.

Wenn jedoch der klagende Theil bei dieser Sühnshandlung neue Scheidungsursache, die in der Zwischenzeit entweder entstanden, oder erst zu seiner Wissenschaft gelangt sind, anführt; und das Gericht findet die Trennung der Ehe durch die bisherige Instruktion noch nicht hinlänglich begründet: so muß, um die Vervielfältigung der Prozesse zu vermeiden,


(836) Prozeßordnung. Vierzigster Titel.

Der angegebene neue Grund fördersamst noch instruirt, und darüber zugleich miterkannt werden.

§. 50.

Wenn nach Ablauf der Frist keiner von beiden Theilen sich meldet, so muß die ordentliche Obrigkeit von Amts wegen darauf sehen, daß die nur einstweilen zugelassene Absonderung der Eheleute nicht willkührlich verlängert, und dadurch zu öffentlichem Aergernisse Anlaß gegeben werde.

§. 51.

Wenn durch ein Erkenntniß die Ehe getrennt wird, so muß darin auch das erforderliche wegen der gesetzlichen Strafen des schuldigen Theiles, in so fern dergleichen auf den vorliegenden Fall in den Rechten verordnet sind, und wegen Erziehung der Kinder festgesetzt werden. Es müssen daher die Instruenten, bei der Instruktion der Hauptsache, zugleich auf diese beiden Nebenpunkte mit Rücksicht nehmen.

Anh. §. 293. Die allgemeine Bestimmung in dem Erkenntnisse:

daß der eine oder der andere Theil die Ehescheidungsstrafe zu entrichten schuldig,

ist nicht hinreichend, vielmehr muß zur Vermeidung neuer Streitigkeiten näher ausgedrückt werden, was als Ehescheidungsstrafe zu entrichten ist.

§. 52.

Hingegen soll die Auseinandersetzung der gewesenen Eheleute wegen ihres Vermögens, in der Regel, mit dem Ehescheidungsprozesse nicht vermengt werden; doch muß der Instruent, wenn er besonders nach der entwickelten Lage der Sache voraus sieht, daß auf die Tennung der Ehe wirklich erkannt werden dürfte, vor Beschluß der Sache noch einen Versuch machen, die Parteien über den Punkt des Vermögens gütlich auseinander zu setzen, und solchergestalt einen zweiten Prozeß, wo möglich, zu verhüten.


(837) Ehesachen.

Von den bei Ehescheidungsprozessen vorkommenden Incidentpunkten.

§. 53.

Bei Gelegenheit der Ehescheidungsgesuche pflegen verschiedene Nebenumstände vorzukommen, welche einer interimistischen Regulirung bedürfen, worunter hauptsächlich die Fragen: wie es während des Prozesses

a) wegen des Aufenthalts der Parteien, besonders wenn über Sävitien geklagt worden;

b) wegen der der Ehegattin von dem Manne zu reichenden Alimente;

c) wegen Sicherstellung des Vermögens;

d) wegen Erziehung der Kinder gehalten werden solle?

zu rechnen sind.

Die Regulirung dieses Interimistici muß mit der Instruktion der Hauptsache niemals vermischt, noch eine durch die andere aufgehalten werden.

§. 54.

Die Instruenten müssen daher zwar die an sie gewiesenen Parteien über diese Punkte, und ob deshalb etwas interimistisch zu reguliren sey, gehörig vernehmen; sie müssen aber, wenn dergleichen wirklich vorkommt, ein Separatprotokoll darüber aufnehmen, und selbiges mittelst einer besondern Anzeige dem Kollegio einreichen.

§. 55.

Der Richter in der Ehescheidungssache ist entweder zugleich der unmittelbare persönliche Gerichtsstand der Parteien, oder diese sind für ihre Personen einem anderen ordentlichen Richter unterworfen.

§. 56.

Ist der Richter in der Ehescheidungssache zugleich der unmittelbare persönliche Gerichtsstand der Parteien, so muß er sich der Regulierung des in einem solchen Seperatprotokolle angetragenen Interimistici selbst unterziehen; solchemnach entweder gleich zu Anfange des Instruktionstermins, oder, wenn dieser


(838) Prozeßordnung. Vierzigster Titel.

bewandten Umständen nach weiter hinaus gesetzt werden müßte, in einem des Endes besonders zu bestimmenden nähern Termine, ein gütliches Einverständniß über das Interimistikum unter den Parteien zu bewirken suchen; allenfalls aber die Data zur Bestimmung eines diesfälligen rechtlichen Ermessens, so viel in der Kürze und ohne förmliche weitläufige Instruktion geschehen kann, ins Licht zu setzen bemüht seyn. Nach diesen von dem Instruenten aufgenommenen datis muß hiernächst, auf den Vortrag des Decernenten, das Interimistikum selbst, jedoch nur durch ein bloßes Dekret, gegen welches also auch keine Appellation statt findet, festgelegt werden.

Anh. §. 294. Dieses Intermistikum behält, wenn die Ehescheidung auch durch das folgende Erkenntniß für unstatthaft erklärt wird, bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Prozesses seine Kraft.

§. 57.

Ist der Richter in der Ehescheidungssache nicht zugleich der unmittelbare persönliche Gerichtsstand der Parteien, so muß er nach den obwaltenden Umständen erwägen: ob die Regulirung des Interimistici am füglichsten, und mit dem wenigsten Zeit- und Kostenaufwande vor ihm, oder vor dem ordentlichen Unterrichter werde geschehen können. Letztern Falls muß er das §. 56. erwähnte Separatprotokoll dem ordentlichen Gerichte zufertigen;; demselben von der Lage der Hauptsache, so weit sie auf die Beurtheilung des festzulegenden Interimistici Einfluß haben kann, Nachricht ertheilen; die Festsetzung selbst aber ihm lediglich überlassen. Der kompetente persönliche Richter muß übrigens dabei eben so verfahren, wie dem Richter in der Ehescheidungssache §. 56. vorgeschrieben ist.

Ehescheidungsklagen ex apite malitiosae desertionis.

§. 58.

Unter welchen Umständen eine Ehescheidungsklage wegen böslicher Verlassung angestellt werden


(839) Ehesachen.

könne, ist in den Gesetzen bestimmt. (A. L. R. a. a. O. §. 689-693.)

§. 59.

Wenn also ein Ehegatte aus diesem Grunde die Scheidung nachsucht, und um öffentliche Vorladung des Andern bittet; so muß er vor allen Dingen das Daseyn dieser gesetzlichen Erfordernisse gehörig nachweisen, und sich zur Ableistung des Diligenzeides (§. 61.) erbieten.

§. 60.

Hierauf wird die Ediktalcitation des Abwesenden, mit einem Termine von drei Monate, unter Beobachtung der Vorschriften des siebenten Titels veranlasst.

§. 61.

Meldet sich de Vorgeladene weder vor, noch in dem anstehenden Termine, so muß der klagende Theil schwören:

daß er seit der in der Klage angegebenen Zeit, so wenig vor, als nach Erlassung der Citation, von dem Aufenthalte des Vorgeladenen Nachricht erhalten habe.

§. 62.

Nach Ableistung diese Eides, und wenn zugleich in Ansehung der Citation die vorgeschriebenen Legalitäten beobachtet sind, wird die Ehe durch ein Erkenntniß getrennt; dieses dem klagenden Theile gewöhnlichermaaßen publicirt; statt der Publikation an den Beklagten aber, entweder bei dem erkennenden Gerichte, oder bei demjenigen, unter welchem er zuletzt innerhalb Landes gewohnt hat, öffentlich angeschlagen.

§. 63.

Wenn ein Ehegatte wegen eines solchen Verbrechens, das an sich einen gesetzmäßigen Grund zur Ehescheidung enthält (A. L. R. a. a. O. §. 704. 706.), zu einer Kriminalstrafe wirklich verurtheilt worden


(840) Prozeßordn. Ein u. vierzigster Titel.

ist, und sich dieser Strafe durch die Flucht entzogen hat; so bedarf es, wenn der unschuldige Ehegatte auf die Scheidung klagt, keiner Ediktalcitation; sondern es ist hinreichend, wenn die ordentliche Citation an gewöhnlicher Gerichtsstelle des Orts, wo er zuletzt innerhalb Landes gewohnt hat, angeschlagen, und zweimal in die Zeitungen der Provinz eingerückt wird.

§. 64.

Will aber in ein einem solchen Falle der unschuldige Ehegatte zugleich die Ehescheidungsstrafen fordern, so muß die förmliche Ediktalcitation erlassen, und nach Vorschrift §. 60. 61. 62. verfahren werden.

Anh. §. 295. Hat ein Ehegatte eines begangenen Verbrechens wegen, das nach den Gesetzten mit Zuchthaus- oder Festungsstrafe geahndet werden muß, die Flucht ergriffen; so kann der zurück gebliebene Ehegatte, der an diesem Verbrechen keinen Theil genommen, wegen der Veranlassung, welche diese Flucht zur Folge hat, sofort ohne Abwartung irgend einer Frist auf Trennung der Ehe und auf die deshalb zu erlassende öffentliche Vorladung des entwichenen Ehegatten, unter der Verwarnung, des angeschuldigten Verbrechens in Beziehung auf die Ehescheidungsklage für geständig erachtet zu werden, antragen.

Ein und vierzigster Titel.

Von Unterthanen-Prozessen.

Was hier unter Unterthanen-Prozessen verstanden werde.

§. 1.

Die Vorschriften des gegenwärtigen Titels finden nur auf den Fall Anwendung, wenn zwischen Herrschaften und Unterthanen über Dienste, Zinsen, und andere Natural- oder Geldprästationen, die auf das obwaltende Band der Unterthänigkeit oder Dienstpflichtigkeit Beziehung haben, oder auch über Hütungen, Holzungen, Triften, und andere dergleichen Gerechtigkeiten, wie nicht weniger wegen Gegenleistungen, welche den Unterthanen für die Dienste


(841) Unterthanen-Prozesse.

gebühren, und mit denselben in unmittelbarer Beziehung stehen, gestritten wird.

§. 2.

Wenn also über Forderungen, die aus andern Gründen und Geschäften entspringen, z. B. aus einem Kauf-, Mieth- oder Darlehnskontrakte, zwischen Herrschaften und Unterthanen Streit entsteht; so findet nicht die hier vorgeschriebene, sondern diejenige Art des ordentlichen oder summarischen Verfahrens Statt, welche die Beschaffenheit und der Grund dieser anderweitigen Forderung mit sich bringen.

§. 3.

Eben so, wenn nur einzelne Unterthanen mit ihrer Grund- oder Dienstherrschaft in Streit verwickelt werden, geschieht die Instruktion desselben auf die gewöhnliche Weise; und es kommt bloß auf die Beschaffenheit der Umstände, und das darnach zu bestimmende richterliche Ermessen an: ob zu dieser Instruktion eine Lokalkommission erforderlich sey.

I. Von eigentlichen Dienststreitigkeiten.

§. 4.

Bei den eigentlichen Unterthanen-Prozessen ist entweder nur die Schuldigkeit der Unterthanen zu gewissen Diensten oder Prästationen, oder umgekehrt, gewisse Natural- oder Geldleistungen, welche die Unterthanen für ihre Dienste von der Herrschaft verlangen, streitig; oder es wird von den Unterthanen eine obwaltende Unmöglichkeit, die Dienste in der schuldigen Masse ferner zu leisten, vorgeschützt.

I) Anstellung der Klage von Seiten der Unterthanen.

§. 5.

Unterthanen, welche glauben, daß ihnen von ihrer Grundherrschaft gewisse Dienste, Abgaben, oder andere Prästationen, über ihre Schuldigkeit, auferlegt und zugemuthet werden, sind nicht befugt, sich deren Leistung eigenmächtig zu entziehen, vielweniger mit Gewalt zu widersetzen; sondern sie müssen ihre Beschwerden dagegen bei demjenigen Gerichte, unter

 


(842) Prozeßordn. Ein u. vierzigster Titel.

dessen Jurisdiktion das Gut gelegen ist, anbringen, und um nähere Untersuchung derselben bitten.

§. 6.

Diese Anmeldung muß durch zwei oder drei Deputirte aus der Gemeine geschehen; und zu solchen Deputirten müssen vorzüglich Leute genommen werden, die schon seit mehreren Jahren in der Gemeine leben, folglich von den streitigen Diensten und Prästationen, und den dabei vorwaltenden Umständen, aus eigener Kenntniß unterrichtet sind. Auch müssen von diesen Deputirten alle in den Händen der Gemeine etwa befindlichen zur Sache gehörigen Schriften und Urkunden, an Urbarien, Kauf- oder Grundbriefen, Schöppenbüchern, Gemeinrechnungen u. s. w. mit zur Stelle gebracht werden.

§. 7.

Die Anmeldung der Klage geschieht von diesen Deputirten, wie gewöhnlich, in der Registratur des Gerichts; und auf das darüber aufgenommene Protokoll wird ihnen ein Instruent angewiesen, welcher sie mit ihrem Anbringen näher vernehmen muß.

§. 8.

Bei der Anweisung dieses Instruenten muß eine vernünftige Auswahl getroffen, und es müssen in dergleichen Unterthanensachen nur solche Subjekte zur Instruktion verordnet werden, die in Geschäften dieser Art schon geübt sind, und besonders von Wirthschaftsangelegenheiten einige Kenntniß besitzen.

§. 9.

Der Instruent, welchem solchergestalt die Vernehmung der Kläger aufgetragen worden ist, muß dabei überhaupt die Vorschriften Tit. V. genau beobachten. Insonderheit aber muß er, wenn die Klage mehrere Beschwerden zum Gegenstande hat, diese verschiedenen Gegenstände, und, bei jedem derselben, die verschiedenen Punkte, worauf es ankommt, sorgfältig von einander absondern; bei jedem Punkte

 


(843) Unterthanen-Prozesse.

genaue Nachfrage halten: ob der Dienst, oder die Prästation überhaupt, oder ob nur die Art und Weise derselben, in Ansehung der Zeit, des Orts, der Anrechnung auf diese oder jene Klasse von Schuldigkeiten, des dafür zu entrichtenden Lohnes, und anderer dergleichen Modalitäten, streitig sind. Eben so muß er bei jeder Beschwerde sich nach dem Grunde, warum die Herrschaft den Dienst oder die Abgabe fordert, und warum die Unterthanen sich dazu nicht schuldig halten, sorgfältig erkundigen; und solchergestalt die Sache gleich vom ersten Anfange an so deutlich und bestimmt auseinander setzen, daß in der Folge weder bei der Instruktion, noch bei der Aburtelung, aus Verwechselung der verschiedenen Objekte, Dunkelheiten, Zweideutigkeiten und Irrtümer entstehen mögen.

§. 10.

Auch die Tit. V. §. 5. vorgeschriebene Präparation der Beweismittel, vornehmlich aber die nach Maaßgabe §. 7. ebend. den Klägern, bei dem anscheinenden Ungrunde ihrer Beschwerden, zu machenden Remonstrationen, muß der Instruent keinesweges verabsäumen; und insonderheit denselben die Tit. XXIII. geordneten Strafen des muthwilligen Prozessierens, frevelhafter Erdichtungen, und boshaften Läugnens, gehörig bekannt machen.

§. 11.

Nach geschlossenem Informationsprotokolle muß der Instruent das Klageprotokoll nach Tit. V. §. 14. 15. unverzüglich anfertigen, und nebst dem Informationsprotokolle, wie gewöhnlich, zur weitern Verfügung einreichen; die Deputirten der Kläger aber in der Regel nicht eher in ihre Heimath entlassen, als bis die Klage dem Kollegio vorgetragen, und darauf ein Beschluß gefaßt worden ist.

Verordnung auf die Klage.

§. 12.

Wenn bei diesem Vortrage sich findet, daß das Anbringen der Kläger an sich widerrechtlich und

 


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unbegründet sei; und daß den Depurtirten die erforderlichen Remonstrationen darüber, entweder nicht gehörig, oder fruchtlos gemacht worden sind; so muß das Kollegium dem vorigen, oder nach Befinden einem andern Instruenten auftragen, daß er die Abgeordneten der Kläger nochmals vorfordere; sie von dem Ungrunde ihrer Beschwerden zu überzeugen suche, und ihnen die nachtheiligen Folgen eines solchen muthwilligen Prozesses vorhalte. Ist auch dieser Versuch der Bedeutung fruchtlos, so muß zwar (wenn nicht etwa die Kläger, wegen ganz offenbaren Ungrunds der Klage, durch eine bloße Resolution, der Vorschrift Tit. VI. §. 7. gemäß, sofort abgewiesen werden müssen), der Sache ihr rechtlicher Lauf ohne fernern Aufenthalt gelassen; den Abgeordneten der Kläger aber eine Abschrift des Protokolls, in welchem die ihnen gemachten Remonstrationen enthalten sind, mitgegeben, und sie ernstlich angewiesen werden, die Sache mit den übrigen Interessenten nochmals in genaue und reifliche Erwägung zu ziehen.

§. 13.

Ergiebt sich bei dem Vortrage der Klage und des Informationsprotokolls, daß wegen der Auseinandersetzung des Facti in Ansehung der Deutlichkeit und Vollständigkeit, wegen der Angabe und Präparation der Beweismittel, oder sonst, noch etwas zu erinnern sey, so muß diesem Mangel, durch wiederholte Vernehmung der noch gegenwärtigen Deputirten, fördersamst abgeholfen werden. Kann aber dieß nicht sogleich geschehen, weil etwa die Deputirten selbst nicht mit hinlänglicher Information versehen sind; so müssen dieselben umständlich bedeutet werden: was sie noch erst zu thun und beizubringen, oder worüber sie noch Erkundigung einzuziehen, und Auskunft zu ertheilen haben, ehe die Klage für hinlänglich instruirt angenommen werden kann.


(845) Unterthanen-Prozesse.

§. 14.

Diese Bedeutung muß den Deputirten zwar hauptsächlich mündlich geschehen; es muß ihnen aber auch eine schriftliche Anweisung darüber, zu ihrer und der übrigen Interessenten Direktion, mitgegeben, und im übrigen sowohl die §. 11. vorgeschriebene Einreichung des Klageprotokolls, als der Vortrag bei dem Kollegio, und die Verfügung darauf, dergestalt beschleunigt werden, daß die Abgeordneten der Gemeine durch allzulangen Aufenthalt an dem Orte des Gerichts, sich an der Bestellung ihrer Wirthschaft, und an dem Betriebe ihrer Nahrungen, nicht versäumen dürfen.

§. 15.

In wie fern die ganze Verfügung auf die Klage bis zu erfolgender Ergänzung der etwanigen Mängel auszusetzen sei; oder sothane Verfügung dennoch ergehen, und das Fehlende vor, oder allenfalls noch im Instruktionstermine supplirt werden könne, müssen die Gerichte, nach Beschaffenheit der Umstände, der größern oder geringern Erheblichkeit eines solchen Mangels, ob er den Grund der Klage selbst, oder nur einen Nebenumstand betreffe u. s. w., beurtheilen.

Einleitung der Sache.

§. 16.

Ist bei dieser Instruktion der Klage nichts Wesentliches mehr zu erinnern, so muss das Gericht ferner erwägen:

ob die angebrachte Klage viele und wichtige Beschwerden, deren Erörterung auf weitläufigen, verwickelten, und in entfernte Zeiten zurück gehenden Thatsachen beruhet, zum Gegenstand habe; oder ob nur wenige, minder wichtige, und keine sehr weitläufige Erörterung voraussetzende Punkte streitig sind.


(846) Prozeßordn. Ein u. vierzigster Titel.

§. 17.

Letztern Falles muß, mit Kommunikation der Klage an die beklagte Grundherrschaft, sofort der Instruktionstermin anberaumt, und dabei die unten §. 32. erfolgende Vorschrift beobachtet werden.

§. 18.

Sind aber mehrere wichtige und weitläufige Beschwerden angebracht worden, so muß der beklagten Grundherrschaft die Klage mit ihren Beilagen abschriftlich zugefertigt, und ein besonderer Termin zu deren Beantwortung anberaumt werden.

Beantwortung der Klage.

§. 19.

In diesem Termine muß der vorige Instruent den Beklagten eben so, wie in Ansehung der Kläger vorgeschrieben ist, umständlich vernehmen, und dabei sowohl nach den allgemeinen Anweisungen des Tit. IX., als insonderheit nach der obigen Vorschrift §. 9., wegen deutlicher Absonderung der verschiedenen vorkommenden Punkte, und der zu jedem derselben gehörenden Thatsachen und Beweismittel, sich ebenfalls achten.

§. 20.

Uebrigens können in solchen Prozessen, weder von Seiten der Herrschaft, noch der Unterthanen, bloße Justizkommissarien als Bevollmächtigte zugelassen werden; sondern die Unterthanen müssen die ganze Instruktion sämmtlich in Person, oder durch Abgeordnete aus ihrer Mitte, gehörig abwarten; und die Herrschaft muß dabei entweder ebenfalls persönlich erscheinen, oder doch einen von allen Umständen und Verhältnissen wohl unterrichteten Wirthschaftsbedienten dazu bevollmächtigen.

Hingegen steht es hier, so wie in anderen gewöhnlichen Prozessen, beiden Theilen frei, Rechtsbeistände unter den bei dem Gerichte zur Prozeßpraxis zugelassenen Justizkommissarien entweder selbst zu


(847) Unterthanen-Prozesse.

wählen, oder sich deren Zuordnung von dem Gericht zu erbitten. (Tit. III. §. 10. 23.)

§. 21.

Der Termin zur Beantwortung der Klage ist bei dieser Gattung von Prozessen mit keinem besondern Präjudicio verbunden, sondern die Absicht dabei ist bloß, die Hauptinstruktion selbst noch näher vorzubereiten. Wenn also auch der Beklagte in diesem Termine nicht erscheint, oder auch nicht über alle und jede Thatsachen und Umstände hinlängliche Auskunft ertheilen kann; so muß dennoch, auf die von dem Deputirten gemachte Anzeige, der Instruktionstermin selbst anberaumt werden. Der Beklagte kann alsdann zwar noch bis zu diesem Termine, was etwa zur Instruktion von seiner Seite erforderlich ist, nach der ihm darüber zu ertheilenden Anweisung vorbereiten; der Termin selbst aber kann dadurch nicht länger aufgehalten werden; und wenn hiernächst in selbigem, wegen dieser Saumseligkeit des Beklagten, sich ein Aufenthalt bei der Instruktion finden, folglich dieselbe mehr in die Länge gezogen werden sollte, so muß der Beklagte die daraus entstehenden mehreren Kosten jederzeit, selbst alsdann, wenn er in der Hauptsache ein obsiegliches Urtel erhielte, allein tragen.

2) Verfahren, wenn die Herrschaft Kläger ist.

§. 22.

Bisher ist von dem Verfahren bei Instruktion der Klage, und der Verordnung darauf, in dem Falle gehandelt worden, wenn die Unterthanen Kläger sind.

Es sollen aber auch die Grundherrschaften, wenn über Dienste oder andere Prästationen zwischen ihnen und ihren Unterthanen Streit entsteht, sich nicht selbst zu Richtern in ihrer eigenen Sache aufwerfen, sondern dergleichen Streitigkeiten der Entscheidung des kompetenten Gerichts überlassen.

§. 23.

Wenn das Dominium nur mit einzelnen Unterthanen in Streit verwickelt wird, so kann es die


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Klage bei seinen eigenen Gerichten und dem zu deren Verwaltung gehörig bestellten und approbirten Justitiario anbringen, welcher bei deren Instruktion das Wesentliche der nachfolgenden Vorschriften gehörig beobachten muß. Betreffen aber die streitigen Punkte die ganze Kommunität, oder eine gewisse Gattung und Klasse von Unterthanen; so hat es bei den Vorschriften des Zweiten Titels §. 105. sein Bewenden.

§. 24.

Wenn nun hiernach die Gutsherrschaft die Klage gegen ihre Unterthanen bei dem Landesjustizkollegio anzustellen hat, so muß sie sich deshalb entweder persönlich, oder durch einen nach Tit. III. zulässigen Bevollmächtigten, in der Registratur des Gerichts melden, und von letzterm an einen Deputirten verwiesen werden.

§. 25.

Dieser muß bei Aufnehmung der Klage, und das Gericht bei deren vorläufiger Prüfung, die obigen Vorschriften §. 9-15. befolgen.

§. 26.

Wenn bei der Instruktion der Klage nichts Wesentliches mehr zu erinnern ist, so muß den Unterthanen das Klageprotokoll abschriftlich kommunicirt, und eine Deputation aus ihrer Mitte, zur vorläufigen Vernehmung durch den in der Sache vom Anfange bestellten Instruenten, auf einen nach den Umständen zu bestimmenden Termin, an den Ort, wo das Gericht seinen Sitz hat, erfordert werden. Ist das Dorf, wo sie wohnen, von dem Sitze des Gerichts weit entlegen, und die Sache nicht von sonderlicher Wichtigkeit; so kann diese vorläufige Vernehmung einem benachbarten, geschickten und zuverlässigen Justizbedienten aufgetragen werden; welcher dabei alles das, was dem Deputirten des Gerichts in den folgenden Paragraphen vorgeschrieben werden wird, ebenfalls beobachten muß.

 


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§. 27.

Der Instruent muss den Abgeordneten der Unterthanen die von der Grundherrschaft angestellte Klage vorlegen, sie Punkt für Punkt mit ihnen durchgehen; dabei die Vorschrift Tit. IX gehörig befolgen; solchergestalt die Antwort auf die Klage instruiren; und seine Anzeige darüber, nach dem Verlaufe der gesetzten Frist, unter Beifügung des aufgenommenen Informationsprotokolls, wie gewöhnlich, abstatten.

§. 28.

Wenn er dabei findet, daß die Beklagten bei dem einen oder dem andern Punkte der Forderung des Klägers ohne allen scheinbaren Grund widersprechen; so muß er sie darüber nach Vorschrift §. 10. zu bedeuten suchen; und wenn seine Bemühung fruchtlos ist, dem Kollegio davon Anzeige machen, welches darauf nach der Vorschrift §. 12. zu verfahren hat.

§. 29.

Findet sich, daß die beklagten Unterthanen von Thatsachen, worauf entweder ein Klagepunkt, oder ihre Einwendung dagegen beruhet, oder von den darüber etwa vorhandenen Beweismitteln, noch nicht die erforderliche vollständige Information haben, so muß der Instruent sie mit deutlicher und bestimmter Anweisung darüber versehen, was sie thun müssen, um sich diese Nachrichten zu verschaffen, und sich überhaupt zum Instruktionstermine gehörig vorzubereiten. Diese Anweisung muß er den Deputirten nicht nur mündlich ertheilen, sondern ihnen auch schriftlich zu ihrer Nachricht und Direktion mitgeben; übrigens aber die Abfertigung derselben nach Vorschrift §. 14. möglichst beschleunigen.

§. 30.

Haben sich weder vor, noch in dem nach §. 26. bestimmten Termine die Deputirten der beklagten Unterthanen gemeldet; so muß der Instruent oder


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Kommissarius (§. 26.) davon Anzeige machen, und das Kollegium muß, wegen weiterer Instruktion der Sache, das Erforderliche verfügen; bei welcher Verfügung zugleich die Unterthanen von dem, was ihnen bis zum Instruktionstermine noch zu thun obliegt und frei steht, nach Maaßgabe §. 21. wiederholt bedeutet werden müssen.

Anberaumung des Instruktionstermins.

§. 31.

Wenn nun auf solche Art in beiden Fällen, wo nämlich die Unterthanen, und wo die Herrschaft Klägers Stelle vertreten, die Sache so weit vorbereitet ist, daß nunmehr der Instruktionstermin anberaumt werden soll, so muß das Kollegium beurtheilen: ob die fernere Instruktion der Sache auf Lokalkommission zu richten sey;

oder:

ob die Instruktion an gewöhnlicher Gerichtsstelle werde vor sich gehen können.

Nach der Regel müssen dergleichen Unterthanensachen allemal an Ort und Stelle instruirt werden; weil daselbst nicht nur beide Theile persönlich zugegen, sondern auch alle zur vollständigen Aufklärung der Sache erforderliche Nachrichten und Beweismittel zur Hand, oder doch in der Nähe zu haben sind.

Ernennung des Instruenten.

§. 32.

Die Lokalinstruktion der Sache muß in der Regel den vom Anfange an ernannten Deputirten des Gerichts, welcher mit den §. 8. beschriebenen Eigenschaften versehen seyn muß, aufgetragen, und ihm ein gleichfalls geschickter und schon geübter Referendarius zugegeben werden.

§. 33.

Wenn der Gegenstand des Streits von geringerer Wichtigkeit, und in der Nähe ein geschickter und zuverlässiger Kommissarius zu haben ist; so kann das Kollegium diesem, statt eines seiner Mitglieder, die Instruktion der Sache übertragen.


(851) Unterthanen-Prozesse.

Zuziehung von Sachverständigen;

§. 34.

Wenn aus der Klage und der vorläufigen Vernehmung des Gegentheils sich ergiebt, daß bei dem einen oder dem anderen Punkte, zur vollständigen Beurtheilung und Aufklärung des Fakti, die Zuziehung irgend eines Sachkundigen, z.B. eines Feldmessers, Wasser- oder Landbauverständigen, eines Taxators u. s. w., erforderlich seyn werde; so muß das Kollegium dergleichen Sachkundige dem Kommissario zugleich anweisen, und wenn ihm keine dazu tauglichen Subjekte bekannt sind, allenfalls die Kriegs- und Domainenkammer um deren Vorschlag requiriren.

der Rechtsbeistände.

§. 35.

Die Zuziehung der Rechtsbeistände zu dieser Lokalkommission ist in der Regel nicht erforderlich, sondern nur in außerordentlichen Fällen, wenn die Sache von sehr großer Wichtigkeit wäre, und die Parteien darauf antrügen, nach dem Ermessen des Kollegii zulässig.

Bekanntmachung des Termins.

§. 36.

Der ernannte Kommissarius, und der von selbigem anberaumte Termin, müssen beiden Theilen schriftlich bekannt gemacht, und dieselben angewiesen werden, sich zur Verhandlung der Sache gefaßt, und ihre Nachrichten und Beweismittel in Bereitschaft zu halten. Ist dabei für den einen oder den anderen Theil noch eine besondere Anweisung: was er etwa bis zum Termine noch zu besorgen, worüber er Nachricht einzuziehen, oder was er noch herbei zu schaffen habe, erforderlich; so muß selbige der an ihn ergehenden Bekanntmachung in deutlichem und verständlichen Ausdrücken beigefügt werden.

Verfahren bei der Instruktion selbst.

§. 37.

In dem Termine selbst muß der Kommissarius damit den Anfang machen, daß er von der versammelten Gemeine gewisse Deputirte zur Verhandlung der Sache bestellen läßt, und auch den Legitimationspunkt


(852) Prozeßordn. Ein u. vierzigster Titel.

von Seiten der Herrschaft, wenn sie nicht in Person, sondern durch einen Bevollmächtigten erschienen ist, in gehörige Richtigkeit setzt.

Bei der Auswahl der Deputirten aus der Gemeine muß der Kommissarius von Amts wegen darauf sehen, daß dazu nur angesessene Wirthe, die, wegen ihres langen Aufenthalts in der Gemeine, von den Verhältnissen der Sache aus eigener Kenntniß unterrichtet seyn können, gewählt werden. Diese Deputirten sind zwar eigentlich im Namen der Unterthanen bei der fernern Instruktion zuzuziehen; es bleibt aber dem Kommissario unbenommen, bei diesem oder jenem Punkte, wo es zur schnellern und gewissern Ausmittelung der Wahrheit ihm zuträglich scheinen möchte, auch andere Mitglieder der Gemeine von Amts wegen vorzufordern, und zum Behuf der Information und nähern Aufklärung zu vernehmen.

§. 38.

Sodann schreitet er zur Verhandlung der einzelnen Klagepunkte, wobei er, um unnützes Gezänk unter den Parteien zu vermeiden, zuvörderst den klagenden Theil besonders vornehmen; ihm den bisher in den Akten angegebenen Hergang und Zusammenhang der Sache nochmals vorhalten: ob er diesen Angaben noch etwas beizufügen, oder sonst deshalb zu bemerken habe, befragen; aus Gelegenheit der von dem Beklagten bereits vorläufig abgegebenen Beantwortung die etwa erforderlichen näheren Aufklärungen einziehen; sodann den beklagten Theil ebenfalls besonders hören, und die Beantwortung der Klage, wo es nöthig ist, ergänzen und berichtigen; hiernächst beide Theile zusammen nehmen; die Sache mit ihnen in facto durchgehends vollständig auseinander setzen; den Statum causae et controversiae reguliren, und endlich mit Aufnehmung der Beweismittel verfahren muß.


(853) Unterthanen-Prozesse.

§. 39.

Bei dieser Verrichtung hat sich der Kommissarius nach der Vorschrift Tit. X. und bei dem Versuch der Sühne nach der Anweisung Tit. XI. überall gehörig zu achten; und muß dabei nur auf folgende nähere Bestimmungen Rücksicht nehmen:

1)      Bei Regulirung des Status causae et controversiae, und Festsetzung der Objekte des aufzunehmenden Beweises, muß der Kommissarius, da in der Regel keine Assistenten gegenwärtig sind, mit desto größerer Sorgfalt und reiferer Ueberlegung zu Werke gehen, und die Vorschriften Tit. X. §. 42. 50. 51. sich um so mehr zur Richtschnur dienen lassen, als eines Theils in dergleichen durch Lokalkommissionen zu instruirenden Unterthanensachen die Rückfrage an das Kollegium mit allzu großem Aufenthalte in der Instruktion verknüpft seyn würde; andern Theils aber auch die in dergleichen Prozessen vorkommenden Thatsachen meist von der Art sind, daß die Beurtheilung ihrer Erheblichkeit oder Unerheblichkeit nicht leicht große Bedenklichkeiten bei sich führen kann; und die darüber vorhandenen Beweismittel gewöhnlich zur Hand und in der Nähe sich befinden, folglich ohne sonderlichen Verzug und Kosten aufgenommen werden können.

2)      Die Abhörung der Zeugen geschieht von dem Kommissario allein, bloß mit Zuziehung des ihm beigeordneten Referendarii. Doch sind, wenn bei der Instruktion überhaupt Justizkommissarien zugelassen werden, diese auch von Beiwohnung der Zeugenverhöre nicht auszuschließen.

3)      Den Rechtspunkt bei der Instruktion muß der Kommissarius in Ansehnung beider Theile von Amts wegen wahrnehmen.

4)      Schriftliche Deduktionen finden in solchen Unterthanen-Prozessen, der Regel nach, nicht Statt. Wenn inzwischen der Kommissarius in dem einen oder dem andern Falle wahrnehmen sollte, daß es


(854) Prozeßordn. Ein u. vierzigster Titel.

bei der Sache zweifelhafte Erörterungen in facto oder in jure wirklich ankomme; so muß er die Parteien vernehmen: ob sie dergleichen schriftliche Ausführungen ihrer Gerechtsame verlangen, und in so fern sie nicht schon mit Rechtsbeiständen aus den bei dem Gerichte angestellten Justizkommissarien versehen sind, sich von ihnen zum Protokolle anzeigen lassen: wem sie die Unterfertigung dieser Deduktionen, so wie die fernere Wahrnehmung ihrer Gerechtsame im Fortgange der Sache, übertragen wollen.

§. 40a.

Wenn die §. 34. beschriebene Nothwendigkeit der Zuziehung eines Sachverständigen sich erst während der Instruktion selbst hervor thun sollte; so ist der Kommissarius schuldig und befugt, die Assistenz eines solchen Sachverständigen unmittelbar zu requiriren.

§. 40b.

Auch wegen unmittelbarer Vorladung der am Orte, oder in der Nähe, befindlichen Zeugen hat der Kommissarius eben die Rechte und Obliegenheiten, welche dem Instruenten bei fiskalischen Untersuchungen Tit. XXXV. §. 61. beigelegt worden sind.

§. 41.

Wenn ein Beweismittel, wegen der Entfernung, oder aus anderen Ursachen, an dem Orte der Kommission nicht aufgenommen, und insonderheit ein Zeuge daselbst nicht abgehört werden könnte; so muß der Kommissarius die Lokalinstruktion zwar abschließen; er muß aber, ehe die Akten geschlossen und vorgelegt werden, die nöthigen Verfügungen wegen dieses Beweismittels bei dem Kollegio nachsuchen, und wenn es ein auswärts abzuhörender Zeuge ist, den Tit. X. §. 218. beschriebenen Statum causae von Amts wegen entwerfen und beilegen.

Absonderung der einzelnen Punkte bei der Instruktion.

§. 42.

Damit der Endzweck der §. 9. gleich bei Aufnehmung der Klage vorgeschriebenen Absonderung der


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verschiedenen bei der Sache vorgekommenen Punkte, auch im ganzen Fortgange der Instruktion erreicht werden möge; so muß der Kommissarius über jeden solchen Punkt ein besonderes Instruktionsprotokoll, worin die Vernehmung der Parteien darüber, nebst der Regulirung des Status controversiae enthalten ist, führen lassen; und demselben die über diesen Punkt aufgenommenen Beweismittel, z. B. Urkunden, Rechnungen, die Registratur über eingenommenen Augenschein, insonderheit aber das Protokoll über die Zeugenaussagen, beifügen; dergestalt, daß Alles, was diesen Punkt betrifft, bei einander sey, und mit Einem Male übersehen werden könne.

Sind übrigens die nämlichen Zeugen über mehrere Punkte abgehört worden, so muß die Registratur über deren Vereidung, und ihre Aussage auf die Tit. X. §. 190 vorgeschriebenen Generalfragstücke, dem Specialprotokolle über den ersten Punkt, wo sie vorgekommen sind, beigefügt; ihre Bekundschaftungen aber, in Ansehung eines jeden besondern Punkts, dem dießfälligen Specialprotokolle, unter Verweisung auf dasjenige, bei welchem ihre Vereidung und Antwort ad Generalia sich befinden, beigeschrieben werden.

Eben so ist es zu halten, wenn eine und eben dieselbe Urkunde bei mehreren Punkten vorkommt. Alsdann wird dieselbe demjenigen Specialprotokolle, wo davon zum ersten Male Gebrauch gemacht worden ist, vollständig beigefügt; und in den folgenden Protokollen, wo ihrer abermals gedacht wird, darauf, und daß sie da und da befindlich sey, bloß Bezug genommen.

§. 43.

Außer diesen Specialprotokollen muß der Kommissarius ein Generalprotokoll halten lassen, worin die Eröffnung der Kommission, die Berichtigung des Legitimationspunkts von beiden Seiten, und die etwa


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überhaupt gepflogene Sühnshandlung vermerkt; auch was im Fortgange der Operationen an jedem Tage vorgenommen worden ist, kurz, und mit Beziehung auf die Specialprotokolle, angezeigt werden muß.

Einreichung und Vorlegung der Akten.

§. 44.

Nach geschlossener Lokalinstruktion muß der Kommissarius die geschlossenen Akten dem Kollegio mittelst Berichts einreichen, und darin besonders anzeigen: ob und was etwa noch zur Vervollständigung der Instruktion nach Maaßgabe §. 41. zu verfügen sey; und ob, auch aus welchen Gründen, die Parteien auf Zulassung schriftlicher Deduktionen angetragen haben.

§. 45.

Wenn Letzteres der Fall ist, und das Kollegium die Deduktionen zulässig findet; so müssen die Akten den beiderseitigen Assistenten vorgelegt, allenfalls auch, gegen Schein, von der Registratur in ihre Behausung verabfolgt, und ihnen zugleich eine zwar hinreichende, aber doch nicht allzu lange Frist zur Einreichung der Deduktionsschriften (die, wie gewöhnlich, nicht verlängert werden kann) bestimmt werden.

Erkenntniß.

§. 46.

Das Erkenntniß selbst ist in Unterthanen-Prozessen vorzüglich zu beschleunigen.

Publikation.

§. 47.

Zur Publikation des Urtels muß entweder ein Termin an ordentlicher Gerichtsstelle vor dem gewesenen Kommissario anberaumt, und die Parteien müssen dazu vorgeladen, oder, wenn der Aufenthalt derselben von dem Sitze des Gerichts allzu entlegen wäre, muß diese Publikation am Orte selbst einem benachbarten, geschickten und zuverlässigen Justizbedienten aufgetragen werden.


(857) Unterthanen-Prozesse.

§. 48.

Bei der Publikation ist beiden Theilen das Urtel Punkt für Punkt bekannt zu machen; es sind ihnen, und besonders den Unterthanen, bei jedem Punkte, wo es nöthig ist, der Inhalt desselben und die Entscheidungsgründe näher zu erläutern; und sie zu bedeuten: daß, wenn sie bei dem einen oder dem andern Punkte sich noch nicht beruhigen wollten, ihnen obliege, die Appellation darüber innerhalb der zehntägigen Frist gehörig anzumelden. Wie diese Bedeutung geschehen, und wohin die Parteien sich erklärt haben, muß in dem Publikationsprotokolle jedesmal ausdrücklich bemerkt, und von der erfolgten Publikation, mit Beilegung des Protokolls, unverzüglich berichtet werden.

Appellationen.

§. 49.

Sind die Parteien schon mit Rechtsbeiständen versehen, so kann die Anmeldung der Appellation auf die gewöhnliche Art durch diese geschehen. Wenn aber dieselben, und besonders die Unterthanen, sich unmittelbar bei dem Gerichte persönlich melden; so muß unverzüglich ein anderer Deputirter zur Aufnehmung der Appellationsbeschwerden ernannt werden.

§. 50.

Bei dieser Aufnehmung der Appellationsbeschwerden, sie geschehe durch einen Assistenten, oder durch einen Deputirten des Gerichts, müssen die Vorschriften Tit. XIV. §. 17-37. nach Unterschied der Fälle beobachtet, und besonders in vollständiger und deutlicher Darstellung der zur Unterstützung der Beschwerden etwa angebrachten neuen Thatsachen, oder Beweismittel, mit eben der vorzüglichen Sorgfalt, wie in erster Instanz, verfahren werden.

§. 51.

Bei der Instruktion des Appellatorii sind die allgemeinen Tit. XIV. §. 39 u. f., und,


(858) Prozeßordn. Ein- u. vierzigster Titel.

wenn dazu eine anderweitige Lokalkommission erforderlich ist, die im Vorhergehenden enthaltenen Anweisungen zu beobachten; wie denn auch solchen Falls jedesmal, der Regel nach, ein anderer Kommissarius, als der die erste Instanz instruirt hat, ingleichen andere Sachverständige, wenn deren Zuziehung auch im Appellatorio nöthig ist, ernannt werden sollen.

§. 52.

Wenn sich bei der fernern Verhandlung der Appellationsinstanz findet, daß außer den Punkten, über welche die Appellation angemeldet worden ist, auch noch andere vorhanden sind, in Ansehung derer eine Partei sich bei dem vorigen Urtel nicht beruhigen zu können vermeint; so muß, der unterbliebenen ausdrücklichen Anmeldung ungeachtet, die Instruktion dennoch auch auf diese Punkte mit gerichtet werden.

§. 53.

Wenn im Appellatorio ganz neue Punkte, welche in erster Instanz gar nicht verhandelt worden sind, vorkommen; so muß der Kommissarius auch diese mit aufnehmen, und, so viel die Umstände nur irgend gestatten, sofort zum Definitiverkenntnisse instruiren.

§. 54.

Stehen dergleichen neue Punkte mit anderen, welche bisher schon streitig gewesen sind, in Verbindung, oder sind sie von selbigen abhängig; so wird darüber sogleich im Appellatorio mit erkannt. Ist aber dergleichen Verhältniß zwischen selbigen, und den bisher verhandelten Punkten, nicht vorhanden, sondern betreffen sie ganz neue bisher noch gar nicht vorgekommene Gegenstände; so ist die Instruktion derselben, als in erster Instanz geschehen, zu achten, und darüber von dem Richter in erster Instanz ein besonderes Erkenntniß abzufassen. Es müssen also von neuen Punkten dieser Art nicht nur, der allgemeinen


(859) Unterthanen-Prozesse.

Vorschrift §. 42. gemäß, besondere Protokolle gehalten, sondern auch ganz separate Akten formirt werden.

Uebrigens kommt es auf das Ermessen des instruirenden Gerichts an: ob in diesem Falle die in der ersten Sache verhandelten Appellationsakten sofort zum Spruche befördert werden; oder ob das Appellatorium so lange ruhen solle, bis die zweite Sache in erster Instanz abgeurtelt ist; damit allenfalls, wenn auch wegen dieser appellirt würde, beide Appellationen zugleich, und in Einem Erkenntnisse abgeurtelt werden können.

Wenn beide Theile, auf ausdrückliches Befragen und Vorhalten, wegen solcher neuen Punkte sich den Verlust einer Instanz gefallen lassen; so kann auch darüber sogleich im Appellatorio gesprochen werden.

§. 55.

In der zweiten sowohl, als dritten Instanz, sind schriftliche Rechtsausführungen, wie in anderen ordinairen Prozessen, zulässig.

Revisionen.

§. 56.

Bei Publikation des Appellationserkenntnisses, und bei Anmeldung der Revision dagegen, müssen die vorstehenden Anweisungen §. 47 u. f. befolgt werden; und findet übrigens auch hier in dritter Instanz keine weitere Instruktion, folglich auch keine Anbringung neuer Beschwerden oder Punkte mehr Statt.

§. 57.

Auf gleichen Fuß erfolgt die Publikation des Revisionsurtels, und die dabei nach der Vorschrift Tit. XV. §. 24. beiden Theilen, besonders den Unterthanen, zu machende Bedeutung.

Von dem Interimistiko, wegen der während des Prozesses zu leistenden Dienste.

§. 58.

Da die Gesetze verordnen, daß die Unterthanen die in Ansehung der Schuldigkeit streitigen Dienste, in so fern sie gewöhnlich, oder bisher von ihnen verrichtet worden sind, während des Prozesses, jedoch mit Vorbehalt ihres Rechts, zu leisten verpflichtet


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seyen; daß aber auch denselben diese Dienste, wenn sich bei der rechtskräftigen Entscheidung findet, daß sie ihnen zur Ungebühr abgefordert worden, von der Grundherrschaft bezahlt werden sollen (Allg. L. R. Th. II. Tit. VII. §. 463. 467.); so müssen die Gerichte auf der einen Seite die Unterthanen zu Leistung solcher Dienste während des Prozesses, nöthigenfalls, durch exekutivische Zwangsmittel anhalten; auf der anderen aber auch von Amts wegen dafür sorgen, daß ihnen auf den eintretenden Fall zu der gebührenden Vergütung ohne Weitläufigkeit auf Kosten verholfen werde.

§. 59.

Es muß also der Kommissarius gleich bei der ersten Instruktion die Veranstaltung treffen, daß durch eine unparteiische Person, allenfalls durch den herrschaftlichen Beamten, mit Zuziehung der Dorfgemeinschaft, verzeichnet, aber auf einen darüber zu haltenden besondern Kerbstock angeschnitten werde; wie viel dergleichen Dienste von den Unterthanen während des Prozesses geleistet worden sind.

§. 60.

Wenn hiernächst das rechtskräftige Urtel, wodurch die Unterthanen von diesen Diensten entbunden werden, publicirt wird; so muß das Gericht das Verzeichniß derjenigen, welche während des Prozesses geleistet worden sind, abfordern, und die Vergütung nach dem doppelten Satze des in der Gegend gewöhnlichen Kammeranschlags, um dessen Mittheilung allenfalls die Kriegs- und Domainenkammer zu requiriren ist, durch eine bloße Resolution, gegen welche kein weiteres Rechtsmittel Statt findet, festsetzen. Sollten übrigens Unterthanen, wegen der noch vor entstandenem Prozesse zur Ungebühr abgeforderten und geleisteten Dienste, Vergütung fordern; so ist dieses als ein besonderer Klagepunkt zu betrachten; und daher sowohl in Ansehung ihrer


(861) Unterthanen-Prozesse.

Befugniß dazu, als der Zahl ohne Verbindlichkeit geleisteten Dienste, und des Betrags der deshalb gebührenden Bezahlung, zum Erkenntnisse besonders zu instruiren.

§. 61.

Eben diese Vorschrift (§. 60.) findet Statt, wenn in Ansehung der während des Prozesses geleisteten Dienste entweder die Haltung des Verzeichnisses nach §. 59. Verabsäumt worden ist, oder besondere Umstände sich hervor thun, welche es dem Richter bedenklich machen, den obwaltenden Streit über die Vergütung durch eine bloße Resolution zu entscheiden.

§. 62.

Wenn die von der Herrschaft geforderten gewöhnlichen, oder bisher wirklich geleisteten Dienste derselben, während des Prozesses aus beharrlicher Weigerung des Unterthanen nicht geleistet worden, und am Ende sich findet, daß die Weigerung wirklich ohne Grund gewesen sey; so muß der Herrschaft für diese entbehrten Dienste gleichergestalt Vergütung widerfahren.

§. 63.

Haben Wirthschaftsarbeiten aus Mangel dieser Dienste liegen bleiben müssen, so kann die Herrschaft den Ersatz des ihr daraus entstandenen wirklichen Schadens fordern. Sind die Arbeiten durch Lohnfuhren besorgt worden, so gebührt ihr der Ersatz der ausgelegten Kosten. Ist die Arbeit durch verstärkte Anstrengung oder Vermehrung der Hofezüge bestritten worden, so kann die Herrschaft die doppelte Kammertaxe fordern.

§. 64.

In allen Fällen muß dergleichen Anspruch der Herrschaft als ein besonderer Prozeß instruirt, und darüber erkannt werden.


(862) Prozeßordn. Ein u. vierzigster Titel.

§. 65.

In wie fern streitige Zinsen und Abgaben während des Prozesses entrichtet werden müssen, ist in den Gesetzen bestimmt. (Allg. L. R. Th. II. Tit. VII. §. 487.)

§. 66.

II. Klagen auf Erlaß der Dienste.

Es pflegen oft Fälle vorzukommen, wo Unterthanen ihre Schuldigkeit zu gewissen Diensten an sich nicht verabreden können, wohl aber behaupten, daß es ihnen unmöglich sei, diese Dienste in dem bisherigen und geforderten Umfang ferner zu leisten, ohne daß sie dadurch ruinirt, und außer Nahrungsstand gesetzt werden würden.

a. Auf temporellen Erlaß.

§. 67.

Dergleichen Erlaß an wirklich schuldigen Diensten, wegen vorgeschützter Unmöglichkeit, wird entweder nur von einzelnen Unterthanen, und nur für einige Zeit, oder er wird von allen, und für beständig gefordert. Welche Klassen der Unterthanen zu einer solchen Unmöglichkeitsklage zu lassen sind; wie dieselbe, nach Unterschied der Fälle, begründet werden müssen; und worauf bei der Instruktion sowohl, als bei der Entscheidung, das Augenmerk zu richten sey, ist in den Gesetzen vorgeschrieben. ( Allg. L. R. a. a. O. §. 435-443. §. 444-462.)

§. 68.

Klagen einzelner Unterthanen auf einen bloß zeitwährenden Erlaß der Dienste müssen bei den Patrimonialgerichten des Orts angebracht, instruirt, und mit Vorbehalt der gewöhnlichen Rechtsmittel entschieden werden.

Anh. §. 296. Wenn Klagen auf einen zeitwährenden Erlaß der Dienste eingehen, so muß die Richtigkeit des angegebenen Grundes, aus welchem die Unmöglichkeit des Dienstleistung und die Nothwendigkeit eines Erlasses behauptet wird, sofort geprüft und nöthigenfalls durch eine Lokalkommission auf das schleunigste untersucht, dieser die Regulierung eines Interimistikums anheim gegeben, und sodann das Erforderliche bei dem


(863) Unterthanen-Prozesse.

Mangel einer gütlichen Vereinigung durch ein Erkenntniß festgesetzt werden, bei welchem es dann so lange verbleibt, bis in der Folge ein anderes rechtskräftig festgestellt wird.

b. Auf fortwährenden Erlaß.

§. 69.

Wenn aber eine ganze Gemeine, oder eine ganze Klasse derselben, einen Nachlaß an den schuldigen Diensten wegen vorgeblicher Unmöglichkeit fordern will, so muß dieselbe sich durch Abgeordnete aus ihrer Mitte bei dem Landesjustizkollegio der Provinz melden, welches sofort zu deren näheren Vernehmung einen Deputirten ernennen muß. (§. 5-8.)

Begründung der Unmöglichkeit.

§. 70.

Dieser Deputirte muß besonders sein Augenmerk darauf richten:

1) ob die Kläger zu derjenigen Klasse der Unterthanen gehören, denen das Gesetz, als Eigenthümern ihrer Güter, die Anbringung einer solchen Klage gestattet. (Allg. L. R. §. 459-462.)

2) ob einer der gesetzmäßigen Gründe, aus welchen die Unmöglichkeitsklage zugelassen wird, bei den Klägern vorhanden sei. ( Ebend. §. 444. 445. 458.)

§. 71.

Sind die Unterthanen nicht Eigenthümer ihrer Stellen, so muß ihnen die Vorschrift des Gesetzes §. 460. 461. bekannt gemacht, und wenn sie sich die darin der Herrschaft beigelegten Wahl gefallen lassen, die Erklärung dieser letztern darüber in einer zu bestimmenden Frist erfordert werden. Kommt diese Erklärung innerhalb der Frist entweder gar nicht, oder nicht deutlich und bestimmt genug ein, so wird angenommen, daß die Herrschaft es auf den Prozeß über die Unmöglichkeit ankommen lassen wolle, und dem gemäß wird mit der weiteren Instruktion nach den folgenden Vorschriften verfahren.


(864) Prozeßordnung. Ein u. vierzigster Titel.

§. 72.

Kann von den Unterthanen kein gesetzmäßiger Grund der Unmöglichkeitsklage angeführt werden, so werden sie durch eine bloße Resolution abgewiesen. Findet sich dabei, daß einzelne Wirthe einen rechtlichen Grund, temporellen Erlaß an den Diensten zu fordern, für sich haben möchten; so muß den ordentlichen Gerichten des Ortes von Amts wegen aufgegeben werden, die Sache gehörig zu instruiren, und darüber mit Vorbehalt der Rechtsmittel zu erkennen.

Aufnehmung der Klage.

§. 73.

Findet sich aber bei der vorläufigen Prüfung (§. 70. 71. 72.), daß die Unmöglichkeitsklage an sich zulässig sey; so muß dieselbe vollständig aufgenommen, und die Vernehmung der Kläger besonders darauf gerichtet werden; worin der Zufall, durch welchen sie angeblich zurück gesetzt worden sind, eigentlich bestehe; um wie viel dadurch der Ertrag ihrer Stellen vermindert worden ist; und in welchem Verhältnisse sie daher einen Nachlaß der Dienste verlangen.

Verordnung auf die Klage.

§. 74.

Die solchergestalt instruirte Klage wird der Herrschaft zugefertigt, und derselben eine Frist gesetzt, binnen welcher sie sich zu erklären habe: ob sie sich nach gesetzlicher Vorschrift zu einem Ersatz der verminderten oder verschlimmerten Realitäten der unterthänigen Stellen, oder zu einer verhältnißmäßigen Heruntersetzung der Dienste bequemen; oder ob sie es auf den Prozeß über die Unmöglichkeit ankommen lassen wolle.

§. 75.

Auf alle Fälle, die Erklärung mag eingehen oder nicht, wird dennoch mit Ablauf der Frist eine Lokalkommission, zur Regulierung der Sache, oder zur Instruktion derselben, von Amts wegen angeordnet.


(865) Unterthanen-Prozesse.

Instruktion.

§. 76.

Zu dieser Kommission muß in der Regel allemal ein nicht nur der Rechte, sondern der Landesverfassung vollkommen kundiges, und mit einiger Wirthschaftskenntniß versehendes Mitglied des Kollegii, oder doch ein anderer mit diesen Erfordernissen versehener, vorzüglich tüchtiger und erfahrener Justizbedienter ausgewählt, und diesem Kommissario jedesmal ein wegen seiner gründlichen Wirthschaftskunde und geprüfter Rechtsschaffenheit genugsam bekannter Oekonomiekommissarius zugeordnet werden.

§. 77.

Die Kommission muß, wenn sie an Ort und Stelle kommt, zuvörderst den Legitimationspunkt nach Vorschrift §. 37. berichtigen, und sodann die §. 74. bemerkte Erklärung der Gutsherrschaft, wenn sie noch nicht eingekommen ist, abfordern.

§. 78.

Sodann muß die Kommission durch vorläufige Befragung der Parteien, und anderen am Orte befindlicher Personen, welche Wissenschaft davon haben können, durch Besichtigung, Einsehung der Wirthschaftsrechnungen und Dienstregister (et)c. sich eine allgemeine Kenntniß von der Beschaffenheit der herrschaftlichen Oekonomie, von dem Umfange derselben, und von den zu einem landüblichen Betriebe derselben erforderlichen Diensten; so wie auf er andern Seite von der Beschaffenheit und dem Ertrag der unterthänigen Stellen, von den darauf haftenden öffentlichen und gemeinen Lasten, von der zum Betriebe der eigenen Wirthschaft der Unterthanen erforderlichen Zeit, und anderen dergleichen Umständen, welche auf eine nähere Beurtheiliung des Verhältnisses der als unmöglich verweigerten Dienste, theils in Rücksicht ihrer Nothwendigkeit oder Entbehrlichkeit für die Herrschaft, theils in Rücksicht auf die


(866) Prozeßordn. Ein u. vierzigster Titel.

Beschaffenheit der unterthänigen Stellen, Einfluß haben können, zu verschaffen bemüht seyn.

§. 79.

Nach dieser vorläufig erlangten Kenntniß, mit gehöriger Rücksicht auf die Vorschriften der Gesetze, und auf die nach §. 74. 77. von der Herrschaft abgegebene Erklärung, muß die Kommission Vergleichsvorschläge entwerfen, dieselben beiden Theilen vorlegen; und die Sache gütlich zu reguliren, sich vorzüglich bestreben.

§. 80.

Findet kein gütliches Abkommen Statt, so muß mit der ferneren Instruktion der Sache verfahren werden, wozu die §. 67. angeführten gesetzlichen Vorschriften die nöthige Einleitung geben. Dabei finden übrigens die allgemeinen Regeln der Prozeßordnung, so wie die besonderen Vorschriften des gegenwärtigen Titels, Anwendung.

§. 81.

Wenn die Kommission aus dem Resultat ihrer Untersuchung wahrnimmt, daß das künftige Erkenntniß, dem Ansehen nach, auf eine Ermäßigung des Dienste ausfallen dürfte; so muß sie auch diejenigen Data aufzusuchen und aufzuklären bemüht seyn, wodurch die Quantität und die übrigen Maaßgaben der auf ein gemessenes Tagewerk zu rechnenden Dienste, z. B. die Schwere des Ladung, nach Verschiedenheit der zu verführenden und herbei zu holenden Sachen, an Getreide, Holz, Baumaterialien (et)c.; ingleichen die Meilenzahl oder Weite des auf einen Tagesdienst zu rechnenden Weges (et)c. gehörig bestimmt werden können. Da es hierbei auf die verschiedenen Lokalumstände, auf die Lage jedes Orts, auf die ungewöhnliche Beschaffenheit des Weges, Qualität des Zugviehs, welches die Unterthanen nach der Landesart gewöhnlich halten, und auf mehrere dergleichen specielle Verhältnisse des Orts und


(867) Unterthanen-Prozesse.

der Gegend ankommt; so muß die Kommission auf alle diese Umstände ihr Augenmerk mit möglichster Sorgfalt und Genauigkeit richten, und dieselben durch Vernehmung der Interessenten und ihre Vereinbarung darüber, durch Okularinspektion, durch Einforderung des Gutachtens von anderen benachbarten, bei dem Prozesse nicht interessirten Sachverständigen, in ihr möglichstes Licht zu setzen bemüht seyn.

§. 82.

So wie bei allen diesen Untersuchungen es hauptsächlich auf die Einsicht und Erfahrung des Oekonomiekommissarii ankommt, so muß dennoch der Justizkommissarius die Operation im Ganzen dirigiren; darauf, daß überall mit Bedacht und Gründlichkeit verfahren, die Parteien überall zugezogen, mit ihren Einwendungen und Bemerkungen gehört, und auf die in facto von ihnen angeführten Umstände die nöthige Rücksicht genommen werde, gehörig Acht haben; und für eine ordentliche, richtige, und getreue Verzeichnung alles Verhandelten zum Protokolle Sorge tragen.

§. 85.

Am Schlusse der Untersuchung muß die Sühne nochmals alles Ernstes versucht, und, wenn auch dieser Versuch fruchtlos ist, alsdann von dem zugezogenen Oekonomiekommissario ein eigenes, umständliches, gewissenhaftes, und mit Gründen unterstütztes Gutachten über den Grund der Unmöglichkeit, nebst gründlichen und ausführbaren Vorschlägen, wie die Sache, ohne wesentlichen Nachtheil der Dominialwirtschaft, zur Konservation der Unterthanen eingerichtet werden könnte, schriftlich zu den Akten gegeben, diese aber alsdann zum Spruche vorgelegt werden.

Erkenntniß.

§. 84.

Die vorstehend geführten Untersuchungen und eingezogenen Gutachten geben dem Richter hinlängliche


(868) Prozeßordn. Ein u. vierzigster Titel.

Gründe an die Hand: über die vorgeschützte Unmöglichkeit zu erkennen, und allenfalls derselben durch eine billige Ermäßigung der Dienste für beständig, oder auf eine gewisse Zeit, durch Einführung bestimmter und gemessener Tage, statt der bisherigen ungemessenen Dienste; oder durch irgend eine andere, den Umständen und Verhältnissen des vorliegenden Falles gemäße Festsetzung, ohne Nachtheil der Herrschaft abzuhelfen. Dergleichen Erkenntnisse müssen aber mit vorzüglicher Deutlichkeit und Bestimmung abgefaßt, und den Parteien auf eben die §. 47 u. f. vorgeschriebene Art publiziert werden.

§. 85.

Gegen dergleichen Erkenntniß sind die gewöhnlichen, auf die §. 49 u. f. beschriebene Art zu instruirenden Rechtsmittel zulässig; und muß, wenn es auf eine neue Untersuchung in facto ankommt, dazu, so wie ein anderer Justiz-, also auch ein anderer Oekonomiekommissarius bestellt werde.

§. 86. a.

Die Festsetzung des ersten Urtels gilt jedoch so lange als ein Interimistikum, mit Vorbehalt des Rechtes beider Theile, bis in den folgenden Instanzen ein anderes rechtskräftig erkannt worden ist.

§. 86. b.

Schließlich versteht es sich von selbst, daß, wenn in einer oder der anderen Provinz besondere, von den Vorschriften des Allgemeinen Landrechts abweichende Gesetze, über die Befugniß der Unterthanen, wegen vorgeschützter Unmöglichkeit Erlaß an den Diensten zu fordern, vorhanden sein sollten, auch das Prozeßverfahren diesen Vorschriften gemäß eingerichtet, und durch besondere Verordnungen bestimmt werden müsse.

III. Verfahren bei Ermissionsprozessen der Unterthanen.

§. 87.

Da es einige Fälle giebt, in welchen ein angesessener Unterthan, auf den Antrag der Herrschaft, seiner Stelle oder Nahrung durch Urtel und Recht


(869) Unterthanen-Prozesse.

entsetzt werden kann (Allg. L. R. Th. R. Tit. XXI. § 632. 633. Th. II. Tit. VII. §. 288-297. §. 299.); so finden wegen des dabei zu beobachtenden Verfahrens nachfolgende Vorschriften Statt.

§. 88.

Zuvörderst muß die Exmission eines Unterthans, er sey Eigenthümer oder nicht, niemals ohne vorhergegangenes rechtliches Gehör und Erkenntniß verhängt werden.

§. 89.

Die Instruktion und Entscheidung gehören vor die ordentlichen Gerichte des Orts. Die Gutsherrschaft, oder deren Stellvertreter, sind dabei als Kläger anzusehen, und die Instruktion muß zwar vorzüglich beschleunigt, es müssen aber dabei die wesentlichen Vorschriften der Prozeßordnung, und besonders Tit. XXV. §. 49. u. f. , sorgfältig beobachtet werden.

§. 90.

Gegen das darauf erfolgende Erkenntniß ist die Appellation, und zwar in der Regel mit voller Wirkung, zulässig.

§. 91.

Ist jedoch auf die Exmission des Unterthans aus Gründen erkannt, welche in einem von ihm angerichteten und ferner zu besorgenden Ruin der Wirthschaft und des Inventarii beruhen; so kann, der Appellation ungeachtet, ihm die Fortsetzung der Wirthschaft benommen, und eine Administration derselben, bis zum rechtskräftigen Austrage der Sache, angeordnet werden. (Allg. L. R. Th. I. Tit. XXI. §. 633. Th. II. Tit. VII. §. 288.)

§. 92.

Sind zwei gleichförmige, auf Exmission lautende Urtel vorhanden, so findet dagegen, wenn der Unterthan nicht Eigenthümer ist, kein weiteres Rechtsmittel Statt. Ist er Eigenthümer, so muß er zwar zur


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Revision verstattet, unterdessen aber, auf Verlangen der Herrschaft, nach Vorschrift §. 91., und zwar ohne Rücksicht auf den angenommenen Grund der Exmission, wider ihn verfahren werden.

§. 93.

Außer dem vorstehend (§. 92.) bemerkten Falle steht beiden Theilen die Revisionsinstanz mit voller Wirkung offen.

Zwei und vierzigster Titel.

Von Grenz- und Bausachen.

1. Von Grenzsachen.

§. 1.

Wenn jemand wegen Verrückung der Grenzen, oder auf deren Bestimmung und Wiederherstellung klagen will; so muß er sich; wie gewöhnlich, bei dem Gerichte, unter dessen Jurisdiktion die Sache gelegen ist, melden, und von diesem an einen Depurtirten zur nähern Vernehmung verwiesen werden.

Aufnehmung der Klage.

§. 2.

Der Deputirte muß bei dieser Vernehmung des Klägers hauptsächlich dahin sehen, daß derselbe die Gegend und Stellen, wo die Grenze streitig ist, und deren Terminum a quo und ad quem, deutlich und bestimmt angebe; daß er gleichergestalt den Grenzzug, so wie ihn der Gegentheil verlangt, mit möglichster Deutlichkeit und Bestimmtheit beschreibe; und die Mittel, wodurch er die Richtigkeit der von ihm angegebenen Grenze wahr zu machen gedenkt, gehörig anzeige; auch wenn sie in Urkunden bestehen, dieselben vor allen Dingen herbei schaffe.

§. 3.

Besonders muß der Kläger angehalten werden, alle ihm bekannten, in den Dokumenten aufgeführten, oder bisher gewöhnlichen dafür angenommenen Grenzzeichen anzuzeigen; ob erstere noch vorhanden


(871) Grenz- und Bausachen.

sind, oder nicht, anzugeben; und sich bestimmt zu erklären: welche von denjenigen Grenzzeichen, die der Gegentheil, so viel ihm wissend, dafür ausgiebt, von ihm für bestimmt angenommen, oder in Abrede gestellt werden.

§. 4.

Findet sich in den Angaben des Klägers eine Abweichung von dem Inhalte der Urkunden, so muß der Deputirte den Kläger besonders darauf aufmerksam machen; ihn befragen: mit welchem Grunde Rechtens er dergleichen behauptete Abweichung zu vertheidigen sich getraue; und durch welche Mittel er die Wahrheit der Thatsachen, worauf dergleichen Argumente sich gründet, darzuthun gedenke.

§. 5.

Zur Beförderung der Deutlichkeit, und Vermeidung aller Mißverständnisse, muß nicht nur in dem Informationsprotokolle, sondern auch in der ganzen folgenden Verhandlung der Sache, bei Beschreibung und Bezeichnung der Grenze, ein und eben derselbe Terminus a quo, unter der nämlichen Benennung, beibehalten, und dazu, wenn der Grenzzug auf Dokumente gegründet wird, derjenige, welcher darin angegeben wird, gewählt; hingegen alle bl0ß Relativbenennungen und Beziehungen, welche ohne Intuitivkenntniß des angenommenen Orts oder Standpunktes ganz unverständlich sind, sorgfältig vermieden werden.

§. 6.

Nach diesen Angaben des Klägers muß der Deputirte das Klageprotokoll anfertigen, und demselben jedesmal eine ungefähre Zeichnung der Gegend, worauf beiderlei Grenzzüge deutlich bemerkt sind, beilegen.

§. 7.

Wenn der Deputirte sich aus den Angaben des Klägers keinen klaren und vollständigen Begriff von dem streitigen Grenzzuge machen kann, die Sache


(872) Prozeßordn. Zwei u. vierzigster Titel.

aber von Wichtigkeit ist; so soll er, auf gebührende Anzeige, von dem Gerichte authorisirt werden, sich an Ort und Stelle zu verfügen, und die erforderlichen Nachrichten durch den Augenschein einzuziehen. Auch kann in einem solchen Falle die Aufnehmung der Klage an Ort und Stelle einem auswärtigen benachbarten Kommissario übertragen werden.

Verordnung auf die Klage.

§. 8.

Das eingekommene Klageprotokoll wird dem Beklagten abschriftlich kommunicirt, und die fernere Institution der Sache sofert auf Lokalkommission gerichtet.

§. 9.

Zu dieser Kommission kann der Auftrag, nach Bewandtniß der Umstände, und der mehrern oder mindern Wichtigkeit der Sache, einem Rathe des Kollegii, oder einem andern benachbarten Justizbedienten geschehen; auch muß jedesmal, wo das Objekt des Streites von einigem Umfange und Erheblichkeit ist, dem Kommissario ein entweder zu dergleichen Geschäften in ordentlichen Amtspflichten stehender, oder zu der gegenwärtigen Verhandlung besonders zu vereidender Feldmesser beigegeben werden.

§. 10.

In der Verordnung auf die Klage muß dem Beklagten aufgegeben werden, sich auf die bevorstehende Untersuchung sorgfältig vorzubereiten; und wenn zu dem Ende noch vor dem Termine eine richterliche Verfügung, es sey wegen Herbeischaffung einer Urkunde wegen Adcitation gewisser nicht am Orte befindlicher Zeugen, oder sonst erforderlich wäre, dem Gerichte davon, zeitig vor dem Termine, die nöthige Anzeige zur weitern Verfügung einzureichen.

§. 11.

Ueberhaupt muß das Gericht nach Möglichekeit, auch von Amts wegen, dafür sorgen, daß alle etwa vorhandene Mittel zu Findung der Wahrheit noch


(873) Grenz- und Bausachen.

vor dem Termine herbei geschafft werden, und im Termine selbst, um die Institution nicht ohne Noth aufzuhalten, zur Hand seyn mögen.

§. 12.

So wie die Parteien, auch in solchen Grenzprozessen, Bevollmächtigte am Orte des Gerichts zum Betriebe der Sache bestellen müssen; so steht ihnen frei, sich auch bei der Lokalinstitution dieser Bevollmächtigten als ihrer Assistenten zu bedienen, oder wenn dieses, der Entfernung wegen, mit zu vielen Weitläufigkeiten und Kosten verbunden wäre, auch andere benachbarte Rechtskundige, als ihre Beistände, mit zur Kommission zu bringen.

Vernehmung der Parteien.

§. 13.

Im Termine muß der Kommissarius zuvörderst dem Kläger den in dem Klageprotokolle beschriebenen Grenzzug vorlegen, selbigem mit ihm nochmals durchgehen, und, wo es nöthig ist, berichtigen. Sodann muß er den Gegentheil besonders vornehmen; ihm den klägerlichen Grenzzug, nach der bei den Akten befindlichen ungefähren Zeichnung, ebenfalls vorlegen; ihm denselben Schritt für Schritt zergliedern; wo die Grenzlinie nach seiner Behauptung anders gehen solle, ihn deutlich und bestimmt angeben lassen; diese Abweichungen im Protokolle genau bemerken; allenfalls eine zweite ungefähre Zeichnung des streitigen Grenzzuges, nach den Angaben des Beklagten, fertigen lassen; solchergestalt den eigentlichen streitigen Ort näher bestimmen; übrigens aber den Beklagten sowohl mit seinen Einwendungen wider die Beweismittel des Klägers, als über die Beweismittel, die er selbst zur Unterstützung des von ihm behaupteten Grenzzuges angeben könne, gehörig vernehmen.

Einnehmung des Augenscheins.

§. 14.

Sodann muß der Kommissarius sich, mit Zuziehung beider Theile, der von ihnen etwa vorgeschlagenen Zeugen, und des Feldmessers, auf die Grenze


(874) Prozeßordn. Zwei u. vierzigster Titel.

verfügen; daselbst den Augenschein nach der Vorschrift Tit. X. Abschn. VI. einziehen; sich die streitigen Stellen und Grenzzeichen von den Parteien anweisen lassen; den ganzen Grenzzug jeder Partei von Ort zu Ort, nebst den darauf angegebenen Grenzzeichen, deutlich und umständlich in das Protokoll eintragen; die in Kontestation kommenden Hügel und Steine aufgraben lassen, und was darunter gefunden worden ist, sorgfältig anmerken: den Feldmesser zur Aufnehmung der streitigen Gegend instruiren; beiden Theilen aufgeben, demselben, bei der Vermessung und Ausnehmung der von jedem behaupteten Grenzzüge, die von jedem dafür ausgegebenen Grenzzeichen, zur Eintragung in die Charte, genau und bestimmt anzuweisen: die anwesenden Zeugen auf die Streitörter und Grenzmahle aufmerksam machen; und demnächst, nach dem Inhalte des aufgenommenen Protokolls, die dabei gefundenen Abweichungen von den ungefähren Zeichnungen der Parteien genau bemerken, und allenfalls durch einen von ihm selbst gefertigten Abriß noch mehr erläutern; damit er davon bei der Abhörung der Zeugen, oder sonst bei fernerer Instruktion der Sache, bevor die Charte des Feldmessers eingekommen ist, Gebrauch machen könne.

Weitere Instruktion der Sache.

§. 15.

Wenn hierdurch der Streitort, und der eigentliche Grund der gegenseitigen Behauptungen, bestimmt und richtig ausgemittelt, und alle dabei vorkommenden Thatsachen gehörig auseinander gesetzt worden sind; so muß mit Regulirung des Status causae et controversiae, welche auf jeden der streitigen Oerter oder Züge, wenn deren mehrere sind, besonders zu richten ist, und mit der Aufnehmung des Beweises darüber, nach der Vorschrift Tit. X. überall verfahren, und besonders bei Abhörung der Zeugen, mit vorzüglicher Aufmerksamkeit dahin gesehen werden, daß


(875) Grenz- und Bausachen.

dieselben ihrer Aussagen deutlich, positiv, und so, daß sie keine bloß individuellen, dem künftigen Urtelsfasser unverständlichen Beziehungen enthalten, abgeben; auch nicht etwa verschiedene Oerter von ähnlicher Benennung oder Lage mit einander verwechseln. Wenn es nach den Umständen möglich, und, um mehrere Deutlichkeit und Zuverlässigkeit in die Aussagen der Zeugen zu bringen, erforderlich wäre, müssen dieselben an Ort und Stelle sofort abgehört, und nachher nur ihre Vereidung zu Hause nachgeholt werden.

Aufnehmung der Charte.

§. 16.

Wenn inzwischen der Feldmesser mit Aufnehmung der streitigen Grenze fertig geworden ist, so muß die Charte beiden Theilen vorgelegt werden, um sich zu erklären: ob die von ihnen gegenseitigen angegebenen Grenzlinien, Mahle, oder Zeichen, darauf richtig bemerkt sind; oder was sie deshalb, oder sonst, bei der Charte etwa noch zu erinnern haben. Kommen dergleichen Erinnerungen vor, so wird die Charte an Ort und Stelle nochmals revidirt; wie denn überhaupt die Wiederholung der Okularinspektion so oft geschehen muß, als es, um die Sache in ein vollkommen deutliches Licht zu setzen, nöthig ist.

§. 17.

Ist die Charte erst nach der Zeugenvernehmung vollendet worden, so muß der Kommissarius, wenn die Zeugen bei ihren Aussagen Grenzzeichen, oder andere merkwürdige Stellen, welche auf der Charte noch nicht bemerkt sind, angegeben haben, für deren Nachtragung, so wie dafür sorgen, daß die Buchstaben, womit solche Punkte bezeichnet sind, am Rande des Protokolls notirt werden.

§. 18.

Ueberhaupt muß der Kommissarius dahin sehen, daß die Bezeichnung nach Zahlen oder Buchstaben überall unverändert bleiben, damit den Verirrungen


(876) Prozeßordn. Zwei u. vierzigster Titel.

vorgebeugt werde, welche leicht entstehen können, wenn die vorläufigen Handzeichnungen, und die etwa in mehrerer Anzahl vorhandenen Charten, in diesen Stücken von einander abweichen.

Regulirung des Interimistici.

§. 19.

Am Schlusse der Kommission muß die Sühne nochmals alles Ernstes versucht, in deren Entstehung aber müssen beide Theile ernstlich angewiesen werden, bis zum erfolgenden Erkenntnisse Alles in dem Stande, worin es bei der Lokalkommission befunden worden ist, zu lassen; in dem dabei ausgemittelten dermaligen Besitzstande einander nicht zu beunruhigen; sich gegenseitig alles Gebrauchs und aller Benutzung derjenigen Oerter, wo auch der neueste Besitz streitig geblieben ist, vor der Hand gänzlich zu enthalten, und das Urtel, welches möglichst beschleunigt werden solle, ruhig abzuwarten.

§. 20.

Kann die Benutzung des Streitortes, während des Prozesses, füglich weder dem einen Theile allein, noch beiden gemeinschaftlich überlassen werden; so muß der Kommissarius, wegen der einstweiligen Benutzung desselben durch einen Dritten, mit Vorbehalt des Rechts beider Parteien, solche Verfügung treffen, daß künftig dem obliegenden Theile die inzwischen erhobenen Nutzung vergütet werden können.

Besondere Bemerkungen:

 a) wegen Aufnehmung der Charte noch vor der Instruktion.

§. 21.

Wenn die streitigen Grenzen weitläufig und von großem Umfange sind, so daß durch deren Aufnehmung, wenn sie in Gegenwart der Kommission geschehen sollte, diese zu lange Zeit und ohne Nutzung aufgehalten werden würde; so steht dem Gerichte frei, die Vermessung sofort auf die eingekommene Klage, ehe noch die Lokalkommission vor sich geht, zu veranlassen; folglich die Eröffnung dieser letztern bis nach eingelangter Zeichnung auszusetzen;


(877) Grenz- und Bausachen.

und des Endes beiden Theilen auszugeben, daß sie dem Feldmesser den Grenzzug, welchen jeder behauptet, nebst den vorgeblichen Grenzmahlen, gehörig anweisen sollen.

In diesem Falle muß jedoch der Kommissarius es seine erste Operation seyn lassen, daß er, bei der §. 15. beschriebenen Vernehmung, den Parteien die aufgenommene Charte zur Erklärung vorlege; und wo noch Zweifel oder Erinnerungen des Feldmessers, bei der §. 14. Beschriebenen Okularinspektion prüfe und berichtige.

b) wegen Absonderung der verschiedenen Streitpunkte.

§. 22.

Wenn die Grenze an mehreren Stellen streitig ist, so müssen sowohl bei Aufnehmung der Klage, als bei der weiteren Instruktion der Sache, diese verschiedenen Objekte sorgfältig von einander abgesondert, und dabei die Anweisungen des vorhergehenden Titels §. 9. 42. und 43. genau beobachtet werden.

Rechtsausführungen.

§. 23.

Nach geschlossener Lokalkommission muß der Kommissarius die dabei mit zugezogenen Assistenten der Parteien auffordern, die etwanigen näheren Ausführungen der gegenseitigen Gerechtsame entweder sofort zum Protokolle zu geben, oder dieselben allenfalls schriftlich bei ihm einzureichen. Zu letzterm muß jedesmal eine gewisse Frist bestimmt, und wenn dieselbe verlaufen ist, müssen die Akten, die Schriften mögen eingekommen sehn, oder nicht, dem Kollegio eingereicht werden, bei welchem sie unbezüglich zum Spruch vorzulegen sind.

Erkenntniß.

§. 24.

Die Publikation des Erkenntnisses geschieht den Bevollmächtigten der Parteien auf eben die Art, wie im ordentlichen und gewöhnlichen Prozesse, und ist dagegen die Appellation zulässig.


(878) Prozeßordn. Zwei u. vierzigster Titel.

Remedia.

§. 25.

Wenn jedoch dieses Rechtsmittel eingewendet wird, so gilt das erste Erkenntniß als ein Interimistikum; dergestalt, daß beide Theile, bis zum rechtskräftigen Austrage der Sache, sich wegen der Benutzung des streitigen Flecks, und sonst überall, nach den Festsetzungen desselben zu achten schuldig sind.

§. 26.

Bei sehr weitläufigen und an mehreren Stellen streitig gewesenen Grenzen kann das Gericht einem benachbarten Kommissario auftragen, das Urtel den Parteien an Ort und Stelle zu eröffnen, und zugleich auf den Grund desselben das Interimistikum zu reguliren.

§. 27.

Wegen Anmeldung der Appellation und nähere Aufnehmung der angebrachten Beschwerden, auch fernerer Einleitung der Sache, finden überall die Vorschriften Tit. XIV. Abschn. II. Anwendung. Es versteht sich also von selbst, daß, wenn keine neue Thatsachen oder Beweismittel vorkommen, das gewöhnliche schriftliche Verfahren, so wie in anderen Sachen, zulässig sey.

§. 28.

Wenn aber zur Instruktion des Appellatorii eine neue Lokalkommission erforderlich ist, so muß dazu ein anderer Kommissarius, als der die erste Instanz instruirt hat, ernannt werden. Wenn eine Partei im Appellatorio behauptet, daß die in der vorigen Instanz aufgenommene Charte unrichtig sey, so muß sie genau und bestimmt angeben: worin diese Unrichtigkeit eigentlich bestehen solle; und alsdann muß der neuen Lokalkommission ein anderer Feldmesser beigeordnet, der vorige aber zugleich jedesmal zugezogen werden, damit er den neuen Feldmesser bei seiner Operation kontrolliren; die vorigen Vermessungen, wo es nöthig ist, rechtfertigen; wenn aber wirklich ein


(879) Grenz- und Bausachen.

Verstoß vorgefallen wäre, derselbe, mit seiner Beistimmung, auf der ersten Charte berichtigt werden könne.

§. 29.

Mit der Publikation des Appellationsurtels, und der dagegen noch zulässigen Revision, wird es eben so, wie in ordentlichen und gewöhnlichen Prozessen, gehalten. Wenn übrigens auch das Appellationserkenntniß an dem ersten Urtel etwas ändert, so bleibt es dennoch bei dem auf den Grund dieses ersten Urtels nach §. 25. 26. regulirten Interimistiko so lange, bis auch in der dritten Instanz erkannt worden ist.

Berichtigung der Grenze nach dem Judicato.

§. 30.

Wenn aber der streitig gewesene Grenzzug rechtskräftig feststeht, müssen die Parteien angewiesen werden, selbigen durch gemeinschaftlich zu setzende Grenzsäulen, Haufen, oder Steine, dem ergangenen Urtel gemäß, unverzüglich zu reguliren; und wenn die Sache weitläufig und wichtig ist, oder sie sich nicht vereinigen können, sich zu dieser Regulirung eine anderweitige gerichtliche Kommission zu erbitten; von welcher alsdann ein förmlicher Grenzrezeß, mit deutlicher; und umständlicher Beschreibung aller gesetzten Mahle und Zeichen, auch mit akkurater Bemerkung der Weite derselben von einander, aufgenommen und vollzogen werden muß.

§. 31.

Der Richter muß dafür sorgen, daß diese Grenzberechtigung nach den ergangenen Judikatis wirklich erfolge, und wie sie geschehen ist, zu den Akten nachgewiesen werde. Sind die Parteien darin säumig, so muß der Richter sie von Amts wegen dazu auffordern. Lehnen sie aber diese gerichtliche Grenzberichtigung ausdrücklich ab, so muß der Richter sich dabei beruhigen.


(880) Prozeßordn. Zwei u. vierzigster Titel.

§. 32.

Die Kosten dieser Grenzberichtigung nach den Judikatis werden in der Regel von beiden Theilen zur Hälfte getragen; es wäre denn, daß im Prozesse selbst die eine Partei in alle Kosten verurtheilt worden sey; in welchem Falle sie auch diese Kosten allein übernehmen muß.

§. 33.

Wenn der obwaltende Grenzstreit zugleich eine Landesgrenze mit betrifft, so müssen die Kollegia wegen Untersuchung und Regulirung der Sache, ohne Vorwissen und Mitwirkung des Departements der auswärtigen Angelegenheiten, nichts vornehmen.

II. Bausachen.

§. 34.

Mit den Grenzprozessen haben die Bausachen, wenn nämlich über die Zulässigkeit eines Baues überhaupt, oder die Art, denselben zu führen, gestritten wird, darin Ähnlichkeit, daß es dabei gewöhnlicher Weise auf Einnehmung des Augenscheins hauptsächlich ankommt.

§. 35.

Deren vorzügliche Beschleunigung.

Da aber dergleichen Sachen, nach ihrer Natur, und der Vorschrift der Gesetze, vorzüglich beschleunigt werden sollen; so muß das Gericht den sich meldenden Kläger sofort an einen Deputirten verweisen, welcher denselben mit seinen Anträgen unverzüglich zum Protokolle vernehmen; hierauf den Beklagten noch auf eben den, oder spätestens auf den folgenden Tag, durch den Gerichtsdiener mündlich vorladen lassen; ihn mit seiner Antwort hören; den Statum controversiae unter ihnen reguliren; sodann die Okularinspektion, mit Zuziehung vereideter Sachverständiger, vornehmen; von diesen, wo es zur Erläuterung der Sache nothwendig ist, einen ordentlichen Riß, sonst aber nur eine ungefähre Zeichnung, wie nicht weniger ein umständliches Gutachten, entweder zum Protokolle, oder schriftlich, einfordern; die über


(881) Grenz- und Bausachen.

die streitigen, und durch den Augenschein nicht auszumittelnden Thatsachen etwa vorhandenen Zeugen ordentlich abhören, und sodann die Instruktion, ohne Zulassung schriftlicher Deduktionen, abschließen muß.

§. 36.

 Dieser Deputirte ist also berechtigt, die Sachverständigen und Zeugen unmittelbar, ohne Rückfrage bei dem Kollegio, durch bloße Abschriften der Dekrete vorzuladen, und seinen Vorladungen muß eben so, als wenn sie vom Gerichte selbst ergangen wären, Folge geleistet werden.

§. 37.

Die von dem Deputirten eingereichten instruirten Akten, sind bei dem Kollegio sofort zum Spruche vorzulegen, und die Erkenntnisse in Bausachen sind allemal vorzüglich zu beschleunigen.

Remedia.

§. 38.

Gegen dergleichen Erkenntniß findet die Appellation mit voller Wirkung Statt. Es muß aber dieselbe innerhalb einer dreitägigen Frist bei dem erkennenden Richter angemeldet; von demselben, wenn es auch nur ein Unterrichter wäre, entweder sofort, oder doch in einem, nach Beschaffenheit der Umstände, so nahe als möglich zu bestimmenden Termine, mit Zuziehung des Appellaten zum Protokolle instruirt; wenn dazu eine nochmalige Lokalbesichtigung entweder von einer Partei angetragen, oder auch von dem Richter nöthig befunden würde, dieselbe einem andern Kommissario, und andern Sachverständigen, als in erster Instanz gewesen sind, aufgetragen, und hiernächst die geschlossenen Akten, ebenfalls ohne weitere Deduktionen, an den kompetenten Appellationsrichter eingesendet werden.

§. 39.

Sind die in beiden Instanzen zugezogenen Sachverständigen über einerlei Gegenstand verschiedener Meinung, so müssen sie gegen einander gestellt, und


 

 (882) Prozeßordn. Zwei u. vierzigster Titel.

entweder zum Einverständnisse gebracht, oder wenigstens dahin, daß jeder von ihnen die Gründe seiner Meinung, und diejenigen, warum er des Andern Meinung verwerfe, deutlich und bestimmt angeben müsse, angehalten werden. Bei der Aburtelung einer solchen Sache muß alsdann der Richter beiderlei Gutachten gegen einander halten, und allenfalls, wenn es dabei auf wissenschaftliche Grundsätze der angewandten Mathematik, und insonderheit der Baukunst, ankommt, noch von einem dritten Sachverständigen ein Votum über die eigentliche Streitfrage einfordern.

§. 40.

Gegen das Appellationserkenntniß ist zwar die Revision zulässig; doch wird derselben in der Regel keine suspensive Wirkung beigelegt. Es muß also, wenn auf die Fortsetzung des Baues erkannt worden ist, der Gegentheil sich dieselbe, der eingewandten Revision ungeachtet, gefallen lassen; oder es müssen, wenn dieselbe nur unter gewissen Maßgaben gestattet ist, diese Maßgaben gehörig beobachtet werden. Nur wenn auf die Kassation des vor dem Anfange des Prozesses schon angefangenen Theils des streitigen Baues erkannt ist, bleibt dieselbe bis zum Erkenntnisse in der dritten Instanz ausgesetzt.

§. 41.

Da solchergestalt in der Revisionsinstanz keine so gegenwärtige Gefahr im Verzuge mehr obwaltet, so sind in derselben schriftliche Deduktionen zulässig. Doch müssen sowohl diese, als das Erkenntniß selbst, vorzüglich beschleunigt werden.

§. 42.

Alles Vorstehende gilt jedoch nur von dem Falle, wenn von einem schon wirklich angefangenen Baue die Rede ist, dessen Fortsetzung oder Kassirung von dem Ausfalle des Prozesses abhängt. Wenn daher entweder noch vor angefangenem Baue über die


(883) Grenz- und Bausachen.

Befugniß dazu, oder die Art, denselben zu führen; oder, wenn nach Vollendung desselben, über einen daraus dem Nachbar erwachsenden Nachtheil, und die ihm desfalls gebührende Schadloshaltung; oder wenn endlich zwischen dem Bauherrn und Baumeister über Berechnung oder Bezahlung der Baukosten Streit entsteht; so findet bei der Instruktion der Sache dasjenige ordentliche oder summarische Verfahren statt, wozu die Sache ihrer Beschaffenheit und Wichtigkeit nach qualificirt ist, und wegen Vornehmung der Okularinspektion, auch Zuziehung von Sachverständigen dabei, sind die allgemeinen Vorschriften der Prozessordnung zu beobachten.

Drei und vierzigster Titel.

Von dem Verfahren bei Auseinandersetzung der Gemeinheiten.

Provokation auf Gemeinheitstheilungen.

§. 1. Wenn jemand die Aufhebung einer Gemeinheit verlangt, welche in gemeinschaftlichen Angern und Hütungsplätzen, oder in vermischten Aeckern und Wiesen besteht; so muß er sich deshalb bei der in seinem Kreise oder Distrikte angesetzten Gemeinheits-Auseinandersetzungs-Kommission geziemend melden.

§. 2. Eben dieser Kommission müssen auch dergleichen Provokationen, wenn sie unmittelbar bei dem Gerichte angebracht würden, zur weitern Verfügung zugefertigt werden.

§. 3. Auch liegt diesen Kommissarien ob, die Interessenten zur Aufhebung der dem Wirtschaftsbetriebe schädlichen Gemeinheiten, bei jeder schicklichen Veranlassung, möglichst aufzumuntern.


(884) Prozeßordn. Drei u. vierzigster Titel.

Begründung derselben.

§. 4.

Doch muß jeder Provokant seinen Antrag zu Aufhebung einer Gemeinheit zuvörderst durch den Nachweis, daß die Theilung an sich möglich, und dem Ganzen, oder auch den sämmtlichen Interessenten vortheilhaft sei, nach Vorschrift der Gesetze gehörig begründen. (A. L. R. Th. I. Tit. XVIl. §. 314. 315. 316.)

§. 5.

Wird dieser Nachweis nicht sogleich bei Anmeldung der Provokation hinlänglich beigebracht, so muß die Kommission sich vor allen Dingen an Ort und Stelle verfügen, nnd daselbst von der Beschaffenheit der Feldmark, oder des Hütungsflecks, in wie fern dabei eine Theilung nach Vorschrift der Gesetze Statt finden könne, durch Besichtigung nähere Kenntniß einzieben.

§. 6.

 Ergiebt sich daraus, daß die Separation allerdings statthaft und von Nutzen sey; so muß mit der ferneren Einleitung der Sache, ohne sich an den Widerspruch der Provokaten zu kehren, unverzüglich verfahren; und es soll daher über die Frage: ob eine solche Auseinandersetzung Statt finde? niemals ein förmlicher Prozeß zugelassen werden.

Ausmittelung der Interssenten und ihrer Perceptionsrechte.

§. 7.

Die Kommission muß ihr Geschäft damit anfangen, daß sie ausmittele: wer eigentlich die Interessenten bei der zu theilenden Gemeinheit sind, und worin die Theilungsrechte eines jeden unter ihnen bestehen.

§. 8.

Dabei muß vor allen Dingen der Legitimationspunkt nach Vorschrift der Gesetze (Ebend. §. 317-337.) berichtigt und dafür gesorgt werden, daß diejenigen, welche nicht als Eigenthümer, sondern nur als Nießbraucher, Pächter, oder sonst im


(885) Gemeinheitssachen.

Namen eines Andern besitzen, wenn sie sich in Vertretung des Eigenthümers melden, die erforderliche Vollmacht oder Autorisation, herbei schaffen.

§. 9.

Die Parteien sollen schuldig seyn, vor der Kommission persönlich zu erscheinen; nnd nur im unvermeidlichen Nothfalle soll ihre Vertretung durch Bevollmächtigte, die nach der Vorschrift §. 25. Tit. III. qualificirt sind, verstattet werden.

§. 10.

Wenn ganze Gemeinen bei der Sache Theil nehmen, so muß die Kommission zwar zu den allgemeinen, die Rechte der Gemeine überhaupt betreffenden Verhandlungen, gewisse Deputirte aus deren Mitte bestellen lassen; so bald aber das Interesse einzelner Mitglieder untersucht und bestimmt werden soll, müssen diese selbst zugezogen und gehört werden.

Erörterung der Präjudicialpunkte.

§. 11.

Wenn bei der §. 7. beschriebenen Ausmittelung der Theilnehmungsrechte der Interessenten sich findet, daß unter selbigen über gewisse, das Eigenthum, den Besitz, oder die Nutzung, und andere Dienstbarkeiten auf der zu theilenden Gemeinheit betreffende Gerechtsame Streit obwalte; so muß die Kommission sich von dem eigentlichen Grunde solcher Streitigkeiten einen allgemeinen richtigen Begriff zu verschaffen, und dieselben gütlich beizulegen bemüht seyn. In Entstehung dessen ist ein Unterschied zu machen: ob der streitige Punkt von der Art sey, daß die ganze Theilnehmung von der Entscheidung desselben abhängt; oder: ob der Streit nur das Verhältniß und die Art der Theilnehmung betreffe; dergestalt, daß die Entscheidung desselben nicht auf die Separation im Ganzen, sondern nur auf gewisse Modalitäten


(886) Prozeßordn. Drei u. vierzigster Titel.

derselben, oder auf die Subrepartition Einfluß haben kann.

1) wenn davon die Frage: ob getheilt werden solle? abhängt;

§. 12

Ist ein solcher Präjudicialpunkt streitig, von dessen Entscheidung es abhängt: ob überhaupt eine Theilung werde Statt finden können; so muß die Kommission die Parteien, zur vorläufigen Ausmittelung desselben, an das gehörige Gericht verweisen, und diesem davon Bericht abstatten; bis zum gänzlichen Austrage der Sache aber mit den ferneren Theilungsoperationen anstehen.

§. 13. Dergleichen Präjudicialstreitigkeit muß alsdann von den Gerichten, je nachdem es die Qualität des streitigen Rechts und die Beschaffenheit der dabei vorwaltenden Umstände mit sich bringen, nach den Vorschriften des ordentlichen oder summarischen Prozesses, an gewöhnlicher Gerichtsstelle, oder durch Lokalkommission, welche letztere, der Regel nach, den Gemeinheitskommissarien vorzüglich aufzutragen ist, zum rechtskräftigen Endurtel instruirt werden.

2) wenn sie nur die Subrepartition betreffen.

§. 14.

Ist hingegen der §. 10. beschriebene Streit von der Art, daß nur die Quantität, Proportion, und Art der Theilnehmung dieser oder jener Interessenten davon abhängt, folglich die Auseinandersetzung selbst auf alle Fälle vor sich gehen kann; so muß die Kommission mit ihren Operationen, nach Maßgabe des folgenden §. 20., bis zur Hauptvermessung, und mit Inbegriff derselben, jedoch mit Ausschließung aller speciellen Unterabtheilungen, fortfahren; und zugleich die Instruktion dieses streitigen Nebenpunktes zum Erkenntnisse gehörig besorgen.

§. 15.

Diese Instruktion muß in einem besondern Protokolle geschehen; der Kommissarius muß den oder diejenigen Interessenten, welche sich gewisser, von


(887) Gemeinheitssachen.

den übrigen bestrittenen Rechte anmaaßen, über die Gründe dieser Anmaaßung, die dabei vorkommenden Thatsachen, und die vorhandenen Beweismittel derselben, sorgfältig vernehmen; alsdann den Gegentheil mit seiner Beantwortung hören; den Statum controversiae reguliren; mit Aufnehmung der Beweismittel verfahren; und solchergestalt die Sache zum Definitiverkenntnisse einleiten; dabei aber durchgehends sowohl die Tit. X. dem Instruenten überhaupt, als die Tit. XLI. §. 39. dem Kommissario bei Unterthanen-Prozessen insonderheit, ertheilten Vorschriften gehörig befolgen.

§. 16.

Die geschlossenen Separatakten müssen alsdann an das Gericht eingesendet, von diesem das Erkenntniß unverzüglich abgefaßt, und dem instruirenden Kommissario, zur Publikation, nebst den Akten remittirt werden.

§. 17.

Wenn das Objekt des Streits eine bloße Bagatellsache betrifft, so muß, wenn der eine oder der andere Theil sich bei dem Erkenntnisse nicht beruhigen will, die Appellation dagegen von der vorigen Kommission nach den Vorschriften Tit. XXVI. sofort zum Protokolle instruirt werden.

§. 18.

Ist aber der Gegenstand des Streits von mehrerer Erheblichkeit, so muß zwar das Erkenntnis; der ersten Kommission zur Publikation zugefertigt; derselben aber zugleich aufgegeben werden, wenn der eine oder der andere Theil sich dabei nicht beruhigcn wollte, ihn zur näheren Aufnehmung seiner Appellationsbeschwerden, entweder an das Gericht selbst, oder auch, nach Befinden der Umstände, an einen andern auf solchen Fall sogleich zu benennenden Kommissarius in der Nachbarschaft zu verweisen.


(888) Prozeßordn. Drei u. vierzigster Titel.

§. 19.

Wegen der Instruktion des Appellatorii selbst sind die Vorschriften Tit. XI.I. §. 51-55. zu beobachten. Ist die Verhandlung des Appellatorii, und die Publikation des Erkenntnisses, durch einen auswärtigen Kominissarius geschehen, so müssen die etwanigen Revisionsbeschwerden bei diesem angemeldet, von ihm aufgenommen, und was sowohl der Revident zu deren Unterstützung, als der Revisus zur Widerlegung anzuführen haben, vor demselben zum Protokolle verhandelt werden. Ist hingegen die Instruktion der Appellationsinstanz bei dem Gerichte selbst erfolgt, so finden in Ansehung des Revisorii die gewöhnlichen Vorschriften Anwendung.

Vermessung und Bonitirung

§. 20.

Wenn solchergestalt die Theilnehmungsrechte der Interessten, entweder gütlich, oder durch Urtel und Recht regulirt; oder wenn in dem Falle des §. 13. die darüber entstandenen Streitigkeiten instruirt worden sind: so muß die Kommission, wegen Vermessung des zu theilendcn Grundes, die erforderlichen Einleitungen treffen.

§. 21.

Der Feldmesser muß also den Interessenten vorgestellt, und, wenn er zu dergleichen Verrichtungen nicht schon überhaupt vereidet ist, in deren. Gegenwart zu dieser Sache besonders verpflichtet werden. Die Kommission muß zugleich dafür sorgen, daß ihm zu Anweisung der Grenzen, Abtheilungen und Bezirke, sowohl des zu vermessenden Grundstücks überhaupt, als der einzelnen darin gelegenen Stücke und Besitzungen, gewisse Leute, welche davon die genaueste Kenntniß und Erfahrung haben, zugegeben, und, wenn es die Interessenten verlangen, dazu ebenfalls gehörig vereidet; übrigens aber ihm die zu seiner Operation erforderlichen Kettenzieher, und sonstigen


(889) Gemeinheitssachen.

Bedürfnisse, gehörig angewiesen und geliefert werden.

§. 22.

Da auch bei der Vermessung der Quantität und des Inhalts, zugleich die Qualität und Güte der Grundstücke ausgemittelt werden soll; so muß die Kommission, durch Vernehmung und Vereinbarung der Interessenten, oder, wenn diese nicht Statt fände, nach ihrer eigenen sich erworbenen Lokalkenntniß und ökonomischen Einsicht, festsetzen: aus wie viel Klassen in Rücksicht der Bonität das zu vertheilende Land bestehe. Sodann muß sie die Taxatoren, welche entweder zu dergleichen Verrichtungen im Kreise ein- für allemal bestellt und verpflichtet sind, oder von den Interessenten einmüthig gewählt, oder von der Kommission von Amts wegen ernannt, und in den beiden letzteren Fallen jedesmal ordentlich vereidet werden, an den Feldmesser verweisen; um unter dessen Direktion, nach Maßgabe der festgesetzten Klassifikationsordnung, die Abschätzung oder Bonitirung Stück für Stück vorzunehmen, und bei ihm zum Protokolle zu erklären, damit er daraus das Nöthige in sein Register übertragen könne.

§. 23.

Sollten auch irgendwo bei einer Vermessung oder Abschätzung noch besondere Umstände vorkommen, worauf der Feldmesser Rücksicht zu nehmen hätte; so muß die Kommission ihn mit einer ausführlichen, deutlichen und bestimmten Instruktion darüber schriftlich versehen.

§. 24.

Der Feldmesser muß sich bei dieser Arbeit nach besagter Instruktion, und im übrigen nach dem Feldmesserreglement der Provinz, genau und pflichtmäßig achten; wenn sich, während der Vermessung über die Grenzen, oder das Eigenthum eines oder des andern Grundstücks, abermals Streitigkeiten unter den Parteien


(890) Prozeßordn. Drei u. vierzigster Titel.

hervor thun sollten, den Streitpunkt in dem Vermessungsprotokolle deutlich auseinander setzen, und auf der Charte richtig bemerken; übrigens aber in Fällen, wo er nähere Anweisung oder Beihülfe nöthig hat, sich an die Kommission deshalb gebührend verwenden.

§. 25.

Da der Feldmesser bei Gelegenheit der von ihm selbst geschehenen Aufnehmung des Landes, und unter seiner Direktion erfolgten Würdigung desselben, die genaueste und vollständigste Kenntniß davon erlangt; so liegt ihm ob, nach Maßgabe dieser Kenntniß sein Gutachten abzugeben: wie die Separation auf die leichteste, schicklichste, und sämmtlichen Interessenten vortheilhafteste Art regulirt werden könne.

§. 26.

Diese Vorschläge, das Vermessungsprotokoll und Register, nebst der aufgenommenen Charte, muß er, nach Beendigung seines Auftrags, der Kommission unverzüglich einreichen.

Vorlegung der Charte und Vermessungsregister.

§. 27.

Die Kommission muß hiernächst Charte und Register den sämmtlichen Interessenten vorlegen; ihnen die nöthigen Erläuterungen darüber geben; einem jeden seine Besitzungen, und die verschiedenen Stücke, woraus selbige bestehen, sowohl auf der Charte, als an Ort und Stelle, wo es nöthig ist, nachweisen; ihm die heraus gebrachte Morgenzahl, und den Ausfall der Würdigung in Ansehung der Qualität, bekannt machen; und seine Erklärung: ob er Beides für richtig annehme, oder was er dabei noch zu erinnern habe, abfordern.

§. 28.

Finden sich dabei noch Widersprüche, so müssen dieselben an Ort und Stelle untersucht; die etwa vorgefallenen Fehler verbessert: wo aber der Einwand ungegründet ist, dieser Ungrund in das gehörige Licht


(891) Gemeinheitssachen.

gesetzt; und der widersprechende Interessent selbst davon, mit allem Glimpf und Geduld, möglichst überzeugt werden.

Separationsplan

§. 29.

Sind nun solchergestalt Charte, Vermessungs- und Klassifikationsregister in Richtigkeit gesetzt; so muß die Kommission den Separationsplan selbst entwerfen. Die Data hierzu geben ihr die sich selbst erworbene Kenntniß von der Beschaffenheit und dem Umfange des Grundes, und von den Rechten der verschiedenen Interessenten; das Vermessungs- und Klassifikationsregister; die Vorschläge des Feldmessers, und die, während der bisherigen Verhandlungen, von den Interessenten selbst gelegentlich eingezogenen Nachrichten und geäußerten Wünsche oder Anträge, an die Hand. Die Grundsätze, welche dabei anzunehmen, sind in den Gesetzen bestimmt (A. L. R. Th. I. Tit. XVII. Z. 338-349.); und bei deren Anwendung auf den vorliegenden Fall, muß die Kommission, nach ihren durch gründliche Wirthschaftskenntniß und Erfahrung gelenkten Einsichten, mit der sorgfältigsten Genauigkeit, Redlichkeit und Unparteilichkeit zu Werke gehen.

§. 30.

In dem solchergestalt zu entwerfenden Separationsplane müssen nicht nur die Eintheilungen der jedem Besitzer anzuweisenden Grundstücke, sondern auch die nöthigen Bestimmungen wegen aller dabei vorkommenden Nebenpunkte, z. B. wegen der Wege, Viehtriebe und Tränken; Unterhaltung der Grenzgraben, Zäune oder Gehege; Abfindung derjenigen Interessenten, welche nicht Aecker, sondern nur gewisse Hütungs- oder Grasungsgerechtigkeiten auf der zu theilenden Feldmark haben, enthalten seyn.

Verhandlungen darüber.

§. 31.

Wenn der Separationsplan entworfen ist, so muß er den Interessenten vorgelegt, und ihnen nicht nur


(892) Prozeßordn. Drei u. vierzigster Titel.

überhaupt, sowohl auf der Charte und dem Papiere, als an Ort und Stelle selbst, gehörig erklärt; sondern auch einem jeden von ihnen der Theil dieses Plans, welcher ihn selbst, seine Besitzungen und sein Interesse betrifft, umständlich erläutert, und ihm nachgewiesen werden, worin sein Antheil eigentlich bestehe; welche von seinen bisher besessenen Stücken (in so fern nämlich von der Auseinandersetzung vermischter Aecker oder Wiesen die Rede ist) er noch ferner behalte; welche davon er abgebe, was er dagegen zurück erhalte, oder wie er sonst entschädigt werde; wie solchergestalt der Werth und das Verhältniß; seines bisherigen Eigenthums, im Ganzen genommen, ungeschmälert bleibe; und worin die allgemeinen oder besonderen Vortheile bestehen, die ihm aus der Separation nach diesem Plane zuwachsen.

§. 32.

Mit den Erklärungen darüber muß jeder Interessent, Mann für Mann, zum Protokolle vernommen; alle dabei geäußerten Zweifel und Bedenklichkeiten müssen mit aller Nachsicht und Geduld angehört; wo sie ungegründet sind, der Widersprechende darüber vernünftig und glimpflich bedeutet; wo sie erheblich, die Mittel zu deren Abhelfung sorgfältig erwogen, und solchergestalt alle Mühe angewendet werden, die Interessenten zur Annahme des Separationsplans, so wie er entworfen, oder etwa, nach Maßgabe vorstehender speciellen Prüfung und Zergliederung, berichtigt worden ist, in Güte zu vereinbaren,

§. 33.

Da dergleichen gütliche Vereinbarung bei solchen Gemeinheitsauseinandersetzungen jederzeit der sicherste und beste Weg ist, die Sache auf eine zweckmäßige Art zu beendigen; so muß die Kommission hierbei ganz vorzügliche Mühe anwenden, dergleichen Abkommen zu Stande zu bringen; wie sie denn hierauf, gleich vom ersten Anfange ihrer Operationen an, ihr


(893) Gemeinheitssachen.

vornehmstes Augenmerk richten; sich das Vertrauen der Interessenten zu erwerben bemüht seyn; ihnen die etwa hegenden Vorurtheile durch vernünftige, ihren Fähigkeiten und Begriffen angemessene Remonstrationen zu benehmen suchen; und sie von dem Nutzen der Separation, sowohl im Ganzen, als in Rücksicht auf das specielle Interesse eines jeden von ihnen, zu überzeugen sich möglichst bestreben muß.

Theilungsrezeß bei erreichtenm gütlichen Abkommen.

§. 34.

Wird dergleichen gütliches Abkommen erreicht, so muß die Kommission nach Maßgabe desselben den Theilungsrezeß entwerfen; ihn den Interessenten nachmals vorlegen; von selbigen unterschreiben lassen; solchergestalt an das vorgesetzte Gericht zur Konfirmation einsenden; übrigens aber für die Vollziehung desselben, durch Absteckung, Zumessung und Anweisung der einem jeden Interessenten zugefallenen Stücke und Antheile, gehörig Sorge tragen.

§. 35.

Ist vor Ertheilung der Konfirmation über den Vergleich, in Ansehung des Legitimationspunkts der Interessenten, die ihn geschlossen haben, noch etwas zu berichtigen, und etwa noch Approbationsdekrete in Ansehung der Kirchen, Pfarrer, Pflegebefohlenen (et)c. herbei zu bringen u. s. w.; so muß die Kommission bei Einsendung der Akten dergleichen Abgang besonders bemerken, und das Gericht muß für die Herbeischaffung des Fehlenden von Amts wegen sorgen.

Instruktion der streitigen Punkte.

§. 36.

Findet aber ein gütliches Abkommen nicht Statt, so muß die Kommission alle und jede Punkte, wobei ein Widerspruch obwaltet, der durch die Vermittelung nicht hat gehoben werden können, aus dem §. 3. beschriebenen Vernehmungs- und Erklärungsprotokolle ausziehen; jeden solchen Punkt, und worauf es dabei ankomme, bestimmen und festsetzen; die


(894) Prozeßordn. Drei u. vierzigster Titel.

Parteien über das, was sie dabei zur Erläuterung der Sache, zur Unterstützung und Vertheidigung ihrer dabei vorwaltenden Gerechtsame und Interesse, anzuführen haben, umständlich hören; alle dabei vorkommende Umstände in facto gehörig auseinander, und durch Aufnehmung der vorhandenen Beweismittel in ihr möglichstes Licht; solchergestalt aber den Richter in den Stand setzen, daß er bei jedem Punkte die Lage und den Zusammenhang der Sache vollständig übersehen, und auf eine den Rechten, der Billigkeit und dem Endzwecke des ganzen Separationsgeschäftes angemessene Art entscheiden könne: in wie fern es bei dem Theilungsplane zu belassen, oder wohin selbiger abzuändern, und zu berichtigen sey.

Anh. §. 297. In Gemeinheitssachen kann sich der Kommissarius und Instruent eines Protokollführers bedienen.

Anh. §. 298. Wenn Mitglieder einer Dorfgemeine auf Auseinandersetzung mit den übrigen Mitgliedern antragen, und aus dem Gutachten sachkundiger Landwirthe hervor geht, daß die Theilung nicht nur an sich möglich, sondern auch dem Ganzen Vortheilhaft sey; so müssen die der Separation widersprechenden Mitglieder nicht nur ihren Antheil an den Vermessungs- und Bonitirungskosten vorschießen, sondern auch zum Besten der allgemeinen Landeskultur ihre Besitzungen unter sich zu theilen angehalten werden.

§. 37.

Nach dem Abschlüsse dieser Instruktion muß der Oekonomiekommissarius über die in fein Fach einschlagenden Einwendungen sein Gutachten, nebst dessen Gründen, nochmals Punkt für Punkt zum Protokolle, oder schriftlich, abgeben; und sodann müssen die Akten vollständig an das kompetente Gericht eingesendet werden.

§. 38.

Es bedarf also für diese Instanz keiner Vorlegung des ökonomischen Gutachtens an die in der Sache schon genugsam gehörte Parteien, und auch keiner


(895) Gemeinheitssachen.

schriftlichen Deduktionen; da es hier auf besondere rechtliche Ausführungen nicht ankommt.

Erkenntniß.

§. 39.

Wenn das Erkenntniß abgefaßt ist, so muß selbiges, nebst den Akten, der Kommission zugefertigt, und von dieser dabei die Vorschrift Tit. XLI. §. 48. beobachtet werden.

Appellation.

§. 40.

Wenn der eine oder andere Theil gegen dieß Erkenntniß appellirt, und der Gegenstand seiner Beschwerden ist eine bloße Bagatellsache: so wird die Instruktion des Appellatorii sofort von der Kommission von Amts wegen zum Protokoll besorgt. In wichtigeren Fällen muß die Kommission die angebrachten Appellationsbeschwerden bloß aufnehmen, und dieselben mit den übrigen Verhandlungen an das Gericht einsenden.

§. 41.

Von diesem muß eine andere aus Sach- und Rechtsverständigen bestehende Kommission zur Instruktion des Appellatorii ernannt, und die Interessenten müssen an dieselbe verwiesen werden.

§. 42.

Die Kommission muß bei der Instruktion des Appellatorii, wegen sorgfältiger Auseinandersetzung der noch streitigen Punkte; Absonderung derselben von denjenigen, bei welchen das erste Urtel rechtskräftig geworden ist; möglichst zu versuchender gütlicher Beilegung der ersten; vollständiger Vorbereitung derer, welche nicht verglichen werden können, zur Definitiventscheidung die Anweisungen des §. 36., übrigens aber die allgemeinen Vorschriften des XIVten Titels gehörig befolgen.

§. 43.

Besonders findet hier, wegen Zuziehung eines neuen Oekonomiekommissarii, und für den Fall, wenn das Gutachten desselben von dem in erster Instanz


(896) Prozeßordn. Drei u. vierzigster Titel.

ertheilten abweicht, die Vorschrift Tit. XIV. §. 60. Anwendung.

Revision.

§. 44.

Das Appellationserkenntniß muß durch die Kommission, welche die Instruktion in zweiter Instanz besorgt hat, publicirt, und wegen der Revisionsinstanz die Vorschrift §. 19. beobachtet werden.

Vollziehung der Separation.

§. 45.

Wenn die streitigen Punkte rechtskräftig entschieden sind, so muß die Kommission für die Vollziehung der Separation, den ergangenen Judicatis gemäß, Sorge tragen, und dabei nach der Anweisung des §. 34. verfahren.

§. 46.

In allen Fällen, wo die Separation gütlich oder rechtlich zu Stande gebracht worden ist, muß das die Sache dirigirende Gericht Sorge tragen, daß die dabei in Ansehung des Besitzes oder sonstigen Verhältnisses der zugezogenen Grundstücke, sich ereignenden Veränderungen, in dem Hypothekenbuche gehörig vermerkt werden.

Aufhebung der Hütungs- und anderen Grundgerechtigkeiten oder Kommunionen.

§. 47.

Nach den Vorschriften des gegenwärtigen Titels ist auch alsdann zu verfahren, wenn Hütungsgerechtigkeiten und Koppelweiden aufgehoben werden sollen. (A. L. R. Th. I. Tit. XXII. §. 138-145. §. 158. 159. 160.).

anderen Grundgerechtigkeiten oder Kommunionen.

§. 48.

Bei anderen Grundgerechtigkeiten findet die Aufhebung nur mit gegenseitiger Einwilligung sämmtlicher Interessenten Statt.

§. 49.

Die einseitig verlangte Aufhebung von Koppeljagden, gemeinschaftlichen Fischereien und Holzungen, ist nach den allgemeinen Grundsätzen, welche die Gesetze über die Theilung des gemeinschaftlichen Eigenthums vorschreiben, zu beurtheilen. (A. L. R. Th. I. Tit. XVII. §. 75. § 83-96.)


(897) Vier und vierzigster Titel.

Vom Verfahren in Pacht- und Miethsachen.

Verschiedene Arten der Pachtstreitigkeiten.

§. 1.

Bei Gelegenheit der Verpachtungen unbeweglicher Grundstücke pflegen zwischen den kontrahirenden Theilen mancherlei Streitigkeiten zu entstehen, welche in Ansehung ihres Grundes und Gegenstandes verschieden sind, und also auch eine verschiedene Art des Verfahrens bei ihrer Instruktion erfordern.

§. 2.

Dergleichen Streitigkeiten entstehen nämlich:

I. Ueber die Bezahlung der versprochenen Pachtgelder, und die dagegen von dem Pächter angebrachten Kompensations- und Remissionsforderungen.

II. Ueber ein dem Pächter schuld gegebenes unwirthschaftliches Betragen, und seine deshalb während der Pachtjahre verlangte Exmission, oder Verfügung gewisser anderen, zur Sicherheit des Verpächters abzielenden Veranstaltungen.

III. Ueber die von dem Verpächter eigenmächtig geschehene Exmission des Pächters.

IV. Ueber die Rückgewähr oder Rückgabe des Gutes, nach verlaufenen Pachtjahren, und die bei dieser Gelegenheit, wegen Meliorationen und Deteriorationen, oder sonst, gegenseitig gemachten Anforderungen.

I. Pachtgelderberechnungen, Klage und Antwort.

§. 3.

Was nun zuvörderst I. die Prozesse der ersten Art betrifft, wenn nämlich über die Bezahlung der verabredeten Pachtgelder, und die dagegen von dem Pächter angebrachten Kompensations- und Remissionsberechnungen gestritten wird; so findet dabei das ordentliche und gewöhnliche Verfahren Statt:


(898) Prozeßordn. Vier u. vierzigster Titel.

dergestalt, daß sowohl die Klage, als deren Beantwortung, bei dem kompetenten Gerichte durch einen Deputirten desselben aufgenommen werden.

Instruktion.

§. 4. Wenn die Antwort auf die Klage eingekommen ist, so muß der Richter aus Zusammenhaltung derselben mit der Klage beurtheilen: ob die fernere Instruktion der Sache an gewöhnlicher Gerichtsstelle vor sich gehen könne; oder ob dazu die Anordnung einer Lokalkommission erforderlich sei.

§. 5.

Kann die Instruktion an ordentlicher Gerichtsstelle erfolgen, so wird der Termin dazu wie gewöhnlich anberaumt, und mit der Instruktion selbst nach der Vorschrift Tit. X. XI. XII. verfahren.

§. 6.

Eine Lokalkommission ist besonders alsdann erforderlich, wenn aus Gegeneinanderhaltung der Klage und Antwort sich abnehmen läßt: daß es bei der Sache auf Lokalumstände, auf Besichtigung, und überhaupt auf solche Beweismittel ankommen werde, welche an Ort und Stelle zur Hand, oder in der Nähe befindlich sind.

§. 7.

Wegen Bestimmung der Person des Kommissarii und des Kommissionstermins; wegen Beiordnung gewisser Sachverständigen; wegen unterbleibender oder Statt findender Zuziehung der Rechtsbeistände bei dieser Lokalkommission; wegen des Verfahrens im Termine selbst; und wegen Separation der Protokolle, in Fällen, wo mehrere unter einander nicht durchaus konnexe Punkte streitig sind, finden die Tit. XI.1. §.32. bis 43. enthaltenen Vorschriften auch hier Anwendung.


(899) Pacht- und Miethsachen.

§. 8.

Nach geschlossener Lokalinstruktion müssen die Akten nach der Verordnung a. a. O. §. 44. 45. den Rechtsbeiständen, zu Beibringung ihrer Deduktionen in jure (wenn das Kollegium nach Beschaffenheit der Umstände, der Wichtigkeit der Sache, und der dabei etwa vorkommenden Rechtsfragen, dergleichen Deduktionen nöthig findet), vorgelegt werden.

Erkenntniß.

§. 9.

Bei Abfassung des Erkenntnisses ist zu bemerken, daß, wenn bei der Sache mehrere Punkte, z. B. mehrere Kompensanda des Pächters, vorkommen, zwar der Vorschrift Tit. XIII. §. 36. gemäß, bei jedem Punkte die Entscheidung besonders festgesetzt; zuletzt aber, nach geschehener Aburtelung aller einzelnen Posten, der Saldo, wie viel nämlich, nach diesen speciellen Entscheidungen, ein Theil dem andern auszuzahlen, oder gut zu schreiben habe, allenfalls mit Zuziehung eines Kalkulators, berechnet und ausgedrückt werden soll.

Appellation.

§. 10.

Die Publikation des Erkenntnisses geschieht auf eben die Art, wie im ordentlichen Prozesse, und es ist dagegen die Appellation zulässig.

§. 11.

Es gilt jedoch während der Zeit, daß dieses Rechtsmittel instruirt wird, und bis zum erfolgenden Appellationserkenntnisse, das erste Urtel als ein Interimistikum; dergestalt, daß der Pächter sich nicht entbrechen kann, das darin festgesetzte Liquidum während des Prozesses, mit Vorbehalt seines Rechts, zu bezahlen; auf der andern Seite aber auch der Verpächter, bis eben dahin, ein Mehreres von ihm zu verlangen nicht befugt ist.

§. 12.

Wird in der zweiten Instanz das Urtel bestätigt, so hat es bei dem Interimistiko, und also auch


(900) Prozeßordn. Vier u. vierzigster Titel.

der etwa schon veranlaßten Exekution gegen den Pächter, wegen des in erster Instanz erkannten Liquidi, sein ferneres Bewenden, und die Revision hat nur effectum devolutivum.

Wird aber das erste Urtel in der zweiten Instanz geändert, so muß die Sache in der Lage, in welcher sie sich zur Zeit des publicirten Appellationserkenntnisses befunden hat, bis zur Aburtelung des Revisorii ungeändert verbleiben; folglich die gegen den Pächter aus dem ersten Urtel etwa verhängte Exekution entweder ganz, oder doch in Ansehung des abgeänderten Quanti, bis zum Revisionserkenntnisse suspendirt werden.

§. 13.

Bei Anmeldung der Appellation, Erstattung des Berichts darüber, und weiterer Instruktion derselben, finden die Vorschriften Tit. XIV. Abschn. II. Anwendung; und wenn zu dieser Instruktion eine neue Lokalkommission erforderlich ist, müssen die Vorschriften Tit. XLI. §. 51. u. f. beobachtet werden.

Revision.

§. 14.

Mit Publikation des Appellationserkenntnisses, auch Anmeldung und Aburtelung des Revisorii, wird es eben so, wie im ordentlichen und gewöhnlichen Prozesse, gehalten.

§.15.

Besondere Vorschriften wegen des Verfahrens,

Es pflegen bei dieser Art von Prozessen sich sehr oft die Fälle zu ereignen, daß

1) unordentliche und gewissenlose Pächter, um die Zahlung der schuldigen Pension zu verzögern, eine Menge von weit aussehenden Gegenforderungen auf die Bahn bringen, und die Instruktion der Sache zum Erkenntnisse, durch Anhäufung vieler, nur dem Scheine nach erheblicher, dabei aber eine weitläufige Untersuchung erfordernden Thatsachen, in die Länge zu ziehen suchen; wodurch der Verpächter, wenn er mit seiner an sich liquiden Pachtgelderforderung erst


(901) Pacht- und Miethsachen

den Ausfall des Urtels abwarten müsste, sehr oft in die größte Verlegenheit gesetzt werden würde;

2) daß bei einer von dem Pächter angebrachten Remissionsforderung darüber gestritten wird: ob nach der Vorschrift der Gesetze, und dem Inhalte des unter den Parteien bestehenden Kontrakts, der Fall, wo Remission gefordert werden könne, überhaupt vorhanden sey; folglich darüber gezweifelt werden kann: ob die Untersuchung der Befugniß, Remission zu verlangen, und die Ausmittelung des Quanti remittendi zugleich vorgenommen, oder ob die letztere, bis nach rechtskräftiger Entscheidung des erstern, ausgesetzt werden solle.

Auf beiderlei Fälle müssen hier bestimmte Vorschriften ertheilt werden.

a) Bei illiquiden Kompensationsforderungen des Pächters.

§. 16.

Wenn aus der eingekommenen Klage und deren Beantwortung sich ergiebt, daß der Pächter der an sich liquiden Forderung des Verpächters solche Kompensanda entgegen setze, welche eine weitläufige Erörterung und Beweisesaufnehmung voraus sehen lassen; so muß das Gericht zwar, wegen der fernern Instruktion der Hauptsache, das Erforderliche nach obiger Vorschrift verfügen; zugleich aber einen möglichst nahen Termin, zur Anlegung eines vorläufigen Liquidi, vor dem in der Sache bestellten Instruenten anberaumen.

§. 17.

Dieser Termin kann auf einseitiges Gesuch des Pächters nicht prorogirt werden; die Parteien müssen denselben, der Regel nach, in Person, oder durch zulässige Bevollmächtigte abwarten; wenn sie aber auch solchergestalt nicht erscheinen, so muß dennoch der Termin mit Zuziehung beider Rechtsassistenten vor sich gehen.


(902) Prozeßordn. Vier u. vierzigster Titel.

§. 18.

Im Termine selbst muß der Deputirte des Gerichts sowohl die Forderung des Verpächters, als die Gegenforderungen des Pächters, Punkt für Punkt durchgehen; und bei einem jeden derselben auseinander setzen: ob und wie viel dabei, vorläufig und interimistisch, als liquid anzunehmen, oder was zur näheren Erörterung zu verweisen sey.

§. 19.

Als liquid soll dasjenige angenommen werden, was entweder auf den bei den Informationsaufnehmungen bereits abgegebenen Geständnissen der Parteien beruhet; oder durch schriftliche, mit keinem sichtbaren Mangel behaftete Beweismittel bescheinigt ist. Wenn bei irgend einem Punkte zwar so viel klar wäre, daß dem Liquidanten desfalls eine Forderung zustehe; die Ausmittelung des eigentlichen Betrags aber noch einer nähern Erörterung bedürfe; so muß der Instruent die Parteien über ein dabei vorläufig, mit Vorbehalt ihres Rechts, anzunehmendes Mittelquantum zu vereinbaren suchen; oder, wenn dieß nicht zu erreichen stünde, zu dessen vorläufiger ungefähren Bestimmung, die nöthigen Data aus den gegenseitigen Angaben der Parteien, und durch sorgfältige Kombinirung der übrigen obwaltenden Umstände, einzusammeln bemüht seyn.

§. 20.

Uebrigens muß der Instruent, wenn die Parteien in Person gegenwärtig sind, von dieser Gelegenheit Gebrauch machen, um die Sühne unter ihnen in der Hauptsache zu versuchen, und solchergestalt den ganzen Prozeß, wo möglich, abzuthun.

§. 21.

Wenn aber kein Vergleich Statt findet, so muß das über die Konstituirung des vorläufigen Liquidi aufgenommene Protokoll am nächsten Sessionstage, im versammelten Kollegio, von dem ordentlichen


(903) Pacht- und Miethsachen.

Decernenten umständlich vorgetragen; die Sache Punkt für Punkt nochmals reiflich erwogen; und nach den dießfälligen Konklusis das Liquidum selbst durch eine vorläufige Resolution festgesetzt werden.

§. 22.

Gegen dergleichen Resolution findet kein Rechtsmittel Statt; sondern sie hat die Kraft eines Interimistici, welches so lange gilt, bis nach Vorschrift §. 9. das eigentliche Liquidum in dem Urtel festgesetzt wird. Es kann also der Verpächter die Bezahlung desjenigen, was ihm hiernach zukommt, von dem Pächter, auch während des Prozesses, und vor erfolgendem Haupturtel fordern, und allenfalls auf dessen exekutivische Beitreibung dringen.

§. 23.

Es macht aber auch dergleichen inerimistisches Liquidum der Hautsache kein Präjudiz; sondern bei der Instruktion dieser letztern müssen die bei der vorläufigen Berechnung als liquid angenommenen Punkte, gleich den übrigen, mit zur Erörterung gezogen, und zum förmlichen Definitiverkenntnisse eingeleitet werden.

b) bei Remissionsfällen.

§. 24.

Der zweite Gegenstand, worüber nach Maaßgabe §. 14. allhier nähere Bestimmung erfolgen soll, betrifft die Remissionen, welche von den Pächtern, es sey nun wegen angeblicher Gewährsmängel, oder wegen erlittener Unglücksfälle, gefordert werden; wobei die Frage entstehen kann:

ob, wenn von dem Verpächter der Grund der Befugniß zu einer solchen

Remissionsforderung in Abrede gestellt wird, dieser, und der Betrag des Quanti remittendi zugleich untersucht; oder ob zuvorderst die Existenz eines Remissionsfalles ausgemittelt, und hiernächst erst, wenn diese rechtskräftig feststeht, der Betrag in quanto untersucht werden solle.


(904) Prozeßordn. Vier u. vierzigster Titel.

§. 25.

Dabei ist zuvorderst ein Unterschied zu machen: ob der Vorfall, auf welchen der Pächter eine Remissionsforderung gründen will, von der Art sey, daß dessen Untersuchung schleunig erfolgen muß, weil es anderergestalt nicht mehr möglich seyn würde, die eigentliche Beschaffenheit desselben in das gehörige Licht zu setzen;

oder:

ob dergleichen Gefahr bei dem Verzuge nicht vorhanden sey.

Vorläufige Untersuchung dabei.

§. 26.

Wenn der vorgegebene Remissionsfall seiner Natur nach eine schleunige Untersuchung erfordert, z. B. wenn bei sich ereignendem Hagelschlage das Getreide auf dem Halme in Augenschein genommen und taxirt werden soll, als welches dem Pächter, bei Verlust seines Rechts, nachzusuchen obliegt (A. L. R. Th. I. Tit. XXI. §. 480-483.); so muß die Untersuchung auf das Anmelden des Pächters, und auf dessen Kosten, sofort, und weil das Getreide noch auf dem Halme steht, verfügt werden. Dem Verpächter wird von dieser Verfügung und dem anstehenden Termine Nachricht gegeben, um selbigem beizuwohnen, und seine Nothdurft dabei zu beobachten. Wenn er aber auch nicht erscheint, so behält dennoch die Untersuchung ihren Fortgang.

§. 27.

Der Kommissarius muß dabei den Vorfall, worauf der Pächter eine Remissionsforderung gründen will, und dessen Umstände, so genau und richtig, als es nach der Natur und Lage der Sache möglich ist, ins Licht setzen; den Augenschein vorschriftsmäßig einnehmen; wenn es auf Abschätzung eines entstandenen Schadens, z. B. der verhagelten Aussaat, des versandeten Wiesewachses u. s. w., ankommt, dabei unparteiische Sachverständige zuziehen; dieselben an


(905) Pacht- und Miethsachen.

Ort und Stelle führen; sich von Allem genau informiren lassen; und sodann ihre Angaben, unter der Bedeutung, daß sie sie erforderlichen Falls eidlich würden bestärken müssen, vollständig und getreu in sein Protokoll vermerken.

§. 28.

Die Absicht dieser vorläufigen Untersuchung ist jedoch keinesweges eine ordentliche Instruktion der Sache und der Remissionsforderung selbst zum Erkenntnisse, sondern bloß eine vorläufige und nachrichtliche Ausmittelung von der gegenwärtigen Lage der Sache; ob z. B. die ganze Aussaat, oder der wie vielste Theil derselben, durch den Hagelschlag getroffen worden. Es wird also auch auf diese Untersuchung weiter nichts verfügt, sondern sie dient bloß dazu, daß, wenn in der Folge die Remissionsforderung selbst zur Sprache kommt, bei der Instruktion der Hauptsache sowohl, mittelst Kombinirung dieser Nachrichten, und der Ausdruschregister, Zeugenaussagen, oder anderer Beweismittel, als bei der nach §. 17. etwa erforderlichen Festsetzung eines interimistischen Liquidi, von den dadurch ausgemittelten Umständen und Nachrichten, so weit als nöthig, Gebrauch gemacht werden könne.

Fälle, wenn der Grund und das Quantum der Remission zugleich,

§. 29.

In denjenigen Fällen hingegen, wo bei der Untersuchung der geforderten Remission keine Gefahr im Verzuge vorwaltet, ist, wenn die Befugniß, Remission zu fordern, überhaupt bestritten wird, abermals ein Unterschied zu machen:

ob die Untersuchung der Existenz des Remissionsfalles mit der Untersuchung über den Betrag des Quanti remittendi in einer solchen Verbindung stehe, daß eine von der andern nicht füglich getrennt werden kann;

oder:


(906) Prozeßordn. Vier u. vierzigster Titel.

ob dergleichen Konnexion zwischen beiderlei Untersuchungen nicht vorwalte.

§. 30.

Im ersten Falle, wenn z. B. zwar klar ist, daß dem Pächter wegen erlittenen Viehsterbens Remission gebühre, der Verpächter aber läugnet, daß so viel Häupter gefallen wären, als nach den Festsetzungen des Kontrakts erforderlich sind, um ihn zum Nachlasse an der Pacht zu verpflichten, muß die Untersuchung zu gleicher Zeit darauf: wie viel selbiger betrage? gerichtet werden.

§. 31.

Im zweiten Falle hingegen, wenn die Untersuchung der Frage: ob der Pächter überhaupt einen Nachlaß zu fordern berechtigt sey? von der Ausmittelung des Betrags ganz unabhängig ist, ist abermals ein Unterschied zu machen:

ob über den Grund der Remissionsforderung selbst, oder wegen anderer zugleich mit diesem Punkte in dem Prozesse vorkommenden Forderungen, ohnehin eine Lokalkommission veranlaßt werden müßte;

oder:

ob es, außer dem Punkte der Ausmittelung des Quanti von der streitigen Remissionsforderung, sonst keiner Lokalkommission zur Instruktion der Sache bedürfen würde.

§. 32.

Ist, auch ohne Rücksicht auf die Ausmittelung des Betrags der streitigen Remissionsforderung, eine Lokalkommission zur ordnungsmäßigen Instruktion der Sache erforderlich; so muß, der Regel nach, bei dieser Kommission zugleich der Betrag des Quanti remittendi mit untersucht werden. Wenn also z. B. darüber gestritten wird: ob Verpächter schuldig sey, einen durch Viehsterben entstandenen Schaden zu vergüten; so muß, wenn ohnehin eine Lokalkommission verordnet ist, bei dieser Gelegenheit


(907) Pacht- und Miethsachen.

zugleich ausgemittelt werden: wie viel Häupter, zu welcher Zeit, und an was für Krankheiten sie gefallen sind, und wie viel also der Schade des Pächters wirklich betrage.

oder wenn nur der Grund der Remissionsforderung vorweg instruirt wird.

§. 33.

Wenn jedoch der Fall so beschaffen wäre, daß die Befugniß des Pächters, Remission zu fordern, an und für sich sehr zweifelhaft ist; die Ausmittelung des Quanti remittendi aber mit beträchtlichen Weitläufigkeiten und Kosten verbunden seyn würde; so kann der Richter, wenn auch anderer Punkte halber eine Lokalkommission verordnet wird, dennoch nach wohl erwogenem Ermessen festsetzen, daß dieselbe auf die Ausmittelung des Quanti remittendi nicht mit gerichtet werden, sondern diese ausgesetzt bleiben solle bis die Präjudicialfrage: ob ein Remissionsfall vorhanden? rechtskräftig entschieden seyn wird.

Wenn also z. B. der Pächter wegen zu wenig gewährter Aussaat Remission fordert; Verpächter hingegen, daß er ihm wegen der Aussaat überhaupt Gewähr zu leisten schuldig sey, in Abrede stellt; und die Ausmittelung des an der Aussaat fehlenden Quanti ohne Vermessung eines ganzen Feldes nicht geschehen könnte: so muß vor allen Dingen die Vertretungsverbindlichkeit selbst erörtert, und darüber allenfalls durch die Instanzen erkannt werden, ehe mit der Vermessung in quanto zu verfahren ist.

§. 34.

Eben so muß die Untersuchung des Quanti remittendi der Regel nach alsdann ausgesetzt werden; wenn die ganze Sache, und auch die Frage: ob ein Remissionsfall überhaupt existire? an ordentlicher Gerichtsstelle, ohne Lokalkommission, erörtert und entschieden werden kann; folglich nur allein zur Ausmittelung des Quanti remittendi dergleichen Lokaluntersuchung veranlaßt werden müßte.


(908) Prozeßordn. Vier u. vierzigster Titel.

Denn alsdann muß über die anderen Punkte, und zugleich über die Befugniß, Remission überhaupt zu fordern, erst erkannt, und die Lokalkommission zur Bestimmung des Quanti so lange, bis die Befugniß selbst feststeht, ausgesetzt werden.

Wenn jedoch auch in diesem Falle beide Theile darin mit einander einig sind, daß die Untersuchung des Grundes und des Betrages der Forderung zugleich vorgenommen werden solle; so muß damit nach dem Antrage derselben verfahren werden.

Besondere Anweisung wegen der abzufassenden Erkenntnisse,

§. 35.

In allen Fällen, wo die Untersuchung des Quanti remittendi vor sich gegangen ist, muß auch darüber, wenigstens eventualiter, mit erkannt werden. Wenn also auch der Richter erster Instanz den Pächter mit der geforderten Remission überhaupt abweiset, so muß er dennoch zugleich erkennen: auf wie hoch sie zu bestimmen seyn würde, wenn der Pächter über den Grund der Forderung selbst in den weiteren Instanzen ein besseres Urtel erhalten sollte; allermaaßen sonst, wenn in der folgenden Instanz die Befugniß der Remissionsforderung an sich gegründet befunden würde, entweder in erster Instanz von neuem über das Quantum erkannt werden müßte, oder die Parteien über diese Frage die gesetzmäßigen Instanzen verlieren würden.

Findet sich in diesem Falle der Verpächter durch die eventuelle Bestimmung des Quanti beschwert, so muß er zwar die Appellation anmelden, und die Unterstützungsgründe seiner Beschwerden anzeigen; ein weiteres Verfahren darüber findet aber vor der Hand nicht Statt, sondern es wird dasselbe erst dann, wenn der Appellationsrichter befindet, daß auf die Appellation des Pächters, über den Grund der Remissionsforderung, das vorige Urtel zu dessen Vortheil geändert werden müsse, durch eine vorläufige Resolution, und zwar noch vor Publikation des


(909) Pacht- und Miethsachen.

Appellationserkenntnisses, veranlaßt: damit dieses Erkenntniß zugleich auf die Appellation des Verpächters wegen des Quanti gerichtet werden könne.

Prozesse über Exmissionen der Pächter.

§. 36.

Bisher ist von der Art des Verfahrens in ordinairen Pachtprozessen gehandelt worden, wenn nämlich über die Bezahlung der bedungenen Pachtgelder, und die von dem Pächter deshalb angebrachten Gegenrechnungen gestritten wird. Bei der IIten Art von Prozessen hingegen, wenn der Verpächter den Pächter einer übeln Wirthschaft beschuldigt, und deshalb auf seine Exmission, oder auf gewisse andere zu seiner Sicherstellung abzielende Verfügungen anträgt, ist ein kürzeres und schleunigeres Verfahren erforderlich.

§. 37.

Es muss also der Verpächter sich mit dergleichen Anbringen, wie gewöhnlich, bei dem Gerichte schriftlich oder persönlich melden, und sodann unverzüglich durch einen Deputirten über die Gründe des Gesuchs, über die Thatsachen, wodurch der Pächter sich eines unwirthschaftlichen Betragens schuldig gemacht habe, und wie Kläger dieselben im Läugnungsfalle darzuthun gedenke, umständlich vernommen; auch diese Bescheinigungsmittel, in so fern sie zur Hand sind, dem Protokolle beigelegt werden.

§. 38.

Wenn das Gericht, bei dem Vortrage dieses Protokolls, die darin angegebenen Thatsachen von der Art zu seyn befindet, daß, wenn sie sich angebrachtermaaßen verhielten, das Gesuch des Klägers dadurch den Rechten nach begründet seyn würde; so muß alsbald eine Lokaluntersuchung verordnet; der Termin dazu so nahe als möglich anberaumt; der Pächter mit Kommunikation des Protokolls bekannt gemacht; übrigens aber bei der Untersuchung jedesmal ein erfahrener und zuverlässiger Oekonomieverständiger mit zugezogen werden.


(910) Prozeßordn. Vier u. vierzigster Titel.

§. 39.

Im Termine selbst, dessen Prorogation auf einseitiges Gesuch des Beklagten niemals zu verstatten ist, muß die Kommisssion den Pächter zuvörderst, Punkt für Punkt, über alle und jede gegen ihn angebrachte Beschuldigungen, was er davon zugestehe, oder abläugne, und was er sonst noch zu seiner Rechtfertigung dagegen anzuführen habe, umständlich hören; sodann beide Theile zusammen nehmen, und den Statum controversiae unter ihnen reguliren; die streitig bleibenden Fakta durch Okularinspektion und eidliche Vernehmung der Zeugen, ins Licht setzen; am Schlusse der Instruktion von dem zugezogenen Oekonomieverständigen ein pflichtmäßiges, mit Gründen unterstütztes Gutachten über den Wirtschaftsbetrieb des Pächters, besonders in Rücksicht derjenigen Rubriken, wobei ihm Unwirthschaft und Deterioration zur Last gelegt worden ist, abgeben lassen; und sodann die Akten ohne weitere Verhandlung sofort zum Spruche befördern.

§. 40.

Wenn das Erkenntniß abgefaßt ist, so muß das Gericht beiden Theilen, in so fern sie nicht schon am Orte des Gerichts mit Assistenten oder Bevollmächtigten versehen sind, dergleichen Assistenten von Amts wegen zuordnen, welchen die Publikation geschieht; die den Parteien davon Nachricht ertheilen, und die Sache in den weiteren Instanzen, wenn sich auf selbige berufen würde, gehörig betreiben müssen.

§. 41.

Ist der Kläger mit seinem Gesuche abgewiesen worden, so findet die Appellation mit voller Wirkung statt. Ist nur auf eine gewisse interimistilche Verfügung zur Sicherheit des Verpächters, z. B. auf die Bestellung eines Aufsehers; Vereidung der Wirthschaftsbedienten u. s. w. gesprochen; so muß deren Vollziehung, der Appellation ungeachtet, obwohl nur


(911) Pacht- und Miethsachen.

mit Vorbehalt des Rechts beider Theile, erfolgen. Ist aber die gänzliche Exmission des Pächters erkannt worden, so muß derselben zwar, wenn der Pächter dagegen appellirt, Anstand gegeben; die Instruktion des Appellatorii jedoch ganz vorzüglich beschleunigt; und zugleich von dem Gerichte, auf den Antrag des Klägers, alles dasjenige verfügt werden, was nur irgend dienen kann, denselben interimistlich sicher zu stellen, ohne doch zugleich den Beklagten der Pacht und Wirthschaft gänzlich zu entsetzen.

Sind dergleichen Sicherungsmittel nach der besondern Lage der Umstände nicht möglich, und ist voraus zu sehen, daß die Instruktion und Aburtelung des Appellatorii einen solchen Zeitraum erfordern werde, daß innerhalb desselben dem Verpächter ein unwiederbringlicher Nachtheil erwachsen könnte; so muß der Richter, der Appellation ungeachtet, mit der Exmission des Pächters verfahren; zugleich aber eine gerichtliche Administaton des Gutes oder Grundstücks von Amts wegen anorden

Anh. §. 299. Die Appellation gegen ein Erkenntniß wodurch die Pachtzeit wegen schlechter Wirthschaft des Pächters für abgelaufen geachtet wird, hat, ohne Rücksicht, ob auf Räumung erkannt worden ist, oder nicht, in allen Fällen effectum suspensivum. Es muß aber die Instruktion und Einiseibung der folgenden Instanzen vorzüglich beschleunigt werden.

§. 42.

Bei der Instruktion des Appellatorii finden übrigens die Vorschriften des ordentlichen und gewöhnllichen Prozesses Statt; noch muß sowohl die Insturtion, als die Aburtelung der Sache, möglichst und ganz vorzüglich beschleunigt werden.

§. 43.

Die Revision soll nur alsdann zulässig seyn, wenn entweder der Kläger gänzlich abgewiesen, oder wenn auf die völlige Exmission des Beklagten erkannt worden ist.


(912) Prozeßordn. Vier u. vierzigster Titel.

III. Wegen Wiedereinsetzung eigenmächtig exmittirter Pächter.

§. 44.

Wenn III., der Pächter sich beschwert: daß er von dem Verpächter eigenmächtig exmittirt worden sey, und auf seine Wiedereinsetzung anträgt, so ist dieses als eine Spoliensache zu betrachten, folglich bei der Instruktion nach der Vorschrift Tit. XXXI. zu verfahren.

§ 45.

Dergleichen Klage eines entsetzten Pächters, auf Wiedereinräumung der Pacht, findet jedoch nur binnen sechs Monaten nach erfolgter Exmission Statt. Späterhin kann er nur auf Schadloshaltung klagen; wobei, wegen Instruktion des Prozesses, die allgemeinen Vorschriften anzuwenden sind.

IV. Prozesse bei Gelegenheit der Rückgewähr.

§ 46.

Wenn IV,. über die Rüdegewähr des Gutes nach beendigten Pachtjahren Streit ensteht; so ist ein Unterschied zu machen:

ob die Rückgewähr bereits erfolgt ist, und nur bei Gelegenheit derselben Streitigkeiten unter den Parteien entstanden sind, welche jetzt rechtlich entschieden sollen;

oder:

ob die Rückgewahr selbst gerichtlich geschehen soll:

oder:

ob der Pächter, unter dem Vorwande eines ihm zustehenden Retentionsrechts, die Rückgabe und Räumung des Gutes verweigert;

oder endlich:

ob ihm der Verpächter seine in das Gut gebrachten Sachen und Effekten, wegen gewisser aus der Pacht rückständigen Forderungen, zurück halte.

1. Wenn nach schon geschehener Rückgewähr über die dabei entstandenden Differenzien zu erkennen ist;

§. 47.

Im ersteren Falle, wenn nämlich die Rüdgewahr schon geschehen ist, findet zur Erörterung der bei dieser Gelegenheit über das Plus oder Minus an dem Inventario; über Meliorationen und Deteriorationen


(913) Pacht- und Miethsachen.

u. s. w.. entstandenen Streitigkeiten, das ordentliche und gewöhnliche Verfahren Statt. Klage und Antwort müssen also bei dem Gerichte ordnungsmäßig aufgenommen; nach jedesmaliger Beschaffenheit der Umstände: ob die fernere Instruktion an ordentlicher Gerich(t)sstelle vor sich geben könne, oder es dazu einer Lokalkommission bedürfe? vernünftig beurtheilt; übrigens aber die allgemeinen Vorschriften der gegenwärtigen Prozeßordnung durchgehends beobachtet werden.

2. wenn die Rückgewähr selbst gerichtlich geschehen soll.

§. 48.

Im zweiten Falle, wenn nämlich einer oder beide Theile darauf antragen: daß die Rückgewähr selhstt gerichtlich geschehen solle, muß das Kollegium einen Kommissarius dazu ernennen, und ihm jedesmal einen Oekonomieverständigen beigeben.

§. 49.

Diese Kommission muß vor allen Dingen ein vollständiges Rückgewährsinventarium aufnehmen, und selbigem eine von vereideten Sachverständigen. Rubrik für Rubrik, unter ihrer Direktion gefertigte Taxe beifügen.

§. 50.

Dieß Inventarium muß sie alsdann mit demjenigen, welches bei der Uebergabe an den Pächter errichtet worden ist, vergleichen, und bei jeder Rubrik das Plus oder Minus festsetzen. Ist kein solches Gewährsventarium errichtet worden, so muß sie die erforderlichen Data hierzu, so wie die Umstände zur Zeit der Uebergabe beschaffen gewesen, und wie es die für einen solchen Fall gegebenen Vorschriften der Gesetze mit sich bringen (A..L. R. Th. I. Tit. XXI. §. 614. u.f.), durch Vernehmung der Parteien und Vereinbarung derselben darüber, durch Abhörung der Zeugen und Sachverständigen, und durch Anwendung der sonst etwa vorhandenen Beweismittel,


(914) Prozeßordn. Vier u. vierzigster Titel.

in möglichstes Licht zu setzen bemüht seyn; alsdann aber die obgedachte Vergleichung vornehmen.

§. 51.

Die von einem oder dem andern Theile angegebenen Meliorationen und Deteriorationen müssen gleichergestalt untersucht, und ausgemittelt werden: worin die Forderung des Provokanten eigentlich bestehe; und was für Einwendungen der Provokat ihr entgegen setze.

§. 52.

Bei allen diesen Punkten muß die Kommission die Sühne ernstlich versuchen, und sich alle Mühe geben, die Parteien über das ganze Rückgewährgeschäft, und alle daraus entspringenden wechselseitigen Forderungen, mit Vorhaltung der darüber vorhandenen gesetzlichen Vorschriften (A. L. R. a. a. O. § .601. u.f.), gütlich auseinander zu setzen.

§. 53.

Wenn dergleichen Auseinandersetzung nicht durchgehends erreicht werden kann, so muß die Kommission die streitig bleibenden Punkte aus dem Rückgewährsprotokolle ausziehen; jeden derselben besonders erörtern; die Parteien darüber hören; den Statum controversiae unter ihnen reguliren; die vorhandenen Beweismittel aufnehmen; und solchergestalt jeden Punkt in einem besondern Protokolle zum Defintiverkenntnisse instruiren.

Besonders wegen der Meliorationen und Deteriorationen.

§..54.

Bei den Meliorations und Deteriorationsforderungen, welche den Gegenstand dieser Untersuchung ausmachen, können zwei Fragen streitig seyn:

a) ob der Provokat zur Vergütung einer solchen Melioration, oder Erstattung der Deterioration überhaupt schuldig sey?

b) wie viel das zu vergütende oder zu erstattende Quantum betrage?


(915) Pacht und Miethsachen.

Wenn über beide Fragen zugleich gestritten wird, und es also darauf ankommt: ob die Untersuchung der Verbindlichkeit selbst, und die Ausmittelung des Quanti zugleich vorgenommen; oder letztere so lange, bis die erstere feststeht, ausgesetzt worden solle; so ist nach der Vorschrift §.24 bis 35. zu verfahren.

3. Wenn der Pächter ein Jus retentionis ausüben; oder

§. 55.

Wenn, im dritten Falle, der Pächter unter dem Vorwand eines auszuübenden Zurückbehaltungsrechts die Räumung verweigert, so muß die Sache mit Rücksicht auf die Vorschriften des A. Landrechts ( Th. I. Tit. XX. Abschn. II.) als eine Arrestsache angesehen und behandelt werden.

Anh, §. 300. Wenn der Verpächter wegen Ablaufs der Pachtzeit auf die Räumung des Guts geklagt, die (!)Pächter aber solche aus anderen Ursachen, als wegen eines von ihm auszuübenden Zurückbehaltungsrechts verweigert hat, und derselbe hierauf in erster Instanz zur Räumung verurtheilt ist; so kann diefes Urtel, der von dem Pächter dagegen ergriffenen Appellation ungeachtet, zur Abwendung der dem Verpächter bevorstehenden Gefahr im Zuge vollstreckt werden.

Anh. §. 301. Verweigert der Pächter die Räumung nach Ablauf der Nachtzeit aus dem Grunde, weil ihm seiner Behauptung nach ein Zurückbehaltungsrecht zustehe; so muß bei der alsdann eintretenden Behandlung des Streits als Arrestsache über die Zulässigkeit des Retentionsrechts jedesmal ein besonderes Verfahren eröffnet, und darüber nach den Vorschriften Th. I. Tit. XXIX. §. .63. besonders erkannt werden. Bis zur rechtskräftigen Enscheidung dieses Punkts in den zulässigen beiden Instanzen kann die Exmission des Pächters nicht erfolgen.

4. der Verpächter aich an invecta et libata des Pächters halten will.

§. .56.

Wenn endlich, im vierten Falle, der Verpächter dem Pächter seine in das Gut gebrachten Effekten und Habseligkeiten zurück halten will; und der Fall sich vor geschehener Rückgewähr mit Sachen und Stücken, die zur Landwirthschaft gehören, ereignet; so bedarf es darüber keines Prozesses, sondern der Pächter muß nach Vorschrift der Gesetze (Th. I. Tit. XXI. §..606.) dergleichen Stüncke bis zur Rückgewähr


(916) Prozeßordn. Vier u. vierzigster Titel.

auf dem Gute zu lassen, oder wiederum herbei zu schaffen, durch Strafbefehle angehalten werden.

§. .57.

Will hingegen der Verpächter das Zurückbehaltungsrecht vor dem Erfolge der Rückgewähr auf Habseligkeiten des Pächters, die nicht zur Wirthschaft gehören, ausüben; so enthält der Antrag einen Arrestschlag, und es ist dabei nach Vorschrift des XXIXsten Titels zu verfahren.

§. 58.

Kommt endlich das von dem Verpächter behauptete Zurückbehaltungsrecht erst bei der Rückgewähr zur Sprache, so muß dasselbe von der nach § .48. u. f. angeordneten Kommission unter einem mit erörtert werden; und wenn die Kommission die geschlossenen Akten einsendet, so muß das Gericht durch eine vorläufige Resolution bestimmen: ob und auf was für Stücke dieses Zurückbehaltungsrecht, bis zum Erkenntnisse, durch welches der Grund desselben näher bestimmt wird, Statt finden solle.

Von Miethsachachen.

§. 59.

Prozesse, die bei Gelegenheit der Miethungen städtischer Gebäude zu entstehen pflegen, betreffen entweder die Zahlung der versprochenen Miethe; die Ausmittelung der dagegen von dem Miether sich angemaaßten Abzüge; den Ersatz der von dem Miether in dem Hause oder Logis verursachten Schäden, und andere dergleichen aus der Natur und den Verabredungen des Kontrakts selbst herzuleitende

Prästationen; Oder es wird über die Einweisung des Miethers in das gemiethete Gebäude, oder über die Exmission desselben daraus, gestritten.

§. 60. Im ersten Falle findet dasjenige ordentliche oder Bagatell-Verfahren Statt, wozu sich die Sache nach der mehrern oder mindern Erheblichkeit des Gegenstandes qualificirt; und wenn zugleich die Frage


(917) Pacht und Miethsachen.

mit vorkommt: in wie fern der Vermiether sich eines Retentionsrechtes auf die eingebrachten Mobilien des Miethers anmaaßen könne, so muß die Vorschrift Lit. XXIX. von Arresten angewendet werden.

 Anh. §. 302. Ist der Miether ein Künstler oder Handwerker, so dürfen ihm, in so fern er andere Mobilien besitzt, keine zur Ausübung seiner Kunat oder seines Handwerks erforderlichen Werkzeuge und Sachen vorenthalten werden. Ueberhaupt ist keinem Miether von den eingebrachten Effekten ein Mehreres zurück zu behalten, als zur Bezahlung der schuldigen Miete nöthig ist; und wenn über den Werth der Mobilien Streit entsteht, so ist ohne prozessualisches Verfahren eine Taxe aufzunehmen, und danach festzusetzen, welche Effekten dem Vermiether zur Sicherheit zu belassen. Bei dieser Festsetzung muß es sein unabänderliches Bewenden behalten. Uebrigens müssen sich die Gerichte stets bemühen, den Vermiether in Güte dahin zu dringen, daß er dem Miether, wenn derselbe ein Professionist ist, so viel an Handwerkszeug lasse, als ihm, um sich den nöthigen Lebensunterhalt zu verdienen, unentbehrlich ist.

§. .61.

Wenn hingegen über die Einräumung oder Verlassung einer Wohnung, und über die Befugniß zur Aufkündigung derselben, gestritten wird; so kommt es darauf an:

ob der Räumungstermin nahe bevorstehe, und also Gefahr bei dem Verzuge vorhanden sey;

oder:

ob dergleichen Gefahr bei dem Verzuge nicht vorwalte.

§. 62.

Im ersten Falle muß die Klage bei der zur Instruktion der Bagatell- und Injuriensachen nach Maaßgebe Tit. XXVI. geordneten beständigen Deputation angebracht, und von dieser, nach den eben daselbst ertheilten Vorschriften, schleunigst instruirt werden.

§. 63.

Gegen das darauf erfolgende Urtel findet die Appellation, jedoch nur ad effectum devolutivum


(918) Prozeßordn. Fünf u. vierzigster Titel.

Statt; und muß also, während derselben; mit der erkannten Im- oder Exmission verfahren; folglich die Instruktion und das Erkenntniß in zweiter Instanz hauptsächlich auf die Ausmittelung und Festsetzung des dem einen oder dem andern Theile daraus erwachsenden Interesse, gerichtet werden.

Anh. §. 303. Die Vollstreckung eines Kontumacialerkenntnisses in schleunigen Miethsachen kann durch Restitutionsgesuche nicht aufgehalten werden, sondern der Restitionssucher muß sein etwaniges Interesse entweder im Wege der Appellation, aber, wenn er dieß nicht will, in einem besondern Prozesse ausführen.

Anh. § 304. Die Revision findet, wenn das zu berechnende Objekt die revisible Summe ausmacht, auch in Miethsachen Statt. Ist jedoch in einem solchen Falle das erste Erkenntniß bereits vollstreckt, so muß es dabei, wenn gleich ein abänderndes Erkenntniß in zweiter Instanz erfolgt, bis zur rechtskräftigen Entscheidung verbleiben, und nur, wie im §..63. d. T. festgesetzt worden ist, über das zu leistende Interesse zugleich mit erkannt werden.

§. 64.

Ist aber keine Gefahr bei dem Verzuge vorhanden, so ist dergleichen Mietsache in erster und zweiter Instanz, gleich einer ordinairen Bagetellsache von Zehn bis Fünfzig Thalern, zu verhandeln.

Fünf und vierzigster Titel.

Von Rechnungssachen.

Verschiedene Arten der Rechnungsstreitigkeiten.

§.1.

Wenn wegen Rechnungssachen Streit entstehe, so betrifft selbiger entweder die Schuldigkeit, Rechnung zu legen, überhaupt; oder den Termin von, oder bis zu welchem die Rechnung gelegt werden solle; oder eine Zögerung des Rechnungslegers in der Abgabe der Rechnung; oder die Abnahme einer bereits gelegten Rechnung, und die dagegen von dem Rechnungsnehmer gemachten Ausstellungen.


(919) Rechnungssachen.

1. Wenn über die Schuldigkeit zur Rechnungslegung, oder 2. über den Terminum a quo et ad quem oder

§. 2.

Die ersten beiden Punkte sind Präjudicialfragen, welche nothwendig erst erörtert und entschieden seyn müssen, ehe von der Abnahme der Rechnung und den Ausstellungen dagegen die Rede yeyn kann. Bei der Verhandlung dieser Präjudicialfragen müssen, wenn nicht etwa die ganze Rechnung nur ein Objekt von Funfzig Thalern oder weniger betrifft, die Vorschriften des ordentlichen und gewöhnlichen Prozesses angewendet werden.

§. 3.

Wenn jedoch bloß der Termin von, oder bis zu welchem die Rechnung gelegt werden soll, streitig ist; so kann in der Zwischenzeit, daß diese Frage im ordentlichen Wege Rechtens verhandelt wird, mit der Rechnungsabnahme für denjenigen Zeitraum, über welchen kein Streit obwaltet, verfahren; und die Sache über die vorkommenden Monita, in erster Instanz, nach den folgenden Vorschriften, bis zum Spruche instruirt werden; hingegen muß die Abfassung des Urtels darauf so lange ausgesetzt bleiben, bis über den weitern Terminum a quo oder ad quem rechtskräftig erkannt ist.

3. über Zögerungen des Rechnungslegers gestritten wird.

§. .4.

Wird über Zögerungen eines Rechnungslegers geklagt, der seine Verbindlichkeit an sich nicht abläugnet; so findet kein eigentlicher Prozeß Statt; sondern der Richter muß, nach vorhergegangener Vernehmung dersselben, eine Frist zur Abgabe der Rechnung bestimmen, und wenn diese nicht inne gehalten wird, den Rechnungsleger zu seiner Schuldigkeit durch Exekution anhalten.

Eigentliche Rechnungsprozesse.

§. 5.

Ist die Rechnung dem Rechnungsnehmer abgeliefert worden, und wird sie von diesem nicht durchgehends für richtig angenommen; so kommt es darauf an:


(920) Prozeßordn.. Fünf u. vierzigster Titel.

ob einer oder beide Theile die gerichtliche Abnahme der ganzen Rechnung verlangen;

oder:

ob der unter ihnen vorwaltende Streit nur gewisse einzelne Posten oder Punkte betrifft, und im übrigen die Rechnung für bekannt angenommen wird.

Verfahren bei der Rechnungsabnahme.

§. 6. Wird auf gerichtliche Abnahme der ganzen Rechnung angetragen, so muß dieselbe entweder von dem Rechnungsleger sogleich, nebst den Belägen, bei dem Gerichte übergeben, oder von dem Rechnungsnehmer, wenn sie sich schon in seinen Händen befindet, eingereicht, und zugleich der Rechnungsleger zur Einreichung der Beläge angehalten werden.

§. 7. Sobald die Rechung sammt den Belägen bei den Akten ist, wird sie dem Kalkulator zur Prüfung in calculo vorgelegt, und zugleich ein Termin zur gewöhnlichen Abnahme anberaumt.

§. 8. In diesem Termine wird die Rechnung, Post für Post, mit Zuziehung beider Theile durchgegangen; mit den Belägen verglichen; und der Rechnungsnehmer bei einer jeden Post befragt: ob er dieselbe für bekannt annehme, oder ob und was er dabei zu erinnern finde?

§. 9. Eine ganz bestimmte Anbringung von Monitis ist hier noch nicht erforderlich, sondern es ist hinreichend, wenn der Rechnungsnehmer nur so viel bestimmt anzeigt: gegen welche Posten er sich die Beibringung von Erinnerungen vorbehalte.

§. 10. Dagegen muß er sich über die vorgezeigten Beläge wenigstens in so weit bestimmt erklären: ob er sie für das, wofür sie ausgegeben worden sind, anerkenne;


(921) Rechnungssachen.

oder ob und was er gegen ihre äußere Form und Richtigkeit einzuwenden habt.

§. 11. Schon bei dieser Gelegenheit muß der Deputirte des Gerichts sich alle Mühe geben, über die von dem Rechnungsnehmer angefochtenen Posten, wenigstens über die minder wichtigen, ein gütliches Abkommen unter den Parteien zu Stande zu bringen. Da hierzu die persönliche Gegenwart der Parteien sehr viel beitragen kann; so steht dem Gerichte frei, schon die Rechnungsabnahme selbst, wenn die Parteien nicht an ordentlicher Gerichtsstelle, wohl aber an einem dritten Orte persönlich zusammen gebracht werden können, zur Lokalkommission zu verweisen.

§. 12. Wenn solchergestalt die Rechnungsabnahme vollendet ist, so müssen aus dem Protokolle die von der einen und der andern Seite ganz unwidersprochen gebliebenen Einnahme- und Ausgabeposten, allenfalls durch einen Kalkulator, herausgezogen; dieselben gegen einander balanciert, und solchergestalt ein vorläufiges Liquidum angelegt werden.

§. 13. Zugleich aber muß dem Rechnungsnehmer eine nach den Umständen zu bestimmende Frist gesetzt werden, binnen welcher er die sich vorbehaltenen besonderen Erinnerungen über die einzelnen Posten anfertigen, und entweder bei dem Deputirten des Gerichts zum Protokolle anzeigen, oder schriftlich einreichen müsse.

§. 14. Zu diesem Behufe können ihm die bei der Abnahme vorgekommenen Beläge, nach einem von ihm zu unterschreibenden akkuraten Verzeichnisse mit der Anweisung, dieselben mit seinen Erinnerungen zugleich zurück zu geben, verabfolgt werden. Sind jedoch unter denselben einige befindlich, gegen deren


(922) Prozeßordn. Fünf u. vierzigster Titel.

äußere Form und Richtigkeit er nach §. 10. Ausstellungen gemacht hat, so müssen Originale davon in gerichtlicher Verwahrung zurück bleiben, und es sind ihm, auf sein Verlangen, nur Abschriften mitzutheilen.

Defectatorium.

§. 15. Wenn die Erinnerungen einkommen, so müssen sie von dem Decernenten mit vorzüglicher Sorgfalt geprüft werden: ob sie deutlich und bestimmt genug abgefaßt, und ob wegen der zusammenhängenden Angabe der dabei vorkommenden Thatsachen, und der darüber beizubringenden Beweismittel, die allgemeinen Vorschriften der Prozeßordnung gehörig beobachtet sind.

§. 16. Findet sich dabei nichts mehr zu erinnern, so wird, mit Kommunikation der Erinnerungen an den Rechnungsleger, als Defektaten, ein Termin zu deren Beantwortung, und zur weiteren Instruktion der Sache anberaumt.

§. 17. Ob dieser Termin an gewöhnlicher Gerichtsstätte zu bestimmen, oder ob die Sache (wenn es besonders eine Wirthschaftsrechnung betrifft) zur Lokalkommission, mit Beobachtung der Vorschriften Tit. XLI. zu verweisen sey; desgleichen, in wie fern es (z. B. bei Bau-, Wirthschafts- oder Kaufmannsrechnungen) der Zuziehung eines Sachverständigen bedürfe, muß der Richter nach Beschaffenheit der Umstände beurtheilen.

Instruktion.

§. 18. Bei dieser Instruktion sind die allgemeinen Vorschriften der gegenwärtigen Prozeßordnung, und in so fern die Sache vor einer Lokalkommission verhandelt wird, die Tit. XLI. §. 39. angegebenen Bestimmungen zu beobachten.


(923) Rechnungssachen.

§. 19. Am Schlusse der Instruktion, und bei Gelegenheit des Versuchs der Sühne, muß der Deputirte, allenfalls mit Zuziehung des Kalkulators, aus den vorhandenen Specialprotokollen ausziehen: über welche Posten die Parteien nunmehr einig sind, und wie viel dieselben betragen; ingleichen über welche es eines richterlichen Erkenntnisses noch bedürfe.

§. 20. Deduktionen in jure finden nach der Regel nicht Statt; es wäre denn, daß bei einem oder dem anderen besonderen Monito in der Instruktion wirklich zweifelhafte Rechtsfragen vorgekommen wären. Wenn die Instruktionen nicht an ordentlicher Gerichtsstelle, sondern vor einer Lokalkommission, ohne Zuziehung der Assistenten, geschehen ist, finden die Vorschriften Tit. XLI. §. 44. 45. Anwendung.

§. 21. Bei der Abschaffung des Erkenntnisses ist, wegen des am Ende desselben auszudrückenden Liquidi, die Vorschrift des vorhergehenden Titels §. 9. zu beobachten.

Remedia.

§. 22. Gegen das darauf folgende Erkenntniß, welches gewöhnlichermaaßen publicirt wird, ist die Apellation allerdings zulässig; es hindert aber dieses nicht, daß nicht während des Appellatorii, auf Anbringen eines oder des anderen Theils, wegen derjenigen Posten, welche entweder niemals streitig gewesen sind, oder wo das erste Erkenntniß rechtskräftig geworden ist, der Partei, die hiernach schon dermalen etwas heraus zu bekommen hat, zu ihrer Bezahlung sollte verholfen werden können.

§. 23. Doch muß bei der Bestimmung eines solchen, der Appellation ungeachtet, zu bezahlenden Liquidi, nicht bloß auf die einzelnen Posten, sondern nur auf den


(924) Prozeßordn. Fünf u. vierzigster Titel.

ganzen Saldo Rücksicht genommen werden, welcher sich ergiebt, wenn die unstreitig feststehenden Einnahme- und Ausgabeposten gegen einander balancirt werden. Auch ist auf solche ins Appellatorium gediehene Posten, durch welche, wenn ein abänderndes Urtel erfolge, der Saldo zum Vortheil des Appellanten sich vermindern würde, gehörig Bedacht zu nehmen.

§. 24. Bei der Anmeldung der Appellation, der Instruktion derselben, der Revision, und überhaupt wegen des weiteren Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung, finden die allgemeinen Vorschriften Anwendung.

Eidliche Bestärkung der Rechnungen.

§. 25. Die eidliche Bestärkung der Rechnung soll in den Fällen, wo der Rechnungsleger nach den Gesetzen dazu verpflichtet ist, nicht ferner, wie bisher gemeiniglich geschehen, gleich im ersten Anfange der Rechnungsabnahme von ihm geleistet; sondern sie soll bis zum Schlusse derselben, und bis nach erfolgter Erörterung der einzelnen Punkte und Erinnerungen, ausgesetzt werden. Es wird also erst in dem Urtel darauf erkannt; die Formul des Eides darin festgesetzt; wenn außerdem noch über einzelne Punkte Eide zu schwören sind, dieselben diesem Haupteide mit beigefügt; und mit der wirklichen Abnahme von dem Rechnungsleger, der Regel nach, erst alsdann verfahren, wenn über die einzelnen Punkte rechtskräftige Urtel vorhanden sind, und der Rechnungsnehmer oder Defektant auch alsdann noch darauf besteht.

§. 26. In dem zweiten §. 5. gesetzten Falle, wo keine Abnahme der ganzen Rechnung verlangt wird, sondern die Parteien nur wegen einzelner Punkte und Posten streitig sind, muß der Rechnungsnehmer die Rechnung, nebst seinen nach §. 15. eingerichteten


(925) Rechnungssachen.

Erinnerungen, dem Gerichte übergeben; worauf sodann nach Vorschrift §. 16. u. f. weiter verfahren wird.

Sechs und virzigster Titel.

Von Erbsonderungen und Auseinandersetzungen

Inhalt dieses Titels.

§. 1. Wegen Erbsonderungen und Auseinandersetzungen kann Streit entstehen:

I. zwischen mehreren Erben, wegen der Theilung des ihnen gemeinschaftlich zugefallenen Nachlasses;

II. zwischen einem Lehns- oder Fideikommißfolger, und den Allodialerben seines Vorfahren;

III. zwischen mehreren Miteigenthümern, über die Theilung der gemeinschaftlichen Sache;

IV. zwischen Kaufleuten, die mit einander in einer Handlungssocietät gestanden haben.

I. Erbschaftliche Prozesse:

1) über das Erbrecht und die Erb-Quoten.

§. 2. Wenn I. über eine Erbschaft Streit entsteht, so betrifft selbiger entweder die Ausmittelung des Erbrechts der vorhandenen Prätendenten überhaupt; oder die Bestimmung der Quota, welche dem der verschiedenen, sich untereinander in dieser Qualität erkennenden Erben gebührt; oder die Anlegung der Erbtheilung selbst, und die Festsezung der jedem Erben gebührenden Antheile (partis quantae).

Interimistische Verfügungen dabei

§. 3. Da, so lange die Erbrechte und Quoten der Interessenten nicht ausgemacht sind, die Anlegung einer Erbschicht unter ihnen sich nicht denken läßt; so müssen zuvörderst diese beiden Präjudicialfragen, wenn die Parteien darüber uneins sind, nach den Vorschriften des ordentlichen und gewöhnlichen Prozesses


(926) Prozeßordn. Sechs u. vierzigster Titel.

erörtert und entschieden werden; doch steht in beiden Fällen, unterdessen, daß die Hauptsache verhandelt wird, den Parteien frei, diejenigen Berufungen, welche die Gesetze an die Hand geben, zur Anwendung aller Verdunkelung oder Verbringung des streitigen Nachlasses, oder zur Sicherstellung ihrer eventuellen Ansprüche, bei dem Richter besonders nachzusuchen.

§. 4. Eben so kann derjenige, welcher an sich ohne Widerspruch Miterbe ist, dem aber nur eine geringere Quota, als er verlangt, von den übrigen Interessenten zugestanden wird, darauf antragen, daß, während der Verhandlung dieser Präjudicialfrage, die Erbsonderung angelegt, und dasjenige, was ihm von der Erbschaft gebührt, auf beide Fälle, nämlich, wenn er die verlangte höhere Quotam erstreiten, oder wenn es bei der geringeren, welche die Gegner nachgeben, sein Verbleiben haben sollte, gehörig ausgemittelt werde.

§. 5. Beiderlei vorläufige Anträge sind jedoch mit der Instruktion der Hauptsache über das Erbrecht selbst, oder die dem oder jenem Miterben gebührende Quotam, nicht zu vermengen, sondern in separaten Akten zu verhandeln.

§. 6. Wenn dem Erbschaftsprätendenten sein Erbrecht überhaupt, und zugleich allenfalls die angefochtene Quota bestritten wird; so müssen in der Regel beide Punkte zugleich instruirt und entschieden werden. Wenn jedoch der Streit über das Erbrecht selbst auf einer bloßen Rechtsfrage beruhete, und dagegen die Ausmittelung der Erbquota eine weitläufige Untersuchung in facto erforderte; so kann der Richter beide Punkte von einander absondern, und die Instruktion


(927) Auseinandersetzungen.

wegen der Quota so lange aussetzen, bis über das streitige Erbrecht selbst rechtskräftig erkannt ist.

§. 7. Wenn Erben, deren Recht nicht bezweifelt wird, über den Besitzer der Erbschaft sich beschweren, daß er ihnen die zu Ausmittelung ihres Antheils erforderlichen Nachrichten vorenthalte, so bedarf es darüber keines förmlichen Prozesses; sondern dem Besitzer der Erbschaft wird, binnen einer nach den Umständen zu bestimmenden Frist, die Herausgabe des Inventarii, und die Vorlegung seiner Administrationsrechnung aufgegeben. Hält er diese Frist nicht inne, so muß er, auf ferneres Andringen der unstreitigen Erben, zu seiner Schuldigkeit durch Exekution, nach Vorschrift Tit. XXIV. §. 48. u. f. angehalten werden. Ist auch die Exekution fruchtlos, so steht den Erben frei, ihr Interesse zu liquidiren, und sich zum juramento in litem zu erbieten, worauf sodann nach Vorschrift Tit. XXII. §. 19. u. f. verfahren wird.

2) Ueber die Erbtheilung

§. 8. Wenn die Erbrechte und Antheile der sämmtlichen Interessenten durch gegenseitiges Anerkenntniß, oder durch rechtskräftige Entscheidung, feststehen, und sie sich über die Erbforderungen außergerichtlich nicht vereinigen können; so steht einem jeden unter ihnen frei, deren gerichtliche Anlegung zu suchen.

Einleitung.

§. 9. So bald dergleichen Provokation einkommt, muß der Richter sogleich einen Termin zu Regulirung der Sache anberaumen, und dazu sowohl den Provokanten, als seine von ihm angegebenen Miterben vorladen.

§. 10. Bei Bekanntmachung dieses Termins, und Vorladung der Interessenten zu selbigem, muß das Gericht zugleich von Amts wegen alles das verfügen, was erforderlich ist, die Sache ins Licht zu setzen,


(928) Prozeßordn. Sechs u. vierzigster Titel.

und die Instruktion zu erleichtern. Es muß also z. B. dem Erben, welcher sich im Besitze des Nachlasses befindet, aufgegeben werden: das gerichtliche oder Privatinventarium über den Nachlaß, und alles sonst zur Sache gehörigen Urkunden und Briefschaften mit zur Stelle zu bringen; demjenigen, welcher die Erbschaft oder einen gewissen Theil und Zubehör derselben verwaltet hat, muß die Beibringung seiner Kuratel- oder Administrationsrechnung; dem Miterben, welcher etwas einwerfen soll, die Anfertigung eines akkuraten Verzeichnisses der Conferendorum u. s. w. anbefohlen werden.

Verfahren.

§. 11. Im Termine selbst muß der Depurtirte des Gerichts, durch gegenseitige Vernehmung der Parteien, vor allen Dingen auszumitteln suchen: worauf es bei der Sache eigentlich ankomme, und wie hiernach dieselbe zur baldigsten gütlichen oder rechtlichen Endschaft am füglichsten eingeleitet werden könne.

§. 12. Da, so bald die Erbrechte und Quoten der Parteien an sich feststehen, der obwaltende Streit nur

1) entweder die Ausmittelung oder Konstituirung der Erbschaftsmasse selbst; oder

2) die Art der Theilung; ob selbige, z. B. durchs Loos geschehen, ob einem oder dem anderen Interessenten die Güter nach einer gewissen Taxe zugeschlagen werden sollen u. s. w., oder

3) die Rechnung der Antheile selbst, und deren Anweisung,

zum Gegenstande haben kann; so muß der Instruent jeden dieser Punkte besonders erörtern, und auseinander setzen: worüber die Parteien einig sind, oder worin der eine oder der andere Interessent mit den übrigen im Widerspruche stehe.

Anh. §. 305. Die zur immerwährenden Fortsetzung einer Fabrikanstalt gegebenen Fonds können niemals zur Erbtheilung


(929) Auseinandersetzungen.

kommen, sondern fallen demjenigen Erben zu, welcher die Fortsetzung der Fabrik übernimmt.

§. 13. Wenn durch diese Vernehmung die eigentlichen Objekte des Streits gehörig bestimmt sind, und der Instruent sich einen allgemeinen Begriff von der Lage und dem Zusammenhange der Sache gemacht hat; so muß er die Sühne unter den Parteien überhaupt ernstlich versuchen, und die Erbsonderung in Güte zu Stande zu bringen, sich angelegen seyn lassen.

§. 14. Wird ein gütliches Abkommen unter den Interessenten in der Hauptsache erreicht, und es bleiben nur einige Nebenpunkte streitig; so muß der Erbrezeß errichtet und abgeschlossen werden; darin die Sache auf beide Fälle, wenn die Nebenpunkte so, ober anders entschieden würden, regulirt; diese selbst aber sofort zum Definitiverkenntnisse, nach der unten folgenden Vorschrift, eingeleitet werden.

Interimisticum.

§. 15. Sind aber die Parteien über Hauptumstände und Principia der Theilung nicht zu vereinbaren, und kann also kein Erbrezeß zu Stande gebracht werden; so muß der Instruent sein Bestreben darauf richten, wenigstens ein Interimistikum, wie es bis zum völligen Austrage der Sache gehalten werden solle, zu regulieren; oder die liquide und illiquide Masse von einander abzusondern; erstere sofort zu vertheilen, und nur die letztere zur fernern rechtlichen Erörterung auszusetzen.

Weitere Instruktion.

§. 16. Hiernach muß, wenn die ganze Sache nicht gütlich hat abgemacht werden können, der Instruent die bei der allgemeinen Vernehmung ausgemittelten und bestimmten Objekte des Streits, mit Zuziehung derjenigen Interessenten, welche jedes derselben angeht, einzeln nach einander vornehmen, und beurtheilen:


(930) Prozeßordn. Sechs u. vierzigster Titel.

in wie fern sich dieselben, ihrer Natur nach, und nach den Vorschriften der Gesetze, zu einer ordentlichen Instruktion zum Erkenntnisse, oder zu irgend einer andern richterlichen Verfügung qualificiren.

§. 17. Die Punkte der erstern Art muß er sofort ordnungsmäßig zum Erkenntnisse einleiten. Die Art der Instruktion richtet sich nach der Natur des Objekts, je nachdem sich selbiges zum ordentlichen oder summarischen Prozesse qualificirt; worauf also der Instruent die erforderliche Rücksicht zu nehmen hat. Es muß aber einem jeden dergleichen besondern Punkte auch ein besonderes Protokoll gewidmet, und Alles, was diesen Punkt angeht, demselben unter gehöriger Beziehung auf das Hauptprotokoll nach der Vorschrift Tit. XLI. §. 42. beigefügt werden.

§. 18. Wenn die meisten und wichtigsten dieser Punkte von der Art sind, daß die Instruktion derselben durch eine Lokalkommission am sichersten und geschwindesten bewirkt werden könnte; so muß der Instruent dem Kollegio, mit Einreichung sämmtlicher bisher aufgenommenen Akten, davon Anzeige machen; dieses aber sodann, nach Befund der Umstände, dergleichen Lokalkommission nach der Vorschrift Tit. XLI. §. 32-35. gehörig verfügen.

§. 19. Wenn es hingegen nur bei einem oder etlichen minder wichtigen Punkten auf Lokalkommission ankommt, so muß der Instruent, nur mit Einreichung der diese Punkte betreffenden Specialprotokolle, auf die Veranlassung dieser Kommission antragen; unterdessen aber, daß diese vor sich geht, mit der Instruktion der übrigen Punkte fortfahren.

§. 20. Wenn unter den solchergestalt zu instruirenden besonderen Punkten einige vorkommen, welche den


(931) Auseinandersetzungen.

übrigen ein Präjudiz machen, z. B. wenn über die Schuldigkeit eines Miterben etwas in die Masse einzuwerfen, und zugleich über das Quantum dieses Konferendi gestritten wird; so müssen, der Regel nach, beiderlei Punkte zugleich zum Definitiverkenntnisse instruirt werden. Falls jedoch ein dergleichen nur eventualiter zur Kontestation gekommener Punkt von der Beschaffenheit wäre, daß die vollständige Erörterung desselben einen weitläufigen Aufenthalt in der Sache nach sich ziehen, oder beträchtliche Kosten erfordern dürfte, welche durch die Entscheidung des Präjudicialpunkts leicht unnütz werden könnten; so muß der Deputatus dieserhalb bei dem Kollegio besonders anfragen; und dem Richter steht frei, nach reiflicher Erwägung der obwaltenden Umstände, festzusetzen: daß die Erörterung eines solchen eventuellen Punkts so lange ausgesetzt bleiben solle, bis der Präjudicialpunkt rechtskräftig entschieden worden ist. Wenn also z. B. über die Schuldigkeit zu konferiren gestritten wird, und die Ausmittelung des eventuellen Quanti conferendi nicht ohne große Weitläufigkeiten, Rechnungsrevisionen, Lokaluntersuchungen, Abschätzungen unbeweglicher Güter u. s. w. erfolgen könnte; so kann der Richter festsetzen, daß zuvörderst die Frage: ob konferirt werden solle? zu entscheiden; bis dahin aber die weitere Untersuchung wegen des Quanti conferendi auszusetzen sey.

§. 21.

Wenn nun nach Maaßgabe §. 17. sämmtliche streitige Punkte zum Erkenntnisse instruirt sind, und die alsdann nochmals zu versuchende Sühne fruchtlos ist, so müssen die etwa erforderlichen Deduktionen von den Assistenten zum Protokolle gegeben, oder schriftlich eingereicht, und alsdann die Akten zum Spruche vorgelegt werden.


(932) Prozeßordn. Sechs u. vierzigster Titel.

Erkenntniß.

§. 22.

Der Richter muß sämmtliche streitige Punkte in Einem Urtel entscheiden; selbst über die nur eventuell instruirten, allenfalls auch nur eventualiter, nach Maßgabe Tit. XLIV. §. 35. erkennen; und im Uebrigen die Vorschrift Tit. XIII. §. 37. dabei gehörig beobachten.

Remedia.

§. 23.

Wegen der gegen ein solches Erkenntniß einzuwendenden Rechtsmittel, und deren Instruktion, finden die allgemeinen Vorschriften Anwendung.

§. 24.

Während der Zeit, daß die unter den Interessenten wirklich streitigen Punkte instruirt und abgeurtelt werden, muß wegen derjenigen, wo unter ihnen selbst kein Streit ist, sondern nur gewisse Verfügungen zur Aufklärung der Sache oder Konstituirung der Masse erforderlich sind, z. B. wegen Vorladung der Erbschaftsgläubiger, wegen Versteigerung der vorhandenen Mobilien und Effekten, wegen Abschätzung und Subhastation des zur Masse gehörigen Gutes, nach dem Antrage der Interessenten, und der Anzeige des instruirenden Deputirten, das Nöthige von dem Richter verfügt werden.

Errichtung des Erbrezesses.

§. 25.

Wenn nun nach vorstehenden Anweisungen die Sache völlig auseinander gesetzt, und die streitigen Punkte insgesammt rechtskräftig entschieden sind; so muß der Deputirte des Gerichts, mit Zuziehung eines vereideten Kalkulators, die Erbsonderung selbst entwerfen; den Plan derselben den Parteien zur Erklärung vorlegen; und wenn er von ihnen anerkannt, oder nach ihren gegründeten Erinnerungen berichtigt worden ist, den Erbrezeß selbst abfassen, von den Parteien vollziehen lassen, und ihn dem Gerichte zur Bestätigung einreichen; solchergestalt aber dieses Geschäft gänzlich zur Endschaft bringen.


(933) Auseinandersetzungen.

II. Seperatio feudi ab alodio.

§. 26.

Nach eben diesen Grundsätzen und Vorschriften ist II. bei Auseinandersetzung zwischen Lehns- oder Fideikommißfolgern und Allodialerben zu verfahren; und wenn dabei über Meliorationen des Lehn- oder Fideikommißgutes Streit entsteht, so müssen die Vorschriften Tit. XLIV. §. 54. beobachtet werden.

§. 27.

Wenn die Lehns- oder Fideikommißeigenschaft des Gutes selbst bestritten wird, und die Allodialerben des letzten Besitzers die Herausgabe desselben an den Lehns- oder Fideikommißprätendenten aus diesem Grunde gänzlich verweigern; so muß diese streitige Qualität vor allen Dingen im Wege des ordentlichen Prozesses erörtert und entschieden werden.

§. 28.

Bis zur ausgemachten Sache bleiben die Allodialerben im Besitze; und der Lehns- oder Fideikommißprätendent kann auf eine gerichtliche Verwaltung nur alsdann antragen, wenn er Umstände anführen und bescheinigen kann, woraus eine unordentliche Wirtschaftsführung, und die Besorgniß erheblicher Deteriorationen, gegen die im Besitze befindlichen Allodialerben sich zu Tage legt. Ueber einen solchen Antrag auf Exmission der Allodialerben, während des Hauptprozesses, muß nach Vorschrift Tit. XLIV. §. 36-43. verfahren und erkannt werden.

§. 29.

Da auch, wenn die Allodialerben bis zum Austrage der Hauptsache im Besitze bleiben; hiernächst aber der Lehns- oder Fideikommißprätendent die bestrittene Qualität wirklich ausführt, große Weiterungen daraus entstehen können, daß durch den Zeitverlust, während des vielleicht langwierigen Hauptprozesses, die Lehns- oder Fideikommißmasse verdunkelt, die Absonderung derselben vom Erbe erschwert, und über die von dem Allodialerben inzwischen gehobenen


(934) Prozeßordn. Sechs u. vierzigster Titel.

Nutzungen neuer Stoff zu weitläufigen Prozessen gesammelt worden ist; so muß der Richter solchen neuen Verwickelungen durch zweckmäßige, sogleich bei der Einleitung des Hauptprozesses zu treffende Verfügungen, z. B. durch Aufnehmung oder Einforderung eines vollständigen Inventarii, durch Bestellung eines Aufsehers, durch Vereidung der Wirthschaftsbedienten des im Besitze bleibenden Erben auf treue und genaue Rechnungsführung u. s. w., möglichst vorzubeugen bedacht seyn.

§. 30.

Wenn die Lehns- oder Fideikommißeigenschaft an sich nicht streitig ist, wohl aber dem sich meldenden Fideikommiß- oder Lehnsfolger seine Legitimation bezweifelt wird; so ist es entweder nur der Allodialerbe, der diesen Zweifel rege macht, und Bedenken trägt, das Gut an einen nicht hinlänglich legitimirten Successor auszuliefern; oder es sind mehrere Prätendenten vorhanden, die sich unter einander die Legitimation, oder das vorzüglichere Recht zur Succession bestreiten.

Im erstern Falle muß nach den Grundsätzen des Allgem. Landrechts Th. I. Tit. IX. §. 482 bis 492. verfahren; mithin, wenn die Bedenklichkeiten des Allodialerben nicht offenbar ungegründet sind, ein Lehns- oder Fideikommißkurator bestellt werden, welcher auf der einen Seite den Legitimationspunkt mit dem sich meldenden Successor gehörig verhandle; auf der andern Seite aber, unter Zuziehung dieses Successors, die Absonderung des Lehns vom Erbe mit dem Allodialerben regulire. Im zweiten Falle, wenn mehrere Prätendenten über das Recht zur Succession streiten, muß zwar dieser Streit zwischen ihnen, im Wege des ordinairen Prozesses erörtert und entschieden werden; inzwischen kann aber der Landerbe sich nicht entbrechen, auf den Antrag auch nur des einen der streitenden Theile, das Gut zu räumen; und


(935) Auseinandersetzungen.

sämmtliche Prätendenten zusammen müssen mit ihm die Absonderung des Lehns vom Erbe gemeinschaftlich, oder durch einen zu bestellenden Kommunmandatarius reguliren.

In beiden Fällen muß, wenn zur Zeit der Räumung das Recht des eigentlichen Successors noch nicht entschieden ist, das Gut bis zum Austrage der Sache, unter gerichtliche Verwaltung genommen werden.

§. 31.

Auf den Grund eines bloßen Retentionsrechts kann der Allodialerbe die Räumung in der Regel niemals verweigern; sondern er kann nur Sicherheit für seine Ansprüche fordern. (Allgem. L. R. Th. I. Tit. XVIII. §. 600. 601.)

§. 32.

Wo ein solches Retentionsrecht den Allodialerben, nach Provinzialgesetzen, noch wirklich beigelegt ist, da pflegen, wenn die Auseinandersetzung selbst sich nur etwas in die Länge zieht, zuletzt wegen der von den Erben geführten Administration, und darüber zu legenden Fruchtrechnungen, neue Weitläufigkeiten und Prozesse zu entstehen. Um diese zu vermeiden, muß der Deputirte des Gerichts seine Bemühungen, bei dem nach §. 15. zu regulirenden Interimistiko, besonders dahin richten: daß der Allodialerbe das Gut räume, und ihm dagegen ein nach ungefährem Ueberschlage, und vorläufiger Prüfung seiner Forderungen, mit Vorbehalt des Rechts beider Theile, ausgemitteltes Quantum auf das Gut versichert, und bis zum Austrage des Separationsgeschäfts von dem Lehnsfolger verzinset werde. Kann er die Parteien hierüber in Güte nicht vereinbaren, so muß er den Streit wegen dieses Interimistici in einem besonderen Protokolle instruiren, und selbiges ungesäumt zum Erkenntnisse einreichen, Das Urtel muß sodann schleunigst abgefaßt, und in selbigem das Interimistikum regulirt


(936) Prozeßordn. Sechs u. vierzigster Titel.

werden; und soll dagegen kein Rechtsmittel zulässig seyn.

III. Gemeinheitstheilungen.

§. 33.

Wie III. bei Auseinandersetzung gemeinschaftlicher Hütungsplätze, vermischter Aecker und Wiesen verfahren werden solle, davon ist oben in einem besondern Titel gehandelt worden.

IV. Separationen bei kaufmännischen Societäten

§. 34.

Wenn IV. Kaufleute, die mit einander in einer Handlungssocietät gestanden haben, sich separiren wollen, und mit ihrer Auseinandersetzung außergerichtlich nicht zu Stande kommen können, so steht jedem von ihnen frei, auf gerichtliche Auseinandersetzung anzutragen.

§. 35.

Wird über die Verbindlichkeit zur Rechnungslegung, über den Terminum a quo oder ad quem derselben, oder über eine dem Rechnungsleger zur Last fallende Verzögerung gestritten; so finden die Vorschriften Tit. XLV. §. 2. 3. 4. Anwendung.

§. 36.

Nach den Vorschriften eben dieses Titels §. 5. u. f. ist zu verfahren, wenn die gelegte Rechnung gerichtlich abgenommen, oder über die Erinnerungen und Ausstellungen, welche dagegen gemacht worden sind, verfahren werden soll.

Dabei finden in Ansehung der kaufmännischen Societätsrechnungen nur noch folgende nähere Bestimmungen Statt:

1) Dem Instruenten muß gleich vom Anfange an ein Sachverständiger Con-Commissarius zugeordnet werden.

2) Wenn nach beigebrachten Ausstellungen, und abgegebener Erklärung des Defektaten über jedes Monitum, feststeht: bei welchen Punkten die Parteien über Thatsachen noch streitig sind; so muß der sachverständige Deputirte die Bücher und Korrespondenzen


(937) Auseinandersetzungen.

denzen nachsehen, und bei einem jeden Punkte pflichtmäßig und bestimmt anzeigen: was sich daraus über den streitigen Punkt ergebe; wie weit die Thatsache dadurch ins Licht gesetzt werde; oder was für Umstände noch dunkel und unausgemacht bleiben.

3) Dieser Befund des Sachverständigen muß den Parteien vorgelegt werden, und sie müssen sich bei einem jeden Punkte erklären: in wie fern sie damit einverstanden sind, oder was sie dagegen noch zu erinnern haben.

4) Erst wenn dieses geschehen ist, erfolgt die eigentliche Regulirung des Status causae et controversiae, bei welcher also schon von dem aus den Büchern (et)c. gezogenen Befunde des Sachverständigen, und von den Erklärungen der Parteien, darüber Gebrauch gemacht wird. Ueber die alsdann noch streitig bleibenden erheblichen Thatsachen müssen die Parteien die etwa sonst noch vorhandenen Beweismittel angeben, mit deren Aufnehmung gewöhnlichermaaßen verfahren wird.

§. 37.

Am Schlüsse der Instruktion muß das Tit. XXX. §. 6. beschriebene Gutachten von dem zugezogenen Sachverständigen abgefordert; sodann müssen die Deduktionen beigebracht, und endlich die Akten zum Erkenntnisse vorgelegt werden.

§. 38.

In Ansehung der gegen dieß Erkenntniß zulässigen Rechtsmittel, finden die Verordnungen des XIV. Titels, und wegen anderweitiger Zuziehung eines Sachverständigen bei deren Instruktion, die Tit. XXX. §. 7. ertheilten Vorschriften Anwendung.

§. 39.

Während der Zeit, daß solchergestalt mit der Abnahme der Societätsrechnung, und der Erörterung der dagegen vorkommenden Ausstellungen verfahren wird, muß auch die Auseinandersetzung zwischen den


(938) Prozeßordn. Sechs u. vierzigster Titel.

Sociis in Ansehung der vorhandenen Bestände, an Waaren, Geräthschaften, ausstehenden Aktiv- und Passivschulden u. s. w. entweder gütlich, oder rechtlich regulirt, und dabei die Vorschrift §. 11. bis 25. beobachtet werden.

Ob diejenigen Punkte, worüber hierbei Streit entsteht, mit den Ausstellungen gegen die Societätsrechnung selbst in Ein Verfahren und in Einerlei Akten zusammen zu ziehen; oder ob beiderlei Arten von Streitpunkten in besonderen Akten zu verhandeln, bleibt nach Beschaffenheit der Umstände, Weitläufigkeit der Sache, und des zwischen beiderlei Arten der streitigen Objekte mehr oder weniger obwaltenden Zusammenhangs, richterlicher Beurtheilung vorbehalten.

§. 40.

Vorstehende §. 34. bis 39. ertheilte Anweisungen setzen den Fall voraus, wo zwei oder mehrere Kaufleute lange Zeit hindurch in Handlungssocietät gestanden, und während derselben wichtige Geschäfte betrieben haben; folglich bei ihrer Auseinandersetzung viele verwickelte, wichtige und der genauesten Untersuchung bedürfende Streitfragen vorkommen. Wenn also die Sache von geringer Erheblichkeit ist, oder die Interessenten wegen ihrer Auseinandersetzung in der Hauptsache einig sind, und nur wegen einer oder der andern speciellen Post auf richterliche Entscheidung provociren; so wird die Sache nach den allgemeinen Grundsätzen des ordentlichen oder summarischen Prozesses (je nachdem sie an und für sich zu einem oder dem andern qualificirt ist) eingeleitet, und nur bei der Instruktion ein Sachverständiger, der Vorschrift Tit. XXX. gemäß, zugezogen.


(939) Sieben und vierzigster Titel.

Vom Verfahren in Moratoriensachen.

Zweck des Moratorii.

§. 1.

Die Rechtswohlthat des Moratorii, oder Indults, hat zur Absicht, einen Schuldner, welcher an sich noch des Vermögens ist, seine Gläubiger zu befriedigen, den aber gewisse vorübergehende Umstände, ihnen sofort baar und auf Einmal Zahlung zu leisten, verhindern, durch Gestattung einer gewissen Nachsicht in den Stand zu setzen, daß er den Forderungen dieser seiner Gläubiger, ohne seinen Ruin, ein Genüge leisten könne.

Gegen was für Verbindlichkeiten es Statt finde.

§. 2.

Diese Wohlthat findet also nur gegen Geldzahlungen Statt; nicht aber alsdann, wenn jemand verbunden ist, etwas zu thun, oder eine gewisse Sache heraus zu geben.

Allgemeine Erfordernisse.

§. 3.

Derjenige, welcher sich zu einem Moratorio qualificiren will, muss nachweisen:

1) daß er an und für sich hinlängliches Vermögen besitze, den Anforderungen seiner Gläubiger ein Genüge zu leisten;

2) daß Umstände vorwalten, die es ihm unmöglich machen, ohne seinen Ruin sogleich prompte und baare Zahlung zu leisten;

3) daß gegründete Hoffnung und Aussichten vorhanden smd, daß er durch Verstattung der gebetenen Nachsicht in den Stand kommen werde, seine Gläubiger zu befriedigen, und sich zugleich in seinem Nahrungsstande zu erhalten.

§. 4.

Wenn also jemand mehr Schulden hat, als sein Vermögen beträgt, so kann er zum Moratorio nicht


(940) Prozeßordn. Sechs u. vierzigster Titel.

gestattet werden; sondern es ist nach der Vorschrift des folgenden Titels zu verfahren.

§ 5.

Ein Schuldner, der sich auf flüchtigen Fuß setzt, und aus seinem unbekannten oder auswärtigen Aufenthalte auf einen Indult anträgt, soll damit nicht eher gehört werden, als bis er zurückkehrt, und sich zur persönlichen Vernehmung darstellt.

Eintheilung.

§. 6.

Ein Schuldner beruft sich auf diese Wohlthat entweder gegen einen, oder gegen mehrere auf ihn andringende Gläubiger. Ersteres heißt das Special-, letzteres das Generalmoratorium. Zwischen beiden findet, wegen der Art des Verfahrens, und der Instruktion, einiger Unterschied Statt.

Erster Abschnitt.

Von der Instruktion eines Specialmoratorii.

Wann die Provokation darauf erfolgen müsse.

§. 7.

Auf das Specialmoratorium kann der Schuldner sofort bei der Einlassung und Antwort auf die Klage provociren; spätestens aber muß dieses, nach der Vorschrift Tit. XI. §. 5., am Schlüsse der Instruktion der Hauptsache in erster Instanz geschehen.

§. 8.

Diese gesetzliche Vorschrift muß den Beklagten, wenn sie mit keinem rechtsverständigen Assistenten versehen sind, und nach ihren Aeußerungen, oder sonst, ein zeitiges Zahlungsunvermögen bei ihnen vorzuwalten scheint, sogleich bei der Vernehmung über die Klage von Amts wegen bekannt gemacht werden; damit sie sich, bei verspäteter Anbringung des Gesuchs, mit der Unwissenheit des Gesetzes nicht entschuldigen können.


(941) Moratoriensachen.

§. 9.

Es findet also der Antrag auf ein Specialmoratorium nach geschlossener Instruktion der ersten Instanz, oder gar nach rechtskräftig entschiedener Hauptsache, nicht mehr Statt; es wäre denn, daß der Provokant zugleich nachweisen und bescheinigen könnte, daß die Umstände, welche ihn zur Berufung auf diese Rechtswohlthat nöthigen und berechtigen, erst während des Laufes des Prozesses, oder gar erst nach abgeurtelter Hauptsache, eingetreten sind.

Absonderung der Behandlungen darüber von der Hauptsache.

§. 10.

Die Verhandlung über den Indult soll mit der Verhandlung über die Hauptsache nicht vermengt, vielmehr diese, der Berufung auf das Moratorium ungeachtet, ununterbrochen fortgesetzt, und das Moratoriengesuch in besonderen Protokollen instruirt werden. Auch hängt es von dem Kläger ab, die Verhandlungen über das Moratorium bis nach völlig abgeurtelter Hauptsache ganz aussetzen zu lassen.

Aufnehmung der Provokation.

§. 11. Was nun die Instruktion eines solchen Specialindults selbst Aufnehietrifft, so muß der Provokant mit seinem Gesuche, den Gründen dersselben, den Vorschlägen: auf wie lange er die gebetene Nachsicht nöthig habe, wie er die Forderung des Gläubigers unterdessen sicher zu stellen, und wie er nach abgelaufener Befristungszeit demselben wirkliche Zahlung zu leisten gedenke, umständlich zum Protokolle vernommen; der Gläubiger mit seiner Erklärung und etwanigen Einwendungen gleichergestalt gehört; und sodann wenn die offerirte Sicherheit annehmlich zu seyn scheint, der Provokat zur Zugestehung der gebetenen Nachsicht in Güte möglichst vermocht werden.

Anh. §. 306. Bei einem nach rechtskräftig entschiedener Sache in den zulässigen Fällen angebrachten, gehörig unterstützten Moratoriengesuch, muß die Exekution ausgesetzt bleiben. Sind aber Gründe zu der Besorgniß vorhanden, daß für den Gläubiger das Objekt seiner


(942) Prozeßordn. Sechs u. vierzigster Titel.

künftigen Befriedigung verloren gehen werde; so muß zu seiner Sicherstellung das Erforderliche verfügt werden.

Instruktion.

§. 12.

Findet keine gütliche Vereinigung Statt, so muß der Instruent der Sache näher treten, und prüfen: ob bei dem Moratoriengesuche des Schuldners die §. 3. angegebenen Erfordernisse wirklich vorhanden sind.

Wegen des 2ten und 3ten Erfordernisses ex §. 3.

§. 13.

In Ansehung des zweiten und dritten dieser Erfordernisse bedarf es keines förmlichen Beweises, noch weitläufiger Untersuchungen; sondern es ist genug, wenn der Schuldner nur solche Umstände, wodurch sein gegenwärtiges Zahlungsunvermögen dem Richter wahrscheinlich wird, und das Mittel oder den Fonds, aus welchem er nach Ablauf der Nachsichtszeit werde Zahlung leisten können, nachzuweisen im Stande wäre.

Behauptet dessen ungeachtet der Gläubiger, daß ihn der Schuldner ohne Noth, aus bloßem Eigensinne oder Chikane, mit der Zahlung aufhalten wolle; so steht ihm frei, ein Objekt nachzuweisen, aus welchem er füglich, ohne Ruin des Schuldners, befriedigt werden könne.

In Ansehung der Vermögenssufficienz.

§. 14.

Auch bei dem Nachweise der Zulänglichkeit des Vermögens sollen alle nicht durchaus nothwendige Weitläufigkeiten möglichst vermieden werden. Der Schuldner darf also der Regel nach keine Vermögensspecifikation vorlegen; sondern es ist genug, wem er dem Gläubiger ein Objekt anweiset, durch welches ihm für seine Forderung Sicherheit gewährt wird. Jedoch bleibt dem Ermessen des Richters überlassen, nach Beschaffenheit der vorkommenden Umstände, auf etwaniges Andringen des Gläubigers, dem Schuldner eine eidliche Vermögensspecifikation abzufordern.


(943) Moratoriensachen.

Prüfung der Sicherheit.

§. 15.

Das vorgeschlagene Objekt der Sicherheit ist entweder ein unbewegliches Grundstück; oder eine gewisse jährliche Hebung; oder ein ausstehendes Aktivkapital; oder ein bewegliches Unterpfand; oder die Bestellung gewisser Bürgen.

a) bei Immobilien.

§. 16.

Die Qualität, der Werth und die Sicherheit des unbeweglichen Grundstücks müssen, der Regel nach, durch einen darüber ausgefertigten Hypothekenschein nachgewiesen, und dabei vorzüglich auf den Preis, für welchen der Schuldner das Grundstück an sich gebracht hat, Rücksicht genommen werden. Behauptet der Schuldner, daß demselben ein höherer, als der im Grundbuche eingetragene Werth beizulegen sey; so muß er dieses durch Produktion der Pacht- oder Miethkontrakte, oder durch mehrjährige Ertragsrechnungen sofort darthun. Behauptet der Gläubiger, daß das Immobile weniger werth sey, als das eingetragene Pretium, und ihm also keine hinlängliche Sicherheit gewähre: so muß er scheinbare Gründe dieser Behauptung anführen; und alsdann liegt dem Schuldner ob, den bestrittenen Werth auf vorstehende Art nachzuweisen.

§. 17.

Anlangend die Bestimmung: in wie fern ein Gläubiger die mit einem solchen Grundstücke ihm angebotene Sicherheit für hinlänglich annehmen müsse; so wird hierdurch festgesetzt, daß er sich dabei nur in so fern zu beruhigen schuldig seyn soll, als ihm dieselbe bei Landgütern innerhalb der ersten zwei Drittel, und bei städtischen Fundis innerhalb der ersten Hälfte des nach vorstehenden Paragraphen ausgemittelten Werths, angewiesen werden kann.

§. 18.

Wenn jedoch notorisch ist, oder von dem Schuldner nachgewiesen werden kann, daß seit der Erwerbung


(944) Prozeßordn. Sechs u. vierzigster Titel.

des Grundstücks Besitzungen dieser Art im Preise beträchtlich gestiegen sind; so kann der Richter die Sicherheit für hinreichend annehmen, wenn sie auch die zwei Drittel, oder resp. die Hälfte, um etwas übersteigen möchte. Doch darf sich der Gläubiger bei einer Sicherheit, die über den ganzen Erwerbungspreis hinaus gehet, niemals beruhigen.

b) bei jährlichen Hebungen;

§. 19.

Wird eine gewisse jährliche Hebung zum Objekte der Sicherheit vorgeschlagen, so muß der Schuldner die Urkunde, auf deren Grund ihm dieselbe gebührt, vorlegen, und erforderlichen Falls zugleich nachweisen: auf was für Art ihm die richtige Abführung versichert sey.

c) bei Aktivkapitalien.

§ 20.

Soll die vorhandene Sicherheit durch ausstehende eingetragene Aktivkapitalien nachgewiesen werden, so muß der Schuldner die darüber ausgestellten Instrumente vorzeigen, und nach der Sicherheit, welche diese für sich haben, ist auch die Annehmlichkeit der dem Gläubiger damit angebotenen Kaution zu beurtheilen. Dergleichen Aktiva, wenn sie bei städtischen Grundstücken auf die erste Hälfte, und bei Landgütern auf die ersten zwei Drittel eingetragen stehen, müssen für voll zur Sicherheit angenommen werden; jedoch ist auch dabei auf die Vorschrift §. 18. Rücksicht zu nehmen.

Sind es bloße Privataktiva, so kommt es darauf an: ob der Kreditor selbige für sicher und zu seiner Deckung hinreichend annehmen wolle; und in diesem Falle kann er verlangen, daß ihm der Gegner dieselben pfandweife übergeben, oder, nach dem Betrage seiner Forderung, cediren müsse.

Erklärt sich aber der Gläubiger, daß er die Annahme derselben nicht aus Chikane, oder um den Schuldner zu drücken, sondern bloß um deßwillen verweigere, weil er nach seiner Ueberzeugung sich dabei


(945) Moratoriensachen.

nicht für hinlänglich gedeckt halte; so kann er dazu wider seinen Willen nicht gezwungen werden.

d) bei beweglichen Pfändern;

§. 21.

Werden bewegliche Unterpfänder zur Sicherheit angeboten; so muß, wenn die Parteien über die Zulänglichkeit des Werths derselben sich nicht vereinigen können, dieser Werth mittelst Abschätzung durch Sachverständige bestimmt und festgesetzt werden. Der Werth selbst ist bei Gold, Silber und andern dergleichen Dingen, welche einen festen Preis haben, auf das Ganze; sonst aber, nach richterlichem Ermessen, auf zwei Drittel oder die Hälfte, je nachdem der Preis solcher Objekte mehr oder weniger abwechselnd ist, für hinreichend anzunehmen.

e) bei Bürgen.

§. 22.

Soll endlich die Sicherheit durch Bürgen bestellt werden; so müssen es hinlänglich angesessene Leute seyn; und diese ihre Qualität muß, wenn sie im Gerichte nicht notorisch wäre, durch Hypothekenscheine über deren Grundstücke, oder auf andere glaubwürdige Art bescheinigt, und es muß von ihnen die Sicherheit durch Eintragung auf ihre Grundstücke, innerhalb des nach §. 17. 18. zu bestimmenden Werths, wirklich bestellt werden. In Ansehung nicht ansässiger Bürgen findet die Disposition des §. 20., wegen der zur Sicherheit angebotenen uneingetragenen Aktivkapitalien, Anwendung.

§. 23. Güter, Hebungen, Aktivkapitalien und Bürgen, die sich außerhalb der Königlichen Lande befinden, ist ein einländischer Gläubiger, sich zur Sicherheit anweisen zu lassen, nicht schuldig.

Erkenntniß.

§. 24.

Wenn solchergestalt die Provokation auf den Specialindult hinlänglich instruirt ist; so muß der Richter darüber in dem Urtel über die Hauptsache, wenn diese nicht etwa schon auf die nach §. 20.


(946) Prozeßordn. Sechs u. vierzigster Titel.

besonders geführte Instruktion abgeurtelt ist, zugleich erkennen; und zu solchem Ende aus den durch die Instruktion gesammelten Datis pflichtmäßig beurtheilen:

ob die gebeten Nachsicht ein Mittel seyn könne, den Schuldner im Wirthschafts- und Nahrungsstande zu erhalten, ohne daß der Gläubiger dadurch seine Forderung zu verlieren Gefahr laufe.

Findet der Richter die Sache zur Ertheilung des gebetenen Indults qualificirt; so muß er in dem Urtel sowohl die Zeit, auf welche das Moratorium dem Schuldner zu Statten kommen solle, als die zur Sicherheit des Gläubigers etwa erforderlichen Modalitäten, z. B. daß die Schuld auf das Immobile eingetragen; das Aktivum cedirt, verpfändet, oder mit Inhibition belegt; die jährliche Hebung, so weit er zur Deckung und successiven Befriedigung des Gläubigers nöthig ist, diesem angewiesen, oder in das Depositum eingezogen; die beweglichen Pfänder dem Gläubiger, oder ebenfalls in das gerichtliche Depositum abgeliefert; die Kaution von den Bürgen, mit Entsagung aller Ausflüchte, gerichtlich abgenommen, und auf deren Grundstücke eingetragen werden solle (et)c., gehörig festsetzen.

§. 25.

Der Regel nach, und wenn nicht besondere Umstände vorwalten, soll ein Specialindult nicht leicht auf längere, als Jahresfrist, zugestanden werden.

Remedia.

§. 26.

Gegen dergleichen Erkenntniß steht beiden Theilen die Appellation offen; die dritte Instanz aber soll deshalb nicht zulässig seyn.

§. 27.

Wenn der Gläubiger appellirt; so hat dieß Rechtsmittel volle Wirkung; das Appellatorium muß nach den allgemeinen Vorschriften instruirt, während desselben aber mit der Exekution keinesweges verfahren


(947) Moratoriensachen.

werden. Doch kann der Gläubiger darauf dringen, daß die nach §. 24. erkannten Modalitaten seiner Sicherstellung, während der Instruktion des Remedii, mit Vorbehalt seines Rechts und des künftigen Erkenntnisses, in Vollziehung gebracht werden.

§. 28.

Ist es der Schuldner, welcher von dem ersten Urtel appellirt, weil er mit dem verlangten Specialindult abgewiesen worden; so ist ein Unterschied zu machen:

ob er zugleich in der Hauptsache appellire;

oder:

ob nur die Versagung des Indults den Gegenstand seiner Beschwerden ausmache.

§ 29.

Letztern Falls hat die Appellation nur Effectum devolutivum: dergestalt, daß, derselben ungeachtet, auf Andringen des Gläubigers die Exekution verhängt, und so lange fortgesetzt werden muß, bis etwa der Schuldner durch das zweite Erkenntniß zu dem gebetenen Moratorio wirklich zugelassen wird.

§. 30.

Doch soll in diesem Falle ein kürzeres Appellationsverfahren Statt finden. Es soll nämlich nicht nur in diesem, so wie überhaupt in allen Fällen, dem Appellanten frei stehen, sich noch vor Ablauf der zehntägigen Appellationsfrist bei dem erkennenden Richter zu melden, und seine Beschwerden, nebst demjenigen, was er zur Unterstützung derselben etwa anführen kann, daselbst zum Protokolle zu geben; sondern es soll auch dieses Protokoll schleunigst dem Appellaten kommunicirt, und ein möglichst naher Termin zu seiner Erklärung und Antwort darauf anberaumt; in diesem Termine derselbe mit dem, was er zur Widerlegung der Appellationsbeschwerde und zur Rechtfertigung des vorigen Urtels etwa anzuführen


(948) Prozeßordn. Sechs u. vierzigster Titel.

hat, ebenfalls zum Protokolle vernommen; in so fern von Seiten des Appellanten neue Thatsachen vorkommen, dieselben gehörig auseinander, und durch Anwendung der in obstehenden Paragraphen ertheilten Vorschriften ins Licht gesetzt; wenn aber der Appellat in diesem Termine ungehorsam außen bleibt, mit der Instruktion des Remedii in contumaciam verfahren werden.

§. 31.

Hat hingegen der Schuldner Beides in der Hauptsache, und zugleich über die Versagung des gebetenen Indults appellirt; so ergiebt sich von selbst, daß die Wirkung der Appellation diejenige seyn müsse, welche derselben nach Beschaffenheit der Hauptsache Tit. XIV. §. 5. 6. beigelegt ist; und daß also, der Regel nach, während des Appellatorii, keine Exekution gegen den Schuldner Statt finde. Eben so richtet sich auch das Verfahren bei der Instruktion selbst nach der Natur der in der Hauptsache erhobenen Beschwerden.

Vorkehrungen gegen den Missbrauch des Moratorii.

§. 32.

Damit jedoch diese bloß auf Erhaltung ehrlicher und gewissenhafter Schuldner abzielende Rechtswohlthat, von leichtsinnig, zanksüchtigen und boshaften Schuldnern zum Deckmantel der Chikane nicht gemißbraucht werden möge; so wird hierdurch ausdrücklich festgesetzt:

daß, wenn der Appellationsrichter finden sollte, daß der Schuldner in der Hauptsache die Appellation ohne allen rechtlichen Grund, bloß aus Chikane, und zum Verschleif der Sache ergriffen habe, er denselben des auf allen Fall gesuchten Moratorii für unwürdig erklären solle.

§. 33.

Ein Gleiches soll auch alsdann Statt finden, wenn der Schuldner die Forderung des Gläubigers ohne allen Grund in Abrede gestellt, und nach den


(949) Moratoriensachen.

Vorschriften Tit. XXIII. §. 51. u. f. die gesetzlichen Strafen des frevelhaften Läugnens verwirkt hätte: maßen er in diesem Falle, wenn er auch sonst zum Indult hinlänglich qualificirt wäre, dieser Rechtswohlthat dennoch, zur Strafe seiner verübten muthwilligen Chikane, verlustig seyn soll.

§. 34.

Eben so soll, wenn sich in erster oder zweiter Instanz findet, daß der Schuldner das Moratoriengesuch ohne Noth, aus bloßer Chikane, und zum Verschleif der Sache angebracht habe, derselbe nicht nur damit abgewiesen; sondern auch, dem Gläubiger alles daraus erweislich erwachsene Interesse zu prästiren, angehalten; und außerdem noch, befundenen Umständen nach, in eine namhafte Geldstrafe verurtheilt werden.

§. 35.

Uebrigens versteht es sich von selbst, daß, wenn über das Moratoriengesuch erst nach abgeurtelter Hauptsache erkannt worden ist, für diesen Fall nur die Vorschriften §. 29. 30. 33. 34. Statt finden.

Kosten.

§. 36.

Anlangend die bei der Instruktion des Moratoriengesuchs aufgelaufenen Kosten; so muß sie der Schuldner, da sie wegen seiner Qualifikation zu dieser Rechtswohlthat verwendet werden müssen, allein tragen; es wäre denn, daß einige darunter durch den bloßen Eigensinn und Chikane des Gläubigers verursacht worden; welches der Richter bei Abfassung des Erkenntnisses in der Hauptsache beurtheilen muß. Wegen der Appellationskosten finden die allgemeinen Vorschriften Anwendung.

Wirkungen des Specialindults.

§. 37.

Wenn einem Schuldner der Specialindult rechtskräftig zuerkannt worden ist; so findet während der Dauer desselben keine exekutivische Verfügung wider ihn Statt; er ist aber auch schuldig, innerhalb dieser


(950) Prozeßordn. Sieben u. vierzigster Titel.

Zwischenzeit die Zinsen der gestundeten Post, bei Verlust des Moratorii, prompt und richtig zu bezahlen.

§. 38.

Auch wenn die Schuld ursprünglich nicht zinsbar gewesen ist, muß dennoch der Schuldner die Verzögerungszinsen, von dem gesetzlich bestimmten Termine an, durch die ganze Moratorienzeit, vierteljährig entrichten.

Wiederaufhebung derselben.

§. 39.

Wenn der Gläubiger sich meldet, und daß der Schuldner mit Bezahlung der Interessen säumig sey, anzeigt; so muß der Schuldner auf einen nahen Termin, um sich darüber zu verantworten und auszuweisen, vorgeladen werden.

§. 40.

Bleibt der Schuldner in diesem Termine außen, oder kann er in selbigem die erfolgte Bezahlung der bis zum letzten Termine aufgelaufenen Zinsen durch Quittungen, oder auf andere vollkommen glaubhafte Art, nicht ausweisen; so ist er durch eine bloße Resolution, gegen welche kein Rechtsmittel Statt findet, des Moratorii für verlustig zu erklären; und hiernächst mit der Exekution wider ihn, auf ferneres Andringen des Gläubigers, zu verfahren.

§. 41.

Zeigt der Gläubiger während des Laufes der Indultszeit an, daß sich in dem ihm angewiesenen Objekte seiner Sicherheit eine solche Veränderung zugetragen habe, daß ihm selbiges die vorhin von dem Richter für hinlänglich erkannte Deckung nicht mehr gewähren könne; so muß er diese Anzeige sofort gehörig bescheinigen. Thut er dieses, so muß alsdann der Schuldner auf einen nahen, niemals zu verlegenden Termin vorgeladen; über die angeblich entstandene Unzulänglichkeit des vorigen Objekts der Sicherheit, und ob er etwa ein anderes sofort an


(951) Moratoriensachen.

dessen Stelle setzen könne, vernommen; die Sache nebst den dabei in facto vorkommenden Umständen gehörig auseinander gesetzt; und hiernächst: in wie fern der Schuldner des Indults verlustig, oder dabei ferner zu schützen sey, rechtlich erkannt werden.

§. 42.

Wird durch dieses Erkenntniß der Schuldner des Indults verlustig erklärt; so findet dagegen die Appellation, jedoch nur ad effectum devolutivum, mit dem §. 30. angeordneten kürzern Verfahren, weiter aber keine Instanz Statt; und eben dieses Rechtsmittel soll auch nur dem Gläubiger, der mit seinem Aufhebungsgesuche abgewiesen worden ist, zugelassen seyn; bei der Instruktion aber das gewöhnliche Verfahren beobachtet werden.

Wie weit ein Indult gegen den creditorem creditoris gelte.

§. 43.

Wenn ein Gläubiger, welcher seinem Schuldner solchergestalt Nachsicht verstatten müssen, von seinen eigenen Kreditoren gedrängt wird, und gegen diese auch seines Orts auf Nachsicht zu provociren genöthigt, übrigens aber an sich zu dieser Rechtswohlthat qualifizirt ist; so steht ihm frei, denselben diejenige Kaution zu ihrer Sicherheit anzuweisen, welche ihm zu seiner eigenen von seinem Schuldner bestellt worden ist. Ist der Gläubiger zur Annehmung dieser Sicherheit, nach vorhergegangener Prüfung, durch Urtel und Recht schuldig erkannt worden; so müssen seine Gläubiger sich eben diese Sicherheit, ohne weitere Nachweisung, gefallen lassen. Hat hingegen der Gläubiger die Sicherheit freiwillig für hinreichend angenommen, so können seine Kreditoren gegen ihn, auf Prüfung und Instruktion darüber, nach den obigen Vorschriften antragen.

§. 44. Uebrigens versteht es sich von selbst, daß die dem zweiten Gläubiger anzuweisende Sicherheit nur auf die Summe gelte, welche derselbe von dem ersten


(952) Prozeßordn. Sieben u. vierzigster Titel.

Gläubiger, als seinem Schuldner, zu fordern hat; und daß der Gläubiger, welcher sich auf die seinem Schuldner von dessen Debitor bestellte Sicherheit hat verweisen lassen müssen, dadurch seine Rechte gegen seinen eigenen Schuldner nicht verliere; sondern, nach verlaufener Indultzeit, die Exekution nach eigener Wahl, sowohl in diese Sicherheit, als in das übrige Vermögen seines eigenen Schuldners, suchen könne.

§. 45.

Wenn, nach Ablauf des erkannten Indults, der Schuldner keine Zahlung leistet; so soll, auf Anrufen des Gläubigers, mit der Exekution wider ihn sofort verfahren werden.

Zweiter Abschnitt.

Von der Instruktion des Generalmoratorii.

Anbringung der Provokation.

§. 46.

Wenn ein Schuldner von mehreren Gläubigern, denen er, bei an sich hinlänglichem Zahlungsvermögen, dennoch sofort und auf Einmal ihre Befriedigung zu verschaffen nicht im Stande ist, gedrängt wird; und er gegen dieselben auf ein Generalmoratorium provociren will; so muß er sich mit seinem Gesuche bei seinem kompetenten persönlichen Gerichtsstande, wie gewöhnlich, melden; ein richtiges und vollständiges Verzeichniß seines Vermögens und sämmtlicher Schulden übergeben; und um Anweisung eines Deputirten zur ferneren Instruktion der Sache bitten.

Aufnehmung derselben.

§. 47.

Dieser Gerichtsdeputirte muß den Provokanten über sein Gesuch näher vernehmen, und genau prüfen: ob sich auch derselbe, nach den §. 3. bestimmten


(953) Moratoriensachen.

Erfordernissen, zum Moratorio gehörig qualificiren könne.

§. 48.

Insonderheit muß er das von dem Gemeinschuldner übergebene Vermögensverzeichniß mit ihm durchgehen; sich in Ansehung des Aktivvermögens die Hypothekenscheine, Kaufbriefe und andere Urkunden, worauf der angegebene Werth der vorhandenen Grundstücke beruht, vorzeigen lassen, und dieselben näher prüfen; die über die angegebenen jährlichen Hebungen oder ausstehenden Aktivkapitalien sprechenden Dokumente nachsehen; die Qualität dieser Activorum, und in wie fern sie sicher und zahlbar sind, oder nicht; so viel durch einseitige Vernehmung des Provokanten geschehen kann, ins Licht setzen; auch sich, wenn der Provokant ein Kaufmann wäre, den angegebenen Bestand und Werth des Waarenlagers aus den Büchern und Inventuren nachweisen lassen.

§. 49.

Eben so muß er die Specifikation der Schulden mit dem Provokanten durchgehen; ihn ernstlich anmahnen, seine Passiva durchgehends, der Wahrheit gemäß, treu und vollständig anzugeben, und ihn bedeuten: daß, wenn er dabei nicht aufrichtig zu Werke gehen, sondern Kreditoren verschweigen würde, ihm nicht allein das Moratorium gegen diese verheelten Gläubiger, wenn sie sich demnächst meldeten, keinesweges zu Statten kommen, sondern er auch dieser Wohlthat gegen seine anderen Gläubiger verlustig werden würde.

§. 50.

Finden sich dabei Schuldposten, die der Provokant entweder gar nicht, oder doch nicht so viel davon, als gefordert wird, anerkennen will; so müssen selbige in dem Schuldenverzeichnisse gleichwohl vermerkt, jedennoch aber nur das für richtig angenommene


(954) Prozeßordn. Sieben u. vierzigster Titel.

Quantum ausgeworfen, und der Ueberschuß bloß vor der Linie gesetzt werden.

§. 51.Findet der Instruent aus dieser vorläufigen Prüfung, daß der Provokant nach den gesetzmäßigen Erfordernissen zum Moratorio nicht qualificirt sey; so muß er ihn dessen zu bedeuten suchen; und wenn dagegen die Wohlthat der Vermögensabtretung auf ihn Anwendung haben kann, die Sache dahin sofort gehörig einleiten. Will sich der Provokant von dem Instruenten nicht bedeuten lassen; so muß Letzterer das Informationsprotokoll sofort einreichen, und die weitere Vorbescheidung des Gerichts abwarten.

§. 52.

Findet hingegen der Deputirte das Moratoriengesuch des Provokanten, nach pflichtmäßigem Ermessen, zur weiteren Verhandlung qualificirt; so muß er darüber ungesäumt gehörige Anzeige machen. In dieser Anzeige muß er:

1) das wirkliche Zahlungsvermögen des Provokanten durch Einreichung des aufgenommenen und von ihm untersuchten oder berichtigten Vermögensverzeichnisses nachweisen;

2) die Ursachen und Umstände, welche den Provokanten, seinen andringenden Gläubigern sofort baare Zahlung zu leisten, verhindern, anführen;

3) die Vorschläge desselben: auf wie lange er das Moratorium suche, und wie er in der Zwischenzeit sich in den Stand, daß er seine Kreditoren vollständig befriedigen könne, zu setzen gedenke, beifügen.

§. 53.

Dem Provokanten steht frei, sein Moratoriengesuch auch durch einen Justizkommissarius, als seinen Konsulenten und Rechtsbeistand, vorzutragen. Dieser aber muß dabei die Vorschriften §. 47-52. genau befolgen, und der schriftlichen Provokation jederzeit vollständige Manualakten beilegen.


(955) Moratoriensachen.

Verordnung darauf.

§. 54.

Die Provokation, sie sey durch einen Deputirten des Kollegii aufgenommen, oder durch einen Justizkommissarius angebracht, muß von dem ordentlichen Decernenten mit vorzüglicher Sorgfalt geprüft, und nicht eher darauf verfügt werden, als bis die vorgeschriebenen Erfordernisse hinlänglich beigebracht sind.

§. 55.

Wenn das Kollegium bei der Instruktion des Moratoriengesuchs nichts Wesentliches zu erinnern findet; so muß dasselbe die Vorladung der Gläubiger sofort erlassen.

§. 56.

Eine Ediktalcitation findet nur alsdann Statt, wenn der Provokant und die Gläubiger einig sind; da Letztere, denen hinlängliche Sicherheit bestellt werden muß, bei dem Daseyn etwaniger mehreren Kreditoren kein Interesse haben; dergleichen unangezeigten oder unbekannten Gläubigern das Moratorium ohnehin nicht entgegen steht; und der Gemeinschuldner, durch den nach §. 49. ihm angedroheten Verlust der Rechtswohlthat überhaupt, zur getreuen Angabe aller ihm bekannten Gläubiger hinlänglich bewogen werden muß.

Anh. §. 307. Bei einer dergleichen Ediktalcitation sind die Grundsätze des §. 42. u. f. Th. I. Tit. VII. zu beobachten, und ist ein dreimonatlicher Termin für zureichend zu halten.

§. 57.

Dagegen müssen alle in dem Schuldenverzeichnisse aufgeführte Kreditoren, mit Kommunikation des Gesuchs und dessen Beilagen, so weit letztere nöthig sind, auf einen Termin zur Erklärung darüber, und zur weitern Verhandlung der Sache, vor den Deputirten des Gerichts vorgeladen, und zugleich bedeutet werden: daß diejenigen, welche sich in diesem


(956) Prozeßordn. Sieben u. vierzigster Titel.

Termine nicht melden, dafür, daß sie in das Gesuch des Provokanten willigen, geachtet werden sollen.

§. 58.

Die solchergestalt vorgeladenen Gläubiger, welche, in Beziehung auf das Moratoriengesuch, einerlei Rechte und ein gemeinschaftliches Interesse haben, sind aufzufordern, daß sie sich über einen gemeinschaftlichen Bevollmächtigten zur Wahrnehmung ihrer Gerechtsame bei der fernern Verhandlung der Sache vereinigen sollen; und es ist ihnen dazu ein Justizkommissarius, besonders ein solcher, welcher schon den meisten oder stärksten bei den Akten bekannten Gläubigern bisher bedient gewesen, in Vorschlag zu bringen. Erfolgt kein solches Einverständniß vor dem Termine; so muß es der Instruent in dem Termine selbst seine erste Sorge seyn lassen, die Bestellung eines solchen Kommunmandatarii zu bewirken. Uebrigens versteht es sich von selbst, daß Gläubigern, welche bei dem Moratoriengesuche besondere, von den anderen verschiedene Rechte zu haben vermeinen, zu deren Wahrnehmung besondere Bevollmächtigte zu bestellen freistehe und obliege.

§. 59.

Der Termin ist nach den Umständen so nahe als möglich, jedoch dergestalt zu bestimmen, daß der Zwischenraum hinreiche, die Citation allen und jeden, auch den entfernteren Gläubigern zu insinuiren; und daß diese die nöthige Zeit behalten, die Sache zu erwägen, und ihre Erklärungen darüber vorzubereiten.

§. 60.

Wegen Insinuation dieser Verordnung sind die allgemeinen Vorschriften zu beobachten. Mehrere Kreditoren, die sich an einem Orte aufhalten, müssen durch einen Umlauf, und auswärtige durch Requisition ihrer ordentlichen Gerichtsobrigkeit vorgeladen werden. Ueberhaupt muß das Kollegium von Amts wegen mit darauf sehen, daß die Insinuation durchgehends


(957) Moratoriensachen.

richtig sey, und so bald als möglich geschehe; und daß die nöthigen Bescheinigungen darüber zu den Akten gebracht werden.

§. 61.

Wenn der Gemeinschuldner ein Kaufmann ist, welcher auf auswärtigen Handlungsplätzen Kreditoren hat, und es erbietet sich derselbe, die Insinuation an sie zu besorgen, ohne daß es deshalb einer Requisition an die dasigen Gerichte bedürfe; so soll ihm dies zwar überlassen, er aber auch zugleich bedeutet werden: daß, wenn er die richtig geschehene Insinuation im Termine nicht würde nachweisen können, alsdann diese Kreditoren, zu seinem Nachtheile, als nicht einwilligend in das gesuchte Moratorium würden angesehen werden.

Was in der Zwischenzeit wegen der Spezialprozesse, Exekutionen (et)c. Statt finde.

§. 62.

Durch das Moratoriengesuch, und die darauf erlassene Verordnung, werden die gegen den Gemeinschuldner schwebenden speciellen Prozesse nicht gehemmt, sondern müssen gehörig fortgesetzt; auch muß auf die in der Zwischenzeit etwa einkommenden neuen Klagen ordnungsmäßig verfügt werden.'

§. 63.

Dagegen aber müssen, bis zum Austrage der Sache, und bis entschieden ist: ob der Schuldner zu dem gesuchten Indulte verstattet werden wird, alle exekutivische Verfügungen wider ihn ausgesetzt werden; und die Gerechtsame sämmtlicher Gläubiger müssen durchgehends in derjenigen Lage verbleiben, in welcher sie sich zur Zeit des zuerst angebrachten Moratoriengesuchs befunden haben.

Anh. §. 308.

Die wegen rechtskräftig feststehender Forderungen schon verfügte Exekution muß sistirt werden, und es findet daher auch während der Instruktion der Zuschlag eines subhastirten Grundstücks nicht Statt.

Anh. §. 309.

Die kurrenten Zinsen der Kapitalien und zweijährigen Rückstände muß der Schuldner auch während der Instruktion des Indults bezahlen, und kann dazu durch die Exekution angehalten werden.


(958) Prozeßordn. Sieben u. vierzigster Titel.

§. 64.

Es können also gegen den Gemeinschuldner keine Auspfändungen, noch gerichtliche Sequestrationen oder Immissionen verfügt werden. Dieser aber muß auch seines Orts, bei Verlust des Moratorii, nichts vornehmen, was dahin abzielt, einem Gläubiger vor dem andern Zahlung zu leisten; ihm eine bessere Sicherheit, als er vorhin gehabt hat, zu verschaffen; oder ihm sonst auf irgend eine andere Art, zum Nachtheil der übrigen, zu gratificiren.

§. 65.

Um dergleichen Gratifikationen möglichst zu verhüten, muß das Gericht von Amts wegen verfügen, daß auf die Grundstücke des Gemeinschuldners, oder bei seinen eingetragenen Aktivforderungen, in so fern dergleichen in seinem Vermögen vorhanden sind, eine Protestation gegen alle zum Nachtheil seiner gesammten Gläubiger gereichende Verfügungen, im Hypothekenbuche vermerkt werde.

§. 66.

Kaufleute, und diejenigen, die denselben in Rechten gleich geachtet werden (A. L. R. Th. II. Tit. VIII. §. 718-724. 731-747.), können sich gegen Wechseljudikata durch das Moratorium nicht schützen. So bald sie es aber zu einer Wechselexekution kommen lassen, sind auch ihre anderen Gläubiger nicht schuldig, sich auf ein von ihnen angebrachtes Moratoriengesuch einzulassen, und ihnen die etwa schon festgesetzte Zahlungsnachsicht ferner zu gestatten.

Andere Wechselschuldner können sich gegen eine wechselmäßig zu leistende Zahlung zwar durch ein Specialindult ebenfalls nicht schützen; wenn sie aber auf ein Generalmoratorium antragen; so sind auch ihre Wechselgläubiger sich darauf einzulassen verbunden.


(959) Moratoriensachen.

Besonders wegen der Vermögensadministration.

§. 67.

So wie aber nach gesuchtem Moratorio, und während der wegen der Verhandlung darüber, die Rechte der Gläubiger und ihre Forderungen völlig in ihrer bisherigen Lage verbleiben müssen; so muß auch der Gemeinschuldner in dieser Zwischenzeit, bei gleichmäßigem Verluste des Moratorii, weder seine Grundstücke veräußern, oder Kaufgelder dafür einziehen, noch sein Mobiliarvermögen, es sey auf welche Art es wolle, vermindern; Aktivkapitalien erheben, und in seinem Nutzen verwenden; Schenkungen machen, oder auf irgend eine Art den Betrag seiner Schulden vermehren.

§. 68.

Aktivkapitalien kann der Gemeinschuldner zwar ausklagen, auch die Zinsen davon erheben; wenn aber die Kapitalien selbst in der Zwischenzeit zahlbar werden; so muß er sie entweder selbst in das gerichtliche Depositum bringen, oder daß es von den Schuldnern unmittelbar geschehe, veranstalten.

§. 69.

Wenn der Gemeinschuldner ein Kaufmann ist; so kann ihm zwar, während der Verhandlung des Moratoriengesuchs, die Fortsetzung seines Handels nicht gewehrt werden; er muß sich aber dabei in keine neuen Geschäfte und Unternehmungen, welche mit irgend einiger Gefahr verknüpft seyn könnten, einlassen; vielmehr sich lediglich auf die Versilberung seiner Lager einschränken, über die Lösung davon richtige Rechnung halten, und den Bestand getreulich aufbewahren. Ein im ordentlichen und gewöhnlichen Laufe des Handlungsverkehrs gegebener oder genommener Kredit ist jedoch für eine unerlaubte Veränderung des Vermögenszustandes nicht zu achten.

§. 70.

Findet der Gemeinschuldner irgend einen von den nach §. 67. 68. 69. ihm in der Regel untersagten


(960) Prozeßordn. Sieben u. vierzigster Titel.

Dispositionen nothwendig, oder für sich und seine Gläubiger zuträglich; so muß er dem Gerichte davon Anzeige machen, von welchem der Kommummandatarius zur Erklärung darüber, nach genommener Rücksprache mit seinen Machtgebern, aufgefordert werden muß.

§. 71.

Sind sämmtliche Gläubiger mit dem Antrage des Gemeinschuldners einig; so hat es dabei sein Bewenden. Wird demselben von sämmtlichen Gläubigern widersprochen; so muß er ohne weitere Untersuchung verworfen werden. Widersprechen aber nur einige Gläubiger, so kann der Gemeinschuldner gegen dieselben auf Gehör und Erkenntniß, nach Vorschrift §. 73., antragen.

§. 72.

Wenn die Gläubiger es bedenklich finden, dem Gemeinschuldner die ganz freie Verwaltung seines Vermögens bis zur völligen Entscheidung des Moratoriengesuchs zu überlassen; so sind sie berechtigt, bei dem Gerichte auf alle und jede Verfügungen anzutragen, welche dahin abzielen, das Vermögen des Schuldners zu ihrer Sicherheit in seiner gegenwärtigen Lage zu erhalten, und alle zu dessen Verminderung etwa abzielenden Dispositionen desselben zu verhindern; ohne ihn jedoch der Administration selbst völlig zu entsetzen, und seine Aufrechthaltung, als die Absicht des Moratoriengesuchs, zu vereiteln.

§. 73.

So bald sich Kreditoren mit dergleichen Antrage melden, muß das Gericht einen kurzen Termin, mit Zuziehung des Gemeinschuldners, zu Regulirung eines Interimistici, anberaumen, und die Parteien darüber zu vereinigen suchen; in dessen Entstehung aber dergleichen Interimistikum durch eine bloße Resolution, gegen welche keine Appellation Statt findet, festsetzen.


(961) Moratoriensachen.

§. 74.

Die Bestimmung der Maaßregeln zur Erhaltung des Vermögens, und Sicherstellung der Kreditoren, bleibt also in dem Falle, wenn die Gläubiger sich unter einander, oder mit dem Gemeinschuldner nicht vereinigen können, der Bestimmung des Gerichts anheim gestellt; welches nach der Lage der Umstände erwägen muß: ob dem Gemeinschuldner in der Bewirthschaftung des Gutes ein Aufseher zu bestellen; ob die Wirthschaftsbeamten oder Pächter dahin zu vereiden, daß sie die Revenuen, nach Abzug einer nach billigem Ermessen festzusetzenden Summe zur Alimentation des Schuldners und seiner Familie, an diesen Aufseher oder in das gerichtliche Depositum abliefern sollen; ob die ausstehenden Aktiva mit Inhibition zu belegen, und, in so fern sie zahlbar sind, ebenfalls in das Depositum einzuziehen; ob die Mobiliarschaft des Gemeinschuldners, die er zum täglichen Gebrauche nicht nöthig hat, in gerichtliche Verwahrung zu nehmen; ob ihm bei Fortsetzung seines Handels ein Aufseher zu bestellen, ohne dessen Vorbewußt er keine Dispositionen von einiger Wichtigkeit treffen könne, dem er die Verkaufsrechnungen vorlegen, und die Losung, nach Abzug eines proportionirlichen Alimentationsquanti für sich und die Seinigen, abgeben müsse, u. s. w.

Verhandlungen im Termine.

§. 75.

In dem zur Instruktion des Moratorii anberaumten Termine selbst muß der Gemeinschuldner alle und jede Dokumente, Rechnungen, Bücher, Schuldverschreibungen und andere Nachrichten, worauf die von ihm übergebene Vermögensspecifikation sich gründet, mit zur Stelle bringen; dieselben den Gläubigern zur Einsicht und nähern Prüfung vorlegen, und ihnen von seinem Verhalten in der Zwischenzeit, von der Anbringung seines Moratoriengesuchs, bis zum Termine, wenn ihm während der selben die freie Administration


(962) Prozeßordn. Sieben u. vierzigster Titel.

überlassen gewesen ist, Rede und Antwort geben.

§. 76.

Der Instruent muß den erschienenen Gläubigern die Sache und obwaltenden Umstände, wo es nöthig ist, näher erläutern; ihnen hiernächst ihre Erklärungen über das Gesuch des Provokanten abfordern; und dabei alle Mühe anwenden, um ein gütliches Abkommen darüber unter den Parteien zu Stande zu bringen.

§. 77. Wird dergleichen Abkommen erreicht, so muß selbiges mit allen Bedingungen, und den während der Dauer des Moratorii zur Sicherheit der Gläubiger etwa verabredeten Modalitäten, zum Protokolle genommen; dieß Protokoll von sämmtlichen gegenwärtigen Interessenten unterschrieben, und dem Gerichte zur Bestätigung eingereicht werden; welches letztere sodann, auf den Grund desselben, alles Erforderliche, um die etwa festgesetzten Bedingungen und Modalitäten ins Werk zu richten, ungesäumt verfügen muß.

Instruktion.

§. 78.

Wenn aber sämmtliche, oder doch einige Kreditoren, dem Moratoriengesuche widersprechen; so muß die Sache zum rechtlichen Erkenntnisse darüber instruirt werden.

§. 79. In eigentlichen Moratoriensachen, wo bloß davon die Frage ist: ob dem Gemeinschuldner, welcher die Hinlänglichkeit seines Vermögens und die Sicherheit seiner Gläubiger behauptet, eine gewisse Zahlungsnachsicht zu Statten kommen könne? soll die Entscheidung dieser Frage auf den Stimmen der erschienenen Gläubiger nicht beruhen, noch, wenn diese unter sich uneins sind, ein Verfahren deshalb unter ihnen eröffnet; sondern es soll lediglich darauf


(963) Moratoriensachen.

gesehen werden: ob die gesetzmäßigen Erfordernisse des Moratorii vorhanden sind; wobei, wenn diese wirklich vorwalten, der Widerspruch, selbst aller Gläubiger, die Zulassung des Schuldners zu der Rechtswohlthat nicht hindern; und hingegen die Einwilligung des größern Theils der Gläubiger nur so weit mit in Betrachtung kommen darf, als sie, der Regel nach, ein Beweis ist, daß der Gemeinschuldner aufrecht erhalten zu werden verdiene; folglich der Richter dadurch, unter Beitritt der legalen Erfordernisse, ihn, mit Uebergehung der bei solchen Umständen gemeiniglich nur aus Vorurtheil oder Leidenschaft herrührenden Kontradiktion einiger wenigen Gläubiger, zu der gesuchten Rechtswohlthat desto eher zu verstatten, bewogen werden kann.

§. 80.

Wie es also bei der Instruktion der Sache auf die Prüfung der oben §. 3. festgesetzten Erfordernisse hauptsächlich ankommt, so muß der Deputirte sich deshalb nach den im ersten Abschnitte §. 14-23. an die Hand gegebenen Vorschriften gleichergestalt achten.

§. 81.

Nur folgende nähere Bestimmungen müssen bei der Instruktion des Generalmoratorii beobachtet werden:

1) Wenn über den Werth eines zur Masse gehörigen, und den Gläubigern als ein Objekt ihrer Sicherheit mit vorgeschlagenen Grundstücks gestritten wird, und derselbe aus den producirten Hypothekenscheinen, Pachtkontrakten, Wirtschaftsrechnungen u. s. w. nicht mit hinlänglicher Ueberzeugung entnommen werden kann; so steht den Gläubigern frei, auf die gerichtliche Abschätzung anzutragen. Der Gemeinschuldner hingegen, welcher besorgt, daß der Gläubiger den von ihm angegebenen Werth eines solchen Grundstücks nicht für bekannt annehmen, und


(964) Prozeßordn. Sieben u. vierzigster Titel.

er, selbigen auf andere Art sofort hinlänglich nachzuweisen, nicht im Stande seyn möchte, muß sogleich bei Einreichung seines Moratoriengesuchs auf die Abschätzung des Grundstücks antragen; und diese muß dergestalt beschleunigt werden, daß die Taxe den Gläubigern im Konvokationstermine vorgelegt werden könne.

2) Auf die Buchschulden eines Kaufmanns ist in so weit Rücksicht zu nehmen, als dieselben von Sachverständigen, denen zu dem Ende die Bücher vorzulegen sind, für richtig und gut erklärt werden. Andere Gemeinschuldner können, auch bei dem Generalmoratorio, bloße Privataktiva ihren Gläubigern nur so weit zur Sicherheit anweisen, als die Debitoren derselben dafür selbst Sicherheit zu bestellen bereit sind, oder angehalten werden können.

3) Bei einem Kaufmanne sind auch seine Waarenlager als ein Objekt der Sicherheit anzunehmen. Doch muß die Richtigkeit, Qualität und Verkäuflichkeit solcher Lager, ingleichen der ihnen beizulegende Werth, durch Sachverständige geprüft und beurtheilt werden.

4) Auf die Mobilien, des Gemeinschuldners kann bei Beurtheilung der Sicherheit nur in so weit gesehen werden, als darunter Juwelen, Pretiosen und andere dergleichen Sachen von besonderem Werthe befindlich sind, durch deren Verpfändung oder Deposition den Gläubigern eine wirkliche Deckung verschafft werden kann. Auf solche Mobilien hingegen, die sich der Schuldner zu seiner Disposition und seinem Gebrauche vorbehält, ist dabei keine Rücksicht zu nehmen.

5) Da ein Generalmoratorium gemeiniglich auf eine längere Zeit und mehrere Jahre nachgesucht wird, so muß der Gemeinschuldner den Gläubigern nicht nur eine für gegenwärtig zur Deckung ihrer Kapitalsforderungen hinlängliche Vermögenssubstanz nachweisen;


(965) Moratoriensachen.

sondern er muß ihnen auch dafür, daß diese Substanz in der Zwischenzeit nicht vermindert, und daß ihnen die zu fordern habenden Zinsen richtig bezahlt werden sollen, annehmliche Sicherheit verschaffen.

Diese Sicherheit kann er ihnen entweder in seinem eigenen Vermögen nachweisen, wenn nämlich dasselbe von der Beschaffenheit ist, daß es, und insonderheit die davon fallenden Revenuen, außer der Deckung der Kapitalsforderungen, nach richterlichem Ermessen, auch zur Kaution wegen etwa besorglicher Deteriorationen, und wegen der laufenden Zinsen hinreicht; oder es müssen den Gläubigern deshalb besondere annehmliche Bürgen bestellt werden.

Kann der Gemeinschuldner dergleichen besondere Kaution auf die eine oder die andere Art nicht verschaffen, so muß er sich in der Disposition über sein Vermögen, während der Moratorienzeit, solche Einschränkungen gefallen lassen, welche auf die Deckung der Kreditoren, wegen ihrer kurrenten Interessen, und auf die Sicherstellung der Vermögenssubstanz gegen alle ihnen nachtheilige Verminderung derselben abzielen, ohne ihn deswegen der Administration gänzlich zu entsetzen.

Den Vorschlag solcher Modalitäten, deren einige beispielsweise bereits oben §. 74. angegeben worden sind, muß der Instruent sowohl dem Gemeinschuldner, als den Gläubigern abfordern; allenfalls dergleichen von Amts wegen nach Lage der Sache vorschlagen; und wenn die Parteien darüber in Güte nicht zu vereinigen sind, alle Umstände, welche auf die nähere Beurtheilung derselben und das richterliche Ermessen darüber Einfluß haben können, vollständig aufnehmen und deutlich auseinander setzen.

§. 82.

Wenn bei dieser Verhandlung zwischen dem Gemeinschuldner, und dem einen oder dem andern Gläubiger,


(966) Prozeßordn. Sieben u. vierzigster Titel.

über die Richtigkeit oder den Betrag der Forderung dieses Letztern Streit entsteht, und selbiger in Güte nicht sofort beigelegt werden kann; so ist die Instruktion darüber mit der Instruktion der Moratoriensache nicht zu vermengen, sondern der Kreditor zur Anbringung seiner Klage bei dem Gerichte anzuweisen. Bei der Verhandlung über das Moratoriengesuch muß jedoch ein solcher Kreditor in so fern allerdings zugelassen werden, als er den Grund seiner Forderung wenigstens einigermaßen bescheinigen kann.

Erkenntniß.

§. 83.

Wenn nun der Gerichtsdeputirte durch die Instruktion der Sache alle und jede Data gesammelt und in ihr möglichstes Licht gesetzt hat, welche dazu dienen können, die Frage:

ob der Gemeinschuldner durch Verstattung des gebetenen Indults, ohne wesentlichen Nachtheil der Gläubiger, aufrecht und im Nahrungsstande erhalten werden könne?

mit Grunde zu beurtheilen und zu entscheiden; so müssen die Akten ohne weitern Verzug, und ohne Zulassung einiger Deduktionen, zum Spruche vorgelegt werden.

§. 84. Der Richter muß sein Erkenntniß nicht allein darauf richten: ob, und auf wie lange der Gemeinschuldner zu dem gebetenen Indulte zu verstatten sey; sondern er muß auch die zur Sicherstellung der Kreditoren, wegen Erhaltung der Masse und richtiger Bezahlung der laufenden Zinsen, nach Maaßgabe §. 81. Nr. 5., etwa erforderlichen Modalitäten, zugleich festsetzen.

§. 85. Auch ein Generalmoratorium soll nicht länger, als auf ein, zwei, bis höchstens drei Jahre zugestanden werden. Doch ist diese Frist nur von dem


(967) Moratoriensachen.

Tage an, wo das Moratorium rechtskräftig zuerkannt worden ist, zu rechnen.

Remedia.

§. 86.

Ist durch das Erkenntniß der Gemeinschuldner zum Moratorio verstattet worden, und einige oder alle Kreditoren wollen sich dabei nicht beruhigen; so steht ihnen die Appellation offen. Es müssen daher diejenigen, welche sich dieses Rechtsmittels bedienen wollen, bei dem bestellten Kommunmandatario, oder auch unmittelbar bei dem Gerichte, innerhalb der Tit. XIV. bestimmten zehntägigen Appellationsfrist sich melden, und ihre Beschwerden anzeigen.

§. 87.

Diese Appellation findet mit voller Wirkung Statt: dergestalt, daß bis zu deren Aburtelung Alles in seiner bisherigen Lage verbleiben muß. Doch steht dem Appellanten frei, darauf anzutragen, daß die in dem vorigen Urtel zu ihrer mehrern Sicherheit etwa erkannten Modalitäten, der Appellation ungeachtet, und während derselben, in Vollziehung gebracht werden.

§. 88.

Wenn der Gemeinschuldner durch das erste Erkenntniß zum Moratorio gelassen, dabei aber zur mehrern Sicherheit der Kreditoren gewisse Modalitäten festgesetzt worden sind; so soll ihm dagegen die Appellation zwar gestattet werden, doch soll derselben nur Effectus devolutivus beiwohnen: dergestalt, daß, während derselben, der Appellant den im ersten Urtel festgesetzten Modalitäten, mit Vorbehalt seines Rechts dagegen, sich zu unterwerfen angehalten werden kann.

§. 89. Ist er mit seinem Moratoriengesuche gänzlich abgewiesen worden, so ist er zwar zur Appellation dagegen zuzulassen; doch soll dieses Rechtsmittel in solchem Falle gleichergestalt nur effectum devolutivum


(968) Prozeßordn. Sieben u. vierzigster Titel.

haben: dergestalt, daß die bisher gehemmt gewesenen Exekutionen nunmehr wider ihn fortzusetzen sind. Nur allein der förmlichen Eröffnung des Konkursus und Erlassung der Ediktalien, der gerichtlichen Versteigerung und etwa ausgepfändeten Mobiliaris und dem Zuschlage der subhastirten Grundstücke, soll bis zum Eingange des Appellationsurtels Anstand gegeben werden.

§. 90.

Wenn unter den Gläubigern einige sind, deren Forderungen noch nicht zur Exekution stehen, und die doch auch auf Konkurseröffnung noch nicht antragen dürfen, mithin Gefahr laufen, daß ihnen andere Kreditoren, während der Appellation, die Objekte ihrer Befriedigung durch die fortgesetzte Exekution gänzlich entziehen möchten; so soll denselben erlaubt seyn, bei der Exekution sich als Intervenienten zu melden, und darauf anzutragen, daß das beigetriebene Geld so lange in gerichtlicher Verwahrung bleibe, bis die Frage: ob der Gemeinschuldner zum Moratorio zu lassen, oder Konkurs über sein Vermögen zu eröffnen sey? rechtskräftig feststeht.

§. 91.

Bei der Instruktion eines solchen von dem Gemeinschuldner eingewendeten Rechtsmittels, finden die allgemeinen Vorschriften des Tit. XIV. Anwendung; doch soll diese Instruktion möglichst und ganz vorzüglich beschleunigt werden.

§. 92. Wenn in einer Moratoriensache die erste Instanz bei einem Untergerichte gewesen ist, so hat es, wegen Instruktion der gegen das Erkenntniß desselben einkommenden Appellationen, bei den Verordnungen des XXVsten Titels lediglich sein Bewenden.

§. 93. Auch der Appellationsrichter muß das Erkenntniß schleunigst abfassen, und es hiernächst dem


(969) Moratoriensachen.

ersten Richter zur Publikation ungesäumt zufertigen.

§. 94.

Bei demjenigen, was im Appellatorio erkannt worden ist, soll es lediglich sein Bewenden haben, und die dritte Instanz dagegen nicht zulässig seyn.

Kosten.

§. 95.

Wegen der Kosten der Instruktion eines Generalindults hat es bei den Vorschriften des §. 36. sein Bewenden.

§. 96.

Wenn der Gemeinschuldner mit seinem Indultgesuche rechtskräftig abgewiesen worden ist, so können die Gläubiger auf Eröffnung des Konkurses antragen; und ist alsdann nach der Vorschrift Tit. L. §. 9. u. s. w. zu verfahren.

Wirkung des Generalindults.

§. 97.

Ist er hingegen zum Moratorio verstattet worden, so kommt ihm diese Rechtswohlthat gegen alle und jede Kreditoren, welche Geldprästationen von ihm zu fordern haben, und die auf seine Anzeige zu der Verhandlung über das Moratorium gehörig mit vorgeladen worden sind, ohne Unterschied und Ausnahme zu Statten; und es können ihm während der Indultjahre weder Kapitalsaufkündigungen geschehen, noch Exekutionen wider ihn veranlaßt werden. Nur allein gegen nachstehende Prästationen soll er sich mit dem erhaltenen Moratorio zu schützen nicht berechtigt seyn:

1) gegen versessene und fortlaufende öffentliche Abgaben und gemeine Lasten;

2) gegen das, was jemand einer öffentlichen Kasse schuldig ist;

3) gegen die laufenden Zinsen der schuldigen Kapitalsposten, und gegen Rückstände, welche nur bis auf zwei Jahre vom Tage des bewilligten oder



(970) Prozeßordn. Sieben u. vierzigster Titel.

(zuer)kannten Moratorii zurückgehen (da gegen ältere Rückstände das Moratorium allerdings gelten muß);

4) gegen die laufenden jährlichen Renten, Zinsen, Canones, und andere dergleichen, jemandem, wider ihn, oder aus seinen Gütern, zustehende jährliche Hebungen;

5) gegen laufende Alimente;

6) gegen die laufenden Miethen und Pächte der in Bestand habenden Häuser oder anderer Grundstücke; und sind darunter die Rückstände des ganzen Jahres, in welchem auf das Moratorium angetragen worden ist, nicht aber früherer Jahre, zu verstehen;

7) gegen kurrentes Gesindelohn und Deputat, ingleichen die Erziehungs- und Unterrichtskosten seiner Kinder; mit gleicher Bestimmung wie ad Nr. 6. ;

8) gegen Schulden, welche daher entstanden sind, daß jemand anvertrautes Gut verzehrt hat, und es also in Natur nicht zurück geben kann;

9) gegen Wechsel, unter den §. 66. festgesetzten näheren Bestimmungen.

Anh. §. 310. Die Verordnung vom 20. Junius 1811, betreffend die Aufhebung des allgemeinen Indults (Gesetzsammlung 1811. Seite 200.), behält, so weit sie nicht durch spätere Vorschriften abgeändert worden ist, auch noch ferner ihre gesetzliche Kraft.

§. 98.

Alle vorstehend (§. 97.) benannte Posten, auf welche während des Indults Exekution gesucht werden kann, müssen, bei Beurtheilung der den übrigen Gläubigern zu verschaffenden Sicherheit, von dem bereitesten Vermögen des Gemeinschuldners abgerechnet werden.

§. 99.

Wenn schon vor der Provokation auf das Generalmoratorium der Gemeinschuldner gegen einen oder den andern seiner Gläubiger einen Specialindult erhalten hat, so muß er bei der Instruktion des Generalmoratorii


(971) Moratoriensachen.

entweder nachweisen, wie er denselben, nach Ablauf dieser besondern Frist, ohne Nachtheil der übrigen Gläubiger werde befriedigen können; oder, wenn dieser Kreditor eine Verlängerung nicht eingehen will, sich gefallen lassen, daß ihm auch das Moratorium nur auf so lange, als der Specialindult noch dauert, bewilligt werde.

§. 100.

Wenn ein Schuldner, welcher Kaufmannschaft, oder sonst ein bürgerliches Gewerbe im Großen betreibt (A. L. R. Th. II. Tit. VIII. H. 718-724. §. 731-747.), auch gegen andere, als Wechselgläubiger, sich der Rechtswohlthat des Moratorii ausdrücklich, und unter den gesetzlichen Erfordernissen (Ebend. Th. I. Tit. V. §. 197. 198.) begeben hat; so kann er gegen dieselben, auch in der Folge, weder auf einen Special-, noch Generalindult

antragen.

Anderen Schuldnern aber steht die Entsagung dieser Rechtswohlthat nicht entgegen.

Was Rechtens sey: a) wegen verschwiegener Schulden;

§. 101.

Gegen Kreditoren, welche der Gemeinschuldner in dem übergebenen Verzeichnisse nicht benannt, und zur Verhandlung nicht mit hat vorladen lassen, kann er sich des Moratorii nicht bedienen.

§. 102.

Melden sich Kreditoren dieser Art, und erstreiten gegen den Gemeinschuldner rechtskräftige Urtel; so begründet dieses die Vermuthung, daß er seine Gläubiger, und das Gericht selbst, zu hintergehen gesucht habe. Das Gericht muß also, sobald ein solcher Umstand, allenfalls bei der Exekution, zu seiner Wissenschaft gelangt, denselben dem Kommunmandarario der Gläubiger bekannt machen, welcher den Gläubigern davon Nachricht geben, und, sobald auch nur einer unter ihnen es verlangt, darauf antragen muß,


(972) Prozeßordn. Sieben u. vierzigster Titel.

daß ein solcher Gemeinschuldner des für ihn noch laufenden Indults verlustig erklärt werde.

§. 103.

Dieses geschieht ohne weiteres prozessualisches Verfahren, durch eine bloße Resolution, sobald nur erhellet, daß dergleichen ausgeklagte Schuldpost dem Gemeinschuldner bekannt gewesen, oder ihm doch nicht ohne sein eigenes grobes Versehen hat unbekannt seyn können; die Schuld selbst aber von der Art und Beträchtlichkeit ist, daß für die übrigen Gläubiger eine nicht unwahrscheinliche Besorgniß, daß die ihnen angewiesene Sicherheit da durch unzureichend werden möchte, entstehen kann.

b) wegen neuer Schulden.

§. 104.

Gegen Schulden, die erst nach instruirtem Moratoriengesuche gemacht worden sind, kann der Gemeinschuldner sich mit dem Indulte ebenfalls nicht schützen.

§. 105.

Werden dergleichen Schulden wider ihn eingeklagt, und wird er darin rechtskräftig verurtheilt; so ist ein Unterschied zu machen:

ob der Gemeinschuldner ein Kaufmann sey, welcher nach erlangtem Moratorio seine Handlung fortgesetzt hat;

oder:

ob er zu irgend einem andern Stande oder Gewerbe gehöre.

§. 106.

Ist der Schuldner ein Kaufmann, so muß dem Kommunmandatario der Gläubiger von der wider ihn nachgesuchten Exekution, vor deren Vollstreckung, Nachricht gegeben werden. Diese sind alsdann berechtigt, von ihm Ausweis zu fordern, daß er diese neue Schuld zum Berufe seines Handels kontrahirt habe, und daß durch selbige, und deren Bezahlung, das Kapital seiner Handlung nicht geschwächt werde.


(973) Moratoriensachen.

In Entstehung dieses Ausweises können sie auf Zurücknehmung des Indults antragen.

§. 107.

Ist der Gemeinschuldner kein Kaufmann, so kommt es hinwiederum darauf an: ob, er zur Bezahlung dieser neuen Schulden ein Objekt vorschlagen könne, welches zu der den älteren Gläubigern, als der Fonds ihrer Sicherheit, angewiesenen Vermögenssubstanz nicht gehört;

oder:

ob er dergleichen anderweitigen Zahlungsfonds nachzuweisen nicht im Stande sey.

Erstern Falls hat es dabei sein Bewenden, und der Richter muß dem neuen Gläubiger aus dem angewiesenen Objekte zu seiner Befriedigung ordnungsmäßig verhelfen. Letztern Falls, und wenn der neue Gläubiger sich an die den älteren zu ihrer Sicherheit angewiesene Vermögenssubstanz halten will, muß letztgenannten älteren Gläubigern davon Nachricht gegeben werden; damit sie gleichergestalt ihre Gerechtsame bei der Sache wahrnehmen, und, wenn durch den Zutritt solcher neuen Schulden die ihnen angewiesene Sicherheit geschwächt wird, auf Entziehung des Indults antragen; oder, wenn dadurch gar eine Unzulänglichkeit der Masse entsteht, auf Eröffnung des Konkurses provociren können.

§. 108.

Die Vorschrift des §. 107. findet auch in dem Falle Statt, wenn wegen der älteren, bei der Verhandlung über das Moratorium nicht zugezogenen Gläubiger, bloß um deswillen, weil sie von dem Gemeinschuldner damals nicht angezeigt worden sind, weil er sie weder vorsätzlich, noch aus grober Fahrlässigkeit verschwiegen hat, oder weil er behauptet, daß dadurch die den anderen Gläubigern angewiesene Sicherheit nicht geschmälert werde, die Aufhebung des Moratorii nicht sofort erfolgen kann. (§. 103.)


(974) Prozeßordn. Sieben u. vierzigster Titel.

§. 109.

Uebrigens gelten die Vorschriften §. 102-108. nur so lange, als die Indultfrist dauert; da nach dem Ablaufe derselben es die eigene Sache eines jeden Gläubigers ist, die Exekution wegen seiner noch unbezahlten Forderungen zu betreiben.

Wiederaufhebung des Moratorii.

§. 110.

In Ansehung des Falles, wenn der Schuldner während der Indultjahre mit Bezahlung der Zinsen nicht richtig inne hält; oder, wenn während dieser Zeit sich in seiner Vermögenssubstanz solche Veränderungen zutragen, daß dieselbe die ehehin für hinlänglich erkannte Sicherheit nicht mehr gewähren kann; wohin auch zu rechnen ist, wenn der Gemeinschuldner die Gebäude eingehen läßt, das Inventarium des Gutes schwächt, oder sonst eine üble Wirtschaft zu führen beginnt, sind die Vorschriften §. 41. u. f. zu beobachten.

§. 111.

Es versteht sich von selbst, daß während der Indultjahre die Gläubiger, gegen welche der Schuldner dazu gelassen worden ist, ihre etwa noch nicht liquiden Forderungen gegen denselben einklagen, Kapitalsaufkündigungen thun, und die Sache, jedoch nur bis zur Exekution, fortsetzen können.

Endigung desselben.

§. 112.

Wenn nach Ablauf der Indultjahre der Gemeinschuldner nicht Zahlung leistet, so muß auf Anrufen der Gläubiger mit der Exekution wider ihn verfahren werden; ohne daß diese Letzteren nöthig haben, ihrer einmal rechtskräftig feststehenden oder gerichtlich anerkannten Forderungen wegen, von neuem Klage anzustellen.

Wie weit ein Moratorium den Erben oder

§. 113.

Wenn der Schuldner während der Indultjahre verstirbt, so kommt das Moratorium seinen Erben nicht zu Statten; sondern Diese müssen, wenn sie sich


(975) Moratoriensachen.

der Erbschaft annehmen, den Gläubigern ohne Anstand Zahlung leisten. Doch bleibt denselben die Rechtswohlthat des Inventarii und das gesetzmäßige Aufgebot des Nachlasses unverschränkt.

den Bürgen zu Statten komme.

§. 114.

Dagegen kann der Bürge sich mit einem dem Principalschuldner ertheilten Indulte gegen den Gläubiger schützen; es wäre denn, daß er die Bürgschaft in der Art übernommen hätte, daß der Gläubiger, mit Uebergehung des Hauptschuldners, ihn sofort anzugreifen, den Rechten nach befugt wäre.

§. 115.

Wenn also ein solcher Bürge für den Hauptschuldner bezahlen muß, so bleibt ihm zwar der Regreß an selbigen unverschränkt; er muß sich aber, wegen des gedachtem Hauptschuldner zu Statten kommenden Indults, eben das, was die übrigen Kreditoren desselben, gefallen lassen.

Verbesserung der Vermögensumstände.

§. 116.

Sollte während der Indultzeit dem Gemeinschuldner ein solches neues Vermögen zufallen, wodurch er in den Stand gesetzt würde, seine sämmtlichen Kreditoren auch früher bezahlen zu können; so bleibt diesen unbenommen, auch vor Ablauf der Indultjahre ihre Befriedigung nachzusuchen.

Acht und vierzigster Titel.

Vom Verfahren bei der Cessione bonorum.

Begriff und Zweck des Beneficii cessionis bonorum

§. 1.

Wenn ein von mehreren Gläubigern gedrängter Schuldner denselben ein zu ihrer Befriedigung hinreichendes Vermögen nicht nachweisen, und sich also zum Indulte nicht qualificiren kann; so ist er verbunden, sein gesammtes Vermögen seinen Gläubigern


(976) Prozeßordn. Acht u. vierzigster Titel.

zu überlassen, damit dieselben daraus ihre Befriedigung, nach der in den Gesetzen bestimmten Ordnung, so weit es hinreicht, nehmen können.

§. 2.

Der Regel nach wird ein solcher Schuldner durch diese Abtretung seines Vermögens von seiner persönlichen Verbindlichkeit gegen die Gläubiger nicht frei; sondern sowohl diejenigen, welche aus den cedirten Gütern nicht befriedigt werden können, als die Wechselgläubiger, denen die Gesetze eine specielle und unmittelbare Befugniß auf seine Person beigelegt haben, und die folglich auf die Exkussion seines Vermögens nicht warten dürfen, sind berechtigt, ihn in Personalarrest bringen zu lassen, und ihn anzuhalten, daß er, nach der Vorschrift Tit. XXIV. §. 142., durch Arbeit und Anstrengung seiner körperlichen oder Seelenkräfte das zu ihrer vollständigen Befriedigung Fehlende herbeischaffe.

§. 3.

Diese Strenge des Rechts mildern die Gesetze zum Besten derjenigen, welche durch Unglücksfälle in Abnahme ihres Vermögens gerathen sind; indem sie denselben gestatten, auf die Rechtswohlthat der Vermögensabtretung zu provociren, und dahin anzutragen: daß sie, gegen Überlassung ihres gesammten Vermögens an ihre Gläubiger, mit allem Personalarreste verschont werden; solchergestalt aber im Stande bleiben, über ihre Person und Kräfte frei zu disponiren, und durch Anwendung derselben nicht nur für sich und die Ihrigen den nöthigen Unterhalt zu verdienen, sondern auch ihren verfallenen Umständen durch Fleiß und Arbeitsamkeit nach und nach wieder aufzuhelfen.

Erfordernisse

§. 4.

Diese Rechtswohlthat setzt also voraus:

1) daß der darauf provocirende Gemeinschuldner wirklich durch Unglücksfälle in die gegenwärtige


(977) Cessio bonorum.

Abnahme seines Vermögens gerathen sey;

2) daß er den Gläubigern sein gesammtes Vermögen getreulich anzeige und überlasse;

3) daß er sich durch sein übriges Betragen des Schutzes und der Wohlthaten des Staats, so so wie des Mitleidens seiner Gläubiger, nicht unwürdig mache.

§. 5.

Schuldner also, welche durch übermäßigen, für sich selbst oder ihre Familie getriebenen Aufwand, durch offenbar unbesonnene und tollkühne Unternehmungen, oder gar durch begangene Uebelthaten, sich außer Zahlungsstand gesetzt haben, können auf diese Rechtswohlthat keinen Anspruch machen.

§. 6.

Eben so wenig kann dieselbe denjenigen zu Statten kommen, welche von ihrem Vermögen etwas verheimlicht, oder auf die Seite gebracht haben; oder welche durch Aufstellung erdichteter Gläubiger, und durch Kollusionen mit denselben, ihren wirklichen Gläubigern die ihnen dem Scheine nach cedirte Masse, ganz oder zum Theil, wieder zu entziehen suchen.

§. 7.

Unwürdig des Schutzes der Gesetze, und des Mitleidens ihrer Gläubiger sind diejenigen, welche

a) in den mit ihren Gläubigern geführten Specialprozessen der Strafen des frevelhaften Läugnens, nach der Vorschrift Tit. XXIII. § 51. u. f., durch Urtel und Recht schuldig befunden worden sind;

b) die sich den Ansprüchen der Gläubiger, und der ihnen sowohl, als dem Staate, von ihrem Betragen zu gebenden Rechenschaft, durch die Flucht entziehen wollen;

c) diejenigen, welche zu einer Zeit, wo ihnen der gänzliche Verfall ihrer Umstände schon


(978) Prozeßordn. Acht u. vierzigster Titel.

vollkommen bekannt gewesen, dennoch durch Kontrahirung neuer Schulden, durch Veräußerung ihrer Güter, durch Gratifikationen an einzelne Gläubiger, oder andere dergleichen Dispositionen, etwas zum Nachtheil ihrer gesammten Gläubiger, oder einiger davon, vorgenommen haben; gesetzt auch, daß dergleichen Unternehmen ohne den intendirten Erfolg geblieben sey.

Wenn jedoch ein im Großen handelnder Kaufmann, zu Wiederherstellung seiner Angelegenheiten, sich in eine Unternehmung eingelassen hat, von welcher er sich, nach dem Gutachten der Sachverständigen, einen glücklichen Erfolg vernünftiger Weise versprechen können, und diese Unternehmung ohne seine Schuld mißlingt; so soll dergleichen Zufall wider ihn als ein Grund, ihm die Wohlthat der Cession zu versagen, nicht angeführt werden können.

Anbringung des Gesuchs.

§. 8.

Wenn ein Gemeinschuldner sich nach vorstehenden Grundsätzen zu dieser Rechtswohlthat qualificiren will; so muß er sich bei seinem ordentlichen persönlichen Gerichtsstande melden; ein richtiges und genaues Verzeichniß seines Aktivvermögens sowohl, als seiner sämmtlichen Schulden, übergeben; seine erlittenen Unglücksfälle wenigstens überhaupt und summarisch anzeigen; und um Ernennung eines Deputirten zu seiner nähern Vernehmung bitten.

Aufnehmung desselben.

§. 9.

Dieser Deputirte muß zuvörderst den Gemeinschuldner zu einer genauern und bestimmtern Angabe seiner Unglücksfälle, und des daraus entstandenen Verlustes, anhalten; ihm die Mittel, wie er sie darthun könne, abfordern; diese von Amts wegen aufmerksam prüfen; den daraus, oder sonst aus seinen Erzählungen, sich etwa ergebenden Verdacht einer strafbaren Nachlässigkeit oder Unbesonnenheit ihm


(979) Cessio bonorum.

vorhalten, und vernehmen: wie und wodurch er denselben von sich abzulehnen im Stande sey.

§. 10.

Hiernächst muß er den übergebenen Statum bonorum mit ihm durchgehen, und ihn vernehmen: ob selbiger durchaus richtig und der wahren Lage der Sache gemäß sey, oder ob er etwa von seiner Aktivmasse etwas verheimlicht, oder Schulden verschwiegen, oder dergleichen unrichtig angegeben habe; wobei er zu bedeuten ist, daß er diesen Statum bonorum eidlich werde erhärten müssen; und daß er durch eine wissentlich darin begangene Unrichtigkeit sich alles Schutzes der Gesetze und alles Mitleidens seiner Gläubiger verlustig machen würde.

§. 11.

Das Cessionsgesuch kann auch durch einen Justizkommissarius, als Konsulenten und Bevollmächtigten des Gemeinschuldners, schriftlich angebracht werden; die folgenden Verhandlungen aber muß der Provokant in Person abwarten.

Verfügung darauf.

§. 12.

Das Cessionsgesuch muß, besonders wenn es durch einen Justizkommissarius angebracht worden ist, nach den jedesmal beizulegenden Manualakten, sorgfältig geprüft; und, wenn sich dabei ein Mangel der gesetzmäßigen Erfordernisse findet, durch ein bloßes Dekret sofort verworfen werden.

§. 13.

Wenn aber die Provokation gehörig begründet gefunden wird, dergestalt, daß der Gemeinschuldner ein ordentliches, mit keinem sichtbaren Mangel behaftetes Vermögensverzeichniß übergeben; sich zu dessen eidlicher Bestärkung erboten; die ihn betroffenen Unglücksfälle bestimmt angegeben, und wenigstens einigermaaßen bescheinigt hat; so soll, während der Instruktion der Sache, kein Personalarrest gegen ihn verhängt werden; sondern es steht den


(980) Prozeßordn. Acht u. vierzigster Titel.

Wechselgläubigern bloß frei, ihn inzwischen unter Observation setzen zu lassen.

§. 14.

Auch die Observation muß aufgehoben werden, wenn entweder der Gemeinschuldner für die Sicherheit seiner Person, bis zum Austrage der Sache, eine annehmliche Kaution durch Bürgen sofort bestellt; oder wenn der mehreste Theil der Gläubiger, welche sich zu den Akten schon gemeldet haben, darauf anträgt, und der Gemeinschuldner eidliche Kaution, sich vor Austrag der Sache nicht entfernen zu wollen, leisten will.

§. 15.

Was nun die auf das Cessionsgesuch zu treffende richterliche Verfügung anlangt, so muß dasselbe, sobald es angebracht worden ist, den sämmtlichen bekannten Gläubigern, die entweder am Orte sich befinden, oder Bevollmächtigte daselbst bei den Akten bestellt haben, vorläufig kommunicirt werden; und diesen steht frei, auf die Veschlagnehmung des angezeigten Vermögens, so wie auf förmliche Konkurseröffnung, sofort anzutragen.

§. 16.

Wenn hiernächst die Provokation gehörig instruirt ist, so muß ein möglichst naher Termin zur Erklärung der Gläubiger darüber, und zur Beibringung ihrer etwanigen Einwendungen, anberaumt werden.

§. 17.

Der Vorladung zu diesem Termine wird die Warnung beigefügt, daß die Außenbleibenden dafür, daß sie dem Gemeinschuldner die gesuchte Rechtswohlthat bewilligen, geachtet werden sollen.

Instruktion.

§. 18.

Im Termine muß der Schuldner den erschienenen Gläubigern, alle in seinen Händen befindliche Nachrichten über seinen Vermögenszustand, und die


(981) Cessio bonorum.

Beweismittel seiner Unglücksfälle vorlegen; sich zur eidlichen Bestärkung des übergebenen Status bonorum erbieten; auch dieselbe auf Erfordern wirklich leisten. Sodann aber, und wenn die Gläubiger die nöthigen Informationen eingezogen haben, muß der Instruent ihre Erklärung über das Cessionsgesuch, Mann für Mann, abfordern.

§. 19.

Sind sämmtliche Kreditoren darin einig, den Gemeinschuldner zu der gebetenen Rechtswohlthat zu verstatten, so muß das Protokoll sofort zum Spruche vorgelegt, und der Gemeinschuldner durch ein Urtel, auf den Grund dieses Einverständnisses, der Rechtswohlthat für genußbar erklärt werden.

§. 20.

Findet sich von Seiten der Gläubiger, oder auch nur Eines unter denselben, ein Widerspruch; so müssen dieselben angehalten werden, die Gründe dieses ihres Widerspruchs, welche nur aus dem behaupteten Mangel eines oder des andern der §. 4. u. f. festgesetzten legalen Erfordernisse hergenommen seyn können, näher und bestimmt anzugeben.

§. 21.

Die dabei vorkommenden Thatsachen müssen gehörig auseinander, und, so viel ohne Veranlassung großer Weitläufigkeiten und Kosten geschehen kann, ins Licht gesetzt; solchergestalt aber die Sache zum Definitiverkenntnisse ordnungsmäßig, und ohne Zulassung schriftlicher Deduktion, eingeleitet werden.

Erkenntniß.

§. 22.

Findet der Richter auf die vorgelegten Akten, daß der Provokant, entweder auf den Grund der Einwilligung sämmtlicher vorgeladener Gläubiger, oder wegen nachgewiesener gesetzmäßiger Erfordernisse, zur Cession zuzulassen sey, so bleibt die Publikation des Erkenntnisses so lange ausgesetzt, bis in dem eröffneten Konkurse der Konnotationstermin abgehalten


(982) Prozeßordn. Acht u. vierzigster Titel.

worden ist; und es hat inzwischen bei der nach §. 13. 14. Statt findenden Befreiung des Gemeinschuldners von Personalarrest und Observation sein Bewenden.

§. 23.

Nach abgehaltenem Konnotationstermine müssen denjenigen Gläubigern, welche sich dabei gemeldet haben, und bei den bisherigen Verhandlungen nicht zugezogen sind, diese Verhandlungen vorgelegt werden, um sich in einem besondern nahen Termine zu erklären: ob und was sie dabei noch zu erinnern oder beizusetzen finden.

§. 24.

Erst wenn dieser Termin abgehalten ist, wird mit Publikation des Erkenntnisses verfahren.

§. 25.

In Fällen, wo die Gläubiger, der vorhandenen Insufficienz ungeachtet, der Konkurseröffnung widersprechen, und diese, auf einen solchen Widerspruch, nach Vorschrift des Funfzigsten Titels unterbleiben muß, wird mit der Publikation des Erkenntnisses sogleich nach dessen Abfassung verfahren.

Remedia.

§. 26.

Wird durch das Erkenntniß der Gemeinschuldner zu der gesuchten Rechtswohlthat verstattet, so steht den Gläubigern dagegen die Appellation, jedoch nur ad effectum devolutivum, offen: dergestalt, daß während der Instruktion derselben, und bis in zweiter Instanz ein anderes erkannt ist, mit Personalarrest oder Observation gegen den Gemeinschuldner nicht verfahren werden kann.

§. 27.

Findet der Richter auf die nach §. 20. instruirten Akten, daß der Provokant zu der gesuchten Rechtswohlthat nicht zu lassen sey; so muß das Erkenntniß sofort, und ohne den Konnotationstermin abzuwarten, abgefaßt und publicirt werden.


(983) Cessio bonorum.

§. 28.

Gegen ein solches Erkenntniß steht dem Gemeinschuldner zwar die Appellation ebenfalls frei; Creditores aber können ihn während derselben in Personalarrest bringen lassen, in so fern er nicht für seine Person unverzüglich besondere Kaution durch annehmliche Bürgen bestellen kann.

§. 29.

Auch die dritte Instanz ist in allen Fällen, jedoch nur mit eben der Wirkung, wie die Appellation, zulässig.

Kosten.

§. 30.

Für die Instruktion können auf den Theil des Gemeinschuldners keine Kosten angesetzt werden. Diejenigen aber, welche auf den Theil der Gläubiger fallen, sind aus der Masse zu nehmen; in so fern sie nicht durch den in der Folge ungegründet befundenen Widerspruch einzelner Kreditoren verursacht worden sind, und also diesen zur Last fallen.

§. 31.

Der Einwand der Cession gehört zu denjenigen Exceptionen, deren im Voraus geschehene Entsagung unwirksam ist.

Wirkung der Cession.

§. 32.

Wenn der Schuldner zur Wohlthat der Cession einmal gelassen worden ist, so kommt ihm selbige gegen alle seine Gläubiger, auch gegen diejenigen, welche Wechselforderungen an ihn gehabt, und sie ganz oder zum Theil im Konkurs verloren haben, zu Statten; allermaaßen dergleichen Gläubigern nicht zugelassen werden kann, das Schicksal eines solchen durch Unglücksfälle verarmten Schuldners mit fruchtlosen Personalexekutionen, aus bloßer Rache, noch mehr zu erschweren.

§. 33.

Wenn jedoch nach seiner Zulassung zu dieser Rechtswohlthat neue Umstände zum Vorschein kommen,


(984) Prozeßordn. Acht u. vierzigster Titel.

woraus ein unredliches Betragen gegen seine Kreditoren erhellet; so sind diese Letzteren befugt, auf nähere Untersuchung deshalb, und auf Erkenntniß zur Wiederaufhebung der solchergestalt bloß erschlichenen Rechtswohlthat, anzutragen.

§. 34.

Gegen neue Schulden, die er erst nach geschehener Cession kontrahirt hat, kann sich der Schuldner durch diese gegen seine vorigen Kreditoren erlangte Rechtswohlthat nicht schützen.

§. 35.

Vielmehr muß er sich gegen solche neue Gläubiger zu der Cession, wenn er sich damit fortzukommen getraut, aufs neue qualificiren.

§. 36.

Wenn die Erben eines alten Gläubigers die Forderung gegen den Schuldner ausklagen, und dieser bei der Instruktion auf seine gegen den Erblasser erhaltene Zulassung zur Cession sich nicht bezogen hat; so kann er von diesem Einwande in der Exekution nur in so fern Gebrauch machen, als er denselben nach Maaßgabe §. 35. einen neuen Gläubiger entgegen setzen kann.

Was Rechtens, wenn der Schuldner ad meliorem fortunam gelangt.

§. 37.

Dagegen wird ein Schuldner dadurch, daß er zu der Rechtswohlthat der Cession gelassen worden ist, von der Verbindlichkeit nicht befreit, seinen vorigen Gläubigern den Ausfall, welchen sie im Konkurs erlitten haben, sobald er wiederum in bessere Vermögensumstände gelangt, nachzuzahlen.

§. 38.

Es kommt ihm jedoch alsdann gegen solche Kreditoren die Rechtswohlthat der Kompetenz zu Statten, von welcher im folgenden Titel näher gehandelt werden soll.


(985) Cessio bonorum.

§. 39.

Auch versteht sich dergleichen Nachzahlung nur von dem Kapital, und den zur Zeit der Cession rückständigen Zinsen. Auf die Zwischenzeit können die Gläubiger fernere Zinsen von den nachzuzahlenden Quantis nur in so fern fordern, als nach Abzug sämmtlicher nachzuzahlenden Posten, und der dem Schuldner gebührenden Kompetenz, noch etwas dazu von dem neu erworbenen Vermögen übrig bleibt.

§. 40.

Gegen diese Nachzahlungsverbindlichkeit kann sich der Schuldner selbst damit nicht schützen, daß er noch andere Gläubiger habe, denen er vorzüglich Zahlung leisten müsse; sondern es bleibt die Sache dieser anderweitigen Gläubiger, ihre Rechte selbst wahrzunehmen, und sich allenfalls bei der Exekution als Intervenienten zu melden.

§. 41.

Wenn aber dadurch, oder durch die eigene Insolvenzerklärung des Gemeinschuldners, ein nochmaliger Konkurs über sein neues Vermögen entsteht; so müssen die alten und neuen Gläubiger in diesem neuen Konkurse wiederum gesetzlich klassificirt werden; und können die ersteren bloß um deßwillen, weil sie schon bei dem ersten Konkurse sich gemeldet, und Ausfälle erlitten haben, vor den neuen Gläubigern kein Vorzugsrecht verlangen.

§. 42.

Gläubiger, welche Nachzahlung von dem Gemeinschuldner aus dem Grunde, daß derselbe zu besseren Vermögensumständen gekommen sey, verlangen, müssen dem Richter wenigstens wahrscheinliche Data, woraus die Richtigkeit dieser ihrer Angabe entnommen werden kann, vorlegen. Der Richter muß alsdann den Gemeinschuldner ordnungsmäßig darüber hören, und nach instruirter Sache, sowohl über die Schuldigkeit nachzuzahlen überhaupt, als


(986) Prozeßordn. Acht u. vierzigster Titel.

über das Quantum, mit Vorbehalt der gewöhnlichen Rechtsmittel, erkennen.

§. 43.

Es steht bei dieser Instruktion den Gläubigern frei, von ihrem Schuldner entweder die Vorlegung seines gegenwärtigen Status bonorum, oder doch den Manifestationseid dahin:

daß er sich nicht in den Umständen befinde, seinen Kreditoren die im Konkurs eingebüßten Summen ganz oder zum Theil nachzahlen zu können,

abzufordern; und der Richter muß den Schuldner dazu, sobald der Antrag nach §. 42. begründet ist, anhalten.

§. 44.

In allen Fällen soll jedoch ein solcher Schuldner mit den geforderten Nachzahlungen nicht übereilt, sondern ihm sollen dazu billige Termine, durch richterliche Vermittelung, oder Erkenntniß, verschafft werden.

§. 45.

Schuldner, welche sich nach gegenwärtigen Vorschriften zur Cession nicht qualificiren können, bleiben nicht nur für ihre Personen ihren Gläubigern, dem Grundsatze des §. 2. zufolge, nach wie vor verhaftet; sondern es muß ihnen auch, als muthwilligen Bankerutirern, der Kriminalprozeß gemacht werden. Von diesem letztern soll es sie auch nicht befreien, wenn sie bloß aus Gutwilligkeit ihrer Gläubiger, ohne gesetzmäßige Qualifikation, zu dieser Rechtswohlthat gelassen worden sind.

Von Cessionsgesuchen gegen einzelne Gläubiger

§. 46.

In der Regel werden zwar Cessionsgesuche gegen sämmtliche Gläubiger eines Gemeinschuldners angebracht. Es können aber auch Fälle vorkommen, wo ein in Zahlungsunvermögen gerathener Schuldner nöthig findet, sich auch gegen einen einzelnen Gläubiger, von dem er gedrängt wird, zu dieser


(987) Cessio bonorum.

Rechtswohlthat zu qualificiren; weil er entweder dadurch den Personalarrest ganz zu vermeiden hofft, oder sich daraus, nach Vorschrift Titel XXIV. §. 147., nicht anders, als auf diesem Wege, befreien kann.

§. 47.

Auch in einem solchen Falle finden wegen der Erfordernisse eines solchen Gesuchs, wegen dessen Aufnehmung, der darauf zu treffenden Verfügungen, und der Instruktion selbst, die Vorschriften §. 4-21. bloß mit denjenigen Modifikationen Statt, welche sich daraus, daß es der Provokant hier nur mit einem einzelnen Gläubiger zu thun hat, von selbst ergeben.

§. 48.

Ist der Schuldner gegen einen solchen Gläubiger, nicht bloß vermöge der Einwilligung desselben, sondern nach gehörig untersuchter Sache, durch richterliches Erkenntniß für qualificirt erklärt worden; so kommt ihm dieses Erkenntniß auch gegen andere nachher in ihn dringende Gläubiger so lange zu Statten, als diese nicht nachweisen können, daß entweder die Umstände sich verändert haben, oder daß bei der vorigen Instruktion etwas, so auf die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Rechtswohlthat erheblichen Einfluß haben könnte, von dem Schuldner verschwiegen, oder von dem Richter übersehen worden ist.

§. 49.

Hingegen kann der Schuldner von einem solchen Erkenntnisse gegen neue Gläubiger, denen er erst später verhaftet worden ist, keinen Gebrauch machen.


(988)

Neun und vierzigster Titel.

Von Behandlung der Gläubiger, und von der Rechtswohlthat der Kompetenz.

Was Verhandlungen sind.

§. 1.

Gemeinschuldner, welche zu der traurigen Rechtswohlthat der Cession ihre Zuflucht nehmen, pflegen sich gemeiniglich auf das Mitleiden ihrer Gläubiger zu berufen, und denselben Vorschläge zu machen, wie sie, durch Nachlaß eines Theils ihrer Forderungen, sie zur Bezahlung des Ueberrests in Stand setzen, und dadurch dem Ausbruche eines Konkurses vorbeugen; oder doch durch Aussetzung eines gewissen Quanti aus der Masse, oder durch Ueberlassung eines Theils derselben, ihnen den nothdürftigen Unterhalt, oder die Mittel, ihren verfallenen Umständen wieder aufzuhelfen, verschaffen sollen.

Privatverhandlungen.

§. 2.

Einem jeden Schuldner ist unverwehrt, seinen Gläubigern solche Behandlungsvorschläge außergerichtlich zu thun, und sich darüber mit ihnen zu vereinigen.

Gerichtliche.

§. 3.

Wenn er aber, in Entstehung eines solchen Privatabkommens, seine Vorschläge gerichtlich bei der Provokation auf die Cession anbringt; und der Deputirte des Kollegii findet, daß der Gemeinschuldner wirklich durch Unglücksfälle, und ohne sein Verschulden, in seine gegenwärtigen verlegenen Umstände gerathen sey; auch daß die von ihm gemachten Vorschläge weder übertrieben, noch sonst unbillig sind: so muß er alle Mühe anwenden, durch Vorstellung der mitleidenswürdigen Umstände des Schuldners, und durch Vorhaltung der Gründe, welche Menschenliebe und Religion an die Hand geben, die Kreditoren zur Annehmung dieser Vorschläge zu vermögen,


(989) Beneficium competentiae.

und solchergestalt dem Gemeinschuldner die gesuchte Erleichterung seines widrigen Schicksals zu verschaffen.

§. 4.

Es muß jedoch durch diese Unterhandlungen der Lauf der Sache, und die gesetzmäßige Regulirung des Schuldenwesens selbst, wider Willen der Gläubiger, nicht aufgehalten werden.

§. 5.

Auch soll kein Gläubiger genöthigt werden, solchen Vergleichsvorschlägen eines zum Konkurs qualificirten Schuldners wider seinen Willen Gehör zu geben, welche bloß dahin abzielen, daß er demselben an seiner Forderung etwas erlassen; dem wohlerworbenen Rechte, sich deshalb an das gegenwärtige bereite Vermögen des Schuldners zu halten, entsagen; sich mit Bezahlung der offerirten Procente auf eine oft ungewisse Zukunft verweisen lassen; und solchergestalt mit seinem eigenen, noch größern Verluste, den Vortheil des Schuldners befördern solle; allermaßen zu Handlungen des Mitleidens und der Freigebigkeit niemand, weder durch bürgerliche Gesetze, noch durch das Beispiel Anderer, gezwungen werden kann.

§. 6.

In wie fern hingegen bei Vorschlägen, welche dahin abzielen, den Konkurs abzukürzen, den Gläubigern zu ihrer Befriedigung, so weit selbige nach Beschaffenheit der Masse möglich ist, früher und mit geringeren Kosten zu verhelfen; solchergestalt aber das gemeinschaftliche Interesse derselben zu befördern, der eine oder der andere dissentirende Kreditor den Erklärungen und Beschlüssen der übrigen beizutreten schuldig sey, wird im folgenden Titel §. 595. u. f. bestimmt werden.


(990) Prozeßordn. Neun u. vierzigster Titel.

Verfahren dabei.

§. 7.

Wenn dergleichen Vorschläge von einem Dritten, welcher sich des Gemeinschuldners annimmt, noch vor eröffnetem Konkurse geschehen; so kommt es darauf an:

ob sämmtliche bekannte Gläubiger dieselben annehmen wollen; oder ob einige derselben widersprechen, und auf der Eröffnung des Konkurses bestehen.

§. 8.

Wenn sämmtliche Gläubiger über die Annahme der Behandlungsvorschläge einig sind, so hat es dabei lediglich sein Bewenden, und der Richter ist mit der Konkurseröffnung von Amts wegen zu verfahren nicht berechtigt.

§. 9.

Wenn aber unter den Gläubigern ein Widerspruch sich findet; so muß der Konkurs eröffnet, und die widersprechenden Gläubiger können, zur Einlassung auf die Verhandlungsvorschläge, nicht eher angehalten, noch das Verfahren über ihre Verbindlichkeit zum Beitritte eher eröffnet werden, als bis im Konkurse das Präklusionsurtel ergangen, und dadurch ausgemittelt ist, welche und wie viele Kreditoren eigentlich zur Masse gehören.

§. 10.

Hiervon findet allein eine Ausnahme Statt, wenn der Gemeinschuldner unter die Klasse derjenigen gehört, die außer dem Orte, oder der Provinz, in welcher sie wohnen, kein Verkehr zu treiben pflegen; und also kein Grund zur Vermuthung vorhanden ist, daß er außer den bekannten Gläubigern noch andere habe, die erst durch die Ediktalcitation herbei gebracht werden könnten; übrigens aber ein solcher Schuldner zur eidlichen Erhärtung, daß er alle seine Gläubiger richtig angezeigt habe, sich erbietet.


(991) Beneficium competentiae.

§. 11.

In einem solchen Falle muß der Richter die förmliche Konkurseröffnung aussetzen, und nur wegen Beschlagnehmung und Sicherung der vorhandenen Aktivmasse die nöthigen Verfügungen treffen; übrigens aber das Verfahren über die Behandlungsvorschläge, und über die Verbindlichkeit der widersprechenden Gläubiger, den Einwilligenden beizutreten, nach Vorschrift Tit. L.. §. 595. u. f. gehörig einleiten.

§. 12.

Werden die Widersprechenden zum Beitritte rechtskräftig verurtheilt, so hat es bei dem Inhalte des Vergleichs sein Bewenden, und es wird, wegen Aufhebung des Beschlags der Masse, und sonst überall, das Erforderliche nach dem Inhalte desselben verfügt. Werden aber die Behandlungsvorschläge verworfen, so muß in eben dem Urtel, worin dieses geschieht, zugleich auf Eröffnung des Konkurses erkannt werden.

§. 13.

In allen Fällen, wo ein bevorstehender Konkurs durch Vergleich, es sey gerichtlich oder außergerichtlich, beigelegt wird, muß der Gemeinschuldner, wenn er in der Folge zu besseren Vermögensumständen gelangt, seinen Gläubigern die von selbigen ihm erlassenen Summen nachzahlen (Tit. XLVIII. §. 37. u. f.), in so fern nicht das Gegentheil ausdrücklich verabredet worden ist.

Von der Kompetenz

§. 14.

Es giebt einige Personen, denen, vermöge eines besondern Verhältnisses zwischen ihnen und dem Gemeinschuldner, eine vollkommene Verbindlichkeit obliegt, demselben bei Eintreibung ihrer Forderungen so viel zurück zu lassen, als er zu seinem Unterhalte nöthig hat. In Rücksicht auf dergleichen besonderes und genaueres Verhältnis machen die Gesetze dasjenige, was bei anderen nur eine freiwillige


(992) Prozeßordn. Neun u. vierzigster Titel.

Wirkung des Mitleidens seyn kann, diesen Personen zur Zwangspflicht; und gestatten dem Gemeinschuldner, auf die Rechtswohlthat der Kompetenz wider sie zu provociren.

Was darunter begriffen sey.

§. 15.

Zu dieser Kompetenz sind die nothdürftige Kost, Wohnung, Kleidung und Gerätschaft für den Gemeinschuldner und seine Familie zu rechnen.

Personen, die zur Aussetzung der Kompetenz verpflichtet sind.

§. 16.

Die Personen, welche dem Gemeinschuldner dergleichen Kompetenz auszusetzen verbunden, sind:

1) Verwandte in auf- und absteigender Linie unter einander, worunter also Stiefeltern und Stiefkinder nicht gehören.

2) Schwiegerkinder gegen Schwiegereltern, in Ansehung der versprochenen Mitgabe.

3) Geschwister unter einander; sie mögen voll- oder halbbürtige Geschwister seyn.

4) Eheleute unter einander, wegen desjenigen, so einer dem andern vor oder während der Ehe schuldig geworden; und zwar ohne Unterschied: ob die Ehe noch besteht, oder getrennt ist. Doch kann derjenige Theil, welcher bei der Aufhebung des Ehebandes für den schuldigen erklärt worden, gegen den unschuldigen Theil auf die Kompetenz nicht antragen; auch findet dieselbe wegen Schulden, die unter gewesenen Eheleuten nach bereits aufgehobener Ehe kontrahirt worden sind, nicht Statt. Sind beide Theile bei Trennung der Ehe für schuldig erklärt, so bleiben sie einander zur Kompetenz verpflichtet.

5) Handlungsgenossen unter einander, in so fern die Forderung des Gläubigers aus der vorgewesenen Societät entspringt.

6) Derjenige, welcher aus einer gültigen Schenkung etwas zu fordern hat.

7) Diejenigen Gläubiger, welche den wider sie zur Cession bereits einmal zugelassenen Schuldner,


(993) Beneficium competentiae.

wegen des Ausfalls ihrer Forderungen, wenn derselbe zu besseren Vermögensumständen gelangt ist, anderweit in Anspruch nehmen.

Fälle, wo die Kompetenz nicht gegeben werden darf.

§. 17.

Gläubiger, welche zu einer von diesen Klassen gehören, so wie diejenigen, welche als Erben, Cessionarii, oder auf andere Art an ihre Stelle treten, können sich nicht entbrechen, dem Gemeinschuldner, wenn er sich zur Cession gehörig qualificirt hat, von dem auf sich kommenden Theile der Masse die gebetene Kompetenz zu lassen, oder auszusetzen. Es wäre denn,

daß er noch Kräfte, Mittel und Gelegenheit hätte, sich auf eine seinem Stande gemäße Art seinen Unterhalt selbst zu erwerben; oder,

b) wenn es dem Gläubiger, falls er dem Schuldner etwas zu seiner Kompetenz aussetzen müßte, an dem nöthigen Unterhalte selbst gebrechen würde; oder,

c) daß der Schuldner gegen einen solchen Gläubiger der Rechtswohlthat der Kompetenz ausdrücklich entsagt hätte.

Verfahren über die Aussetzung der Kompetenz.

§. 18.

Wenn dergleichen nach §. 16. zur Kompetenz verbundene Gläubiger sich dazu entweder gar nicht verstehen wollen, oder über das Quantum derselben sich mit dem Schuldner in Güte nicht vereinigen können; so müssen beide Theile mit ihren Gründen und Anführungen zum Protokolle gehört, und sodann rechtlich darüber erkannt; auch, wenn die Befugniß an sich klar ist, das Quantum, mit billiger Rücksicht auf den Stand, das Alter und die Familie des Schuldners; auf das eigene Bedürfniß des Gläubigers, und auf den Betrag desjenigen, was derselbe aus der Masse davon tragen wird, von dem Richter ermessen werden.


(994) Prozeßordn. Neun u. vierzigster Titel.

§. 19.

Gegen dergleichen Erkenntniß sollen beiden Theilen die gewöhnlichen Rechtsmittel, jedoch nur ad effectum devolutium, offen stehen.

§. 20.

Das solchergestalt gütlich oder rechtlich ausgemittelte Kompetenzquantum soll, wenn mehrere Gläubiger, welche dazu beitragen müssen, vorhanden sind, auf das, was ein jeder von ihnen aus dem Konkurse zu empfangen hat, verhältnißmäßig repartirt; und von sothanen Hebungen ein solches Kapital zurück behalten und zinsbar untergebracht werden, als erforderlich ist, um von diesen Zinsen dem Gemeinschuldner das gebührende Kompetenzquantum zu verschaffen.

§. 21.

Hieraus ergiebt sich, daß die Kompetenz nicht eher bestimmt werden könne, als bis feststeht: ob, und mit wie viel der dazu Verpflichtete zur Hebung bei der Masse gelangen werde. Es sind also auch die Gläubiger sich mit dem Gemeinschuldner in ein Verfahren über die Kompetenz eher nicht einzulassen schuldig, als bis wenigstens im Allgemeinen übersehen werden kann, daß die Masse bis auf sie hinreichen werde.

Wann die Kompetenz aufhöre.

§. 22.

Hört die dem Gemeinschuldner ausgesetzte Kompetenz auf, so fällt das zu deren Behuf nach §. 20. zurück behaltene Kapital an die Gläubiger nach Verhältnis ihres Beitrags zurück.

§. 23.

Die Kompetenz kann aufhören, entweder durch den Tod des Gemeinschuldners; oder dadurch, daß er in eine solche Lage kommt, wo er derselben zu seinem Unterhalte ganz oder zum Theil nicht mehr benöthigt ist; oder wenn er, in dem Falle des §. 33.


(995) Beneficium competentiae.

im vorigen Titel, des schon erlangten Beneficii der Cession wiederum verlustig erklärt wird.

§. 24.

Wenn der Gläubiger, welcher die Kompetenz hat aussetzen müssen, nach der Hand selbst in einen solchen Verfall seiner Umstände geräth, daß er der ausgesetzten Summe zu seinem eigenen Unterhalte benöthigt ist; so kann er auf die Wiedereinziehung und Verabfolgung derselben antragen.

$. 25.

Alsdann muß jedoch der dadurch in der Kompetenz des Gemeinschuldners entstehende Ausfall von den übrigen zu seinem Unterhalte verpflichteten Gläubigern in so fern übertragen werden, als das Kompetenzquantum, vom Anfange an, nach dem wirklichen Bedürfnisse des Schuldners bestimmt, und nicht etwa darum, weil mehrere Gläubiger zu selbigem beizutragen hatten, reichlicher ausgemessen worden ist.

§. 26.

Ueber die Frage: ob die Kompetenz aufzuheben sey? muß den Parteien, auf Verlangen, rechtliches Gehör im ordentlichen Wege des Prozesses gestattet werden.

Von der Kompetenz solcher Gemeinschuldner deren Vermögen in Besoldungen, Renten (et)c. besteht.

§. 27.

Wenn ein Gemeinschuldner in einer Militair-, Civil- oder geistlichen Bedienung steht; oder eine Präbende, oder gewisse jährliche Hebungen und Einkünfte, die an seine Lebenszeit gebunden sind, zu genießen hat: so können diejenigen Kreditoren, welche ihrer Befriedigung halber an diese Revenüen gewiesen sind, sich nicht entbrechen, dem Gemeinschuldner davon eine Kompetenz auszusetzen; da ihr eigenes Interesse erfordert, daß der Schuldner am Leben bleibe, und sie also auch für seinen nothdürftigen Unterhalt sorgen müssen.


(996) Prozeßordn. Neun u. vierzigster Titel.

§. 28.

Dabei wird jedoch voraus gesetzt, daß der Schuldner kein anderweitiges Vermögen besitze, und nach seinem Alter, Geschlechte, Stande und übrigen Verhältnissen sich sein Brod nicht auf andere Art verdienen könne.

§. 29.

Wenn also der Gemeinschuldner eine Besoldung oder Pension hat, die entweder gar nicht, oder doch nur bis zur Hälfte in Beschlag genommen und zur Masse gezogen werden kann; so kann er die Aussetzung einer Kompetenz, noch außerdem, nicht fordern.

§. 30.

Dagegen muß einer Wittwe, die aus ihrer Ehestiftung Leibgedinge, Witthum oder Alimente zu fordern hat, auch von ihren eigenen Gläubigern eine Kompetenz gelassen werden.

§. 31.

Da bei dieser Art der Kompetenz (§. 27. u. f.) nicht sowohl Rücksicht auf den Gemeinschuldner, als vielmehr das eigene Interesse der Gläubiger zum Grunde liegt; so kann dieselbe auch solchen Schuldnern, die sich zur Rechtswohlthat der Session nicht qualificirt haben, nicht versagt werden.

§. 32.

Diese Kompetenz (§. 27.) muß auf Ansuchen des Gemeinschuldners, sogleich nach eröffnetem Konkurse, zwischen ihm und dem Kurator der Masse regulirt werden; und diejenigen Kreditoren, welche hiernächst, bei Vertheilung der Masse, auf die Hebung, aus welcher die Kompetenz zu entrichten ist, angewiesen werden, müssen sich diese Regulirung gefallen lassen.

§. 33.

Wenn Streit entsteht: wie viel dem Gemeinschuldner an Kompetenz auszusetzen sey? so muß


(997) Beneficium competentiae.

zuvörderst der Betrag von den Einkünften des Amtes (worunter auch die damit verbundenen Emolumente oder Accidenzien gehören, welche der Gemeinschuldner, allenfalls nach einem mehrjährigen Durchschnitte, eidlich angeben muß), ingleichen von der Präbende oder anderen jäbrlichen Hebungen, so genau, als es nach den Umständen der Sache, ohne große Weitläufigkeiten und Kosten zu verursachen, möglich ist, ausgemittelt; und sodann nach obiger Vorschrift §. 18. und 19. weiter verfahren werden.

§. 34.

Wenn das Kompetenzquantum feststeht, so muß das Gericht dafür sorgen, daß die Kasse, der Administrator oder Empfänger, welcher das Salarium oder die jährliche Hebung zu entrichten hat, davon benachrichtigt, und mit der gehörigen Anweisung versehen werde.

Funfzigster Titel.

Von Konkursen, und wie dabei zu verfahren.

Begriff.

§. 1.

Wenn das gesammte Vermögen eines Schuldners, welcher seinen Gläubigern nicht mehr vollständige Befriedigung leisten kann, auf das Andringen derselben in gerichtlichen Beschlag genommen wird, um daraus, so weit es hinreicht, diese Forderungen nach der in den Gesetzen bestimmten Ordnung zu befriedigen; so entsteht alsdann ein Konkurs.

Erfordernisse der Konkurseröffnung.

§. 2.

Die Eröffnung eines Konkurses setzt also ein Unvermögen des Gemeinschuldners, seine Gläubiger vollständig zu befriedigen, und ein Andringen der Gläubiger auf den gerichtlichen Beschlag seiner gesammten Habseligkeiten, voraus.


(998) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

§. 3.

Wenn also mit Eröffnung eines Konkurses verfahren werden soll, so muß zuvörderst das Unvermögen des Schuldners, seinen sämmtlichen Gläubigern vollständige Befriedigung zu leisten, hinlänglich erhellen. Dieses Unvermögen ist entweder klar und notorisch, oder es bedarf darüber noch eines besondern Nachweises.

Fälle, wenn der Konkurs wegen notorischer Insuffizienz ex officio eröffnet wird

§. 4.

Klar und notorisch ist das Unvermögen:

1) wenn der Schuldner dieses sein Unvermögen selbst anzeigt, sich zur Abtretung seiner Güter an seine Gläubiger erbietet, und zu der Rechtswohlthat der Cession gelassen zu werden verlangt;

2) wenn der hinterlassene Erbe eines Gemeinschuldners der Erbschaft entsagt, und diese Entsagung nicht ausdrücklich zu Gunsten des auf ihn folgenden Erben geschieht (A. L.
R. Th. I. Tit. IX. §.410.);

3) wenn die Erben eines verstorbenen Schuldners, ihrer Existenz oder ihrem Aufenthalte nach, unbekannt sind, und aus dem durch den Verlassenschaftskurator aufgenommenen Inventario die Unzulänglichkeit des Vermögens zu Bezahlung der Schulden klar hervorgeht (Allgem. Landrecht a. a. O. §. 465-481.);

4) wenn der Gemeinschuldner sich entfernt hat, ohne jemanden mit der nöthigen Vollmacht und Anweisung zur Besorgung seiner Angelegenheiten zurück zu lassen, und bei
einem im Wege der Exekution auf sein Vermögen ausgebrachten Beschlage sich ergiebt, daß dasselbe zur Befriedigung der auf ihn andringenden Gläubiger nicht hinreichend sey.

In diesen vier Fällen muß der Richter den Konkurs ohne weitern Anstand eröffnen, so bald auch


(999) Konkurs.

nur ein einziger Gläubiger darauf anträgt. Auch ist er, selbst ohne dergleichen Antrag, und von Amts wegen, zur Konkurseröffnung zu schreiten verpflichtet, wenn der Gemeinschuldner ein Kaufmann ist, oder ein Gewerbe getrieben hat, welches ihn mit auswärtigen Gläubigern, außerhalb seines gewöhnlichen Wohnorts, wahrscheinlicher Weise in Verbindung gesetzt haben kann.

Anh. §. 311. Bei solchen Kaufleuten, bei denen nicht zu vermuthen ist, daß sie mit auswärtigen Gläubigern in Verbindung gestanden haben, findet die Konkurseröffnung von Amts wegen nicht Statt.

Anh. §. 312. Wenn sich bei einem Nachlasse eine offenbare Insufficienz ergiebt, die Erbschaft ist aber von dem Erben unter der Rechtswohlthat des Inventarii angetreten worden; so findet die Konkurseröffnung von Amts wegen auch in den Fällen nicht Statt, in welchen sie nach §. 4. erfolgen muß. (Vergl. §. 64. Tit. Th. I.)

Anh. §. 313. In jeder Konkurssache muß der Decernent prüfen und dem Kollegio darüber Vortrag halten, ob Gründe zur Eröffnung der Untersuchung wegen Bankeruts vorhanden sind. Wie solches geschehen, ist zu den Akten zu verzeichnen.

Anh. §. 314. Die scheinbare Sufficienz in dem Jnventario eines den Gläubigern cedirten Vermögens schließt die Konkurseröffnung, wenn die sonstigen Erfordernisse vorhanden sind, nicht aus. Vielmehr kommt es auf den wahren Werth der darin aufgeführten Gegenstände und darauf an, ob der Eigenthümer im Stande ist, seine sämmtlichen Gläubiger zu befriedigen.

Ausnahmen

§. 5.

Als Ausnahme von dieser Regel ist zu betrachten, und der Richter kann die förmliche Konkurseröffnung auch in den §. 4. bestimmten vier Fällen unterlassen:

a) wenn das vorhandene Vermögen oder der Nachlaß so unbeträchtlich ist, daß höchstens nur die zur zweiten Klasse, nach der Prioritätsordnung, gehörenden Gläubiger daraus bezahlt werden können; z. B. wenn die Masse nur aus Mobilien besteht, die insgesammt, allenfalls bis auf unbedeutende, zum täglichen Gebrauche des


(1000) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Gemeinschuldners bestimmt gewesene Stücke, zum handhabenden Pfande versetzt sind, und aus deren Verkaufe, nach Befriedigung der Pfandgläubiger, entweder gar kein Ueberschuß, oder höchstens nur ein solcher, der für die zweite Klasse hinreichen dürfte, zu hoffen ist;

Anh. §. 315. Auch in dem Falle, wenn Gläubiger der vier letzten Klassen zum Theil befriedigt werden können, die Masse aber so unbedeutend ist, daß selbige, wenn der Konkurs eröffnet würde, den Gläubigern durch die Kosten entzogen werden würde, kann die förmliche Konkurseröffnung unterbleiben.

b) wenn zwar auch Grundstücke zur Masse gehören, die aber mit gerichtlich versicherten Schulden auf mehr, als zwei Drittel des eingetragenen Werths, belastet sind; also, daß auch hier entweder gar kein Ueberschuß nach Befriedigung der eingetragenen Gläubiger, oder höchstens nur ein solcher zu erwarten ist, aus welchem die mit Pfändern nicht gedeckten Forderungen der zweiten Klasse berichtigt werden könnten;

c) wenn sämmtliche bekannte Gläubiger darüber einig sind, daß die Konkurseröffnung unterbleiben solle; und der Gemeinschuldner entweder zu den Bewohnern des platten Landes gehört, und gar nicht, oder doch nur mit einer kleinen Stelle, von höchstens 300 Rthlr. am Werthe, angesessen war; auch übrigens gar kein Gewerbe, oder doch nur ein solches, wozu in der Regel kein auswärtiger Kredit erforderlich ist, betrieben hat;

oder, wenn er zu den kleineren städtischen Besitzern, deren Possessionen nicht über 500 Rthlr. am Werthe betragen, oder zu den gemeinen Handwerkern und Professionisten gehört; auch er, in beiden Fällen, entweder gar kein, oder doch kein solches Gewerbe, welches auswärtigen Kredit erfordert, getrieben hat.


(1001) Konkurs.

§. 6.

Im ersten und zweiten Falle (§. 5. a. b.) wird mit Versilberung der vorhandenen geringen Masse verfahren, und dieselbe unter die vorhandenen privilegirten Gläubiger, die ihre Forderungen gehörig bescheinigt haben, ohne alle weitere Förmlichkeiten, so weit sie hinreicht, vertheilt. Besteht die Masse aus Grundstücken, so wird bloß die Subhastation derselben verfügt, und die Eröffnung des Konkursprozesses bleibt ausgesetzt, bis sich ergiebt: ob nach Befriedigung der eingetragenen Gläubiger noch ein Ueberschuß für die nicht zur zweiten Klasse, gehörenden Personalkreditoren vorhanden sey.

Anh. §. 316. In den §. 5. von a-c. bezeichneten Fällen müssen, wenn nicht Ediktalien ergangen sind, den unbekannten Gläubigern ihre Rechte vorbehalten, die bekannten aber sub poena praeclusi vorgeladen und die ungehorsam Ausbleibenden namentlich präkludirt werden.

§. 7.

Im dritten Falle (§. 5. c.) geschieht ebenfalls die Versilberung der Masse, nach den Vorschriften der Exekutionsordnung, und des folgenden dritten Abschnitts im gegenwärtigen Titel. Die Vertheilung der Masse erfolgt unter die vorhandenen bekannten Gläubiger nach der Ordnung, worüber sie sich entweder unter einander vereinigen, oder die in dessen Entstehung durch ein Prioritätsurtel festgesetzt worden. Doch muß vor dieser Vertheilung, und vier Wochen vorher, ehe dieselbe wirklich erfolgt, durch öffentlichen Anschlag in den Gerichten des Orts, und einmalige Einrückung in den Zeitungen der Provinz, die bevorstehende Distribution bekannt gemacht; hiernächst aber auch den Gläubigern, welche zur Hebung gelangen, ausdrücklich angedeutet werden: daß, wenn in der Folge unbekannte Gläubiger, welche zur Zeit des ausgebrochenen Unvermögens des Gemeinschuldners, ein Vorrecht vor ihnen auf die damals vorhandene Masse gehabt haben würden, sich


(1002) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

melden sollten, sie denenselben, nach Verhältniß des Erhobenen, würden gerecht werden müssen.

§. 8.

Wenn nach dem Tode eines Ehegatten der andere in dem Besitze des von demselben zurück gelassenen Vermögens bleibt; so ist, wenn auch die Erben des Verstorbenen, wegen Unzulänglichkeit des Nachlasses, der Erbschaft entsagen, der Richter dennoch weder schuldig noch befugt, mit der Konkurseröffnung von Amts wegen zu verfahren; sondern er muß abwarten, bis darauf entweder von Seiten des überlebenden Ehegatten, oder auch eines Gläubigers des Verstorbenen, angetragen wird.

Anh. §. 317. Hat außer den Erben des Verstorbenen auch der hinterbliebene Ehegatte der Erbschaft entsagt, und ist der Ehegatte dessen ungeachtet im Besitz des Nachlasses geblieben; so findet zwar eine Konkurseröffnung von Amts wegen nicht Statt; der Richter muß aber eine Specifikation des Nachlasses und die Angabe der noch unbefriedigten Gläubiger erfordern, Letztere vorladen, und mit ihnen die Verthcilung des Nachlasses, und besonders die Einziehung der etwa dazu gehörigen Activorum, reguliren.

Fälle, wo die Konkurseröffnung nur auf Antrag der Gläubiger erfolgen kann.

§. 9.

Wenn keiner der §. 4. bestimmten vier Fälle vorhanden ist, so muß der Richter den Konkurs niemals von Amts wegen eröffnen. Wenn er aber aus den aktenmäßigen schlechten Vermögenszustande des Schuldners Grund hat, zu vermuthen, daß die mit Exekution auf ihn andringenden Kreditoren mit der Provokation auf Konkurs vorsätzlich, und zur Gefährdung der übrigen Gläubiger desselben, zurück halten; so soll er diesen von der Lage der Sache Nachricht geben; auch einen Termin anberaumen, in welchem die Gläubiger sich über die ihnen geschehene Bekanntmachung, und etwa nöthige fernere Einleitung der Sache, zu erklären haben.

§. 10.

Eine gleiche Befugniß steht dem Richter alsdann zu, wenn er findet, daß durch längern Aufenthalt


(1003) Konkurs.

der Sache Verwirrungen und Verdunkelungen der Masse zu besorgen sind.

Verfahren dabei.

§. 11.

Wenn auf Konkurseröffnung angetragen wird, und keiner der §. 4. bestimmten Fälle vorhanden ist; folglich die Frage: ob das Vermögen des Schuldners zur Befriedigung seiner Gläubiger unzureichend sey? dennoch einer näheren Erörterung bedarf, so müssen die Gläubiger, welche auf die Konkurseröffnung antragen, über die Thatsachen, worauf sie ihre Behauptung gründen, und über die Beweismittel derselben, durch einen Deputirten des Gerichts zum Protokolle umständlich vernommen werden.

§. 12.

Unter dergleichen Umständen, wodurch eine Provokation der Gläubiger auf Konkurseröffnung begründet werden kann, gehört: wenn ein Kaufmann zu einer Zeit, wo Wechsel gegen ihn ablaufen, sich entfernt, und weder Anstalten zur Bezahlung, noch einen Bevollmächtigten zum Betriebe der Sache zurück läßt; desgleichen, wenn ein anderer Schuldner zur Zeit, wo eine Exekution wider ihn vollstreckt werden soll, sich auf flüchtigen Fuß setzt, und kein Objekt der Exekution bei ihm vorgefunden wird.

§. 13.

Auf das zum Protokolle aufgenommene Provokationsgesuch der Gläubiger, muß das Gericht einen möglichst nahen Termin anberaumen, und den Gemeinschuldner dazu vorladen: unter der Warnung, daß, wenn er ungehorsam außen bleiben sollte, die von den Gläubigern behauptete Insufficienz seines Vermögens für zugestanden geachtet, und mit Eröffnung des Konkurses in contumaciam würde verfahren werden.

Haben die Gläubiger ihre Behauptung mit sehr dringenden Gründen und Vermuthungen unterstützt, so muß der Richter in der Citation dem Provokaten


(1004) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

ausdrücklich anbefehlen, im Termine einen richtigen Statum bonorum, so wie er denselben allenfalls eidlich bestärken könne, nebst den zu dessen Begründung in Händen habenden Urkunden, mit zur Stelle zu bringen, und dadurch die Zulänglichkeit seines Vermögens auszuweisen.

§. 14.

Es ist hinreichend, wenn diese Vorladung auch nur in der gewöhnlichen Behausung des Provokaten, nach Vorschrift des siebenten Titels §. 20. 21., insinuirt worden.

§. 15.

Wenn vor oder in dem Termine der Gemeinschuldner auf das Moratorium provocirt, so muß das Gericht die Sache nach Vorschrift des Sieben und vierzigsten Titels gehörig einleiten.

§. 16

Wenn er sich zur Abtretung seines Vermögens erbietet, so bedarf es keiner weitern Erörterung; der Termin wird aufgehoben, und der Konkurs durch ein Dekret eröffnet.

§. 17.

Wenn der Schuldner sich im Termine gar nicht meldet, so wird, wie gewöhnlich, ein Kontumacialbescheid abgefaßt, und der Konkurs dadurch, der ergangenen Warnung gemäß, in contumciam eröffnet.

§. 18.

Wenn er aber im Termine wirklich erscheint, und dem Antrage der Gläubiger widerspricht; so muß er mit demjenigen, was er zur Widerlegung der Gründe desselben, und zum Ausweise der Zulänglichkeit seines Vermögens anzuführen hat, vernommen; die von beiden Seiten angeführten Umstände der Sache müssen gehörig auseinander, und in ihr möglichstes Licht gesetzt; solchergestalt aber die Frage: ob Konkurs zu eröffnen sey? zum Definitiverkenntnisse


(1005) Konkurs.

ordnungsmäßig, jedoch ohne Zulassung schriftlicher Deduktionen, instruirt werden.

§. 19.

Gegen dieß Erkenntniß steht beiden Theilen die Appellation mit voller Wirkung, weiter aber kein Rechtsmittel, offen.

§. 20.

Während der Verhandlungen über die von den Gläubigern angetragene, und von dem Gemeinschuldner widersprochen Konkurseröffnung, bleibt es den Ersteren unbenommen, in Ansehung ihrer liquiden, oder gar rechtskräftigen Forderungen, für die Sicherheit derselben durch specielle Arrestschläge, oder Eintragung von Protestationen auf die Grundstücke des Schuldners, oder Nachsuchung anderer dergleichen Verfügungen, welche die Verbringung oder Verdunkelung der Masse zu verhüten abzielen, Sorge zu tragen.

§. 21.

Auch kann, wenn das Gesuch der auf Konkurseröffnung antragenden Gläubiger nach der Vorschrift des §. 11. 12. gehörig instruirt ist, auf Verlangen derselben, zu gleicher Zeit, wenn die Vorladung an den Gemeinschuldner nach §. 13. ergehet, der offene Arrest erlassen, und auf die unten näher zu bestimmende Art bekannt gemacht werden. Werden jedoch in der Folge die Provokanten mit ihrem Gesuche rechtskräftig abgewiesen, so ist auch der offene Arrest durch öffentliche Bekanntmachungen, auf ihre Kosten, wieder aufzuheben.

Zeitpunkt des eröffneten Konkurses.

§. 22.

Die Zeit des eröffneten Konkurses wird auf die Mittagsstunde desjenigen Tages bestimmt, an welchem das Dekret oder Urtel, wodurch die Konkurseröffnung verfügt wird, den Interessenten an gewöhnlicher Gerichtsstelle publicirt worden ist.


(1006) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

§. 23.

Es ändert in diesem Zeitpunkte nichts, wenn auch von dem auf Konkurseröffnung lautenden Erkenntnisse appellirt worden ist, in so fern in der zweiten Instanz die Bestätigung desselben erfolgt.

§. 24.

Auch in dem Falle, wenn zuerst nur ein Liquidationsprozeß entstanden ist, dieser aber in der Folge, wegen sich findender Unzulänglichkeit des Vermögens, in einen Konkurs verwandelt wird, soll dennoch der Anfang dieses letztern nach §. 22. auf den Tag, an welchem das Dekret oder Urtel auf Konkurseröffnung publicirt worden, bestimmt werden.

Gerrichtsstand des Konkurses

§. 25.

Die Eröffnung des Konkurses kann nur von demjenigen Richter geschehen, unter welchem der Gemeinschuldner seinen ordentlichen persönlichen Gerichtsstand hat.

Wenn der Gemeinschuldner unter zweierlei Gerichten einen festen Wohnsitz gehabt hätte, und eines derselben wäre ein Ober-, das andere aber ein Untergericht; so gebührt die Eröffnung des Konkurses dem Obergerichte.

Sind aber beide Ober-, oder sind beide Untergerichte, so findet die Prävention Statt; und die Eröffnung des Konkurses kommt demjenigen zu, welches damit nach Vorschrift gegenwärtiger Ordnung zuerst verfahren hat.

§. 26.

Diesem Gerichte gebührt also auch allein die Direktion des ganzen Konkurses; die Untersuchung und das Erkenntniß über die Forderungen sämmtlicher Gläubiger; die Obsorge für die Ausmittelung und Herbeibringung der Aktivmasse; und die Vertheilung derselben unter die Gläubiger nach der gesetzmäßigen Ordnung.


(1007) Konkurs.

§. 27.

Es müssen daher alle Specialprozesse, welche zur Zeit des eröffneten Konkurses gegen den Gemeinschuldner, es sey bei diesem, oder irgend einem andern Gerichte, schweben, sofort sistirt, und die fernere Fortsetzung derselben muß zum Konkurse verwiesen werden.

Hiervon sind allein diejenigen Prozesse ausgenommen, welchen in den Landesgesetzen ein Forum speciale causae angewiesen ist. Diese müssen bei dem für sie bestimmten speciellen Gerichte ferner betrieben werden; doch muß derjenige, welcher aus einem solchen speciellen Prozesse von dem Gemeinschuldner etwas fordert, sich bei dem Konkurse melden, und seine Forderung zu dem Ende anzeigen, daß in dem Klassifikationsurtel der Ort bestimmt werde, an welchem sothane Forderung, in so weit, als sie bei dem Foro speciali ausgemittelt werden wird, ihre Befriedigung aus der Masse zu erhalten habe.

Anh. §. 318. Diejenigen Specialprozesse, welche zur Zeit der Konkurseröffnung gegen den Gemeinschuldner in den höheren Instanzen schweben, werden weder sistirt, noch in Absicht der Richtigkeit des streitigen Anspruchs zum Konkurs verwiesen, sondern müssen in der Lage, in welcher sie sich befinden, in den höhern Instanzen fortgesetzt werden.

Anh. §. 319. Auch Wechselprozesse können nach der Konkurseröffnung fortgesetzt und neue eingeleitet werden, in so fern der Gemeinschuldner nicht zu der Rechtswohlthat der Vermögensabtretung verstattet ist. (Th. l. Tit. XLVIII. §. 32.)

§- 28.

Eben so muß, wenn auch erst nach Eröffnung des Konkurses eine Forderung an den Gemeinschuldner zum Vorschein kommt, die nach den Landesgesetzen vor ein dergleichen Forum speciale causae gehört, die Erörterung derselben, in Ansehung ihrer Richtigkeit, vor diesem besondern Gerichte erfolgen; der Ort aber, wo sie aus der Masse, so weit sie richtig


(1008) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

ist, zu befriedigen sey, muß bei dem Richter des Konkurses erörtert, und in dem Klassiftkationserkenntnisse bestimmt werden.

§. 29.

In beiden Fällen (§. 27. 28.) wird jedoch zu der Instruktion der Sache bei dem Forum speciale causae nicht mehr der Gemeinschuldner, sondern der Kontradiktor, im Namen der Gläubiger zugezogen.

§. 30.

In wie fern über Bergantheile, oder Schiffe, ein besonderes, von dem Hauptkonkurse verschiedenes Liquidations- und Prioritätsverfahren bei den Berg- oder Seegerichten Statt finde, wird unten näher bestimmt.

§. 31.

Alle zur Konstituirung und Herbeischaffung der Aktivmasse nöthige Verfügungen sind bei dem Richter des Konkurses nachzusuchen. In wie fern aber dieser solche Verfügungen unmittelbar erlassen könne; oder dabei, besonders wegen der zur Masse gehörigen unbeweglichen Güter, den Richter, unter welchem sie gelegen sind, zuziehen müsse, wird in den folgenden Abschnitten überall näher bestimmt werden.

§. 32.

Wie es zu halten sey, wenn ein Gemeinschuldner, über dessen Vermögen bei einem einländischen Gerichte Konkurs eröffnet worden ist, Güter, oder anderes Vermögen, außerhalb der Königlichen Lande besitzt; oder umgekehrt, wenn über einen fremden Gemeinschuldner, welcher in hiesigen Landen Güter oder anderes Vermögen hat, bei einem auswärtigen Gerichte Konkurs entsteht, davon wird unten in einem besondern Abschnitte gehandelt.

Wirkungen der Konkurseröffnungen.

§. 33.

Durch die Konkurseröffnung erlangen die Gläubiger, zusammen genommen, ein allgemeines Pfandrecht auf den ganzen Inbegriff des Vermögens, welches


(1009) Konkurs.

der Gemeinschuldner alsdann besitzt. Es werden daher auch Besoldungen und Pensionen, soweit nach Vorschrift Tit. 24. und 29. Exekutionen und Arrestschläge darauf zulässig sind, Einkünfte von Präbenden, und andere jährliche Hebungen, mit zur Masse gerechnet, wenn sie gleich erst nach Konkurseröffnung fällig sind; in so fern nur das Recht, dieselben zu fordern, schon zur Zeit des eröffneten Konkurses zu dem Vermögen des Gemeinschuldners gehört hat.

Anh, §. 320. Die Konkurseröffnung kann wieder zurückgenommen werden, wenn die Masse hinterher sufficient wird, und diejenigen Gläubiger, welche auf den Konkurs angetragen haben, diesen Antrag zurücknehmen.

Wie weit Dispositionen des Gemeinschuldners nach eröffnetem Konkurse oder

§. 34.

Der Gemeinschuldner verliert also auch, vom Tage des eröffneten Konkurses an, alle Befugniß, über sein gegenwärtiges Vermögen ferner zu verfügen.

§. 35.

Alle und jede dergleichen Verfügungen, deren sich der Gemeinschuldner, nach eröffnetem Konkurse, über sein in Beschlag genommenes Vermögen diesem zuwider anmaaßt: z. B. wenn er etwas davon veräußert; Gelder, die dazu gehören, einzieht, und in seinen Nutzen verwendet, oder darüber als bezahlt quittirt; einzelnen Gläubigern Zahlung leistet; ihnen bessere Sicherheit, oder andere Bedeckung, oder mehrere Vorrechte, als sie vorhin gehabt haben, anweist; über Schuldposten, wenn sie auch angeblich schon vor eröffnetem Konkurse entstanden wären, Instrumente und Schuldverschreibungen ausstellt, oder gar neue Schulden auf sein zum Konkurse gediehenes Vermögen kontrahirt, sind gänzlich null, unkräftig, und von keiner rechtlichen Wirkung.

§. 36.

In so fern jedoch aus einem solchen von dem Gemeinschuldner, nach eröffnetem Konkurse, vorgenommenen


 

(1010) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Geschäfte etwas zur Masse geflossen, und dieselbe dadurch reicher geworden wäre; so soll die Masse demjenigen, welcher sich solchergestalt mit dem Gemeinschuldner eingelassen hat, dafür eben so gerecht werden, als wenn er nach Höhe dieses Quanti ein Kreditor der Masse geworden wäre, allermaßen die Absicht des Gesetzes bloß dahin geht, die Masse gegen allen Schaden aus den Unternehmungen des Gemeinschuldners zu sichern, nicht aber dieselbe dadurch, auf Kosten eines Dritten, zu bereichern.

§. 37.

Wenn der Gemeinschuldner an mehreren Orten Vermögen besitzt; und an einem dieser Orte, wo das den Konkurs eröffnende Gericht seinen Sitz nicht hat, der von ihm dem dasigen Vermögen vorgesetzte Disponent, oder anderer Generalbevollmächtigter, noch vorher, ehe dies Vermögen wirklich in Beschlag genommen wird, in Ansehung desselben ein Geschäft vornimmt; so soll die Gültigkeit dieser Handlung eben so beurtheilt werden, als wenn sie vor eröffnetem Konkurse wäre unternommen worden.

§. 38.

Wenn jemand dem Gemeinschuldner zwar nach eröffnetem Konkurse, jedoch früher, als der offene Arrest das Erstemal in den Intelligenzblättern bekannt gemacht worden, Zahlung leistet; so wirkt diese Zahlung, wenn sie baar, oder durch eine wirkliche Angabe an Zahlungs Statt geschehen ist, die Befreiung des zahlenden Schuldners gegen die Masse.

Ein Gleiches findet Statt, wenn die Zahlung zwar nach schon bekannt gemachtem offenen Arreste geleistet worden ist; der zahlende Schuldner aber nicht überführt werden kann, daß ihm damals die erfolgte Konkurseröffnung bekannt gewesen sei. Doch steht in diesem Falle den Gläubigern der Masse frei, von dem Zahler die eidliche Bestärkung: daß ihm


(1011) Konkurs.

die erfolgte Konkurseröffnung zur Zeit der Zahlung noch nicht bekannt gewesen sey, zu fordern; und der Gemeinschuldner, welcher durch die Einziehung solcher Aktivposten die Masse schmälert, soll schon um deßwillen als ein Bankerutirer bestraft werden. (A. L. R. Th. II. Tit. XX. §. 1467. 1469. 1470.)

Wer aber zu einer Zeit, da ihm die geschehene Konkurseröffnung schon bekannt, oder gar das besondere Verbot, nach Vorschrift §. 205. an ihn bereits ergangen ist, dem Gemeinschuldner auf irgend einige Art Zahlung leistet, der kann sich damit gegen die Masse nicht schützen.

Uebrigens versteht es sich von selbst, daß in allen diesen Fällen, wo eine Zahlung, die an den Gemeinschuldner erst nach eröffnetem Konkurse geleistet worden, behauptet wird, die Quittung oder das Empfangsbekenntnis des Gemeinschuldners allein zum Beweise nicht hinreiche; sondern die wirklich erfolgte Zahlung auf andere Art dargethan werden müsse.

§. 39.

Wenn Verträge vor eröffnetem Konkurse mit dem Gemeinschuldner geschlossen worden; der Zeitpunkt ihrer Erfüllung aber erst nach der Konkurseröffnung eintritt; und Zweifel entsteht: in wie fern alsdann noch die Erfüllung von der Masse gefordert werden könne, oder ihr geleistet werden müsse; so ist die Sache nach den Vorschriften der Gesetze von Erfüllung der Verträge überhaupt, und in wie fern die Verbindlichkeit dazu durch die Unmöglichkeit, oder durch veränderte Umstände aufgehoben werde, zu beurtheilen; wobei, wenn aus der Konkurseröffnung eine Unmöglichkeit der Erfüllung entsteht, zum Besten der Gläubiger anzunehmen ist, daß selbige, in Ansehung ihrer, die Folge eines unabwendbaren Zufalls sei; so wie in dem Falle, wenn die Erfüllung von dem andern Kontrahenten wegen veränderter Umstände nicht geleistet werden darf, die rechtlichen


(1012) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Folgen davon darnach, daß diese Veränderung sich in der Person des Gemeinschuldners ereignet hat, zu bestimmen sind. (A. L. R. Th. I. Tit. V. §. 364. 365. 380. 382.)

§. 40.

Wenn also der Gemeinschuldner, noch vor eröffnetem Konkurse, einem auswärtigen Korrespondenten Ordre, auf ihn zu trassiren, gegeben hat; so sind die Gläubiger, die nach der Konkurseröffnung präsentirten Wechsel anzunehmen, nicht schuldig.

Wenn der Gemeinchuldner jemandem auf einen seiner eigenen Schuldner Assignation gegeben hat, und dieselbe vor eröffnetem Konkurse nicht wirklich bezahlt worden ist; so verbleibt die angewiesene Post der Masse, wenn auch die Assignation von dem Assignatario bereits acceptirt worden wäre. (A. L. R. Th. II. Tit. VIII. §. 1295. 1296.) Wobei sich jedoch von selbst versteht, daß, wenn der acceptirende Assignat ein Ausländer ist, seine Verbindlichkeit aus der Acceptation, schlechterdings die Zahlung zu leisten, und also auch sein Recht, diese Zahlung der Konkursmasse des Assignatarius entgegen zu setzen, lediglich nach den Gesetzen seines Wohnorts beurtheilt werden müsse.

Was Rechtens sei, wenn Waaren, die der Gemeinschuldner vor eröffnetem Konkurse bestellt hat, erst nach der Konkurseröffnung ankommen, wird unten bestimmt (Abschn. IV.).

§. 41.

Einer Erbschaft oder anderm Rechte, welche dem Gemeinschuldner angefallen sind, kann derselbe, nach eröffnetem Konkurse, wider den Willen der Gläubiger nicht entsagen.

War die Erbschaft dem Gemeinschuldner schon vor eröffnetem Konkurse angefallen, so wächst dieselbe der Masse zu; jedoch mit Vorbehalt des den


(1013) Konkurs.

Erbschaftsgläubigern zukommenden, unten näher zu bestimmenden Absonderungsrechts. (Abschn. IV.)

Ereignet sich der Anfall erst nach eröffnetem Konkurse, so müssen davon zuvörderst alle Erbschaftsschulden und Lasten abgezogen werden. Ist die Erbschaft zu diesen nicht hinreichend, so muß der Kurator der Konkursmasse des Erben der Erbschaft entsagen, und alsdann entsteht über letztere ein besonderer Konkurs.

Bleibt aber, nach Abzug der Erbschaftsschulden und Lasten, noch etwas von der Erbschaft übrig; so macht dieser Ueberrest eine neue Masse aus, an welche sowohl die im Konkurs des Erben leer ausgehenden alten Gläubiger des Erben, als diejenigen, denen derselbe erst nach der Konkurseröffnung schuldig geworden ist, oder die sich bei dem Konkurse nicht gemeldet haben, sich zu halten berechtigt sind.

Ist dieser Ueberrest zur Befriedigung sämmtlicher daran berechtigten Forderungen abermals nicht hinreichend, so muß über denselben ein besonderer Konkurs- oder Liquidationsprozeß eröffnet werden; zu welchem die vorgedachten alten und neuen Gläubiger des Erben gehören, die aus dieser besondern Masse, so weit sie hinreicht, nach Ordnung der Priorität zu befriedigen sind. Es versteht sich dabei von selbst, daß die Priorität unter den alten und neuen Gläubigern nicht nothwendig, so wie sie im ersten Konkurse bestimmt worden, sondern nach dem Verhältnisse der Qualität ihrer Forderungen gegen diese neue Masse, festgesetzt werden müsse.

vor dessen Eröffnung gültig sind.

§. 42.

Dagegen sind alle Verfügungen, welche der Gemeinschuldner vor eröffnetem Konkurse getroffen und vollzogen hat, auch diejenigen, deren vorstehend §. 35-41. gedacht worden, an und für sich, den Rechten nach gültig; wenn gleich damals eine wirkliche


(1014) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Unzulänglichkeit des Vermögens bei ihm schon vorhanden gewesen wäre.

§. 43.

Damit inzwischen diese Verordnung von boshaften Gemeinschuldnern zum Betruge ihrer Gläubiger nicht gemißbraucht werden könne; so soll ein Unterschied Statt finden: ob dergleichen nachtheilige Disposition mit einem Gläubiger, oder ob sie mit einem Dritten geschlossen worden ist.

a) in Ansehung eines Gläubigers;

§. 44.

Einem Gläubiger kann der Schuldner vor entstandenem Konkurse Zahlung leisten; Sachen an Zahlungs Statt angeben und abtreten; mehrere Sicherheit verschreiben, und eintragen lassen; es mag dem Gläubiger die Insolvenz des Schuldners bekannt gewesen sein, oder nicht.

§. 45.

Die Gültigkeit einer solchen Verfügung wird auch dadurch nicht entkräftet, wenn gleich zu der Zeit, da sie getroffen wurde, auf Konkurseröffnung bereits angetragen war, und über die Frage: ob sie Statt finde? verhandelt wurde. Ist jedoch nach Maaßgabe §. 21. schon während der Verhandlungen über diese Frage der offene Arrest erlassen worden, so kann auch ein Gläubiger des Gemeinschuldners, zu dessen Wissenschaft diese Verfügung gelangt ist, oder der seine Wissenschaft davon eidlich abzulehnen nicht vermag, mit dem Gemeinschuldner, zum Nachtheile der übrigen Gläubiger, keine gültige Verfügungen treffen. Eben so versteht es sich von selbst, daß, wenn während derVerhandlungen über die Konkurseröffnung eine Protestation auf die Güter des Gemeinschuldners nach Maaßgabe §. 20. eingetragen worden, alle nachher von einem einzelnen Gläubiger, mit dem Gemeinschuldner, bei dem Hypothekenbuche vorgenommene Verhandlungen den übrigen Gläubigern nicht schaden können.


(1015) Konkurs.

§. 46.

Wollen die übrigen Gläubiger nachweisen, daß der von dem Gemeinschuldner vor eröffnetem Konkurse bezahlte Kreditor mehr erhalten habe, als er wirklich zu fordern gehabt, so müssen sie darüber rechtlich gehört werden. Doch ist es ihre Sache, diesen Nachweis zu führen: indem die allgemeine rechtliche Vermuthung, daß ein Schuldner nicht mehr bezahlt haben werde, als er wirklich schuldig gewesen, auch einem solchen von dem Gemeinschuldner, vor eröffnetem Konkurse, befriedigten Gläubiger zu Statten kommt.

Anh. §. 321. Rechtskräftige Erkenntnisse, welche vor Eröffnung des Konkurses zwischen dem Gemeinschuldner und einem Gläubiger ergangen sind, können, unter dem Vorwande neuer Einwendungen, von den übrigen Gläubigern oder dem Kontradiktor nur in dem Falle als nichtig angefochten werden, wenn der Gemeinschuldner entweder selbst nach den Gesetzen dazu berechtigt gewesen sein würde, oder wenn er sich erweislich betrüglicher Kollusionen mit dem Gläubiger, zu dessen Gunsten das Urtel ergangen ist, schuldig gemacht hat.

§. 47.

Hat der Gemeinschuldner, vor eröffnetem Konkurse, einem seiner Gläubiger etwas an Zahlungs Statt gegeben; und ist dieses zur Zeit der Konkurseröffnung bei dem Empfänger noch in Natur vorhanden; so können die übrigen Gläubiger darauf antragen, daß er die an Zahlungs Statt erhaltene Sache, gegen seine vollständige Befriedigung an Kapital, Zinsen und Kosten, zur Masse zurück gebe.

b) in Ansehung eines Dritten.

§. 48.

Wenn in dem zweiten §. 43. gesetzten Falle von einem Geschäfte die Rede ist, welches ein schon über seine Kräfte Verschuldeter, vor der Konkursöffnung, mit einem Dritten vorgenommen und vollzogen hat; so kommt es darauf an: ob dabei eine Schenkung und bloße Freigebigkeit des Gemeinschuldners zum Grunde liege; oder ob der Dritte mit ihm einen


(1016) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Kauf-, Tausch- oder andern dergleichen lästigen Vertrag geschlossen habe.

§. 49.

Liegt eine bloße Schenkung oder Freigebigkeit von Seiten des Gemeinschuldners zum Grunde, so hat es, in Ansehung des den Gläubigern zustehenden Widerrufs, bei den Vorschriften der Gesetze lediglich sein Bewenden. (Allg. L. R. Th. I. Tit XI. §. 1129.u. f.)

§. 50.

Einer solchen widerruflichen Schenkung ist es in diesem Sinne gleich zu achten, wenn der Gemeinschuldner, innerhalb der im Gesetze bestimmten Fristen, zum Besten seiner Verwandten, Mit- oder nachgesetzten Erben, dem Anfalle einer Erbschaft, oder einem Vermächtnisse entsagt hat.

§. 51.

Auch sind Verwendungen des Gemeinschuldners zum Ankaufe von Präbenden oder Bedienungen, für seine Kinder oder Andere, die Entrichtung von Chargengebühren, Stempel- oder Rekognitionsgeldern für selbige, in dieser Rücksicht für bloße Schenkungen anzusehen; und können daher von den Kindern, oder denjenigen Anderen, welchen sie zu Statten gekommen sind, zurück gefordert werden.

§. 52.

Dahingegen ist die Bezahlung einer Ehesteuer, oder Ausstattung, es sei für Kinder oder Fremde, als eine bloße Freigebigkeit nicht zu achten (Allg. L. R. Th. I. Tit. XI. §. 1046-1049.) Was also unter diesem Titel weggegeben oder bezahlt worden ist, das können die Gläubiger nur unter eben den Umständen zurück fordern, unter welchen eine auf den Grund eines lästigen Vertrags geschehene Veräußerung widerrufen werden kann.


(1017) Konkurs.

§. 53.

Hat der Gemeinschuldner etwas an einen Dritten auf den Grund eines lästigen Vertrags weggegeben, oder veräußert (§. 48.); so ist wiederum ein Unterschied zu machen: ob dem Dritten, mit welchem er kontrahirt hat, das Zahlungsunvermögen des Gemeinschuldners bekannt gewesen sei, oder nicht.

§. 54.

Ist die Insolvenz des Gemeinschuldners dem fremden Kontrahenten unbekannt gewesen, so behält das Geschäft seine Gültigkeit, und die Gläubiger können es nicht anfechten.

§. 55.

Hat hingegen der fremde Kontrahent um die Insolvenz des Gemeinschuldners gewußt, so soll dergleichen Geschäft in Ansehung der Kreditoren für ungültig geachtet werden; und sollen daher die Gläubiger von dem Fremden die an ihn gegebenen, cedirten, oder sonst veräußerten Sachen, nebst allen davon in der Zwischenzeit etwa gezogenen Nutzungen, zurück zu fordern berechtigt; dagegen aber auch demselben alles dasjenige zu erstatten schuldig seyn, was aus einem solchen Geschäfte zur Masse geflossen ist, in so fern der Nutzen ganz oder zum Theil in der Masse erweislich noch vorhanden wäre.

§. 56.

Eben diese Verordnung soll Statt finden, wenn auch schon die von dem Gemeinschuldner, zur Verkürzung seiner Gläubiger, veräußerte Sache sich in den Händen eines dritten Besitzers befände. Doch bleiben dem dritten redlichen Besitzer einer solchen Sache, ingleichen demjenigen, der, auf den Glauben des Hypothekenbuchs, sich in gerichtliche Verhandlungen über dieselbe redlicher Weise eingelassen hat, seine Rechte vorbehalten. (Allg. L. R. Th. I. Tit. XV. §. 25. u. f. Tit. X. §. 7. u. f.)


(1018) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

§. 57.

Ob der fremde Kontrahent um die Insolvenz des Gemeinschuldners gewußt habe, oder nicht, das muß der Richter aus dem sorgfältig auseinander zu setzenden Hergange des Geschäftes selbst, und den dabei obwaltenden, vorhergehenden, begleitenden, oder nachfolgenden Umständen, z. B. aus dem offenbar unproportionirten Preise u. s. w., beurtheilen.

§. 58.

Daß übrigens auch durch eine an sich gültige Veräußerung die auf einer solchen Sache haftenden Rechte der Pfand- und Hypothekengläubiger, welche auch gegen den dritten Besitzer des Unterpfandes ausgeübt werden können, nicht verändert werden, folgt aus dem Begriffe eines Pfand- oder hypothekarischen Rechts von selbst.

§. 59.

Eben so versteht es sich von selbst, daß in allen vorstehend §. 35-57. benannten Fällen, wenn die Gläubiger eine von dem Gemeinschuldner vor oder nach eröffnetem Konkurse getroffene Verfügung anfechten wollen, die Sache, bei entstehendem Widerspruche, zwischen ihnen, und demjenigen, zu dessen Vortheile die Verfügung gereicht, im ordentlichen Wege Rechtens erörtert und entschieden werden müsse.

§. 60.

Wirkung der Konkurseröffnung in Ansehung einzelner Gläubiger. Aus dem, den sämmtlichen Gläubigern in corpore, durch die Konkurseröffnung in dem gesammten Vermögen bestellten Pfandrechte folgt, daß kein einzelner Kreditor mehr befugt sei, durch einseitige, gerichtliche oder außergerichtliche Handlungen, etwas von der Masse an sich zu ziehen, oder sich darin ein besseres Recht, als er vorher schon gehabt hat, zu verschaffen. Vielmehr sollen alle dergleichen Unternehmungen als null und nichtig angesehen; die Handlung, wodurch ein solcher Kreditor sich ein besseres Recht erwerben wollen, für nicht geschehen


(1019) Konkurs.

geachtet; und er das, was er aus der Masse an sich genommen hat, derselben zu erstatten angehalten werden.

in Ansehung persönlicher Verbindlichkeiten des Gemeinschuldners.

§. 61.

Aus eben dieser Eigenschaft der Gläubiger, als Pfandsinhaber, folgt, daß sie Verbindlichkeiten, welche nur der Person des Gemeinschuldners, ohne Beziehung auf sein Vermögen, ankleben, zu erfüllen, oder ein Interesse deshalb zu leisten, nicht gehalten sind.

§. 62.

Es kann also auch ein von dem Gemeinschuldner als Pächter geschlossener Pachtkontrakt, wenn nicht beide Theile, nämlich die Kreditoren und der Verpächter, darüber einig sind, nicht fortgesetzt werden; sondern es finden für diesen Fall eben die Vorschriften Anwendung, welche die Gesetze auf den Fall ertheilen, wenn ein Pächter vor Ablauf der kontraktmäßigen Pachtzeit verstorben ist. (Allg. L. R. Th. I. Tit. XXI. §. 366-370.)

§. 63.

Um die Befriedigung der Gläubiger aus der in Beschlag genommenen Masse, so weit sie dazu hinlangt, als den Endzweck des Konkurses zu erreichen, muß der richtige Betrag sämmtlicher Forderungen dieser Gläubiger, die Qualität derselben, und ihr davon abhängendes Vorrecht, zuverlässig ins Licht gesetzt; die Aktivmasse, und wie viel sie betrage, vollständig ausgemittelt; und endlich diese Masse unter die Gläubiger nach der festgesetzten Ordnung vertheilt werden. Bei allen diesen Verhandlungen ist jemand nothwendig, welcher, unter Direktion des Gerichts, die Rechte der Masse, nebst dem gemeinschaftlichen Interesse der Gläubiger, wahrnehme, und für den ordnungsmäßigen Betrieb der Sache überall Sorge trage. Dieser Person wird der Name eines Kurators der Masse, und in so fern er die Rechte derselben


(1020) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

gegen die Ansprüche der einzelnen Gläubiger zu vertheidigen hat, die Benennung eines Kontradiktors beigelegt.

Erster Abschnitt.

Von den zur Bearbeitung eines Konkursprozesses gehörenden Personen, besonders aber von dem Kurator und Kontradiktor, dessen Bestellung und Obliegenheiten.

Von Bestellung des Interimskurators.

§. 64.

So bald ein Konkurs eröffnet, und der Gemeinschuldner, nach Vorschrift des folgenden Abschnitts, des Besitzes und der Verwaltung seines Vermögens von Amts wegen entsetzt worden, muß das Gericht, mit Zuziehung derjenigen Gläubiger, die sich etwa schon gemeldet haben, und persönlich zugegen, oder mit Bevollmächtigten, die sich am Orte aufhalten, versehen sind, einen Interimskurator und Kontradiktor bestellen, welcher so lange für die Erhaltung der Aktivmasse und für den Betrieb des Konkursprozesses sorgen muß, bis die zusammen berufenen Gläubiger sich erklärt haben: ob sie die einstweilen bestellten Subjekte beibehalten, oder andere an deren Stelle ernennen wollen.

Verpflichtung.

§. 65.

Ein solcher Interimskurator und Kontradiktor wird zu seinen Obliegenheiten von dem Gerichte, mittelst Handschlags an Eides Statt, verpflichtet. Dagegen bedarf es für ihn der Ausfertigung eines förmlichen Kuratorii nur alsdann, wenn er dessen zu seiner Legitimation anderswo, als bei dem den Konkurs dirigirenden Gerichte, in der Zwischenzeit benöthigt wäre.


(1021) Konkurs.

Bestellung des eigentlichen Kurators und Kontradiktors.

§. 66.

Wenn die Gläubiger in dem anberaumten Liquidationstermine beisammen sind, so muß ihnen über die Beibehaltung oder Abänderung des bisherigen Interimskurators und Kontradiktors ihre Erklärung abgefordert werden.

§. 67.

Können sie sich nicht vereinigen, so müssen unter den vorgeschlagenen Personen diejenigen gewählt werden, welche die meisten Stimmen, nach der Summe der liquidirten Forderungen berechnet, für sich haben. Kann aber diese Mehrheit ohne weitläufige Untersuchung nicht ausgemittelt werden, so muß das Gericht den Ausschlag geben, und denjenigen bestellen, welcher nach pflichtmäßigem Ermessen für den Tüchtigsten gehalten wird.

Bestallung.

§. 68.

Ein solcher Kurator und Kontradiktor wird nach §. 65. mittelst Handschlags an Eides Statt verpflichtet; auch muß ihm allemal eine förmliche Bestallung zu seiner Legitimation ausgefertigt werden.

In wie fern diese Funktion Einem oder mehreren Subjekten aufzutragen.

§. 69.

In Konkursen von minderer Wichtigkeit kann das Amt eines Kurators und Kontradiktors in Einer Person vereinigt, und dazu ein bei dem Gerichte recipirter Justizkommissarius bestellt werden. Wenn aber das Kreditwesen, besonders in Ansehung der Aktivmasse, von Wichtigkeit ist, und z. B. beträchtliche Landgüter, oder eine Kaufmannshandlung, zur Masse gehören, folglich auch die Anzahl der Gläubiger beträchtlich ist; so ist ein besonderer Kurator, und ein besonderer Kontradiktor zu bestellen.

§. 70.

Zu dem Amte des Kontradiktors ist allemal ein bei dem Gerichte angesetzter Justizkommissarius auszuwählen. Zu Kuratoren aber können auch andere


(1022) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

taugliche und solcher Geschäfte kundige Personen angenommen werden.

§. 71.

Der Regel nach wird nur Ein Kurator ernannt. Wenn aber die Masse sehr weitläufig und zerstreut ist: z. B. wenn eine Handlung und Landgüter dazu gehören; so steht den Gläubigern frei, darauf anzutragen, daß dem Hauptkurator sachkundige Assistenten, zur Verwaltung der Güter, zur Administration der Handlung (et)c., als Nebenkuratoren zugeordnet werden. Der Hauptkurator behält alsdann die Aufsicht über das Ganze, und die Besorgung derjenigen speciellen Angelegenheiten, zu welchen keine besondere Nebenkuratoren bestellt sind.

Amt des Kontradiktors.

§. 72.

Zu dem Amte des Kontradiktors gehört eigentlich nur die Ausmittelung und Festsetzung der Passivmasse. Er muß also nicht nur wegen Vorladung der Gläubiger das Nöthige, nach den Vorschriften des Zweiten Abschnitts, nachsuchen und besorgen; sondern auch alle angemeldete Forderungen gehörig prüfen, und dahin sehen, daß diese Forderungen, sowohl in Ansehung ihrer Richtigkeit, als der ihnen nach der Prioritätsordnung zukommenden Stelle, ausgemittelt und ins Licht gesetzt werden.

Amt des Kurators.

§. 73.

Zu dem Amte des Kurators gehört die Obsorge für die Ausmittelung und Herbeischaffung der Aktivmasse. Er muß also

1) die von dem Gerichte, oder dem Interimskurator, zur Sicherung der Masse vorläufig getroffenen Veranstaltungen gehörig fortsetzen;

2) für die Aufnehmung eines möglichst vollständigen Inventarii Sorge tragen;

3) die zur Ausmittelung der Aktiv- und Passivmasse gehörenden Skripturen aufsuchen, gehörig ordnen, im Inventario vollständig verzeichnen, und


(1023) Konkurs.

diejenigen, welche bloß den Zustand der Passivmasse betreffen, dem Kontradiktor, wenn dieser eine von ihm verschiedene Person ist, gegen Empfangschein aushändigen;

4) so bald als möglich einen ungefähren Ueberschlag über den Betrag der Aktivmasse anfertigen, und selbigen den Gläubigern vorlegen;

5) die Aktivmasse selbst, nach den verschiedenen Rubriken des Inventarii, ohne allen Zeitverlust ins Klare zu setzen bemüht seyn;

6) für die Verwaltung und Versilberung nach Vorschrift des vierten Abschnitts sorgen.

§. 74.

Auch die Einziehung der zur Aktivmasse gehörenden Forderungen und Kapitalien gehört eigentlich zu dem Amte des Kurators. Wenn jedoch Prozesse darüber geführt werden müssen, und der Kurator kein Rechtsverständiger ist; so muß der Kontradiktor die Besorgung derselben übernehmen.

§. 75.

Auch wenn dergleichen Prozesse bei einem andern, als dem den Konkurs dirigirenden Gerichte geführt werden müssen, bedarf der Kurator oder Kontradiktor, außer seiner in beglaubter Abschrift beizubringenden Bestallung, keiner weitern Legitimation; und für einen dazu bei einem auswärtigen Gerichte zu ernennenden Bevollmächtigten ist eine von ihm ausgestellte Vollmacht hinreichend.

§. 76.

Der Kurator einer Konkursmasse hat in der Regel alle die Befugnisse und Verbindlichkeiten, welche einem andern Kurator nach den Gesetzen zukommen. Er muß also die zu seiner Obsorge gehörigen Angelegenheiten nach seiner besten Einsicht und Kenntniß, so wie es einem redlichen, vernünftigen, und in den Geschäften des bürgerlichen Lebens wohl erfahrenen Manne zukommt, besorgen; sich aber auch dabei nach


(1024) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

den Vorschriften der gegenwärtigen Ordnung genau und pflichtmäßig achten.

Rücksprache mit den Gläubigern.

§. 77.

In allen Fällen, wo es bloß auf die Vertheidigung der Masse gegen die Ansprüche einzelner Kreditoren; oder auf die Ausführung ihrer Rechte gegen ihre Schuldner; auf die bloße Administration derselben; oder auf Nachsuchung anderer dergleichen, durch die Vorschriften der Gesetze hinlänglich bestimmten Verfügungen ankommt, kann der Kontradiktor und Kurator für sich, und ohne Rücksprache mit den Gläubigern, jedoch immer unter Direktion des Gerichts, das Erforderliche thun und veranlassen.

§. 78.

In Fällen hingegen, wo ein erhebliches Präjudiz der Masse und der dabei interessirenden Gläubiger obwaltet, muß er die Erklärungen dieser letzteren vernehmen, und nach dem Beschlusse derselben sich gehörig achten.

§. 79.

Doch bedarf es dabei nicht der Zuziehung aller Gläubiger, sondern nur derjenigen, die am Orte persönlich zugegen sind, oder Bevollmächtigte daselbst ernannt haben. Abwesende, von denen auch keine Bevollmächtigte bei den Akten angezeigt sind, werden für einwilligend in die Beschlüsse der Gegenwärtigen geachtet.

§. 80.

Eben so dürfen auch nicht in allen Fällen, ohne Unterschied, die sämmtlichen in Person oder durch Bevollmächtigte gegenwärtigen Kreditoren mit ihren Erklärungen vernommen werden; sondern nur diejenigen, welche bei der Sache, wovon die Rede ist, ein Interesse haben. Es bedarf also, z. B. wenn über die Zahlungsbedingungen, welche der Käufer eines Immobilis sich machen will, ein Schluß gefaßt werden soll, keiner Zuziehung solcher bloßen


(1025) Konkurs.

Personalgläubiger, die aus diesem Immobile bezahlt zu werden gar keine wahrscheinliche Hoffnung haben.

§. 81.

Wenn nun nach vorstehenden Grundsätzen mit den Gläubigern Rücksprache zu halten ist, so muß der Kurator, wenn der Gegenstand nicht von besonderer Wichtigkeit oder Bedenklichkeit ist, die Lage der Sache den Gläubigern in einem schriftlichen Aufsatze deutlich, richtig und bestimmt vortragen, diesen Aufsatz unter ihnen cirkuliren lassen, und sie auffordern, daß sie ihre Erklärungen diesem Umlaufe ebenfalls schriftlich beifügen.

§. 82.

Ist aber der Gegenstand wichtig und bedenklich, so muß der Kurator die in Person anwesenden Gläubiger, und die Bevollmächtigten der Abwesenden zusammenfordern; ihnen die Sache und den Fall, wovon die Frage ist, deutlich und umständlich vortragen; sein Gutachten darüber eröffnen; und sie sodann mit ihren Erklärungen gehörig vernehmen; auch dabei darauf sehen, daß diese Erklärungen deutlich, bestimmt, und der Sache gemäß abgegeben werden.

§. 83.

Ueber diese ganze Verhandlung muß er ein Protokoll aufnehmen; dasselbe nebst der Kurrende, wodurch er die Gläubiger eingeladen hat, dem Gericht übergeben; und auf weitere Verfügung oder Genehmigung antragen.

§. 84.

Wenn das Gericht findet, daß sich die Gläubiger nicht haben einigen können; so muß auf die Mehrheit der Stimmen von den bei der Konferenz gegenwärtigen Gläubigern, welche jedoch nicht nach der Personenzahl, sondern nach der Summe der liquidirten, oder in dem Klassifikationsurtel (wenn dergleichen schon abgefaßt ist) angesetzten Forderungen


(1026) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

berechnet wird, gesehen werden. Ist keine dergleichen entscheidende Mehrheit vorhanden, so muß das Ermessen des Richters den Ausschlag geben, nach welchem von den verschiedenen Anträgen die Sache regulirt werden solle.

§. 85.

Die Bevollmächtigten der Gläubiger bedürfen zu ihren Erklärungen, auf dergleichen Anträge des Kurators, besonderer Vollmachten nur in den Fällen, wenn überhaupt die Gesetze zu einer gewissen Handlung eine darauf ausdrücklich gerichtete Specialvollmacht erfordern, oder wenn von klaren Vorschriften der gegenwärtigen Ordnung abgewichen werden soll.

§. 86.

Einziehung der Gelder in das gerichtliche Depositum. Der Kurator soll, in der Regel, mit unmittelbarer Einhebung der zur Masse fließenden Gelder sich nicht befassen; es wäre denn, daß ihm selbige von den Gläubigern, gegen oder ohne Kaution, ausdrücklich übertragen worden. Außer diesem Falle muß er diejenigen, die etwas an die Masse zu entrichten haben, zu dessen Einzahlung in das gerichtliche Depositum anweisen, und dem Gerichte davon Anzeige machen; damit dieses für die wirkliche Einziehung in das Depositum sorgen könne.

§. 87.

In Fällen, wo die unmittelbare Einziehung in das Depositum mit Schwierigkeiten verbunden ist, z. B. wenn auswärtige Aktivkapitalien, Pachtgelder, Geldbestände der administrirten Güter u. s. w. eingezogen werden sollen, sind die darauf mitgerichteten Vorschriften der Depositalordnung zu beobachten.

§. 88.

Eine Vereinigung der Gläubiger, daß die zur Masse gehörenden Gelder nicht in gerichtliche Verwahrung kommen, sondern nur von dem Kurator erhoben, und bis zur Vertheilung aufbewahrt, oder


(1027) Konkurs.

oder belegt werden sollen, findet nur nach abgehaltenem Liquidationstermine, und nur in so fern Statt, als sämmtliche Kreditoren darein willigen.

Die Bevollmächtigten der Abwesenden müssen zu einer solchen Einwilligung eine ausdrückliche darauf gerichtete Specialvollmacht ihrer Parteien beibringen.

§. 89.

Wenn aber auch nach der als Regel geltenden Vorschrift des §. 86. 87. die zur Masse gehörenden Gelder in das gerichtliche Depositum eingezogen, und daselbst verwaltet werden; so muß dennoch das Gericht dem Kurator, aus den zuerst eingehenden Geldern, einen verhältnißmäßigen Vorschuß, zur Bestreitung der Auslagen und Kosten, gegen künftige Berechnung in Händen lassen.

Rechnungslegung.

§. 90.

Ueberhaupt ist der Kurator schuldig, den Gläubigern von seiner geführten Administration Red’ und Antwort zu geben; auch von den durch seine Hände gegangenen Geldern Rechnung zu legen. Diese Rechnungslegung erfolgt, der Regel nach, am Ende des Konkurses, wenn zur Vertheilung der Masse geschritten werden soll.

Wenn jedoch der Konkurs, wegen Weitläufigkeit der Sache, sich in die Länge zieht, und die Einnahme, besonders bei einem der §. 71. beschriebenen speciellen Kuratoren, beträchtlich ist; so kann die Rechnung am Ende jeden Jahres abgefordert werden. Auch steht den Gläubigern frei, dem Kurator bei seiner Bestellung, außer dieser Hauptrechnung, auch noch die Einreichung gewisser vorläufigen und speciellen Ausweise, in kürzeren Zwischenterminen, als monatlich, vierteljährig u. s. w., nach bewandten Umständen, z. B. wenn von Administration einer Handlung die Rede ist, vorzuschreiben.


(1028) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

§. 91.

Bei der Abnahme der Rechnung sind die Vorschriften des Titels von Rechnungssachen zu beobachten, und die Kreditoren dabei zuzuziehen. Wie es aber gehalten werden solle, wenn dabei Monita und Defekte vorkommen, welche einer nähern rechtlichen Erörterung und Entscheidung bedürfen, davon wird unten im fünften Abschnitte gehandelt werden.

Honorarium.

§. 92.

Niemand ist schuldig; das Amt eines Kurators oder Kontradiktors unentgeldlich zu übernehmen; Letzterer erhält vielmehr für seine Bemühungen die in der Sportultaxe, nach Verschiedenheit der Fälle, bestimmten Gebühren. Mit dem Kurator müssen sich die Gläubiger, unter gerichtlicher Vermittelung wegen eines für ihn auszusetzenden Honorarii vereinigen. Ist dergleichen Abkommen nicht getroffen worden, so werden die Gebühren des Kurators nach eben dieser Sportultaxe bestimmt.

Einrichtung der Akten.

§. 93.

In allen Konkursen müssen die Akten, welche die Ausmittelung der Passivmasse betreffen, von den Verhandlungen, welche zur Ausmittelung und Herbeischaffung der Aktivmasse gehören, nach näherer Vorschrift des Registraturreglements abgesondert werden.

Wenn ein Grundstück zur Masse gehört, so sind die dieses Grundstück betreffenden Verhandlungen von demjenigen, welche die übrige Aktivmasse angehen, ebenfalls abzusondern.

Bestellung des Decernenten.

§. 94.

Bei einem jeden Konkurse muß ein Decernent bestellt werden, der die sowohl zur Aktiv- als Passivmasse gehörigen Vorträge und Verfügungen besorgt. Gehören Kaufmannshandlungen oder Landgüter zur Masse, so ist bei der Auswahl des Decernenten,


(1029) Konkurs.

so viel als möglich, auf solche Subjekte zu sehen, welchen von dergleichen Angelegenheiten einige Sachkenntniß beiwohnt.

§. 95.

Der Decernent muß den Kurator und Kontradiktor in beständiger Aufmerksamkeit erhalten, und dieselben in Allem, was zum ordentlichen und schleunigen Betriebe der Sache erforderlich, oder zur Sicherheit der Gläubiger nöthig ist, mit näheren Anweisungen versehen; auch dafür sorgen, daß nirgend etwas verabsäumt, vielmehr sowohl die Aktiv- als Passivmasse, so bald es irgend geschehen kann, ausgemittelt und festgesetzt; solchergestalt aber die Distribution der Masse, als das Ende des Konkursprozesses, möglichst beschleunigt werde.

des Instruenten.

§. 96.

Zur Abhaltung des Liquidationstermins, und Instruktion der an die Masse gemachten Ansprüche, wird ein Deputirter des Gerichts ernannt, zu dessen Amte es gehört, dafür zu sorgen, daß sowohl der Liquidationstermin nach den Vorschriften des folgenden Abschnitts gehörig abgehalten, als daß die daselbst zur näheren Instruktion verwiesenen einzelnen Forderungen gründlich, vollständig und schleunig zum Defintiverkenntnisse eingeleitet werden.

Bevollmächtigte der Gläubiger.

§. 97.

Den Gläubigern steht es zwar frei, ihre Forderungen im Liquidationstermin persönlich anzumelden, auch die Instruktion derselben persönlich abzuwarten; da aber im Verfolge der Sache oft Fälle vorkommen, wo mit den Gläubigern über gemeinschaftliche Angelegenheiten, es sei von Seiten des Kurators, oder auch von Gerichts wegen, Rücksprache genommen werden muß; so ist ein jeder in Person sich meldender Liquidant, wenn er nicht am Orte des Gerichts seinen beständigen Wohnsitz hat, zu bedeuten, daß er, zur fernern Wahrnehmung seiner Ge(rechtsame)


(1030) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

rechtsame und seines Interesses bei dem Konkurse, am Orte des Gerichts entweder einen Justizkommissarius, oder einen andern zulässigen Bevollmächtigten, an den das Gericht sich halten könne, ernennen, und mit gehöriger Vollmacht zu den Akten legitimiren müsse; unter der Warnung, daß er anderer Gestalt bei den vorkommenden Deliberationen, und abzufassenden Beschlüssen der übrigen Gläubiger, nicht weiter zugezogen, vielmehr angenommen werden würde, daß er sich den Beschlüssen der übrigen Gläubiger und den Verfügungen des Gerichts lediglich unterwerfe.

Zweiter Abschnitt.

Von Vorladungen der Gläubiger und Konstituirung der Passivmasse.

Citation der Gläubiger.

§. 98.

Sogleich nach eröffnetem Konkurse muß das Gericht die Vorladung der Gläubiger, zu Anmeldung und Ausweisung ihrer Ansprüche, von Amts wegen, ohne deshalb einen besonderen Antrag abzuwarten, verfügen.

§. 99.

In dieser Citation wird

1) den Gläubigern die geschehene Eröffnung des Konkurses, mit Benennung des Gemeinschuldners, und der etwa zur Masse gehörigen Güter, bekannt gemacht;

2) ein Termin vor dem ebenfalls zu benennenden Deputirten des Gerichts anberaumt, in welchem sämmtliche Kreditoren ihre Ansprüche an die Konkursmasse gebührend anmelden, und deren Richtigkeit nachweisen sollen;

3) die Warnung beigefügt, daß diejenigen, welche in diesem Termine nicht erscheinen würden, mit


(1031) Konkurs.

allen ihren Forderungen an die Masse präkludirt, und ihnen deshalb gegen die übrigen Kreditoren ein ewiges Stillschweigen auferlegt werden solle;

4) die Kreditoren werden citirt, persönlich oder durch zulässige Bevollmächtigte zu erscheinen; denjenigen aber, welche durch allzuweite Entfernung, oder andere legale Ehehaften, an der persönlichen Erscheinung gehindert werden, und denen es an dem Orte, wo das citirende Gericht seinen Sitz hat, an Bekanntschaft fehlt, werden etliche Justizkommissarien benannt, an deren einen sie sich wenden, und denselben mit Information und Vollmacht versehen können.

§. 100.

Diese Citation wird den Gläubigern theils durch Edictales, theils durch namentlich an sie gerichtete, in ihre Wohnungen zu insinuirende Verordnungen, bekannt gemacht.

Anh. §. 322. Zur Beschleunigung der Liquidationen in allen Konkurs- und Liquidationssachen können die am Orte des Gerichts oder in der Nachbarschaft sich aufhaltenden bekannten Gläubiger noch vor dem durch die Ediktalcitation anstehenden Konnotationstermin zu einem kurzen, etwa vier Wochen hinaus zu rückenden Termine vorgeladen werden.

durch specielle Verordnungen.

§. 101.

Durch dergleichen specielle Verordnungen sollen vorgeladen werden:

1) diejenigen Kreditoren, deren Forderungen auf die Grundstücke des Gemeinschuldners eingetragen sind. Um diese zu wissen, muß der Kurator die Hypothekenscheine über die zur Masse gehörigen Immobilien, wenn selbige nicht schon bei den Akten sind, fördersamst herbei schaffen;

2) diejenigen, welche nach der Angabe des Gemeinschuldners, dem von ihm eingereichten Statu bonorum, oder dem aufgenommenen Inventario, bewegliche Unterpfänder von ihm in Händen, und darauf Darlehne gemacht haben;


(1032) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

3) diejenigen, welche sich schon bei den Akten gemeldet haben, und entweder persönlich zugegen sind, oder Bevollmächtigte bestellt, und dem Richter angezeigt haben; es mögen die Forderungen derselben noch rechtshängig seyn, oder bereits unter der Exekution stehen.

Außerdem muß, wenn der Gemeinschuldner städtische oder Rustikalgrundstücke besessen hat, der Kämmerei- und Feuersocietäts-Kasse des Orts, ingleichen der Obrigkeit, unter welcher das Grundstück gelegen ist, von dem anstehenden Termine Nachricht ertheilt werden.

§. 102.

Unter den namentlich vorzuladenden Realgläubigern sind jedoch nicht diejenigen zu verstehen, welche nach den Gesetzen, oder aus speciellen Privilegien, von der Einlassung in den Konkurs, sowohl wegen ihrer Kapitals- als Zinsenforderungen, gänzlich dispensirt sind. Diesen ist der anstehende Termin bloß nachrichtlich bekannt zu machen; damit sie, wenn sie es nöthig finden, dabei erscheinen, und ihre Rechte wahrnehmen können.

§. 103.

Wenn vorhin schon ein Liquidationsprozeß über das dem Gemeinschuldner gehörende Grundstück geschwebt hat, welcher auf den Antrag der Personalgläubiger, unter den im folgenden Titel vorkommenden näheren Bestimmungen, in einen Konkursprozeß verwandelt worden ist; so bedarf es in letzterm keiner nochmaligen Vorladung der Realgläubiger; sondern es werden bloß die Personalgläubiger aufgerufen; diesen die bisherigen Verhandlungen mit den Realgläubigern, zur Erklärung über die Nichtigkeit und Priorität der von selbigen liquidirten Forderungen, vorgelegt; und wenn dagegen nichts zu erinnern gewesen, so wird diesen Realgläubigern ihre Stelle im Klassifikationsurtel, auf den Grund jener


(1033) Konkurs.

im Liquidationsprozesse erfolgten Verhandlungen, angewiesen.

§. 104.

Wenn mehrere namentlich zu citirende Gläubiger an Einem Orte sich aufhalten, so müssen sie nur in einer offenen Ordre, und diejenigen, welche unter einem fremden Gerichte stehen, müssen durch Requisition dieses Gerichts vorgeladen werden. Wegen der Insinuation sind die Vorschriften Tit. VII. zu beobachten.

§. 105.

Wenn der Aufenthalt eines Real- oder Pfandgläubigers unbekannt ist, so muß derselbe in der Ediktalcitation namentlich mit vorgeladen werden. Der Kurator aber, welcher hierauf anträgt, muß die Vorschrift des §. 14. Tit. VII. gehörig beobachten; doch muß, um die Publikation der Ediktalien nicht allzu sehr zu verzögern, seinem Antrage, unter Vorbehalt dieses Nachweises, sofort Statt gegeben werden.

§. 106.

Die im §. 101. nicht benannten Gläubiger, deren Namen und Aufenthalt aus dem Inventario, oder einem von dem Schuldner eingereichten Verzeichnisse, bei den Akten bekannt sind, müssen zwar ebenfalls durch besondere Verordnungen von dem eröffneten Konkurse benachrichtigt und zu dem anstehenden Liquidationstermine vorgeladen werden; wenn aber ein solcher Gläubiger sich meldet, und etwas aus der Masse erhält, so müssen die auf seine Vorladung aufgegangenen Kosten von ihm allein getragen, und also nicht zu den Kommunkosten gerechnet werden.

Anh. §. 323. Die an dergleichen Gläubiger zu erlassenden Verordnungen müssen nicht durch Requisition der Gerichte insinuirt, sondern bloß auf die Post gegeben werden. Auch sind die im Laufe des Konkurses an die am Orte des Gerichts wohnenden Parteien geringern Standes, ingleichen an den Kurator des Konkurses und die


(1034) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Mandatarien der Gläubiger zu richtenden Verfügungen bloß durch Abschrift des Dekrets zu erlassen, und dafür zur Ersparung der Kosten nur Schreibgebühren anzusetzen.

Anh. §. 324. In Ansehung geringfügiger Forderungen auswärtiger Gläubiger, oder solcher, die dem Vermuthen nach der deutschen Sprache, in welcher die Verordnung zu erlassen ist, nicht mächtig sind, ist eine von dem Kurator zu bewirkende und durch seine Manualakten nachzuweisende Bekanntmachung des anstehenden Liquidationstermins zureichend.

durch öffentliche Vorladung.

§. 107.

Wegen Bestimmung des Termins, der Anzahl der zu erpedirenden Ediktalcitationen, und der Art ihrer Bekanntmachung, ist zu unterscheiden: ob, nach einem ungefähren Ueberschlage, die Aktivmasse nur 200 Rthlr. oder weniger; oder ob sie zwar über 200 Rthlr., doch nicht über 1000 Rthlr.; oder ob sie über 1000 Rthlr. betrage.

Anh. §. 325. Wenn die Aktivmasse ganz oder zum Theil in Goldmünze besteht, so wird dieselbe mit fünf Prozent Aufgeld zu Courant gerechnet.

§. 108.

Wenn zu diesem Behufe der Ueberschlag der Aktivmasse gemacht wird, so müssen von dem angenommenen Werthe der Immobilien und beweglichen Sachen, die auf erstern eingetragenen Posten, und die auf letztern haftenden Pfandschulden abgezogen werden: also, daß nur der nach diesen Abzügen übrig bleibende Betrag den Maaßstab abgiebt, nach welchem der Termin, die Anzahl und die Bekanntmachung der Vorladungen abgemessen werden. Wenn also z. B. die Aktivmasse zwar 2000 Rthlr. beträgt, davon aber an eingetragenen und Pfandschulden mehr als 1000 Rthlr. abgehen; so wird nur der weniger als 1000 Rthlr. betragende Ueberrest zum Maaßstabe angenommen.

Anh. §. 326. Bei dem Abzüge der Schulden von dem Werthe der unbeweglichen Güter ist der Hypothekenschein zum Grunde zu legen; und es sind daher die sämmtlichen, darin noch ungelöscht stehenden Forderungen


(1035) Konkurs.

abzuziehen, wenn auch der Richter die Tilgung einer oder der andern dieser Forderungen für wahrscheinlich halten sollte.

§. 109.

Beträgt nach dieser Berechnung die Masse über tausend Thaler, so müssen drei Ediktalcitationen expedirt, und der Termin muß auf drei Monate hinaus gesetzt werden.

Ein Proklama wird an ordentlicher Gerichtsstelle des citirenden Gerichts angeschlagen. Die Anschlagung des zweiten geschieht, wenn der Gemeinschuldner ein Gutsbesitzer gewesen, in der Kreis- oder einer andern zunächst bei dem Gute gelegenen Stadt; oder wenn er ein Kaufmann gewesen, an dem Orte innerhalb der Königlichen Lande, wohin der Gemeinschuldner sein meistes Verkehr gehabt hat, oder wo nach den Büchern, oder dem Statu bonorum, die meisten Privatgläubiger desselben sich aufhalten. Die Bestimmung des Orts, wo das dritte Exemplar angeschlagen werden soll, wird dem richterlichen Befinden, nach Bewandtniß der Umstände, anheim gestellt.

Außerdem wird die Ediktalcitation auch durch die Zeitungen und durch die Intelligenzblätter der Provinz bekannt gemacht. In den Intelligenzblättern geschieht die Inserirung sechsmal, nämlich in den ersten beiden Monaten monatlich einmal, und in den letzten vier Wochen wöchentlich einmal.

In den Zeitungen wird die Citation nur dreimal bekannt gemacht; nämlich jeden Monat einmal: dergestalt, daß von der letzten Einrückung an, bis zum Termine, noch volle vier Wochen frei bleiben. Ist der Gemeinschuldner ein Gutsbesitzer oder anderer Privatmann, so darf die Einrückung nur in die Zeitungen der Provinz geschehen. Ist er aber ein Kaufmann gewesen, welcher auswärtigen Handel getrieben hat; so muß die Citation auch noch den Zeitungen derjenigen andern Königlichen Provinz, nach


(1036) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

welcher der Gemeinschuldner sein meistes Verkehr gehabt hat, oder welche dem auswärtigen Lande, wohin dieß Verkehr hauptsächlich gerichtet gewesen, am nächsten liegt, eingerückt werden. Wegen Besorgung dieser Einrückungen sind die Vorschriften Th. I. Tit. VII. §. 46. zu beobachten.

Uebrigens müssen die expedirenden Sekretaire die Termine, nach genommener Rücksprache mit dem zur Instruktion ernannten Deputirten, dergestalt reguliren und hinaus setzen, daß von dem Tage an, wenn die Citation das Erstemal in die Intelligenzblätter kommt, bis zum Termine selbst, volle drei Monate Zwischenraum bleiben.

Wenn in einer Provinz mehr als Eine Zeitung ausgegeben wird, so ist die Einrückung der Citation nur in Eine derselben hinreichend. Kommt in einer Provinz gar keine Zeitung heraus, so ist die Einrückung in die Zeitungen überhaupt, der Regel nach, nicht erforderlich. Ist aber der Gemeinschuldner ein Kaufmann, so muß, wegen Bekanntmachung der Citation in den Zeitungen einer andern Provinz, die obige Vorschrift beobachtet werden.

Anh. §. 327. Der Aushängung der Ediktalcitationen außerhalb der Gerichtsstelle bedarf es nicht. (§. 59. des Anh. zu §. 42. Th. I. Tit. VII. Gerichtsordnung.)

§. 110.

Wenn die Aktivmasse nach obiger Berechnung nur 1000 Rthlr. oder weniger, obwohl über 200 Rthlr. beträgt; so wird der Termin nur auf neun Wochen hinaus gesetzt.

Es werden nur zwei Exemplare der Ediktalcitation ausgefertigt; die Einrückung in die Intelligenzblätter geschieht nur dreimal, nämlich jede drei Wochen einmal; und nur in den Zeitungen der Provinz wird die Citation, aber auch in diesen nur zweimal, bekannt gemacht, nämlich gleich zu Anfange, und vier Wochen vor dem Termine.


(1037) Konkurs.

§. 111.

Ist endlich der Betrag der Masse nur 200 Rthlr. oder weniger, so wird der Termin nur auf sechs Wochen hinaus gesetzt; es wird nur Ein Proklama expedirt, und an gewöhnlicher Gerichtsstelle angeschlagen; und die anderweitige Bekanntmachung geschieht bloß zu dreien Malen, nämlich alle vierzehn Tage einmal in den Intelligenzblättern; und Einmal, nämlich gleich nach Eröffnung des Konkurses, in den Zeitungen der Provinz.

Wie zu verfahren sei, wenn zu der nur 200 Rthlr. oder weniger betragenden Masse ein Grundstück gehört; und daß alsdann die Ediktalvorladung der Gläubiger mit der Subhastation des Grundstücks in Eine Ausfertigung zusammen gefaßt werden könne, wird unten vorgeschrieben.

§. 112.

Wenn es zweifelhaft ist: ob die Aktivmasse über oder unter 200 Rthlr. betrage, so muß nach §. 110.; und wenn es zweifelhaft ist: ob sie über oder unter 1000 Rthlr. ausmache, muß nach §. 109. verfahren werden.

§. 113.

Uebrigens hängt die Gültigkeit und Legalität dieser Ediktalcitation hauptsächlich von deren gehöriger Einrückung in die Intelligenz- und Zeitungsblätter ab, und findet desfalls die Vorschrift Tit. VII. §. 47. auch hier Anwendung.

Vorladung des Gemeinschuldners.

§. 114.

Außer den Gläubigern muß auch der Gemeinschuldner, wenn er sich noch am Leben befindet, zum Liquidationstermine mit vorgeladen werden; um dem Kontradiktor die ihm beiwohnenden, die Masse betreffenden Nachrichten mitzutheilen, und besonders über die Ansprüche der Gläubiger Auskunft zu geben. Ist sein Aufenthalt bekannt, so geschieht dieses durch eine besondere Verordnung; widrigenfalls wird er


(1038) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

in den erlassenen Ediktalien namentlich mit vorgeladen.

Wie mit dieser Citation auch die Vorladung des ausgetretenen Gemeinschuldners, zur Verantwortung wegen des ihm den Umständen nach zur Last fallenden muthwilligen Bankeruts, zu verbinden sey, ist in den Kriminalgesetzen verordnet.

Vorbereitung zum Liquidationstermine.

§. 115.

Die Zwischenzeit bis zum Termine muß der Kontradiktor dazu nutzen, daß er aus den Büchern, Rechnungen und übrigen Skripturen des Gemeinschuldners, so wie von diesem selbst, wenn er noch am Leben und gegenwärtig ist, oder von denjenigen, deren er sich zur Besorgung seiner Angelegenheiten hauptsächlich bedient hat; ingleichen aus den wegen der Forderungen einzelner Gläubiger etwa schon verhandelten Akten, von diesen Forderungen, deren Grunde und eigentlichen Bewandtniß, vorläufige Nachricht einzuziehen, und sich solchergestalt auf den Liquidationstermin vorzubereiten bemüht ist.

Verhandlungen im Termine.

§. 116.

Im Liquidationstermine muß zuvörderst der Kontradiktor die bei dem Gerichte angeschlagen gewesene Ediktalcitation, die erforderliche Anzahl der Zeitungen und Intelligenzblätter, und die den bekannten Gläubigern insinuirten besonderen Verordnungen zu den Akten geben; die erschienenen Gläubiger zur Angabe ihrer Ansprüche auffordern; und auf die Präklusion der Außengebliebenen antragen.

Angabe der Forderungen zum Konnotationsprotokolle.

§. 117.

Alsdann müssen die erschienenen Kreditoren nach einander, so wie sie sich melden, zur Angabe ihrer Forderungen gelassen, und diese Angaben in das darüber zu haltende Konnotationsprotokoll, unter fortlaufenden Nummern, verzeichnet werden.


(1039) Konkurs.

§. 118.

Bei dieser ersten Konnotation ist es hinreichend, wenn nur der Name des Liquidanten, nebst seinem Charakter, oder den sonst zu seiner Unterscheidung von Anderen dienenden Bezeichnungen, die Art und der Betrag der Forderung, und der Grund derselben, wenigstens im Allgemeinen, angegeben werden.

Verifikationstermine.

§. 119.

Wenn solchergestalt alle sich angebende Kreditoren verzeichnet sind, so muss der Deputirte einen andern möglichst nahen Termin bestimmen, und mit dem Kontradiktor und den anwesenden Gläubigern sofort verabreden: in welchem man sich wieder versammeln, und die nähere Prüfung der angemeldeten Forderungen vornehmen wolle.

§. 120.

Hat sich eine so große Anzahl von Gläubigern gemeldet, daß der Deputirte voraus sehen kann: es werden nicht alle Forderungen in Einem Termine erörtert werden können; so muß er mehrere dergleichen Verifikationstermine bestimmen, und zu jedem derselben eine gewisse Anzahl von Gläubigern bestellen. Auswärtige, die zur Anmeldung ihrer Forderungen persönlich erschienen sind, müssen vor allen andern abgefertigt werden.

§. 121.

In dem Verifikationstermine muß jeder Liquidant seine Forderung noch näher und bestimmter angeben; die Thatsachen, auf welchen sie beruhet, eben so, wie in einer jeden Klage geschehen muß, deutlich und zusammenhängend vortragen; wenn er Zinsen fordert, den Grund dazu, und den Termin, seit welchem sie rückständig sind, wie nicht weniger den Zinssatz selbst, anzeigen; die Qualität der Forderung, und die Stelle im Prioritätsurtel, auf welche er Anspruch zu machen gedenkt, deutlich ausdrücken; die in Händen habenden Urkunden und schriftlichen


(1040) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Beweismittel im Original vorlegen; und die übrigen Beweismittel, wodurch er im Läugnungsfalle seine Behauptungen wahr machen könne, den allgemeinen Vorschriften gemäß, anzeigen.

§. 122.

Einem jeden Gläubiger steht frei, eine mit diesen Erfordernissen versehene schriftliche Anmeldung seines Anspruchs vor oder in dem Konnotationstermine einzureichen; wovon dem Kontradiktor sofort Abschrift zugestellt werden muß. Doch muß auch ein solcher Gläubiger sowohl in dem Konnotations-, als in dem für ihn bestimmten Verifikationstermine sich melden, und auf seine schriftliche Liquidation beziehen.

§. 123.

Im Verifikationstermine wird über jede darin erörterte Forderung ein Protokoll auf einem besondern Bogen aufgenommen, und mit der Nummer, welche der Liquidant im Konnotationsprotokolle erhalten hat, bezeichnet.

§. 124.

Auf die nach §. 121. 122. geschehene nähere Angabe einer jeden Forderung, muß der Kontradiktor sich erklären: ob er die Forderung, so wie sie angegeben worden, für richtig und bekannt annehme; oder ob er dabei, es sey in Ansehung der Richtigkeit, oder der verlangten Priorität, noch etwas zu erinnern finde.

§. 125.

Erklärt sich der Kontradiktor, daß er die Forderung angegebenermaaßen überall für bekannt annehme, so wird diese Erklärung in dem Verifikationsprotokolle (§. 123.) bemerkt; und es bedarf sodann keiner weiteren Verhandlungen darüber. Macht aber der Kontradiktor Einwendungen dagegen, so muß durch eine auf das Verifikationsprotokoll sogleich abzufassende Resolution, ein besonderer Instruktionstermin darüber anberaumt werden.


(1041) Konkurs.

§. 126.

Ob es gleich eigentlich die Sache des Kontradiktors ist, die Richtigkeit und verlangte Priorität der liquidirten Forderungen zu prüfen, und sich darüber zu erklären; so steht es dennoch auch den Gläubigern, welche nicht nur im Konnotationstermine zugegen sind, sondern auch die Verifikationstermine abwarten können, frei, selbst gegen solche Posten, die von dem Kontradiktor eingeräumt werden, Einwendungen zu machen, und auf deren Erörterung anzutragen. Dergleichen Einwendungen müssen ebenfalls in dem Verifikationsprotokolle (§. 123.) bemerkt werden.

§. 127.

Ist der Kreditor, welcher dergleichen Einwendungen macht, ein solcher, welcher selbst ein Interesse bei der Sache hat, d. h. vor welchem der Liquidant ein vorzügliches, oder ein mit ihm gleiches Recht verlangt; so muß auf die Erinnerungen desselben, sie mögen die Richtigkeit, oder die behauptete Priorität der Forderung betreffen, allemal Rücksicht genommen werden; und es steht ihm frei, selbst wenn der Kontradiktor und die übrigen Gläubiger diese Erinnerungen für unerheblich halten, auf die Instruktion derselben zwischen ihm und dem Liquidanten, jedoch nicht auf Kosten der Masse, anzutragen.

§. 128.

Hat hingegen der Kreditor, welcher bei einer liquidirten Post Ausstellungen macht, selbst kein Interesse bei der Sache, so steht es ihm bloß frei, seine Bedenken, nebst den Gründen, dem Kontradiktor und den übrigen dabei interessirenden Gläubigern anzuzeigen; worauf es sodann bloß von diesen abhängt: in wie fern sie davon Gebrauch machen, und auf nähere Untersuchung dringen wollen.


(1042) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Von Erörterung solcher Forderungen, von denen es ungewiß ist, ob sie zur Hebung gelangen werden.

§. 129.

Da sich sehr oft der Fall ereignen kann, daß eine Forderung, deren Richtigkeit durch eine weitläufige und kostbare Untersuchung ausgemittelt werden muß, wenn sie auch demnächst feststeht, dennoch wegen Unzulänglichkeit der Masse nicht zur Hebung gelangen kann, und also die Kosten vergeblich aufgewendet werden; so muß, um dieses möglichst zu vermeiden, gegen die Annäherung des Liquidationstermins, von dem Kurator ein ungefährer Ueberschlag der Aktivmasse, so weit sich dieselbe alsdann, aus dem aufgenommenen Inventario und den übrigen eingezogenen Nachrichten übersehen läßt, entworfen, und dem Deputirten des Gerichts zugestellt werden. Dieser muß sothane Balance in den Verifikationsterminen den Gläubigern vorlegen; damit diejenigen unter ihnen, welche, nach Maaßgabe derselben, aus der Masse befriedigt zu werden, keine Hoffnung haben, ihrem Anspruche an dieselbe, mit Vorbehalt ihrer Rechte an den Gemeinschuldner, entsagen, und sich dadurch vergebliche Kosten ersparen können.

§. 130.

Wenn nach dieser Balance noch nicht ganz klar ist, ob ein Gläubiger seine Befriedigung aus der Masse werde erhalten können, oder nicht, und daher derselbe, seiner Forderung zu entsagen, Bedenken trägt; gleichwohl aber auch die Kosten einer weitläufigen, und am Ende doch vielleicht fruchtlosen Erörterung und Beweisesaufnahme zu verwenden Anstand nimmt: so steht einem solchen Gläubiger frei, darauf anzutragen, daß diese nähere Instruktion seines Anspruchs so lange ausgesetzt werde, bis der Betrag der Aktivmasse näher und gewisser ins Licht, und er dadurch in den Stand gesetzt worden ist, über die Fortsetzung oder Entsagung seines Liquidati einen bestimmten Entschluß zu fassen.

Es muß aber ein solcher Gläubiger auf den Fortgang


(1043) Konkurs.

der Sache, und die nähere Entwickelung des Betrags der Aktivmasse, wohl Acht geben, und sobald die Lage derselben so beschaffen ist, daß er nunmehr seine Liquidation mit einiger Hoffnung des Erfolges fortsetzen kann, sich dazu bei dem Gerichte unverzüglich melden. Zögert er damit so lange, bis die Masse übrigens zur Distribution reif ist; und wird diese durch die nunmehr erst nachzuholende Instruktion einer solchen ausgesetzten Post aufgehalten: so muß er den übrigen zur Hebung gelangenden Mitgläubigern, für die durch diesen Verzug entbehrten Zinsen und etwanigen besonderen Kosten, gerecht werden.

Instruktion der streitig gebliebenen Posten.

§. 131.

In Ansehung derjenigen Posten, welche nach §. 125. 127. auf den Antrag des Kontradiktors, oder eines dabei interessirenden Mitgläubigers, zur besondern Instruktion verwiesen worden, sind die Vorschriften der gegenwärtigen Ordnung von Instruktionen überhaupt zu beobachten.

§. 132.

Wenn also in dem Verifikationstermine (oder auch, wie bei weitläufigen und verwickelten Ansprüchen geschehen kann, in einem besonders dazu anberaumten Termine) die Liquidation oder Klage gehörig aufgenommen worden ist; so wird im Instruktionstermine mit deren Beantwortung von Seiten des Kontradiktors, oder des widersprechenden Mitgläubigers, der Anfang gemacht; sodann mit Vernehmung der Parteien gegen einander, und Festsetzung des Status causae et controversiae fortgefahren; der Beweis über die etwa streitig gebliebenen erheblichen Thatsachen aufgenommen; die Deduktion und Gegendeduktion zum Protokolle oder schriftlich beigebracht, und das Verfahren gewöhnlichermaaßen geschlossen.


(1044) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

§. 133.

Der nach §. 96. ernannte Deputirte muß alle diese Specialinstruktionen, in welchen es keiner schriftlich zu expedirenden Verfügungen an die Parteien bedarf, führen; dieselben ununterbrochen betreiben, und möglichst beschleunigen; wenn sie nicht binnen vier Wochen nach dem Liquidationstermine beendigt sind, dem Gerichte von der Lage einer jeden alsdann noch schwebenden Instruktion, und den Ursachen, warum sie noch nicht geschlossen werden kann, Anzeige machen; auch diese Anzeige, in Ansehung aller sich noch weiter hinaus ziehenden Instruktionen, von vier zu vier Wochen, von Amts wegen, und unerfordert wiederholen.

§. 134.

Wenn der Gemeinschuldner bei einer Königlichen, oder andern öffentlichen, mit den Königlichen gleiche Rechte genießenden Kasse, als verrechneter Diener oder Beamter angesetzt gewesen, und der Kasse etwas schuldig geblieben ist; so gehört die Berechnung darüber, und die Konstitution des Liquidi, nicht vor das ordentliche, den Konkurs dirigirende Gericht, sondern vor dasjenige Kollegium, unter welchem der Gemeinschuldner dieses seines Amts halber gestanden hat.

Wenn also zwischen ihm und der Kasse schon vor eröffnetem Konkurse ein Liquidum konstituirt worden, so ist es genug, wenn diese Berechnung und dieses Liquidum dem Gerichte des Konkurses, entweder von gedachtem Kollegio unmittelbar kommunicirt, oder durch einen fiskalischen Beamten in beglaubter Form eingereicht wird. Es findet alsdann kein weiteres Verfahren darüber Statt; sondern die Kasse muß damit an dem durch die Gesetze ihr angewiesenen Orte locirt, und der Gemeinschuldner, oder die Gläubiger, welche noch etwas dagegen einwenden wollen, müssen


(1045) Konkurs.

an das der Kasse vorgesetzte Kollegium verwiesen werden.

Ist das Liquidum noch nicht gezogen, so muß die Festsetzung desselben bei eben diesem Kollegio fördersamst geschehen, und der Kontradiktor muß dabei die Rechte der Masse gehörig wahrnehmen.

§. 135.

Da in einem Konkurse sämmtliche Ansprüche vollständig ausgemittelt werden müssen, und die Verweisung der einen oder der andern Forderung ad separatum sich dabei nicht gedenken läßt; so ergiebt sich von selbst, daß der aus einem Wechsel oder privilegirten Schuldinstrumente gegen den Schuldner zulässige exekutivische Prozeß gegen die Masse nicht Statt finde; sondern daß dergleichen Wechsel- oder privilegirte Schuldforderung, gleich jeder andern, vollständig, und auch in Ansehung der entgegen gestellten, eine förmliche Beweisesaufnahme erfordernden Einwendungen, auseinander gesetzt, und zum Spruche instruirt werden muß.

§. 136.

Die speciellen Liquidationen müssen in besonderen Protokollen instruirt, und über jede solche Forderung besondere Akten formirt werden.

Mehreren Liquidanten, deren Forderungen aus einerlei Fundamente entspringen, und die in Eine Klasse gehören, z. B. für die Kurkosten, für die Liedlöhner (et)c., kann ein gemeinschaftlicher Liquidationsfascikel bestimmt werden. Die Verifikationsprotokolle, bei welchen es nach §. 125. keiner weiteren Verhandlungen bedarf, werden in Einem Aktenbande, nach Ordnung der Nummern, zusammen geheftet.

Abschluß des Liquidationsverfahrens.

§. 137.

Der Regel nach kann die Vorlegung der Akten, zur Abfassung des Liquidations- und Prioritätsurtels, eher nicht erfolgen, als bis sämmtliche specielle Posten entweder durch Anerkenntniß, oder durch


(1046) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Abschluß der Instruktion darüber, zum Spruche reif sind.

§. 138.

Wenn jedoch sämmtliche übrige Forderungen so weit gediehen wären, und nur noch eine oder etliche wenige übrig blieben, deren vollständige Instruktion annoch, wegen ihrer weitläufigen und verwickelten Beschaffenheit, und der dabei etwa aufzunehmenden entfernteren Beweismittel, eine beträchtlich längere Zeit zu erfordern scheint; und wenn demnächst voraus zu sehen wäre, wasgestalten diese Forderung in dem Klassifikationsurtel eine so vorzügliche Stelle, daß vor deren rechtskräftiger Entscheidung gar keine Vertheilung der Masse erfolgen könnte, nicht erhalten werde; z. B. wenn der Anspruch des Liquidanten sich aus einer zwischen ihm und dem Gemeinschuldner subsistirten Societät herschreibt, und zu dessen vollständiger Ausmittelung eine förmliche Auseinandersetzung nothwendig ist; so muß der Deputirte des Gerichts die Parteien bloß über die einer solchen Forderung, im Fall sie richtig wäre, gebührende Klasse und Stelle vernehmen, und die Sache zum Erkenntnisse darüber einleiten; alsdann aber die übrigen Akten dem Kollegio einreichen, und auf deren Vorlegung zum Spruche antragen.

§. 139.

In dem Klassifikationsurtel wird alsdann einer solchen Forderung bloß der ihr gebührende Ort angewiesen, und wegen des Betrags auf das künftige Urtel, welches nach der geschlossenen speciellen Instruktion erfolgen würde, Bezug genommen.

Mit dieser speciellen Instruktion wird inzwischen ununterbrochen fortgefahren; und wenn sie geschlossen ist, alsdann durch ein besonderes Urtel festgesetzt: ob, und mit wie viel, nunmehr der Liquidant an der im Klassifikationserkenntnisse ihm vorbehaltenen Stelle zu befriedigen sey.


(1047) Konkurs.

Inrotulation.

§. 140.

Wenn sämmtliche Forderungen der Gläubiger nach diesen Vorschriften zum Spruche instruirt sind, so wird ein Termin anberaumt, in welchem die Akten, sowohl diejenigen, worin die zum Konkurse gehörigen Generalia, die Vorladungen der Gläubiger, und das Konnotationsprotokoll befindlich, als diejenigen, welche über die Forderungen einzelner Kreditoren verhandelt sind, vorgelegt, und in Ansehung ihrer Vollständigkeit nachgesehen werden; auch der Rotulus der Generalakten angefertigt, und ein Verzeichniß der erwachsenen Specialakten aufgenommen wird. Bei diesen Specialakten selbst bedarf es nur in so fern einer Inrotulation, mit Zuziehung des von dem Liquidanten ernannt gewesenen Assistenten oder Bevollmächtigten, darin, nach regulirtem Statu causae et controversiae, eine förmliche Beweisesaufnahme hat erfolgen müssen.

§. 141.

Zu dem allgemeinen Inrotulationsternine wird nur der Kontradiktor vorgeladen; es muß aber derselbe den Bevollmächtigten der Gläubiger davon Nachricht geben, damit ein jeder, welcher bei der Instruktion der Sache, sie betreffe ihn selbst, oder einen Mitgläubiger, noch etwas zu erinnern hat, sich bei dieser Gelegenheit melden, und seine Nothdurft beobachten könne.

§. 142.

Bis zu diesem Termine können auch Gläubiger, deren Forderungen bei der Anmeldung im Liquidationstermine zu spät gekommen sind, dieselben nachbringen: dergestalt, daß sie damit noch gehört, und ihre Ansprüche, nach obigen Vorschriften, zur Definitiventscheidung in dem Klassificationsurtel instruirt werden müssen. In so fern jedoch durch diese verspätete Anmeldung mehrere Kosten entstehen, müssen


(1048) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

selbige diesen nachliquidirenden Gläubigern allein zur Last fallen.

Klassifikationsurtel, Präklusion.

§. 143.

In dem Klassifikationsurtel selbst müssen zuvörderst, wenn die Vorschriften wegen Erlassung, Insinuation und Bekanntmachung der Citationen gehörig beobachtet sind, die nicht erschienenen Gläubiger ihrer Ansprüche an die Masse in contumaciam für verlustig erklärt, und ihnen damit ein ewiges Stillschweigen auferlegt werden. Wegen derjenigen, welche namentlich vorgeladen worden sind, muß auch eine namentliche Präklusion erfolgen.

Anh. §. 328. Einer Aushängung des Präklusionserkenntnisses am Orte des Gerichts bedarf es nicht.

§. 144.

Diese Vorschrift gilt auch von eingetragenen Realgläubigern, die im Konkurse zu liquidiren schuldig sind; in so fern sie entweder in der Ediktalcitation, oder durch besondere richtig insinuirte Verordnungen gehörig vorgeladen worden sind; und versteht es sich von selbst, daß auch in Ansehung ihrer die Forderung nur zum Besten der übrigen Gläubiger für wegfallend geachtet werde, keinesweges aber als ein herrenloses Gut dem Fiskus anheim falle.

§. 145.

Ueberhaupt besteht die Wirkung der Präklusion in dem Verluste aller Ansprüche an die Masse, und an die übrigen, dieselbe unter sich vertheilenden Gläubiger. Die Rechte an die Person des Schuldners aber, und an dessen künftiges Vermögen, gehen dadurch keineswegs verloren.

Vorbehalt wegen der zum Konkurs nicht gehörenden Ansprüche;

§. 146.

Nach geschehener Präklusion müssen sodann diejenigen, welche an ein zum Konkurse gehöriges Immobile Forderungen haben, womit sie aber sich bei dem Konkurse zu melden nicht schuldig sind, nur nachrichtlich angeführt, und denselben ihre Rechte


(1049) Konkurs.

daran vorbehalten werden. Welches diese Forderungen sind, ist im vierten Abschnitte bestimmt.

wegen der Kommunkosten.

§. 147.

Hiernächst ist der gemeinschaftlichen Kosten und Ausgaben, welche theils zur Konstituirung der Masse, theils zur Konservation und Verwaltung der dazu gehörigen Güter, schon verwendet worden sind, oder noch verwendet werden möchten, Erwähnung zu thun; maaßen diese vor allen übrigen aus der Masse zu bezahlen sind.

In wie fern aber selbige von der Masse vor deren Vertheilung abzuziehen, oder den zur Perception gelangenden Gläubigern pro rata, anzurechnen sind, wird im fünften Abschnitte, von der Vertheilung der Masse, näher bestimmt werden.

Locirung der Gläubiger.

§. 148.

Sodann sind die sämmtlichen Gläubiger, welche ihre Forderungen liquidirt haben, in denjenigen Klassen, und die zu einer jeden Klasse gehörenden untereinander, in derjenigen Ordnung anzusetzen, welche ihnen durch die Vorschrift des folgenden vierten Abschnitts angewiesen worden sind.

Bestimmungen wegen der Richtigkeit der Forderungen;

§. 149.

Die Wahrheit und Richtigkeit der Forderungen ist nach den allgemeinen Vorschriften der Gesetze zu beurtheilen und zu entscheiden; nur sind wegen der von den Gläubigern mit liquidirten Zinsen und Kosten, folgende Grundsätze zu beobachten:

wegen der Zinsen;

§. 150.

Keinem Gläubiger kann in eben der Klasse, wo das Kapital angesetzt wird, an Zinsen mehr, als der Rückstand zweier Jahre, vom Tage des eröffneten Konkurses zurück gerechnet, zuerkannt werden. Hat ein Gläubiger mehr an versessenen Zinsen zu fordern, so soll er damit den Kapitalsforderungen aller übrigen nachstehen: dergestalt, daß, wenn diese insgesammt, auch mit Inbegriff der letzten Klasse, bezahlt


(1050) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

sind, und von der Masse noch etwas übrig bleibt, sodann erst daraus die weiteren Zinsenrückstände, und zwar nach der Ordnung der Kapitalien, getilgt werden müssen.

§. 151.

Diese Vorschrift gilt auch in Ansehung der eingetragenen Gläubiger: also, daß auch diese nur zweijährige Zinsenrückstände an dem Orte, den das Kapital nach der Zeit der Eintragung erhält, fordern können. Ist die Eintragung innerhalb der letzten zwei Jahre geschehen, so kann der Liquidant die rückständigen Zinsen, nur vom Tage der Eintragung, an der privilegirten Stelle des Kapitals erhalten, wenn auch die Forderung an sich älter, und volle zweijährige Zinsen davon rückständig wären. Den Ueberrest des Rückstandes seit zwei Jahren kann ein solcher Gläubiger nur an dem Orte fordern, welcher seinem Kapital, wenn es nicht eingetragen wäre, zukommen würde. Ein Realgläubiger, welcher die seit länger als zwei Jahren rückständigen Zinsen binnen vier Wochen nach dem Verfalle derselben eingeklagt, und die Exekution deshalb bis zur Konkurseröffnung gehörig fortgesetzt hat, kann diese älteren Rückstände, zwar nicht an der privilegirten Stelle des Kapitals, aber doch in der sechsten Klasse, da, wo sein in der dritten Klasse ausfallendes Kapital zu stehen kommen würde, fordern.

Hat ein Realgläubiger den ältern Zinsenrückstand, noch vor der Konkurseröffnung, mit ausdrücklicher Einwilligung des Schuldners besonders eintragen lassen, so wird er damit zwar in der dritten Klasse, jedoch nur an dem Orte, welcher ihm nach der Zeit dieser besondern Eintragung gebührt, angesetzt.

Anh. §. 329. Sind die eingetragenen Gläubiger bloß durch die seit dem Jahre 1807. ergangenen Indultgesetze, z. B. in Gefolge der Protestation eines unbefriedigten Gläubigers gegen den Zuschlag des subhastirten Grundstücks, an der rechtzeitigen Beitreibung


(1051) Konkurs.

ihrer Forderungen gehindert worden, und ist dadurch ein Rückstand von mehr als zwei Jahren entstanden; so kann der Gläubiger die Ansetzung des ganzen Rückstandes an dem Orte fordern, an welchem das Kapital eingetragen ist.

§. 152.

Durch die Eröffnung des Konkurses wird der Zinsenlauf in Ansehung aller übrigen Forderungen, ohne Unterschied, gehemmt und unterbrochen.

Nur allein diejenigen Gläubiger, welche ein bewegliches Unterpfand in Händen haben; und diejenigen, deren Forderungen auf ein unbewegliches Grundstück im Hypothekenbuche eingetragen sind, werden hiervon ausgenommen.

Ersteren werden die Zinsen auch während des Konkurses bezahlt, so weit als ihr Pfand und der bei der gerichtlichen Versteigerung daraus zu lösende Werth dazu hinlangt.

Die eingetragenen Gläubiger erhalten die fortlaufenden Zinsen im Konkurse, nach der Ordnung der Kapitalien, so weit, als die Einkünfte der Güter, nach Abzug aller fortlaufenden Lasten, und Abgaben, dazu hinreichend sind. Wie diese Einkünfte zu berechnen, und was davon in Abzug zu bringen sey, ehe sie unter die eingetragenen Gläubiger vertheilt werden können, wird im fünften Abschnitte vorgeschrieben.

wegen der Kosten.

§. 153.

Kosten, die ein Gläubiger, vor entstandenem Konkurse, auf Einklagung seiner Forderung verwendet hat, und in deren Ersatz der Gemeinschuldner durch Urtel und Recht kondemnirt ist, werden an eben dem Orte, wo das Kapital zu stehen kommt, angesetzt. Die eingetragenen Gläubiger erhalten jedoch diese Kosten nur in der sechsten Klasse; und jeder Gläubiger, welcher Kosten liquidirt, muß das richterliche Festsetzungsdekret darüber wenigstens noch vor dem Inrotulationstermine beibringen;


(1052) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

widrigenfalls auf die ganze Kostenforderung keine Rücksicht genommen wird. Die Kosten der Liquidation beim Konkurse muß jeder Gläubiger selbst tragen; und kann sie aus der Masse nur alsdann zurück fordern, wenn nach Abzug aller Kapitalsposten, und sämmtlicher auch über zwei Jahre rückständiger Zinsen, noch etwas übrig bleibt.

Anh. §. 330. Zu den Kosten der Liquidation beim Konkurse, welche der Gläubiger tragen muß, gehören sämmtliche durch die Instruktion in erster Instanz erwachsene Kosten, es mag der Liquidant oder der Kontradiktor als Extrahent anzusehen seyn.

wegen bloß temporeller Prästationen;

§. 154.

Jährliche Prästationen, welche nicht als eine beständige Last wegen auf einem unbeweglichen Grundstück haften, sondern zu einer bestimmten oder unbestimmten Zeit wieder wegfallen, z. B. Alimente, die der Gemeinschuldner an jemanden zu entrichten hat, müssen am gehörigen Orte angesetzt, und ein Kapital, dessen Zinsen zu ihrer Bezahlung hinreichen, unter Vorbehalt des künftigen Rückfalles an die Masse, ausgeworfen werden.

wegen noch nicht fälliger Forderungen.

§. 155.

Auch Forderungen, deren Verfalltag noch nicht gekommen, sondern von der Existenz eines gewissen oder ungewissen Zeitpunkts, oder einer Bedingung abhängig ist, müssen in dem Klassifikationserkenntnisse gehörigen Orts locirt werden. In wie fern bei Vertheilung der Masse auf sie zu rechnen, und wie das für sie auszusetzende Kapital zu bestimmen sey, wird im fünften Abschnitte verordnet.

wegen der Kompensation in Konkursen.

§. 156.

Wegen der Kompensation in Konkursen hat es bei den Vorschriften der Gesetze sein Bewenden. (Allg. L. R. Th. I. Tit. XVI. §. 317 bis 327.)

§. 157.

Diese Vorschriften finden auch Statt, wenn mehrere Posten vorhanden sind, auf welche die Kompensation


(1053) Konkurs.

geschehen könnte. (Allg. L. R. a. a. O. §. 375. vergl. §. 150 bis 159.)

§. 158.

Wenn jemand an den Gemeinschuldner eine zur Zeit der Konkurseröffnung schon fällige Forderung hat (creditum purum), und dagegen aus einem mit demselben geschlossenen Vertrage der Masse, jedoch nur dergestalt verhaftet ist, daß seine Zahlungsverbindlichkeit erst nach einem gewissen Zeitpunkte eintritt (Debitum in diem); so muß er sich die Kompensation gefallen lassen, und kann für die Zwischenzeit keine Zinsen seiner Aktivforderung verlangen, weil in Ansehung dieser der Zinsenlauf durch die Konkurseröffnung gehemmt ist.

§. 159.

Wenn hingegen jemand dem Gemeinschuldner eine sofort zahlbare Post (Debitum purum) schuldig ist, und dagegen eine Forderung an die Masse hat, deren Verfalltag noch nicht eingetreten ist (Creditum in diem); so kann er zwar ebenfalls kompensiren; er muß aber der Masse die Zinsen seiner Schuld bis zum Verfalltage vergüten.

§. 160.

Wenn unter zwei Mitverpflichteten die Konkursmasse des Einen dem Berichtigten Zahlung leisten muß, und sich an den andern Mitverpflichteten deshalb regressirt; so kann dieser gegen die Konkursmasse mit Forderungen, die er an den Gemeinschuldner hat, nicht kompensiren; weil in diesem Falle die Forderung der Masse an ihn erst nach eröffnetem Konkurse entstanden ist; folglich die Forderung, welche der Mitverpflichtete schon vor eröffnetem Konkurse an den Gemeinschuldner hatte, darauf nicht abgerechnet werden kann. (Allg. L. R. a. a. O. §. 321.)


(1054) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Vom Jure subintrandi.

§. 161.

Wenn jemand entweder einen Gläubiger unmittelbar bezahlt, oder dem Gemeinschuldner Geld unter der ausdrücklichen Bedingung geliehen hat, daß ein anderer Kreditor damit bezahlt werden soll, und die Bezahlung desselben wirklich erfolgt ist;

Oder wenn der Bürge für den Hauptschuldner einem Gläubiger Zahlung geleistet hat: Oder wenn der Eigenthümer eines unbeweglichen Gutes, welches für eine Schuld des Gemeinschuldners verpfändet gewesen, dem Pfandgläubiger für Rechnung des Gemeinschuldners Zahlung gethan hat; so tritt derselbe an die Stelle des durch ihn bezahlten Gläubigers, und muß in der Klassifikation daselbst angesetzt werden, wenn er sich auch seine Rechte von ihm nicht ausdrücklich hat cediren lassen. Doch gilt dieß, in Ansehung der Priorität, bei Pfandschulden nur in so fern, als der Zahlende sich das Pfand hat einhändigen lassen; und bei eingetragenen Schulden nur so lange, als die bezahlte Post in dem Grundbuche auf den Namen des vorigen Gläubigers unverändert stehen bleibt. Wenn also eine dergleichen durch einen Dritten bezahlte Post in dem Hypothekenbuche gelöscht, oder einem Andern mit Aushändigung der Originalobligation cedirt worden ist; so kann der Dritte, welcher dafür Zahlung geleistet hat, zum Präjudiz der übrigen Gläubiger, und zum Nachtheile der Zuverlässigke(i)t des Hypothekenbuchs, nicht an ihre Stelle treten; sondern er kann sich nur desjenigen Platzes anmaaßen, welcher der durch ihn bezahlten Forderung zugestanden hätte, wenn sie nicht eingetragen gewesen wäre; allermaaßen er sich selbst beizumessen hat, daß er die Forderung sich nicht gehörig cediren, oder wenigstens deren durch ihn geleistete Zahlung nicht im Hypothekenbuche vermerken lassen.


(1055) Konkurs.

Anh. §.331. Auch in Absicht solcher Forderungen, denen nach ihrer Qualität gewisse Vorrechte beiwohnen, findet das jus subintrandi Statt. Die Vorschrift des Allgemeinen Landrechts Theil I. Titel XVI. §. 47. leidet demnach hier keine Anwendung.

Vom Retorsionsrechte.

§. 162.

Bei Konkursen sollen die Gerichte, besonders in Ansehung der Priorität ausländischer Forderungen, auf das Retorsionsrecht gehörige Rücksicht nehmen.

Dergleichen Retorsion aber soll nur alsdann Statt finden, wenn in fremden Landen zwischen einheimischen und fremden, insonderheit hiesigen Unterthanen, ein Unterschied zum Nachtheil der Letzteren gemacht, und denselben dasjenige Recht, was einheimischen Forderungen von völlig gleicher Qualität nach dasigen Gesetzen zukommt, bloß um deßwillen, weil sie fremde sind, versagt wird.

Fassung des Erkenntnisses.

§. 163.

Uebrigens müssen bei Abfassung der Klassifikatoria die allgemeinen Vorschriften des Dreizehnten Titels gehörig beobachtet, und hinter jeder Post die Entscheidungsgründe, sowohl über die Richtigkeit, als Priorität, unmittelbar beigefügt werden.

Locirung mehrerer Forderungen Eines Gläubigers.

§. 164.

Hat ein Kreditor verschiedene Forderungen an die Masse, denen ihrer Qualität nach verschiedene Stellen gebühren; so muß mehrerer die Ansetzung derselben nicht unter Einer Nummer erfolgen; vielmehr muß jede Forderung, unter einer besondern Nummer, an dem Orte, welcher ihr zukommt, angesetzt werden.

Abweisung ungegründeter Ansprüche.

§. 165.

Wenn ein Gläubiger, wegen befundenen Ungrundes seiner Forderung, damit gänzlich abgewiesen wird; so muß diese Abweisung an dem Orte erkannt werden, wo die Forderung, wenn sie richtig gewesen wäre, hätte angesetzt werden müssen.


(1056) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Publikationen des Klassifikationenurtels.

§. 166.

Wenn das Klassifikationserkenntniß solchergestalt abgefaßt ist, so muß zu dessen Publikation ein besonderer Termin angesetzt; der Kontradiktor, die Bevollmächtigten der Gläubiger, und diejenigen der Letzteren, welche sich persönlich am Orte des Gerichts aufhalten, müssen durch eine Kurrende dazu vorgeladen; in diesem Termine muß das Urtel durch den vorigen Deputirten publicirt; dasselbe, vornehmlich denjenigen Gläubigern, welche keine rechtskundigen Assistenten haben, wo es nöthig ist, erläutert; und sie wegen desjenigen, was sie zu thun haben, wenn sie sich bei dem Urtel nicht beruhigen wollen, gehörig bedeutet; zuletzt aber dem Kontradiktor eine vollständige Abschrift des Erkenntnisses, so wie den einzelnen Gläubigern Extrakte der ihre Forderungen betreffenden Stellen, eingehändigt werden.

Anh. §. 332. Den ihrem Aufenthalt nach bekannten nicht erschienenen Gläubigern, wird das Präklusionsurtel eben so publicirt, wie solches wegen der Kontumacialerkenntnisse vorgeschrieben ist.

Restitutionsgesuche.

§. 167.

Was die gegen ein solches Urtel zulässigen Rechtsmittel betrifft, so soll zuvörderst denjenigen Gläubigern, welche sich weder im Liquidationstermine, noch auch nachher bis zur Inrotulation gemeldet haben, und denen also die in dem Urtel erkannte Präklusion entgegen stehen würde, dawider die Tit. XIV. Abschn. III. beschriebene Restitution zu Statten kommen.

Wenn also dergleichen Gläubiger sich innerhalb zehn Tagen nach publicirter Klassifikatoria melden; so müssen sie mit ihren Forderungen noch gehört; die Sache zwischen ihnen und dem Kontradiktor ordnungsmäßig instruirt; und durch ein besonderes Erkenntniß des Richters erster Instanz, sowohl die Richtigkeit und der Betrag der Forderung, als der Ort, welcher ihr im Verhältnisse gegen die anderen Gläubiger zukommt, und zwischen welchen Nummern der


(1057) Konkurs.

Klassifikatoria sie eingeschaltet werden müsse, bestimmt; und diese Einschaltung demnächst durch einen kurzen Vermerk, am Rande des Original-Klassifikationsurtels, da, wo sie hingehört, so wie durch eine umständlichere Registratur hinter dem Schlusse dieses Urtels, nachgetragen; übrigens aber von der Anmeldung eines solchen neuen Liquidanten, den anderen Gläubigern, in dem nach Maaße §. 182. anzuberaumenden Termine, Nachricht gegeben werden.

§. 168.

Die Kosten dieser besondern Instruktion und Entscheidung muß ein solcher nachliquidirender Gläubiger jedesmal allein tragen; in so fern er nicht glaubhaft nachweisen kann, daß er an der frühern Anmeldung ohne seine Schuld verhindert worden.

Auch muß von dem Ausfalle eines solchen speciellen Erkenntnisses den Mitgläubigern, welchen er entweder vorgesetzt, oder ihm mit selbigen gleiche Rechte zuerkannt worden, und zwar allemal, ohne Unterschied der Fälle, auf Kosten eines dergleichen Liquidanten, Nachricht ertheilt werden.

Appellationen.

§. 169.

Die eigentliche Appellation gegen das Klassifikationsurtel steht sowohl dem Kontradiktor, als den Gläubigern offen.

Anh. §. 333. Der Gemeinschuldner hat kein Recht, gegen Erkenntnisse, welche die Konkursmasse betreffen, seinerseits ein Rechtsmittel einzuwenden.

§. 170.

Der Kontradiktor kann jedoch nur gegen diejenigen Theile des Erkenntnisses appelliren, welche die Richtigkeit und den Betrag der liquidirten Forderungen betreffen. Gegen die dem einen oder dem andern Gläubiger zuerkannte Priorität hingegen ist er zu appelliren nicht berechtigt.

§. 171.

Wenn also der Kontradiktor gegen die Richtigkeit oder den Betrag einer im Klassifikationsurtel angesetzen


(1058) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Post appellirt, so bedarf es keiner besondern Appellation von Seiten einzelner Gläubiger; doch können diese sich bei der Appellation des Kontradiktors als Intervenienten melden, und ihre Gründe zur Unterstützung derselben anführen.

§. 172.

Wenn hingegen der Kontradiktor die Appellation gegen eine Post unterläßt, so können auch einzelne Gläubiger, welche ein Interesse dabei haben, die Appellation, nach der bald folgenden nähern Bestimmung, anmelden und fortsetzen.

§. 173.

Wenn auf die Appellation des Kontradiktors ein abänderndes Urtel erfolgt, und der Liquidant, gegen welchen sie gerichtet gewesen, mit seiner Forderung ganz oder zum Theil abgewiesen wird; so kommt dieses der Masse, folglich den sämmtlichen ihm nach- oder gleichgesetzten Gläubigern zu Statten.

§. 174.

Wenn ein Gläubiger appellirt, so betrifft seine Beschwerde entweder seine eigene, oder die Forderung eines andern Mitgläubigers.

§. 175.

Betrifft die Appellation seine eigene Forderung, und zwar deren Richtigkeit oder Betrag; so ist die Sache hauptsächlich zwischen ihm und dem Kontradiktor, welcher die Rechte der Masse und sämmtlicher Gläubiger vertritt, zu verhandeln. Doch muß der Kontradiktor von dieser Appellation denjenigen Mitgläubigern Nachricht ertheilen, welche dieser Forderung, an der in dem Klassifikationsurtel ihr allenfalls angewiesenen Stelle, gleich- oder nachstehen, damit diese sich allenfalls als Intervenienten melden, und dem Kontradiktor das Nöthige an die Hand geben können.


(1059) Konkurs.

§. 176.

Appellirt ein Gläubiger zwar wegen seiner eigenen Forderung, aber nur deßwegen, weil ihr die verlangte vorzügliche Stelle nicht zuerkannt worden; so geht diese Appellation den Kontradiktor gar nichts an, sondern nur diejenigen Mitgläubiger, welchen ein solcher Appellant vorgehen, oder mit ihnen gleichgesetzt werden will.

Wenn also z. B. ein Gläubiger deswegen appellirt, weil er in der letzten, und nicht in der sechsten Klasse angesetzt worden, so sind die sämmtlichen Mitglieder der sechsten, und der letzten Klasse, als der appellatische Theil anzusehen. Wenn daher ein solcher Appellant ein beifälliges Urtel erhält, so schadet dasselbe allen Mitgläubigern der beiden letzten Klassen, welchen er resp. vor-, und nach Proportion des Betrags seiner Forderung gleichgesetzt wird.

§. 177.

Wenn die Appellation eines Gläubigers die Richtigkeit oder den Betrag seiner Forderung, und die Priorität derselben zugleich betrifft; so entsteht eigentlich ein doppeltes Appellationsverfahren, nämlich eins mit dem Kontradiktor, über die Richtigkeit der Forderung, und das zweite mit den anderen Gläubigern, über die Priorität derselben. Um inzwischen diese Verdoppelung des Verfahrens möglichst zu verhüten, muß das Gericht sich Mühe geben, in einem solchen Falle die appellatischen Gläubiger dahin zu vermögen, daß sie auch die Verhandlung wegen der Priorität dem Kontradiktor, als ihrem gemeinschaftlichen Bevollmächtigten, überlassen, und sich begnügen, demselben allenfalls die nöthigen Nachrichten und Beweismittel, zur Wahrnehmung ihrer Rechte, an die Hand zu geben.

§. 178.

Wenn die Appellation eines Gläubigers die Forderung eines andern Mitgläubigers betrifft, welcher


(1060) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

ihm vor- oder gleichgesetzt ist, es mag nun die Richtigkeit und den Betrag dieser Forderung, oder die derselben zuerkannte Priorität den Gegenstand der Beschwerde ausmachen; so muß das Appellationsverfahren nur zwischen diesen Gläubigern verhandelt werden, ohne daß es einer Zuziehung der übrigen, welche vielleicht auch ein Interesse dabei haben könnten, bedarf.

§. 179.

Wenn jedoch auf die Appellation eines solchen einzelnen Gläubigers ein abänderndes Urtel erfolgt, und der appellatische Mitgläubiger mit seiner Forderung ganz oder zum Theil abgewiesen wird; so kommt die Wirkung dieses Erkenntnisses den sämmtlichen diesen Mitgläubiger in dem Klassifikationsurtel gleich, und nachgesetzten Gläubigern, wenn sie auch mit dem Appellanten nicht ausdrücklich gemeinschaftliche Sache gemacht haben, in eben dem Maaße zu Statten, als nach der Vorschrift Tit. XIV. §. 14. a. und b. die Appellation eines Litiskonsorten auf die übrigen, welche nicht mit appellirt haben, dennoch von Wirkung ist.

§. 180.

Eben so, wenn ein einzelner Gläubiger in der von ihm allein erhobenen Appellation ausführt, daß der appellatische Mitgläubiger nicht in die Klasse, wohin ihn der erste Richter gesetzt hat, sondern in eine niedrigere Klasse gehöre; so ist das Appellationsurtel, wenn es beifällig wäre, nicht nur für den Appellanten, sondern auch für alle diejenigen Gläubiger von Effekt, welche nach dem Klassifikationsurtel dem Appellaten gleich- oder nachgesetzt gewesen.

Wenn also z. B. ein in die letzte Klasse gesetzter Gläubiger durch seine Appellation bewirkt, daß ein vorhin in die sechste Klasse gesetzter Liquidant ebenfalls zur letzten verwiesen wird; so kommt die Wirkung


(1061) Konkurs.

davon allen übrigen in der sechsten und letzten Klasse stehenden Gläubigern zu Statten.

§. 181.

In beiden Fällen (§. 179. 180.) müssen jedoch die Mitgläubiger, welche von dem durch einen unter ihnen allein erstrittenen abändernden Erkenntnisse Vortheil ziehen wollen, zu den dabei aufgelaufenen Kosten, nach Verhältniß ihrer im Klassifikationsurtel angesetzten Forderungen, so weit sie damit zur Hebung gelangen, beitragen.

Termin zu Regulirung der Appellationen.

§. 182.

Damit nun hierbei überall die gehörige Ordnung beobachtet, und keinem Gläubiger, aus Mangel hinlänglicher Kenntniß von dem ganzen Zusammenhange der Sache, einiger Nachtheil zugefügt werden möge, müssen nicht nur die Assistenten ihre Parteien gehörig bedeuten: was das Erkenntniß in Ansehung ihrer Forderung, besonders nach der ihnen damit angewiesenen Stelle, und im Verhältnisse gegen die Beschaffenheit und den ungefähren Betrag der Masse, für Einfluß auf ihr Interesse und künftige Perception habe; sondern es soll auch das Gericht, gleich bei Publikation der Klassifikatoria, einen Termin zur nähern Regulirung der Sache, wegen der gegen das Urtel etwa entstehenden Beschwerden, und vorkommenden Appellationen überhaupt, vor einem Deputirten, welches jedoch ein anderer, als der Urtelsfasser seyn muß, anberaumen; und dazu sowohl den Kontradiktor, als die Assistenten und Bevollmächtigten der Gläubiger, ingleichen letztere selbst, in so fern sie am Orte persönlich sich aufhalten, und keinen Bevollmächtigten ernannt haben, vorladen lassen.

§. 183.

Dieser Termin muß dergestalt regulirt werden, daß er zugleich mit, oder doch bald nach dem Ablaufe der sonst gewöhnlichen zehntägigen Appellationsfrist, eintrete.


(1062) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

§. 184.

In diesem Termine wird die Lage der Passivmasse, so wie sie nach dem Urtel zu stehen kommt, deutlich auseinander, und mit der Beschaffenheit der Aktivmasse, nach einem ungefähren Ueberschlage derselben, ins Verhältniß gesetzt. Es wird ferner vernommen, was der Kontradiktor, oder einzelne Kreditoren, in Rücksicht dieser oder jener Post annoch für Bedenklichkeiten, sie betreffen nun die Liquidität oder Priorität derselben, anzubringen haben; oder in welchen Punkten sowohl der Kontradiktor, als einzelne Gläubiger, sich durch dies Urtel für benachtheiligt achten; und was für Beschwerden sie dagegen einzuwenden gedenken. Es wird gemeinschaftlich beurtheilt: in wie weit jede dergleichen Beschwerde, wenn sie gegründet befunden werden, und ein änderndes Urtel darauf erfolgen sollte, die Lage der ganzen Sache verändern, und auf welche Gläubiger sie hauptsächlich Einfluß haben würde. Solchergestalt wird, mit gemeinschaftlichem Rathe und Ueberlegung des Gerichtsdeputirten, und sämmtlicher Assistenten, ausgemittelt und bestimmt: gegen welche Punkte des Urtels eigentlich Beschwerden obwalten; und wer diejenigen sind, welche dabei als appellantischer oder appellatischer Theil ein Interesse haben.

§. 185.

Nach dieser Auseinandersetzung wird es alsdann leicht fallen, die verschiedenen Appellationen gegen das Klassifikationsurtel von einander abzusondern, und allen Verwirrungen dabei vorzubeugen. Der Deputirte des Gerichts aber muß hiernächst Sorge tragen, daß jede Klasse von Interessenten, welche bei jeder Appellation, es sey als Appellanten oder Appellaten, gemeinschaftliche Rechte haben, sich über einen gemeinschaftlichen Bevollmächtigten zum Betriebe der Appellation vereinigen.


(1063) Konkurs.

§. 186.

Ungeachtet bei dieser Eintheilung und Rangirung die Regel bleibt: daß in allen, die Richtigkeit oder den Betrag einer Forderung betreffenden Punkten, der Kontradiktor als Appellant oder Appellat zu betrachten sey; und daß, wenn über die Priorität einer Post Beschwerden obwalten, der ganze Inbegriff der Gläubiger, welche dabei ein Interesse haben, die Stelle des appellantischen oder appellatischen Theils vertrete; so bleibt jedoch jedem einzelnen Gläubiger unverwehrt, auch außerdem noch seine vermeintlichen Beschwerden, wenn gleich der Kontradiktor, und die übrigen mit ihm gleiche Rechte habenden Gläubiger nicht ausdrücklich beitreten, besonders fortzusetzen, und auszuführen.

§. 187.

Auch müssen zwar die mehreren Gläubiger, die bei Einer Appellation die Stelle der Appellanten oder Appellaten vertreten, allemal einen gemeinschaftlichen Bevollmächtigten zum Betriebe der Sache bestellen; und wenn sie sich darüber nicht vereinigen können, so soll derjenige Justizkommissarius, welcher den meisten zur Sache gehörenden Gläubigern bedient ist, dazu durch das Gericht von Amts wegen ernannt werden. Doch steht auch hier jedem einzelnen Gläubiger frei, seinen besonderen Konsulenten oder Bevollmächtigten zur Beiwohnung der Instruktionstermine abzuordnen, und durch denselben eine besondere Deduktion oder Gegenduktion einreichen zu lassen. Es geschieht aber dieses lediglich auf seine Kosten, und er kann dieselben in keinem Falle, weder von dem Gegentheile, noch aus der Masse, zurück fordern.

Instruktion.

§. 188.

Wegen der Instruktion dieser Appellationen finden übrigens die allgemeinen Vorschriften der gegenwärtigen Prozeßordnung Statt.


(1064) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

§. 189.

Von jeder Appellation, welche eine besondere Forderung und Nummer in dem Klassifikationsurtel betrifft, müssen besondere Appellationsakten formirt, das Remedium besonders instruirt, und auch besonders darüber erkannt werden.

Wenn jedoch mehrere Appellationen über eben dieselbe Forderung und Nummer einkommen, z. B. wenn der Kontradiktor gegen einen Gläubiger über den Betrag und die Richtigkeit seiner Forderung, und zugleich eben dieser Gläubiger wegen der ihm aberkannten Priorität appellirt; so gehören diese Appellationen in einerlei Akten, und sind auch durch Ein Erkenntniß abzuthun.

§. 190.

Uebrigens muß das Gericht dahin sehen, daß sämmtliche gegen ein Klassifikationsurtel eingewandte Appellationen, so viel als möglich, zugleich instruirt, und zugleich zum Erkenntnisse in zweiter Instanz befördert werden.

§. 191.

Doch soll in Fällen, wo das eine und das andere Appellatorium eine ganz besonders weitläufige Instruktion, und die Aufnehmung vieler entfernten Beweismittel erfordert, die in Ansehung der ersten Instanz §. 138. festgesetzte Ausnahme von der Regel, auch in Ansehung der zweiten Anwendung finden.

Revisionen.

§. 192.

Gegen die auf dergleichen Appellationen folgenden Erkenntnisse ist, nach Beschaffenheit des Objekts, auch die Revision zulässig; und wegen der Einleitung und des Effekts dieses Rechtsmittels, finden eben die wegen der Appellation in Vorstehendem angenommenen Grundsätze gleichfalls Anwendung.

Kosten.

§. 193.

Woher und von wem die Kosten dieser Appellationen und Revisionen zu tragen sind, wird im Fünften


(1065) Konkurs.

Abschnitte bestimmt. Wenn nach dieser Vorschrift mehrere Gläubiger zu den Kosten beitragen müssen, so wird der Beitrag nach Verhältniß ihrer im Klassifikationsurtel angesetzten Forderungen vertheilt.

Dritter Abschnitt.

Von Ausmittelung und Konstituirung der Aktivmasse.

Vorläufige Verfügungen.

§. 194.

Da die Ausmittelung und Konstituirung der Aktivmasse das zweite Hauptgeschäft bei Regulirung eines Konkurses ist, so muß der Richter, gleich nach dessen Eröffnung, und ehe noch der Kurator bestellt ist, die nöthigsten Verfügungen von Amts wegen treffen, daß diese Masse für die Gläubiger in sichern Beschlag genommen, und dem Gemeinschuldner alle Disposition, sowohl über die Substanz, als die Nutzungen derselben, verschränkt werde.

Siegelung.

§ 195.

Es muß daher vor allen Dingen einem Sekretär oder Referendario aufgegeben werden, das gesammte Mobiliarvermögen und die Briefschaften des Gemeinschuldners sofort unter gerichtliches Siegel zu nehmen; und wenn bekannt ist, daß derselbe dergleichen Vermögen auch außerhalb des Orts, es sey in einer Stadt, oder auf dem Lande, besitze, so muß einem daselbst, oder in der Nähe befindlichen Justizbedienten, die Anlegung der Siegel darauf schleunigst anbefohlen werden.

§. 196.

Der Kommissarius, welcher die Siegelung in einem Wohnhause verrichtet, muß die einzelnen Behältnisse an Schränken, Kasten, Kommoden, Kassetten u. s. w., worin Geld, Silberwerk, Kleider,


(1066) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Wäsche, Dokumente u. dergl. befindlich sind, jedes besonders versiegeln; hiernächst an die Thüren der Zimmer, Kabinette oder Kammern, worin sie stehen, ebenfalls die Siegel gehörig befestigen; den Hausrath und andere Stücke, welche nicht besonders versiegelt werden können, so viel als möglich in ein Zimmer oder eine Kammer zusammen bringen lassen, und die Zugänge davon mit dem Siegel verschließen; sowohl dem Gemeinschuldner, als seiner Familie und Gesinde, die Unverletzbarkeit dieser Siegel, und die mit deren Erbrechung verbundenen Strafen bekannt machen; jemanden im Hause die specielle Aufsicht darüber, mit der Anweisung, jede daran bemerkte Verletzung dem Gerichte sofort zu melden, anvertrauen; übrigens aber, wenn das eine oder das andere Stück zum nothdürftigsten Gebrauche des Hauses außer der Sperre gelassen werden müßte, über dergleichen Stücke ein Verzeichniß aufnehmen, und gleichergestalt jemanden im Hause die besondere Aufsicht deshalb übertragen. Die Verletzung solcher gerichtlichen Siegel wird, wenn kein anderes, härtere Ahndung nach sich ziehendes Verbrechen dabei eintritt, nach Vorschrift des allgemeinen Landrechts Th. II. Tit. XX. §. 210. bestraft.

§. 197.

Ist der Gemeinschuldner ein Kaufmann oder Fabrikant gewesen, so muß besonders dessen Gewölbe, Laden, Comptoir, Fabrik und Magazin unter die Sperre genommen, und die Handlungsbücher müssen in sicheres Gewahrsam gebracht werden.

Anh. §. 334. Wenn der Gemeinschuldner ein Kaufmann, Fabrikant, oder ein in ausgebreitetem Verkehr stehender Handwerker ist, so muß die Fortsetzung seines Gewerbes durch die Siegelung nicht sofort gänzlich gehemmt werden, mithin müssen zwar das Mobiliarvermögen des Gemeinschuldners, dessen Haupthandlungsbücher und Korrespondenz in Beschlag genommen, dagegen aber das Waarenlager, die zur Fabrik gehörigen Utensilien und die vorhandenen rohen Materialien außer


(1067) Konkurs.

Sperre gelassen, und einem sogleich zu bestellenden Administrator zur einstweiligen Fortsetzung des Betriebes der laufenden Geschäfte nach einem davon aufzunehmenden Verzeichniß übergeben werden.

Anh. §. 335. Zu einem solchen Administrator muß das Gericht ein zuverlässiges und sachkundiges Subjekt auswählen und verpflichten, dabei aber vorzüglich auf den bei der Handlung oder Fabrik etwa schon angestellten Disponenten oder Handlungsbedienten, so wie bei einem Handwerker auf den tüchtigsten Gesellen, Rücksicht nehmen.

Anh. §. 336. Der Zweck dieser Administration geht lediglich dahin, zu verhüten, daß durch den plötzlichen Stillstand der Geschäfte kein Nachtheil für die Masse entstehe, sondern solche, so lange bis nach Anleitung des §. 238. Titel L. Theil I. die Gläubiger in einem möglichst kurz anzusetzenden Termine zusammen berufen, und von denselben die weiteren Beschlüsse genommen werden können, so viel wie möglich in dem gewöhnlichen Gange erhalten werde. Hierauf muß sich also auch der bestellte Administrator lediglich einschränken, mithin keine neuen Geschäfte anfangen, keine Wechsel ausstellen und acceptiren, noch weniger aber, außer dem Arbeitslohn für die von den Arbeitern inzwischen etwa fertig abgelieferten Waaren, an die Gläubiger einige Zahlung leisten, sondern sich damit begnügen, die schon angefangenen Geschäfte gehörig zu Ende zu bringen, die in der Arbeit befindlichen Waaren fertig machen zu lassen, und den Verkauf der fertigen Waaren auf Messen, Jahrmärkten, oder sonst für baares Geld, keinesweges aber auf Kredit, fortzusetzen.

Anh. §. 337. Der Administrator soll befugt seyn, die ausstehenden Schulden einzuziehen, und darüber Quittung zu leisten. Jedoch müssen die eingehenden Gelder, in so fern sie nicht zur Fortsetzung der Geschäfte erforderlich sind, zum gerichtlichen Depositorio unverzüglich abgeliefert werden.

Anh. §. 338. Zum Betriebe dieser Geschäfte muß dem Administrator aus den vorräthigen oder etwa eingehenden Geldern der nöthige Vorschuß gegeben werden, und wenn etwa nicht so viel baares Geld, als erfordert wird, vorhanden seyn sollte, so muß das Gericht denselben authorisiren, mit Zuziehung des Kurators, die benöthigte Summe zinsbar aufzunehmen, welchemnächst ein solches Darlehn, nach Vorschrift des §. 269. dieses Titels, aus der bereitesten Masse vor allen übrigen Gläubigern wieder abzutragen ist.

Auch stehet dem Administrator frei, so oft es die Geschäfte erfordern, die in Beschlag genommenen Hauptbücher


(1068) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

und Korrespondenz, in Beiseyn des Kurators, oder des ihm nach den unten vorkommenden Bestimmungen zu bestellenden Aufsehers, oder auch eines Mitgliedes des Gerichts, einzusehen.

Anh. §. 339. Für diese Administration gebührt dem Administrator eine verhältnißmäßige Belohnung, deren Bestimmung der Vereinigung der Gläubiger in dem nach §. 238. dieses Titels anzusetzenden Termine, und wenn keine Vereinigung darüber zu Stande kommt, dem Ermessen des Gerichts überlassen bleibt. Einer besondern Kautionsleistung von Seiten des Administrators bedarf es in der Regel nicht; dagegen aber muß demselben von dem Gericht außer dem Kurator allemal ein besonderer Aufseher, und zwar vorzüglich aus der Zahl der am Orte wohnenden Gläubiger, oder, wenn sich unter diesen kein fähiges Subjekt findet, ein anderer Sachverständiger beigeordnet werden. Diesem liegt es ob, die Verwaltung des Administrators ununterbrochen zu kontrolliren, besonders aber mit Zuziehung des Kurators von Zeit zu Zeit, und wenigstens wöchentlich Einmal, dessen Kasse zu revidiren, für die Ablieferung der eingegangenen Gelder, welche nicht zum Betriebe der Geschäfte gebraucht werden, an das Depositorium zu sorgen; überhaupt aber in allen vorkommenden zweifelhaften Fällen dem Administrator mit seinem Rath und Gutachten an die Hand zu gehen.

Hiernach liegt dem Gerichte ob, dem Administrator, gleich bei seiner Anstellung, die nöthige Anweisung zu ertheilen.

§. 198.

Wenn der Konkurs über das Vermögen eines Kaufmanns oder Fabrikanten während der Meß- oder Jahrmarktszeit ausbricht, so sollen die zum Verkaufe dahin gebrachten Waaren nicht versiegelt, sondern deren Debit gestattet; dem Gemeinschuldner aber von Gerichts wegen ein Aufseher zugeordnet werden, welcher bei dem Verkaufe gegenwärtig sey; darauf, daß die Waaren nicht zum Nachtheile der Gläubiger unter dem Preise verschleudert werden, Acht haben; Alles genau und treulich annotiren: die gelöseten Gelder in Empfang nehmen, und sie täglich, so wie sie eingehen, in das gerichtliche Depositum abliefern muß.


(1069) Konkurs.

§. 199.

Ist die Siegelung auf einem Landgute zu verrichten, so muß der Kommissarius, wegen der im Wohnhause befindlichen Mobilien, Effekten und Briefschaften, nach obiger Vorschrift verfahren; sich von dem Wirthschaftsbeamten den letzten Monatsschluß vorlegen lassen; den Kassenbestand revidiren; davon nicht mehr, als zur Fortstellung der Wirtschaft nothwendig ist, zurück lassen, und das Uebrige zum Deposito des kommittirenden Gerichts einsenden; die Getreideboden revidiren, und das darauf befindliche Getreide übermessen lassen; davon so viel, als zur Wirthschaftsnothdurft erforderlich ist, absondern, und dem Beamten zur Administration und Berechnung übergeben; das Uebrige aber in den Behältnissen, worin es sich befindet, gleichergestalt versiegeln; sich das Inventarium über das vorhandene Vieh und Wirthschaftsgeräthe aller Art vorzeigen lassen, und Abschrift davon nehmen; wenn dergleichen Inventarium nicht vorhanden ist, ein vollständiges Verzeichniß darüber anfertigen; übrigens den Beamten anweisen, daß er nunmehr die Wirthschaft für Rechnung der Gläubiger fortzusetzen habe, und daraus weder etwas an Gelde, noch Naturalien, bei eigener Vertretung, an den Gemeinschuldner und dessen Familie verabfolgen müsse.

§. 200.

Ist das Gut verpachtet, so muß der Kommissarius, nachdem er die Siegelung des etwa daselbst befindlichen, dem Schuldner gehörigen Mobiliarvermögens vollzogen hat, sich von dem Pächter die letzte Quittung über die an den Schuldner berichtigte Pension vorzeigen lassen, und daraus den Zeitpunkt des Rückstandes ausmitteln; übrigens aber dem Pächter die fernere Zahlung an den Gemeinschuldner untersagen.


(1070) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

§. 201.

Ein Gleiches muß überhaupt, auch wenn das Gut bisher unter eigener Administration des Gemeinschuldners gestanden hat, wegen der kleinen Pächte und Zinsen, sowohl was die laufenden, als etwa rückständigen betrifft, wie nicht weniger, bei städtischen Grundstücken, in Ansehung der Miethen geschehen; und überhaupt alle Sorgfalt und Vorsicht angewendet werden, daß dem Gemeinschuldner keine Gelegenheit übrig bleibe, etwas zur Masse Gehöriges den Gläubigern zu entziehen.

§. 202.

Steht das Gut ohnehin schon unter gerichtlicher oder landschaftlicher Administration, so bedarf es nur der Siegelung der nicht zum Gute, sondern bloß zum Mobiliarvermögen des Gemeinschuldners gehörigen Effekten; und ist übrigens der entstandene Konkurs dem diese Administration dirigirenden Kollegio bekannt zu machen.

§. 203.

Ueber den Aktus der Siegelung, und Alles, was dabei vorgefallen ist, muß der Kommissarius ein vollständiges Protokoll halten; darin besonders, was für Behältnisse versiegelt, und wie viel Siegel angelegt worden sind, richtig bemerken; und dieses Protokoll hiernächst dem kommittirenden Kollegio einreichen.

Beschlagnehmung der Aktivforderungen.

§. 204.

Zugleich mit Verfügung der Siegelung muß das Gericht auch an alle diejenigen, von welchen aus dem Statu bonorum, oder sonst bekannt ist, daß sie dem Gemeinschuldner etwas zu zahlen, oder abzuliefern haben, die Ordre erlassen, die Zahlung oder Ablieferung nicht an ihn, sondern in das gerichtliche Depositum zu leisten; widrigenfalls sie zu gewärtigen hätten, daß selbige für nicht geschehen geachtet, und von ihnen anderweit beigetrieben werden solle.


(1071) Konkurs.

§. 205.

Wenn mehrere Schuldner der Masse an Einem Orte sich aufhalten, so wird dieser Befehl an sie durch eine Kurrende, hinter welcher ihre Namen zu verzeichnen sind, erlassen.

Offener Arrest.

§. 206.

Die dritte Operation, welche das Gericht nach eröffnetem Konkurse von Amts wegen vornehmen muß, ist die Erlassung des offenen Arrests; wodurch allen und jeden, welche von dem Gemeinschuldner etwas an Gelde, Sachen, Effekten, oder Briefschaften hinter sich haben, angedeutet wird: demselben nicht das Mindeste davon zu verabfolgen, vielmehr dem Gerichte davon fördersamst treulich Anzeige zu machen, und die Gelder oder Sachen, jedoch mit Vorbehalt ihrer daran habenden Rechte, in das gerichtliche Depositum abzuliefern; mit beigefügter Warnung: daß, wenn dennoch dem Gemeinschuldner etwas bezahlt, oder ausgeantwortet würde, dieses für nicht geschehen geachtet, und zum Besten der Masse anderweit beigetrieben; wenn aber der Inhaber solcher Gelder oder Sachen dieselben verschweigen und zurück halten sollte, er noch außerdem alles seines daran habenden Unterpfands- und andern Rechtes für verlustig erklärt werden würde.

§. 207.

Dieser offene Arrest muß durch ein an ordentlicher Gerichtsstelle auszuhängendes Proklama, ingleichen durch dreimalige Einrückung in die Intelligenzblätter, auch wenigstens Einmal in den Zeitungen der Provinz, öffentlich bekannt gemacht werden. Bei Massen, die nur 1000 Rthlr. oder weniger betragen, wird der offene Arrest Einmal in die Intelligenzblätter, und Einmal in die Zeitungen; bei kleinen Massen aber, von 200 Rthlr. oder weniger, nur Einmal in die Intelligenzblätter eingerückt.

Anh. §. 340. Der Einrückung in die Zeitungen bedarf es nicht.

(1072) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

§. 208.

Wenn, nach Maaßgabe §. 21., der offene Arrest bereits vor der Eröffnung des Konkurses erlassen worden ist, so bedarf es keiner Wiederholung desselben.

§. 209.

In wie fern jemand, der nach publicirtem offenem Arreste dem Gemeinschuldner Zahlung geleistet hat, sich mit der Unwissenheit entschuldigen könne, ist §. 38. bestimmt.

§. 210.

Wenn es bekannt ist, daß jemand etwas zur Masse Gehöriges an sich habe, so muß ihm ein hinlänglich geraumer Termin zu dessen Ablieferung bestimmt werden. Ist es aber nicht bekannt, so muß ein solcher Inhaber die Ablieferung spätestens bis zum Liquidationstermine leisten. Zögert er mit der Ablieferung über diese Termine hinaus, so trifft ihn die nach §. 206. angedrohete Strafe des Verlusts seiner Rechte.

Weiterer Betrieb der Sache durch den Kurator.

§. 211.

Wenn hiernächst der Kurator der Masse, nach Vorschrift des ersten Abschnitts, ordentlich bestellt ist, so muß derselbe die weiteren Verfügungen, wegen Konstituirung der Aktivmasse, ungesäumt nachsuchen.

§. 212.

Der Decernent ist also zwar von diesem Zeitpunkte an nicht ferner schuldig, diese Verfügungen von Amts wegen zu treffen; er muß aber desto aufmerksamer seyn, die Sache beständig im Gange, und den Kurator zum unablässigen Betriebe derselben, nach den folgenden Vorschriften, anzuhalten.

Schleuniger Verkauf verderblicher Sachen.

§. 213.

Vor allen Dingen muß der Kurator Sorge tragen, daß diejenigen Effekten, die entweder bei ihrer fernern Aufbewahrung dem Verderben ausgesetzt seyn,


(1073) Konkurs.

oder deren längere Beibehaltung der Masse unnütze Kosten verursachen würde, z. B. Kutsch- und Reitpferde, in einem anzuberaumenden, und, so viel die Zeit erlaubt, zur Wissenschaft des Publici zu befördernden kurzen Termine gerichtlich versteigert; die Bedienten und Domestiken des Gemeinschuldners aber, deren Beibehaltung nicht etwa zur Administration der Masse nothwendig ist, ihrer Dienste, nach näherer Bestimmung der Gesetze (A. L. R. Th. II. Tit. V. §. 106.), fördersamst entlassen werden.

Inventar.

§. 214.

Sodann muß über sämmtliche unter die Siegel genommene Effekten, durch einen vom Gerichte ernannten Kommissarium, mit Zuziehung des Kurators, ein vollständiges Inventarium verfertigt werden, wobei alles das zu beobachten ist, was die Gesetze bei Aufnehmung eines Verlassenschaftsinventarii vorschreiben.

§. 215.

Hat der Gemeinschuldner ein öffentliches Amt bekleidet, so ist dem Kollegio, welchem er in Ansehung dieses Amts subordinirt gewesen, von der anstehenden Inventur Nachricht zu ertheilen, und demselben zu überlassen: ob es seines Orts einen Konkommissarium dazu ernennen wolle. Dieser muß alsdann bei der Inventur von dem gerichtlichen Kommissario mit zugezogen, und demselben alle nach seinem Befinden zu dem Amte des Gemeinschuldners gehörige Schriften, Bücher, oder andere Utensilien, nach einer darüber aufzunehmenden Specifikation verabfolgt werden.

§. 216.

Gehört eine Handlung zur Masse, so bedarf es darüber, der Regel nach, keiner besondern Inventur; sondern es dürfen, wenn ordentlich geführte Handlungsbücher existiren, nur diese von dem Kurator mit Zuziehung des Buchhalters, oder, in dessen Ermangelung,


(1074) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

eines andern Handlungsbedienten, gehörig abgeschlossen, und die Extrakte und Balanzen daraus zu den Akten gebracht; die Bestände und Lager nach diesen Extrakten revidirt, und solchergestalt von dem Kurator übernommen werden. Sind keine, oder doch nicht ordentlich geführte Bücher vorhanden; so muß der Kurator, unter gleichmäßiger Zuziehung des oder der Handlungsbedienten des Gemeinschuldners, das Inventarium der Handlung nach kaufmännischer Art errichten, und zu den Akten gehörig einreichen.

§. 217.

Bei Gelegenheit der gerichtlichen Aufnehmung des Inventarii muß zugleich der Manifestationseid von dem Gemeinschuldner, wenn derselbe noch am Leben und gegenwärtig ist, auch den Eid noch nicht geleistet hat, jedesmal, ingleichen von dessen Ehegatten, erwachsenen Kindern und Gesinde, in so fern der Kurator oder auch einzelne Gläubiger darauf antragen, gehörig abgenommen werden.

§. 218.

Dem Gemeinschuldner selbst, in so fern er nicht als ein Bankerutirer zur Untersuchung und zum Arreste gezogen worden ist, sind seine gewöhnlichen Kleidungsstücke und Leibwäsche, in so fern sie zum täglichen Gebrauche, und nicht zur Pracht gehören, zu lassen. In wie fern seiner Frau und seinen Kindern die Mobilien und Effekten, welche sie von ihm als Mann und Vater erhalten haben, verbleiben; oder mit zur Konkursmasse zu ziehen sind, wird unten (§. 315.) bestimmt.

§. 219.

Werden bei der Inventur entweder von jemandem aus der Familie, oder auch von Andern, gewisse Sachen und Effekten, als ihr Eigenthum, in Anspruch genommen; so muß der Kom- missarius dergleichen Sachen nichts desto weniger mit verzeichnen;


(1075) Konkurs.

jedoch darüber, wenn ihrer mehrere sind, eine besondere Konsignation anfertigen, den angeblichen Eigenthümer, wodurch er sein Recht bescheinigen wolle, vernehmen; übrigens aber ihm die in Anspruch genommenen Stücke nicht verabfolgen; vielmehr ihn zum weitern Betriebe der Sache an das Gericht verweisen. Ueber dergleichen Ansprüche muß hiernächst das Gericht den Kurator und die Gläubiger durch ihre Bevollmächtigten vernehmen; wenn diese deren Gültigkeit einräumen, die Herausgabe der angesprochenen Stücke ungesäumt verfügen; wenn sich aber dabei ein Anstand oder Widerspruch findet, den anmaaßlichen Eigenthümer mit der weitern Ausführung seines Rechts zum Liquidationstermine verweisen.

§. 220.

Kommt unterdessen der Termin zum Verkaufe der übrigen Mobilien heran, und der Intervenient hat inzwischen sein Eigenthumsrecht einigermaaßen bescheinigt; so müssen die streitigen Stücke, bis zur rechtskräftigen Entscheidung, zurück gesetzt und aufbewahrt werden.

Wird hingegen das vorgegebene Eigenthum auch bis zum Auktionstermine gar nicht bescheinigt; so müssen dergleichen Effekten mit versteigert; die Loosung jedoch im Protokolle besonders verzeichnet, und, wenn sich am Ende findet, daß sie dem Intervenienten wirklich zugehört haben, der Betrag von demselben unverzüglich, ohne Abzug, ausgezahlt werden.

§. 221.

Wenn jedoch auch in diesem Falle der Intervenient die Aussetzung des Verkaufs, wegen eines der Sache in Rücksicht seiner beiwohnenden Werths der besondern Vorliebe (pretii affectionis) ausdrücklich verlangt: so ist ihm darunter, jedoch auf seine Gefahr und Kosten, zu willfahren.


(1076) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Wie denn überhaupt, wenn dergleichen Stücke, auf Instanz eines solchen Intervenienten, von der allgemeinen Auktion zurück bleiben, und nachher besonders verkauft werden müssen, die Kosten einer solchen speciellen Auktion dem Intervenienten zur Last fallen.

§. 222.

In Ansehung der ausstehenden Schulden müssen der Kommissarius und Kurator aus den vorhandenen Instrumenten und übrigen Schriften, so genau als möglich ist, und ohne gar zu großen Zeitverlust geschehen kann, auszumitteln suchen: welche davon liquid und sicher, welche zweifelhaft, und welche offenbar verloren und inexigible sind. Nach diesen drei Klassen müssen die Aktiva im Inventario sorgfältig von einander abgesondert werden.

§. 223.

Nach geschlossener Inventur muß der Kommissarius die vorgefundenen baaren Gelder, Juwelen, Pretiosa, Silberzeug, und andere kostbare Sachen; ingleichen die Schuldinstrumente über die ausstehenden Kapitalien, nach einem mit Beziehung auf die Titel und Nummern des Inventarii aufzunehmenden Verzeichnisse, in das gerichtliche Depositum abliefern; die übrigen Mobilien und Schriften aber dem Kurator übergeben; welcher für die fernere sichere Aufbewahrung der ersteren sorgen, und die letzteren bei mehrerer Muße genau durchgehen muß, um von den darin vorkommenden Nachrichten, sowohl zur vollständigen Ausmittelung und Herbeischaffung der Aktivmasse, als zur Beantwortung der Ansprüche der im Liquidationstermine sich meldenden Gläubiger, den erforderlichen Gebrauch zu machen.

§. 224.

Ist ein besonderer Kontradiktor bestellt, so müssen Schriften der zweiten Art, welche die Ansprüche der bei der Masse liquidirenden Gläubiger betreffen,


(1077) Konkurs.

demselben zum nöthigen Gebrauche verabfolgt werden.

§. 225.

Gleich nach eingelangtem Inventario muß das Gericht nachsehen, ob darin Aktivkapitalien vorkommen, wegen deren die §. 204. vorgeschriebene Inhibition noch nicht ergangen ist. Finden sich dergleichen, so muß diese Inhibition schleunigst und von Amts wegen erlassen werden.

Konstituirung der Masse.

§. 226.

Auf den Grund des aufgenommenen Inventarii muß der Kurator die Konstituirung und Beitreibung der Aktivmasse ferner gehörig besorgen.

1) in Ansehung der Mobilienauktion.

§. 227.

So viel also I. das Mobiliarvermögen betrifft, so muß der Kurator auf dessen gerichtliche Versteigerung antragen, und dabei die etwa erforderlichen Maaßgaben, wegen der Zeit und des Ortes dieser Versteigerung, ingleichen wegen öffentlicher Bekanntmachung derselben, in Vorschlag bringen.

§. 228.

Juwelen, Kostbarkeiten, rare Schildereien, Kunststücke und seltene Münzen müssen, in so fern jede dieser Rubriken Fünfhundert Thaler, oder drüber am Werthe, nach der Taxe, beträgt, von den andern und gewöhnlichen Effekten abgesondert; erstere nach den unten erfolgenden Vorschriften ordentlich subhastirt, letztere aber zur Auktion befördert werden. Sind bloß einzelne kostbare Stücke vorhanden, welche für sich den Werth von 500 Thalern nicht erreichen, so werden sie zur Auktion gezogen; jedoch wird auf diese Qualität derselben, bei Bestimmung des Auktionstermins, und der Art seiner Bekanntmachung, die gehörige Rücksicht genommen.

§. 229.

Gold und Silber, es sey verarbeitet oder nicht, gehört nicht unter die Kostbarkeiten, welche subhastirt


(1078) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

werden müssen; sondern es ist nur, wenn dergleichen in der Masse sich befindet, der Auktionstermin, nach Verhältnis des Vorraths, geraum anzusetzen. Wenn jedoch wegen vorhandener Juwelen und Kostbarkeiten ohnehin eine Subhastation erfolgen muß, so ist das vorräthige verarbeitete Gold und Silber zu dieser mit zuzuziehen.

§. 230.

Schiffe, wenn sie mit der dazu gehörigen Takelage auf Fünfhundert Thaler oder höher taxirt worden sind, müssen durch den Weg der Subhastation veräußert werden.

Anh. §. 341. Die Frist zur nothwendigen Subhastation der Schiffe als beweglicher Sachen wird auf vier bis sechs Wochen bestimmt.

Die Bestimmung, welche wegen dieser Fristen Statt finden soll, wird dem durch die Umstände zu leitenden Ermessen des Richters überlassen, wobei besonders darauf Rücksicht zu nehmen ist, ob die Subhastation in eine Jahreszeit, wo die Fahrt offen ist, oder in eine solche trifft, wo das Schiff im Hafen überwintert.

Anh. §. 342. Während des Laufes der Subhastationsfrist muß das Schiff der Regel nach im Hafen liegen bleiben. Wenn es jedoch die Handlungskonjunktur und das Beste der Interessenten erfordert, daß das Schiff in dieser Zwischenzeit eine neue Fahrt antrete; so kann solches von dem Richter zwar nachgegeben, es muß aber auch alsdann für eine gehörige Versicherung des Frachtgeldes und des Casco gesorgt werden.

Anh. §. 343. Es müssen drei Patente ausgefertigt, und eins davon an dem gewöhnlichen Versammlungsorte der Kaufleute und Schiffsrehder, die andern beiden aber in benachbarten Häfen und Seeplätzen affigirt werden.

Anh. §. 344. Es muß eine dreimalige Bekanntmachung in den Intelligenznachrichten der Provinz erfolgen; so daß von der letzten Einrückung an bis zum Termine volle Acht Tage freibleiben.

Anh. §. 345. Die Subhastationsfrist selbst wird von dem Tage an gerechnet, wo die Bekanntmachung zum erstenmale in den Intelligenzblättern erscheint.

Anh. §. 346. In den Patenten und Avertissements ist zugleich die Ediktalcitation aller unbekannten Schiffsgläubiger sub poena praeclusi zu inseriren, und der Liquidationstermin auf eben den Tag, wo auf das Schiff licitirt werden soll, zu bestimmen.


(1079) Konkurs.

Anh. §. 347. Diese Vorschrift ist nicht bloß auf Seeschiffe, sondern auch auf Leichter, Bordinge und andere Fahrzeuge, auch solche, die zur Frachtschiffahrt auf dem Strome gebraucht werden, anzuwenden.

§. 231.

Bei der Auktion selbst sind die Vorschriften Tit. XXIV. §. 83. u. f. zu beobachten, und der Auktionskommissarius muß zur unmittelbaren Ablieferung der gelöseten Gelder in das gerichtliche Depositum angewiesen werden.

§. 232.

Gold und Silber darf niemals unter der nach dem Gewichte bestimmten Taxe verkauft, sondern es muß, wenn in der Auktion nicht so viel geboten wird, zur Münze, gegen Bezahlung der bei dieser angenommenen Sätze, geliefert werden.

2) in Ansehung der Aktivkapitalien.

§. 233.

Was hiernächst II. die ausstehenden Kapitalien betrifft, so ist, wegen der deshalb zu erlassenden Inhibitionen, das Nöthige bereits oben verordnet. Der Kurator muß hiernächst mit den Schuldnern wegen deren Bezahlung in Korrespondenz treten, und dieselbe gehörig betreiben. Ob, und unter welchen Maßgaben diese Zahlung unmittelbar in das Depositum geleistet werden müsse, oder an den Kurator, oder an einen besondern, von den Gläubigern zu bestellenden Empfänger geschehen könne, muß nach den Vorschriften §. 86. 87. 88. beurtheilt, und die Schuldner müssen gleich bei Erlassung der Inhibitionen darnach bedeutet werden.

§. 234.

Widerspricht ein Schuldner der Masse der an ihn gemachten Forderung, so muß der Kurator davon, und von den Gründen seines Widerspruchs, ingleichen von den Vermögensumständen des Schuldners, so viel er davon hat in Erfahrung bringen können, mit Beifügung seines Gutachtens, dem Gerichte


(1080) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Anzeige machen, und weitere Verhaltungsbefehle erwarten.

§. 235.

Findet das Gericht die Sache zur weitern rechtlichen Erörterung qualificirt, so muß es den Kurator, oder auch nach Maaßgabe §. 74. den Kontradiktor, zur Anstellung der Klage wider den Schuldner bei desselben kompetentem Gerichtsstande anweisen.

§. 236.

Findet das Gericht ein Bedenken dabei, den Kurator zu Ausklagung einer solchen Schuld sofort zu autorisiren: entweder, weil wegen ihrer Richtigkeit an und für sich selbst wichtige Zweifel und Anstände vorhanden sind; oder weil der Schuldner annehmlich scheinende Vergleichsvorschläge gemacht hat; oder weil die rechtliche Ausführung mit beträchtlichen Kosten verbunden, und nach den Vermögensumständen des Schuldners, zu deren Beitreibung, auch nach erstrittenem rechtskräftigen Erkenntnisse, keine wahrscheinliche Hoffnung vorhanden ist; so müssen die Gläubiger, der Anleitung §. 78. u. f. gemäß, durch den Kurator zusammen berufen, mit ihren Erklärungen vernommen, und nach dem Ausfalle derselben, das Weitere in der Sache von dem Gerichte verfügt werden.

§. 237.

Damit auch das Gericht sowohl, als die Gläubiger unterrichtet und versichert seyn mögen, welche Aktiva eingegangen oder noch ausstehend sind; in welcher Lage sich die deshalb schwebenden Prozesse befinden; und daß dieselben gehörig betrieben werden: so soll der Kurator schuldig seyn, darüber alle Monate einen deutlichen Bericht, Post für Post, mit Beziehung auf die Nummern des Inventarii, von Amts wegen und ungefordert abzustatten.


(1081) Konkurs.

3) in Ansehung einer Kaufmannshandlung.

§. 238.

Wenn III. eine Handlung zur Masse gehört, so muß alsbald in dem zur Auswahl und Bestellung des Kurators anstehenden, oder auch in einem dazu besonders anberaumten Termine, zwischen dem Kurator und den persönlich oder durch Bevollmächtigte gegenwärtigen Gläubigern, unter Direktion des Gerichtsdeputirten, überlegt und verabredet werden: wie es damit ferner zu halten sey; ob das Waarenlager sofort gerichtlich entweder in Pausch und Bogen, oder einzeln verkauft, oder ob die Handlung, um die Waaren nach und nach mit minderm Verluste ins Geld zu setzen, oder aus anderen Ursachen noch eine Zeitlang fortgesetzt; wem solchenfalls die unmittelbare Führung derselben aufgetragen; was ihm dabei für Schranken und Verhaltungsregeln, wegen der Art seiner Verwaltung, Ablieferung der Verkaufsrechnungen und Gelder, oder sonst vorgeschrieben; ob die Aufsicht über ihn dem Kurator allein, oder zugleich einem oder mehreren der am Orte gegenwärtigen sachverständigen Gläubiger übertragen; ob und wie oft, auch in welcher Art, Revisionen vorgenommen, und was etwa sonst noch für Bestimmungen, zur Sicherstellung und Beförderung des Interesse der Gläubiger, festgesetzt werden sollen.

Die Pflicht des Kurators ist alsdann, diesen Maaßregeln nicht allein selbst gehörig nachzukommen, sondern auch, daß ein Gleiches von dem seiner Aufsicht untergebenen Vorsteher der Handlung geschehe, sorgfältig Acht zu haben.

Anh. §. 348. Siehe §. 335. des Anhangs zu §. 197. dieses Titels.

§. 239.

In dem Falle des §. 198. muß die Bestellung des Interimskurators, und die Rücksprache mit selbigem und den anwesenden Gläubigern, oder deren Bevollmächtigten, vorzüglich beschleunigt werden: damit,


(1082) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

wenn beschlossen wird, die Handlung noch eine Zeitlang fortzusetzen, die Messe oder der Jahrmarkt zum Einkaufe neuer Waaren oder Materialien genutzt werden könne.

4) in Ansehung der Besoldungen, Pensionen (et)c..

§. 240.

Wenn IV., Besoldungen, Pensionen, oder andere dergleichen Hebungen zur Masse gehören; so muß der Kurator ebenfalls dafür sorgen, daß selbige in den Terminen, in welchen sie fällig sind, auf die §. 233. bestimmte Art, in das gerichtliche Depositum eingezogen werden.

5) in Ansehung der Immobilien.

§. 241.

Sind V., unbewegliche Grundstücke, welche zur Masse gehören, vorhanden: so muß A. wegen deren Administration; B. wegen ihrer Veräußerung, das Nöthige verfügt werden.

A) Administration der selben.

§. 242.

Was zuvörderst A. die Administration betrifft, so ist ein Unterschied zu machen: ob das Grundstück ein städtisches, oder ein Landgut sey. (A. L. R. Th. I. Tit. XXI. §. 400.)

a) bei städtischen Grundstücken.

§. 243.

Ist es ein städtisches Grundstück, so muß die Administration desselben nach der Vorschrift Tit. XXIV. §. 121. u. f. eingerichtet, und die am Ende jeden Quartals übrig bleibenden Revenüen müssen, nach Maaßgabe §. 135. ebend., in das gerichtliche Depositum abgeliefert werden.

b) bei Landgütern.

§. 244.

Ist es ein Landgut, so kommt es darauf an: ob dasselbe bisher unter eigener Administration des Gemeinschuldners gestanden hat; oder ob es schon sequestrirt; oder ob gewisse Gläubiger darein zu eigenem Genusse immittirt; oder ob es verpachtet gewesen.

§. 245.

Ist das Gut bisher schon unter Sequestration gewesen, so hat es dabei ferner bis zum Verkaufe


(1083) Konkurs.

sein Bewenden; und es wird dabei nichts abgeändert, außer wenn es die Gläubiger, unter Anführung rechtlicher und erheblicher Gründe, ausdrücklich verlangen.

Doch ist dem Sequester, oder bei adlichen Gütern dem die Administration dirigirenden Kollegio, bei der schon oben §. 202. verordneten Bekanntmachung des entstandenen Konkurses, zugleich anzudeuten: daß die Ueberschüsse der Revenüen nicht ferner an den oder die Extrahenten der Sequestration, sondern entweder an den von den Gläubigern bestellten Empfänger, oder unmittelbar in das gerichtliche Depositum abzuführen sind.

§. 246.

Hat der Schuldner das Gut bisher selbst verwaltet, so ist wegen unmittelbarer Verhängung der Sequestration, wenn es kein adliches Gut ist, das Erforderliche nach der Vorschrift Tit. XXIV. §. 127. zu verfügen; wenn es aber ein adliches oder Rittergut wäre, die Vorschrift §. 128. u. f. ebend. zu beobachten.

§. 247.

Bei Gütern dieser letzten Art hat also das den Konkurs dirigirende Gericht mit der Administration selbst nichts zu thun; sondern es zieht bloß die Gelder ein, welche das dem Sequester unmittelbar vorgesetzte Kollegium abliefert; und vernimmt, wenn über einen oder den andern dabei vorkommenden Umstand die Erklärung der Gläubiger verlangt wird, gedachte bei der Sache ein Interesse habende Gläubiger; vermittelt unter ihnen einen Beschluß; und giebt dem administrirenden Kollegio davon Nachricht.

§. 248.

Der Kurator hingegen muß auch bei diesem Kollegio die Rechte und das Interesse der Masse wahrnehmen; wie er denn auch von demselben in vorkommenden Fällen, insonderheit aber bei Einrichtung der


(1084) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Sequestration, und bei Abnehmung der Rechnungen, in Vertretung der Masse zugezogen wird.

§. 249.

Wenn Güter in Konkurs verfallen, bei welchen der alsbaldigen Subhastation derselben nichts, z. B. keine eigentliche Lehns- oder Fideikommiß-Qualität im Wege steht; so sollen dergleichen Güter nicht verpachtet werden; weil die Konkursprozesse, nach gegenwärtiger Vorschrift, in kurzer Zeit beendigt seyn müssen; und aus den Verpachtungen, bei dem Verkaufe des Guts, die größten und kostbarsten Weiterungen zu entstehen pflegen.

Anh. §. 349. Findet jedoch die Mehrheit der Gläubiger die Verpachtung vortheilhafter, so hat es bei dem Beschluß derselben sein Bewenden.

§. 250.

Wenn zur Zeit des eröffneten Konkurses ein nach der Vorschrift Tit. XXIV. §. 119. immittirter Gläubiger in der Administration und Benutzung des Guts sich befindet, so erreicht die Immission durch die Eröffnung des Konkurses ihre Endschaft; das Gut muß zur Administration für Rechnung sämmtlicher Gläubiger zurück gegeben; und dem immittirt gewesenen Gläubiger müssen die erhobenen Nutzungen, nach Verhältnis seiner Besitzzeit, auf den Grund der bei seiner Immission angelegten Berechnung, auf seine Forderung abgeschrieben werden. Doch soll einem solchen Gläubiger sowohl wegen der Zeit seiner Exmission, als wegen Vergütung der im Gute etwa gemachten Verbesserungen, eben das zu Statten kommen, was unten §. 256. u. f. in Ansehung des Pächters verordnet ist.

Anh. §. 330. Auch die antichretischen Pfandbesitzer sind verflichtet, die innehabenden Grundstücke zur Konkursmasse des Gemeinschuldners zurück zu geben, ohne Rücksicht auf die Dauer des darüber geschlossenen Kontrakts. Es kommt jedoch denselben alles dasjenige zu Statten, was in Absicht der Pächter vorgeschrieben ist. (§. 256. u. f. dieses Titels.)


(1085) Konkurs.

§. 251.

Ist das Gut verpachtet, so muß zuvörderst darauf gesehen werden: ob nach der Qualität desselben, und der liquidirten Forderungen, ein gerichtlicher Verkauf werde Statt finden können, oder nicht.

§. 252.

Kann der Verkauf nicht Statt finden, so müssen die Gläubiger den Pächter seine Zeit aussitzen lassen; und er muß, während derselben, den Pachtzins in den kontraktmäßigen Terminen, bis zum Ende des Konkurses oder seiner Pacht, in das gerichtliche Depositum abführen. Die Aufsicht über seine Wirthschaft aber muß, der Vorschrift Tit. XXIV. §. 129. gemäß, demjenigen Kollegio, welches die Administration, wenn dergleichen Statt fände, zu dirigiren haben würde, überlassen werden.

§. 253.

Sind im Pachtkontrakte gewisse Auszüge oder Vorbehalte für den Verpächter bedungen, so kommen dieselben nicht mehr dem Gemeinschuldner, sondern der Masse zu gute; und der Kurator muß dafür sorgen, daß sie für Rechnung der Gläubiger verwaltet, eingezogen, und ins Geld gesetzt werden.

§. 254.

Können die Kreditoren nachweisen, daß der Gemeinschuldner dergleichen Pachtkontrakt, zu einer Zeit, wo seine Insolvenz ihm schon bekannt gewesen, mit den davon ebenfalls unterrichteten Pächtern, zu ihrem Nachtheile und ihrer Verkürzung geschlossen habe; so sind sie berechtigt, auf die Widerrufung desselben, so wie bei jedem andern dergleichen Kontrakte, nach Maaßgabe §. 53. u. f. anzutragen.

§. 255.

Ist das verpachtete Gut von der Art, daß der gerichtliche Verkauf desselben an und für sich Statt finden kann; so darf selbiger durch die Verpachtung nicht aufgehalten werden.


(1086) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

§. 256.

Da es inzwischen der Billigkeit gemäß ist, den Pächter mit der Exmission nicht zu übereilen, und demselben dadurch zu weitläufigen Schäden- und Interessenforderungen Anlaß zu geben; so muß, wenn die Endigung der Pacht ohnehin nahe bevorsteht, der Subhastationstermin dergestalt regulirt werden, daß derselbe erst gegen den Ablauf der Pachtzeit eintrete.

§. 257.

Würde aber der Pächter nach seinem Kontrakte noch länger als Ein Jahr zu sitzen haben, so muß ihm Aufkündigung geschehen, und es müssen, wegen der Räumung, die Vorschriften des Allgemeinen Landrechts Th. I. Tit. XXI. §. 350. u. f. beobachtet werden.

§. 258.

Außer der Vergütung solcher Meliorationen, die der Pächter am Ende der kontraktmäßigen Zeit würde fordern können, muß ihm auch wegen derjenigen, wofür ihm zwar in diesem Falle keine Vergütung zukommen, die er aber doch durch die ganze kontraktmäßige Zeit noch zu genießen haben würde, nach Vorschrift des Allgemeinen Landrechts Th. I. Tit. XXI. §. 283. bis 286. billige Schadloshaltung widerfahren.

§. 259.

Wegen Räumung städtischer vermietheter Grundstücke hat es bei den Vorschriften des Allgemeinen Landrechts am angeführten Orte §. 353. 354., und wegen der dem Miether etwa zukommenden Vergütung, bei der Verordnung des §. 355. lediglich sein Bewenden.

B. Veräußerung der Immobilien.

§. 260.

So viel hiernächst B. die Veräußerung der zur Masse gehörigen unbeweglichen Sachen betrifft, so ist hier ebenfalls ein Unterschied zu machen: ob


(1087) Konkurs.

dergleichen Grundstücke, nach ihrer Qualität, und nach Beschaffenheit der liquidirten Schuldforderungen, veräußert werden können; oder ob dieselben unveräußerlich sind.

§. 261.

Ist die Veräußerung den Rechten nach statthaft, so muß der Kurator auf ordnungsmäßige Eröffnung des Subhastationsprozesses ungesäumt antragen; und dieser muß, nach den unten folgenden Vorschriften des zwei und funfzigsten Titels, gehörig instruirt werden.

§. 262.

Ein Gleiches muß in Ansehung derjenigen beweglichen Stücke geschehen, welche nach obiger Verordnung §. 228. u. f. nicht durch bloße Auktion, sondern durch ordentliche Subhastation ins Geld gesetzt werden müssen.

§. 263.

Wenn die sämmtlichen bei dem Konkurse theilnehmenden Gläubiger unter sich einig sind, daß dergleichen Grundstücke und Sachen entweder einem Kauflustigen, ohne Subhastation, aus freier Hand überlassen, oder daß sie zwar, jedoch mit kürzeren als den gesetzmäßigen Fristen, subhastirt werden sollen; so ist der Richter nach einem solchen Schlusse der Gläubiger zu verfahren befugt und schuldig.

§. 264.

Dergleichen Beschluß setzt jedoch voraus, daß alle Kreditoren unter einander einig sind; indem auch nur ein einziger, welcher auf der Beobachtung der gesetzlichen Form besteht, von den übrigen zum Beitritte nicht gezwungen werden kann. Die Fassung eines solchen Schlusses kann also nicht eher Statt finden, als bis, nach Verlaufe des Liquidationstermins, mit rechtlicher Gewißheit bekannt ist, was für Kreditoren zu dem gegenwärtigen Konkurse gehören. Bevollmächtigte abwesender Gläubiger, die


(1088) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

einem solchen Schlusse beitreten, müssen dazu gerichtliche, darauf ausdrücklich lautende Vollmachten beibringen. Gläubiger, die erst nach dem Liquidationstermine sich melden, können frühere Beschlüsse dieser Art nicht anfechten.

§. 265.

Ist das zur Masse gehörige Grundstück unveräußerlich, so muß die Administration desselben bis zum Erfolge der Distribution fortgesetzt; alsdann aber nach der Vorschrift des fünften Abschnitts verfahren werden.

§. 266.

Schließlich müssen die Gerichte, wenn der Gemeinschuldner sich zur Cessione bonorum gehörig qualificirt hat, die Gläubiger zu vermögen suchen, daß sie demselben in dem Hause, bis zum Verkaufe desselben, die Wohnung, und zwar, wenn es ein Landgut ist, unentgeldlich, wenn es aber ein Haus in der Stadt ist, gegen eine leidliche Miethe, verstatten. So bald jedoch ein solcher Schuldner die ihm dadurch zugedachte Wohlthat mißbraucht, indem er entweder in der Wirthschaft sich Verfügungen anmaaßt, und Störungen macht oder gar etwas von den Einkünften zum Nachtheile der Gläubiger an sich zu ziehen sucht; so muß er, auf die erste bescheinigte Anzeige davon, unverzüglich zur Räumung angehalten werden.

Anh. §. 351. Ein förmlicher Prozeß über die von den Gläubigern verlangte Exmission des Schuldners findet nicht Statt.


(1089) Konkurs.

Vierter Abschnitt.

Von der Ordnung, in welcher die Gläubiger aus der Aktivmasse zu befriedigen sind.

Eintheilung der Gläubiger in 7 Klassen.

§. 267.

Die bei einem Konkurs sich meldenden Gläubiger werden nach der verschiedenen Beschaffenheit ihrer Forderungen, und dem damit, oder auch mit der Person der Liquidanten in den Gesetzen verbundenen Vorrechte, in sieben Klassen eingetheilt, und erhalten nach der Folgeordnung dieser Klassen ihre Befriedigung aus der Aktivmasse, so weit dieselbe dazu hinreicht.

Anh. §. 352. Auf Forderungen, die vor Publikation der Allgemeinen Gerichtsordnung entsprungen sind, kann die Klassifikationsordnung nur in so weit angewendet werden, als überhaupt ein neues Gesetz auf vergangene Fälle zu ziehen ist.

Kreditoren, die von der Einlassung in den Konkurs frei sind.

§. 268.

Bevor jedoch die zu einer jeden dieser Klassen gehörenden Ansprüche näher angegeben werden, sind diejenigen davon abzusondern, welche gar nicht nöthig haben, sich in den Konkurs einzulassen, sondern außerhalb desselben abgefunden werden müssen; so wie zuletzt dererjenigen gedacht werden soll, welche erst nach Befriedigung sämmtlicher Gläubiger aus allen sieben Klassen, bei einem etwanigen Ueberschusse der Masse, zur Hebung gelangen können.

Anh. §. 353. Darlehne, welche einem Offizier unter Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften aus den Regiments- und Bataillonskassen zur Anschaffung der Equipage gegeben worden sind, haben vor allen sonstigen Forderungen, wie solche Namen haben mögen, ein Vorzugsrecht, und müssen aus der bereitesten Masse bezahlt werden.

1) die mit der Masse kontrahirt haben;

§. 269.

Von der Einlassung in den Konkurs sind gänzlich befreit:

 

(1090) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

I. Alle diejenigen, welche nicht mit dem Gemeinschuldner, sondern mit der Kreditmasse selbst kontrahirt haben; mithin diejenigen, welche nach eröffnetem Konkurse, zur Reparatur der Gebäude, zur Ergänzung des Vieh- oder Feldinventarii, zur Anschaffung des Saat-, Brod- und Futterkorns, zum Retablissement der Unterthanen, zur Abtragung der kurrenten Lasten und Abgaben, und überhaupt zur Aufbewahrung, Erhaltung, besseren Benutzung, oder Versilberung der zur Masse gehörigen unbeweglichen oder beweglichen Effekten, Vorschüsse oder Lieferungen gethan, Dienste geleistet, oder sonst Kredit gegeben haben.

2) Kurrente öffentliche und gemeine Lasten.

§. 270.

II. Die von den zur Masse gehörigen Grundstücken zu entrichtenden beständigen Lasten und Abgaben, ohne Unterschied, ob selbige an Königliche oder Kreis- und Kämmereikassen zu entrichten sind; ferner die Beiträge zu den Feuersocietätskassen; ingleichen dasjenige, was Kirchen- und Schulbediente, an Zehnten, oder sonstigem Deputat, zu fordern haben.

Dieses alles bleibt jedoch nur auf den Fall eingeschränkt, wenn die Zahlungstermine erst nach eröffnetem Konkurse eintreten. Wie es wegen der Rückstände zu halten sey, wird unten vorgeschrieben.

§. 271.

Die vorstehend (§. 269. 270.) benannten Lasten und Abgaben müssen zwar, in so fern sie ein zur Masse gehöriges Grundstück betreffen, vorzüglich aus den Einkünften dieses Grundstücks bestritten werden. Wenn aber diese nicht hinreichen, und auch kein Fall, wo nach den Gesetzen ein Erlaß von Seiten der Kassen erfolgen muß, eintritt; so muß der Kurator den Vorschuß aus der übrigen bereitesten Masse leisten; welcher jedoch dieser Vorschuß, bei der demnächst anzulegenden Distribution, aus den Kaufgeldern des


(1091) Konkurs.

Immobilis, nach den im folgenden Abschnitt enthaltenen nähern Bestimmungen, vergütet werden muß.

Kann auch die übrige Masse den Vorschuß nicht leisten, so ist der Kurator befugt und schuldig, ein dazu erforderliches Kapital aufzunehmen; welches demnächst, nach erfolgtem Verkaufe des Grundstücks, dem Darleiher, nebst Zinsen, aus dem Kaufgelde zurück bezahlt, und davon, noch vor der Vertheilung an die Realgläubiger, vorweg abgezogen werden muß.

3) die ein Separationsrecht haben.

§. 272.

III. Diejenigen, welchen auf eine dem Gemeinschuldner vor Eröffnung des Konkurses zugefallene Erbschaft das Separationsrecht zukommt. (A. L. R. Th. I. Tit. XVI. §. 500. u. f.)

§. 273.

Dieß Separationsrecht besteht darin, daß die Gläubiger des Erblassers darauf antragen können, den ihnen verhafteten Nachlaß von dem übrigen Vermögen des Gemeinschuldners abzusondern, und ihre Forderungen aus ersterm vorzüglich zu befriedigen.

§. 274.

Damit diese Absonderung geschehen könne, muß der Kurator, so bald bei der Konkurseröffnung sich ergiebt, daß dem Gemeinschuldner neuerlich eine Erbschaft zugefallen sey, gleich vom Anfange an, unter Anweisung und Direktion des Decernenten, dafür sorgen, daß die dazu gehörigen, in dem Vermögen des Gemeinschuldners noch vorhandenen Sachen und Effekten, so viel als möglich, in ein besonderes Verzeichniß; gebracht; besondere Verfügungen wegen deren Einziehung, Aufbewahrung, oder Versilberung getroffen; und überhaupt die fernere Vermischung des Nachlasses mit dem eigenthümlichen Vermögen des Gemeinschuldners, so viel es nach den Umständen den annoch geschehen kann, verhütet werde.


(1092) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

§. 275.

Das Separationsrecht erstreckt sich jedoch nur auf diejenigen zum Nachlaß gehörenden Gelder, Aktivkapitalien, Mobilien und Grundstücke, welche zur Zeit der Konkurseröffnung in dem Vermögen des Gemeinschuldners noch in Natur vorhanden sind. Auf dasjenige, was der Gemeinschuldner bereits veräußert, eingezogen, verzehrt, oder sonst verwendet hat, können die Erbschaftsgläubiger ihr Separationsrecht nicht ausdehnen.

§. 276.

Wenn jedoch ausgemittelt werden kann, daß der Gemeinschuldner die in der Erbschaft vorgefundenen, oder daraus eingezogenen und gelöseten Gelder zum Ankaufe eines Grundstücks verwendet habe, welches sich zur Zeit der Konkurseröffnung noch in der Masse befindet; so sollen die Erbschaftsgläubiger, welchen das Separationsrecht zukommt, mit ihren Forderungen, so weit sie den erweislich verwendeten Betrag des erbschaftlichen Vermögens nicht übersteigen, auf denjenigen Theil des aus dem Grundstücke gelöseten Werths, welcher nach Befriedigung der darauf in der dritten Klasse anzusetzenden Realgläubiger noch übrig bleibt, in der vierten Klasse nach § 421. angewiesen werden.

§. 277.

Wenn nach obigen Vorschriften (§. 274. 275. 276.) die Erbschaft von dem übrigen Vermögen des Gemeinschuldners abgesondert worden, und erstere zur Bezahlung der Erbschaftsschulden und Lasten hinreichend ist; so müssen die Erbschaftsgläubiger, ohne Rücksicht auf die Qualität ihrer Forderungen, ingleichen die Legatarii, und zwar beide vollständig, an Kapital, Zinsen und Kosten aus der separirten Erbschaft befriedigt werden. Bleibt alsdann noch etwas übrig, so wächst dasselbe der Konkursmasse des Erben zu.


(1093) Konkurs.

§. 278.

Ist hingegen der separirte Nachlaß zur Befriedigung aller derjenigen, welche darauf Anspruch zu machen haben, nicht hinreichend, so müssen diese nach der Beschaffenheit ihrer Forderungen, und den Vorschriften des gegenwärtigen Abschnitts, besonders klassificirt, und nach dieser Ordnung, so weit der abgesonderte Nachlaß hinreicht, daraus befriedigt werden. Diejenigen, welche dabei einen Ausfall leiden, können sich damit zwar an die Konkursmasse des Erben halten; doch kommt gegen sie dem Kurator, und den eigenen Gläubigern des Erben, die Rechtswohlthat des Inventarii so weit zu Statten, als der Gemeinschuldner selbst, wenn er noch die freie Disposition hätte, sich darauf zu berufen, berechtigt seyn würde.

§. 279.

Wegen der Fälle, wo dieses Separationsrecht verloren geht, hat es bei der Vorschrift des Allg. L. R. Th. I. Tit. XVI. Z. 503. 504. sein Bewenden.

§. 280.

Da nach dieser Vorschrift das Separationsrecht desjenigen, der innerhalb Jahresfrist sich mit seiner Forderung nicht gerichtlich gemeldet hat, erloschen ist; so kann der Erbe, auf dessen ererbtes Grundstück seine Qualität, als Beneficialerbe, nach Vorschrift des Allgemeinen Landrechts Th. I. Tit. IX. §. 447. 448. 449. eingetragen worden ist, nach Verlauf Eines Jahres die Löschung dieser Einschränkung suchen, wenn er durch Atteste, sowohl von dem Gerichte, unter welchem die Erbschaft gelegen war, als von seinem eigenen persönlichen, und von dem dinglichen Gerichtsstande der Sache, nachweisen kann, daß kein Erbschaftsgläubiger sich gegen ihn gemeldet, oder daß er die anhängig gemachten Forderungen dieser Art berichtigt habe.


(1094) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

§. 281.

Ist die Eigenschaft des Erben, als Beneficialerbe, im Hypothekenbuche nicht mit eingetragen worden; so kann auch demjenigen, welcher vor Ablauf der Jahresfrist sich mit dem Gemeinschuldner redlicher Weise, auf den guten Glauben des Hypothekenbuchs, in gerichtliche Verhandlungen über das Grundstück eingelassen hat, sein durch die Eintragung erlangtes vorzügliches Recht von den übrigens zur Separation berechtigten Erbschaftsgläubigern nicht bestritten werden. (Ebendas. §. 450.)

§. 282.

Hat jedoch der Gemeinschuldner auf ein solches, ihm ohne Bemerkung seiner Qualität zugeschriebenes Grundstück einen seiner eigenen Gläubiger eintragen lassen; so treten die Erbschaftsgläubiger, denen übrigens noch das Separationsrecht zukommt, bei dem Konkurse des Erben, so weit es ihnen vortheilhaft ist, in so weit an die Stelle dieses eingetragenen eigenen Gläubigers, daß sie ihre Befriedigung da fordern können, wo dieser eigene Gläubiger dieselbe, im Fall er nicht eingetragen gewesen wäre, zu erhalten hatte.

§. 283.

Erbschaftsgläubiger, die durch Novation, oder sonst, ihr Separationsrecht verloren haben, können sich zwar als Gläubiger des Erben an dessen Konkursmasse halten; sie können sich aber der Vorrechte, die lediglich in ihrem persönlichen Verhältnisse gegen den Erblasser ihren Grund haben, gegen die übrigen Gläubiger des Erben nicht bedienen. Auch findet in Ansehung derjenigen, mit welchen keine Novation vorgefallen ist, die Vorschrift des §. 278. Anwendung.

§. 284.

Uebrigens sollen zwar, nach obiger Vorschrift (§. 274.) gleich vom Anfange des Konkurses an, die


(1095) Konkurs.

nöthigen Maaßregeln, zur vorläufigen Absonderung des Nachlasses von dem eigenen Vermögen des Gemeinschuldners, von Amts wegen genommen werden. Wenn aber ein Erbschaftsgläubiger sich nicht spätestens noch im Verifikationstermine, wo ihm nach Vorschrift §. 129. der vorläufige Ueberschlag der Masse vorgelegt werden muß, auf diese Rechtswohlthat beruft, so kann in der Folge auf dergleichen Antrag ferner keine Rücksicht genommen werden.

§. 285 a.

Ueber den Fall, wenn der Gemeinschuldner eine verschuldete Erbschaft ohne die Rechtswohlthat des Inventarii übernommen hat, und dadurch außer Stand gekommen ist, seine eigenen, und zugleich die Erbschaftsgläubiger vollständig zu befriedigen, hat es, wegen des alsdann den eigenen Gläubigern des Erben zukommenden Separationsrechts, bei den Vorschriften des Allg. Landrechts sein Bewenden. (Th. I. Tit. XVI. §. 507. u. f.)

§. 285 b.

Hat der Gemeinschuldner die verschuldete Erbschaft nur als Bencficialerbe übernommen, so können seine eigenen Gläubiger, gegen die Kreditoren des Erblassers, von der Wohlthat des Inventarii in eben dem Maße Gebrauch machen, als der Erbe selbst, wenn kein Konkurs vorhanden wäre, dazu berechtigt seyn würde.

§. 286.

Wie es zu halten sey, wenn dem Gemeinschuldner eine Erbschaft nach eröffnetem Konkurse anfällt, ist oben §. 41. vorgeschrieben.

4) Die Kreditsysteme und Pfandbriefsinhaber.

§. 287.

IV. In den Provinzen, in welchen landschaftliche Kreditsyteme bestehen, sind die Landschaften, oder ritterschaftlichen Kreditdirektionen, wenn über das Vermögen des Besitzers eines mit Pfandbriefen belegten Gutes ein Konkurs eröffnet wird, sich darin


(1096) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

einzulassen nicht schuldig; sondern es wird nur der nach ihrer Befriedigung verbleibende Ueberrest der Einkünfte sowohl, als der Kaufgelder solcher Güter, zur Kreditmasse gezogen.

5) Die ein Kompensationsrecht haben.

§. 288.

V. Diejenigen, welche nach den §. 156-160. vorgeschriebenen näheren Bestimmungen, ein Kompensationsrecht im Konkurse geltend zu machen berechtigt sind, in so fern dadurch ihre ganze Anforderung getilgt wird; widrigenfalls sie mit dem, nach Abzug des Compensandi, verbleibenden Ueberreste ihrer Forderung sich gehörig melden, und ihre Ansetzung in dem Klassifikationsurtel erwarten müssen.

§. 289.

6) Socii wegen der Societätsschulden.

VI. Wenn der Gemeinschuldner mit Anderen in einer gemeinschaftlichen Handlung gestanden hat, und die Kreditmasse, von den Handlungsgenossen, den dem Gemeinschuldner gebührenden Antheil der vorräthigen Waaren, Geräthschaften und ausstehenden Aktivschulden fordert; so sind diese die Passivschulden der Societät verhältnismäßig in Abzug zu bringen berechtigt, und daher nicht schuldig, sich dieserhalb in den Konkurs einzulassen.

§. 290.

Sollten die übrigen Mitglieder der Gesellschaft es der Handlung, oder dem gemeinschaftlich unternommenen Geschäfte nachtheilig finden, wenn eine Naturaltheilung des Waarenlagers und der Geräthschaften erfolgte, und hiernächst der dem Gemeinschuldner gebührende Antheil an den Meistbietenden verkauft würde; so soll ihnen frei stehen, darauf anzutragen, daß ihnen dieser Antheil, nach einer genauen, durch Sachverständige anzufertigenden gerichtlichen Taxe, überlassen werde.

§. 291.

Uebrigens gehört die Eröffnung des Konkurses unter diejenigen veränderten Umstände, welche sowohl


(1097) Konkurs.

die Gläubiger des Gemeinschuldners, als die übrigen Gesellschafter desselben berechtigen, die Aufhebung der Societät zu verlangen, wenn auch dieselbe außerdem, nach dem darüber geschlossenen Vertrage, noch länger hätte fortgesetzt werden müssen.

7) Gewisse Arten von Depositis.

§. 292.

VII. Diejenigen, welche von dem Gemeinschuldner ausgeklagt, und wegen ihrer zur besondern Ausführung verwiesenen Gegenforderungen, oder illiquiden Einwendungen, die dem Gemeinschuldner zuerkannte Summe gerichtlich zu deponiren für befugt geachtet worden sind; in so fern die im Deposito befindlichen Gelder zu ihrer Befriedigung, in Ansehung solcher zur Separatverhandlung verwiesenen Forderungen, zureichen. Dergleichen Interessenten erhalten auch die inzwischen eingekommenen Depositalzinsen, so weit dieselben zu ihrer Befriedigung erforderlich sind. Sie müssen aber in allen Fällen die Kosten der Deposition tragen, und wegen eines dadurch etwa entstehenden Ausfalls an die Masse sich halten.

§. 293.

Gleiche Bewandniß hat es

VIII. in Ansehung derjenigen, wider welche der Kurator in einem solchen Falle, wo Gegenforderungen oder illiquide Einwendungen zur besondern Ausführung verwiesen werden müssen, ein obsiegliches Urtel erhalten hat, wenn sie hiernächst bei der Separatverhandlung Einwendungen, oder zur Kompensation sich qualificirende Forderungen geltend machen; und kommt es in diesem Falle nicht darauf an, ob sie das zurück erhaltene Quantum deponirt, oder zur Kreditmasse gezahlt haben.

9) Soluta aus annullirten Geschäften.

§. 294.

Diejenigen, welche sich mit dem Gemeinschuldner, vor oder nach eröffnetem Konkurse, in Geschäfte eingelassen haben, welche nach Anleitung


(1098) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

§. 36. 39. 40. auf Verlangen der Gläubiger annullirt werden müssen, können in solchem Falle dasjenige Quantum, welches in Rücksicht des vernichteten Geschäfts zur Konkursmasse geflossen, oder darin zur Zeit der Eröffnung des Konkurses noch vorhanden gewesen ist, ohne den geringsten Abzug zurück fordern.

10) Amtsschriften und Geräthschaften.

§. 295.

X. Wenn der Gemeinschuldner ein öffentliches Amt bekleidet hat, müssen nach Anleitung §. 214. dem Kollegio, welchem er in Ansehung dieses Amts subordinirt gewesen, die bei der Inventur vorgefundenen, dessen Dienst betreffenden Schriften; ingleichen, alle diejenigen Bücher, Charten, Instrumente und Utensilien verabfolgt werden, welche dem Gemeinschuldner zur Verwaltung seines Amts anvertraut worden sind, oder welche ohne Nachtheil des Dienstes nicht fremden Händen überlassen werden können. (A. L. R. Th. II. Tit. XX. §. 129.) Hat der Gemeinschuldner dergleichen Sachen auf eigene Kosten angeschafft, so muß entweder der Werth nach einer billigen Taxe vergütet, oder die Sachen müssen in einen solchen Stand gesetzt werden, daß die Materialien für Rechnung der Masse, ohne Gefahr verkauft werden können.

Erste Klasse

1) Zurückgeforderte Deposita.

§. 296.

Zur Ersten Klasse gehören:

I. Diejenigen, welche dem Gemeinschuldner Kostbarkeiten, oder andere Effekten in Verwahrung gegeben haben, in so fern dieselben annoch in Natur vorhanden sind. In Ansehung der bei dem Gemeinschuldner verwahrlich niedergelegten Gelder findet ein Gleiches nur alsdann Statt, wenn selbige nicht mit des Gemeinschuldners Geldern vermischt, sondern in besondeern Behältnissen oder Beuteln, mit des Deponenten Petschaft versiegelt, oder in verschlossenen Behältnissen, wozu der Niederleger den


(1099) Konkurs.

Schlüssel in Händen behalten hat, vorgefunden werden.

2) Geliehene und vermiethete Sachen.

§. 297.

II. Diejenigen, welche dem Gemeinschuldner Sachen zum Gebrauche geliehen, vermiethet, oder bittweise überlassen haben, welche sich bei dem Ausbruche des Konkurses noch in dessen Vermögen befinden. Geliehene Gelder sind hierunter nie zu verstehen, wenn gleich die Verzinsung ausdrücklich erlassen worden ist. Gleiche Bewandtniß hat es, wenn Sachen, welche, ohne sie zu verbrauchen, nicht gebraucht werden können (res fungibiles), dem Gemeinschuldner obgedachtermaßen überlassen worden sind. Wegen solcher Gelder, die auf irgend eine andere Art, ohne weder deponirt, noch kreditirt zu seyn, in die Gewahrsam des Gemeinschuldners gekommen, und darin zur Zeit der Konkurseröffnung noch vorhanden sind; ingleichen wegen der zur Cirkulation bestimmten, auf jeden Inhaber lautenden Papiere, hat es bei den Vorschriften des Landrechts sein Bewenden. (Th. I. Tit. XV. §. 45. bis 53.)

3) Eingelegte Pfänder.

§. 298.

III. Diejenigen, welche bei dem Gemeinschuldner Pfänder versetzt haben, welche ihnen, in so fern sie annoch vorhanden sind, gegen Entrichtung des Pfandschillings, und der schuldigen Zinsen, verabfolgt werden müssen.

Können die hierzu erforderlichen Gelder von dem Eigenthümer nicht binnen einer zu bestimmenden billigen Frist herbei geschafft werden; so ist der gerichtliche Verkauf der Pfänder zu veranlassen, und wird hiernächst der nach Abzug des Pfandschillings, der Zinsen und Kosten verbleibende Ueberrest der gelöseten Kaufgelder, dem Eigenthümer an diesem Orte zuerkannt.


(1100) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

4) Gestohlene Sachen.

§. 299.

IV. Diejenigen, deren Effekten durch Diebstahl, oder auf andere unerlaubte Art, in des Gemeinschuldners Gewahrsam gekommen sind, in so fern derselbe bei dem Ausbruche sich annoch in deren Besitze befunden hat.

5) Kommissionsgüter.

§. 300.

V. Diejenigen, welche dem Gemeinschuldner Waaren oder Effekten zum Verkaufe in Kommission gegeben, oder zur weitern Spedition anvertraut haben; wenn entweder diese Waaren oder Effekten zur Zeit des eröffneten Konkurses annoch in des Gemeinschuldners Gewahrsam existiren; oder zwar von ihm verkauft, die Kaufgelder aber noch nicht eingezogen, oder von dem Gemeinschuldner, mit der ausdrücklichen Vermerkung, daß sie seinen Kommittenten gehören, besonders aufbewahrt worden sind. In diesen Fällen sind den Kommittenten die Waaren und Effekten, oder die daraus gelöseten Kaufgelder zu überlassen, so bald sie die schuldige Provision und Auslagen entrichtet haben.

§. 301.

Wenn die dem Gemeinschuldner in Kommission gegebenen Waaren sich unter den eigenen Waaren desselben vermischt, und ohne besondere Unterscheidungszeichen gelagert finden; so ist es die Sache des Kommittenten, diejenigen Stücke nachzuweisen, welche zu seinem Eigenthume gehören. So weit er diesen Nachweis nicht führen kann, findet auch kein Rückforderungsrecht in der Ersten Klasse Statt.

6) In Kommission gekaufte Waaren.

§. 302.

VI. Wenn jemand dem Gemeinschuldner aufgetragen hatte, Waaren für seine Rechnung zu kaufen, wozu er ihm die benöthigten Gelder schon angewiesen hat, und diese Waaren zur Zeit der Konkurseröffnung in der Gewahrsam des Gemeinschuldners noch vorhanden sind; auch auf den Waaren selbst


(1101) Konkurs.

oder in dem Handlungsbuche des Gemeinschuldners bemerkt ist, daß dieselben dem Besteller gehören; so müssen sie Letzterm, gegen Vergütung der dafür dem Gemeinschuldner, nach angelegter Berechnung, etwa noch zukommenden Auslagen und Kosten, verabfolgt werden.

§. 303.

Hat der -Gemeinschuldner dergleichen Waaren, zu deren Einkaufe, für Rechnung eines auswärtigen Bestellers, ihm die benöthigten Fonds von selbigem schon angewiesen waren, mit Zurückbehaltung dieser Fonds, auf Kredit gekauft; so ist die Frage: in wie fern die Verkäufer derselben sich an die Waaren selbst, oder den Besteller halten können, oder in den Konkurs des Gemeinschuldners sich einlassen müssen? lediglich nach der Lehre von Vollmachtsaufträgen, und darnach zu beurtheilen: ob der Verkäufer mit dem Gemeinschuldner in seinem eigenen, oder im Namen des Bestellers kontrahirt; ob der Gemeinschuldner dabei die Gränzen seiner Vollmacht überschritten; und ob er dadurch nur sich selbst, oder auch den Machtgeber, dem Verkäufer der Waaren verpflichtet habe. (Allg. L. R. Th. I. Tit. XIII. §. 90. bis 93. §. 151. bis 154.)

§. 304.

Hat der Besteller zur Bezahlung der für seine Rechnung eingekauften Waaren keine Fonds angewiesen, so hängt es von den Gläubigern ab: in wie fern sie die zur Zeit der Konkurseröffnung noch vorhandenen Waaren dem Besteller, gegen Vergütung der Auslagen und Kosten, verabfolgen, oder das Geschäft aufrufen, und die Waaren zur Masse ziehen wollen. Doch bleiben auch in diesem Falle den Verkäufern der Waare, in so fern sie nicht mit dem Gemeinschuldner, sondern mit dem auswärtigen Besteller, als seinem Machtgeber, kontrahirt haben, ihre Rechte, nach Maßgabe des vorigen Paragraphen,


(1102) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

an die Waare, oder das, was der Besteller dafür zur Masse zahlen muß, vorbehalten.

7) Auf baare Bezahlung vertraute Waaren.

§. 305.

VII. Wenn jemand dem Gemeinschuldner Waaren auf Kredit gegeben hat, so kann er dieselben in der Regel nicht vindiciren, wenn auch die Waaren, zur Zeit der Konkurseröffnung, in dem Vermögen des Gemeinschuldners noch in Natur vorhanden wären. Hat aber jemand dem Gemeinschuldner dergleichen auf Kredit verkaufte Waaren erst innerhalb der letzteren drei Tage vor eröffnetem Konkurse abgeliefert, so kann er dieselben, so weit sie noch in Natur vorhanden sind, zurück nehmen. Hat hingegen der Gemeinschuldner über diese Waaren bereits disponirt, und dieselben einem dritten Besitzer übereignet; so kann auch ein solcher Verkäufer der Waare, welcher sie erst binnen drei Tagen vor der Konkurseröffnung dem Gemeinschuldner übergeben hat, sie von diesem dritten Besitzer nur unter eben den Umständen zurück fordern, unter welchen die Gläubiger überhaupt ein von dem Gemeinschuldner vor der wirklichen Konkurseröffnung mit einem Dritten vollzogenes Geschäft aufzurufen berechtigt sind. (§. 42-58.)

§. 306.

Wenn der Gemeinschuldner vor eröffnetem Konkurse Waaren auf Kredit bestellt hat, und dieselben erst nach eröffnetem Konkurse ankommen, so sollen sie nicht für ein Eigenthum des Gemeinschuldners oder der Masse angesehen werden; wenn auch das Connoissement schon vorher eingegangen wäre. Sie bleiben vielmehr zur Disposition des Absenders; welcher aber auch deshalb keine weiteren Ansprüche, selbst nicht wegen Schäden oder Kosten, an die Masse machen kann.

§. 307.

Eben diese Vorschrift soll Statt finden, wenn die auf Kredit bestellten Waaren zwar noch vor der


(1103) Konkurs.

Konkurseröffnung, aber doch zu einer Zeit ankommen, da der Gemeinschuldner sich schon für zahlungsunfähig erklärt, und seinen Gläubigern eine Behandlung, es sey gerichtlich oder außergerichtlich, angetragen hat. Kommt die Behandlung nicht zu Stande, sondern es wird der Konkurs in der Folge wirklich eröffnet; so kann der Absender diese Waaren, in so fern er Arrest darauf ausgebracht hat, oder sie sonst noch in Natur vorhanden sind, eben so, wie in dem Falle des vorigen Paragraphen, zurück nehmen.

§. 308.

Hat jedoch in beiden Fällen (§. 306. 307. ) der Gemeinschuldner über die auf Kredit bestellten, und für seine Rechnung abgesendeten Waaren, vor oder nach der Ankunft derselben bereits disponirt, und sie einem dritten Besitzer übereignet; so finden auch hier bei der Frage: in wie fern der Absender diese Waaren von dem dritten Besitzer zurückfordern könne? die Vorschriften §. 42-58. Anwendung.

§. 309 a.

Wenn hiernach die Waaren dem dritten Besitzer gelassen werden, und dieser den Preis derselben dem Gemeinschuldner ganz oder zum Theil noch schuldig ist; so kann der Absender sich daran vorzüglich vor allen anderen Gläubigern halten.

§. 309 b.

Wenn Waaren oder Sachen gegen baare Zahlung verkauft, gleichwohl aber ohne dergleichen geleistete Zahlung dem Käufer verabfolgt worden sind, so ist das Kaufgeld für kreditirt zu achten. Es findet also keine Vindikation Statt, in so fern der Verkäufer eine längere Frist, als Drei Tage, hat verstreichen lassen, ohne die Klage auf Zahlung oder Rückgabe der Sache gerichtlich anzumelden. Diese Frist wird, wenn Käufer und Verkäufer an Einem Orte sich befinden, vom Tage der Uebergabe, sonst aber von demjenigen an gerechnet, an welchem der abwesende


(1104) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Verkäufer von der nicht erfolgten Zahlung hat Nachricht erhalten, und die Klage bei dem gehörigen Richter anmelden können.

Ist hingegen die Frist am Tage der Konkurseröffnung noch nicht verlaufen, oder die Klage innerhalb derselben wirklich angemeldet worden; so ist der Verkäufer, dergleichen Waare oder Sache aus der Masse des Käufers, so weit sie darin noch in Natur vorhanden ist, zurück zu nehmen, berechtigt. In Ansehung eines dritten Besitzers aber finden auch hier die Vorschriften §. 42-58. Statt.

8) Hofwehr der Unterthanen.

§. 310.

VIII. Die Gutsherrschaften, welche einem Unterthanen die Hofwehr, oder die Verpächter, welche einem Pächter Inventarien-, Vieh- und Wirthschaftsgeräthe übergeben haben. Dieses Vorrecht bleibt ungekränkt, wenn auch zu der Zeit, da über des Unterthanen oder des Pächters Vermögen Konkurs entstanden ist, die gegebenen Stücke nicht mehr in Natur vorhanden, sondern andere an deren Stelle von dem Unterthan oder Pächter angeschafft worden sind.

§. 311.

Bei Vergleichung des Werths der gegebenen, und der an deren Stelle angeschafften, zur Zeit der Konkurseröffnung in Natur vorhandenen Stücke, finden die allgemeinen Vorschriften der Gesetze bei der Rückgewähr verpachteter Grundstücke Anwendung. (Allg. L. R. TH.I. Tit. XXI. §. 601. 605.) Wenn nach diesen Verhältnissen der Verpächter dem Pächter etwas zu vergüten hat, so muß er dasselbe, gegen Uebernehmung der zurück gelieferten Inventarienstücke, zur Masse entrichten. Hat der Verpächter eine Vergütung zu fordern; oder sind die übergebenen Stücke, ganz oder zum Theil, weder in Natur, noch andere von gleicher Art an deren Stelle vorhanden, und kann er also nur den Werth liquidiren; so wird er damit nach §. 456. in der Sechsten


(1105) Konkurs.

Klasse angesetzt. In dem Konkurse eines Unterthanen, aus welchem die Gutsherrschaft die gegebene Hofwehr weder in Natur, noch in anderen an deren Stelle angeschafften Stücken erhalten kann, hat sie den Werth derselben, nach §. 440., in der Fünften Klasse zu fordern.

9. Eingebrachte Effekten der Ehefrau.

§. 312.

IX. Die Ehefrau des Gemeinschuldners, in Ansehung der bei der Verheirathung zu dem Manne gebrachten, oder während der Ehe ererbten, oder von andern, als dem Ehemanne, zum Geschenk erhaltenen, und zur Zeit der Konkurseröffnung noch in Natur vorhandenen Effekten.

Hierunter sind auch die Hochzeitgeschenke begriffen, wovon jedoch die Frau nur die Hälfte als ihr Eigenthum vindiciren kann; es wäre denn, daß sie nach ihrer Beschaffenheit, oder nach der ausdrücklichen damals geschehenen Erklärung des Gebers, nur für die Frau allein bestimmt gewesen.

§. 313.

Auch diejenigen Effekten kann die Frau als ihr Eigenthum, in so fern sie noch vorhanden sind, zurück nehmen, die ihr von dem Manne als Brautgeschenk, oder als Morgengabe gegeben worden; in so fern diese Schenkungen nicht eben so, wie die an Fremde geschehenen, dem Widerrufe der Gläubiger unterworfen sind. (Allg. L. R. Th. I. Tit. XI. §. 1129. u. f.)

§. 314.

Schenkungen, welche der Mann der Frau in stehender Ehe gemacht hat, sind, ohne Unterschied der Zeit, wenn sie geschehen, dem Widerrufe unterworfen. (A. L. R. Th. II. Tit. I. §. 312. 313.)

§. 315.

Von demjenigen, was der Mann der Frau, zum standesmäßigen Unterhalte, an Kleidern oder anderen Sachen gegeben hat, muß ihr die nach ihrem


(1106) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Stande unentbehrliche Kleidung und Leibwäsche, nebst den Betten, für ihre Person gelassen werden. Juwelen, Gold, Silber, Perlen, Kanten, oder was sonst zur Pracht gehört, sind darunter in keinem Falle zu rechnen. (A. L. R. a. a. O. §. 314. 315. 316.)

§. 316.

Auch an Orten, wo Gerade und Mußtheile eingeführt sind, kann die Frau, bei entstandenem Konkurse, die dazu gehörigen Stücke in Natur nicht fordern.

§. 317.

Auch das, was eine Frau durch ein in stehender Ehe getriebenes besonderes Gewerbe erworben hat, ist, wenn es nicht zu dem ausdrücklich vorbehaltenen Vermögen gehört, der Vindikation keinesweges unterworfen.

§. 318.

Doch müssen der Frau, die ein solches besonderes Gewerbe getrieben hat, die dazu gehörenden Werkzeuge und Geräthschaften, so weit sie vorhanden sind, unentgeldlich verabfolgt werden.

§. 319.

Für diejenigen Stücke, welche die Frau, nach obigen Vorschriften (§. 312. 313.), wenn sie in Natur vorhanden wären, solchergestalt zurück fordern könnte, kann sie, wenn dieselben nicht mehr vorhanden sind, den Werth in der Vierten Klasse in so fern verlangen, als sie diesen Werth überhaupt bei Auseinandersetzungen mit dem Manne, oder dessen Erben, zu fordern berechtigt ist. (Allg. L. R. Th. II. Tit. I. §. 559. u. f.)

§. 320.

Unbewegliche Grundstücke kann eine Ehefrau nur alsdann eigenthümlich fordern, wenn dieselben im Hypothekenbuche auf ihren Namen eingetragen stehen; und sie entweder diese Grundstücke schon vor der Verheirathung besessen, oder während der Ehe, aus


(1107) Konkurs.

einem keinem Widerrufe von Seiten der Gläubiger unterworfenen Rechtstitel, erworben hat.

§. 321.

Steht das Grundstück auf den Namen des Mannes allein im Hypothekenbuche eingetragen, so kann die Frau sich eines Eigenthumsrechts darauf auch im Konkurse nicht anmaaßen; selbst wenn der Gemeinschuldner im Ehevertrage, oder sonst, versprochen hatte, daß die Ehegelder zum Ankaufe eines solchen Grundstücks verwendet werden sollen, und dieses wirklich geschehen wäre.

§. 322.

Ist der Besitztitel eines Grundstücks auf den Namen beider Eheleute, als Miteigenthümer, im Hypothekenbuche eingetragen; so wird, wenn nicht ein anderes aus dem Hypothekenbuche zu ersehen ist, angenommen, daß die Hälfte des Erwerbungswerthes aus dem Vermögen der Frau bezahlt worden.

§. 323.

Der Mann kann also durch Eintragungen, die ohne gehörig erklärte ausdrückliche Einwilligung der Frau geschehen sind, das Grundstück den eingetragenen Gläubigern nur so weit verpflichten, als dadurch der Frau diese Hälfte des Erwerbungswerthes nicht geschmälert wird.

§. 324.

Alles aber, was aus der ersten Hälfte des Guts, auch ohne besondere Einwilligung der Frau, eingetragen ist, geht der letztern vor; selbst wenn sie nachweisen kann, daß mehr als die Hälfte des Erwerbungswerths aus ihrem Vermögen bezahlt worden.

§. 325.

Ist hingegen außerdem, daß der Besitztitel auf beider Eheleute Namen eingetragen worden ist, auch noch im Hypothekenbuche bemerkt, daß mehr oder weniger, als die Hälfte des Erwerbungspreises, aus dem Vermögen der Frau genommen sey; so giebt


(1108) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

diese Summe den Maaßstab, über welchen ihre Rechte durch einseitig von dem Manne vorgenommene Eintragungen nicht geschmälert werden können.

§. 326.

Haben die Eheleute in Gemeinschaft der Güter gelebt, so kann die Frau, bei entstandenem Konkurse, auf das gemeinschaftlich gewordene Vermögen gar kein Vindikationsrecht ausüben.

10) Eigentum der Kinder.

§. 327.

X. Die Kinder des Gemeinschuldners in Ansehung der ererbten, von ihren Pathen, oder von andern, als dem Gemeinschuldner, geschenkten, oder sonst eigenthümlich erworbenen Sachen, in so fern sie bei dem Ausbruche des Konkurses annoch in Natur vorhanden sind; und soll bei den Pathengeschenken nicht darauf gesehen werden, ob dieselben in Betracht der Eltern oder des Kindes gegeben worden.

§. 328.

Die vom Gemeinschuldner den Kindern gegebenen Geschenke verbleiben ihnen nur alsdann, wenn sie dieselben zur Aussteuer erhalten haben, oder die Geschenke in gewöhnlichen Kleidungsstücken, Leibwäsche, und zu ihrem Studiren nöthigen Büchern und Gerätschaften bestehen.

§. 329.

Wegen anderer von dem Gemeinschuldner gemachten Schenkungen, und der den Gläubigern zustehenden Befugniß zum Widerrufe derselben, finden die obigen Vorschriften §. 49 - 53. Anwendung.

11) Lehne und Fideikommisse.

§. 330.

XI. Wenn sich in der Masse Vermögensstücke befinden, welche mit einem Fideikommisse belegt, oder der Lehnsqualität unterworfen sind, und der Gemeinschuldner verstorben ist; so können die Fideikommißinteressenten oder Lehnsfolger die Verabfolgung, gegen Uebernahme oder Berichtigung der aus


(1109) Konkurs.

dem Fideikommisse oder Lehne hauptsächlich zu berichtigenden Schulden, fordern.

§. 331.

Die Auseinandersetzung zwischen dem Lehns- oder Fideikommißfolger, und den Gläubigern des bisherigen Besitzers, erfolgt auf die oben vorgeschriebene Art. Diese Auseinandersetzung gehört aber nicht zum Liquidationsverfahren über die Passivmasse, sondern sie ist eine Operation, welche zur Ausmittelung des Aktivvermögens vorgenommen werden, und wobei der Kurator die Rechte der Gläubiger beobachten muß. Nur wenn nach beendigter Auseinandersetzung sich findet, daß der Lehns- oder Fideikommißfolger noch Vergütungen aus der Masse zu erhalten habe, muß ihm damit sein Platz in dem Klassifikationserkenntnisse angewiesen, oder, wenn zur Zeit der Abfassung dieses Urtels die Auseinandersetzung noch nicht beendigt wäre, für die Summe, welche desfalls ausgemittelt werden würde, vorbehalten werden.

§. 332.

Ist der Gemeinschuldner noch am Leben, so bleibt die Verabfolgung der Fideikommiß- oder Lehnsstücke bis nach seinem Absterben ausgesetzt.

§. 333.

Meldet sich bei dem Konkurse jemand, der auf Güter oder andere Sachen, welche zur Masse gehören, Ansprüche behauptet, die er zwar noch zur Zeit nicht geltend machen kann, die er sich aber für den künftigen Fall vorbehalten will, z. B. ein Lehnsherr, ein Lehnsfolger, ein Wiederkaufsberechtigter, und der Kontradiktor so wenig, als die Gläubiger, finden bei einem solchen bloß vorbehaltenen Anspruche etwas zu erinnern; so werden ihm in dem Klassifikationsurtel seine Rechte reservirt. Findet sich aber ein Widerspruch, so gehört die nähere Erörterung desselben zu einem besondern Prozesse, und zur Feststellung


(1110) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Feststellung der Aktivmasse; wobei der Kurator die Rechte der Gläubiger wahrnehmen muß.

§. 334.

In allen Fällen, da ein Vindikationsrecht auf Grundstücke, die sich in der Masse befinden, wegen ihrer Lehns- oder Fideikommißeigenschaft ausgeübt werden soll, muß diese Eigenschaft im Hypothekenbuche vermerkt seyn. In Ermangelung dessen findet das Vorzugsrecht in der Ersten Klasse nicht Statt.

12) Bedingungsweise überlassene Sachen.

§. 335.

XII. Wenn dem Gemeinschuldner Sachen, unter einer dessen Eigenthum einschränkenden, aufschiebenden, oder auflösenden Bedingung überlassen, und bei Immobilien diese Einschränkung im Hypothekenbuche vermerkt worden; so können, wenn eine 'solche Bedingung eintritt, diejenigen, zu deren Vortheile sie festgesetzt ist, die Wiederabtretung unter den vorgeschriebenen Maaßgaben verlangen. Ist es noch ungewiß: ob die gemachte Bedingung eintreten, oder nicht eintreten werde; so können die Interessenten darauf dringen, daß entweder die Veräußerung bis dahin verschoben werde; oder nur in der Art erfolge, daß der Käufer, der verabredeten Bedingung nachzukommen, sich gefallen lasse.

13) Vorräthige Feuersocietäts- und Bauhülfsgelder.

§. 336.

XIII. Wenn bei Eröffnung des Konkurses annoch Feuerentschädigungs- oder Bauhülfsgelder zu den dem Gemeinschuldner gehörenden Grundstücken vorhanden sind, so können dieselben zur Masse nicht gezogen, sondern sie müssen schlechterdings ihrer Bestimmung gemäß verwendet werden: und nur solche Gläubiger, welche nach Tit. XXIX. §. 18. dergleichen Gelder mit Arrest belegen können, sind berechtigt, ihre Befriedigung daraus nachzusuchen.

14) Vorgeschossene Materialien an Fabrikanten.

§. 337.

XIV. Die Unternehmer einländischer Fabriken, wegen der ihren Arbeitern vorgeschossenen Materialien,


(1111) Konkurs.

wenn selbige noch unverarbeitet in dem Vermögen der Arbeiter vorhanden sind. Haben diese dergleichen Materialien bereits verarbeitet, so treten die daraus verfertigten vorhandenen Waaren an deren Stelle, und es muß nur das (!) Arbeitslohn der Masse vergütet werden.

Anh. §. 354. Dieses Vorzugsrecht gebühret auch dem Rettungsinstitut zu Berlin, in so fern sich die Materialien noch in den Händen derjenigen befinden, denen von dem Institute Unterstützung gegeben ist.

§. 338.

Ferner, sowohl obgedachte Unternehmer, als einzelne Fabrikanten, in Ansehung der den Kaufleuten und Krämern auf Kredit gegebenen Waaren; in so fern dieselben noch in der Letzteren Vermögen in Natur vorhanden sind.

Jedoch findet dieses Vorrecht nur binnen Jahresfrist nach der Lieferung Anwendung, und es müssen vorschriftsmäßig geführte Abrechnungsbücher vorgelegt werden.

Anh. §. 355. Sind keine gehörige Abrechnungsbücher, d. i. solche Bücher, worin der Verkäufer die von ihm geschehenen Waarenlieferungen und dafür empfangenen Zahlungen einschreibt, und dieselben demnächst dem Gewahrsam des Käufers oder Abnehmers übergiebt, geführt worden; so kann der Mangel derselben, in Ansehung des bestimmten Vorrechts der ersten Klasse, durch keine Handlungsbücher oder andere Beweismittel ersetzt werden.

Anh. §. 356. Bei solchen Fabrikanten, welche kaufmännisch eingerichtete Bücher führen, vertreten diese die Stelle der Abrechnungsbücher, und können eben sowohl, als die letzteren, das Vorzugsrecht der Fabrikanten wegen der den Kaufleuten auf Kredit gegebenen Waaren begründen.

15) Der Fabrikantenunterstützungsfonds.

§. 339.

XV. Dieses den Unternehmern inländischer Fabriken in dem Vermögen ihrer Arbeiter bewilligte Vorrecht gebührt auch dem zur Unterstützung der kleinen Seiden- und Baumwollenfabrikanten in Berlin, Potsdam, und Köpnick bestimmten Fonds; sowohl


(1112) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

in Ansehung der vorgeschossenen, noch in Natur vorhandenen Materialien, als in Ansehung der daraus gefertigten und noch vorhandenen Waaren, gegen Vergütung des Arbeitslohns; so wie in Ansehung der von solchen Fabrikanten, an Zahlungs Statt für geleistete Vorschüsse, abgelieferten, und zum Absatze an Kaufleute und Krämer auf Kredit überlassenen, in dem Vermögen dieser Uebernehmer annoch in Natur vorhandenen Waaren; ebenfalls unter dem Vorbehalte ordentlicher darüber zu führender, und den Gerichten vorzulegender Abrechnungsbücher.

§. 340.

Hat ein solcher Fabrikant, welcher aus dem obbenannten Fonds Vorschüsse erhalten, zugleich für privilegirte Fabrikenunternehmer gearbeitet; und es kann nicht ausgemittelt werden: ob die in der Masse vorgefundene Waare aus Materialien, welche der Fonds, oder aus solchen, welche der Unternehmer vorgeschossen hat, verfertigt sey; so soll der Fonds einem solchen privilegirten Unternehmer nachstehen.

§. 341.

Hat der Fabrikant, welcher aus dem Fonds mit Vorschüssen unterstützt worden, auch von einer Privatperson Materialien gleicher Art zu Fertigung einer bestellten Arbeit erhalten; und es kann nicht ausgemittelt werden: ob die in der Masse vorgefundene Waare aus den Materialien des Fonds allein, oder aus denen des Privatbestellers allein gefertigt worden; so kann der Fonds nur einen Theil der vorgefundenen Waare, nach Verhältnis der von ihm vorgeschossenen Materialien, gegen die, welche der Privatbesteller gegeben hat, gegen verhältnißmäßige Vergütung des Arbeitslohns fordern.

16) Vorschüsse von Materialien an Tuch- und Wollfabrikanten.

§. 342.

XVI. Gleiches Vorrecht, mit den eigentlichen Unternehmern inländischer Fabriken, genießen auch Andere, welche an Tuchmacher und Wollfabrikanten


(1113) Konkurs.

Materialien vorgeschossen haben; unter der ausdrücklichen Bedingung, daß diese Vorschüsse mit den daraus gefertigten Waaren nach einem für Letztere im Voraus verabredeten Preise bezahlt werden sollen. Auch hier wird aber die Haltung ordentlicher Abrechnungsbücher vorausgesetzt; in deren Ermangelung, oder wenn die Materialien, ohne die oben beschriebene ausdrückliche Verabredung, bloß auf Kredit gegeben worden sind, das Vorrecht in der Ersten Klasse nicht Statt findet.

§. 343.

Das Vorrecht des §. 339. benannten Fonds und der §. 342. bezeichneten Lieferer von Materialien, findet überhaupt nur Statt, wenn die Lieferung innerhalb Jahresfrist vor eröffnetem Konkurse geschehen ist.

§. 344.

In wie fern andere Besteller von Arbeiten bei Künstlern und Handwerkern, bei entstandenem Konkurse über das Vermögen des Werkmeisters, wegen der von ihnen gegebenen Materialien, an den noch vorhandenen Vorrath derselben, oder an das daraus verfertigte Werk sich halten können, ist in den Gesetzen bestimmt. (Th. I. Tit. XI. §. 975-980.)

17) Vorschüsse an Unterthanen an Saat-, Brod- und Futtergetreide.

§. 345.

XVII. Wenn Domainenbeamte, Pächter, oder Verwalter von Kämmereigütern, oder auch Privatgutsherrschaften, deren Pächter oder Wirthschaftsverwalter, ihren zurückgekommenen Unterthanen das nöthige Saat-, Brod- und Futtergetreide in Natur vorgeschossen haben; und es wird demnächst über den Unterthan Konkurs eröffnet; so sollen dergleichen Vorschüsse in der Ersten Klasse ihre Befriedigung erhalten.

§. 346.

Dieses Vorzugsrecht soll jedoch nur solchen Vorschüssen zu Statten kommen, welche während des


(1114) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

letzten Wirthschaftsjahres vor eröffnetem Konkurse geleistet worden sind.

§. 347.

Die den Vorschuß leistenden Gutsherrschaften und Beamten müssen daher selbst darauf sehen, daß ihnen derselbe aus der nächsten Erndte wieder erstattet werde. Wenn sie dem Schuldner einen längern Kredit zugestehen, so können sie ihre Befriedigung nur in der Vierten Klasse fordern.

§. 348.

Ist jedoch die nächste Erndte nach geleistetem Vorschusse dergestalt mißrathen, daß nicht einmal so viel Getreide, als zur Wiedererstattung desselben erforderlich gewesen wäre, gewonnen worden; so soll ein solcher Vorschuß die Priorität in der ersten Klasse noch bis zur nächstfolgenden Erndte behalten.

§. 349.

Einem in Natur geleisteten Vorschusse soll, in Ansehung der Priorität, gleich geachtet werden, wenn der Unterthan das nöthige Getreide zwar an einem dritten Orte selbst gekauft und behandelt, die Herrschaft oder der Beamte aber dasselbe bezahlt, und zugleich dafür gesorgt hat, daß es zur Saat und Fortstellung der Wirthschaft wirklich verwendet, und also bis zum jedesmaligen Gebrauche in sicherer Verwahrung gehalten worden.

§. 350.

Wenn hingegen eine Gutsherrschaft, oder ein Beamter, dem Unterthanen nur baares Geld zur Anschaffung solcher Nothdurften in eigene Hand giebt; so können sie, selbst wenn sie die Verwendung nachzuweisen vermöchten, dennoch nur die Ansetzung in der Vierten Klasse verlangen.

§. 351.

Damit wegen der nach §. 345. und 349. privilegirten Vorschüsse, bei dem künftigen Prioritätsverfahren keine Zweifel und Beweisesaufnahmen


(1115) Konkurs.

entstehen mögen; so sollen über die geprüfte Nothwendigkeit, und den Betrag solcher Vorschüsse, so wie demnächst über die geschehene Verwendung ordentliche gerichtliche Registraturen aufgenommen; dergleichen Registraturen aber auch, zum Beweise der Richtigkeit, und des Vorzugsrechts der Forderung, für hinreichend geachtet werden.

§. 352.

Vorschüsse, welche von Fremden, denen keine gesetzliche Verbindlichkeit dazu aufgelegt ist, aus eigener Bewegung geleistet worden sind, können der Regel nach auf keinen bessern Ort, als die Vierte Klasse, Anspruch machen.

§. 353.

Wenn jedoch der Dritte, welcher den verschuldeten Unterthan unterstützen will, sich zuvor bei der Gutsherrschaft oder dem Beamten meldet; von diesen die Nothwendigkeit und den Betrag des Vorschusses gehörig untersucht; ausdrückliche Einwilligung dazu ertheilt; für die Verwendung nach Maaßgabe §. 349. von der Herrschaft oder dem Beamten gesorgt; und über alles dieses die §. 351. vorgeschriebene gerichtliche Registratur aufgenommen worden ist; so soll, unter diesen Maaßgaben, auch der von einem solchen Fremden geleistete Vorschuß eben des Vorrechts, als wenn er von der Herrschaft selbst gethan worden wäre, sich zu erfreuen haben.

§. 354.

Wenn zur Zeit der Konkurseröffnung Effekten in dem Vermögen des Gemeinschuldners in Natur vorhanden gewesen, welche nach obigen Festsetzungen hätten vindicirt werden können; und dergleichen Effekten sind, weil die Ansprüche der Eigenthümer unbekannt geblieben, oder nicht sogleich bescheinigt werden können, mit des Gemeinschuldners Effekten verkauft worden; so sollen die gelöseten Kaufgelder,


(1116) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

nach Abzug der auf den Verkauf verwendeten Kosten, jederzeit an deren Stelle treten.

§. 355.

In dieser Klasse kann wegen der Konkurrenz mehrerer Liquidanten, und der Ordnung, in welcher sie zu befriedigen sind, kein Streit entstehen; weil einem jeden die vindicirten Sachen angewiesen werden müssen. Von der Befriedigung der §. 345. u. f. angeführten Vorschüsse wird im folgenden Abschnitte gehandelt.

Zweite Klasse

1) Fiskus wegen rückständiger Abgaben.

§. 356.

Zur Zweiten Klasse gehören:

I. Fiskus in Ansehung aller Arten der landesherrlichen Abgaben, zu deren Entrichtung der Gemeinschuldner sowohl für seine Person, als in der Qualität eines Besitzers unbeweglicher Grundstücke verbunden gewesen; jedoch nur in Ansehung eines zweijährigen Rückstandes, vom Tage des eröffneten Konkurses zurück gerechnet. Sind längere Rückstände aufgeschwollen, so werden dieselben, wenn sie auf den Grundstücken eingetragen worden, nach dem Alter der Eintragung, sonst aber nach Vorschrift §. 396. locirt; und müssen die Einnehmer den Kassen, wegen des etwa durch ihre Versäumniß leidenden Schadens, gerecht werden.

Anh. §. 357. Wenn die Gläubiger der Zweiten Klasse alles angewandten Fleißes ungeachtet, bloß durch die seit dem Jahre 1807. ergangenen Jndultgesetze, z. B. in Gefolge der Protestation eines unbefriedigten Gläubigers gegen den Zuschlag des subhastirten Grundstücks, an der rechtzeitigen Betreibung ihrer Forderungen gehindert worden sind; so sollen ihnen auch wegen des zwei Jahre übersteigenden Rückstandes die Rechte der Zweiten Klasse vorbehalten bleiben.

2) Onera publica et communia.

§. 357.

II. Alle beständig fortlaufende Lasten und Pflichten, welche nach den Verfassungen eines jeden Orts oder Kreises, oder einer Provinz, von dem Gemeinschuldner an Kreiskassen, Kämmereien, Gutsherrschaften,


(1117) Konkurs.

oder an Kirchen- und Schulbediente zu entrichten sind; jedoch überall unter der im vorigen Paragraphen bemerkten Einschränkung.

§. 358.

Unter den hier anzusetzenden beständigen Lasten sind aber nur solche zu verstehen, die einer gewissen Klasse von Grundstücken in einem Orte oder Kreise, oder einer Provinz, dergestalt gemein sind, daß sie in der Regel auf allen zu dieser Klasse gehörenden Grundstücken haften; und daher ein jeder, der ein solches Grundstück an sich bringen, oder Gelder darauf herleihen will, es wissen kann, daß von demselben dergleichen Lasten entrichtet werden müssen. So bald hingegen eine Abgabe aus der Natur und Eigenschaft des Grundstücks nicht von selbst zu vermuthen, sondern aus Kontrakten, Erbrezessen, Testamenten, oder irgend einem andern besondern Titel entstanden ist; und daher nicht alle und jede Grundstücke derselben Art, sondern nur dieses oder jenes Einzelne angeht, kann dieselbe das Vorrecht in dieser Klasse nicht genießen, sondern muß, wenn sie nicht eingetragen ist, bloß in der Fünften Klasse angesetzt werden. (A. L. R. Th. II. Tit. XI. §. 229-232.)

3) Feuersocietätsbeiträge.

§. 359.

III. Die Beiträge zu den Feuer-Societätskassen, den Kreisjustitiariaten, den unter öffentlicher Autorität zur gemeinschaftlichen Uebertragung der Kriminalkosten errichteten, ingleichen den Viehassekuranzgesellschaften; jedoch ebenermaaßen unter der Einschränkung, daß die rückständigen Beiträge nicht früher, als zwei Jahre vor dem Ausbruche des Konkurses, ausgeschrieben seyn müssen.

4) Fiskus in dem Vermögen seiner Kassenbedienten.

§. 360.

IV. Fiskus in dem Falle, wenn der Gemeinschuldner bei einer Königlichen Kasse als Rendant, Controlleur, Schreiber, Diener oder Bote angestellt gewesen, und sich bei dieser Kasse ein dem Gemeinschuldner


(1118) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

zur Last fallender Defekt ereignet, nach den darüber in den Gesetzen enthaltenen näheren Bestimmungen. (A. L. R. Th. II. Tit. XIV. §. 45-74. Tit. XX. §. 453-455.)

§. 361.

Die Bank, die Seehandlungsgesellschaft, die Haupt- Nutz- und die Brennholz-Administration, so wie andere Anstalten, welchen fiskalische Rechte ausdrücklich beigelegt sind, haben sich dieses Vorzugs in dem Vermögen ihrer Kassenbedienten ebenfalls zu erfreuen.

5) Begräbnißkosten.

§. 362.

V. Wenn der Gemeinschuldner vor dem Ausbruche des Konkurses verstorben ist, die auf dessen Beerdigung verwendeten nothwendigen Kosten; worunter jedoch die für Leichenpredigten, Parentationen, Leichensteine, Trauergastmahle, und ähnlichen überflüssigen Aufwand gemachten Auslagen so wenig, als die Trauerkleider der Angehörigen des Gemeinschuldners, zu rechnen sind.

§. 363.

Damit auch aller Verschwendung vorgebeugt werde, so wird hierdurch festgesetzt, daß überhaupt, wenn der Gemeinschuldner von Adel, oder ein charakterisirter Königlicher Bedienter gewesen, Funfzig Thaler; wenn derselbe ein geringerer Königlicher Officiant, Banquier oder angesehener Kaufmann gewesen, Dreißig Thaler; sonst aber nur Zehn Thaler an Begräbnißkosten in dieser, die übrigen aber erst hinter der letzten Klasse angesetzt werden sollen.

§. 364.

Wenn jedoch die nach der Verfassung eines Orts, ohne Rücksicht auf den Stand des Gemeinschuldners, ganz unvermeidlich gewesenen Begräbnißkosten sich höher belaufen sollten; so muß der Richter diesen wirklich und durchaus nothwendig gewesenen Kosten,


(1119) Konkurs.

so weit sie gehörig nachgewiesen sind, das Vorrecht der zweiten Klasse zuerkennen.

§. 365.

Haben die Verwandten, oder sonst ein Dritter, das Begräbniß bestellt; so erhalten dieselben das in dieser Klasse auszusetzende Quantum, und müssen dagegen denjenigen, welche auf ihre Bestellung Sachen dazu geliefert, oder Arbeiten dabei geleistet haben, für ihre Personen gerecht werden.

§. 366.

Verstirbt der Gemeinschuldner nach ausgebrochenem Konkurse, so ist die Kreditmasse nicht schuldig, für seine Beerdigung zu sorgen. Auch ist das Vorzugsrecht in dieser Klasse auf Begräbnißkosten der Ehefrau, der Kinder, oder anderer Anverwandten des Gemeinschuldners, nicht auszudehnen.

6) Medicinalkosten.

§. 367.

VI. Die in dem letzten Jahre vor eröffnetem Konkurse aufgelaufenen Medicinalkosten; ohne Unterschied: ob selbige durch Krankheiten des Gemeinschuldners, oder seiner Familie veranlaßt worden. Es wird jedoch dabei festgesetzt:

a) daß der Apotheker nur für solche Arzneien Bezahlung fordern könne, die von einem öffentlich, approbirten Arzte verordnet sind, und mit den Recepten desselben nachgewiesen werden;

b) daß sämmtliche Rechnungen von dem Collegio Medico der Provinz geprüft und festgesetzt seyn müssen.

Unter diesen Voraussetzungen muß der ganze Betrag der Medicinalkosten vom letzten Jahre vor eröffnetem Konkurse, ohne Einschränkung auf eine gewisse Summe, in dieser Klasse bezahlt werden. Aeltere Rückstände gehören in die Sechste Klasse; es wäre denn, daß der Arzt, Wundarzt, oder Apotheker, dergleichen Rückstand Sechs Wochen vor dem Ablaufe des Jahres, in welchem er entstanden ist,


(1120) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

gerichtlich eingeklagt, und den Prozeß oder die Exekution bis zum Ausbruche des Konkurses ununterbrochen fortgesetzt hätte.

Anh. §. 358. Ist die Forderung unbeträchtlich, oder von dem Kontradiktor geradehin eingeräumt; so bedarf es keines Festsetzungsdekrets.

§. 368.

Die Gebühren der Hebamme, oder des Geburtshelfers, für die Entbindung des Gemeinschuldners Ehegenossin, haben mit den Medicinalkosten gleiche Rechte.

§. 369.

Wenn der Gemeinschuldner während des Konkurses in Krankheit verfällt, so müssen die dadurch verursachten Kosten aus der Kompetenz bestritten werden, in so fern der Gemeinschuldner sich dazu gehörig qualificirt hat. Außerdem kann aber der Kreditmasse deshalb so wenig, als wegen der Krankheiten der Angehörigen des Gemeinschuldners, oder wegen der Entbindungskosten seiner Ehegenossin, etwas zur Last fallen.

7) Liedlöhner.

§. 370.

VII. Diejenigen, welche zur Zeit des eröffneten Konkurses bei dem Gemeinschuldner, gegen ein bestimmtes jährliches, monatliches, oder wöchentliches Lohn, in Diensten stehen, in Ansehung des zu fordern habenden Lohnes; jedoch nur wegen eines zweijährigen Rückstandes, vom Tage des ausgebrochenen Konkurses zurück gerechnet. In Ansehung älterer Rückstände gehören dergleichen Hausofficianten, Domestiken und Gesinde zur letzten Klasse; wohingegen, wenn einige derselben, nach eröffnetem Konkurse, zur Aufbewahrung oder Verwaltung der Masse beibehalten werden, diese, in Ansehung des fernern Lohns, zu den in §. 269. benannten Personen zu rechnen sind, welche nicht mit dem Gemeinschuldner, sondern mit der Masse kontrahirt haben, und daher vorzüglich bezahlt werden. Dem Lohne soll das


(1121) Konkurs.

bedungene Kostgeld oder Deputat, die versprochene Livree, und das als ein Theil des Lohns angewiesene, vom Gemeinschuldner vorenthaltene Stamm- und Schießgeld, gleichgeachtet werden.

§. 371.

In diese Klasse gehört auch

1) das fixirte Gehalt des Justitiarii, ohne Unterschied: ob derselbe in den Gütern wohnt, oder nicht;

2) das dem Arzte, statt der zu liquidirenden Gebühren, in Pausch und Bogen versprochene Honorarium, in so fern dasselbe auf einer ausdrücklichen Verabredung beruhet. Beiden Forderungen gebührt jedoch die Priorität nur in Ansehung eines Einjährigen Rückstandes. Aeltere Rückstände gehören entweder nach §. 468. in die Sechste, oder in die Siebente Klasse.

§. 372.

Wirthschaftsbediente, deren Lohn nicht nach der Zeit ihres Dienstes, sondern nach gewissen Verhältnissen der geleisteten Arbeit bestimmt ist, gehören gleichwohl in diese Klasse; in so fern sie auf eine gewisse Zeit oder auf Kündigung gemiethet worden sind.

§. 373.

Diejenigen Hausofficianten oder Dienstboten, welche zur Zeit des eröffneten Konkurses bereits des Gemeinschuldners Dienste verlassen haben, verlieren dieses Vorzugsrecht, in so fern sie nicht vor dem Ausbruche des Konkurses wider den Gemeinschuldner, wegen des rückständigen Lohns, gerichtliche Klagen erhoben haben. Ist dieses geschehen, oder sind die Dienstboten erst bei Einführung der Sequestration, von der dieselbe dirigirenden Behörde entlassen worden; so werden sie denjenigen gleich geachtet, welche in des Gemeinschuldners Diensten geblieben sind.


(1122) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

8) Pflügerlohn.

§. 374.

VIII. Diejenigen, welche Pflüger- und Drescherlohn zu fordern haben, jedoch nur in so fern die Rückstände aus dem letzten Jahre vor eröffnetem Konkurse herrühren.

9) Schulgeld.

§. 375.

IX. Das Schulgeld, welches Schulmeister sowohl in Städten, als auf dem Lande, ingleichen das Lehrgeld, welches Handwerker für die Kinder des Gemeinschuldners zu fordern haben, jedoch unter der im vorigen Paragraphen festgesetzten Einschränkung.

§. 376 a.

In allen Fällen, wo gewissen Gläubigern Ein- oder Zweijährige Rückstände in dieser Klasse angewiesen sind, versteht sich solches nicht von einem Ein- oder Zweijährigen Betrage der Forderung überhaupt, sondern nur von demjenigen Theile derselben, welcher aus dem letzten Einen oder aus den letzten Zwei Jahren vor eröffnetem Konkurse herrührt.

10) Nothwendige Bedürfnisse.

§. 376 b.

X. Bäcker, Schlächter, Schneider und Schuster, welche dem Gemeinschuldner, und der in seinem Hause lebenden Familie, die Bedürfnisse zu ihrer Nahrung und Kleidung auf Kredit haben verabfolgen lassen; jedoch, in Ansehung der Schneider, nur wegen täglicher ordinairer Kleidungsstücke; und in Ansehung dieser Professionisten insgesammt, nur wegen solcher Lieferungen, die in den letzten Sechs Monaten vor eröffnetem Konkurse geschehen sind.

11) Pfandinhaber.

§. 377.

XI. Diejenigen, welche vom Gemeinschuldner, zur Sicherstellung ihrer Forderungen, ein handhabendes Pfand erhalten haben, wenn sich selbiges, zur Zeit der Eröffnung des Konkurses annoch in ihrer Gewahrsam, oder auf ihre Veranlassung in gerichtlichem Deposito befindet. Ein solches Pfand kann


(1123) Konkurs.

sowohl in Juwelen und Kostbarkeiten, Mobilien, Effekten und Waaren, als in baaren Geldern und Aktivkapitalien bestehen. Sollen jedoch letztere als ein gültiges Unterpfand angesehen werden, so muß das Schuldinstrument im Original dem Pfandgläubiger eingehändigt seyn; und bedarf es bei ingrossirten Forderungen keiner Eintragung der Verpfändung.

§. 378.

Soll eine ausstehende Forderung Mehreren theilweise verpfändet werden, so kann zwar nur der eine Pfandgläubiger das Originalinstrument erhalten; den übrigen aber müssen vidimirte Abschriften davon zugestellt, und darunter, für wie viel eine jede solche Abschrift, und wem sie zum Pfande dienen solle, vermerkt; unter dem Originalinstrument aber müssen sämmtliche damit vorgenommene Verpfändungen registrirt werden. (Vergl. die Hypothekenordnung.)

§. 379.

So weit Verpfändungen in gewissen Fällen, nach Vorschrift der Gesetze, auch ohne Naturalübergabe geschehen können: so weit erlangt ein solcher Pfandinhaber dadurch auch das Vorrecht der Zweiten Klasse. (A. L. R. Th. I. Tit. XX. §. 271. u. f.)

§. 380.

Unbewegliche Sachen können nur durch die Naturalübergabe, auf die in den Gesetzen näher bestimmte Art, zum eigentlichen Pfande bestellt werden. (Allg. L. R. a. a. O. §. 99. 100.)

§. 381.

Ein jeder zur Ansetzung in der Zweiten Klasse qualificirter Pfandgläubiger erhält von dem durch Versilberung oder Einziehung des Pfandes eingehenden Ouanto, wegen seines Kapitals, und sämmtlicher bis zum Tage der erforderlichen Bezahlung aufgelaufenen Zinsen, wie nicht minder wegen der nach Anleitung §. 153. zu vergütenden Kosten, so weit es zureicht, seine völlige Befriedigung; und


(1124) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

findet in Ansehung solcher Pfandgläubiger die §. 150. festgesetzte Einschränkung auf einen Zweijährigen Zinsenrückstand keine Anwendung. Kann hingegen ein Pfandgläubiger aus dem Werthe des Pfandes seine völlige Befriedigung nicht erhalten, so kommt es, wegen des fehlenden Ouanti, darauf an; ob seine Forderung sonst mit einem besondern Vorzugsrechte versehen ist. In dessen Ermangelung gehört ein solcher Ausfall zur Siebenten Klasse, und verbleibt es in allen Fällen, wo der Werth des Pfandes unzureichend ist, bei der allgemeinen Verordnung des §. 150. in Ansehung der Zinsenrückstände.

12) Verpächter und Vermiether, quod invecta et illata.

§. 382 a.

XII. Den Pfandgläubigern sind diejenigen gleich zu achten, welche dem Gemeinschuldner ein Grundstück vermiethet oder verpachtet haben; und zwar nicht allein in Ansehung der rückständigen Miethe, sondern auch in Ansehung des zugefügten Schadens, der fehlenden Jnventarienstücke, und überhaupt aller aus dem Mieths- oder Pachtkontrakte fließenden Verbindlichkeiten: in so fern die zur Zeit der Konkurseröffnung in dem vermietheten oder verpachteten Grundstücke befindlichen Effekten des Gemeinschuldners zur Befriedigung des Vermiethers oder Verpächters hinreichend sind. Hieraus folgt, daß wenn Letzterer den Gemeinschuldner ausziehen lassen, ohne das Zurückbehaltungsrecht auf die eingebrachten Mobilien und Effekten auszuüben, keine Priorität in der Zweiten Klasse Statt finde.

Eben so versteht es sich von selbst, daß bei Pachtungen einzelner Grundstücke, wo der Pächter keine Sachen und Effekten in die verpachtete Sache eingebracht hat, auch der Verpächter kein Pfandrecht daran in dieser Klasse ausüben könne.

Anh. §. 359. Den Gastwirthen steht wegen Bezahlung für Quartier und Bewirthung ein gleiches Vorzugsrecht zu. (Allgem. Landrecht. Th. II. Tit. VIII. §. 455.)


(1125) Konkurs.

§. 382 b.

Bei Erbverpachtungen hat der Verpächter, auf seine Befriedigung aus dem für die Erbpachtsgerechtigkeit gelöseten Kaufgelde, ein in den Gesetzen näher bestimmtes vorzügliches Recht; und ist, so weit dieses Kaufgeld zu seiner Befriedigung hinreicht, sich in den Konkurs einzulassen nicht schuldig. (A. L. R. Th. I. Tit. XXI. §. 212. u. f.) Wenn er aber, wegen Unzulänglichkeit dieses Kaufgeldes, bei dem Konkurse des Erbpächters sich meldet; so kann er, gleich einem andern Verpächter, an die in dem verpachteten Grundstücke befindlichen Effekten des Gemeinschuldners, nach Vorschrift §. 382 a. sich halten. Reichen auch diese zu seiner Befriedigung nicht hin, so hat er übrigens wegen des Ausfalls kein besonderes Vorrecht, sondern gehört damit in die letzte Klasse.

13) Frachtgelder.

§. 383.

XIII. Den Pfandgläubigern sind ferner gleich zu achten die Schiffer und Fuhrleute, wegen der zu fordern habenden Fracht- und Zollgelder, oder anderer baarer Auslagen; in so fern die transportirten Waaren sich, zur Zeit des eröffneten Konkurses, noch in ihrer Gewahrsam, oder auf dem Acciseamte, oder dem Packhofe befinden, und zu ihrer Befriedigung hinreichend sind.

14) Assekuranzprämien.

§. 384.

Endlich XIV. kommt das Recht der Zweiten Klasse auch dem Versicherer wegen der noch unbezahlten Prämie zu, in so fern dieselbe nicht kreditirt worden, und der Konkurs innerhalb dreißig Tagen nach Zeichnung der Police entstanden ist. Der Versicherer kann sich alsdann an den versicherten Gegenstand halten, in so fern derselbe zur Zeit des eröffneten Konkurses annoch in dem Vermögen des Gemeinschuldners vorhanden ist. Ein älterer Rückstand


(1126) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

gehört in die Vierte Klasse. (A. L. R. Th. II. Tit. VIII. §. 2115.)

§. 385.

Die zur Zweiten Klasse gehörigen Forderungen folgen nach der hierdurch festgesetzten Ordnung auf einander, außer daß die unter XI-XIV. bemerkten Pfandgläubiger auf die im §. 381. vorgeschriebene Art vorzüglich befriedigt werden.

§. 386.

Uebrigens versteht es sich von selbst, daß, wenn die Kreditmasse nur so weit hinreicht, daß auf die ein gleiches Vorzugsrecht habenden Forderungen nur ein zu ihrer völligen Befriedigung unzureichender Betrag vertheilt werden kann, jede Forderung sich mit einem verhältnißmäßigen Antheile begnügen müsse.

Dritte Klasse.

§. 387.

In der Dritten Klasse werden alle auf die zur Masse gehörige Grundstücke, nach Vorschrift der Hypothekenordnung, eingetragene Forderungen angesetzt; und bestimmt nur allein die Zeit der erfolgten Eintragung die Ordnung, in welcher sie auf einander folgen, ohne daß auf deren Ursprung, oder die ihnen sonst anklebenden Vorzugsrechte Rücksicht genommen werden darf.

Sind mehrere Forderungen zu gleicher Zeit eingetragen worden, so geschieht, wenn nicht alle befriedigt werden können, die Vertheilung unter sie verhältnißmäßig.

Anh. §. 360. Die wegen einer Accisedefraudation verwirkte, auf die Grundstücke des Kontravenienten eingetragene Strafe, wird bei einem über sein Vermögen entstandenen Konkurse auf die Kaufgelder dieser Grundstücke nach der Zeit der Eintragung in die Dritte Klasse locirt.

§. 388.

Es wird daher nicht darauf gesehen, ob die eingetragenen Forderungen mit einer General-, oder bloß allein mit einer Specialhypothek, oder mit beiden


(1127) Konkurs.

zugleich versehen sind; wie denn auch der vom Gemeinschuldner ohne förmliche Pfandbestellung eingeräumte Besitz, oder eine erhaltene Immission, oder ein wegen rückständiger Kaufgelder gemachter Vorbehalt des Eigenthums, kein Vorzugsrecht wirken kann.

§. 389.

Das den eingetragenen Gläubigern beigelegte Vorrecht der Dritten Klasse erstreckt sich auch auf das zu dem Gute gehörende Vieh- und Feldinventarium, so weit dasselbe nach Vorschrift der Gesetze für mit verpfändet zu achten ist. (A. L. R. Th. I. Tit. XX. §. 443. u. f.)

§. 390.

Auch erstreckt sich dieses Vorrecht auf die Gebäude, welche auf dem verpfändeten Grunde und Boden vor und nach der Eintragung errichtet worden sind. (A. L. R. a. a. O. §. 471. u. f.)

§. 391.

Gehören mehrere Grundstücke zur Masse, so müssen die auf jedes derselben anzuweisenden Forderungen in besondere Abtheilungen klassificirt werden. Wenn dieselben Posten auf mehrere Grundstücke eingetragen sind, so werden sie in der jedem Gute zu widmenden Abtheilung des Klassifikationsurtels nach der Zeit der Eintragung angesetzt, und hiernächst bei der Distribution nach den unten folgenden näheren Vorschriften befriedigt.

§. 392.

Wenn das Kaufgeld eines Grundstücks zur Berichtigung der darauf eingetragenen Forderungen nicht zureicht, so können die Inhaber der ausfallenden Kapitalien, auch selbst in dem Falle, wenn sie mit einer Generalhypothek versehen sind, aus dem Mobiliarvermögen in dieser Klasse ihre Befriedigung nicht verlangen; sondern sie werden, wenn ihnen nach der Qualität ihrer Forderungen nicht ein anderweitiges


(1128) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Vorzugsrecht gebührt, nach den unten folgenden näheren Bestimmungen, in der Sechsten Klasse angesetzt. Sind ihre hypothekarischen Rechte von einem vorhergehenden Besitzer des Grundstücks bestellt, und von dem Gemeinschuldner, oder dessen Erblasser, nur mit dem Grundstücke zugleich übernommen worden, ohne daß außerdem eine persönliche Befugniß und Verbindlichkeit zwischen dem Uebernehmer und dem eingetragenen Gläubiger entstanden wäre; so kann Letzterer, wegen des Ausfalls an dem Grundstücke, an die übrige Kreditmasse keinen Anspruch machen.

§. 393.

Von den Gläubigern der Zweiten Klasse gehen in dem Grundstücke und dessen Werthe den Eingetragenen nur vor:

1) der Zweijährige Rückstand der von dem Grundstücke zu entrichtenden Landesherrlichen Abgaben (sub No. I.);

2) der Zweijährige Rückstand der gemeinen Lasten und Abgaben, welche von dem Grundstücke zu entrichten sind (sub No. II.);

3) die rückständigen Beiträge zu den Feuersocietäts-, und anderen damit gleiche Rechte habenden Anstalten (sub No. III.);

4) Fiskus in dem unbeweglichen Vermögen des Rendanten, so weit nicht dieses Vorrecht in Ansehung gewisser eingetragenen Gläubiger durch gesetzliche Vorschriften eingeschränkt ist (sub No. IV.);

Anh. §. 361. Der dem Fiskus bewilligte Vorzug vor den hypothekarischen Gläubigern findet nicht ferner Statt; vielmehr steht den fiskalischen Kassen wegen der von dem Beamten gemachten Defekte das Vorrecht der Zweiten Klasse nur in dem übrigen Vermögen des Schuldners zu, und in Absicht des unbeweglichen Vermögens nur in so fern, als das Recht des Fiskus in dem Hypothekenbuche ausdrücklich eingetragen worden ist. Auch in diesem Falle werden sie nur nach der Zeit- und Folgeordnung der geschehenen Eintragung locirt.


(1129) Konkurs.

5) die in Besoldung, oder Lohn und Brod des Gemeinschuldners, als Gutsbesitzers, gestandenen Personen, welche zum Gute, und nicht zu der Person, oder dem anderweitigen Gewerbe des Gemeinschuldners gehören (sub No. VIII.);

6) das rückständige Pflüger- und Drescherlohn (sub No. VIII.).

Die unter No. V. VI. und IX. bemerkten Gläubiger der Zweiten Klasse, ingleichen die Dienstboten unter No. VII., welche keine Gutsliedlöhner sind, haben dieses vorzügliche Recht nur in dem übrigen Vermögen des Gemeinschuldners; und können, in Ansehung des Grundstücks, die Priorität vor den eingetragenen Gläubigern nicht verlangen.

§. 394.

Wenn an einem Orte noch keine ordentliche Hypothekenbücher eingerichtet seyn sollten, so kann auch in dem Konkurs eines Einwohners und Grundbesitzers an diesem Orte keine Dritte Klasse Statt finden; allermaaßen die bloße Eintragung in Haus-, Handels-, Konsens-, Konfirmations-, oder andere dergleichen nicht nach der Form und Vorschrift der Hypothekenordnung eingerichtete Bücher, dieses Vorrecht nicht begründen kann.

Vierte Klasse.

I.. Der Fiskus.

§. 395.

Zur Vierten Klasse gehören:

I. Fiskus in Ansehung der Anforderungen an den Gemeinschuldner, in so fern keiner der §. 295. 356. 360. bemerkten Fälle eintritt, und den Gerechtsamen des Fiskus nicht durch Bestellung eines Pfandrechts ein Platz in der Zweiten, oder durch Eintragung auf die Grundstücke des Gemeinschuldners, ein Platz in der Dritten Klasse verschafft worden ist.

§. 396.

Hierher gehören also:

1) die mehr als zweijährigen Rückstände der landesherrlichen Abgaben, und zwar ohne Einschränkung

(1130) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

auf eine gewisse Zeit. Haben jedoch fiskalische Kassenbediente, oder deren Vorgesetzte, dergleichen Reste, aus bloßer Nachlässigkeit, oder persönliche Gefälligkeit gegen den Gemeinschuldner, wider den Inhalt der Gesetze und ihrer Amtsinstruktionen, anschwellen lassen; so bleibt den Kreditoren, welche dadurch bei dem Konkurse einen Ausfall leiden, der Regreß wider sie vorbehalten.

§. 397.

Ferner gehört hieher:

2) dasjenige, was der Gemeinschuldner dem Fiskus aus einer bestellten Kaution, die aber weder durch Pfand, noch durch Eintragung besonders versichert ist, schuldig geworden.

§. 398.

Desgleichen:

3) die einem Officianten, der kein eigentlicher Kassenbedienter ist, anvertrauten Gelder. So werden z. B. die Defekte, welche von Personen, die zur Verwaltung gerichtlicher Depositen in unmittelbaren Königlichen Jurisdiktionen bestellt sind, bei solchen Depositis gemacht worden, in der Zweiten Klasse angesetzt. Wenn hingegen einem Königlichen Bedienten, vermöge seines Amts, Gelder, welche öffentlichen Anstalten, milden Stiftungen, oder auch Privatpersonen gehören, anvertraut, und von ihm, ohne in das gerichtliche Depositum gekommen zu seyn, vergriffen worden; so werden dergleichen Forderungen in die Vierte Klasse gewiesen. Wenn die im Namen des Landesherrn bestellten Auktionskommissarien, oder Ausmiener, die an sie bezahlten Kauf- oder Auktionsgelder nicht abgeliefert, sondern unterschlagen haben, und die bestellte Kaution zu deren Deckung nicht hinreichend ist; so werden sie, wenn der Zeitpunkt, da die Gelder reglementsmäßig hätten abgeliefert werden sollen, nicht früher, als Vier Wochen


(1131) Konkurs.

vor eröffnetem Konkurse, eingetreten ist, in der Vierten, sonst aber in der Sechsten Klasse angesetzt.

Wohin die Defekte der Kassen- und anderer Bedienten gehören, die nicht in unmittelbaren Königlichen, sondern in Diensten von Magisträten und anderen öffentlichen Anstalten und Korporationen stehen, wird unten bestimmt. (§. 405. 428.)

§. 399.

Auch gehöret in diese Klasse

4) was der Gemeinschuldner dem Fiskus aus einer übernommenen Pachtung, es sey an rückständigen Pachtgeldern, oder Inventariendefekten, oder wegen Deteriorationen schuldig geworden ist; in so fern eine bessere Sicherheit weder durch Pfand, noch durch Eintragung bestellt, oder dieselbe unzureichend ist.

§. 400.

Ueberhaupt sind hier anzusetzen:

5) alle Forderungen, die dem Fiskus an den Gemeinschuldner, wegen eines mit demselben geschlossenen Kontrakts, oder aus irgend einem andern Rechtsgrunde zustehen; in so fern denselben nicht, vermöge besonderer Gesetze, ein besseres, oder auch, z. B. den Geldstrafen, ein geringeres Vorzugsrecht beigelegt ist.

Wegen der Forderungen, die der Fiskus durch Cessio von Anderen an sich gebracht hat, kann derselbe auf die fiskalische Priorität keinen Anspruch machen. (A. L. R. Th. I. Tit. XI. §. 405. 406.)

§. 401.

Auf die Vorzugsrechte des Fiskus hat die Bank, in Ansehung ihrer kaufmännischen Geschäfte, Verzicht gethan, und sich dieselben nur in Ansehung ihrer Officianten vorbehalten.


(1132) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Was die Seehandlungssocietät betrifft, so ist dieselbe, wenn sie einem Kaufmanne Seesalz auf Kredit verkauft hat, sich gegen denselben des fiskalischen Vorrechts, jedoch nur auf Einen Monat, vom Tage der Verabfolgung des Salzes an den Käufer, bis zu demselben Datum des nächstfolgenden Monats gerechnet, zu bedienen befugt: dergestalt, daß, wenn entweder der Kredit auf längere Zeit gestattet, oder nach Ablauf der Einmonatlichen Frist, bei ausgebliebener Zahlung, die Klage nicht binnen drei Tagen bei Gerichten angemeldet, oder auch in der Folge nicht gehörig fortgesetzt worden ist, alsdann die Societät nur wie ein anderer Privatverkäufer angesehen und behandelt werden soll. In Ansehung ihres kaufmännischen Verkehrs hingegen, es betreffe Waaren, außer dem Seesalz, oder Gelder, oder Wechsel, hat die Societät sich ihrer fiskalischen Rechte gegen andere Kaufleute, gleich der Bank, begeben: also, daß sie dabei nur nach der Qualität ihrer Forderung, gleich jedem andern Privatkaufmanne, anzusetzen ist. Dagegen bleiben der Societät nicht nur gegen ihre Officianten, sondern auch, wenn sie sich mit irgend einer andern Privatperson, welche ein Kaufmann ist, in ein Verkehr, es habe Namen, wie es wolle, eingelassen hat, in Ansehung aller daraus entstandenen Forderungen, die fiskalischen Rechte, nach ihrem ganzen Umfange, auch im Konkurse vorbehalten.

§. 402.

Der prinzlichen Gesammt-Kammer gebühren mit den königlichen Kammern, und den Regimentskassen, ingleichen den Königlichen gerichtlichen Salarienkassen, sowohl in Ansehung der Officianten, als wegen der von dem Gemeinschuldner zu fordern habenden Gebühren und Auslagen, mit anderen Königlichen Kassen, gleiche Vorzugsrechte.

Anh. §. 362. Andere Salarienkassen genießen dieses Vorzugsrecht nur alsdann, wenn deren Ausfälle aus unmittelbaren Staatskassen gedeckt werden müssen.


(1133) Konkurs.

Die Salarienkassen der Oberbergämter werden den wirklichen Königlichen Salarienkassen gleich geachtet.

Uebrigens erstreckt sich das Vorzugsrecht der Salarienkassen nicht auf solche Kosten, die aus einer wider den Gemeinschuldner Statt gefundenen Untersuchung entstanden sind. Diese Kosten gehören in die Siebente Klasse.

§. 403.

Wenn verschiedene der in den vorstehenden §§. benannten Klassen konkurriren, so haben diejenigen den Vorzug, welchen der Gemeinschuldner zuerst, wegen seines Dienstes, oder geschlossenen Kontrakts, oder erhaltenen Vorschüsse, oder schuldigen Prästationen verhaftet gewesen. Doch stehen gerichtliche Salarien den übrigen Königlichen Kassen nach; und mehrere dergleichen Salarienkassen theilen sich, wenn die Masse zu ihrer aller Befriedigung nicht hinreicht, in den Ueberrest derselben verhältnißmaßig, ohne Rücksicht auf die Entstehungszeit ihrer Forderung. Auch den anderen Kreditoren der Vierten Klasse stehen sie nach, wenn sie mit denselben in Konkurrenz kommen.

2. Aeltere Rückstände von Oneribus communibus.

§. 404.

II. Die mehr als zweijährigen Rückstände der in §. 357. benannten beständigen Lasten und Pflichten, und der in §. 359. erwähnten Beiträge zu den Feuersocietäts- und übrigen mit diesen gleiche Rechte habenden Kassen, welche so wohl unter einander, als in Konkurrenz mit den anderen zu dieser Klasse gehörigen Forderungen, nach den Datis geordnet werden, da sie von dem Gemeinschuldner hätten entrichtet werden sollen.

3. Oeffentliche, nicht Königliche Kassen in bonis administratorum.

§. 405.

III. Die landschaftlichen, Kreis- oder Kämmereikassen, ingleichen Domkapitel, Kollegiatstifter, Klöster, Kirchen, Schulen und andere milde Stiftungen, wenn dem Gemeinschuldner die Administration oder Aufbewahrung ihrer Gelder, oder anderer


(1134) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Vermögensstücke überlassen worden, und hiernächst Defekte entstanden sind, zu deren Berichtigung keine bessere Sicherheit durch Pfand oder Eintragung bestellt worden ist. Dahin gehören also auch die von den Gerichten und Gerichtsverwaltern solcher öffentlichen Anstalten gemachten Depositaldefekte. (§. 398.)

Dieses Vorzugsrecht wird, bei sich ereignender Konkurrenz, nach dem Tage beurtheilt, da der Gemeinschuldner seinen Dienst angetreten, oder die Administration übernommen hat.

4. Illata der Ehefrauen.

§. 406.

IV. Die Ehefrau des Gemeinschuldners, in Ansehung ihres Eingebrachten; ohne Unterschied: ob es den Namen von Dotal- oder Paraphernalvermögen führt; in so fern sie nicht die noch vorhandenen Effekten, nach Anleitung §. 312. u. f., vindiciren kann, oder durch die Eintragung einen Platz in der Dritten Klasse erhalten hat.

Zu dem in dieser Klasse anzusetzenden Vermögen der Ehefrau soll auch alles dasjenige gerechnet werden, was ihr an Morgengabe verschrieben worden; in so fern nicht an gewissen Orten, oder bei gewissen Klassen von Landeseinwohnern, eine entgegengesetzte Observanz nachgewiesen werden kann. Ferner, was sie an Geschenken, nach Anleitung der angeführten Gesetzstelle, wenn es in Natur vorhanden gewesen wäre, hätte vindiciren können.

§. 407.

Wenn nach der Ehestiftung, oder den obwaltenden statutarischen Rechten, eine wechselseitige Erbfolge in Ansehung des ganzen Vermögens, oder eines Theils desselben bestimmt ist, und der Gemeinschuldner sich noch am Leben befindet; so kann die Ehefrau die Herausgabe ihres Vermögens, in so fern es nach ihrem Tode dem Gemeinschuldner zufallen würde, nur gegen bestellte hinlängliche Sicherheit verlangen; oder sie muß sich damit begnügen, daß


(1135) Konkurs.

ein zu ihrer Befriedigung hinreichendes Kapital, bis zur Trennung der Ehe, in der Masse zurück bleibe, wovon ihr jedoch die Zinsen verabfolgt werden müssen.

§. 408.

Soll, nach der Ehestiftung, die Ehefrau, statt der Zurückgabe ihres Eingebrachten, ein gewisses Leibgedinge, oder Alimentationsquantum erhalten; so kann sie zwar ihr Eingebrachtes nicht zurück fordern; dahingegen aber darauf dringen, daß ein zur Berichtigung der ihr versprochenen jährlichen Hebung hinreichendes Kapital an diesem Orte, nach der im folgenden Abschnitte vorgeschriebenen nähern Bestimmung, ausgesetzt, und ihr der Genuß der Zinsen überlassen werde. Doch kann die Frau diese Zinsen nur so weit fordern, als sie die landüblichen Zinsen ihres wirklich eingebrachten Kapitalvermögens nicht übersteigen. Wie weit dergleichen einer Frau, gegen Zurücklassung ihres Eingebrachten, verschriebene Hebungen von den Gläubigern widerrufen werden können, wird unten (§. 438.) näher bestimmt.

§. 409.

Welchergestalt die Ehefrauen, wegen der ihnen verschriebenen Gegenvermächtnisse, Witthums- und anderer Vortheile, ingleichen wegen ihres vorbehaltenen Vermögens, zu klassificiren sind, wird unten festgesetzt. (§. 433. u. f.)

§. 410.

Wenn die Ehegatten, nach der Ehestiftung, oder den obwaltenden statutarischen Rechten, in Gemeinschaft der Güter leben; so findet, auch in Ansehung des Eingebrachten, die Vorschrift §. 526., nach welcher die Frau erst nach Berichtigung aller Schulden ihre Befriedigung verlangen kann, Anwendung.

Anh. §. 363. Wo Provinzialgesetze und Statuten, wie z. B. im Lübischen Rechte, von den allgemeinen Grundsätzen der ehelichen Gütergemeinschaft abweichen, hat es in Hinsicht der Klassifikation und des Vorzugsrechts der Ehefrau bis zur Vollendung der Provinzialrechte dabei sein Bewenden.


(1136) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

§. 411.

Hat eine Ehefrau mit ihrem Ehemanne, vermöge besonders errichteten Societätskontrakts, eine gemeinschaftliche Handlung geführt; so findet dasjenige Statt, was §. 289. 290. 291. in Ansehung der Handlungsgesellschaften verordnet worden. Dieses ist jedoch auf den Fall nicht auszudehnen, wenn die Ehefrau ihrem Ehemann nur als Gehülfin in seiner Handlung beigestanden hat.

§. 412.

In wie fern die Frau, wegen geführter üblen Wirtschaft oder Verschwendung, ihr Vorzugsrecht verliere, ist in den Gesetzen bestimmt (Allg. L. R. Th. II. Tit. I. §. 274. 275. Tit. XX. §. 1485-1487.), und findet diese Vorschrift auch auf die unten (§. 434.) vorkommenden Gebührnisse, so wie selbst in dem Falle Anwendung, wenn die Forderungen der Ehefrau eingetragen sind, und im Hypothekenbuche noch auf ihrem Namen stehen.

§. 413.

Eine Ehefrau kann das ihr in dieser Klasse verliehene Vorzugsrecht cediren; und wenn sie verstorben ist, treten ihre Descendenten in jedem Falle an ihre Stelle; wo hingegen dieses in Ansehung anderer Erben nur alsdann Statt findet, wenn die Erblasserin zur Zeit des eröffneten Konkurses noch am Leben gewesen ist.

§. 414.

Wenn die Cessionarien oder Descendenten einer verstorbenen Ehefrau mit einer nachherigen Ehegattin des Gemeinschuldners konkurriren, so haben Erstere jederzeit den Vorzug.

§. 415.

Eine geschiedene Ehefrau kann dieses Vorzugsrecht nur dadurch erhalten, wenn sie unverzüglich nach Trennung der Ehe ihr Eingebrachtes zurück fordert; und bevor sie dasselbe, der gehörig fortgesetzten


(1137) Konkurs.

Exekution ungeachtet, hat erhalten können, der Konkurs eröffnet wird. Alsdann geht sie auch der nachherigen Ehegenossin des Gemeinschuldners vor.

§. 416.

Wenn Ehefrauen, oder deren Cessionarien und Descendenten, mit anderen zu dieser Klasse gehörigen Forderungen konkurriren; so wird der Erstern Vorzugsrecht vom Hochzeitstage an gerechnet; in so fern nicht ausgemittelt werden kann, daß das Vermögen der Ehefrau, ganz oder zum Theil, später dem Gemeinschuldner eingebracht worden ist; welchenfalls das Vorzugsrecht einer jeden Forderung vom Tage der Einbringung den Anfang nimmt.

5. Peculium der Kinder.

§. 417.

V. Die Kinder des Gemeinschuldners, in Ansehung derjenigen Vermögensstücke, welche sie nach Anleitung §. 327. zu vindiciren berechtigt sind, wenn dieses um deswillen nicht geschehen können, weil sie zur Zeit des eröffneten Konkurses nicht mehr vorhanden gewesen; und richtet sich dieses Vorzugsrecht nach der Zeit, da der Vater das Vermögen der Kinder an sich genommen hat.

§. 418.

Eben dahin gehört auch alles, was die Kinder an Geld, oder Geldeswerth, von einem Dritten, außer dem Vater, ererbt, geschenkt erhalten, oder sonst erworben haben, und in den Händen des Vaters geblieben ist. (A. L. R. Th. II. Tit. II. §. 177.)

§. 419.

Darunter ist jedoch ein Geldfideikommiß nicht zu rechnen, welches den Kindern durch den Vater, und nach dessen Abgange, vermöge einer vorhandenen Stiftung zufallen sollen. Vielmehr haben deshalb die Kinder mit andern Fideikommißfolgern gleiche Rechte.


(1138) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

§. 420.

Rückständige Alimente unehelicher Kinder, wenn sie auch schon vor eröffnetem Konkurse verfallen sind, gehören nicht hierher, sondern in die Sechste Klasse.

6. Vermögen der Pflegebefohlenen bei ihren Vormündern.

§. 421.

VI. Unmündige, Minderjährige, Blödsinnige, Verschwender und Abwesende, wenn dem Gemeinschuldner die Vormundschaft oder Kuratel übertragen worden ist, oder derselbe sich der Verwaltung ihres Vermögens angemaßt hat, in Ansehung aller dem Gemeinschuldner zur Last fallenden Defekte; in so fern nicht durch Eintragung der Vormundschaft oder Kuratel eine bessere Sicherheit verschafft worden ist. Wann dieses Vorzugsrecht seinen Anfang nehme, und wie lange es daure, ist in den Gesetzen bestimmt. (Allg. L. R. Th. II. Tit. XVIII. §. 295-298. §. 888. 892.)*)

7. Pflegebefohlene in den mit ihren Geldern erkauften Grundstücken.

§. 422.

VII. Minderjährige, und mit ihnen gleiche Rechte habende Personen, in so fern die ihnen eigenthümlich zustehenden Gelder, von dem Gemeinschuldner zum Ankaufe eines Grundstücks angewendet worden sind, und dieses Grundstück zur Zeit des ausgebrochenen Konkurses sich noch in der Masse befunden hat; welches Vorzugsrecht vom Tage der geschehenen Verwendung an zu rechnen ist.

8. Eqipagegelder.

§. 423.

VIII. Die einem Offizier zu seiner Equipage, mit Konsens der Chefs, gegebenen, und zu diesem Behufe verwendeten Vorschüsse, ohne Rücksicht, ob die erste Equipirung, oder die Wiederanschaffung der im Kriege verloren gegangenen Equipage davon bestritten worden ist; und wird die Priorität solcher Vorschüsse nach dem Dato des Konsenses bestimmt. Vorschüsse, die zur Uebernehmung einer Kompagnie

*) Der im Allg. Landrechte o. a. O. §. 295. angegebene Ort der Fünften Klasse ist ein Druckfehler, und soll heißen: der Vierten Klasse.


(1139) Konkurs.

geleistet worden, haben, wenn sie auf die Gewehrgelder eingetragen sind, das aus dieser Eintragung entstehende, sonst aber, wenn sie auch für gültig zu achten, kein besonderes Vorrecht.

9. Baugläubiger.

§. 424.

IX. Diejenigen, welche, vor Ausbruch des Konkurses, zum Ausbau oder zur Ausbesserung der zur Masse gehörigen Gebäude, Materialien geliefert, Arbeiten gethan, oder Gelder vorgeschossen haben, welche auch zu diesem Behufe verwendet worden sind.

Bei entstehender Konkurrenz bestimmt die Zeit des geschlossenen Kontrakts das Vorzugsrecht einer jeden Forderung. Ist kein Kontrakt vorhanden, so wird der Ort durch die Zeit der geschehenen Lieferung, des geleisteten Vorschusses, oder der verrichteten Arbeit bestimmt.

10. Vorschüsse zum Gutsinventario.

§. 425.

Gleiches Vorrecht haben in eben dieser Masse die Vorschüsse und Lieferungen zur Ergänzung oder Vermehrung des Vieh- und Feldinventarii, zum Retablissement der Unterthanen, zur Anschaffung des Saat-, Brod- und Futterkorns, zur Abtragung der auf den Gütern haftenden Lasten, oder davon zu entrichtenden Brandschatzungen; in so fern diesen Forderungen nicht etwa nach Vorschrift §. 345-353. das Vorrecht der Ersten Klasse gebührt.

§. 426.

Sind jedoch die Gebäude oder Güter, wodurch die in den beiden vorstehenden §§. erwähnten Ansprüche veranlaßt worden, zur Zeit des ausgebrochenen Konkurses nicht mehr in der Masse befindlich; so gehören die Forderungen dieser Art zur Siebenten Klasse.

11. Assekuranzprämien.

§. 427.

XI. Die Assekuranzkompagnie, oder andere Versicherer, in Ansehung der ihnen gebührenden Prämien der versicherten Schiffe oder Waaren, wenn die


(1140) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Police nicht innerhalb der letzten 30 Tage vor eröffnetem Konkurse, sondern früher gezeichnet worden. (§. 384.)

Dieß Vorzugsrecht findet jedoch nur alsdann Statt, wenn die Schiffe oder Waaren zur Zeit des ausgebrochenen Konkurses noch in des Gemeinschuldners Vermögen vorhanden gewesen; und bestimmt das Datum der erfolgten Versicherung, an welchem Orte die Prämie in dieser Kasse locirt werden müsse.

In welcher Ordnung übrigens diejenigen, welche als Schiffsgläubiger nach den Gesetzen zu betrachten sind, bei einem über das Schiff eröffneten Partikulairkonkurse, oder Liquidationsprozesse, daraus befriedigt werden müssen, wird unten bestimmt.

12. Depositen bei Privatgerichten.

§. 428.

XII. Wenn ein Gemeinschuldner, es sey als Gerichtsherr, oder als Gerichtshalter, ein gerichtliches Depositum, das aber weder zu einer Königlichen, noch andern öffentlichen Jurisdiktion gehört (§. 398. 405.), angegriffen hat; so gehören in die gegenwärtige Klasse diejenigen, welche dessen Auslieferung oder Wiederherbeischaffung zu fordern berechtigt sind; und wird die Priorität nach dem Dato der erfolgten Deposition beurtheilt. Wenn ein solcher Privatgerichtsverwalter Auktions- oder andere an ihn gezahlte Gelder, die er in das Depositum hätte abliefern, oder an jemanden auszahlen sollen, unterschlagen hat; so gehört die diesfällige Forderung nur in die Sechste Klasse.

§. 429.

Wenn mehrere zu dieser Klasse gehörige Forderungen konkurriren, so werden die §. 595-403. erwähnten Ansprüche des Fiskus, und der daselbst benannten Kassen, vorzüglich befriedigt. In Ansehung aller übrigen, in §. 404-428. erwähnten Forderungen, bestimmt die bei einer jeden derselben bemerkte Zeit der Entstehung ihres Vorzugsrechts die


(1141) Konkurs.

Ordnung, nach welcher sie sämmtlich einander folgen; so daß, ohne Rücksicht auf den verschiedenen Grund der Priorität, jederzeit die jüngere der ältern weichen muß; und Forderungen, deren Vorzugsrechte zu gleicher Zeit ihren Anfang genommen haben, bei vorhandener Unzulänglichkeit der Masse, verhältnißmäßig befriedigt werden.

Fünfte Klasse.

1. Kährliche Prästationen.

§. 430.

Zur Fünften Klasse gehören:

1. Jährliche Prästationen.

I. Alle, vermöge besonderer Kontrakte, oder testamentischer Dispositionen, auf den zur Masse gehörigen Grundstücken haftende jährliche Abgaben, in so fern ihnen durch die Eintragung nicht, ein vorzüglicheres Recht verschafft worden; und ist das zur Berichtigung solcher Forderungen erforderliche Kapital in dieser Klasse, nach dem Dato der Entstehung des Rechts, zu ordnen. (§. 357. 358.)

§. 431.

An dieser Stelle erhält auch der Erbzinsherr, wegen des von dem Erbzinsgute des Gemeinschuldners rückständigen Kanons, seine Befriedigung. Ist der Kanon im Hypothekenbuche eingetragen, so kann der Erbzinsherr seine Befriedigung in der Dritten Klasse, jedoch nur wegen eines zweijährigen Rückstandes, fordern. Aeltere Rückstände werden hierher in die Fünfte Klasse verwiesen.

2. Erben der Ehefrau.

§. 432.

II. Die Erben einer verstorbenen Ehefrau des Gemeinschuldners, in so fern sie nicht zu den Descendenten gehören, in Ansehung alles desjenigen, was deren Erblasserin, wenn sie den Ausbruch des Konkurses erlebt hätte, in der vorher gehenden Klasse erhalten haben würde; und wird das Vorzugsrecht auf die §. 416. bestimmte Art festgesetzt.

Ein Gleiches findet in Ansehung der geschiedenen Ehefrauen Statt, welche ihr Vorzugsrecht nicht auf die §. 415. vorgeschriebene Art erhalten haben.


(1142) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

3.Receptitia.

§. 433.

III. Die Ehefrau des Gemeinschuldners, wegen ihres vorbehaltenen Vermögens, oder Receptitien, in so fern sie ihm dieselben nicht zinsbar überlassen hat. Ist dieses geschehen, so kann sie auf diesen Platz keinen Anspruch machen; sondern es kommt darauf an, welche Sicherheit sie sich sonst hat bestellen lassen. Das Vorzugsrecht der Receptitien richtet sich nach dem Tage, da sie der Gemeinschuldner nach sich genommen, oder in Administration erhalten hat; und haben hierunter die Erben der Ehefrauen, ohne Ausnahme, mit denselben gleiche Rechte; wie denn auch in Ansehung der geschiedenen Ehefrauen ein Gleiches Statt findet.

4. Lucra nuptialia.

§. 434.

IV. Die Ehefrau des Gemeinschuldners, in Ansehung des Gegenvermächtnisses, Witthumsgeldes, und anderer dergleichen auf den Todesfall des Mannes ihr verschriebenen Vortheile, in so fern ihr dieselben durch einen vor oder bei der Verheirathung geschlossenen Vertrag ausgesetzt worden sind. Es macht dabei keinen Unterschied: ob diese Vortheile mit dem Eingebrachten im Verhältnisse stehen, oder nicht; und der Tag der vollzogenen Heirath bestimmt den in dieser Klasse anzuweisenden Ort.

§. 435.

Ist der Gemeinschuldner noch am Leben, so kann die Ehefrau nur darauf antragen, daß ein zu ihrer Befriedigung hinreichendes Quantum hier ausgesetzt werde, von welchem die Zinsen, bis zum Ableben des Ehemannes, der Masse zuwachsen.

§. 436.

Wenn die geschiedene Ehefrau, deren Erben oder Cessionarien, mit der zweiten Ehefrau, deren Erben oder Cessionariis, in Konkurrenz kommen; so findet die Vorschrift §. 415. Anwendung.


(1143) Konkurs.

§. 437.

Unter eben den Umstünden, unter welchen eine Ehefrau ihr Eingebrachtes erst hinter sämmtlichen Gläubigern fordern kann, unter eben denselben kann sie auch, wegen der von dem Manne verschriebenen Vortheile, erst nach Befriedigung aller Kreditoren angesetzt werden. (§. 412.)

§. 438.

So weit der Mann zur Zeit der Aussetzung solcher Vortheile erweislich schon über sein Vermögen verschuldet war, kann die Frau, zum Nachtheile der Gläubiger, darauf keinen Anspruch machen. (A. L. R. Th. II. Tit. I. §. 467.) Diese Vorschrift gilt ohne Unterschied der Fälle: ob die Frau dem Manne gar nichts eingebracht hat; oder ob ein eingebrachtes Vermögen, gegen dessen Zurücklassung ihr die Vortheile verschrieben worden sind, wirklich vorhanden ist.

In diesem letztern Falle hängt es von dem Entschlusse der Gläubiger ab, der Frau entweder das wirklich Eingebrachte in der Vierten Klasse zu verabfolgen; oder ihr die, gegen Zurücklassung desselben, ausbedungenen Vortheile in eben dieser Klasse, nach näherer Bestimmung des §. 408., zu versichern.

Auch hat es in jedem Falle, selbst dann, wenn der Frau die ganzen verschriebenen Vortheile, weil der Mann zur Zeit der Aussetzung noch nicht über sein Vermögen verschuldet war, gelassen und versichert werden müssen, bei der Vorschrift des angeführten §. 408. dahin sein Bewenden, daß die Frau, so lange der Mann lebt, nicht mehr, als höchstens die Zinsen ihres wirklich eingebrachten und in der Masse zurück zu lassenden Vermögens fordern kann.

§. 439. Mit Vortheilen, die der Frau von dem Gemeinschuldner erst nach vollzogener Heirath bewilligt worden sind, wird dieselbe in allen Fällen erst hinter der Siebenten Klasse angesetzt. Hat sie jedoch dergleichen


(1144) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Vortheile durch einen lästigen Vertrag erworben, so kann sie das, was sie dem Manne dafür gegeben oder überlassen hat, als ein Eingebrachtes zurück fordern.

5. Herrschaften in dem Vermögen der Bedienten und Unterthanen.

§. 440.

V Herrschaften in dem Vermögen ihrer Hausofficianten, Bedienten und Unterthanen, wenn diesen, zum Behuf ihrer Dienstverrichtungen, Gelder und Effekten anvertraut worden sind, und deshalb Defekte entstehen, oder von ihnen etwas veruntreut worden; worunter auch die den Unterthanen gegebene Hofwehr zu rechnen ist, wenn sie veräußert worden, und daher nicht vindicirt. werden kann; wo hingegen den von den Herrschaften gegebenen Darlehnen, oder ähnlichen Forderungen, dieses Vorzugsrecht nicht gebührt.

6. Lotterieunternehmer in den Gütern des Kollekteurs.

§. 441.

VI. Den Herrschaften sind auch die Lotterieentreprenneurs, in Ansehung der den Kollekteurs zur Last fallenden Defekte, gleich zu achten.

7. Kreditmassen in bonis Curatorum.

§. 442.

VII. Ein gleiches Vorrecht genießen Kreditmassen in dem Vermögen der für dieselben bestellten Kuratoren, wegen der von diesen gemachten Defekte.

§. 443.

Dieses Vorzugsrecht (§. 440. 441. 442.) wird, bei sich ereignender Konkurrenz, nach dem Tage bestimmt, da der Gemeinschuldner in die Verbindung getreten ist, wodurch der Anspruch begründet wird.

8. Pia corpora etc. bei Debitis ex contractu.

§. 444.

VIII. Domkapitel, Kirchen, Schulen, Hospitäler und andere milde Stiftungen, ingleichen Kreiskassen und Kämmereien, wenn sie mit dem Gemeinschuldner kontrahirt haben, in Ansehung der gegebenen Vorschüsse, oder der aus dem Kontrakte fließenden Verbindlichkeiten, in so fern sie sich keine bessere Sicherheit haben bestellen lassen; und werden


(1145) Konkurs.

Forderungen dieser Art nach dem Datum des Kontrakts geordnet. Eben dahin gehören auch die auf förmlichen kassenmäßigen Fuß eingerichteten Salarienkassen der Magisträte, Stadt- und anderer nicht Königlicher Gerichte, wegen ihrer von dem Gemeinschuldner zu fordern habenden Gebühren und Auslagen.

9. Priviligirte Fabriken.

§. 445.

IX. Gleiches Vorzugsrecht gebührt den Unternehmern der zum Unterhalte des Potsdammschen Waisenhauses gewidmeten Fabriken, und der Gold und Silbermanufaktur, in Ansehung der dem Gemeinschuldner kreditirten Waaren, und bestimmt die Zeit des gegebenen Kredits den ihnen in dieser Klasse anzuweisenden Ort.

10. Cautiones pro expensis.

§. 446.

X. Wenn der Gemeinschuldner mit Bestellung eines Kostenvorstandes um deßwillen verschont worden ist, weil er mit Grundstücken angesessen, oder sonst von bekanntem Vermögen gewesen; so sollen diejenigen, welche von ihm Kaution gefordert haben, in Ansehung der zu erstattenden Kosten, in dieser Klasse, nach dem Dato des Dekrets geordnet werden, wodurch der Gemeinschuldner von der Kautionsbestellung frei gesprochen worden ist.

11.Creditores ommissi.

§. 447.

Diejenigen, welche wegen der wider den Gemeinschuldner rechtskräftig erstrittenen Forderungen, vor ausgebrochenem Konkurse, in dessen Grundstück immittirt worden, oder die Versiegelung oder Auspfändung seines Mobiliarvermögens extrahirt haben.

§. 448.

Auf diesen Ort können jedoch nur diejenigen Anspruch machen, auf deren Antrag die Pfändung wirklich erfolgt, oder die Immission entweder nach Vorschrift Tit. XXIV. §. 119. im eigentlichen Verstande geschehen, oder die wirkliche Sequestration verhängt


(1146) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

ist. Waren schon, auf Andringen anderer Gläubiger, das Grundstück, oder die beweglichen Effekten in Beschlag genommen; so ist es genug, wenn der Richter einen folgenden Gläubiger durch ein Dekret für immittirt erklärt, und dieses demjenigen, welchem die Verwaltung des Grundstücks, oder die Verwahrung der gepfändeten Effekten übertragen worden, bekannt gemacht hat. Sind mehrere Gläubiger auf diese Art immittirt, so bestimmt die Zeit der geschehenen Immission die Priorität unter ihnen.

Anh. §. 364. Die mit gleichem Vorzugsrechte versehenen Forderungen der immittirten Gläubiger müssen tributarisch berichtigt werden.

§. 449.

Das Vorrecht aus der Immission erstreckt sich nicht auf die ganze Masse, sondern nur auf den Werth des Grundstücks, oder der gepfändeten Sachen, und auf das, was davon, nach Befriedigung etwaniger vorzüglicher Gläubiger, noch übrig bleibt.

12. Stiefkinder in dem Vermögen der Stiefeltern.

§. 450.

XII. Wenn der Gemeinschuldner eine Wittwe oder geschiedene Ehefrau geheirathet hat, bevor mit ihren Kindern erster Ehe Richtigkeit gepflogen, und deren Vermögen gehörig ausgeantwortet worden ist; so erhalten Letztere, wenn ihre Mutter sie zu befriedigen nicht im Stande ist, ihre Bezahlung aus dem Vermögen des Stiefvaters in dieser Klasse, nach dem Tage seiner Verheirathung. (A. L. R. Th. II. Tit. I. §. 1016. 1017.)

§. 451.

Sämmtliche zu dieser Klasse gehörige Forderungen werden nach der bestimmten Entstehung ihres Vorzugsrechts geordnet, ohne aus den verschiedenen Grund desselben Rücksicht zu nehmen; so daß jederzeit die jüngere der älteren nachstehen muß, und die zu gleicher Zeit entstandenen verhältnißmäßig befriedigt werden.


(1147) Konkurs.

Sechste Klasse.

§. 452.

Zur Sechsten Klasse gehören:

I. Alle im Hypothekenbuche eingetragene Forderungen, in so fern der Inhaber seine Befriedigung in der Dritten Klasse ganz oder zum Theil nicht hat erhalten können: folglich in Ansehung des ganzen in dieser Dritten Klasse erlittenen Ausfalls; auch mit Inbegriff dessen, was ihnen, wegen der von den Kaufgeldern des Grundstücks Statt gefundenen Kostenabzüge, entgangen ist.

§. 453.

Solche Gläubiger können aber an dieser Stelle eine wirkliche Befriedigung nicht eher fordern, als bis es gewiß ist: daß und wie viel sie bei dem verpfändeten Grundstücke an Ausfall erleiden werden. So lange dies, weil entweder das Grundstück an sich unverkäuflich ist, und nur die Nutzungen zur Befriedigung der Realgläubiger verwendet werden können, oder weil sich noch kein Käufer dazu gefunden hat, unentschieden bleibt, können diese Gläubiger in der Sechsten Klasse nur eventualiter angesetzt werden. Wenn es inzwischen zur Distribution der übrigen Masse kommt, so muß das auf sie fallende Quantum in der Masse so lange zurückbleiben, bis zuverlässig erhellet: ob und auf wie viel bei dem Grundstücke ein Ausfall vorhanden sey. Bis dahin wachsen die Zinsen der zurückbehaltenen Summe der Masse zu.

§. 454.

II. Alle nicht eingetragene, jedoch gerichtlich aufgenommene, oder konfirmirte Darlehns- oder andere Schuldinstrumente; nicht aber solche, die bloß gerichtlich rekognoscirt worden sind.

§. 455.

Es macht dabei keinen Unterschied: ob die Aufnehmung oder Konfirmation vor dem ordentlichen, oder irgend einem andern in- oder ausländischen


(1148) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Richter geschehen sey; wobei jedoch, in Ansehung der von auswärtigen Gerichten ertheilten Konfirmationen, das Retorsionsrecht vorbehalten wird.

§. 456.

III. Diejenigen, welche dem Gemeinschuldner Sachen in Verwahrung gegeben, geliehen, verpfändet, oder bittweise unentgeldlich überlassen haben; oder wenn Effekten durch Diebstahl, oder auf andere unerlaubte Art, in des Gemeinschuldners Gewahrsam gekommen sind; in so fern dieselben nach Anleitung §. 296. 299. nicht vindicirt werden können, sondern nur deren Werth aus der Masse vergütet werden muß. Der Werth vermietheter oder geliehener verbrauchbarer Sachen gehört in die Siebente Klasse.

§. 457.

4. Unzinsbare Darlehen

IV. Wer dem Gemeinschuldner Gelder zu seinem Unterhalte oder zur Unterstützung in seinem Gewerbe, ausdrücklich ohne Zinsen vorgeliehen hat.

§. 458.

5. Rückständige Kaufgelder

V. Diejenigen, welche dem Gemeinschuldner Grundstücke verkauft und übergeben, die Kaufgelder aber, ganz oder zum Theil, nicht erhalten, und diese Rückstände im Hypothekenbuche nicht haben eintragen lassen.

§. 459.

6. Erbgelder

VI. Erbgelder, welche ein Erbe dem andern, gegen Uebernahme der zur Erbschaft gehörigen Immobilien oder Mobilien, zu zahlen verbunden ist; in so fern deshalb keine bessere Sicherheit bestellt worden.

§. 460.

7. Alimente

VII. Alimente, die ein Erbe dem andern, vermöge einer Disposition des Erblassers, oder vermöge eines mit dem Miterben geschlossenen Vertrages, zu entrichten hat, gehören, wenn sie nicht ausdrücklich auf ein gewisses Grundstück angewiesen, und also in


(1149) Konkurs.

der Fünften Klasse nach §. 430. anzusetzen sind, in die Sechste Klasse.

§. 461. Auch andere Alimente, wozu der Gemeinschuldner aus einer unerlaubten Handlung, oder für uneheliche Kinder, nach Urtel und Recht verpflichtet ist, werden in der Sechsten Klasse angesetzt.

§. 462.

Die Rückstände solcher Alimente (§.430. 460. 461.) kommen in diese Klasse nur so weit, als sie aus dem letzten Jahre vor eröffnetem Konkurse rückständig sind. Aeltere Rückstände finden ihre Befriedigung erst in der Siebenten Klasse.

§. 463.

Alimente, die aus einer bloßen Freigebigkeit des Gemeinschuldners herrühren, können erst hinter allen Gläubigern angesetzt werden.

8. Vorschüsse zum Studiren und Honoraria.

§. 464.

VIII. Diejenigen, welche dem Gemeinschuldner zum Studiren Geld vorgeschossen, ingleichen alle diejenigen, welche dem Gemeinschuldner, oder dessen Kindern, in Sprachen, Künsten, und Wissenschaften Information gegeben haben, jedoch mit Ausnahme des nach Vorschrift §. 375. zu locirenden Schul und Lehrgeldes.

9. Gerichtsgebühren.

§. 465.

IX. Rückständige Sporteln der Gerichte und ihrer Kommissarien, in so fern dieselben nicht zu ordentlich eingerichteten Salarienkassen gehören, und sich also eines bessern Vorrechts zu erfreuen haben.

§. 466.

Die aus den Sporteln zu besoldenden Justizbedienten in denjenigen Provinzen, wo der Genuß der Sporteln von Königlichen Aemtern den Beamten noch überlassen ist, gehören nicht hierher; sondern sie können, bei einem über das Vermögen des Beamten ausbrechenden Konkurse, einen zweijährigen


 

(1150) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Rückstand ihrer Besoldungen aus den alsdann noch ausstehenden Sporteln fordern. So weit aber diese zu ihrer Befriedigung nicht hinreichend, oder die Rückstände älter sind, gehören sie nur zur Siebenten Klasse.

10. Justizkommissarien und Notarien.

§. 467.

X. Die Justizkommissarien und Notarien, wegen ihrer zu fordern habenden rückständigen Gebühren.

11. Medicinalkosten.

§. 468.

XI.

Die Medicinalkosten des vorletzten Jahres vor eröffnetem Konkurse. (§. 367.) Noch ältere Rückstände gehören in die letzte Klasse; es wäre denn, daß der Kreditor nachweisen könnte, wasgestalten er seine Befriedigung von dem Gemeinschuldner, auch durch Einklagung und Vollstreckung der Ezekution, nicht würde haben erhalten können; in welchem Falle dreijährige Rückstände in dieser Klasse passiren.

Vorschüsse an Fabrikanten.

§. 469.

XII. Die den Fabrikanten zum Betriebe ihrer Nahrung gegebenen Vorschüsse, wenn das §. 337. u. f. bestimmte Vorzugsrecht nicht Anwendung findet.

Vorschüsse der Braut

§. 470.

XIII. Dasjenige, was eine Braut ihrem verlobten Bräutigam vorgeschossen, oder anvertraut hat, wenn über dessen Vermögen vor der Hochzeit Concursus Creditorum eröffnet wird.

Wechselforderungen

§. 471.

XIV. Alle, sowohl bei gezogenen, als trockenen Wechseln entstandene wechselmäßige Forderungen; ingleichen diejenigen, welche aus Handelsbillets und kaufmännischen Assignationen, nach näherer Bestimmung der Gesetze, entstanden sind. (A. L. R. Th. II. Tit. VIII. S. 930. 1257. 1286. 1298.) Dagegen kann der Bezogene, welcher ohne hinreichende Deckung gezahlt hat, auf die Sechste Klasse keinen Anspruch


(1151) Konkurs.

machen, wenn nicht etwa die Acceptation per honor geschehen ist. (A. L. R. ebend. §. 1104.)

Anh. §. 365. Wechsel, welche nach hiesigen Landesgesetzen verjährt sind, gehören, wenn sie gleich auswärts ausgestellt worden, und der Schuldner sich dem auswärtigen Wechselrechte unterworfen hat, zur Siebenten Klasse.

Anh. §. 366. Die in Wechselform ausgestellten Schulddokumente nicht wechselfähiger Personen sind in Absicht des Vorzugsrechts der daraus in Konkursen liquidirten Forderungen den Wechseln gleich zu achten und in die Sechste Klasse zu lociren. (A. L. R. Th. I. Tit. XI. §. 751.)

Notariatsinstrumente

§. 472.

XV. Die von einem Justizkommissario aufgenommenen, und gehörig vollzogenen Darlehns- und andere Schuldinstrumente.

§. 473.

Zwischen sämmtlichen zu dieser Sechsten Klasse gehörigen Forderungen findet kein Vorzug Statt, sondern sie werden, wenn die Masse auf sie alle nicht hinreicht, verhältnißmäßig befriedigt.

Siebente Klasse

§. 474.

Zur Siebenten Klasse gehören die bloßen Privatschuldverschreibungen, Buchschulden, und überhaupt alle diejenigen Forderungen, welche durch kein solches Vorzugsrecht unterstützt werden, weshalb ihnen ein Platz in einer der vorher gehenden Klassen angewiesen werden müßte. Die zu dieser Klasse gehörigen Forderungen erhalten sämmtlich ihre Befriedigung, wenn die Masse nicht hinreicht, verhältnißmäßig (in tributum.)

Forderungen, die post omnes locirt werden.

§. 475.

Hiervon bleiben noch ausgeschlossen diejenigen Forderungen, welche erst nach Befriedigung aller Kreditoren zur Perception gelangen können.

§. 476.

I. Die von dem Gemeinschuldmr zu entrichtenden Geldstrafen.


(1152) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Anh. §. 367. Dahin gehören auch die Accise- und Zollstrafen, und gebührt ihnen das im Accisereglement von 1772. verstattete stillschweigende Pfandrecht nicht ferner.

Anh. §. 368. Untersuchungskosten haben, sie mögen im Konkurse oder außerhalb desselben mit den Geldstrafen in Kollision kommen, jederzeit vor den letzteren den Vorzug.

§. 477 a.

II. Die Kommunkosten, oder die deswegen den Gläubigern gemachten Abzüge, nach der Ordnung der Kapitalien.

§. 477 b.

III. Die mehr als zweijährigen Zinsenrückstände, ingleichen die während des Konkurses, entweder wegen gestundeten Zinsenlaufs, oder, bei den eingetragenen Gläubigern, wegen Unzulänglichkeit der Revenüen, ausgefallenen Zinsen, welche nach der Ordnung, wie die Kapitalien angesetzt worden, auf einander folgen, oder, wenn mehrere Kapitalien in tributum zur Hebung gekommen sind, auf gleiche Art befriedigt werden.

§. 478.

IV. Die Begräbnißkosten des Gemeinschuldners, in so fern sie mehr als das §. 363. 364. bestimmte Quantum betragen; und sind auch die Trauerkosten der Wittwen und Kinder hierunter mit begriffen.

§. 479.

V. Diejenigen, welche vom Gemeinschuldner Geschenke, oder sonst etwas aus dessen Freigebigkeit, zu fordern haben.

§. 480.

VI. Die Gebührnisse der Ehefrauen, in den Fällen, wenn sie nach Anleitung §. 412., deshalb allen Gläubigern ihres Ehemannes nachstehen müssen.

§. 481.

VII. Die von dem Gemeinschuldner ausgesetzten Vermächtnisse.


(1153) Konkurs.

§. 482.

Die §. 476-481. bemerkten Forderungen folgen, nach der durch diese Paragraphen festgesetzten Ordnung, auf einander; und nur, wenn mehrere Forderungen gleicher Art konkurriren, erhalten sie ihre Befriedigung in tributum; welche tributarische Vertheilung jedoch, in Ansehung der Zinsen- und Kostenrückstände, auf die in §. 477. a. b. bestimmte Art eingeschränkt wird.

Besondere Privilegia einzeiner Gläubiger

§. 483.

Wenn jemand einige von dem Gemeinschuldner außer Landes geschaffte, oder sonst der Kreditmasse entzogene Effekten entdeckt, und dadurch bewirkt, daß die Masse einen Zuwachs erhält; so erlangt er dadurch in seiner Klasse die Priorität, nach Verhältniß des der Masse verschafften Vortheils.

§. 484.

Ein Gleiches findet Statt, wenn jemand den flüchtigen Schuldner selbst einholt, und zur gefänglichen Haft abliefert; dadurch aber Effekten oder andere Vermögensstücke, die der Schuldner mit sich genommen, verborgen, oder sonst verheimlicht hatte, entdeckt, und zur Masse gebracht worden sind.

§. 485.

Kann nach diesen Grundsätzen (§. 483. 484.) der Gläubiger seine Befriedigung nicht erhalten, so muß ihm die Hälfte seines bei dem Konkurse erleidenden Ausfalls aus der Masse vorweg bezahlt werden. Doch muß diese Belohnung den Betrag des der Masse verschafften Vortheils niemals übersteigen.

Von Ueberschüssen der Masse.

§. 486.

Wenn es sich ereignet, daß nach Befriedigung aller in den vorstehenden Paragraphen bemerkten Posten, in der Kreditmasse noch etwas übrig bleibt; so wird selbiges, in so fern der Gemeinschuldner noch am Leben ist, diesem, sonst aber dessen Erben, verabfolgt. Sind keine Erben vorhanden, oder haben


(1154) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

sie der Erbschaft ohne allen Vorbehalt entsagt; so wird der verbliebene Ueberrest als ein bonum vacans eingezogen.

§. 487.

Die besondere Klassifikationsordnung.

1) wenn über den Nachlaß einer Militairperson; oder

2) über ein Seeschiff; oder

3) über Bergtheile, ein besonderer Konkurs oder Liquidationsprozeß entsteht, wird unten in besonderen Abschnitten bestimmt.

Allgemeine Auslegungen

§. 488.

Schließlich wird festgesetzt, daß die in gegenwärtiger Klassifikationsordnung bestimmten Vorrechte nur denjenigen Forderungen, welchen sie ausdrücklich beigelegt sind, zu Statten kommen; auf andere bloß ähnliche Forderungen aber nicht ausgedehnt werden sollen.

Fünfter Abschnitt.

Von der Vertheilung der Masse.

Unterschied der Immobiliar- und der Gemeinmasse.

§. 489.

Wenn von der Vertheilung der Masse unter die darauf angewiesenen Gläubiger die Rede ist, so muß diejenige, welche aus den zum Konkurse gehörenden Grundstücken entsteht, von der, zu welcher das übrige Aktivvermögen des Gemeinschuldners gehört, wohl unterschieden werden.

An die erste oder Immobiliarmasse haben die eingetragenen Gläubiger dergestalt ein ausschließendes Recht, daß nur dasjenige, was davon, nach ihrer vollständigen Befriedigung, an Kapital, privilegirten zweijährigen Zinsenrückständen, und während des Konkurses fortlaufenden Zinsen, noch übrig bleibt, den anderen Gläubigern zu Gute kommt.


(1155) Konkurs.

Hingegen ist die übrige Masse der gemeinschaftliche Fonds zur Befriedigung aller anderen Gläubiger; weswegen sie auch den Namen der Gemeinmasse führt.

Absonderung beider Massen

§. 490.

Es müssen daher, gleich vom Anfange an, beiderlei Massen von einander abgesondert gehalten werden: dergestalt, daß, wenn ein Grundstück zum Konkurse gehört, nicht nur der Vorschrift §. 93. gemäß, ein besonderes Aktenstück von den dieses Grundstück betreffenden Verhandlungen angelegt, und dieselben mit denjenigen, welche die Ausmittelung der übrigen Aktivmasse betreffen, nicht vermengt, sondern auch in dem Manual des Depositi ein besonderes Folium für die Immobiliar-, und ein anderes für die Gemeinmasse bestimmt werden muß.

Gehören mehrere Grundstücke zum Konkurs, auf welche verschiedene Kreditoren eingetragen sind; so muß jedem Grundstück ein besonderes Aktenstück, und ein besonderes Folium in dem Manual des Depositi, gewidmet werden.

I. Immobiliarmasse. Was dazu gehöre.

§. 491.

Was nun I. die Immobiliarmasse betrifft, so gehören dazu

1) das vorhandene Immobile selbst;

2) die zur Zeit des eröffneten Konkurses vorhandenen Wirtschaftsbestände und Vorräthe aller Art;

3) das Wirthschaftsinventarium und Zubehör, so weit es den eingetragenen Gläubigern mit verpfändet ist. (A. L. R. Th. I. Tit. XX. §. 443. 446.) Sind also zur Zeit der Konkurseröffnung bei dem Grundstücke Sachen vorhanden, welche im gesetzlichen Sinne die Natur eines Pertinenzstücks nicht haben, oder als Superinventarienstücke angesehen werden müssen; so


(1156) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

gehören dieselben nicht zur Immobiliar-, sondern zur Gemeinmasse. (A. L. R. Th. I. Tit. II. §. 42. u. f. Vergl. Tit. LII. §.21.)

4) Die kurrenten Revenüen des Grundstücks, worunter alle und jede Früchte und Nutzungen, nebst den Hebungen an kleinen Pächten, Dienstgeldern, Natural- und Geldzinsen, ingleichen die gewöhnlichen jährlichen Holzverkäufe, zu verstehen sind. Letztere werden entweder nach einem Durchschnitte mehrjähriger Rechnungen, oder nach einem von dem Walde zu fertigenden Anschlage bestimmt, durch welchen nachgewiesen wird: wie viel Holz alljährlich, nach Abzug des Wirthschaftsbedarfs, ohne Nachtheil der Substanz verkauft werden könne. Ist das Grundstück verpachtet oder vermiethet, so treten die Pacht- oder Miethgelder, so wie die von dem Verpächter noch außerdem sich etwa vorbehaltenen Nebeneinkünfte, an Naturalien u. s. w., an die Stelle der kurrenten Revenüen des Grundstücks.

Entsteht der Konkurs in dem Laufe eines Wirthschaftsjahres, so werden nur die alsdann noch vorhandenen Früchte und Nutzungen, ingleichen die Zinsen, Pächte, Miethgelder, und andere Hebungen, welche in dieß Jahr gehören, so weit sie entweder noch rückständig sind, oder erst nach entstandenem Konkurse fällig werden, zur Immobiliarmasse gezogen. Die von früheren Zeiten herrührenden Reste bei den Unterthanen und anderen Schuldnern gehören zur Gemeinen Masse.

5) Die während des Konkurses vorkommenden außerordentlichen Einnahmen, besonders die ungewöhnlichen Holzverkäufe; wenn z. B. ein Waldbezirk, der nicht zu den gewöhnlichen Hauen geschlagen ist, sondern nur zu gewissen


(1157) Konkurs.

Zeiten außer der Ordnung genommen werden kann, eben während des Konkurses haubar wird; oder, wenn in einem Jahre Windbrüche vorkommen, die einen stärkern, als den gewöhnlichen Holzverkauf veranlassen; oder, wenn während des Konkurses, mit Bewilligung der vorgesetzten Behörde, eine Quantität Stabholz geschlagen wird. In allen diesen Fällen wird, von den gelöseten Geldern, nur das gewöhnliche nach obigen Grundsätzen (Nr. 4.) berechnete Quantum zu den kurrenten Revenüen gezogen, und das übrige als eine außerordentliche Einnahme angesehen. Wenn der Gemeinschuldner vor eröffnetem Konkurse Holz verkauft hat, und dasselbe schon wirklich angeschlagen, obwohl noch nicht abgeführt ist; so gehören die Kaufgelder davon zur Gemeinmasse.

6) Die Kaufgelder des Immobilis, und des dazu nach Nr. 3. gehörenden Inventarii.

Wer aus der Immobliarmasse zu befriedigen sey.

§. 492.

Auf diese Immobiliarmasse haben vorzüglich Anspruch:

1) die oben §. 393. benannten Gläubiger der Zweiten Klasse, welche zugleich als Realgläubiger anzusehen sind; ingleichen die nach §. 345. u. f. in der Ersten Klasse zu erstattenden Vorschüsse;

2) die §. 387. u. f. benannten Gläubiger der Dritten Klasse, wegen ihrer eingetragenen Kapitalien, der rückständigen privilegirten, und der während des Konkurses fortlaufenden Zinsen. (§. 150-153.)

Vertheilung der Immobliarmasse.

§. 493. Was nun die Vertheilung der nach §. 491. bestimmten Imobilienmasse unter die nach §. 492. darauf anzuweisenden Gläubiger betrifft, so ist wiederum ein Unterschied zu machen:


(1158) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

A. unter der jährlichen Distribution der Revenüen, auf die Zinsen der eingetragenen Kapitalien; und

B. unter der Hauptdistribution der Substanz.

A. Die Einkünfte

§. 494.

A. Die Distribution der Revenüen geschieht alljährlich, nach dem Schlusse eines Wirtschaftsjahres, so wie dasselbe nach dem Landesbrauche einer jeden Provinz gerechnet wird.

§. 495.

Vertheilt werden alsdann die Einkünfte desselben Wirtschaftsjahres, so wie selbige §. 491. Nr. 4. näher angegeben sind. Was aus den vorräthigen Beständen, Nr. 2., und aus den extraordinairen Einnahmen, Nr. 5., gelöst worden ist, bleibt bis zur Hauptdistribution ausgesetzt.

§. 496.

Von den Revenüen eines jeden Jahres werden vorweg abgezogen:

a) alle kurrente Lasten und Abgaben, auch Wirthschaftsausgaben desselben Jahres;

b) alle Kosten, welche auf die Verwaltung des Grundstücks verwendet worden; wohin also auch die Besoldung des darüber ernannten besondern Kurators oder Aufsehers, die Kosten der Wirthschaftsrevisionen, Rechnungsabnahmen u. s. w. gehören;

c) Alles, was zur Erhaltung und Konservation der Substanz hat verwendet werden müssen; folglich auch Reparaturkosten;

d) die Kosten der Specialdistribution selbst.

Dagegen werden von den kurrenten Revenüen nicht abgezogen:

A. Verbesserungskosten. Neue Anlagen und Meliorationen können überhaupt während des Konkurses nicht anders, als mit Einwilligung sämmtlicher eingetragenen Gläubiger, vorgenommen


(1159) Konkurs.

werden. Sind diese unter sich einig, so hängt es auch von ihrer Entschließung ab: in wie fern dergleichen Kosten von den kurrenten Revenüen genommen, oder auf Rechnung der Substanz der Immobiliarmasse verwendet werden sollen.

B. Die Tax- und Subhastationskosten, welche aus der Substanz der Immobiliarmasse bestritten werden müssen.

§. 497.

In Ermangelung eines zur Substanz der Immobiliarmasse gehörenden baaren Fonds, können die Ausgaben zu Tax- und Subhastationskosten aus den für Revenüen eingegangenen baaren Geldern vorschußweise genommen werden; da das, was die eingetragenen Gläubiger dadurch an den während des Konkurses fortlaufenden Zinsen verlieren, ihnen demnächst, bei der Finaldistribution, aus den alsdann eingegangenen Kaufgeldern wieder zu gute kommt. (§. 503.)

§. 498.

Die §. 496. litt. a. b. c. d. angegebenen Abzüge werden, wie schon gedacht, von der Specialmasse der zu vertheilenden Jahresrevenüen vorweg abgezogen, und also nicht von den Realgläubigern nach Verhältniß ihrer Hebungen getragen.

§. 499. Die Vertheilung selbst geschieht auf die Zinsen, welche die eingetragenen Gläubiger für dasselbe Wirtschaftsjahr zu fordern haben; und zwar nach der Ordnung, wie ihre Forderungen im Hypothekenbuche eingetragen, und im Klassifikationsurtel locirt sind. Sind zur Zeit einer solchen Distribution bei einer oder der andern Post noch Anstände vorhanden, warum darauf noch keine Zinsen bezahlt werden können; so wird das darauf vertheilte Quantum inne behalten, und, zur Vermeidung aller Irrungen, in


(1160) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

eine besondere, nach dem Namen des Kreditors zu benennende Depositalmasse transferirt.

§. 500.

Die Kreditoren der Zweiten Klasse (§. 492. Nr. 1.) haben eigentlich an dieser Distribution der Einkünfte keinen Theil, da ihnen wegen ihrer zu fordern habenden Rückstände nur auf die Substanz der Immobiliarmasse ein Anspruch zukommt. Sie müssen sich also in der Regel bis zur Hauptdistribution gedulden; es wäre denn, daß noch vorher außerordentliche Revenüen (§. 491. Nr. 5.) einkämen, die zu ihrer Befriedigung verwendet werden könnten. Inzwischen steht es dem Richter frei, bei obwaltenden erheblichen Billigkeitsgründen, einem oder dem andern dieser Gläubiger aus den kurrenten Einkünften Zahlung anzuweisen; da auch hier, so wie in dem Falle des §. 497., dasjenige, was die Realgläubiger an kurrenten Zinsen verlieren, ihnen bei der Vertheilung der Hauptmasse wieder vergütet wird. (§. 503.)

Anh. §. 369. Die innerhalb der letzten zwei Jahre vor Eröffnung des Konkurses ausgeschriebenen Feuersocietätsbeiträge werden aus den laufenden Einkünften bezahlt.

§. 501.

Wenn die Revenüen Eines Jahres nicht nur zur Bezahlung der kurrenten Zinsen von den eingetragenen Kapitalien hinreichen, sondern auch noch etwas davon übrig bleibt; so muß dasselbe zur Vertheilung des folgenden Jahres aufbewahrt werden.

Ist zur Zeit der Finaldistribution noch ein solcher Ueberschuß vorhanden, so wird derselbe zur Hauptimmobiliarmasse gezogen.

§. 502.

Reichen die Revenüen Eines Jahres zur Bezahlung der kurrenten Zinsen desselben nicht hin, so ist ein Unterschied zu machen, zwischen dem ersten Wirthschaftsjahre, während dessen der Konkurs ausgebrochen ist, und zwischen den folgenden Jahren. So


(1161) Konkurs.

weit im ersten Jahre die eingetragenen Gläubiger die kurrenten Zinsen aus den Einkünften nicht erhalten können, werden ihnen dieselben bei der Finaldistribution unter den privilegirten zweijährigen Rückständen mit vergütet; und sie können deswegen auf die Einkünfte der folgenden Jahre keinen Anspruch machen. Wenn aber im zweiten Jahre ein Ausfall an den kurrenten Zinsen entsteht, so muß derselbe bei der Distribution des folgenden Jahres vergütet werden.

§. 503.

Es ist jedoch dabei immer die Ordnung der Priorität unter den eingetragenen Gläubigern zu beobachten: dergestalt, daß z. B. der zweite Kreditor eher nichts auf seine rückständigen und kurrenten Zinsen erhalten kann, als bis dem ersten die sämmtlichen Rückstände (exclusive des Ersten Jahres) und die kurrenten Zinsen desselben Jahres, von dessen Distribution die Rede ist, bezahlt worden sind. Was hiernach der eine oder der andere Gläubiger auf seine kurrenten Zinsen bis zur Finaldistribution nicht hat erhalten können, das wird ihm bei dieser, so weit die Masse hinreicht, mit dem Kapitale zugleich, aus deren Substanz vergütet.

Verfahren bei dieser Distribution.

§. 504.

Mit dieser Distribution der jährlichen Einkünfte wird folgendermaaßen verfahren:

Sogleich nach Verlauf des Wirtschaftsjahres, und wenn die Rechnungen desselben eingekommen sind, muß der Kalkulator, mit Beihülfe des Kurators, und unter der Direktion des Gerichtsdeputirten, aus diesen Rechnungen und aus den Akten, so wie aus den Depositalbüchern, ausmitteln: wie viel Revenüen in diesem Jahre eingekommen sind. Dabei wird nur auf die wirklich eingegangenen baaren Gelder Rücksicht genommen; nicht aber auf die Kassenbestände, die etwa dem Administrator, zur


(1162) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Fortsetzung der Wirthschaft, in Händen gelassen werden müssen; noch auf die vorhandenen Naturalbestände und Vorräthe, wenn gleich dieselben zum Verkaufe bestimmt sind; noch auf die etwa in diesem Jahre ausstehend gewordenen Aktivreste. Denn obgleich diese Posten, genau genommen, noch zu den Einkünften desselben Jahres gehören; so würde doch die akkurate Ausmittelung, wie viel davon zur Distribution zu ziehen sey, mancherlei Weiterung und Aufenthalt verursachen, deren es um so weniger bedarf, da diese Posten, wenn sie demnächst eingehen, den Realgläubigern, entweder bei der Zinsendistribution der folgenden Jahre, oder doch bei der Hauptdistribution der Substanz, allemal zu gute kommen.

§. 505.

Eben so müssen die von diesen Einkünften zu machenden Abzüge, nach Vorschrift §. 496. litt. a-d., aus den Akten und Rechnungen ausgemittelt werden. Auch hierbei ist nur auf wirklich geleistete baare Zahlungen Rücksicht zu nehmen.

§. 506.

Wie der, nach Abzug dieser Ausgaben, übrig bleibende Betrag der Revenüen, der Vorschrift §. 499-503. gemäß, unter die Realgläubiger, auf ihre rückständigen und kurrenten Zinsen zu vertheilen sey, wird gleichergestalt von dem Kalkulator berechnet, und solchergestalt ein Distributionsplan entworfen, welcher, wenn er zuvor von dem Gerichtsdeputirten geprüft und genehmigt worden ist, dem Gerichte zur weitern Verfügung vorgelegt werden muß.

§. 507.

Der Decernent muß darauf sehen, daß der Plan bald nach dem Schlusse des Wirthschaftsjahres einkomme; und er muß, wenn dieses nicht geschieht, den Deputirten und Kalkulator von Amts wegen daran erinnern.


(1163) Konkurs.

So bald der Plan eingekommen ist, muß er denselben, auch seines Orts, nach den Akten, und den gegenwärtigen Vorschriften, gehörig prüfen, und im Kollegio zur Erlassung der nöthigen Verfügungen ordentlich vortragen.

§. 508.

In der Regel bedarf es hier keines besondern Distributionstermins, sondern es ist genug, wenn der richtig befundene Distributionsplan den sämmtlichen eingetragenen Gläubigern durch einen Umlauf kommunicirt, und in diesem zugleich ein Termin zur Auszahlung der vertheilten Gelder anberaumt wird. Wenn jedoch, vor Eintritt dieses Termins, Erinnerungen gegen diesen Plan von dem einen oder dem andern Gläubiger einkommen; so hängt es von richterlichem Ermessen ab: in wie fern solche Erinnerungen durch schriftliche Verfügungen erledigt werden können; oder es dazu eines besondern, von dem Deputirten des Gerichts abzuhaltenden Termins bedürfe.

B. Der Substanz.

§. 509.

 B. Was die Vertheilung der Hauptimmobiliarmasse selbst betrifft, so erfolgt diese, so bald das Adjudikationserkenntniß der zur Masse gehörigen Grundstücke publicirt ist, wenn auch gleich die Kaufgelder noch nicht eingezahlt sind, sondern zum Theil noch hinter dem Käufer sich befinden.

§. 510.

Zu der alsdann zu vertheilenden Hauptmasse gehören:

1) die während des Konkurses vorgekommenen extraordinairen Einnahmen (§. 491. Nr. 5.);

2) die etwa vorhandenen Ueberschüsse der kurrenten, während des Konkurses eingegangenen Revenüen (§. 501.);

3) die vorhandenen Wirthschaftsbestände und Reste, in so fern dieselben dem Käufer nicht mit überlassen worden sind (§. 504.);


(1164) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

4) die für die Grundstücke und deren Wirthschaftsinventarium gebotenen Kaufgelder. (§. 491. Nr. 6.)

§. 511.

Von dieser Masse sind abzuziehen, alle noch nicht berichtigte Reste der Administrationskosten (§. 496. litt. a. b. c.); die Tax- und Subhastationskosten, in so fern sie nicht schon vorschußweise aus den Revenüen bestritten sind (Ebend. litt. B.); ingleichen die Kosten bei der Adjudikation, Natural- und Civilübergabe; so wie die Haupt-Distributionskosten. Diese Ausgaben werden von der Masse vorweg abgezogen, und entgehen also dem letzten Percipienten.

§. 512.

Die Vertheilung der Immobiliarmasse geschieht

1) auf die Realgläubiger aus der Zweiten Klasse, in so fern diese nicht schon vorschußweise aus den Revenüen befriedigt worden sind (§. 492. Nr. 1. §. 500);

2) auf die eingetragenen Gläubiger der Dritten Klasse (§. 492. Nr. 2.), und zwar

a. auf das, was diese an kurrenten Zinsen während des Konkurses, welche aus den kurrenten Revenüen nicht haben berichtigt werden können, etwa noch zu fordern haben (§. 503.);

b. auf die privilegirten, seit zwei Jahren, vom Tage des eröffneten Konkurses an, rückständigen Zinsen (§. 502.);

c. auf die Kapitalsforderungen selbst.

§. 513. Bei der Vertheilung selbst ist die Ordnung der Priorität genau zu beobachten: also daß ein Gläubiger nicht eher etwas erhalten kann, als bis der ihm vorstehende seine völlige Befriedigung nach §. 512. litt. a. b. c. empfangen hat.


(1165) Konkurs.

§. 514.

Nach eben dieser Ordnung werden die zuerst stehenden Gläubiger auf die im gerichtlichen Deposito vorhandenen baaren Gelder; die folgenden auf die hinter dem Käufer noch befindlichen Kaufgelder-Termine; und die übrigen auf die etwa noch ausstehenden anderweitigen, zur Immobiliarmasse gehörenden Aktivreste angewiesen.

§. 515.

Sind dergleichen Aktivreste vorhanden, die entweder noch nicht liquid sind, oder wo es zweifelhaft ist, ob sie von den Schuldnern derselben beigetrieben werden können; so hängt es von den eingetragenen Gläubigern, welche darauf anzuweisen seyn würden, ab: in wie fern sie diese Anweisung an Zahlungs Statt annehmen, oder dergleichen illiquide oder zweifelhafte Reste der Gemeinmasse überlassen, und dagegen ihre Befriedigung, bei dieser letztern, in der Sechsten Klasse, falls die Masse so weit reicht, abwarten wollen.

§. 516.

Durch diese Anweisungen (§. 514. 515.) wird der Gläubiger, dem sie geschehen sind, für völlig abgefunden geachtet, so daß er sich an die Gemeinmasse nicht weiter halten kann. Ist bei der Forderung des einen oder des andern eingetragenen Gläubigers noch ein Anstand vorhanden, warum ihm die Zahlung nicht geleistet werden kann; so wird das auf ihn fallende Quantum so lange, bis der Anstand gehoben ist, im Deposito zurück behalten, oder dahin eingezogen; und muß ein solcher Gläubiger mit den Zinsen, welche der ihm angewiesene Betrag, bei dem Käufer, oder im gerichtlichen Deposito trägt, sich begnügen, wenn er auch von dem Gemeinschuldner einen höhern Zinssatz zu fordern gehabt hätte.


(1166) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

§. 517.

Bleibt von der Immobiliarmasse, nach vollständiger Befriedigung sämmtlicher darauf angewiesenen Gläubiger, noch etwas übrig; so fließt selbiges zu der Personal- oder Gemeinmasse.

Verfahren dabei.

§. 518.

Zum Behufe dieser Vertheilung der Haupt-Immobiliarmasse muß das, was dazu gehört, was davon vorweg abzuziehen, und was einem jeden Percipienten darauf anzuweisen ist, durch den Kalkulator, mit Zuziehung des Kurators, unter Direktion des Gerichtsdeputirten, eben so ausgemittelt; der Distributionsplan auf eben die Art entworfen, von dem Decernenten geprüft und vorgetragen; und den Realgläubigern kommunicirt werden, wie es wegen der jährlichen Vertheilung der Einkünfte §. 504-508. verordnet ist. Auch hier bedarf es in der Regel keines besondern Distributionstermins und Erkenntnisses; es wäre denn, daß in dem einen oder dem andern Falle Differenzien sich fänden, die einer nähern Erörterung und förmlichen richterlichen Entscheidung bedürfen.

§. 519. Obige Vorschriften §. 491-518. finden übrigens sowohl bei Landgütern, als bei den zum Konkurse gehörenden Städtischen Grundstücken Anwendung.

Entscheidung einiger besonderen vorkommenden Fälle.

§. 520. Wenn mehrere Grundstücke vorhanden, und verschiedene Kreditoren darauf eingetragen sind; so müssen so viel besondere Revenüen- und Hauptvertheilungen, als dergleichen Grundstücke sich finden, angelegt werden. (§. 490.)

§. 521. Wenn ein Kreditor mit Einem Kapitale auf mehrere Grundstücke zugleich eingetragen ist, so kann die Frage entstehen: nach welchen Verhältnissen er auf


(1167) Konkurs.

die Kaufgelder eines jeden derselben angewiesen werden solle? Alsdann müssen von den Kaufgeldern eines jeden Guts die einem solchen Gläubiger vorstehenden Posten abgerechnet; die sodann von jedem übrig bleibenden Ouanto addirt; die Summe davon mit der Summe seiner Forderung in Proportion gesetzt; und solchergestalt dasjenige, was er von jedem der beiderlei Kaufgelder zu erhalten hat, nach der Societätsregel bestimmt werden. Wenn also z. B. die Forderung eines solchen Gläubigers 5000 Rthlr. beträgt, und von den Kaufgeldern des ersten Guts, worauf diese Forderung eingetragen ist, nach Abzug der vorstehenden Posten 20000 Rthlr., von dem zweiten aber nur 5000 Rthlr., folglich zusammen 25000 Rthlr. übrig bleiben; so wird dieser Kreditor aus den Kaufgeldern des ersten Guts mit 4000 Rthlr., und aus denen des zweiten nur mit 1000 Rthlr. befriedigt.

§. 522.

Wenn jedoch in dem hier vorausgesetzten Falle das eine von den beiden Grundstücken, worauf ein solcher Gläubiger versichert ist, bald an den Mann gebracht wird; das andere aber unverkauft bleibt; so ist der Kreditor zwar berechtigt, aus den Kaufgeldern des Ersten Grundstücks, so weit dieselben auf ihn hinreichen, seine Befriedigung zu verlangen; wenn aber hiernächst das zweite Grundstück ebenfalls verkauft wird, so kommt von den Kaufgeldern desselben den auf das erste eingetragenen Gläubigern so viel zu gute, als der auf beide Güter versicherte Kreditor, nach dem vorigen Paragraphen, aus den Kaufgeldern des zweiten Guts erhalten haben würde, wenn selbiges zugleich mit ersterm wäre verkauft worden.

§. 523.

Nach eben diesen Grundsätzen ist auch bei der jährlichen Vertheilung der Revenüen zu verfahren; und treten in diesem Falle die Revenüen beider Grundstücke,


(1168) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

bei der nach §. 521. anzulegenden Berechnung, an die Stelle der dort angegebenen Kaufgelder der Substanz. Wenn also z. B. ein solcher Gläubiger von einem auf beide Grundstücke eingetragenen Kapital à 5000 Rthlr. jährlich 200 Rthlr. Zinsen zu fordern hat, und von den Revenüen des einen Grundstücks, nach Abzug der vorstehenden Zinsen, 300 Rthlr., von dem andern aber nur 100 Rhlr. übrig bleiben; so werden ihm auf seine 200 Rthlr. Zinsen von dem ersten Grundstücke 150 Rthlr., von dem zweiten aber 50 Rthlr. angewiesen.

Vertheilung der Gemeinmasse. Was dazu gehöre.

§. 524.

Was hiernächst

II. die Gemeinmasse betrifft, so wird zu dieser ganz übrige Vermögen des Gemeinschuldners, welches nicht nach §. 491. zur Immobiliarmasse gehört; ingleichen der nach vollständiger Befriedigung der Realgläubiger etwa verbleibende Ueberrest der letztern (§. 517.) gerechnet.

Wer daraus zu befriedigen sey.

§. 525.

Aus der Gemeinmasse haben ihre Befriedigung zu fordern:

1) Die Kreditoren der Zweiten Klasse, welche nicht als Realgläubiger anzusehen sind; nämlich:

a) der Fiskus, so weit er sich an die Immobiliarmasse nicht halten, oder daraus nicht befriedigt werden kann (§. 360. 361.);

b) die Begräbnißkosten (§. 362.);

c) die Medicinalkosten (§. 367.);

d) die Forderungen des Gesindes, so weit dasselbe nicht zu den Gutsliedlöhnern gehört (§. 370.);

e) das rückständige Schulgeld (§. 375.);

f) die rückständige privilegirte Assekuranzprämie (§. 384.).

2) Die Kreditoren der Bierten und folgenden Klassen.


(1169) Konkurs.

§. 526.

Wenn zu Bezahlung der eigentlich auf die Immobiliarmasse angewiesenen privilegirten Rückstände der öffentlichen und gemeinen Lasten (§. 356. 357.) in dieser kein bereiter Fonds vorhanden ist, wohl aber dergleichen in der Gemeinmasse sich findet; so müssen zwar diese Forderungen, auf Verlangen der Interessenten, aus letzterer bezahlt; es muß jedoch demnächst dieser Vorschuß der Gemein- aus der Immobiliarmasse wieder vergütet werden.

Von Eigenthums- und Pfandforderungen.

§. 527.

Diejenigen, welche in der Ersten Klasse ihr Eigenthum fordern, ingleichen die in der Zweiten Klasse Z. 377-383. anzusetzenden Pfandglänbiger, sind nicht schuldig, mit ihrer Befriedigung auf irgend eine Distribution zu warten; vielmehr müssen den Eigenthümern die geforderten Sachen oder deren Werth (§. 220.), so bald ihr Eigenthumsrecht durch Anerkenntniß oder rechtskräftiges Urtel feststeht, verabfolgt werden; und die Pfandgläubiger erhalten ihre Befriedigung nach §. 381., so bald ihr Anspruch gleichmäßig feststeht, und das Objekt desselben ins Geld gesetzt ist.

§. 528.

Diese Kreditoren (§. 527.) dürfen daher auch zu den Kommunkosten keine Abzüge leiden, sondern sie tragen lediglich ihre eigenen Kosten.

Anh. §. 370. Bei Berechnung der nach §. 511. dieses Titels aus der Immobiliarmasse zu berichtigenden Kosten ist der Betrag dieser Masse, und bei den nach §. 527. und 528. den Gläubigern der ersten Klasse und den Pfandgläubigern abzuziehenden Kosten der Werth dcr ihnen besonders angewiesenen Objekte zum Grunde zu legen.

Allgemeine Grundsätze.

§. 529.

In Ansehung der zur Gemeinmasse gehörenden Gläubiger (§. 525.) gelten die Grundsätze:

(1170) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

1) daß dieselben zweijährige rückständige Zinsen an eben der Stelle, wo ihr Kapital angesetzt worden ist, erhalten;

2) daß in Ansehung ihrer der Zinsenlauf durch den Konkurs gehemmt wird;

3) daß sie die sämmtlichen Kommunkosten, welche im Vorstehenden nicht zur Immobiliarmasse gewiesen worden, tragen, und sich dieselben von ihren Hebungen verhältnißmäßig (pro rata percepti) in Abzug bringen lassen müssen.

Von Kommunkosten.

§. 530

Unter diesen Kommunkosten sind diejenigen zu verstehen, welche zur Instruktion des Konkursprozesses, zur Siegelung und Inventur, zur Versilberung der Mobiliarmasse, Einklagung und Beitreibung der Aktivkapitalien, Besoldung und Bezahlung des Kurators und Kontradiktors, und Vertheilung der Gemeinmasse selbst verwendet worden sind. Auch gehören dahin die Kosten der von dem Kontradiktor wider einzelne Liquidanten, oder von diesen wider ihn eingewendeten Rechtsmittel, welche den Betrag und die Richtigkeit einer an die Masse liquidirten Forderung betreffen; in so fern dieselben in den ergangenen Urteln kompensirt, oder dem Kontradiktor zur Last gelegt werden. Die Kosten der von einem Gläubiger gegen den andern eingewandten Rechtsmittel gehen die Masse nichts an; sondern sind von dem allein zu tragen, welchem sie in den ergangenen Urteln auferlegt worden.

Anh. §. 371. Wenn es darauf ankommt, zu bestimmen, nach welchen Sportelsätzen die aus der Gemeinmasse zu entrichtenden Kosten angesetzt werden sollen; so dienen die im §. 108. dieses Titels vorgeschriebenen Grundsätze zur Richtschnur.

Anh. §. 372. Besteht die Aktivmasse nur in einem bestimmten Theile einer jährlichen Besoldung, und erreicht das Objekt der Passivmasse die Summe, welche den vollen Satz der Sporteln erheben läßt; so kann gleich im ersten Jahre dieser volle Sportelsatz erhoben


(1171) Konkurs.

werden. Stirbt der Gemeinschuldner, bevor die von seiner Besoldung zur Konkursmasse geflossenen Gelder jene Summe ausmachen, welche die Erhebung der Sporteln nach dem vollen Satze rechtfertigt; so müssen die von der Konkursmasse zu viel bezahlten Sporteln denjenigen Gläubigern, welche nach dem Distributionsplan die Summe der zu viel bezahlten Sporteln würden erhalten haben, nachgezahlt werden.

Ist das Objekt der Passivmasse geringer als die Summe, welche den vollen Satz der Sporteln liquidiren läßt; so sind die Sporteln nur nach dem mindern Betrage dieser Summe unter den obigen Modifikationen zu erheben.

Anh. §. 373. Kosten, welche durch Einklagung eines Aktivi vor Ausbruch des Konkurses aufgelaufen und von den Salarienkassen gestundet sind, gehören nicht zu den Kommunkosten, sondern müssen, nach §. 402. dieses Titels, in die Vierte Klasse locirt werden.

§. 531.

Von den Beiträgen zu diesen Kommunkosten ist der Fiskus allein befreit: also, daß bei Vertheilung derselben seine Hebung ganz übergangen, und die Eintheilung nur auf die übrigen Gläubiger gemacht wird.

Anh. §. 374. Auch die Bank und die Königlichen Salarienkassen sind von den Beiträgen zu den Kommunkosten befreit.

§. 532.

Sind wegen der Hebung des Fiskus besondere Gerichtsgebühren aufgelaufen, so müssen dieselben niedergeschlagen werden.

§. 533.

Ein Gleiches muß, in Ansehung der unter den Kommunkosten begriffenen Gerichtsgebühren, auch in dem besondern Falle geschehen, wenn der Fiskus allein mit seinen Forderungen die ganze Masse hinweg nimmt.

§. 534.

Wenn Fiskus, während des Konkurses, Forderungen durch Cession an sich bringt; so kommt ihm die Befreiung von den Kommunkosten nur vom Tage der erfolgten Cession zu Statten. Frühere Kosten


(1172) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

müssen von ihm mitgetragen werden, und muß er sich deswegen an seinen Cedenten halten.

§. 535.

Alle übrige zur Hebung gelangende Gläubiger, auch Soldaten, und die das Armenrecht erlangt haben, können von den Kommunkosten nur mit Bewilligung sämmtlicher übrigen Interessenten, welche alsdann ihren Beitrag übernehmen müssen, befreit werden.

§. 536.

Sollte sich der Fall ereignen, daß die Gemeinmasse zur Tragung der nach obigen Vorschriften ihr zur Last fallenden Kommunkosten ganz oder zum Theil nicht hinreichte; so muß der Ausfall aus der Immobiliarmasse getragen; bei dieser aber vorweg, so daß er dem letzten Percipieuten entgeht, abgezogen werden.

Von der Distribution selbst.

§. 537.

Was nun die Vertheilung der Gemeinmasse selbst betrifft, so ist dabei die vorläufige von der endlichen oder Finaldistribution, und in Ansehung beider der Fall, wenn ein Grundstück zur Masse gehört, von dem, wenn dergleichen Grundstück nicht vorhanden ist, zu unterscheiden.

Wenn kein Grundstück zur Masse gehört.

1) Vorläufige Vertheilung.

§. 538.

In dem ersten Falle,

A) wenn kein Grundstück zur Masse gehört, können die Kreditoren der Zweiten Klasse sogleich nach publicirtem Klassifikationsurtel verlangen, daß die bis dahin ausgemittelte und herbei geschaffte Masse, so weit dieselbe erforderlich ist und hinreicht, vorläufig unter sie vertheilt werde. Sollte von einem der Mitgläubiger darüber, daß er nicht in die zweite, sondern in eine niedrigere Klasse gesezt worden, appellirt seyn; so macht doch dieses in der vorlaufigen Vertheilung keinen Unterschied; indem, wenn die Gemeinmasse durch die unstreitigen Kreditoren der Zweiten Klasse nicht erschöpft wird, oder


(1173) Konkurs.

noch einen hinlänglichen Zuwachs mit Sicherheit zu hoffen hat, der Appellant auf jeden Fall gedeckt ist; wenn aber weder das eine noch das andere eintritt, von der bereiten Masse so viel, als zu seiner Befriedigung erforderlich seyn würde, bis zum Austrage der Sache im Deposito zurück behalten werden kann und muß.

§. 539.

Um die vorläufige Vertheilung zu bewirken, muß zuvörderst durch einen Kalkulator, mit Zuziehung des Kurators, und unter Direktion des Gerichtsdeputirten, aus den Rechnungen und Akten ausgemittelt werden: wie viel die bis dahin wirklich eingegangene Aktivmasse betrage.

§. 540.

Auf gleiche Art muß ferner der Betrag der bisher aufgelaufenen, und entweder schon bezahlten, oder noch zu bezahlenden Kommunkosten ausgemittelt werden.

§. 541.

Alsdann wird ein Plan entworfen: wie die vorhandene Masse unter die Gläubiger der Zweiten Klasse nach der im Klassifikationsurtel festgesetzten Ordnung zu vertheilen sey.

§. 542. Bei dieser Vertheilung wird einem jeden Gläubiger, welcher etwas aus dieser Masse erhebt, sein Beitrag zu den berechneten Kosten, nach Verhältniß seiner Hebung, unter Vorbehalt der künftig bei der Finaldistribution erfolgenden Vergütung des zu viel Beigetragenen, abgezogen.

§. 543. Findet sich bei der Anfertigung dieses Distributionsplans, daß die eine oder die andere zur Zweiten Klasse gehörende Post entweder noch nicht liquid, oder ihre Priorität noch streitig sey; so muß, im letzten Falle des §. 538., ihr Percipiendum, nach der


(1174) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Angabe des Liquidanten, mit berechnet, selbiges aber so lange im Deposito zurück behalten werden, bis der Streit rechtskräftig entschieden ist. Aus dieser Entscheidung ergiebt sich sodann von selbst: ob der Liquidant das zurück behaltene Quantum erhalten könne, oder ob dasselbe ganz oder zum Theil der Masse wieder zuwachse.

§. 544.

Bleibt von der zu vertheilenden bereiten Masse, nach Bezahlung der Gläubiger aus der Zweiten Klasse, noch etwas übrig; so wird dasselbe im Deposito zurück behalten, und bis zur nächsten Theilung aufbewahrt.

§. 545.

Langt hingegen die bereite Masse zur vollständigen Befriedigung des letzten Percipienten nicht hin, so kann sich dieser doch nicht weigern, Stückzahlung anzunehmen, und mit dem Reste seiner Forderung die nächste Vertheilung abzuwarten.

§. 546.

Wenn hiernach der Plan der vorläufigen Distribution entworfen worden, so wird damit ferner nach der Vorschrift §. 507. 508. verfahren.

§. 547.

Wenn der Konkurs wegen besonderer, bei Ausmittelung der Aktiv- oder Passivmasse vorkommender Umstände, sich in die Länge zieht; so können mehrere dergleichen vorläufige Distributionen, je nachdem die Aktivmasse einen neuen Zuwachs erhält, oder die zu Einer an der Hebung stehenden Klasse gehörenden Forderungen, in Ansehung der Richtigkeit und Priorität, rechtskräftig geworden sind, angelegt werden.

2) Finaldistribution.

§. 548.

Die Finaldistribution hingegen erfolgt in diesem Falle, wenn das Klassifikationserkenntniß wenigstens in Ansehung der Priorität der Gläubiger rechtskräftig,


(1175) Konkurs.

das Mobiliarvermögen versteigert, die Handlung, in so fern dergleichen vorhanden, völlig abgeschlossen, und die liquiden Aktiva eingezogen, oder doch bis zur sichern Zahlung ausgemittelt worden sind; wenn auch gleich noch das eine oder das andere illiquide Kapital, oder einige einzelne Effekten, wegen ihrer besondern Eigenschaft, z. B. rare Schiidereien (?) wegen Mangels an Kennern und Liebhabern, unverkauft geblieben wären.

§. 549. Alsdann wird die noch zu vertheilende Masse, nach Vorschrift §.539., ausgemittelt, und eben so werden die, seit der letzten vorläufigen Distribution, ferner angewachsenen Kommunkosten festgesetzt; sodann aber der Vertheilungsplan entworfen.

§. 550.

In diesem Plane werden die seit der vorigen Distribution aufgelaufenen Kommunkosten unter die gegenwärtig zur Hebung kommenden Kreditoren allein vertheilt. Hiernächst wird berechnet: wie viel diese Kreditoren, nach Verhältniß der ganzen Masse, mit Inbegriff der schon vorhin distribuirten Theile derselben, und nach Proportion ihrer Hebungen, zu den seit der Eröffnung des Konkurses erwachsenen, in den vorläufigen Distributionen schon berechneten Kosten beizutragen haben. Da nun diese ersten Kommunkosten, nach Maaßgabe §. 542., den bei den vorläufigen Vertheilungen zur Hebung gekommenen Gläubigern vollständig abgezogen worden; so muß diesen Letzteren nunmehr so viel zurück gezahlt werden, als nach obiger bei der Finaldistribution angelegten Berechnung, die bei dieser Finaldistribution zur Hebung gelangenden Gläubiger zu sothanen ersten Kommunkosten beizutragen, und sich kürzen zu lassen, verbunden sind.

§. 551.

Die Ordnung des Klassifikationsurtels bestimmt auch die Art der Anweisung im Distributionsplane.


(1176) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Es müssen nämlich die zuerst stehenden Gläubiger auf die im Deposito befindlichen baaren Gelder, so weit sie hinreichen; die folgenden aber auf die noch ausstehenden liquiden und sicheren Aktiva, und zwar, wenn diese zu verschiedenen Zeiten oder in verschiedenen Terminen fällig sind, die vorstehenden Posten auf die nächst fälligen, die übrigen aber auf die weiteren Termine, nach der Zeitfolge, angewiesen werden.

Anh. §. 375. Da der vorzüglichere Werth eines Aktivi vor dem andern und einer Sache vor der andern öfters von dem bessern Gebrauche abhängt, den ein Gläubiger davon machen kann; so ist, wenn im Konkurse darüber Zweifel entstehen:

„welche von den Aktivis der Depositalmasse, oder den „andern „Aktivis und Effekten die zuerst stehenden „Gläubiger zu ihrer Befriedigung vorziehen wollen," die Vernehmung der Kreditoren vor Anlegung des Distributionsplans zu verfügen, und ihnen dabei die Auswahl zu uberlassen (!).

§. 552.

Sind noch illiquide Aktiva vorhanden, worunter auch die dem Kurator bei seinen Rechnungen gezogenen und einer nähern Erörterung noch bedürfenden Defekte gehören; so werden selbige den bei der liquiden Masse leer ausgehenden Gläubigern, nach der Folgeordnung, und der Proportion ihrer Forderungen, angewiesen.

§. 553.

Ein Gleiches geschieht mit den etwa noch vorhandenen unverkäuflichen Effekten (§. 548.) nach der Taxe derselben, und zwar noch vor den illiquiden Aktivis.

§. 554.

Den auf die illiquide Masse angewiesenen Gläubigern (§. 552. 553.) darf kein Beitrag zu den Kommunkosten angerechnet werden.

§. 555.

Wenn ein Kapital liquidirt, und im Klassifikationsurtel angesetzt worden, welches noch nicht fällig ist, sondern dessen Erhebung erst von einem


(1177) Konkurs.

gewissen oder ungewissen Tage, oder von einer aufschiebenden Bedingung abhängt; oder wenn Alimente, oder andere dergleichen jährliche Leistungen, welche nicht beständig dauern, liquidirt und klassificirt sind; so muß im Distributionsplane ein proportionirliches Kapital dafür mit berechnet; dieses aber irgendwo sicher untergebracht, und zugleich gehörig bestimmt werden: welche Gläubiger darauf, bei entstehendem Rückfalle, anzuweisen sind.

§. 556.

Eben so muß es gehalten werden, wenn ein Kreditor seine Kapitalsforderung zwar sogleich erhalten kann; dieselbe aber nach einer gewissen Zeit oder bei dem Eintritte einer aufzulösenden Bedingung, wieder zurück geben muß. In diesem Falle kann zwar der Liquidant die Auszahlung des auf ihn kommenden Quanti sofort verlangen; er muß aber denjenigen Gläubigern, welche auf den künftigen Rückfall angewiesen sind, auf ihr Verlangen Sicherheit dafür bestellen.

§. 557.

In beiden Fällen (§. 555. 556.) können die auf den Rückfall angewiesenen Gläubiger bis zu der Zeit, wo dieser Rückfall sich wirklich ereignet, keine Zögerungszinsen fordern, sondern müssen mit den in dem Distributionsplane ihnen ausgesetzten Quantis sich begnügen. Wenn also ein für den Rückfall berechnetes Kapital in der Zwischenzeit Zinsen trägt, welche der wirklich an der Hebung stehende Liquidant zu erhalten nicht berechtigt ist; so wachsen dieselben dem Kapitale zu. Auf vorbedungene Zinsen, die vermöge §. 560. vom Tage der Distribution wiederum zu laufen anfangen, kann zwar bei der Distributionsberechnung selbst keine Rücksicht genommen werden; doch bleiben dem Gläubiger seine Rechte deßhalb, sowohl gegen den Gemeinschuldner, als auf die etwa


(1178) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

sonst noch vorhandene, und z. B. aus dem Zinsenanwachse entstandene Masse vorbehalten.

§. 558.

Der nach diesen Grundsätzen (§. 549-557.) entworfene Distributionsplan wird den sämmtlichen, in Person oder durch Bevollmächtigte, anwesenden Gläubigern durch einen Umlauf kommunicirt; ein Termin vor den Deputirten des Gerichts zu ihrer Erklärung darüber anberaumt; und wenn in diesem Termine der Plan von den Gläubigern anerkannt, oder nach ihren etwanigen gegründeten Erinnerungen berichtigt worden ist: so wird alsdann ein ordentliches Distributionsurtel abgefaßt, und den Gläubigern publicirt.

§. 559.

Gegen dergleichen Erkenntniß stehen einem jeden Gläubiger, welcher sich dadurch verkürzt hält, die gewöhnlichen nach der Vorschrift des zweiten Abschnitts zu instruirenden Rechtsmittel offen. Wenn aber ein Gläubiger dabei unterliegt, und durch die Einwendung solcher Rechtsmittel andere Gläubiger an der Hebung der ihnen zuerkannten Gelder verhindert hat; so bleibt Letzteren, wegen der für die Zwischenzeit entbehrten Zinsen, der Regreß an den unterliegenden Gläubiger vorbehalten.

§. 560.

Durch dergleichen Distributionsurtel wird der Konkurs geendigt, und der bisherige Kurator seines Amts entlassen. Jeder auf ausstehende liquide Aktiva angewiesene Gläubiger (§. 551.) muß für die Einziehung der ihm ausgesetzten Summe zur Verfallzeit selbst sorgen, und erhält dagegen auch die Zinsen vom Tage der Distribution, in so fern das angewiesene Aktivum selbst Zinsen trägt. Gläubiger, welche auf illiquide Aktiva, oder unverkäufliche Mobilien angewiesen sind, müssen deren resp. Herbeischaffung und Versilberung, auf gemeinschaftliche


(1179) Konkurs.

Kosten, und allenfalls durch einen gemeinschaftlichen Bevollmächtigten, ferner betreiben. Auch in Ansehung ihrer nimmt, in so fern ihre Forderungen an sich zinsbar sind, der Lauf dieser Zinsen vom Tage des Distributionsurtels wiederum seinen Anfang.

B. Wenn Grundstücke zur Masse gehören.

§. 561.

Was hiernächst den Zweiten Fall betrifft (§. 537.),

B. wenn ein Grundstück zur Konkursmasse gehört; so findet bei dem Verfahren in Vertheilung der Gemeinmasse wiederum ein Unterschied Statt, je nachdem das Grundstück entweder an sich verkäuflich ist, und in den gewöhnlichen Subhastationsfristen an Mann gebracht werden kann; oder wenn dasselbe seiner Qualität nach unveräußerlich ist; oder endlich, wenn zwar die Eigenschaft des Grundstücks seiner Veräußerung nicht im Wege steht, selbiges aber, wegen Mangels an Käufern, nicht veräußert werden kann.

1) Wenn das Grundstück verkäuflich ist.

§. 562.

In dem Ersten Falle:

wenn nämlich das zur Masse gehörende Grundstück an sich verkäuflich ist, und in den gewöhnlichen Subhastationsfristen an Mann gebracht werden kann, finden sowohl wegen der ersten, unter die Kreditoren der Zweiten Klasse anzulegenden, als wegen der folgenden vorläufigen Distributionen, die Vorschriften §. 537-547. Anwendung; doch können dergleichen vorläufige Distributionen in diesem Falle nicht über die Fünfte Klasse hinaus erstreckt werden.

§. 563.

Die Finaldistribution hingegen erfolgt, so bald das Adjudikationsurtel des Grundstücks publicirt ist, wenn auch gleich die Kaufgelder noch nicht eingezahlt, oder das eine oder das andere illiquide Aktivum noch beizutreiben wäre.


(1180) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

§. 564.

Alsdann wird zuvörderst die Immobiliarmasse, nach Vorschrift §. 491. u. f., unter die dazu gehörenden Gläubiger vertheilt; und wenn dadurch ausgemittelt worden ist; ob und was davon nach §. 517. noch zur Gemeinmasse fließe, oder welche eingetragene Gläubiger, weil sie bei der Immobiliarmasse ausgefallen sind, ihre Befriedigung aus der Gemeinmasse in der Sechsten Klasse zu fordern haben; so wird alsdann mit Vertheilung dieser letztern verfahren.

§. 565.

Dabei finden überall die Vorschriften §. 549-560. Anwendung.

§. 566.

Wenn mehrere verkäufliche Immobilien zum Konkurs gehören, (in?) kann die Finaldistribution nicht eher, als bis sie sämmtlich veräußert sind, angelegt werden.

2) Wenn das Grundstück an sich unverkäuflich ist.

§. 567.

Was den Zweiten §. 561. gesetzten Fall betrifft, wenn nämlich das zur Masse gehörige Grundstück an sich, z. B. wegen seiner Lehns- oder Fideikommiß-Eigenschaft, unveräußerlich ist; so wird hier wiederum ein Unterschied gemacht: ob Realgläubiger vorhanden sind, welche auf eine nach der Natur des Grundstücks gesetzlich zugelassene Art die Eintragung auf dasselbe, und also ein wirklich dingliches Recht auf die Nutzungen erhalten haben; oder ob lauter bloß persönliche Gläubiger vorhanden sind.

§. 568.

Die gesetzlich eingetragenen Gläubiger genießen auch hier das Recht, daß sie ihre Zinsen, während des Konkurses, aus den Revenüen des Grundstücks, so weit diese hinreichen, erhalten müssen; und ihre Befriedigung für die Kapitalien, aus eben diesen Revenüen, in der Dritten Klasse verlangen können.


(1181) Konkurs.

§. 569.

Es muß also auch in diesem Falle die Immobiliar- von der Gemeinmasse abgesondert, und die in erstere eingehenden Gutsrevenüen müssen, auch noch vor Publikation des Klassifikationsurtels, unter die Realgläubiger, auf ihre kurrenten Zinsen, so weit sie dazu erforderlich sind, vertheilt werden.

§. 570.

Wenn das Klassifikationserkenntniß publicirt ist, so wird mit Vertheilung der Immobiliarmasse dergestalt verfahren, daß die in derselben etwa vorhandenen, zu den kurrenten Zinsen nicht erforderlich gewesenen Bestände, den zur Immobiliarmasse gehörenden Gläubigern, nach Ordnung der Priorität, so weit sie hinreichen, angewiesen und verabfolgt werden.

§. 571.

In Ansehung der Gemeinmasse finden, wegen der vorläufigen Distribution unter die Kreditoren der Zweiten Klasse, gleich nach publicirtem Klassifikationsurtel, und demnächst wegen der Finaldistribution, die Vorschriften §. 538-560. Anwendung.

§. 572.

Diejenigen Personalgläubiger, welche bei der Finaldistribution der Gemeinmasse leer ausgehen, werden ebenfalls auf die Revenüen des Grundstücks angewiesen; in so fern nämlich überhaupt, und in so lange dergleichen Personalgläubiger des Gemeinschuldners an die Nutzungen des von ihm besessenen Lehns- oder Fideikommisses, nach allgemeinen gesetzlichen Vorschriften, sich halten können.

§. 573.

Wenn in einem solchen Falle, außer den Revenüen des Grundstücks, auch noch eine illiquide Gemeinmasse vorhanden ist, und die Frage entsteht: ob die bei der bereiten Gemeinmasse leer ausgehenden Kreditoren, nach der Ordnung ihrer Priorität, zuerst auf diese, oder in das Grundstück, und auf dessen


(1182) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

künftige Revenüen angewiesen werden sollen; so muß der Richter diese Frage, so viel möglich, durch gütliches Uebereinkommen unter den Gläubigern reguliren, oder nach vernünftigem Ermessen in dem Distributionserkenntnisse entscheiden. Dieß Ermessen wird nach dem mehrern oder mindern Grade von Wahrscheinlichkeit bestimmt: daß die illiquide Masse herbei zu schaffen sey; oder daß die in das Grundstück anzuweisenden Gläubiger bei demselben zur wirklichen Hebung gelangen werden.

§. 574.

Wenn das Realrecht eines eingetragenen Gläubigers auf einen gewissen Zeitraum dergestalt eingeschränkt ist, daß es mit Ablauf desselben ganz erlöscht; so muß darauf, bei Bestimmung der ihm zu ertheilenden vorzüglichen Anweisung, gehörige Rücksicht genommen, und er, so weit er dennoch durch diese nicht befriedigt werden kann, unter die Personalgläubiger verwiesen werden, wo er seine Stelle nach der übrigen von der Eintragung unabhängigen Qualität seiner Forderung erhält, und unter den andern Personalgläubigern, nach Bewandtniß der Umstände, und Vorschrift des §. 572., wiederum angewiesen werden kann.

§. 575.

Wenn keine auf das Grundstück eingetragene Gläubiger vorhanden sind (§. 567.), so wachsen die Revenüen desselben, welche bis zur Publikation des Klassifikationsurtels einkommen, der Gemeinmasse zu; übrigens aber wird mit Vertheilung dieser letztern, und mit Anweisung der bei der bereiten Masse leer ausgehenden Personalgläubiger in das Grundstück, nach der Vorschrift §. 571-573. verfahren.

§. 576.

Nach diesen Grundsätzen (§. 567. u. f.) wird eine Berechnung angelegt: welche Gläubiger, mit welchen Summen, und in welcher Ordnung ein


(1183) Konkurs.

jeder aus den Einkünften des Grundstücks seine Befriedigung nach und nach zu erwarten habe. Dabei versteht es sich von selbst, daß den wirklichen Realgläubigern die laufenden Zinsen ihrer Forderungen, nach wie vor, aus den Gutseinkünsten erst berichtigt werden müssen, ehe davon etwas zur successiven Befriedigung der Kapitalsposten verwendet werden kann; und daß hingegen bei den Personalgläubigern, da in dem hier vorliegenden Falle eine Finaldistribution nicht möglich ist, der Zinsenlauf nach wie vor gehemmt bleibe; mithin, wenn solche Gläubiger zur Hebung kommen, das wirklich Empfangene ihnen auf das Kapital und die rückständigen privilegirten Zinsen anzurechnen sey.

§. 577.

Es wird also bei den Realgläubigern berechnet, was sie, außer den kurrenten Zinsen, zu fordern haben,

a) an rückständigen Zinsen während des Konkurses;

b) an rückständigen privilegirten Zinsen vor eröffnetem Konkurse;

c) an Kapital;

und nach dieser Ordnung werden ihnen die, über ihre kurrenten Zinsen, aus den Einkünften erhaltenen Zahlungen in der Folge angerechnet. Bei den Personalgläubigern hingegen werden Kapital und rückständige privilegirte Zinsen zusammen geschlagen.

§. 578.

Uebrigens hängt es von dem Uebereinkommen der auf die Einkünfte angewiesenen Gläubiger ab:

in wie fern sie sich nach der Ordnung des entworfenen Plans, auf den Grund eines aufgenommenen Ertragsanschlags, und darnach angelegter Berechnung, successive auf Gewinn oder Verlust, ohne Rechnungslegung, wollen immittiren lassen;


(1184) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

oder:

ob sie sich über einen gemeinschaftlichen Bevollmächtigten vereinigen wollen, der die Administration des Grundstücks ohne weitere Beimischung des Gerichts führe, die Revenüen erhebe, und dieselben nach dem feststehenden Plane vertheile;

oder:

ob die Administration nach wie vor unter gerichtlicher Aufsicht fortgesetzt, und die Zahlung der eingekommenen Revenüen, nach dem feststehenden Plane, aus dem gerichtlichen Deposito geleistet werden solle. Letzteres muß geschehen, so bald nicht alle Gläubiger über ein anderes Auskunftsmittel sich vereinigen können.

§. 579.

Diese Administration dauert so lange fort, bis entweder sämmtliche angewiesene Posten bezahlt sind, oder bis ein Fall eintritt, wo das Recht der Gläubiger, sich an die Einkünfte des Grundstücks zu halten, gänzlich aufhört.

§. 580.

Sollte nach Befriedigung aller in dem Plane angesetzten Posten das Recht der Personalgläubiger, sich an die Einkünfte des Grundstücks zu halten, noch fortdauern; so können sie daraus die Nachzahlung der bis dahin entbehrten kurrenten Zinsen fordern.

3) Wenn das Grundstück zwar verkäuflich, aber nicht an Mann zubringen ist.

§. 581.

In dem dritten §. 561. gesetzten Falle:

wenn nämlich das zum Konkurs gehörende Grundstück zwar an sich veräußerlich ist, aber innerhalb der gewöhnlichen Subhastationsfristen nicht wirklich veräußert werden kann,

kommt es hinwiederum darauf an: ob der Grund, warum ein solches Immobile noch nicht verkauft werden kann, darin liege, weil die Gläubiger selbst auf die Subhastation noch nicht antragen wollen; oder darin


(1185) Konkurs.

darin, daß sich zu demselben, bei der wirklich erfolgten Subhastation, noch kein annehmlicher Käufer gefunden hat.

§. 582.

Liegt die Ursache der noch nicht erfolgten Veräußerung in dem freien Entschlusse der Gläubiger, welche wegen obwaltender temporeller Umstände, weil z. B. das Gut in einen weitläufigen Grenz- oder Dienstbarkeitsprozeß verwickelt ist, oder in einer Gemeinheitstheilung steht, oder weil über das Eigenthum oder die Qualität desselben gestritten wird, die Subhastation annoch zu verschieben für gut finden; so muß auch die Distribution so lange ausgesetzt werden, bis das Hinderniß gehoben, und das Gut wirklich verkauft worden ist. Bis dahin dauert also auch der Konkurs und die Administration fort, und es wird mit der Vertheilung der inzwischen einkommenden Revenüen unter die Realgläubiger, nach obigen Vorschriften, verfahren.

§. 583.

Kann aber das zum Konkurs gehörige Grundstück aus Mangel an Kauflustigen nicht veräußert werden, so steht den Gläubigern frei, nach fruchtlos verlaufenem Subhastationstermine, auf Distribution der Masse, und auf Anweisung in die Einkünfte des Grundstücks anzutragen. Einem solchen Antrage muß Statt gegeben werden, wenn er auch nur von einem einzelnen Kreditor, er sey ein Real- oder bloßer Personalgläubiger, angebracht worden. So lange hingegen dieses nicht geschieht, wird die Ausbietung des Grundstücks, und in der Zwischenzeit die gemeinschaftliche Verwaltung desselben, fortgesetzt.

§. 584.

So bald aber auf Anweisung in das Grundstück angetragen worden ist, muß mit Vertheilung der übrigen Masse, nach Vorschrift §. 558-560., und mit Regulirung der Anweisung auf eben die Art,

 


(1186) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

wie bei einem seiner Natur nach unveräußerlichen Grundstücke, verfahren werden.

§. 585.

Doch hängt es in dem gegenwärtigen Falle, wenn nämlich das Grundstück seiner Natur nach veräußerlich ist, von jedem Gläubiger ab, auch nach regulirter Anweisung, auf Wiederholung der Subhastation anzutragen.

§. 586.

Der Extrahent muß aber die Kosten dieser wiederholten Subhastation vorschießen, und kann dafür, wenn sie fruchtlos ist, von niemanden Ersatz fordern.

§. 587.

Erfolgt hingegen auf die wiederholte Subhastation ein wirklicher Zuschlag, so wird mit der Distribution des Kaufgeldes, wie gewöhnlich, verfahren; wobei sich von selbst versteht, daß dasjenige, was in der Zwischenzeit der eine oder der andere Gläubiger ans den Revenüen über die kurrenten Zinsen erhalten hat, demselben in Abzug gebracht werden müsse.

Sechster Abschnitt.

Vom Versuche der Sühne in Konkursen.

§. 588.

Bisher ist von dem Verfahren bei der rechtlichen Instruktion der Konkurse, sowohl bei Konstituirung der Aktiv- und Passivmasse, als bei Vertheilung derselben, gehandelt worden. Da aber in dieser Art von Prozessen, so wenig als in andern, der Versuch der Sühne gänzlich ausgeschlossen werden kann; so soll im gegenwärtigen Abschnitte bestimmt werden: in wie fern derselbe Statt finde, und wie dabei zu verfahren sey.


(1187) Konkurs.

Grundsätze.

§. 589.

Daß auf Vergleichsvorschläge des Gemeinschuldners, welche bloß sein eigenes Interesse zur Absicht haben, und die Gläubiger zu Remissionen an ihren rechtmäßigen Forderungen vermögen sollen, damit der Schuldner auf ihre Kosten seine verfallenen Umstände wieder herstellen könne, keine Rücksicht genommen; der Lauf der Sache, und die Hülfsvollstreckung gegen den Schuldner, dadurch nicht aufgehalten, noch selbst der mindere Theil der Gläubiger durch den größern, solchen Vergleichsvorschlägen beizutreten, gezwungen werden solle, ist im vorigen Titel verordnet.

§. 590.

Es können aber auch Fälle vorkommen, wo ein Dritter, er sey selbst ein Mitgläubiger, oder nicht, sich für den Gemeinschuldner, und zum Besten desselben, ins Mittel schlägt, und den Gläubigern Vergleichsvorschläge macht, durch welche der Konkurs aufgehoben, oder doch abgekürzt, und ihnen zu ihrer Befriedigung, in so fern sie selbige nach Beschaffenheit der Aktivmasse zu hoffen haben, früher, und mit geringeren Weitläufigkeiten und Kosten, verholfen werden soll. In Fällen dieser Art erfordert das eigene Interesse der Gläubiger, daß auf dergleichen Behandlungsvorschläge Rücksicht genommen werde.

§. 591.

Es müssen jedoch dieselben, wenn der Richter darauf achten soll,

1) mit gehöriger Rücksicht auf die Beschaffenheit und den wahrscheinlichen Betrag der Aktivmasse eingerichtet seyn;

2) sie müssen mit den Forderungen der Gläubiger, und den verschiedenen Graden der Priorität, welche denselben nach ihrer Qualität von den


(1188) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Gesetzen bestimmt werden, im Verhältnisse stehen;

3) es muß klar, oder wenigstens höchst wahrscheinlich seyn, daß die Gläubiger auf diesem Wege des Vergleichs zu ihrer Bezahlung leichter und früher gelangen werden, als wenn die Sache im Wege des Konkurses weiter fortgesetzt werden sollte

§. 592.

Wenn der größere Theil der Gläubiger die Vergleichsvorschläge nach diesen Grundsätzen eingerichtet findet, und sie daher annehmen will; so soll der mindere Theil denselben beizutreten schuldig seyn: weil nicht gestattet werden kann, daß einige wenige Gläubiger, durch ihren auf bloßen Eigensinn, Unverstand oder unerlaubte Nebenabsichten gegründeten Widerspruch, den übrigen Nachtheil zufügen, und sie nöthigen sollten, ihre Befriedigung, die sie durch den angebotenen Vergleich erhalten können, erst auf den Ausschlag eines weitläufigen und kostbaren Konkursprozesses ankommen zu lassen.

§. 593.

Durch eine solche Behandlung verlieren die Gläubiger ihr Recht, wegen des Ausfalls, an den Gemeinschuldner in der Regel noch nicht; sondern sie können dasselbe, wenn Letzterer wieder zu besseren Vermögensumständen gelangt, allerdings geltend machen.

§. 594.

Wenn jedoch derjenige, welcher den Vergleich vorschlägt, die Entsagung auf alle fernere Ansprüche an den Gemeinschuldner zu einer ausdrücklichen Bedingung desselben macht, und der größere Theil der Gläubiger den Vergleich unter dieser Bedingung annimmt; so muß auch der mindere Theil eben dieselbe sich gefallen lassen.


(1189) Konkurs.

Anh. §. 376. Von unbekannten Gläubigern kann keine Notiz genommen werden. Bekannte Gläubiger werden unter der gesetzlichen Verwarnung vorgeladen, und wenn sie dann ausbleiben, ohne sich zu erklären, so werden sie für beitretend geachtet. Auf Kreditoren dieser Art, so wie auf diejenigen, welche zwar auf eine Theilnahme an der Masse Verzicht leisten, sich aber doch ihre Ansprüche an den Gemeinschuldner vorbehalten wollen, muss eben sowohl, als auf diejenigen, welche die Annahme des Vergleichs ausdrücklich verweigern, die Repartition mit gerichtet, und wenn sie ihre Antheile nicht annehmen wollen, dieselben auf ihre Gefahr und Kosten zum Depositorio eingezahlt werden.

§. 595.

Kann jedoch dieser mindere widersprechende Theil einen andern Vermittler stellen, welcher zur gütlichen Beilegung des Konkurses eben so annehmliche Vorschläge, als der erstere, macht, ohne auf der Entsagung der Ansprüche gegen den Gemeinschuldner zu bestehen; so ist diesem vor jenem der Vorzug zu geben.

Verfahren. Vorläufige Verfügung.

§. 596.

Was nun das Verfahren in Behandlungssachen betrifft, so muß der Richter, wenn dergleichen Vorschläge bei ihm eingereicht werden, sich zwar dadurch nicht abhalten lassen, wegen Bestellnug des Kurators, Konvokation der Gläubiger, und Beschlagnehmung der Aktivmasse, das Erforderliche, nach Vorschrift des ersten, zweiten und dritten Abschnitts, zu verfügen; er muß aber zugleich sothane Vorschläge den in Person, oder durch Bevollmächtigte, gegenwärtigen Gläubigern kommuniciren, und einen möglichst nahen Termin anberaumen, in welchem mit Zuziehung derselben regulirt werden solle: wie es sowohl mit der Administration, als mit der Versilberung der Masse, einstweilen, und bis zum anstehenden Liquidationstermine, zu halten sey.

§. 597.

In diesem Termine muß dergleichen Interimistikum, von dem Deputirten des Gerichts, nach den Stimmen des mehrern Theils der erscheinenden Gläubiger


(1190) Prozessordnung. Funfzigster Titel.

regulirt; solchemnach festgesetzt werden: ob z. B. dem Gemeinschuldner die Fortsetzung der Handlung, mit Aufhebung der verhängten gerichtlichen Sperre, unter Aufsicht des Kurators zu überlassen; oder ob bei fortdauernden Beschlage derselben, nur die öffentliche Versteigerung des Waarenlagers auszusetzen; ob die Auktion des Mobiliarvermögens verschoben werden solle; ob zwar die Abschätzung des Grundstücks zu verfügen, der Subhastation selbst aber Anstand zu geben sey, u. s. w.

§. 598.

Zum Behufe der Regulirung eines solchen bloßen Interimistici sind nur die Stimmen der im Termine sich meldenden Gläubiger, nach der Summe der Forderungen, so wie sie von ihnen liquidirt worden, ohne besondere Rücksicht auf die der einen oder der anderen zukommende Priorität, zu berechnen.

§. 599.

Wenn also die Gläubiger sich darüber in Güte darüber nicht vereinigen können, so muß das Interimisticum, auf den Grund des aufgenommenen Protokolls, und der darin angelegten Berechnung, durch eine Resolution des Kollegii festgesetzt, und es dabei bis zum Liquidationstermine lediglich belassen werden.

Entwerfung des Vergleichsplans.

§. 600.

Wenn in diesem Termine sämmtliche Gläubiger, nach der Vorschrift des Zweiten Abschnitts, ihre Forderung angemeldet haben; solchemnach sowohl der Betrag der Schulden, als die Beschaffenheit der Aktivmasse, aus dem von dem Gemeinschuldner übergebenen und eidlich bestärkten Statu bonorum, aus dem inzwischen etwa eingekommenen Inventario; aus der Taxe des Grundstücks u. s. w. näher übersehen werden kann: so muß alsdann der Deputirte des Gerichts sich mit demjenigen, welcher die Vergleichsvorschläge gemacht hat, und mit dem Kurator der Masse zusammen thun; den Vergleichsplan nach der


(1191) Konkurs.

dermaligen Lage der Umstände einzurichten und zu modificiren bedacht seyn; und selbigen in dieser Art sämmtlichen Gläubigern, welche sich gemeldet haben, vorlegen.

Erklärung der Gläubiger.

§. 601.

Zur Erklärung derselben darüber muß ein möglichst naher Termin anberaumt, und in selbigem müssen sämmtliche Gläubiger, Mann für Mann, deshalb vernommen; ihnen dabei die wahre Lage der Sache, und worauf es eigentlich ankomme, gehörig erklärt; die deutliche und bestimmte Deklaration eines jeden von ihnen zum Protokolle vermerkt; und dabei, zur Bewirkung eines vollständigen gütlichen Uebereinkommens, alle mögliche Mühe angewendet werden. Auch zu diesem Termin werden nur die in Person gegenwärtigen Gläubiger, und diejenigen, welche nach Vorschrift §. 97. ordentliche Bevollmächtigte zu den Akten bestellt haben, vorgeladen. Diejenigen, welche diese Vorschrift nicht beobachtet haben, werden so, wie die, welche auf die ergangene Vorladung nicht erscheinen, als beitretend zu dem, was der mehrere Theil der erschienenen Gläubiger erklärt hat, angesehen.

Weitere Eintheilung.

§. 602.

Wenn nun solchergestalt die Erklärungen sämmtlicher Gläubiger abgefordert sind, so ergiebt sich daraus, entweder:

daß sämmtliche Gläubiger die Vergleichsvorschläge annehmen;

oder:

daß sie insgesammt selbige verwerfen;

oder:

daß einige in den Vergleich willigen, andere aber sich darauf nicht einlassen wollen.

1) Wenn die Gläubiger über die Annahme des Vergleichs, oder

§. 603.

Sind sämmtliche Gläubiger in der Annahme der geschehenen Vergleichspropositionen einig;

so muß


(1192) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

der Deputirte ein umständliches Protokoll darüber aufnehmen; alle Modalitäten und Bedingungen des Abkommens, was nach selbigen ein jeder Kreditor, von wem, und woher er es zu erhalten habe, was dagegen mit der in Beschlag genommene Aktivmasse geschehen solle, deutlich und bestimmt ausdrücken; dieß Protokoll von sämmtlichen anwesenden Interessenten unterschreiben lassen; und dasselbe dem Gerichte, zur Bestätigung und weitern Verfügung, einreichen.

§. 604.

Das Gericht muß hierauf, indem es den Vergleich bestätigt, auch das gewöhnliche Präklusionsurtel gegen die im Liquidationstermine nicht erschienenen Gläubiger, der Vorladung gemäß, abfassen und publiciren.

Anh. §. 377. Der Vergleich selbst kann nicht eher als nach rechtskräftig abgefasstem Präklusionsurtel bestätigt werden; es sey denn, daß alle bekannte Gläubiger in die Aufhebung des Konkurses willigten.

2) dessen Verwerfung einig sind, oder

§. 605.

Sind sämmtliche Gläubiger darin einig, daß die geschehenen Vergleichsvorschläge nicht für annehmlich zu achten; so muß die Behandlung abgebrochen, und der Konkurs im Wege Rechtens fortgesetzt und beendigt werden.

3) wenn eine Verschiedenheit der Meinungen eintritt.

§. 606.

Wenn aber einige Gläubiger den Vergleich annehmen, andere hingegen denselben verwerfen; so kommt es auf die Berechnung an, welcher Theil die Pluralität ausmache.

Berechnung der Pluralität.

§. 607.

 Bei dieser Berechnung müssen folgende Principien zum Grunde gelegt werden:

1) Die Pluralität der einwilligenden und widersprechenden Gläubiger wird nicht nach der Personenzahl, sondern nach dem Betrage der von ihnen angegebenen, durch unverdächtige Urkunden, oder durch


(1193) Konkurs.

das Anerkenntniß des Kurators und der übrigen Gläubiger, sofort liquid gemachten Forderungen bestimmt.

2) Den Kapitalien werden rückständige Zinsen nur in so fern beigerechnet, als selbige, nach obigen Vorschriften, mit dem Kapitale gleiche Recht haben.

3) Die Personenzahl entscheidet nur alsdann, wenn die Summe der Forderungen von beiden Seiten gleich ist.

4) Die Berechnung wird für jede der vorhandenen Klassen, in welche die verschiedenen Gläubiger, nach der gegenwärtig liquiden Qualität ihrer Forderungen, der Klassifikationsordnung gemäß, einzutheilen sind, besonders angelegt.

5) Die Pluralität der Forderungen in jeder speciellen Klasse bestimmt das Votum der ganzen Klasse.

6) Eine Klasse kann der anderen durch ihren Widerspruch oder ihre Einwilligung nicht präjudiciren.

§. 608.

Mit gehöriger Rücksicht auf diese Grundsätze wird die Berechnung von dem Deputirten des Gerichts, mit Zuziehung des Kurators und eines vereideten Kalkulators, angelegt.

Verfahren.

§. 609.

Aus selbiger ergiebt sich entweder:

daß in allen Klassen die Pluralität für die Annehmung des Vergleichs;

oder:

daß sie durchgehends für desselben Verwerfung vorhanden sey;

oder:

daß die Vota der Klassen selbst von einander abweichen, und von einigen derselben der Vergleich angenommen, von andern aber verworfen werde.

a. Wenn die Pluralität aller Klaasen für; oder

§. 610.

Ist die durchgängige Pluralität in allen Klassen für die Annahme des Vergleichs, so muß derselbe


(1194) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Statt finden; und kann auf den Widerspruch der Dissentirenden in jeder Klasse nicht weiter geachtet werden.

b. wider den Vergleich ist.

§. 611.

Ist die Pluralität in allen Klassen für die Verwerfung des Vergleichs, so kann die Verhandlung nicht Statt finden, und der Konkurs muß im ordentlichen Wege Rechtens weiter fortgesetzt werden.

c. Wenn die Vota der Klassen verschieden sind.

§. 612.

Sind die Vota der Klassen von einander verschieden, so kommt es darauf an:

ob die Verhandlungsvorschläge von der Beschaffenheit sind, daß der Vergleich nach selbigen mit einer oder etlichen Klassen der Gläubiger besonders abgeschlossen werden kann, ohne daß es des Beitritts der übrigen dazu bedarf;

oder:

ob dergleichen Stückbehandlung, nach Beschaffenheit der Vorschläge, nicht Statt finden kann, sondern der ganze Vergleich entweder angenommen, oder verworfen werden muß.

§. 613.

Sind die Vorschläge von der Beschaffenheit, daß ein Stückvergleich mit einigen Klassen ohne Präjudiz der anderen Statt finden kann; so muß er mit den konsentirenden Klassen abgeschlossen werden, ohne sich an den Widerspruch der Dissentirenden zu kehren; als welche, wenn sie der Behandlung nicht beitreten wollen, die Sache für sich im Wege Rechtens ungehindert fortsetzen können.

Wenn also der Vergleichsvorschlag dahin geht, daß jemand das zur Masse gehörige Grundstück für einen gewissen Preis annehmen will; und dieß Uebernehmungspretium unter die Gläubiger, nach Proportion ihrer Forderungen, vertheilt werden; daß das Mobiliarvermögen ebenfalls für ein Pauschquantum ausgelöset werden, und dessen Repartition unter die


(1195) Konkurs.

übrigen Kreditoren gleichmäßig erfolgen solle: so kann, wenn diejenigen Klassen der Gläubiger, auf welche der Werth des Grundstücks nach der gerichtlichen Taxe hinlangt, nach der Mehrheit der Stimmen in jeder Klasse darin einig sind, daß sie den Vorschlag wegen des Grundstücks annehmen, und sich mit den angebotenen Zahlungen begnügen wollen, der Vergleich mit diesen Klassen abgeschlossen werden; ohne daß es auf den Widerspruch der übrigen, die aus dem Gute bezahlt zu werden keine Hoffnung haben, weiter ankommt. Diese behandelten Klassen der Gläubiger scheiden alsdann aus dem Konkurse gänzlich aus, und das Gut wird dem Uebernehmer zugeschlagen. In Ansehung der übrigen Klassen hingegen, welche den wegen des Mobiliarvermögens gemachten Vorschlags nicht annehmlich finden, wird der Konkurs fortgesezt, und im Wege Rechtens beendigt.

§. 614.

Sind hingegen die Vergleichsvorschläge von der Beschaffenheit, daß sie nicht getrennt werden können, sondern der ganze Vergleich entweder angenommen, oder verworfen werden muß; so kann die Verhandlung nicht Statt finden, wenn auch gleich nur Eine Klasse von Gläubigern ihre Einwilligung darin versagt hätte. Wenn also bei einem in Konkurs verfallenen Kaufmanne die Proposition dahin gemacht würde: daß jemand die ganze Handlung für ein gewisses Pauschquantum übernehmen, und davon den Gläubigern auf ihre Forderungen gewisse Procente bezahlen wolle; so wird der Vergleich rückgängig, auch wenn nur Eine Klasse, z. B. nur die Wechselgläubiger, Die Annahme der offerirten Procente verweigern.

§. 615.

Wenn inzwischen die Beschaffenheit und der Betrag der Aktivmasse schon so weit ausgemittelt ist,


(1196) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

daß mit Zuverlässigkeit erhellet: es werde eine gewisse Klasse von Gläubigern bei derselben niemals zur Hebung gelangen können; so kann diese Klasse den Abschluß des Vergleichs mit den übrigen vorstehenden Gläubigern nicht aufhalten; doch kann sie auch von dieser zu Vergebung ihrer Rechte an den Gemeinschuldner nicht gezwungen werden.

Instruktion der gegen den Vergleichsplan und die Berechnung sich findenden Erinnerungen.

§. 616.

Wenn nun nach vorstehenden Grundsätzen die Berechnung angelegt, und das daraus sich ergebende Resultat: ob und in wie fern der Vergleich Statt finde, oder nicht? festgesetzt worden: so werden beide den Gläubigern, in einem des Endes neu anberaumten Termine, von dem Deputirten des Gerichts vorgelegt, und ihre Erklärungen: ob und was sie dabei noch zu erinnern haben, abgefordert.

§. 617.

Dergleichen Erinnerungen, in so fern sie nicht gegen die formirte Berechnung, sondern nur gegen das vorgedachte Resultat derselben gerichtet sind, können keine Rücksicht verdienen: weil dieß Resultat auf gesetzlichen Vorschriften beruhet, und also durch den Widerspruch der Interessenten niemals abgeändert werden kann.

§. 618.

Sind aber die Erinnerungen der Gläubiger gegen die bei der Berechnung angenommenen Sätze gerichtet, so können dabei vier Fälle vorkommen:

1) wenn ein solcher Gläubiger behauptet, daß seine Forderung ein höheres Quantum betrage, als bei der Berechnung angenommen worden; oder:

2) daß sie in eine höhere Klasse gehöre, als wohin sie bei der Berechnung gesetzt worden; oder:

3)daß ein anderer Gläubiger mit einer höhern Summe, als er wirklich zu fordern habe; oder:


(1197) Konkurs:

4) daß derselbe in einer höhern Klasse, als ihm nach der Qualität der Forderung gebühre, angesetzt worden.

§. 619.

In allen diesen Fällen muß der Deputirte des Gerichts alle Mühe anwenden, dergleichen einzelne, über die Richtigkeit und Priorität ihrer Forderungen unter einander streitende Gläubiger, mit Zuziehung der Extrahenten der Behandlung, in Güte, und durch Partikulairvergleiche zu vereinen. Des Extrahenten Sache ist es dabei vorzüglich, Mittel und Wege zur Beruhigung solcher einzelnen widersprechenden Gläubiger vorzuschlagen, und an die Hand zu geben.

§. 620.

Da während der Behandlungstraftaten die Instruktion der speciellen Forderungen zum Erkenntnisse ununterbrochen fortgesetzt werden muß; und dadurch den Abschluß derselben die nach §. 618. aufgeworfenen Streitfragen, über die Richtigkeit und das Vorzugsrecht dieser oder jener einzelnen Forderungen, der Regel nach, vollständig auseinander und ins Licht gesetzt werden müssen: so liegt dem Deputirten des Gerichts ob, in dem nach §. 140. anberaumten Inrotulationstermine einen nochmaligen Versuch zu machen: ob dergleichen specielle Streitigkeiten, nach nunmehr völlig entwickelter Lage der Sache, annoch gütlich beigelegt, und solchergestalt der Hauptvergleich zu Stande gebracht werden könne.

Erkenntniß.

§. 621.

Ist auch diese Bemühung fruchtlos, so werden die Akten, ohne weiteren Aufenthalt, zur Abschaffung des Klassifikationsurtels vorgelegt. Der Richter, welcher in diesem Urtel über die Liquidität und Priorität aller einzelnen Forderungen erkennt, entscheidet eben dadurch zugleich den nach §. 618. wegen solcher einzelnen Posten, in Beziehung auf den Vergleich,


(1198) Prozeßornung. Funfzigster Titel.

entstandenen Streit. Er setzt also am Schlusse des Erkenntnisses, als eine Folgerung aus diesen Prämissen, fest: in wie fern der vorgeschlagene Hauptvergleich Statt finden oder verworfen werden müsse.

Remedia.

§. 622.

So wie gegen dieß Klassifikationsurtel überhaupt die gewöhnlichen Rechtsmittel Statt finden, so sind dieselben auch gegen die Festsetzungen über die bei dem Vergleiche streitig gewordenen Punkte, mithin auch gegen die wegen der Statt- oder Unstatthaftigkeit des Vergleichs selbst gezogene Folgerung, zulässig.

§. 623.

Die Aktivmasse bleibt inzwischen, während der Traktaten, des Erkenntnisses, und der Verhandlungen der folgenden Instanzen, in derjenigen Lage, worin sie durch das nach §. 597. u. f. regulirte Interimistikum gesetzt worden; in so fern nicht etwa die Kreditoren in der Zwischenzeit einmüthig, oder durch Stimmenmehrheit, in dem einen oder dem andern Stücke etwas abzuändern befunden haben.

§. 624.

Wird hiernächst der Vergleich rechtskräftig bestätigt, so erfolgt die weitere Regulirung der Sache nach den darin festgesetzten Bestimmungen. Wird aber der Vergleich rechtskräftig verworfen, so muß mit Versilberung und Distribution der Aktivmasse, nach den Vorschriften des dritten und fünften Abschnitts, unverzüglich weiter verfahren werden.

Behandlungen durch die Kreditdirektionen.

§. 625.

Da es sehr oft geschieht, daß in Provinzen, wo Kreditsysteme zur Erhaltung des angesessenen Adels errichtet sind, durch diese den Gläubigern eines verschuldeten adlichen Gutbesitzers Vorschläge zur Vermeidung oder Aufhebung des Konkursprozesses über denselben gemacht werden; so ist dabei folgendes Verfahren zu beobachten.


(1199) Konkurs.

§. 626.

Der Vertrieb der Sache, von Seiten des die Verhandlung vorschlagenden Kreditsystems, gehört alsdann für den Syndikus desselben, welcher vermöge der dazu von der Direktion erhaltenen Anweisung, ohne daß es einer weitern Vollmacht bedarf, die Vorschläge bei dem Richter einreicht, und an welchem alle, während der Instruktion des Behandlungsverfahrens gerichtet werden.

§. 627.

Zu dem nach §. 600. anzusetzenden Termine hingegen wird ein Deputirer des Kreditsystems zugezogen, welcher über die gemachten Vorschläge die etwa nöthigen Erläuterungen und Auskünfte giebt; den Vergleichsplan näher ausarbeiten und modificiren hilft; und nach §. 619. schickliche Mittel und Wege, zur Vereinbarung und Beruhigung der einzelnen widersprechenden Gläubiger, an die Hand zu geben sucht. Dieser Deputirte ist aber nicht als Partei, sondern als Gehülfe des Gerichtsdeputirten anzusehen; und wenn erkannt werden muß, so wird das Erkenntniß, wie gewöhnlich, nur zwischen den einwilligenden und widersprechenden Gläubigern abgefaßt.

§. 628.

Für die Verhandlungen des Gerichts mit dem Kreditsysteme, und dessen Syndiko, dürfen keine Gebühren oder Sporteln angesetzt werden.

§. 629.

Uebrigens kann ein in Konkurs gerathenes adliches Gut zwar auch noch während des Konkurses mit Pfandbriefen belegt werden; doch kann dieses nicht eher geschehen, als bis das Klassifikationsurtel wenigstens so weit, als die Summe der zu ertheilenden Pfandbriefe reicht, rechtskräftig ist. Alsdann werden den Gläubigern, welche aus den Pfandbriefen


(1200) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Befriedigt werden können, und deren Ausfertigung verlangen, ihre Schuldinstrumente abgefordert, und so weit sie zu den Umschreibungen im Hypothekenbuche erforderlich sind, der Kreditdirektion zugesendet. Die Pfandbriefe selbst werden dagegen eingezogen; von dem Kurator, unter Aufsicht und Direktion des Gerichts, in baares Geld umgesetzt, und letzteres wird, allenfalls durch eine vorläufige Distribution, unter die Gläubiger vertheilt. Diese müssen aber die Ausfertigungs- und Eintragungskosten übernehmen, ohne daß der Masse dafür etwas angerechnet werden kann.

Siebenter Abschnitt.

Vom Verfahren in Konkurssachen bei Untergerichten.

Bei Untergerichten der Ersten,

§. 630.

Bei Untergerichten der Ersten Klasse finden die in den vorigen Abschnitten enthaltenen Vorschriften, wegen Instruktion der Konkursprozesse, und Konstituirung der Aktivmasse, durchgehends Anwendung.

der Zweiten Klasse.

§. 631.

Auch bei Untergerichten der Zweiten Klasse müssen diese Vorschriften beobachtet werden, so bald die Aktivmasse, nach einem ungefähren Ueberschlage, die Summe von Zweihundert Thalern übersteigt. Es wird also zwar ein ordentlicher Kurator bestellt, wozu allenfalls in Ermangelung tauglicher Personen, Aktuarius, oder ein verständiger Wirthschaftsbeamter, oder Gerichtsschreiber genommen werden kann; und zu dessen Obliegenheit, außer den nöthigen Besorgungen wegen der Aktivmasse, es auch gehört, aus den vorgefundenen Büchern, Rechnungen und Skripturen des Gemeinschuldners, und aus den von ihm selbst, wenn er noch am Leben und gegenwärtig


(1201) Konkurs.

ist, einzuziehenden Auskünften, die nöthigen Nachrichten wegen der an die Masse liquidirten Passivforderungen zu sammeln, und dem Richter an die Hand zu geben. Der Richter aber muß nach diesen Datis, und nach den von den Gläubigern beigebrachten Dokumenten, die Richtigkeit sothaner Forderungen von Amts wegen prüfen, und den Punkt der Priorität unter den Gläubigern gleichergestalt von Amts wegen wahrnehmen. Auswärtige, und überhaupt solche Gläubiger, welche den Verhandlungen persönlich beizuwohnen verhindert sind, können dabei, so wie in andern ordinairen Prozessen, durch Justizkommissarien, oder andere zulässige Bevollmächtigte, vertreten werden.

Insonderheit bei kleinen Konkursen.

§. 632.

Wenn ein Bürger einer kleinen Stadt, oder ein Dorfseingesessener, welche kein auswärtiges Verkehr betrieben haben, dergestalt in Verfall ihres Vermögens gerathen, daß sie ihren Gläubigern Befriedigung zu leisten nicht im Stande, und die in den Gesetzen vorgeschriebenen Mittel zu ihrer Konservation fruchtlos sind; so muß dergleichen Schuldwesen, in so fern die Aktivmasse nicht über Zweihundert Thaler beträgt, zur Ersparung der Kosten, folgendermaaßen eingeleitet werden.

§. 633.

Der Richter muß in solchen Fällen, so bald mehrere Gläubiger zugleich auf ihre Befriedigung dringen, und die Unzulänglichkeit des Vermögens klar ist, den Konkurs von Amts wegen gehörig eröffnen; hiernächst aber vor allen Dingen zum ordnungsmäßigen Verkaufe des Grundstücks die erforderlichen Anstalten, gleichfalls von Amts wegen, treffen; und in den des Endes zu erlassenden Subhastationspatenten zugleich die etwanigen unbekannten Gläubiger des Gemeinschuldners mit vorladen.


(1202) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

§. 634.

Zu gleicher Zeit, wenn dieses geschieht, muß er den Gemeinschuldner zur richtigen, allenfalls eidlichen Angabe seiner Schulden anhalten; auch aus den Grundbüchern, Kämmerei-, Wirthschafts- und Gemeinrechnungen, die Rückstände an öffentlichen Abgaben, oder Grundherrschaftlichen Zinsen, und anderen Prästationen, ingleichen die auf dem Grundstücke eingetragenen Posten, auszumitteln bemüht seyn.

 §. 635.

Diese bekannten Gläubiger muß der Richter alsdann zur Liquidation und Rechtfertigung ihrer Forderungen, wie auch zur weitern Regulirung der Sache, durch besondere Verordnungen vorladen, und den Termin dazu dergestalt abmessen, daß er mit dem Termine zu dem Verkaufe des Grundstücks zusammen treffe.

§. 636.

In der Zwischenzeit, und bis zum wirklichen Verkaufe, muß, der Regel nach, der Gemeinschuldner im Besitze des Grundstücks, gegen Abführung der kurrenten und gemeinen Lasten davon, verbleiben. Ist er aber verstorben, oder abwesend, oder sind sonst besondere Umstände vorhanden, welche es bedenklich machen, ihm die fernere Administration zu überlassen; so muß der Polizeimagistrat, oder die Grundherrschaft, von Amts wegen dafür sorgen, daß das Grundstück, ohne Veranlassung einer förmlichen Sequestration, und ohne den Gläubigern dadurch neue Kosten zu verursachen, bewirthschaftet, in seinem gegenwärtigen Zustande erhalten, und wenigstens die kurrenten Lasten, so viel als möglich, davon abgeführt werden.

§. 637.

In Mobiliarvermögen pflegt bei dergleichen Schuldnern, außer dem, was zum Inventario und


(1203) Konkurs.

Wirthschaftsgeräthe des Grundstücks, und zur nothdürfigen Bekleidung des Gemeinschuldners und seiner Familie gehört, selten etwas vorräthig zu seyn. Inzwischen muß doch der Richter, bei der oben §. 634. vorgeschriebenen Vernehmung des Gemeinschuldners, ihn zugleich anhalten, auch dieses sein Mobiliarvermögen, und etwanige Aktivforderungen, richtig anzugeben; wenn unter ersterm etwas, das weder zum Grundstücke, noch zur nothdürftigen Bekleidung des Schuldners und der Seinigen gehört, befindlich ist, für dessen gerichtliche Versteigerung Sorge tragen, und die ausstehenden Schulden bald möglichst einzuziehen, sich von Amts wegen angelegen seyn lassen.

§. 638.

Ist der Gemeinschuldner verstorben oder abwesend, so müssen seine zurück gebliebene Frau, erwachsenen Kindern, und im Hause befindliches Gesinde, über alles Vorstehende von dem Richter vernommen werden.

§. 639.

Wenn nun der zum Verkaufe des Grundstücks nach §. 633. anberaumte Termin, zu welchen auch die Gläubiger vorgeladen worden, eintritt; so muß der Richter vor allen Dingen, in Gegenwart der erscheinenden Gläubiger, und mit Zuziehung derselben, das Verkaufsgeschäft zu reguliren bemüht seyn.

§. 640.

Nach dessen Erfolge müssen die Gläubiger mit ihrer Forderungen vernommen, und dieselben, nach der Anweisung des §. 631., von Amts wegen möglichst ins Licht gesetzt werden.

§. 641.

Alsdann muß der Richter denselben einen richtigen Ausweis der Aktivmasse vorlegen, welche hauptsächlich durch die Kaufgelder des Grundstücks, und durch die in der Zwischenzeit etwa


(1204) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

eingegangenen Revenüen, beigetriebenen Aktivforderungen, und aus dem Verkaufe der überflüssigen Effekten gelöseten Gelder konstituirt wird, einen Plan entwerfen, wie diese Aktivmasse unter die Kreditoren nach der Ordnung der Priorität zu vertheilen seyn möchte; diesen Plan den Gläubigern vorlegen, und, wo es nöthig, denselben erläutern; hiernächst aber die Kreditoren zum gütlichen Einverständnisse über die Vertheilung der Masse zu vermögen bemüht seyn.

§. 642.

Kommt der Vergleich in dieser Art zu Stande, so wird bloß das Präklusionserkenntniß gegen die außen gebliebenen Kreditoren publicirt, übrigens aber mit Vertheilung der Masse, nach Maaßgabe des Abkommens, verfahren.

§. 643.

Ist die Bemühung des Richters fruchtlos, so muß derselbe ein Urtel abfassen; auf Präklusion der außen gebliebenen Gläubiger erkennen; das Nöthige über die Richtigkeit, den Betrag, und die Priorität einer jeden angemeldeten Forderung festsetzen; zugleich aber bestimmen: welche Kreditoren, nach dieser Ordnung, bei der vorhandenen Masse zur Preception gelangen; wie viel jeder derselben zu den Kommunkosten beizutragen habe; wie viel er nach deren Abzug noch erhalte, und auf welchen Theil der Masse er damit anzuweisen sey.

§. 644.

Wird dieses Erkenntniß rechtskräftig, oder in den weiteren Instanzen bestätigt; so geschieht nach Anweisung desselben die wirkliche Vertheilung, und der Konkurs wird solchergestalt beendigt, ohne daß es der Bestellung eines eigenen Kurators oder Kontradiktors, oder Sequesters, besonderer Ediktalcitationen, als welche in den Subhastationspatenten mit enthalten sind, oder eines von dem Klassifikations verschiedenen Distributionsurtels (da die


(1205) Konkurs.

Klassificirung und Distribution zugleich regulirt werden) bedurft hat.

§. 645.

Will bei dem nach §. 643. abgefaßten Erkenntnisse der eine oder der andere Gläubiger sich nicht beruhigen, so kann zwar demselben die Appellation in an sich zulässigen Fällen nicht versagt werden; der Richter muß aber dennoch mit Vertheilung der Masse unter die übrigen Gläubiger, so weit als deren Rechte, durch ein zum Besten der Appellanten erfolgendes Urtel in zweiter Instanz, keine Aenderung leiden können, verfahren.

§. 646.

Wenn in dem zum Verkaufe der Grundstücks anstehenden Termine der Zuschlag, aus Mangel eines annehmlichen Gebots, nicht erfolgen kann; so muß in diesem Termine nur mit Ausmittelung der von den Gläubigern angemeldeten Forderungen, nach Vorschrift §. 640., verfahren, die übrige Regulirung der Sache aber bis zu dem anderweit anberaumten Subhastationstermine verschoben werden.

Achter Abschnitt.

Von dem Verfahren in Konkurssachen, wenn der Gemeinschuldner unter anderen Gerichten in- oder außerhalb Landes Vermögen besitzt.

A. Fälle, wenn der Gemeinschuldner Vermögen unter verschiedenen einländischen Gerichtsbarkeiten besitzt.

§. 647.

Wenn ein Gemeinschuldner unter mehreren Gerichten innerhalb der Königlichen Lande Vermögen besitzt, so ist bereits oben §. 25. u.f. verordnet: daß der Konkurs über ihn da, wo er seinen ordentlichen persönlichen Gerichtsstand hat, eröffnet werden müsse; und daß diesem Gerichte die Direktion des ganzen Konkurses, sowohl in Ansehung der unter seiner


(1206) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

eigenen, als der unter anderer Jurisdiktion befindlichen Masse zukomme.

§. 648.

Diesem zu Folge können die übrigen Gerichte, unter deren Jurisdiktion der Gemeinschuldner Vermögen besitzt, sich nicht entbrechen, den Requisitionen des den Konkurs dirigirenden Gerichts, welche die Festsetzung der Aktivmasse zur Absicht haben, nachzukommen; die ihnen zugefertigten Verordnungen an die unter ihrer Gerichtsbarkeit befindlichen Gläubiger zu insinuiren; die etwanigen beweglichen Sachen entweder, je nachdem es der Antrag des Kurators mit sich bringt, selbst zu veräußern, oder zur Auktion an den Richter des Konkurses zu verabfolgen; die ausstehenden Aktivkapitalien einzuziehen; und die auf die eine oder die andere Art eingekommenen Gelder, der Requisition gemäß, an den Konkursrichter, unmittelbar in das Depositum abzuliefern.

Besonders, wenn es Immobilien sind.

§. 649.

Nur allein, wenn der Gemeinschuldner unter einem anderen Gerichte unbewegliche Güter besitzt, müssen nicht nur alle und jene dergleichen Immobile betreffende Verfügungen überhaupt, zwar von dem Richter des Konkurses beschlossen und abgefaßt, wegen deren Vollstreckung aber der Richter, unter welchem die Sache gelegen ist, requirirt werden; sondern es sind auch

I. wegen Vorladung der auf einem solchen Grundstücke haftenden Realgläubiger;

II. wegen der Verwaltung desselben;

III. wegen seiner Veräußerung, nachstehende Vorschriften zu beobachten.

I. Wegen Vorladung der Gläubiger.

§. 650.

I. Die Vorladung aller, auch der Realgläubiger des unter einer andern Jurisdiktion stehenden Guts, geschieht zwar durch den Richter des Konkurses; doch


(1207) Konkurs.

muß derselbe die Citation an selbige dem Richter der Sache zur Insinuation zustellen. Ist der bekannte Aufenthalt eines solchen Gläubigers dem Richter des Konkurses näher, als dem Richter der Sache; so kann Ersterer die Insinuation unmittelbar verfügen.

§. 651.

Den Realgläubigern steht es frei, sich auch bei dem Richter der Sache zu melden, und ihre Forderungen bei diesem zu liquidiren und zu justificiren. Der Richter der Sache sendet alsdann dieß Protokoll, nebst den Beilagen, an den Richter des Konkurses, welcher selbiges dem Kurator und den übrigen Gläubigern zur Erklärung vorlegt. Finden diese gegen den Anspruch, sowohl in Ansehung der Richtigkeit, als der Priorität, nichts zu erinnern, so hat es dabei sein Bewenden; und es wird auf ein solches Protokoll bei Abfassung des Klassifikationsurtels gehörige Rücksicht genommen.

§. 652.

So bald sich aber ein Widerspruch findet, gehört die fernere Erörterung vor den Richter des Konkurses; und der liquidirende Realgläubiger kann sich nicht entziehen, bei diesem, zum fernern Betriebe der Sache, einen Bevollmächtigten zu bestellen.

§. 653.

Nur in den beiden Fällen,

a) wenn unbekannte Inhaber einer eingetragenen Forderung mit der Wirkung der Präklusion öffentlich vorgeladen werden sollen;

b) wenn mit kleineren Gutsgläubigern eine Berechnung anzulegen ist,

finden einige Ausnahmen von obigen Regeln Statt.

§. 654.

Im erstern Falle muß das Aufgebot einer solchen Post bei dem Richter der Sache geschehen, bei welchem der Kurator des Konkurses das Nöthige, nach Vorschrift des dritten Abschnitts in 51sten Titel,


(1208) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

entweder selbst, oder durch einen Bevollmächtigten betreiben muß. Doch erfolgt, auf das bei dem Richter der Sache aufgenommene Kontumacialprotokoll, die Präklusion selbst in dem von dem Richter des Konkurses abzufassenden Präklusionsurtel.

§. 655.

Im zweiten Falle muß der Richter der Sache, so wie er, auf Requisition des Konkursrichters, die Administration des Grundstücks nach der unten folgenden Vorschrift regulirt, sich zugleich von Amts wegen angelegen seyn lassen, die Forderungen der Gutsliedlöhner, die Rückstande von öffentlichen und gemeinen Reallasten, und andere dergleichen zur Zweiten Klasse gehörige Ansprüche auszumitteln, und so viel als möglich liquid zu machen. Das darüber aufgenommene Protokoll wird so, wie in dem Falle des §. 651., dem Konkursrichter eingesendet, und damit nach dieser Vorschrift weiter verfahren. Findet sich ein Widerspruch, so bleibt es der Beurtheilung des Konkursrichters überlassen: ob auch diese Gläubiger, zur weitern Instruktion vor ihm, nach Vorschrift §. 652. aufzufordern sind; oder ob die obwaltenden Differenzien, die gewöhnlich nicht von erheblichem Belange sind, durch fortgesetzte Korrespondenz mit dem Richter der Sache aufgeklärt werden können.

II. Wegen Administration des Grundstücks.

§. 656.

Anlangend II., die Administration des zum Konkurs gehörenden, unter einer andern Realjurisdiktion gelegenen Grundstücks; so ist dabei Folgendes zu beobachten:

Wenn das Grundstück ein solches ist, wovon der Landschaft oder Kreditdirektion die Administration gebührt; so muß das Erforderliche, wegen deren Verfügung, an dieß kompetente Kollegium von dem Richter des Konkurses unmittelbar erlassen werden. Der Richter, unter welchem die Sache gelegen ist, hat also in diesem Falle mit der Administration gar nichts


(1209) Konkurs.

zu thun, sondern das dieselbe dirigirende Kollegium liefert die Revenüen unmittelbar an den Richter des Konkurses ab, und korrespondirt mit ihm allein über die dabei etwa vorkommenden, einer Rückfrage mit den Gläubigern bedürfenden Gegenstände.

§. 657.

Ist hingegen das Immobile nicht von dieser Qualität, sondern muß eine gerichtliche Sequestration desselben Statt finden; so gehört deren Einrichtung und Direktion vor den Richter, unter welchem die Sache gelegen ist. Der Richter des Konkurses muß also demselben von dem entstandenen Konkurse Nachricht geben; und ihm zugleich das Subjekt, welches etwa von dem Kurator, oder den Gläubigern, zum Sequester vorgeschlagen worden, bekannt machen.

§. 658.

Der Richter der Sache muß jedoch nicht nur die eingehenden Revenüen, ohne sich einer Disposition oder Vertheilung derselben anzumaaßen, an den Richter des Konkurses abliefern; sondern auch in allen bedenklichen Fällen, die bei dieser Administration sich ereignen, demselben Nachricht ertheilen: damit er deshalb mit dem Kurator und den Gläubigern Rücksprache halten, und dem Richter der Sache die Beschlüsse derselben zur weitern Verfügung mittheilen könne.

III. Wegen der Subhastation.

§. 659.

III. Ferner gebührt die Subhastation aller unbeweglichen Güter ohne Unterschied dem Gerichte, unter welchem sie gelegen sind. Doch muß dasselbe ein Proklama, mit einer Abschrift der Taxe, dem Richter des Konkurses zur Affixion zuschicken: auch hiernächst demselben das Licitationsprokoll, zur Vernehmung des Kurators und der Gläubiger über dessen Inhalt, einsenden; und bei Abfassung des Adjudikationsbescheides auf deren ihm mitgetheilten Beschluß die erforderliche Rücksicht nehmen.



(1210) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

§. 660.

Der Käufer muß die baar zu erlegenden Kaufgelder bei dem Richter des Konkurses in das Depositum einzuzahlen angewiesen werden. Bedarf es aber einer Beitreibung derselben, so muß diese durch den Richter der Sache geschehen; welcher aber das beigetriebene Quantum unverzüglich an den Richter des Konkurses einsenden muß. In diesem letzten Falle erhält der Richter der Sache die Hälfte von den zu entrichtenden Depositalgebühren.

§. 661.

Ist das unter anderer Jurisdiktion gelegene Immobile nur ein Pertinenzstück des unter dem Richter des Konkurses gelegenen Hauptguts, so gebührt diesem, der Regel nach, auch die Subhastation desselben mit dem Hauptgute zugleich; und der Richter der Sache wird bloß um die Aufnehmung der Taxe davon requirirt.

§. 662.

Wenn jedoch ein solches Pertinenzstück mit dem Hauptgute nicht nothwendig verbunden wäre, sondern davon füglich getrennt werden könnte, und die Gläubiger einen besondern Verkauf desselben ausdrücklich verlangten; so gebührt dieser dem Richter, unter welchem dieß Pertinenzstück gelegen ist; und es wird dabei nach der Vorschrift des §. 659. 660. verfahren.

B. Fälle, wenn ein auswärtiger Gemeinschuldner innerhalb Landes Vermögen besitzt.

§. 663.

Wenn jemand, welcher zwar seinen gewöhnlichen Wohnsitz außerhalb Landes hat, der aber in hiesigen Landen bewegliche oder unbewegliche Güter besitzt, dergestalt in Verfall seines Vermögens geräth, daß bei seinem auswärtigen persönlichen Gerichtsstande Konkurs über ihn eröffnet wird; so muß das diesseitige Gericht, unter welchem dieß einländische Vermögen, und insonderheit das dazu gehörige Grundstück gelegen ist, so bald entweder die einländischen


(1211) Konkurs.

Gläubiger, oder auch auswärtige, die bei dem dortigen Konkurse leer ausgegangen sind, darauf antragen, über dasselbe gleichergestalt Konkurs eröffnen; einen Kurator bestellen; die einheimischen Gläubiger citiren; die hiesige Masse in Beschlag nehmen, und wegen Versilberung derselben, so wie wegen ihrer Distribution, das Erforderliche nach den vorstehenden Abschnitten verfügen.

§. 664.

Der von dem hiesigen Gerichte bestellte Kurator muß dabei die Rechte der hiesigen Masse überall gehörig wahrnehmen, sich mit dem auswärtigen Kurator in Korrespondenz setzen, und von ihm insonderheit die nöthigen Nachrichten, zur Erörterung der Ansprüche, welche von Gläubigern bei dem hiesigen Konkurse formirt werden, einziehen.

§. 665.

Bei diesem Konkurse müssen jedoch keine andere, als einländische Gläubiger, zur Liquidation gelassen, klassificirt und befriedigt werden.

Einländische Cessionarien auswärtiger Gläubiger, deren Cession später, als die Eröffnung des auswärtigen Konkurses erfolgt ist, werden also nicht zugelassen; und wenn auch nach dem angegebenen Dato die Cession früher geschehen wäre, so muß dennoch, so bald entweder der hiesige Kurator, oder ein einheimischer Mitgläubiger, den Einwand der Simulation entgegen setzt, dieser Einwand gehörig untersucht und ins Licht gesetzt werden.

§. 666.

Auswärtige Gläubiger können also bei diesem Specialkonkurse nur in so fern zugelassen werden, als ihre Forderungen auf ein diesseitiges Grundstück eingetragen sind; oder wenn sie zwar noch nicht wirklich eingetragen sind, aber doch einen solchen Anspruch haben, der nach Vorschrift der Gesetze (Th. I. Tit. XX. §. 2-5.) einen Titel zum Pfandrechte, mithin die


(1212) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Ansetzung in der Vierten oder Fünften Klasse begründet; und dergleichen uneingetragene Gläubiger zugleich nachweisen können, daß sie bei der auswärtigen Masse, wegen Unzulänglichkeit derselben, leer ausgegangen sind.

§. 667.

Wenn nach Befriedigung der einheimischen, und der in vorstehenden Paragraphen bemerkten fremden Gläubiger, noch etwas von der hiesigen Masse übrig bleibt; so muß dasselbe dem Richter des auswärtigen Konkurses, gegen Entrichtung des Abzugs (in so fern dergleichen überhaupt zwischen dem hiesigen und dem fremden Staate genommen wird), verabfolgt werden.

An eben denselben sind die einheimischen Gläubiger zu verweisen, welche aus der hiesigen Masse ganz oder zum Theil nicht befriedigt werden können.

§. 668.

Obige Vorschriften finden Statt, in so fern nicht etwa zwischen dem hiesigen und auswärtigen Staaten besondere Verträge und Observanzen über diesen Gegenstand obwalten. Sind dergleichen vorhanden, so müssen die hiesigen Gerichte sich nach dem Inhalte derselben mit der genauesten Sorgfalt achten.

§. 669.

Es muß daher, wenn ein solcher Fall sich ereignet, der hiesige Richter, unter dessen Jurisdiktion einiges Vermögen des auswärtigen Gemeinschuldners befindlich ist, vor allen Dingen in seinem Archive Nachsuchung anstellen: ob dergleichen Vertrage mit dem fremden Staate wirklich vorhanden; ob zwischen ihm, und einem zu diesem Staate gehörigen Gerichte, bereits Fälle dieser oder ähnlicher Art vorgekommen sind; und wie damals in der Sache verfahren worden. Findet sich dabei irgend einiges Bedenken, so muß das einländische Gericht, wenn es ein Untergericht wäre, an das ihm unmittelbar


(1213) Konkurs.

vorgesetzte Obergericht; dieses aber, so wie in dem gleichen Falle, wenn derselbe sich bei ihm unmittelbar ereignet, an das Ministerium davon umständlich berichten, und weitere Vorbescheidung abwarten.

C. Fälle, wenn ein hiesiger Gemeinschuldner außerhalb Landes Vermögen besitzt.

§. 670.

Wenn ein unter hiesiger Gerichtsbarkeit wohnhafter Gemeinschuldner außerhalb Landes Vermögen, und insonderheit Grundstücke besitzt, so muß der hiesige Richter des Konkurses die Vorschriften §. 668. 669. ebenfalls beobachten. Wenn aber hiernach sein Verfahren nicht bestimmt werden kann, so muß dem auswärtigen Richter ein solches Verfahren vorgeschlagen werden, wie es zwischen Obergerichten verschiedener Königlicher Provinzen §. 647. u. f. bestimmt ist. Will sich der auswärtige Richter dieses nicht gefallen lassen, sondern einen Specialkonkurs über das unter seiner Jurisdiktion befindliche Vermögen veranlassen; so muß der Kurator der hiesigen Masse dabei das Interesse derselben wahrnehmen, und darauf sehen, daß dabei keine Ungleichheit der Rechte zwischen den jen- und diesseitigen Gläubigern statuirt werde. Vornehmlich aber hat der Kurator, mit Unterstützung des hiesigen Gerichts, darauf zu sehen, daß ein etwa verbleibender Ueberrest der dortigen Masse der hiesigen nicht vorenthalten werde.

§. 671.

Da die Eröffnung des Konkurses, nach gemeinen Rechten, nur dem persönlichen Richter des Gemeinschuldners zukommt; so kann ein auswärtiges Gericht über einen hiesigen Landeseinwohner keinen Konkurs verhängen; und wenn es gleichwohl geschehen sollte, so sind die hiesigen Gerichte weder schuldig noch befugt, den auf einer solchen inkompetenten Konkurseröffnung gegründeten Requisitionen des auswärtigen Richters nachzukommen. Vielmehr müssen sie selbst beurtheilen: in wie fern ihr


(1214) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Jurisdiktions-Gesessener nach den hiesigen Landesgesetzen zum Konkurse qualificirt sey, und darnach das Weitere verfügen; jedoch allemal, wenn dergleichen Requisition an sie ergeht, vor Beantwortung derselben dem Staatsministerio Anzeige machen.

Anh. §. 378. Wenn in Gefolge der nach §. 668. und 669. dieses Titels anzustellenden Nachforschungen die Eröffnung des Specialkonkurses über einländisches Vermögen für zulässig gehalten wird; so müssen die Obergerichte bei dem Justizminister zur jedesmaligen Kommunikation desselben mit dem Ministerio der auswärtigen Angelegenheiten anfragen. Eine gleiche Anfrage ist in dem Falle erforderlich, wenn hiesiges Vermögen nach dem Auslande zu einem ausländischen Generalkonkurs verabfolgt werden soll. Eben so müssen die Gerichte dem Justizminister zum Zweck der Kommunikation mit dem Ministerio der auswärtigen Angelegenheiten davon Anzeige machen, wenn im Falle des §. 671. ein ausländisches Gericht über einen hiesigen Landeseinwohner den Konkurs verhängen sollte.

Anh. §. 379. Bei einem in hiesigen Landen eröffneten Specialkonkurse sollen auswärtige Gläubiger zugelassen werden, in so fern nicht von den Mitgläubigern behauptet und nachgewiesen wird, daß nach den Gesetzen des Wohnorts des Gläubigers, welchen sie zurück weisen wollen, im gleichen Falle ausländische Gläubiger nicht zugelassen werden. Darüber, ob aus dem Grunde der Retorsion auswärtige Gläubiger von der Theilnahme an einem in hiesigen Landen eröffneten Konkurse ausgeschlossen werden können, ist jederzeit bei dem Justizminister anzufragen, welcher die Bescheidung mit dem Ministerio der auswärtigen Angelegenheiten gemeinschaftlich zu erlassen hat.

Neunter Abschnitt.

Von Konkursen über Bergtheile oder Schiffe, und über den Nachlaß einer Militairperson.

1. Konkurs über Bergtheile.

§. 672.

I. Wenn zu dem Vermögen eines Gemeinschuldners, über welchen Konkurs eröffnet worden, auch Bergtheile oder Kure, oder sonst ein


(1215) Konkurs.

Bergwerkseigenthum gehören; so kann der ordentliche Richter des Konkurses sich einer Direktion über diese Specialmasse, oder eines Erkenntnisses über die darauf Anspruch machenden Berggläubiger nicht anmaaßen, sondern er muß Beides den Berggerichten überlassen.

§. 673.

Diesen muß also von dem über das Hauptvermögen des Gemeinschuldners eröffneten Konkurse sofort Nachricht gegeben, und sie müssen requirirt werden, den besondern Konkurs über das Bergeigenthum gleichergestalt zu eröffnen. Einer solchen Requisition des ordentlichen Richters kann das Berggericht sich niemals entziehen.

§. 674.

Liegt das Bergwerkseigenthum in eben der Provinz, wo das Gericht des Hauptkonkurses sich befindet; so bedarf es von Seiten der Berggerichte keiner besondern Ediktalcitation der Bergwerksgläubiger, sondern diese wird in die von dem ordentlichen Richter veranlaßte allgemeine Vorladung mit aufgenommen, jedoch mit der Maaßgabe, daß die Berggläubiger, zur Anmeldung ihrer Forderungen, bei dem Berggerichte angewiesen werden. In diesem Falle muß der Richter des Hauptkonkurses, nach verlaufenem Liquidationstermine, ein Attest über die gesetzmäßig verfügte Ediktalcitation der unbekannten Berggläubiger zu den Akten des Berggerichts einsenden.

Liegt aber das Bergwerkseigenthum in einer andern Provinz, so muß das Berggericht die Ediktalcitation der unbekannten Berggläubiger selbst veranlassen.

§. 675.

In beiden Fällen müssen die bekannten Berggläubiger nur von dem Berggerichte, durch besondere Vorladungen, citirt werden; und wenn auch ein solcher Gläubiger sich aus eigener Bewegung bei dem


(1216) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

Richter des Hauptkonkurses melden sollte, so muß ihn dieser dennoch an das Berggericht verweisen.

§. 676.

Die Konnotation und das Verifikationsverfahren mit den Berggläubigern gehört also lediglich vor das Berggericht, welches dazu der Masse einen besondern Kurator und Kontradiktor bestellen muß; doch muß, wenn beiderlei Gerichte an Einem Orte sich befinden, dem im Hauptkonkurse bestellten Kontradiktor eben diese Funktion auch von dem Berggerichte übertragen werden. Sind es verschiedene Personen, so ist der vom Berggerichte bestellte Kurator und Kontradiktor schuldig, mit dem Kurator und Kontradiktor des Hauptkonkurses eine beständige Korrespondenz zu unterhalten; ihm von allen erheblichen Vorfallenheiten in dem Specialkonkurse über das Bergwerkseigenthum Nachricht zu geben; und von ihm, über die Beantwortung der von den Berggläubigern angemeldeten Forderungen, die etwa nöthige nähere Information einzuholen.

§. 677.

Die Abfassung des Präklusionserkenntnisses gegen die außen gebliebenen Berggläubiger, so wie das Klassifikationsurtel unter denen, welche sich gemeldet haben, gehört dem Berggerichte, welches die Priorität unter ihnen nach Vorschrift des Landrechts Th. II. Tit. XVI. §. 343. zu bestimmen hat.

§. 678.

Auch die Administration des in Konkurs verfallenen Bergeigenthums, die Versilberung desselben, und die Vertheilung unter die Berggläubiger, kommt dem Berggerichte zu; und so wenig der Richter des Hauptkonkurses, als die übrigen Kreditoren, die keine Berggläubiger sind, können sich dabei einiger Theilnahme oder Zuziehung anmaaßen.

            §. 679.


(1217) Konkurs.

§. 679.

Bleibt nach Befriedigung der Berggläubiger von dem für das Bergwerkseigenthum gelöseten Werthe noch etwas übrig, so muß selbiges an den Richter des Hauptkonkurses, als ein Zuwachs der Gemeinmasse, abgeliefert werden.

§. 680.

Dagegen können zwar auch die Berggläubiger, welche bei der Vertheilung des Bergwerkseigenthums einen Ausfall erlitten haben, sich deswegen an die Gemeinmasse halten. Sie können aber bei dieser von den Vorrechten, welche ihnen bloß in der Eigenschaft als Berggläubiger beigelegt sind, keinen Gebrauch machen. Ist ein Gläubiger zu beiderlei Massen gleich berechtigt, so finden die obigen Vorschriften von einem auf mehrere Grundstücke eingetragenen Gläubiger Anwendung.

2. Konkurs über Schiffe

§. 681.

II. Wenn zu dem Vermögen eines in Konkurs versunkenen Schuldners ein Seeschiff, oder dergleichen Schiffspart gehört; so muß nach der verschiedenen Verfassung der Königlichen Provinzen beurtheilt werden: in wie fern dergleichen Schiffseigenthum zur allgemeinen Konkursmasse zu ziehen, oder bei dem See- und Handlungsgerichte ein besonderer Konkurs darüber zu eröffnen sey.

§. 682.

Im letztern Falle findet eben das Verfahren Statt, welches vorstehend §. 672. u. f. in Ansehung des Bergwerkseigenthums vorgeschrieben ist.

§. 683.

Wenn aber auch das Schiffseigenthum zum allgemeinen Konkurse gezogen wird, so muß doch davon eine besondere Masse formirt; alle dahin gehörende Verhandlungen müssen in besondere Aktenstücke gebracht; und es muß demselben auch im Deposito ein besonderes Folium gewidmet werden.

(1218) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

§. 684.

Zu dem Schiffseigenthume gehören, außer dem Schiffe selbst, das bewegliche Zubehör und das Boot (Allg. L. R. Th. I. Tit. II. §. 91. Th. II. Tit. VIII. §. 1398.); ingleichen die für das Schiff gezeichnete Versicherung; und die von dem Schiffe verdienten Frachtgelder, in so fern letztere zur Zeit des eröffneten Konkurses noch ausstehen, oder während des Konkurses verdient werden.

§. 685.

Aus dieser besondern Masse haben die Schiffsgläubiger ihre vorzügliche Befriedigung, und zwar in folgender Ordnung, zu fordern:

1) Die Bergegelder; ingleichen die Heuer des Schiffers oder Schiffsvolks; jedoch beide nur von der letzten Reise. (Allg. L. R. Th. I. Tit. XX. §. 325.)

2) Der Beitrag zu der auf der letzten Reise vorgefallenen großen Haverei. (Ebend. §. 326.)

3) Bodmerei, welche der Schiffer im Nothhafen genommen hat. (Ebend. §. 321.)

4) Die Reparaturkosten, wenn ein Schiff während der letzten Reise auf Kredit ausgebessert worden ist. (Ebend. §. 320.)

5) Die auf das Schiff gehörig bestellten Bodmerei- und Pfandrechte.

6) Die Reparaturschulden, welche nicht das Nr. 4. bestimmte Vorrecht haben.

7) Die rückständige Prämie des Versicherers, in so fern dieselbe nicht nach §. 384. das Vorrecht der zweiten Klasse genießt, als in welchem Falle sie zwischen Nr. 4. und 5. anzusetzen ist.

§. 686.

Unter welchen Umständen und Einschränkungen jedem dieser Schiffsgläubiger die ihm hier angewiesene Priorität gebühre; wodurch die obbestimmte Priorität der Klassen unter einander verändert


(1219) Konkurs.

werden könne; und in wie fern die zu einer Klasse gehörenden Schiffsgläubiger zugleich zur Hebung gelangen, oder auf einander folgen, ist in den Gesetzen näher bestimmt. (Allg. L. R. Th. I. Tit. XX. §. 313 bis 326. Th. II. Tit. VIII. §. 2445-2451.)

§. 687.

Die Schiffsgläubiger müssen also in jedem Falle besonders klassificirt, und das Schiffseigenthum muß unter sie besonders vertheilt werden.

§. 688.

Wenn nach ihrer vollständigen Befriedigung noch etwas übrig bleibt, so wird dasselbe zur Gemeinmasse gezogen.

§. 689.

Außer dieser können auch die bei dem Schiffseigenthume ausgefallenen Schiffsgläubiger, jedoch nur unter der §. 680. bestimmten Einschränkung, ihre Befriedigung suchen.

3. Konkurs über Militairpersonen.

§. 690.

III. Wenn eine Militairperson verstorben ist, so finden zwar, wegen der Regulirung und Inventur des Nachlasses, die im folgenden Titel zu ertheilenden näheren Vorschriften Anwendung.

§. 691.

Wenn aber auch dabei eine Unzulänglichkeit des Nachlasses sich veroffenbaret, dergestalt, daß Konkurs darüber eröffnet werden muß; so gehört dieser bloß vor die Civilgerichte, und die Militairgerichte können sich der Eröffnung eines Partikulair-, Konkurs- oder Liquidationsprozesses über den vorhandenen Militairnachlaß keinesweges anmaaßen.

§. 692.

Dagegen können die Militairgerichte, sogleich bei der Entsiegelung, diejenigen Stücke an sich nehmen, welche, als Gewehr- oder Montirungsstücke, bei dem Regimente, oder bei der Kompagnie


(1220) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

verbleiben müssen; ingleichen alle den Dienst angehende Rechnungen und Briefschaften.

§. 693.

Finden sich in dem Nachlasse baare Gelder, so muß davon

1) dasjenige, was dem Verstorbenen von dem Regimente, der Kompagnie, oder irgend einer andern Militairbehörde, anvertraut gewesen, oder zu dessen Ergänzung erforderlich ist;

2) der Werth, der nach §. 692. zum Regimente oder zur Kompagnie gehörigen Gewehr- und Montirungsstücke, die nicht in Natur vorhanden sind,

zurück behalten werden.

§. 694.

Ferner müssen bei den Militairgerichten erörtert und festgesetzt werden:

1) diejenigen Forderungen, welche aus dem Dienste entstehen; folglich auch die Vorschüsse, welche das Regiment den auf Werbung oder sonst verschickten Offizieren zur Vollstreckung ihres Auftrags gethan hat; desgleichen alle Forderungen, für welche das Regiment oder die Kompagnie in subsidium haften muß; wohin auch die von dem Verstorbenen zum Dienste bedungenen und nicht bezahlten Arbeiten und Lieferungen, die aus den Werbeprozessen und Forderungen der Kapitulanten erwachsenden Ansprüche u. s. w., gehören.

2) Die mit Konsens des Chefs oder Kommandeurs von den Offizieren und Soldaten gemachten Schulden, wofür dieselben in subsidium haften müssen.

3) Die Militair-Begräbnißkosten, das Arztlohn, und der Lohn der Dienstboten; und zwar im Felde schlechterdings, in Garnisonen aber nur in so weit, als diese Forderungen liquid sind,


(1221) Konkurs.

und es keines Beweises darüber bedarf, auch kein größerer Nachstand gefordert wird, als welchem nach den Gesetzen der Vorzug gebührt.

§. 695.

Ueber alle diese Forderungen (§. 693. 694.) müssen die Militairgerichte ein vollständiges Verzeichniß und eine ordentliche specielle Berechnung anfertigen. Alle in Natur zurück behaltene Stücke müssen specificirt und taxirt; auch die einzelnen Forderungen, mit Anführung des Grundes, woraus sie erwachsen, und wie sie als richtig nachgewiesen worden, bestimmt aufgeführt werden.

§. 696.

Von dieser Specifikation und Berechnung müssen die Militair- dem Civilgerichte ein beglaubtes Duplikat zustellen. Doch können die Civilgerichte sich darüber keines Erkenntnisses anmaaßen, sondern wenn der Kurator des Konkurses, oder die Gläubiger, bei dem Verfahren des Militairgerichts etwas zu erinnern finden; so müssen sie dieses bei den Militairgerichten und deren vorgesetzten Behörden ausführen.

§. 697.

Ist in dem Nachlasse hinreichendes baares Geld vorhanden, so können die Militairgerichte die §. 693. 694. bestimmten Forderungen davon sogleich berichtigen. Hat sich der Todesfall ereignet, während daß der Verstorbene, wegen instehenden oder ausgebrochenen Krieges, sein Standquartier verlassen hatte; so kann von dem mit ins Feld genommenen Mobiliarvermögen so viel, als zur Berichtigung dieser Forderungen nöthig ist, verkauft werden.

§. 698.

Außer diesem letztern Falle muß der Mobiliarnachlaß, so weit er nicht nach §. 692. in Natur zurück behalten wird, den Civilgerichten zur Inventur und weitern Verfügung verabfolgt werden.


(1222) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

§. 699.

Ist kein baares Geld, oder keine hinreichende Summe desselben vorhanden; so müssen die Civilgerichte, so bald aus dem Mobiliarvermögen Geld zur Masse eingeht, den Betrag der vorzüglichen Forderungen sogleich, und der nicht vorzüglichen alsdann dem Regimentsgerichte zustellen, wenn die Masse so weit eingegangen ist, daß letztere nach Ordnung der Priorität bezahlt werden können.

§. 700.

Die Civilgerichte haben also mit den Forderungen, deren Liquidation nach obigen Vorschriften bei den Kriegsgerichten geschehen ist, nichts zu thun. Es mag über die Wahrheit derselben, oder über Thatsachen, auf welchen die Priorität beruhet, gestritten werden; so gehören die Instruktion sowohl, als das Erkenntniß, vor die Kriegsgerichte.

§. 701.

Wenn jedoch diese Forderungen vor Eröffnung des Klassifikationsurtels an die Kriegsgerichte nicht bezahlt werden können, so müssen die Civilgerichte denselben ihren Ort in diesem Prioritätsurtel anweisen; dabei aber bloß der Angabe der Regimentsgerichte folgen; auch die Interessenten mit ihren etwanigen Einwendungen an diese Gerichte weisen. Wegen der Priorität an sich hat es bei den Vorschriften des Vierten Abschnitts sein Bewenden; und versteht es sich von selbst, daß der den Regimentsforderungen in dem Mobiliarnachlasse der Militairbedienten beigelegte Vorzug sich nicht auf die Inventarien der liegenden Gründe erstrecke.

§. 702.

Die Militairgerichte müssen mit der ihnen nachgelassenen Liquidation nicht über die Gebühr zögern, sondern dieselbe den Civilgerichten noch vor dem Konnotationstermine zufertigen. Unterlassen sie dieses, so müssen sie ihre Anforderungen an den Nachlaß


(1223) Konkurs.

(jedoch mit Ausschluß der bei der Entsiegelung in Natur zurück behaltenen Stücke) bei den Civilgerichten liquidiren, und deren Erkenntniß über das ihnen gebührende Vorzugsrecht erwarten. In diesem Falle sind sie daher gleich anderen Gläubigern zu behandeln.

§. 703.

Eben so müssen die anderen Gläubiger, deren Forderungen bei den Regimentsgerichten nicht erörtert worden, ob sie gleich an sich dazu qualificirt sind, im Konnotationstermine bei den Civilgerichten liquidiren, und sich das Erkenntniß dieser letztern, sowohl über die Richtigkeit, als das Vorrecht ihrer Ansprüche, gefallen lassen. Unterlassen sie diese Anmeldung, so werden sie ihres Regresses an das Regiment, die Kompagnie, oder sonstige Militairbehörde, verlustig.

§. 704.

Wenn die Berechnung der Militairgerichte den Civilgerichten zeitig zugekommen ist, und gleichwohl ein bei den Regimentsgerichten übergangener Gläubiger im Konnotationstermine bei den Civilgerichten sich angiebt, dessen Forderung auch von der Beschaffenheit ist, daß er mit den in der Regimentsliquidation aufgeführten Gläubigern, allenfalls nach vorhergehendem Beweise, ein gleiches oder besseres Recht an den den Militairgerichten zur Bezahlung der vorzüglichsten Forderungen gegebenen oder noch zu übermachenden Geldern haben würde; so müssen die Civil- den Militairgerichten davon sogleich Nachricht geben, damit eines solchen Gläubigers Antheil an gedachten Geldern einbehalten werden könne.

§. 705.

Es muß auch in dem vorgedachten Falle, wenn die Liquidation der Militairgerichte eingekommen ist, von den Civilgerichten jedesmal, sogleich nach dem Konnotationstermine, den Militairgerichten


(1224) Prozeßordnung. Funfzigster Titel.

angezeigt werden: ob dergleichen übergangene Forderungen in besagtem Termine eingekommen sind, oder nicht. Bis zu dieser Anzeige müssen die Regimentsgerichte die ihnen überschickten Gelder in Verwahrung behalten; die Civilgerichte hingegen erkennen demnächst in der Prioritätssentenz: welcher Antheil an den dem Militairgerichte übersandten Geldern einem solchen übergangenen Gläubiger gebühre; oder wo er sonst seine Befriedigung aus der Masse zu erwarten habe; welches sie auch zu seiner Zeit den Militairgerichten anzeigen.

§. 706.

Hingegen ist es nicht nöthig, daß die in der Liquidation der Militairgerichte aufgeführten, und den Civilgerichten durch Zufertigung dieser Liquidation bekannt gewordenen Forderungen, noch außerdem bei dem Konkurse angemeldet werden, wenn gleich das den Regimentsgerichten aus den Mobilien zu übermachende Geld zur Bezahlung gedachter Forderungen nicht hinreichen sollte. Im letztern Falle müssen die Civilgerichte diese durch die übermachten Gelder nicht bezahlten Forderungen, nach der in der Regimentsliquidation ihnen beigelegten Beschaffenheit, deren Beurtheilung lediglich den Kriegsgerichten zusteht, in der Prioritätssentenz gehörigen Orts ansetzen; und, wenn die Masse so weit beigetrieben ist, daß sie bis zu dieser Stelle reicht, das nöthige Geld den Militairgerichten zur weitern Besorgung übermachen.

§. 707.

Die Civilgerichte müssen in dasjenige, was nach diesen Vorschriften den Kriegsgerichten überlassen wird, und die letzteren in dasjenige, was den ersteren aufgetragen ist, sich nicht einmischen, noch die Gerechtsame der am unrechten Orte sich etwa meldenden Gläubiger vertreten wollen; sondern dieselben mit ihren Beschwerden an die Gerichte, wohin


(1225) Konkurs.

ihre Forderungen gehören, und deren Vorgesetzte verweisen.

Ein und funfzigster Titel.

Von Liquidationsprozessen und Aufbietungen.

Was Liquidationsprozesse und Aufgebote sind.

§. 1.

Außer dem im vorigen Titel abgehandelten Falle, da der ganze Vermögensinbegriff eines Gemeinschuldners in gerichtlichen Beschlag genommen wird, und alle diejenigen, welche darauf Anspruch zu machen gedenken, öffentlich vorgeladen werden, um ihre Forderungen anzugeben, nachzuweisen, und ihre Befriedigung aus der Masse, so weit sie hinreicht, nach gesetzlicher Ordnung zu erwarten, giebt es noch einige andere Fälle, in welchen die Gesetze die öffentliche Aufforderung mehrerer Interessenten, die entweder an keinen Vermögensinbegriff, sondern nur an ein bestimmtes Objekt Ansprüche haben, oder deren Rechte zwar einen Vermögensinbegriff betreffen, wo aber die Unzulänglichkeit desselben noch nicht klar ist, unter einem gewissen, mit der unterbliebenen Anmeldung verknüpften Nachtheile zulassen. Diese Aufforderungen werden Liquidationsprozesse oder Aufgebote genannt.

Erster Abschnitt.

Vom eigentlichen Liquidationsprozesse über Grundstücke, oder deren Kaufgelder.

Vom eigentlichen Liquidationsprozesse.

§. 2. 

Wenn mehrere Gläubiger ein ihrem gemeinschaftlichen Schuldner zugehöriges Grundstück, oder den daraus gelöseten Werth, zum Objekte ihrer


(1226) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

Befriedigung in Vorschlag bringen, dergestalt, daß es ungewiß wird: ob selbige zur Bezahlung sämmtlicher Prätendenten hinreichend seyn werden; so entsteht ein Liquidationsprozeß.

Wer darauf antragen könne.

§. 3.

Auf die Eröffnung eines solchen Liquidationsprozesses können antragen;

1) der Gemeinschuldner selbst;

2) der Käufer des Grundstücks;

3) jeder Gläubiger, welcher sich daran halten will, und dem seine Bezahlung daraus, unter dem Vorwande, daß ihm andere Kreditoren vorgehen müßten, versagt wird.

Wo derselbe eröffnet werden müsse.

§. 4.

Dergleichen Provokation muß, der Regel nach, bei dem Richter, unter welchem das Grundstück gelegen ist, angebracht werden, welchem auch die fernere Direktion der Sache gebührt. An Orten, wo besondere Verfassungen bisher Statt gefunden haben, nach welchem der Liquidationsprozeß über ein bürgerliches Grundstück, dessen Eigenthümer zu den Eximirten gehört, vor dessen persönlichem Gerichtsstande geführt werden muß, hat es dabei auch ferner sein Bewenden.

Gegenstand und Wirkung des Liquidationsprozesses.

§. 5.

Die Eröffnung des Liquidationsprozesses, welche auf den Tag, wo die Erlassung der Ediktalcitation beschlossen worden, festzusetzen ist, bewirkt nur einen Beschlag auf das Grundstück, oder dessen Kaufgeld; Kraft dessen weder der Schuldner eigenmächtig darüber verfügen, noch ein Gläubiger zum Nachtheile der übrigen, bis zum Austrage der Sache, ein mehreres oder besseres Recht daran erlangen kann, als er vorhin schon gehabt hat.

§. 6.

Es hat also derselbe auf das übrige Vermögen des Schuldners, und auf die ihm darüber zustehende


(1227) Liquidationsprozeß.

Disposition, keinen Einfluß; auch wird dadurch dem Liquidaten die Administration und Bewirthschaftung des Grundstücks nicht entzogen, sondern wenn die Kreditoren auf dergleichen Entziehung im Wege der Exekution, oder sonst, anzutragen sich berechtigt halten, so müssen sie das Erforderliche deshalb besonders nachsuchen.

§. 7.

Dagegen wird aber auch durch den Liquidationsprozeß der Lauf der Zinsen nicht unterbrochen, sondern der Gemeinschuldner ist zu deren Berichtigung auch während des Prozesses verbunden.

Wer dabei vorzuladen.

§. 8.

Bei einem Liquidationsprozesse ist nur die Zusammenberufung der Realgläubiger erforderlich. Personalgläubiger, welche sich dabei melden, müssen, der Regel nach, an die Person des Gemeinschuldners und sein übriges Vermögen, folglich auch an seinen ordentlichen persönlichen Gerichtsstand, wenn es ein anderer als der Gerichtsstand der Sache ist, verwiesen werden.

§. 9.

Es steht jedoch dergleichen Personalgläubigern frei, wenn nach Abfindung der Realprätendenten von den Kaufgeldern des Guts noch etwas übrig bleibt, dasselbe, in so fern sonst ihre Ansprüche darnach angethan sind, mit Arrest zu belegen, und diesen Arrest gegen den Schuldner in seinem ordentlichen Gerichtsstande zu rechtfertigen.

§. 10.

Der Richter der Sache muß sich also mit einem Verfahren und Erkenntnisse über die Forderungen der Personalgläubiger nicht befassen; sondern, in dem §. 9. bemerkten Falle, den nach Befriedigung der Realgläubiger verbleibenden Ueberrest des Kaufgeldes an den persönlichen Richter des Gemeinschuldners, zur weitern Verfügung, abliefern.


(1228) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

§. 11.

Uebrigens versteht es sich von selbst, daß unter die zu dem Liquidationsprozesse gehörenden Realgläubiger auch diejenigen zu rechnen sind, welche zwar in der Zweiten Klasse angesetzt werden, aber doch zugleich ein dingliches Recht in dem aufgebotenen Grundstücke haben (Tit. L. §. 393.); ingleichen die, nach §. 345. und 492. eben daselbst, in der ersten Klasse zu erstattenden Vorschüsse.

§. 12.

Eben so gehören zu einem solchen Liquidationsprozesse auch diejenigen Gläubiger, die zwar im Hypothekenbuche noch nicht wirklich eingetragen sind, die aber doch einen rechtsgültigen Titel zum Pfandrechte haben; und besonders diejenigen, die, vermöge der Gesetze, ihre Forderungen, auch ohne besondere Einwilligung des Schuldners, auf dessen Grundstücke eintragen zu lassen befugt sind. (A. L. R. Th. I. Tit. XX. §. 2. 3. 4. 5. Prozeßordn. Tit. L. §. 395 bis 422. §. 424. 425. 426. §. 430-454.)

Citation.

§. 13.

Was nun die Zusammenberufung der Gläubiger betrifft, so müssen zuvörderst alle diejenigen, welche mit einem Realanspruche auf das Grundstück, nach Maaßgabe des darüber zu den Akten gebrachten Hypethekenscheins, eingetragen sind; ingleichen diejenigen, welche sich mit einer nach §. 12. zur Eintragung qualificirten Forderung bei dem Richter schon gemeldet haben; auch wenn von einem städtischen oder Rustikalgrundstücke die Rede ist, die Kämmerei-, Servis- und Feuersocietätskasse des Orts, ingleichen die Grundobrigkeit, durch besondere Verordnungen vorgeladen werden.

§. 14.

Dergleichen besonderer Vorladung bedarf es jedoch nicht in Ansehung derjenigen Realgläubiger, welche nach Maaßgabe Tit. L. §. 102. auch bei


(1229) Liquidationsprozeß.

einem entstandenen Konkurse nicht besonders citirt werden dürfen; sondern es ist ihnen bloß von dem anstehenden Termine, wie in Konkursen, Nachricht zu ertheilen.

§. 15.

Außerdem müssen auch alle etwanige unbekannte Gläubiger, welche nach Maaßgabe §. 12. an das Grundstück irgend einen Realanspruch zu haben vermeinen, öffentlich vorgeladen werden.

§. 16.

Was den Inhalt dieser Vorladung betrifft, so wird

1) der Name des Grundstücks, in welcher Provinz, Kreise, oder Distrikt es gelegen, ingleichen der Name des Besitzers oder Verkäufers, ausgedrückt;

2) die Veranlassung des eröffneten Liquidationsprozesses angezeigt;

3) ein Termin vor dem zu benennenden Deputirten des Gerichts anberaumt, in welchem sämmtliche Gläubiger ihre Ansprüche an das Grundstück, oder dessen Kaufgeld, gebührend anmelden, und deren Richtigkeit nachweisen sollen;

4) denenselben die Erscheinung in Person, oder durch Bevollmächtigte, auf die im vorigen Titel §. 99. Nr. 4. beschriebene Art anbefohlen;

5) die Warnung beigefügt, daß die Außenbleibenden mit ihren Ansprüchen an das Grundstück präkludirt, und ihnen damit ein ewiges Stillschweigen, sowohl gegen den Käufer desselben, als gegen die Gläubiger, unter welche das Kaufgeld vertheilt wird, auferlegt werden solle.

§. 17.

Was die Bestimmung des Termins, und die Bekanntmachung der Ediktalcitation betrifft, so sind dabei die Vorschriften des Funfzigsten Titels §. 107. u. f. zu beobachten.


(1230) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

§. 18.

In der Zwischenzeit, und bis zum Termine, müssen nicht nur die bereits angestellten Realprozesse fortgesetzt werden; sondern der Richter muß auch die neu einkommenden Realklagen annehmen, und darauf verfügen. Das Erkenntniß darüber bleibt jedoch, wenn von einer Geldforderung die Rede ist, bis nach abgehaltenem Liquidationstermine ausgesetzt; auch kann, wenn bis zu selbigem die Instruktion einer solchen speciellen Klage noch nicht abgeschlossen wäre, die Fortsetzung und Beendigung derselben zu diesem Termine mitgezogen werden.

§. 19.

Realprozesse, welche keine baare Geldforderung zum Gegenstande haben, gehören nicht zu dem Liquidationsverfahren, und sind vielmehr besonders fortzusetzen und zu entscheiden. In Ansehung solcher, so wie derjenigen Prozesse, welche nach den Gesetzen zu einem Foro speciali causae verwiesen sind, finden also die Vorschriften Tit. L. §. 27. Anwendung.

§. 20.

Außer den Gläubigern ist der Liquidationstermin auch dem Käufer des Grundstücks, wenn es schon veräußert wäre, bekannt zu machen; damit er in selbigem erscheinen, und sein etwaniges Interesse dabei wahrnehmen könne.

Verfahren im Termine.

§. 21.

Im Termine selbst muß zuvörderst die richtige Beobachtung der Vorschriften, wegen Citation der Gläubiger, nach der im Funfzigsten Titel §. 117. gegebenen Vorschrift, nachgewiesen; und sodann müssen die erschienenen Gläubiger, von dem Deputirten des Gerichts, mit der Anmeldung ihrer Ansprüche, nach §. 118. 119. eben daselbst, zum Protokolle vernommen werden.


(1231) Liquidationsprozeß.

§. 22.

Wegen des fernern Verfahrens ist ein Unterschied zu machen:

ob die angemeldeten Forderungen der Gläubiger nur so viel betragen, daß der Werth und das Kaufgeld des Grundstücks zu deren vollständigen Befriedigung offenbar hinreichend ist;

oder ob dasselbe dazu nicht hinreicht, oder doch die Zulänglichkeit zweifelhaft ist.

Weiteres Verfahren 1. Wenn das Grundstück oder dessen Kaufgeld offenbar hinreichend ist.

§. 23.

Ist die Zulänglichkeit des Grundstücks und dessen Kaufgeldes, zur Befriedigung sämmtlicher in dem Konnotationsprotokolle angemeldeten Forderungen, offenbar hinreichend; so darf nur der Gemeinschuldner vernommen werden: in wie fern er diese Forderungen für richtig erkenne, oder nähere rechtliche Erörterung verlange.

§. 24.

In Ansehung derjenigen Gläubiger, welche der Gemeinschuldner durchgehends für richtig annimmt, wird dieses Anerkenntniß zum Protokolle vermerkt. Bei denjenigen, wider deren Ansprüche von ihm Einwendungen gemacht worden, wird das weitere Verfahren, nach den Vorschriften des ordentlichen oder summarischen Prozesses, in besonderen Protokollen, ordnungsmäßig zum Definitiverkenntnisse instruirt.

§. 25.

Ohne jedoch die Beendigung dieser Separatinstruktionen abzuwarten, wird gleich nach abgeschlossenem Konnotationsprotokolle das Präklusions- und Prioritätsurtel abgefaßt.

§. 26.

In diesem wird zuvörderst auf die Präklusion der außengebliebenen Gläubiger, der ergangenen Kommination gemäß, erkannt. Die Wirkung dieser Präklusion ist, daß ein dadurch ausgeschlossener Gläubiger


(1232) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

biger sich weder an das Grundstück, noch an die Person des Käufers, welcher die Kaufgelder an den vorigen Besitzer oder dessen Gläubiger bezahlt hat, noch an diese Gläubiger selbst, welche davon befriedigt worden sind, zu halten berechtigt ist. An den Schuldner selbst, dessen Person, und übriges Vermögen, wird er dadurch seiner Ansprüche nicht verlustig.

§. 27.

Was insonderheit die §. 12. bemerkten Gläubiger betrifft, so verlieren dieselben durch die Präklusion das Recht, aus den Kaufgeldern des Grundstücks ihre vorzügliche Befriedigung in der Vierten und Fünften Klasse zu fordern; dergestalt, daß ihnen diese ihre Rechte nur in dem übrigen Vermögen des Schuldners vorbehalten bleiben.

§. 28.

Nach erfolgter Präklusion der Außengebliebenen werden sodann die Gläubiger, welche sich gemeldet haben, nach der Ordnung der Priorität, so wie sie der Hypothekenschein oder die angezeigte Qualität ihrer Forderung bestimmen, hintereinander aufgeführt.

§. 29.

Gläubiger, welche der Gemeinschuldner für bekannt angenommen hat, werden auf den Grund dieses Anerkenntnisses angesetzt. Solchen Gläubigern hingegen, wider die er Einwendungen gemacht hat, wird bloß ihre Stelle nach der Ordnung der Priorität vorbehalten; und ob, auch wie viel sie an diesem Orte aus der Masse zu empfangen haben, deshalb wird auf den Erfolg der nach §. 24. eingeleiteten Separatinstruktionen Bezug genommen.

§. 30.

Gegen dergleichen Urtel, welches auf die im vorigen Titel §. 166. beschriebene Art publicirt wird, ist eigentlich nur das Theil I. Tit. XIV. Abschn. III. verordnete Rechtsmittel zulässig.


(1233) Liquidationsprozeß.

§. 31.

Wenn jedoch durch den Gebrauch desselben ein neuer Kreditor auf Theilnehmung an der Kaufgeldermasse Anspruch macht, und diese dadurch zur vollständigen Befriedigung sämmtlicher übrigen in dem Urtel angesetzten Gläubiger unzureichend werden könnte; so muß das Gericht denjenigen Gläubigern, gegen welche dieser Liquidant vorzügliche, oder doch mit ihnen gleiche Rechte verlangt, davon Nachricht geben: damit dieselben wegen ihres etwanigen, durch diesen neuen Zutritt erst entstehenden Interesse, in Ansehung der ihren Forderungen in dem Urtel angewiesenen Stelle, durch Nachbringung einer Appellation dagegen, annoch gehörige Vorsorge treffen können.

§. 32.

Außer diesem besondern Falle hingegen wird durch das Präklusions- und Prioritätsurtel der Liquidationsprozeß geendigt. Die darin ohne Vorbehalt angesetzten Gläubiger können nunmehr ihre Befriedigung aus den Kaufgeldern sofort, oder nach Verlauf der stipulirten Aufkündigungsfrist, welche, wenn sie nicht früher erfolgt wäre, vom Tage der geschehenen Insinuation der Vorladung, oder bei unbekannt gewesenen, von dem Tage, wo die Citation den Intelligenzblättern zum Erstenmale eingerückt worden, zu rechnen ist, fordern; ohne daß ihren Mitgläubigern ferner einiges Widerspruchsrecht dagegen zusteht. Und ein Gleiches findet in Ansehung der übrigen Statt, so bald ihre Forderungen bei den nach §. 24. eingeleiteten Specialinstruktionen liquid geworden sind.

§. 33.

Die Kosten eines solchen Liquidationsprozesses muß der Gemeinschuldner allein tragen, und sie auch den Gläubigern, in so fern er gegen deren Ansprüche keine erhebliche Einwendungen gehabt hat, vergüten.


(1234) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

2) Wenn die Zulänglichkeit ungewiß, oder die Unzulänglichkeit klar ist.

§. 34.

In dem zweiten §. 22. gesetzten Falle, wo die Unzulänglichkeit der Masse zur Befriedigung sämmtlicher angemeldeten Forderungen klar, oder deren Zulänglichkeit wenigstens zweifelhaft ist, muß in Ansehung des weitern Verfahrens und der Instruktion der Sache, zwischen dem Gemeinschuldner und den Gläubigern, so wie zwischen den Letzteren unter sich, in erster sowohl, als zweiter Instanz, die Vorschrift des Funfzigsten Titels §. 129-142., ingleichen §. 167. u. f., durchgehends beobachtet werden.

§. 35.

Der Gemeinschuldner tritt dabei an die Stelle des Kurators; und der Punkt der Priorität einer jeden liquidirten Forderung muß auf eben die Art, wie im Konkurse, zwischen den Gläubigern geprüft und erörtert werden.

§. 36.

Nach geschlossenem Liquidationsverfahren wird ein Prioritätsurtel abgefaßt und publicirt, und darin die Präklusion der außengebliebenen Gläubiger erkannt; sodann aber werden die erschienenen mit ihren Forderungen, nach der Qualität derselben, und nach eben den Gesetzen, wie im Konkurse, klassificirt.

§. 37.

In Ansehung der Präklusion, deren Fassung und Wirkung, gelten die Vorschriften §. 26. 27.; das übrige Urtel aber ist nach den Anweisungen des Funfzigsten Titels §. 148. u. f. abzufassen und zu publiciren.

Was in diesem Falle wegen der Zinsen Rechtens sey.

§. 38.

Nur allein in Ansehung der Zinsen der liquidirten Kapitalien, und in Ansehung der Kosten des Liquidationsprozesses, finden andere Maßgaben Statt, als im Konkursprozesse vorgeschrieben sind.

§. 39.

So wie nämlich nach Vorschrift §. 7. durch den eröffneten Liquidationsprozeß der Lauf der Zinsen


(1235) Liquidationsprozeß.

nicht so, wie im Konkurse bei den Personalgläubigern geschieht, unterbrochen wird; so müssen auch den liquidirenden Gläubigern sämmtliche Zinsen, sowohl die rückständigen, als die laufenden, in so fern sie während des Prozesses von dem Gemeinschuldner, oder aus dem Gute, nicht bezahlt worden, mit dem Kapitale zugleich zuerkannt werden.

§. 40.

Wenn hiernächst bei der Distribution der Kaufgelder sich findet, daß die Masse zur vollständigen Befriedigung sämmtlicher in dem Liquidationsurtel angesetzten Gläubiger nicht hinreiche; so ist ein Unterschied zu machen:

ob nicht wenigstens die zur Ersten, Zweiten und Dritten Klasse gehörenden Forderungen vollständig daraus bezahlt werden können, und der Ausfall sich nur bei den Gläubigern der Vierten und Fünften Klasse äußere;

oder:

ob die Masse auch zur Bezahlung der eingetragenen Gläubiger nicht hinreiche.

§. 41.

Können die Gläubiger der drei ersten Klassen aus der vorhandenen Masse vollständig befriedigt werden, so sind sie nicht schuldig, sich einen Abzug an ihren Zinsen gefallen zu lassen; sondern müssen selbige, sowohl laufende, als rückständige, wenn auch letztere seit länger, als zwei Jahren, noch unbezahlt wären, vollständig empfangen.

§. 42.

Die Gläubiger der Vierten und Fünften Klasse hingegen müssen lediglich an den ordentlichen persönlichen Richter des Schuldners verwiesen, und was etwa von den Kaufgeldern, nach vollständiger Befriedigung der eingetragenen Gläubiger, noch übrig bleibt, muß an diesen, nach Vorschrift §. 10., abgeliefert werden.


(1236) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

§. 43.

Haben entweder diese, oder auch bloße Personalgläubiger, in dem persönlichen Gerichtsstande des Schuldners auf Eröffnung des Konkurses angetragen, und bescheinigen sie diese Provokation bei dem Richter des Liquidationsprozesses (in so fern dieser nicht selbst zugleich der persönliche Richter ist); so muß Letzterer den eingetragenen Gläubigern nur zweijährige Zinsenrückstände, von dem Tage der Eröffnung des Liquidationsprozesses zurück gerechnet, auszahlen; die Verabfolgung älterer Zinsenrückstände hingegen, so lange, bis über die Provokation auf Konkurs etwas Entscheidendes verfügt ist, aussetzen.

§. 44.

Wird in der Folge der Konkurs wirklich eröffnet, so muß der Richter des Liquidationsprozesses Alles, was von der Masse, nach Befriedigung der Ersten, Zweiten und Dritten Klasse, an Kapital und privilegirten Zinsen noch übrig ist, an den Richter des Konkurses abliefern, und gedachte Gläubiger mit ihren älteren Zinsenrückständen lediglich an diesen verweisen.

§. 45.

Nach eben dieser Vorschrift (§. 44.) ist zu verfahren, wenn die Kaufgeldermasse nicht einmal zur vollständigen Befriedigung der ersten drei Klassen hinreicht; wo sodann diese Kreditoren nur ihre Kapitalien nebst zweijährigen Zinsenrückständen erhalten, und mit den älteren Resten an den persönlichen Richter des Schuldners verwiesen werden.

§. 46.

Was hier §. 39-46. wegen der rückständigen Zinsen verordnet ist, gilt auch von den Rückständen der nach §. 393. Tit. L. an sich zur Zweiten Klasse gehörenden Forderungen, welche in dem Falle des §. 41. vollständig, ohne Einschränkung auf gewisse Jahre, in dem Falle des §.45. aber nur mit einem


(1237) Liquidationsprozeß.

zweijährigen Rückstande, von dem Richter des Liquidationsprozesses zu befriedigen sind.

§. 47.

Die Kosten des Liquidationsprozesses muß auch in diesem Falle (§. 45.) der Gemeinschuldner tragen. Doch kann, wenn selbige von ihm entweder gar nicht, oder nicht ohne große Weitläufigkeiten und Zeitverlust beigetrieben werden könnten, das Gericht diejenigen, welche ihm zukommen, von der Masse der Kaufgelder, folglich dem letzten Percipienten, in Abzug bringen; diesem aber bleibt wegen solcher Abzüge der Regreß an den Gemeinschuldner, wenn er auch sonst ihm persönlich nicht verhaftet wäre, vorbehalten.

§. 48.

Uebrigens ist jeder Kreditor, welcher im Liquidationsprozesse mit seiner Forderung ganz oder zum Theil ausfällt, gleich anderen Gläubigern, sich dieses Ausfalls wegen, an die Person und das übrige Vermögen seines Schuldners zu halten berechtigt.

§. 49.

Wenn das Gut, über welches ein solcher Liquidationsprozeß entsteht, ein Lehngut wäre, so müssen dabei die Agnaten und Gesammthander, nicht nur bei der Citation der Gläubiger, sondern auch bei der Prüfung der von selbigen liquidirten Realansprüche, nach der Lehnsverfassung einer jeden Provinz, gehörig zugezogen werden.

§. 50.

Aus Vorstehendem erhellet, daß der eigentliche Liquidationsprozeß hauptsächlich zum Besten der nicht eingetragenen Gläubiger Statt finde, denen die Gesetze die Befugniß beilegen, sich auf die Grundstücke ihres Schuldners, so lange dieselben noch in seinem Eigenthume und Besitze befindlich sind, eintragen zu lassen; und welche das hieraus fließende vorzügliche Recht verlieren würden, wenn das Grundstück auf einen andern Besitzer im Hypothekenbuche übertragen,


(1238) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

und das Kaufgeld von dem Schuldner eingezogen und verwendet würde. Denn der Gemeinschuldner wird durch das im Liquidationsprozesse ergehende Präklusionsurtel von seiner Zahlungsverbindlichkeit nicht befreit; der Käufer eines Grundstücks bedarf eines solchen Urtels zu seiner Sicherheit nicht, da das Grundstück selbst in den Händen eines dritten Besitzers nur für eingetragene Forderungen haftet; und den eingetragenen Gläubigern bleibt ihr Recht auf das Grundstück gegen einen jeden Besitzer desselben.

Prioritätsverfahren über bewegliche Sachen.

§. 51.

Daher findet ein Liquidationsprozeß auch nur über Grundstücke und deren Kaufgeld, und nicht über bewegliche Sachen oder Aktivkapitalien, Statt. Vielmehr kann zwar, wenn mehrere Gläubiger im Wege der Exekution an einen solchen Gegenstand sich halten wollen, und derselbe zu ihrer aller Befriedigung unzureichend ist, die Priorität unter diesen Gläubigern, nach den im Vierten Abschnitt des vorigen Titels enthaltenen Vorschriften, durch ein Erkenntniß regulirt werden. Es findet aber dabei keine öffentliche Aufforderung oder Präklusion Statt; und das Prioritätserkenntniß hat nur unter den Gläubigern, zwischen welchen es ergangen ist, seine Wirkung: also daß, wenn in der Folge andere Gläubiger sich melden, die auf ein solches Objekt ein vorzügliches Recht vor den darauf angesetzten Kreditoren zu haben vermeinen, Ersteren gegen die Letzteren, so lange dieß Objekt noch vorhanden ist, das rechtliche Gehör nicht versagt werden kann.

Anh. §. 380. Die sich solchergestalt meldenden Gläubiger werden weder durch ein rechtskräftiges Prioritätserkenntniß, noch durch ein rechtskräftiges Distributionsurtel, sondern nur durch die wirklich erfolgte Distribution selbst, mit ihren Ansprüchen von dem Objekte ausgeschlossen.

Aufgebot eines Fideikommißkapitals oder Lehnstamms.

§. 52.

Nur allein, wenn ein Fideikommißkapital, oder ein Lehnstamm vorhanden ist, aus dessen Zinsen mehrere


(1239) Liquidationsprozeß.

Gläubiger des zeitigen Inhabers befriedigt seyn wollen, und doch ihre Befriedigung nur nach und nach erhalten können, ist es diesen Gläubigern erlaubt, auf Eröffnung eines Liquidationsprozesses mit der Wirkung anzutragen, daß nicht nur die Priorität unter ihnen selbst regulirt werde, sondern auch diejenigen Gläubiger, die auf gehörig ergangene Vorladung sich nicht melden, so lange warten müssen, bis die in dem Liquidationsurtel angesetzten und angewiesenen Gläubiger befriedigt sind; damit nicht die unter den sich meldenden Gläubigern einmal erfolgte Regulirung der Sache, und die Ordnung, in welcher sie zur Hebung gelangen sollen, durch die allaugenblickliche Zwischenkunft neuer, ein Vorrecht verlangender Gläubiger gestört und unterbrochen werde. Bei einem solchen Liquidationsprozesse finden die Vorschriften des gegenwärtigen Abschnitts, so weit nicht die Natur der Sache einen sich von selbst ergebenden Unterschied mit sich bringt, ebenfalls Anwendung.

Zweiter Abschnitt.

Vom erbschaftlichen Liquidationsprozesse.

Zweck des erbschaftlichen Liquidationsprozesses.

§. 53.

Eine zweite Art von Liquidationsprozessen entsteht alsdann, wenn ein Beneficialerbe alle diejenigen, welche an den ihm zugefallenen Nachlaß Anspruch haben, vorladen läßt, zu dem Ende: daß die Richtigkeit und der Betrag ihrer Forderungen ausgemittelt, und zugleich die Ordnung festgesetzt werde, in welcher sie aus dem Nachlasse, wenn derselbe zu ihrer vollständigen Befriedigung nicht hinreichend wäre, bezahlt werden sollen.


(1240) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

§. 54.

Die Gesetze bestimmen nämlich eine Frist, innerhalb welcher derjenige, dem eine Erbschaft angefallen ist, sich erklären soll: ob er derselben entsage; oder ob er sie ohne Vorbehalt, oder mit dem Vorbehalt der Rechtswohlthat des Inventarii, annehme. (A. L. R. Th. I. Tit. IX. §. 383. u. f.)

§. 55.

Entsagt der Erbe der Verlassenschaft gänzlich, und die Entsagung geschieht nicht ausdrücklich zu Gunsten des auf ihn folgenden Erben; so entsteht nach Vorschrift Tit. L. §. 4. Nr. 2. Konkurs; und es ist ferner in der Sache nach den Anweisungen dieses Titels zu verfahren.

§. 56.

Nimmt der Erbe den Nachlaß ohne Vorbehalt der Wohlthat des Inventarii an, so muß er sämmtlichen Erbschaftsgläubigern für den Betrag ihrer Forderungen haften, ohne jemals sich mit der Unzulänglichkeit des Nachlasses dazu schützen zu können.

§. 57.

Wenn aber der Erbe die Erbschaft ausdrücklich nur unter dem Vorbehalte der Rechtswohlthat des Inventarii annimmt; oder wenn er sich gar nicht erklärt, und also für einen Beneficialerben geachtet wird; so ist er den Erbschaftsgläubigern nur auf den Betrag des Nachlasses gerecht zu werden verbunden; er kann sich aber auch nicht anmaaßen, denselben nach eigener Auswahl Zahlung zu leisten; sondern er muß dieses nach derjenigen Ordnung thun, welche die Gesetze vorschreiben. Beobachtet er diese Vorschriften nicht, und erschöpft er den Nachlaß durch Zahlungen an einige Kreditoren dergestalt, daß selbiger zur Befriedigung anderer Gläubiger, denen die Gesetze einen vorzüglichem Platz anweisen, unzureichend wird; so kann er sich gegen solche vorzügliche Kreditoren mit der Wohlthat des Inventarii nicht schützen, sondern


(1241) Liquidationsprozeß.

muß denselben aus seinem eigenen Vermögen auf so viel gerecht werden, als sie erhalten haben würden, wenn der Nachlaß unter die Kreditoren überhaupt nach gesetzmäßiger Ordnung wäre vertheilt worden. (Allg. L. R. a. a. O. §. 420-422. §. 452-456.)

§. 58.

Damit ein solcher Erbe wissen möge, wie weit und an welche Kreditoren er mit Sicherheit Zahlung leisten kann, ohne sich anderen dadurch verantwortlich zu machen; so erlauben ihm die Gesetze, auf Eröffnung eines Liquidationsprozesses und öffentliche Vorladung der Gläubiger anzutragen.

Wer darauf antragen könne.

§. 59.

Dergleichen Liquidationsprozeß kann also nur auf Instanz des Beneficialerben eröffnet werden. Wenn sich jedoch derselbe gegen Erbschaftsgläubiger, und die von selbigen nachgesuchten Exekutionen, durch den Vorwand der Wohlthat des Inventarii schützen will, und gleichwohl auf die Eröffnung des Liquidationsprozesses gehörig anzutragen verzögert; so muß der Richter ihm eine billige Frist zu deren Nachsuchung unter der Warnung bestimmen: daß er nach fruchtlosem Ablaufe dieser Frist, der Rechtswohlthat verlustig erklärt, und dafür, daß er die Erbschaft ohne Vorbehalt angetreten habe, geachtet; folglich auf das Andringen aller Erbschaftsgläubiger, ohne Unterschied, mit der Exekution wider ihn, allenfalls in sein eigenes Vermögen, verfahren werden solle.

§. 60.

Leistet der Erbe dieser Auflage innerhalb der bestimmten Frist kein Genüge, so muß, auf ferneres Andringen eines oder mehrerer Erbschaftsgläubiger, ein naher Präjudicialtermin anberaumt, und der Erbe, unter Wiederholung obiger Warnung, dazu vorgeladen werden. Wenn er nun weder vor, noch in diesem Termine, die Eröffnung des Liquidationsprozesses gehörig nachsucht, noch auch solche Gründe


(1242) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

und Umstände, welche den Richter zur Verlängerung der Frist, nach rechtlichem und billigem Ermessen, bestimmen können, beibringt; so muß, der Kommination gemäß, wider ihn erkannt, und er in contumaciam dafür: daß er die Erbschaft ohne Vorbehalt angetreten habe, geachtet werden.

Gegen dergleichen Erkenntniß soll auch kein Rechtsmittel weiter zulässig, jedoch dem Erben verstattet seyn, noch innerhalb zehn Tagen nach publicirtem Urtel, das Provokationsgesuch anzubringen, und dadurch die Folgen seines bisherigen Verzugs abzulehnen.

Wirkungen der Eröffnung desselben.

§. 61.

So bald hingegen der Erbe aus Eröffnung des Liquidationsprozesses ordnungsmäßig angetragen hat, so kann er vor Austrag der Sache in irgend einiger Zahlung an die Erbschaftsgläubiger nicht angehalten, viel weniger Exekution wider ihn, oder wider den Nachlaß verfügt werden; sondern sämmtliche Kreditoren müssen, außer dem unten §. 76. näher bestimmten Falle, sich gedulden, bis durch das ergangene und rechtskräftig gewordene Prioritätsurtel feststehen wird: wie weit der Nachlaß auf sie hinreiche, und in welcher Ordnung sie ihre Befriedigung daraus erhalten können.

§. 62.

Vorlegung des Inventarii.

Der Erbe, welcher auf Eröffnung des Liquidationsprozesses provociren will, muß zugleich ein gerichtliches Inventarium, oder ein von ihm außergerichtlich angefertigtes, und demnächst eidlich zu bestärkendes Verzeichniß des gesammten Nachlasses, und der daraus zu bezahlenden Schulden, innerhalb der in den Gesetzen bestimmten Frist, bei Verlust der Rechtswohlthat, einreichen (Allg. L. R. a. a. O. §. 423-433.)


(1243) Liquidationsprozeß.

§. 63.

Aus diesem Inventario ergiebt sich entweder: daß der Nachlaß zur Befriedigung sämmtlicher Gläubiger nicht hinreiche;

oder

dergleichen Unzulänglichkeit des Nachlasses ist daraus nicht ersichtlich.

§. 64.

Ist aus dem Inventario eine Unzulänglichkeit des Nachlasses klar, so kann der Erbe, wenn er sich der Rechtswohlthat nicht begeben will, der von den Gläubigern verlangten Konkurseröffnung nicht widersprechen; und die ganze Sache muß von nun an nach den Anweisungen des vorhergehenden Funfzigsten Titels behandelt werden.

§. 65.

Es wird also nicht allein die Citation der Gläubiger, wie in Konkursen, verfügt, sondern auch der Nachlaß in gerichtlichen Beschlag genommen, und ein Kurator der Masse konstituirt. Von den Gläubigern hängt es ab: ob sie diese Kuratel dem Erben auftragen wollen. Thun sie es, und versteht sich der Erbe zu Uebernehmung derselben; so ist er dennoch nur wie jeder andere Kurator zu betrachten, und in dieser Qualität seinen Konstituenten von seinem Betragen, und der geführten Administration, Red´ und Antwort zu geben schuldig. Wählen aber die Gläubiger einen andern Kurator, so muß der Erbe demselben den Nachlaß nach dem Inventario ausliefern, und von seiner, seit dem Todestage geführten, Administration, in so fern er sich deren wirklich angemaaßt hat, Rechnung ablegen.

§. 66.

Der Tag des eröffneten Konkurses wird auch in diesem Falle nach der Vorschrift Tit. L. §. 22. bestimmt. In Ansehung der von den Erben in der Zwischenzeit vorgenommenen Dispositionen gelten,


(1244) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

in der Regel, zu Gunsten derjenigen, mit welchen dergleichen Verfügungen getroffen worden sind, die eben daselbst §. 42. u. f. ertheilten Vorschriften. Doch haftet der Erbe, wegen des daraus den Gläubigern etwa entstehenden Nachtheils überhaupt, für ein grobes und mäßiges Versehen (A. L. R. a. a. O. §. 444-446.) In Ansehung der zu dem Nachlasse gehörenden Grundstücke sind dergleichen Dispositionen in der Regel ungültig (ebend. 447-451.); und die an nachgesetzte Gläubiger außer der Ordnung geleisteten Zahlungen können den übrigen nicht in Anrechnung gebracht werden. (Ebend. §. 453. 454.)

§. 67.

Der einzige Unterschied zwischen einem Beneficialerben, und demjenigen, welcher einer ihm angefallenen Erbschaft ohne Vorbehalt entsagt hat, besteht alsdann nur darin: daß dem Erstern, wenn nach beendigtem Prozesse, nach erfolgter Befriedigung sämmtlicher Gläubiger, und nach Abzug aller Kosten, von der Masse noch etwas übrig bleibt, dieser Ueberrest als sein wirkliches Erbtheil zu gute kommt; wo hingegen, wenn der Erbe der Erbschaft ohne Vorbehalt entsagt hat, dergleichen Ueberrest entweder dem nächsten nach ihm, oder in dessen Ermangelung, als herrenlos, dem Fiskus anheim fällt. (A. L. R. Th. I. Tit. IX. §. 406. Th. II. Tit. XVI. §. 16. 17.)

2. Wenn die Insufficienz nicht klar ist.

§. 68.

Ist aus dem übergebenen Verlassenschaftsinventario eine Unzulänglichkeit der Aktivmasse zu Bezahlung der Gläubiger nicht klar; so entsteht der eigentliche Liquidationsprozeß; und es müssen dabei, sowohl wegen Festsetzung der Aktiv- als der Passivmasse, nachstehende Vorschriften beobachtet werden.

I. Verfahren in Ansehung der Aktivmasse.

§. 69.

Was den Aktivnachlaß betrifft, so bleibt, der Regel nach, der Erbe in dem Besitze und der Administration desselben. Er muß jedoch dabei nichts


(1245) Liquidationsprozeß.

vornehmen, wodurch die Masse zum Nachtheil der Gläubiger verändert oder geschwächt werden könnte; widrigenfalls er sich denselben deshalb aus seinem eigenen Vermögen responsabel macht. (A. L. R. Th. I. Tit. IX. § 445.)

Anh. §. 381. Wenn die Unzulänglichkeit des Nachlasses nicht schon aus dem Inventario klar ist, kann, bis zur Eröffnung des Konkurses oder bis zur Abfassung des Praklusionserkenntnisses im erbschafllichen Liquidationsprozeß, unvermögenden minderjährigen Erben der nothdürftige Unterhalt aus den Einkünften einer unter der Rechtswohlthat des Inventarii angetretenen Erbschaft angewiesen werden. Die Minderjährigen sind unter diesen Umständen für redliche Besitzer zu achten; und es geschieht zum Besten der Gläubiger, wenn durch die Vormünder die Administration der Masse besorgt wird. Nur muß die Eröffnung des Liquidationsprozesses nicht ohne Noth verzögert, und wenn dabei die Besorgnis der Unzulänglichkeit sich vergrößert, den Gläubigern die Wahl gelassen werden, ob sie die Administration fernerhin, gegen nothdürftige Verpflegung der Kuranden, deren Vormündern überlassen, oder einen besondern Kurator bestellen wollen.

In welchen Fällen die Administration derselben dem Erben verbleibe, oder nicht.

§. 70.

Die Gläubiger können also dem Erben den Nachlaß, dessen Besitz und Administration, wider seinen Willen nicht entziehen; es wäre denn, daß dieselben solche Umstände anzuführen vermöchten, woraus gegen den Erben ein gründlicher Verdacht entsteht, daß er mit der Erbschaft unrichtig und nachtheilig umgehe, oder doch, daß er damit solche Verfügungen treffe, woraus eine Verdunkelung der Masse, oder eine Vermischung derselben mit dem eigenen Vermögen des Erben, die in der Folge zu Weiterungen Anlaß geben könnte, zu besorgen ist.

§. 71.

Wenn die Gläubiger dergleichen Umstände anführen und bescheinigen, so muß, unter Mittheilung ihres Gesuchs, der Erbe auf einen nahen Termin vorgeladen; darin die Sache untersucht und auseinander gesetzt; die dabei vorkommenden Thatsachen,


(1246) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

so weit es durch die von beiden Seiten angegebenen, mit zur Stelle gebrachten, oder in der Nähe zu habenden Beweismittel, sofort im Termine selbst geschehen kann, erörtert; wo möglich ein Interimistikum unter den Parteien gütlich regulirt; in Entstehung dessen aber ein solches Interimistikum, und die zur Sicherstellung der Masse erforderlichen Maaßregeln, auf eben die Art, wie im Titel vom Indult verordnet ist, von dem Richter, durch eine Resolution, von Amts wegen festgesetzt werden.

§. 72.

Außerdem sind diejenigen Gläubiger, welche nach der Qualität ihrer Forderungen gegen den Erblasser Realarrest auszubringen befugt gewesen seyn würden, denselben auch gegen seinen Nachlaß zu suchen berechtigt, und die Justifikation dieses Arrests wird alsdann zu dem anstehenden Liquidationstermine verwiesen.

In wie fern der Erbe sich der Administration begeben könne.

§. 73.

So wie aber in dem Falle des §. 68., wo aus dem Inventario eine Unzulänglichkeit der Masse nicht klar ist, die Kreditoren dem Erben den Besitz und die Administration des Nachlasses wider seinen Willen nicht anders, als aus den angeführten besonderen Ursachen, entziehen können, so ist dagegen der Erbe berechtigt, wenn er sich der mit dieser Administration verbundenen Obliegenheiten und Vertretungen entledigen will, den Nachlaß an die Gläubiger dergestalt abzutreten, daß derselbe, durch einen von ihnen zu bestellenden Kurator, unter gerichtlicher Aufsicht verwaltet, ins Geld gesetzt, unter die Gläubiger vertheilt, und ihm nur der davon, nach Abzug sämmtlicher Schulden und Kosten, verbleibende Ueberrest als sein Erbtheil ausgeantwortet werde.

§. 74.

Erwählt der Erbe diesen Weg, so muß von den Gläubigern sofort auf eben die Art, wie im Konkurse,


(1247) Liquidationsprozeß.

ein Kurator bestellt; diesem der Nachlaß nach dem Inventario ausgeantwortet; ihm von dem Erben für die seit dem Tode des Erblassers verlaufene Zeit, und über die von ihm inzwischen deshalb vorgenommenen Dispositionen Red' und Antwort ertheilt, auch allenfalls Rechnung abgelegt; durch diesen Kurator die Masse eben so, wie bei Konkursen vorgeschrieben ist, verwaltet; und überhaupt wegen Festsetzung, Versilberung und Vertheilung, der Inhalt des Funfzigsten Titels befolgt werden.

Anh. §. 382. Ob in diesem Falle zur Feststellung der Forderungen und Konstituirung der Masse die Erlassung des offenen Arreste nothwendig sey, bleibt der Beurtheilung des Gerichts überlassen.

§. 75.

Der Erbe bleibt alsdann bloß schuldig, dem Kurator über die zur Sache gehörigen Umstände, in so fern er davon unterrichtet seyn kaun, nach seinem besten Wissen Auskunft zu geben; dagegen muß aber auch derselbe, wegen seines in Rücksicht eines Überschusses der Masse bei der Sache habenden Interesses, sowohl bei der Liquidation der Gläubiger, als in allen die Aktivmasse betreffenden Fällen, wo nach der Vorschrift Tit. L. §. 78. u. f. der Kurator mit den Gläubigern Rücksprache halten muß, gleich diesen gehörig zugezogen werden.

§. 76.

So lange der Erbe in der Administration des Nachlasses bleibt, ist er schuldig, die auf den dazu gehörigen unbeweglichen Grundstücken haftenden öffentlichen Lasten und Abgaben aus den Revenüen zu entrichten; auch den darauf eingetragenen Gläubigern die laufenden Zinsen ihrer Kapitalien zu bezahlen. Sobald er sich aber der Administration begiebt, muß für die Berichtigung der ersteren der Kurator sorgen; und Letztere müssen sich nach der Vorschrift a. a. O. §. 494. u. f. an die laufenden Gutseinkünfte, so weit sie hinreichend sind, halten.


(1248) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

In wie fern nach abgehaltenem Liquidationstermine die Lage der Sache sich ändern könne.

§. 77.

Wenn es hiernächst zum Liquidationstermine kommt, und der Erbe durch die darin geschehene Anmeldung der Gläubiger von dem eigentlichen Betrage der Schulden näher unterrichtet worden ist; so steht ihm anderweit frei, er mag bis dahin in Besitz und Administration des Nachlasses geblieben seyn oder nicht, sich zu erklären:

ob er nunmehr ohne Vorbehalt Erbe seyn, und die erschienenen Gläubiger, so weit sie ihre Forderungen wahr machen werden, ohne ferner gegen sie auf die Rechtswohlthat des Inventarii sich zu berufen, befriedigen wolle;

oder

ob er verlange, daß die Sache in dem bisherigen Wege, bis zur Vertheilung der Masse, fortgesetzt werde, und ihm die bisher geführte Administration des Nachlasses ferner verbleibe;

oder

ob er diese Administration und Vertheilung, auf die §. 73. beschriebene Art, den Gläubigern unter gerichtlicher Aufsicht überlassen wolle.

§. 78.

Erklärt er sich, nunmehr ohne Vorbehalt Erbe zu seyn, so muß ihm die freie Administration und Disposition über den Nachlaß verbleiben; oder in so fern sie bisher beschränkt gewesen, mit Aufhebung dieser Schranken, wiederum eingeräumt werden. Er wird aber auch dadurch den Gläubigern dergestalt verhaftet, daß er ihnen ihre rechtlich ausgemittelten Forderungen gewähren muß, ohne sich dagegen mit einer vorgeblichen Unzulänglichkeit der Masse ferner schützen zu können.

§. 79.

In diesem Falle wird der ganze Liquidationsprozeß durch eine bloße Resolution, in welcher, auf den Grund der Erklärung des Erben, seine daraus folgende


(1249) Liquidationsprozeß.

Verbindlichkeit festgesetzt wird, ohne daß es eines Präklusions- oder Prioritätsurtels bedarf, beendigt. Doch wird bloß dadurch der von einzelnen Gläubigern auf den Nachlaß, nach Maßgabe §. 72., ausgebrachte Arrest noch nicht gehoben.

§. 80.

Erklärt sich dagegen der Erbe, daß er die bisher geführte Administration des Nachlasses ferner fortsetzen wolle, ohne sich jedoch der Wohlthat des Inventarii gegen die Gläubiger zu begeben; so muß ihm dieselbe in der Regel zwar gelassen werden, er bleibt aber auch alsdann den Gläubigern wegen der Vertretung und Rechnungslegung verhaftet.

§. 81.

In beiden §. 78. und 80. bestimmten Fällen ist auch den Gläubigern unbenommen, wenn entweder im Liquidationstermine sich eine Unzulänglichkeit des Nachlasses an den Tag gelegt hat; oder wenn dergleichen §. 70. beschriebene Umstände vorwalten, weswegen sie dem Erben die Administration ferner zu überlassen bedenklich finden, auf die nöthigen Maaßregeln zur Sicherstellung der Masse, z. B. daß die Verwaltung derselben dem Erben gänzlich genommen, und einem gerichtlich bestellten Kurator anvertraut; oder daß von dem Erben Kaution bestellt; oder daß ihm ein Aufseher beigegeben werde u. s. w., gehörig anzutragen.

Melden sich Kreditoren mit dergleichen Antrag, so muß das Gericht zur nähern Untersuchung und Erörterung desselben unverzüglich schreiten, und dabei die Vorschriften des §. 71. beobachten.

§. 82.

Im dritten Falle des §. 77., wenn nämlich der Erbe noch im Liquidationstermine sich erklärt, den Nachlaß an die Gläubiger,


(1250) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

zur gerichtlichen Administration und Vertheilung, überlassen zu wollen, findet die Vorschrift des §. 74. u. f. Anwendung.

§. 83.

In allen Fällen ohne Unterschied, wo die Administration und Vertheilung der Masse gerichtlich besorgt wird, muß, wenn bei letzterer für den Erben noch etwas übrig bleibt, der Betrag dieses Ueberrests in dem Distributionsurtel ausdrücklich festgesetzt werden. Nur nach Höhe dieses Betrages ist alsdann der Erbe, den nach beendigter Liquidation sich etwa noch meldenden Erbschaftsgläubigern, desgleichen den Legatarien, gerecht zu werden verbunden; und weder die einen noch die anderen können wegen des übrigen Nachlasses, oder auch deßwegen, daß jener Betrag von dem Erben nicht nach der Ordnung der Priorität ausgezahlt worden ist, eine Verantwortung, Rechnungslegung, oder Vertretung von ihm fordern.

II. Verfahren wegen Ausmittelung der Passivmasse.

§. 84. Bisher ist von demjenigen gehandelt worden, was in einem Liquidationsprozesse wegen der Aktivmasse, deren Festsetzung und Administration, zu beobachten sey. Nunmehr aber soll, nach Anleitung §. 68., das Verfahren wegen Ausmittelung der Passivmasse bestimmt werden.

Citation.

§. 85.

In Ansehung der Konvokation der Gläubiger sind alle im vorhergehenden Titel §. 99-113. gegebene Vorschriften auch hier zu befolgen: mit dem einzigen Unterschiede, daß die den Vorladungen beizufügende Warnung nicht so, wie a. a. O. §. 99. Nr. 3. vorgeschrieben worden, sondern bloß dahin zu fassen ist:

daß die außen bleibenden Kreditoren aller ihrer etwanigen, Vorrechte verlustig erklärt, und mit ihren Forderungen nur an dasjenige, was nach


(1251) Liquidationsprozeß.

Befriedigung der sich meldenden Gläubiger, von der Masse noch übrig bleiben möchte, verwiesen werden sollen.

§. 86.

Auch wenn in der Folge, wegen einer sich ergebenden Unzulänglichkeit des Nachlasses, der erbschaftliche Liquidations- in einen Konkursprozeß verwandelt wird, bedarf es dennoch keiner nochmaligen Vorladung der Gläubiger, und am wenigsten einer nochmaligen Ediktalcitation. Wenn jedoch in einem solchen Falle gleichwohl, nach Befriedigung sämmtlicher erschienenen Gläubiger, am Ende noch etwas von dem Nachlasse übrig bleiben sollte; so können die im Liquidationsprozesse präkludirten Gläubiger sich daran halten, und der Erbe, welcher einen solchen Ueberrest in Empfang nimmt, muß ihnen nach Höhe desselben, der Vorschrift §. 83. zu Folge, gerecht werden.

§. 87.

Der anberaumte Liquidationstermin muß auch dem Erben bekannt gemacht werden: theils damit er in selbigem auf die Ansprüche der Gläubiger antworten, und dem Kurator, wenn dergleichen bestellt worden ist, die nöthigen Data desfalls an die Hand geben: theils aber auch, damit er seine eigenen Anforderungen an den Nachlaß, worunter auch die von ihm, bei der bisherigen Administration desselben, etwa gemachten Auslagen und Vorschüsse begriffen sind, anmelden und liquidiren könne.

Fortsetzung der Spezialprozesse.

§. 88.

In der Zwischenzeit, bis zum Termine, können die von einzelnen Gläubigern etwa schon gegen den Erblasser, oder auch gegen den Erben, noch vor Eröffnung des Liquidationsverfahrens angefangenen Prozesse fortgesetzt, und bis zum Definitiverkenntnisse instruirt werden; das Erkenntniß selbst aber bleibt bis nach geschlossenem Liquidationsverfahren


(1252) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

ausgesetzt, und macht alsdann einen Theil des Liquidationsurtels aus.

Werden in dieser Zwischenzeit neue Klagen angebracht, so wird mit Aufnehmung derselben, wie gewöhnlich, verfahren; auch geschieht die Kommunikation der aufgenommenen Klage an den Kurator, oder den Erben. Die Beantwortung und weitere Instruktion aber wird zu dem bevorstehenden Liquidationstermine verwiesen.

Verfahren im Termine. Abweichungen dabei gegen den Konkursprozeß.

§. 89.

In diesem Termine selbst wird, so wie im weitern Verfolge der Sache, bis sämmtliche angemeldete Forderungen rechtskräftig ausgemittelt und entschieden sind, sowohl in der ersten, als den folgenden Instanzen, gleichergestalt nach den Vorschriften des Funfzigsten Titels §. 116 u. f. verfahren, und müssen dabei nur folgende nähere Bestimmungen beobachtet werden:

1) Wenn kein besonderer Kurator bestellt ist, so muß der Erbe, bei der Liquidation der Gläubiger, die dem Kurator oder Kontradiktor im Konkurse am angeführten Orte vorgeschriebenen Obliegenheiten wahrnehmen.

2) Wenn in diesem Falle der Erbe selbst als Liquidant bei der Masse sich meldet, so muß, zur Untersuchung und Erörterung seiner Ansprüche, von den übrigen Gläubigern ein besonderer gemeinschaftlicher Bevollmächtigter bestellt werden.

3) Die Präklusion im Prioritätsurtel ist nicht nach der Vorschrift des §. 143. a. a. O., sondern nach der oben §. 85. bestimmten Kommination abzufassen.

4) Wenn der Erbe vor oder während des Liquidationsprozesses einem Erbschaftsgläubiger Zahlung geleistet hat, so tritt derselbe bei der Liquidation, der Vorschrift §. 161. a. a. O. gemäß, in die Stelle desselben.


(1253) Liquidationsprozeß.

5) Im eigentlichen Liquidationsprozesse, wo die Unzulänglichkeit des Nachlasses nicht klar ist, müssen den Gläubigern ihre Zinsenrückstände, so weit sie ausgemittelt worden sind, an der Stelle des Kapitals mit zuerkannt werden; findet sich aber demnächst eine Insufficienz der Masse, so können sie, wie im Konkurse, an dem Orte des Kapitals nur zweijährige Rückstände fordern.

6) In Ansehung der laufenden Zinsen hat es, so viel die eingetragenen Kapitalien betrifft, bei der Vorschrift des §. 76. sein Bewenden. Die übrigen Gläubiger können vor Beendigung des Liquidationsprozesses keine kurrente Zinsen fordern, sondern dieselben erst alsdann verlangen, wenn bei der Vertheilung eine vollkommene Zulänglichkeit der Masse sich findet.

III. Vertheilung der Masse.

§. 90.

Was die Vertheilung der Masse betrifft, so ist ein Unterschied zu machen:

ob der Erbe in Besitz und Administration des Nachlasses geblieben sey;

oder

ob er denselben den Gläubigern zur eigenen Administration unter gerichtlicher Aufsicht überlassen habe.

§. 91.

Ist der Erbe im Besitze des Nachlasses geblieben, so kommt es wiederum darauf an:

ob der Erbe nunmehr anerkenne, daß der Nachlaß zur Bezahlung sämmtlicher Gläubiger, so wie deren Forderungen anjetzt rechtskräftig festgesetzt sind, hinreiche;

oder

ob er diese Zulänglichkeit nicht für bekannt annehme.


(1254) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

§. 92.

Erklärt der Erbe, daß er den Nachlaß für zureichend halte; so bedarf es keiner gerichtlichen Distribution, sondern der Erbe muß nunmehr die Gläubiger, nach Maßgabe des rechtskräftigen Urtels, ohne weitere Ausflucht befriedigen, und kann dazu, auf deren Verlangen, durch Exekution angehalten werden.

§. 93.

Nimmt der Erbe Anstand, die Hinlänglichkeit des Nachlasses unbedingt anzuerkennen, so muß er den Gläubigern von seiner geführten Administration Rechnung legen; und wenn durch selbige der eigentliche Betrag der Masse festgesetzt worden ist, so muß derselbe unter sie, nach der Ordnung des Prioritätsurtels und nach den im vorigen Titel Abschn. V. vorgeschriebenen Grundsätzen, distribuirt werden.

§. 94.

Hat der Erbe den Gläubigern den Nachlaß zur eigenen Administration unter gerichtlicher Aufsicht überlassen, so muß desselben Distribution ebenfalls gerichtlich, nach gleichmäßigen Grundsätzen, erfolgen.

Kosten des Liquidationsprozesses.

§. 95.

Wegen der bei dem Liquidationsprozesse aufgelaufenen Kommunkosten ist ein Unterschied zu machen: ob von der Masse, nach vollständiger Befriedigung sämmtlicher Gläubiger, noch etwas übrig bleibe;

oder

ob dieselbe durch die Forderungen der Gläubiger erschöpft, oder gar überstiegen werde.

§. 96.

Bleibt nach vollständiger Befriedigung sämmtlicher Gläubiger von der Masse noch etwas übrig, so müssen die Kommunkosten davon bezahlt, und erst nach deren Abzuge der dem Erben verbleibende Rest, nach der Vorschrift §. 83., festgesetzt werden.


(1255) Liquidationsprozeß.

§. 97.

Wird der Nachlaß durch die Forderungen der Gläubiger erschöpft, oder überstiegen; so müssen Letztere die Kosten nach der Vorschrift Tit. L. Abschn. V. tragen.

§. 98.

Schließlich ist zu bemerken, daß, wenn ein Erbe, welcher an der Zulänglichkeit des Nachlasses nicht zweifelt, und sich also der Rechtswohlthat des Inventarti zu bedienen nicht Willens ist, die Erbschaftsgläubiger citiren lassen will, bloß in der Absicht, sie desto geschwinder zusammen zu bringen, und sich mit ihnen auf Einmal auseinander zu setzen, ihm dieses zwar frei stehe; er auch in solchem Falle das Inventarium der Verlassenschaft einzubringen nicht schuldig sey. Es ist aber dieses kein Liquidationsprozeß; die Gläubiger können unter keinem angedroheten Nachtheile vorgeladen, viel weniger etwas Präklusivisches wider sie erkannt werden; und ein solcher Erbe kann sich gegen die wider ihn verfügte Exekution, mit dem Verwande, daß er die Gläubiger habe citiren lassen, nicht schützen.

Dritter Abschnitt.

Von Aufgeboten liegender Gründe, oder einzelner darauf eingetragener Forderungen.

Zweck und Arten dieser Aufgebote.

§. 99.

Da, nach den Vorschriften des Allgemeinen Landrechts, ein dingliches Recht auf Grundstücke, außer dem Falle des Besitzes, nur durch Eintragung in das Hypothekenbuch erlangt werden kann; und also derjenige, welcher ein solches Grundstück von dem bisherigen im Hypothekenbuche eingetragenen Besitzer erkauft, oder sonst aus einem zur Uebertragung


(1256) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

des Eigenthums rechtsgültigen Titel an sich gebracht hat, keinen unbekannten und uneingetragenen Realprätendenten verhaftet wird: so fällt zwar die sonst obgewaltete Nothwendigkeit eines öffentlichen Aufgebots der Grundstücke, zur Sicherheit eines Käufers, oder zur vollständigen Berichtigung seines Besitztitels, in der Folge ganz hinweg.

Da aber eines Theils ein dergleichen Aufgebot in Ansehung vergangener Fälle, nach Maaßgabe des Publikationspatents vom 5ten Febr. 1794. §. XV., noch vorkommen kann; andern Theils sich vielleicht noch Oerter oder Gegenden finden könnten, wo das Hypothekenwesen noch nicht vollständig regulirt ist; endlich aber Fälle sich ereignen können, da einzelne auf einem Grundstücke eingetragene Posten aufgeboten werden sollen; so soll in gegenwärtigem Abschnitte

I. von dem Aufgebote der Grundstücke, zur Deckung des Käufers gegen unbekannte Realprätendenten, oder zur vollständigen Berichtigung seines Besitztitels;

II. von dem Aufgebote einer im Hypothekenbuche eingetragenen Post, deren gegenwärtiger Inhaber unbekannt ist, zum Behufe der Löschung;

III. von dem Aufgebote einer eingetragenen Post, deren Inhaber zwar bekannt ist, aber das eingetragene Instrument oder den Ingrossationsschein nicht herbei schaffen kann;

IV. von dem Aufgebote der Pfandbriefe, oder anderer auf jeden Inhaber lautenden Instrumente, wenn dieselben schadhaft geworden, oder verloren gegangen sind;

gehandelt werden.

Vom Aufgebote der Grundstücke gegen unbekannte Realprätendenten

§. 100.

I. Das Aufgebot von Grundstücken zur Erhaltung einer Präklusion gegen unbekannte Realprätendenten, kann in Fällen, da es nöthig ist, nur von dem Käufer, oder wer sonst aus einem besondern Ti-


(1257) Liquidationsprozeß.

tel zum Besitze des Grundstücks gelangt ist (successor singularis), nachgesucht werden. Selbst, wenn der Verkäufer ein freies Grundstück zu gewähren versprochen, und die Kosten des Aufgebots übernommen hat, muß letzteres dennoch nur im Namen des Käufers ergehen.

§. 101.

Wer dergleichen Aufgebot verlangt, muß sich bei dem Gerichte, unter welchem das Grundstück gelegen ist, melden; einen Hypothekenschein, oder doch ein Verzeichniß der ihm bekannten Realprätendenten übergeben, und zugleich gewissenhaft anzeigen: daß außer diesen keine andere ihm bekannte Realforderungen vorhanden sind.

§. 102.

Diese aus dem Hypothekenscheine und der Anzeige des Extrahenten erhellenden Realgläubiger dürfen nicht besonders vorgeladen, sondern es darf ihnen der anstehende Termin bloß zu ihrer Nachricht, und zur Beobachtung ihrer etwanigen Nothdurft dabei, bekannt gemacht werden. Es wird also nur die Ediktalcitation der unbekannten Prätendenten verordnet, mit der Warnung:

daß die Außenbleibenden mit ihren etwanigen Realansprüchen auf das Grundstück würden präkludirt, und ihnen deshalb ein ewiges Stillschweigen auferlegt werden.

§. 103 a.

Dieses Aufgebot erstreckt sich auch auf unbekannte Grundgerechtigkeiten oder Servituten, d. h. auf solche, die im Hypothekenbuche nicht eingetragen sind, gleichwohl aber den Nutzungsertrag des aufgebotenen Grundstücks schmälern, und durch keine in die Sinne fallende Kennzeichen oder Anstalten angedeutet werden. (Allg. L. R. Th. II. Tit. XXII. §.16-19.)


(1258) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

Der Extrahent des Aufgebots muß aber ausdrücklich angewiesen werden, sich nach den auf dem Grundstücke etwa haftenden Servituten zu erkundigen, und diejenigen, welche zu seiner Kenntniß gelangen, gewissenhaft anzuzeigen.

§. 103 b.

Wegen Bestimmung des Termins zur Anmeldung der Ansprüche, und wegen der Bekanntmachung in den Zeitungen und Intelligenzblättern, sind die im Funfzigsten Titel §. 107. u. f. gegebenen Vorschriften zu beobachten.

§. 104.

Wenn sich im Termine selbst Realprätendenten melden, so muß der Gerichtsdeputirte die Ansprüche derselben zum Protokolle nehmen, und sie anhalten, daß sie so bestimmt als möglich angeben, worin selbige bestehen, und worauf sie sich gründen; weiter aber sich auf eine Instruktion derselben nicht einlassen, vielmehr diese zur besondern Verhandlung verweisen. Melden sich keine Realprätendenten, so muß dieser Erfolg in dem Protokolle bemerkt werden.

§. 105.

Dieß Protokoll wird alsdann zur Abfassung des Präklusionsurtels vorgelegt; in welchem, wenn wegen der Citation die vorgeschriebenen Legalitäten beobachtet sind, die Präklusion gegen die außen gebliebenen Realprätendenten, der ergangenen Warnung gemäß, erkannt: den aus dem Hypothekenscheine, oder der Anzeige des Extrahenten bekannten aber, so wie denjenigen, welche sich im Termine gemeldet haben, in Ansehung ihrer, nach Maaßgabe §. 104. bestimmt angegebenen Forderungen, ihr Recht ausdrücklich vorbehalten wird.

§. 106.

Gegen dergleichen Präklusionserkenntniß findet kein weiteres, als das Tit. XIV. Abschnitt III. beschriebene Rechtsmittel Statt. Doch bleibt den


(1259) Liquidationsprozeß.

solchergestalt präkludirten Gläubigern ihr persönliches Recht an ihren eigentlichen Schuldner und dessen übriges beweg- und unbewegliches Vermögen vorbehalten.

§. 107.

Ist das solchergestalt aufgebotene Gut ein Lehngut, so muß, wegen Zuziehung der Agnaten und Gesammthänder, die Vorschrift §. 49. beobachtet werden.

§. 108.

Die Kosten eines solchen Aufgebots soll, wenn im Kontrakte nichts Besonderes deshalb bedungen ist, der Verkäufer zu tragen schuldig seyn.

§. 109. Nach gleichen Grundsätzen §. 100-108. ist zu verfahren, wenn jemand, zur vollständigen Berichtigung seines Besitztitels in dem Hypothekenbuche, dergleichen Ediktalcitation der Realprätendenten nachsucht.

2. Aufgebot eingetragener Posten deren Inhaber unbekannt sind.

§. 110. II. Soll eine im Hypothekenbuche eingetragene Post, von welcher der Gutsbesitzer behauptet, daß sie getilgt sey, gelöscht werden, und er kann darüber weder eine beglaubte Quittung des unstreitigen letzten Inhabers vorzeigen, noch diesen Inhaber oder dessen Erben dergestalt nachweisen, daß dieselben zur Quittungsleistung aufgefordert werden könnten; so findet die Löschung nicht eher Statt, als bis die Post gerichtlich aufgeboten, und ein Präklusionsurtel darüber ergangen ist.

Anh. §. 383. Der Produktion des Originalschuldinstruments bedarf es nicht.

§.111.

Dieses Aufgebot muß der Besitzer bei dem Richter, unter welchem das Grundstück gelegen ist, nachsuchen; er muß auf Pflicht und Gewissen anzeigen, daß ihm der im Hypothekenbuche eingetragene Inhaber der Forderung, oder dessen Erben oder Cessionarien,


(1260) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

ihrer Existenz oder ihrem Aufenthalte nach, unbekannt sind; er muß bestimmt angeben, und, so viel es nach der Natur der Sache möglich ist, bescheinigen, was für Bemühungen er zu deren Ausforschung angewendet habe; und er muß sich zur eidlichen Bestärkung alles dessen erbieten.

§. 112.

Alsdann muß die Ediktalcitation mit einem Termine von drei Monaten erlassen, und darin der Name des eingetragenen Gläubigers, die Beschaffenheit der Forderung selbst, und das Datum des Instruments ausgedrückt; die Vorladung aber an diesen Inhaber, und dessen Erben, Cessionarien, oder die sonst in seine Rechte getreten sind, gerichtet werden.

§. 113.

Das Gericht muß dafür sorgen, daß nach derjenigen Provinz oder Gegend innerhalb Landes, wo, einer etwa vorhandenen Vermuthung nach, der Vorgeladene, oder seine Nachkommen, anzutreffen seyn möchten; oder wenn es außerhalb Landes wäre, in die am nächsten gelegene Königliche Provinz, nicht nur ein Exemplar der Ediktalcitation befördert, sondern auch dieselbe in den dortigen Zeitungen bekannt gemacht werde.

§. 114.

Uebrigens sind bei diesem Aufgebote, wegen der Fassung der Citation, und sonst überall, die Vorschriften §. 101-109. zu beobachten. Doch muß noch außerdem von dem Extrahenten der Tit. VII. §. 16. vorgeschriebene Eid im Termine wirklich abgeleistet werden.

3. Aufgebot verlorener Instrumente.

§. 115. III. Wenn der Inhaber einer eingetragenen und zu löschenden Forderung zwar bekannt, auch Quittung darüber zu leisten bot erbötig ist, oder dieselbe bereits wirklich geleistet hat; das eingetragene Dokument aber aus dem Grunde, weil dasselbe angeblich


(1261) Liquidationsprozeß.

verloren gegangen ist, nicht vorgelegt werden kann; so ist in der Hypothekenordnung vorgeschrieben, daß, sobald das Instrument nach seinem Inhalte, und nach der Natur der Forderung selbst, so beschaffen ist, daß darüber zu Gunsten eines Dritten hat disponirt werden können, alsdann die Löschung nicht anders, als nach vorher gegangener gerichtlicher Aufbietung, und Amortisation des Instruments, Statt finde.

Anh. §. 384. Die Aufbietung eines verloren gegangenen Instruments, Behufs der Amortisation, kann auch auf Instanz des Gläubigers veranlaßt werden, wenn derselbe mit dem Schuldner darüber einig ist, daß die Schuld noch vorhanden sey.

Anh. §. 385. Sollen Privaturkunden, die auf einen gewissen Inhaber, oder solche, die auf jeden Inhaber lauten, aufgeboten werden; so muß das in §. 115. u. f. vorgeschriebene Verfahren, so weit solches auf Fälle dieser Art Anwendung findet, beobachtet werden.

Jedoch muß der Aussteller der Urkunde in der Regel zugezogen und das Erkenntniß; mit gegen ihn gerichtet werden. Dieser ist sodann befugt, darauf anzutragen, daß entweder die Zahlungszeit des Kapitals, oder der nächste Zinstermin abgewartet werde; aber auch ohne seinen Antrag muß die bis zu diesem Termine verlaufene Zeit der Frist des Aufgebots hinzu gerechnet werden.

In der Regel wird zwar das Aufgebot von dem Richter des Ausstellers der Urkunde erlassen; es muß aber auch die öffentliche Vorladung in den Zeitungen der Provinz, wo der Verlierer sich befindet, bekannt gemacht werden.

Bei dem Aufgebote selbst sind die Vorschriften des §. 59. des Anhangs zum §. 42. Titel VII. Theil I. zu beobachten. Es soll aber dabei die Einrückung der öffentlichen Vorladung in die Intelligenzblätter nicht hinreichen, sondern die Bekanntmachung durch die Zeitungen geschehen.

Ist der Verkehr zwischen dem Orte, wo der Verlierer sich befindet, und demjenigen, wo der Aussteller der Urkunde sich auf hält, unterbrochen; so kann der Verlierer bei dem Obergerichte der Provinz, in welcher er sich aufhält, auf Erlassung des Aufgebots antragen; das hierauf ergehende Präklusionserkenntniß steht aber denen nicht entgegen, welche zur Zeit des Verlierens sich in denjenigen Ländern befanden, deren Verkehr mit dem Orte des Aufgebots gehindert wurde.

Ist keine Abschrift der verlorenen Urkunde vorhanden,


(1262) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

so ist die Vorschrift Theil I. Titel X. §. 122. zu beobachten.

Anh. §. 386. Wenn ein auf jeden Inhaber zahlbarer Wechsel, von dem jedoch Jahr und Tag der Ausstellung nicht bekannt ist, Behufs seiner Amortisation öffentlich aufgeboten werden soll; so ist der Wechselschuldner, in so fern er die Schuld einräumt, zur Deposition zu verstatten, worauf der Gläubiger nach abgelegtem Manifestationseide das Aufgebot des Depositi verlangen kann. Hierbei müssen die etwanigen unbekannten Inhaber unter Vorbehalt ihrer Rechte an den Gläubiger verwarnt werden: daß die Gelder dem Gläubiger würden verabfolgt werden, wenn sie sich auf die Ediktalcitation nicht meldeten. Nach erfolgter Präklusion ist der Gläubiger die Auszahlung des deponirten Geldes nachzusuchen berechtigt.

§. 116.

Alsdann muß der Gutsbesitzer eine aus dem Ingrossationsbuche, oder den Belagsakten, genommene beglaubte Abschrift des Instruments vorlegen; die Quittung und den Mortifikationsschein des letzten Inhabers beibringen; und die öffentliche Vorladung aller derjenigen, welche an die zu löschende Post, und das darüber ausgestellte Instrument, als Eigenthümer, Cessionarien, Pfand- oder sonstige Briefsinhaber, Anspruch zu machen hätten, nachsuchen.

Anh. §. 387. Es kommt nicht darauf an, ob der Mortifikationsschein nebst der Quittung vor oder nach ergangenem Präklusionsurtel vollzogen wird, so bald nur der im Hypothekenbuche notirte Inhaber sich zu beiden, so wie zur Ableistung des Manifestationseides, bereit erklärt. Geschieht dieses, so muß, wenn sonst kein Bedenken entgegen steht, mit Erlassung des Aufgebots verfahren werden.

§. 117.

Der Richter muß, bei Veranlassung des Aufgebots, die Vorschriften §. 111-114. beobachten; und insonderheit das aufgebotene Instrument, durch Benennung des darin aufgeführten Gläubigers und Schuldners, der Kapitalssumme, des verpfändeten Guts, und des Dati der Ausstellung und Eintragung, bezeichnen. Auch soll von einem solchen


(1263) Liquidationsprozeß.

Aufgebote dem Haupt Bankdirektorio jedesmal von Amts wegen Nachricht gegeben werden.

§. 118.

Der Manifestationseid (Tit. VII. §. 16.) muß bei solchen Amortisationen nicht von dem Gutsbesitzer, sondern von dem, welcher das Instrument verloren zu haben angiebt, dahin: daß er dieses Instrument weder selbst besitze, noch wisse, wo es befindlich sey, auch daß er selbiges nicht gefährlicher Weise abhanden gebracht habe, geleistet werden.

§. 119.

Wenn das zu löschende Instrument selbst zwar vorhanden, der besonders ertheilte Ingrossationsschein aber dabei nicht befindlich ist; so bedarf es der Regel nach, und sobald kein gegründeter Zweifel obwaltet: daß das vorgelegte Instrument eben dasselbe sey, über welches der verlorene Ingrossationsschein ausgestellt worden, keiner gerichtlichen Amortisation des letztern. Sind aber wegen dieser Identität des Instruments erhebliche Zweifel vorhanden, so muß mit dem Aufgebote des Ingrossationsscheins nach Vorschrift §. 116-118. verfahren werden.

4. Aufgebot von Pfandbriefen.

§. 120.

IV. Es können Fälle vorkommen, wo Pfandbriefe, oder andere, besonders von öffentlichen Anstalten auf jeden Inhaber ausgestellte Papiere, zum Behuf ihrer Amortisation, aufgeboten werden können. Denn obgleich nach der Vorschrift der Gesetze (Th. I. Tit. XV. §. 47-53.) dergleichen Papiere, sobald sie sich in den Händen eines Besitzers wirklich vorfinden, von dem vorigen Inhaber nicht vindicirt werden können; so ist doch auch für den Fall zu sorgen, wenn dergleichen einem Inhaber abhanden gekommenes Instrument gar nicht wieder zum Vorschein kommt, und dem letzten sich legitimirenden Inhaber ein anderes, an die Stelle des verlorenen


(1264) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

ausgefertigt werden soll. In diesem Falle sind also nachstehende Vorschriften zu beobachten.

Anh. §. 338. Bei dem Aufgebot verloren gegangener Obligationen der Bank, Seehandlungs-Societät, Hauptnutzholz- und Hauptbrennholz-Administration, und überhaupt aller öffentlichen Anstalten, ist das im §. 115 u. f. dieses Titels vorgeschriebene Verfahren zu beobachten. Ein gleiches findet Statt bei Amortisation eines von der Bank, oder der Seehandlungs-Societät ertheilten Empfangsrecepisse.

In solchen Fällen muß das Aufgebot von demjenigen Obergericht geschehen, in dessen Gerichtsbezirk der letzte bekannte Inhaber des verloren gegangenen Instruments seinen Wohnsitz hat. Ist der Inhaber ein Ausländer, so muß sich derselbe mit seinem Antrage an das Kammergericht wenden.

Die Stelle der vorzulegenden Abschrift des Instruments vertritt der von der öffentlichen Anstalt, welche dasselbe ausgestellt hat, anzugebende Name dessen, auf welchen die Obligation gestellt ist, die Summe, die Münzsorte und das Datum der Ausstellung und Konfirmation, ingleichen der Buchstabe und die Nummer, womit das Instrument nach den Büchern der betreffenden Anstalt bezeichnet gewesen ist.

Die Bekanntmachung muß jederzeit durch die Berliner Intelligenzblätter erfolgen, wenn auch das Aufgebot in einer andern Provinz verfügt, und in den dortigen Intelligenzblättern bekannt gemacht worden ist.

§. 121.

Behauptet der angebliche letzte Inhaber eines Pfandbriefs, daß selbiger durch Zufall gänzlich verloren oder vernichtet worden; so muß er diesen Verlust, so bald er dessen inne wird, der Hauptdirektion des Instituts anzeigen.

§. 122.

Kann er dabei die vorgegebene gänzliche Vernichtung dergestalt darthun, daß über die Richtigkeit seiner Angabe kein Zweifel und keine Ungewißheit mehr übrig bleibt; so muß ihm ein neuer Pfandbrief von gleichem Werthe, gegen Erlegung der Expeditionsgebühren und Eintragungskosten, sofort ausgefertigt werden.


(1265) Liquidationsprozeß.

§. 123.

Diesen Nachweis muß der Inhaber des angeblich vernichteten Pfandbriefs bei der Direktion des Instituts selbst führen, welcher die Beurtheilung darüber allein zusteht: dergestalt, daß, wenn besagte Direktion bei der Richtigkeit und Vollständigkeit sothanen Nachweises irgend einigen Zweifel findet, und daher die Ausfertigung eines neuen Pfandbriefs versagt, der Implorant sich dabei schlechterdings beruhigen, und nach den folgenden Vorschriften die förmliche Amortisation des angeblich vernichteten Pfandbriefs abwarten muß.

§. 124.

Um diese Amortisation zu bewirken, muß der angebliche letzte Inhaber den Zufall, wodurch der Pfandbrief verloren oder vernichtet worden, und daß er um diese Zeit wirklich im Besitze desselben gewesen sey, bescheinigen.

§. 125.

Alsdann muß das Publikum, durch die Zeitungen und Intelligenzblätter der Provinz, von dem Vorfalle, unter genauer Beschreibung des Pfandbriefs, und Benennung des sich angebenden Eigenthümers, benachrichtigt, und, nachdem dieses geschehen, durch sechs Zins-Zahlungstermine gewartet werden: ob sich jemand mit dem angeblich verlorenen oder vernichteten Pfandbriefe melden werde.

§. 126.

Kommt auch im sechsten Termine der Pfandbrief nicht zum Vorschein, so muß förmliche Ediktalcitation ergehen, und dadurch der etwanige Inhaber aufgefordert werden, sich spätestens bis zum achten Zinszahlungstermine zu melden, oder die gänzliche Amortisation des Pfandbriefs zu gewärtigen.

§. 127.

Die Erlassung der Ediktalcitation geschieht von der Landschafts- oder Kreditdirektion, auf Kosten


(1266) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

des Extrahenten; sie muß bei dem Landesjustizkollegio der Provinz, bei den Gerichten des Orts, an welchem, oder in dessen Nähe der Zufall sich ereignet haben soll, und in allen Kassen des Instituts selbst angeschlagen, und viermal in den Zeitungen und Intelligenzblättern der Provinz, zweimal in den Zeitungen einer andern benachbarten Königl. Provinz, Einmal aber in einer auswärtigen Zeitung, dergestalt bekannt gemacht werden, daß von dem Zeitpunkte der letzten Bekanntmachung, bis zum achten Zinstermine, ein Zwischenraum von wenigstens drei Monaten verbleibe.

§. 128.

Meldet sich auf diese Citation, oder auch schon auf die erste nach §. 125. geschehene Bekanntmachung, ein Inhaber des aufgebotenen Pfandbriefs; so muß die Sache zwischen ihm und dem angeblichen Eigenthümer, nach den im Allgemeinen Landrechte vorgeschriebenen Grundsätzen, erörtert und entschieden werden.

§. 129.

Kommt aber auch im achten Zinstermine der Pfandbrief nicht zum Vorschein, so müssen die bis dahin verhandelten Akten dem Landesjustizkollegio der Provinz vorgelegt werden, welches das beobachtete Verfahren nach obigen Vorschriften prüfen, und, wenn sich dabei nichts Wesentliches zu erinnern findet, den aufgebotenen Pfandbrief durch ein Erkenntniß amortisiren; dieß Erkenntniß aber, statt der Publikation, an öffentlicher Gerichtsstelle anschlagen lassen muß.

§. 130.

So bald das Erkenntniß rechtskräftig geworden, welches anzunehmen ist, wenn sich binnen vier Wochen, nach geschehenem Aushange, niemand dagegen gemeldet hat, muß der Inhalt desselben in den Zeitungen und Intelligenzblättern der Provinz


(1267) Liquidationsprozeß.

bekannt gemacht, und dem Eigenthümer, statt des amortisirten, ein neuer Pfandbrief ausgefertigt werden.

§. 131.

Während der Zwischenzeit, bis zur erfolgenden Amortisation, können die Zinsen Märkischer und Pommerscher Pfandbriefe, auf die Coupons oder Zinsscheine, von dem Inhaber derselben erhoben werden. Sind aber diese Coupons oder Zinsscheine mit verloren gegangen, oder laufen selbige früher, als die Amortisation des Pfandbriefes selbst geschehen kann, zu Ende; so müssen die Zinsen, so wie bei Schlesischen Pfandbriefen in allen Fällen geschehen muß, bis zum Erfolge der Amortisation, im Deposito der Landschafts- oder Kreditdirektion aufbewahrt, und nur erst mit dem neu ausgefertigten Pfandbriefe zugleich, dem Eigenthümer ausgehändigt werden. Doch steht diesem frei, dahin anzutragen, daß die in der Zwischenzeit sich aufsammelnden Zinsbestände, auf seine Kosten, entweder in Pfandbriefen, oder bei der Bank belegt, und solchergestalt zu seinem künftigen Vortheile einstweilen genutzt werden.

§. 132.

Eben diese Vorschriften (§. 121-131.) finden Statt, wenn ein zwar noch vorhandener Pfandbrief dergestalt schadhaft geworden ist, daß nur noch unvollständige und unkenntliche Bruchstücke davon vorgezeigt werden können.

§. 133.

Außer diesem Falle, und wenn bei einem zerrissenen oder sonst verdorbenen Pfandbriefe, die Randform, die Nummer, die Bezeichnung der Summe, der Name des Guts und der Eintragungsvermerk im Hypothekenbuche noch völlig kennbar und leserlich sind, muß die Landschafts- oder Kreditdirektion dem Inhaber einen andern an dessen Stelle ausfertigen,


(1268) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

und gegen bloße Erlegung der Ausfertigungs- und Eintragungsgebühren zustellen.

§. 134.

Sind nur einige, aber nicht alle vorbenannte Stücke in einem solchen verdorbenen Pfandbriefe, nach dem Befinden der Landschafts- oder Kreditdirektion, kennbar genug; so muß der Inhaber letztere auf andere Art nachweisen; den angeblichen Zufall, wodurch der Pfandbrief solchergestalt beschädigt worden, bescheinigen, und auf Erfordern eidlich erhärten; sodann aber ein Aufgebot darüber bei dem Richter, unter welchem das Gut gelegen ist, nachsuchen.

§. 135.

Dieser verhängt das Aufgebot, sobald durch ein Attest der Landschafts- oder Kreditdirektion bescheinigt wird, daß dieselbe nichts dagegen zu erinnern habe; ohne daß es einer bei dieser Behörde schon geführten Bescheinigung, oder einer Wiederholung des eben daselbst schon geleisteten Eides bedarf.

§. 136.

In der Ediktalcitation wird ein Termin von Sechs Monaten bestimmt; übrigens aber nach der Vorschrift §. 112. 113. 114. verfahren.

§. 137.

Wenn der Pfandbrief selbst noch vorhanden ist, und nur Coupons oder Zinsscheine, welche dazu gehören, verloren gegangen sind; so bedarf es in keinem Falle eines gerichtlichen Aufgebots derselben; sondern es wird deshalb nach den Vorschriften des Landschafts- oder Kreditreglements verfahren.

Anh. §. 389. Siehe die Verordnung vom 16ten Januar 1810.

§. 138.

Durch die nach obstehenden Vorschriften geschehene Amortisation eines Pfandbriefs wird die Landschaft oder Kreditsocietät, ingleichen der Gutsbesitzer, von allen ferneren daraus an sie zu formirenden


(1269) Liquidationsprozeß.

Ansprüchen gänzlich frei; so daß ein etwaniger Inhaber desselben sich lediglich an diejenigen, durch deren Hände selbiger gegangen, und an ihn gediehen ist, seiner Entschädigung wegen, nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften zu halten hat.

§. 139.

Es können daher auch die zu Führung der Hypothekenbücher verordneten Behörden sich nicht entbrechen, auf die Anzeige der Landschaftsdirektion, und gegen Vorlegung des Amortisationserkenntnisses, einen solchen Pfandbrief unweigerlich zu löschen, und dagegen denjenigen, welcher an dessen Stelle ausgefertigt worden ist, einzutragen.

§. 140.

Sollte endlich auch jemand, wegen der mit einem solchen Aufgebote verbundenen Kosten, darauf anzutragen Bedenken finden; so steht ihm frei, von dem Zeitpunkte an, wo die §. 125. beschriebene erste Bekanntmachung ergangen ist, den zur Verjährung eines Schuldinstruments überhaupt nach den Gesetzen erforderlichen Zeitraum abzuwarten, nach dessen Verlauf er, wenn inzwischen der Pfandbrief bei den Kassen des Instituts gar nicht zum Vorschein gekommen ist, die Ausfertigung eines andern an dessen Stelle, ohne förmliches Aufgebot und Amortisation, verlangen kann.

Der Seehandlungsaktien.

§. 141.

Bei Seehandlungsaktien findet in den Fällen des §. 122. u. 133., bei erfolgter Beschädigung oder erweislicher Vernichtung des Instruments, die Ausfertigung eines andern an dessen Stelle nicht Statt; sondern es muß der Inhaber mit einer von dem Institut zu ertheilenden Rekognition sich begnügen, durch welche das Institut eben so, wie durch die Aktie, an deren Stelle sie tritt, verpflichtet wird, und die einer solchen Aktie an sich völlig gleichgeltend ist; mit dem einzigen Unterschiede, daß eine solche Rekognition

(1270) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

nicht in den öffentlichen Umlauf kommen, sondern nur durch den Weg einer förmlichen gerichtlichen Cession an einen dritten Besitzer übertragen werden kann.

§. 142.

In den Fällen des §. 123. und 132., wenn nämlich eine Aktie bis zur völligen Unkennbarkeit verdorben, oder gänzlich vernichtet worden, muß das Aufgebot, und die Amortisation derselben, auf eben die Art, wie bei Pfandbriefen vorgeschrieben ist, erfolgen; doch muß das Aufgebot bei dem Landesjustizkollegio der Provinz nachgesucht, mithin auch der Termin zur Anmeldung vor diesem Kollegio anberaumt; von demselben, während des Aufgebots, mit der dem Institut vorgesetzten Behörde an jedem Zinszahlungstermine Rücksprache genommen, und solchergestalt die erforderliche Nachricht: ob während der Zeit des Aufgebots von der angeblich vernichteten Aktie etwas vorgekommen sei, eingezogen werden. Wenn aber auch das Amortisationserkenntniß wirklich erfolgt, und rechtskräftig geworden ist; so kann dennoch der Extrahent die Ausfertigung einer neuen Aktie, oder an deren Stelle, der im vorigen Absatze beschriebenen Rekognition, nicht fordern; sondern er muß den in der Aktie selbst bestimmten Ablauf der Oktroi abwarten, wo jeder Inhaber der Aktien sich zum Empfange seines Geldes zu melden verbunden ist. Alsdann aber muß ihm, wenn auch bei dieser Gelegenheit die aufgebotene und amortisirte Aktie nicht zum Vorschein kommt, der Betrag derselben, nebst den inzwischen nach §. 131. etwa aufgesammelten Zinsbeständen, ohne ferneren Aufenthalt verabfolgt werden.

§. 143.

Sollte sich endlich der Fall ereignen, daß die Oktroi früher zu Ende ginge, als nach obigen Vorschriften die Amortisirung der Aktie erfolgt sein kann; so muß der Betrag derselben, nebst den etwanigen Zinsbeständen,


(1271) Liquidationsprozeß.

in das Depositum desjenigen Gerichts, von welchem das Aufgebot dirigirt wird, abgeliefert, und nach gehörig vollzogener Amortisirung, dem Extrahenten aus gedachtem Deposito verabfolgt werden.

§. 144.

Uebrigens ist in allen vorstehenden Fällen, wo ein auf jeden Inhaber lautendes Instrument zum Behuf der Amortisation aufgeboten wird, dem Haupt-Bankdirektorio durch diejenige Behörde, welche das Aufgebot dirigirt, davon Nachricht zu geben.

Vierter Abschnitt.

Von öffentlichen Aufforderungen unbekannter Interessenten, zu Erklärungen, oder Ausübungen gewisser Befugnisse.

1) Vorladung unbekannter Erben

§. 145.

Da zuweilen Fälle vorkommen, wo auf öffentliche Vorladung unbekannter Erbschafts-Interessenten angetragen wird; so sind dabei nachstehende Vorschriften zu beobachten.

§. 146.

1) Wenn zu einer Erbschaft gar kein bekannter Erbe vorhanden ist, so hat es, wegen der alsdann zu erlassenden Vorladung, bei den Vorschriften des Landrechts (Th. I. Tit. IX. §. 471-484.) sein Bewenden.

Anh. §. 390. Die Vorladung erfolgt nach den bei der Vorladung der Verschollenen zum Zweck der Todeserklärung ertheilten Vorschriften.

§. 147.

2) Wenn zwar bekannt ist, wer Erbe sei, dessen Leben und Aufenthalt aber nicht erforscht werden kann; so finden die eben daselbst §. 465-470. enthaltenen Vorschriften Anwendung.


(1272) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

§. 148.

3) In wie fern zum Behufe der Legitimation eines sich angebenden Erben, und zur Ausmittelung: ob außer demselben noch andere nähere, oder gleich nahe Erben vorhanden sind, eine öffentliche Aufforderung zulässig oder nöthig sei, wird von dem Richter nach eben diesen gesetzlichen Vorschriften §. 482. bis 493. bestimmt.

§. 149.

Findet nach diesen Vorschriften eine dergleichen Vorladung Statt, so muß dieselbe von dem Erben, dessen Legitimation dadurch ergänzt werden soll, bei dem Richter, welchem die Regulirung der Erbschaft zukommt, unter Anerbietung zum Manifestationseide, nach Vorschrift §. 111. nachgesucht werden.

§. 150.

In der Citation selbst muß der Name, Stand und Aufenthalt des Erblassers; die Zeit seines Ablebens; der Name des Erben; der Grund des von ihm behaupteten Erbrechts, und der angegebene Grad seiner Verwandtschaft angezeigt; und alle diejenigen, welche ein näheres oder gleich nahes Erbrecht zu haben vermeinen, müssen zur Anmeldung desselben öffentlich aufgefordert werden.

§. 151.

Bei der Bestimmung des Termins, der Anzahl der zu erlassenden Citationen, und der Art der Bekanntmachung, finden die Vorschriften Tit. L. §. 107. u. f. Anwendung.

§. 152.

Die Warnung wegen des Nichterscheinens wird dahin gerichtet :

daß der Extrahent für den rechtmäßigen Erben angenommen; ihm, als solchem, der Nachlaß zur freien Disposition verabfolgt; und der nach erfolgter Präklusion sich etwa erst meldende nähere, oder gleich nahe Erbe, alle seine Handlungen und


(1273) Liquidationsprozeß.

Dispositionen anzuerkennen und zu übernehmen schuldig; von ihm weder Rechnungslegung, noch Ersatz der gehobenen Nutzungen zu fordern berechtigt, sondern sich lediglich mit dem, was alsdann noch von der Erbschaft vorhanden wäre, zu begnügen verbunden sein solle. Eben so ist die Kommination in dem Falle des §. 146. abzufassen. (A. L. R. Th. I. Tit. IX. §. 494-499.)

§. 153.

Wenn in dem anberaumten Termine niemand sich meldet, so wird der Tit. VII. §. 16. vorgeschriebene Eid von dem Extrahenten abgenommen, und sodann das Präklusionsurtel, der ergangenen Kommination gemäß, abgefaßt.

§. 154.

Wenn es gewiß ist, daß der den Nachlaß in Anspruch nehmende Erbe, zur Zeit der angefallenen Erbschaft, nähere oder gleich nahe Miterben wirklich gehabt habe; und nur nicht auszumitteln steht, ob dieselben gegenwärtig noch vorhanden sind, oder wo sie sich aufhalten; so ist nach der Vorschrift §. 147. zu verfahren.

§. 155.

Nach eben diesem Unterschiede der Fälle (§. 146-154.) ist zu bestimmen: ob und in welcher Art eine Ediktalcitation gewisser Erbesinteressenten, zum Behufe der Legitimation eines Erbschaftskäufers, des Cessionarii einer erbschaftlichen Aktivforderung, oder dessen, der eine solche Forderung an einen Erben bezahlt hat, erforderlich und zulässig sey; indem es dabei auf die Legitimation des Verkäufers, des Cedenten, oder des Empfängers der Zahlung ankommt.

§. 156.

Auch findet die Vorschrift §. 146. auf den Fall Anwendung, wenn der Fiskus, oder wer mit ihm gleiche Rechte hat, eine Erbschaft, zu welcher kein


(1274) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

bekannter Erbe vorhanden ist, als herrnlos in Anspruch nimmt.

2) Vorladung unbekannter Agnaten.

§. 157.

II. In Fällen, wo nach den allgemeinen, oder nach den besonderen Lehnrechten einer Provinz, eine öffentliche Aufforderung unbekannter Agnaten oder Gesammthänder zu gewissen Erklärungen, oder zur Ausübung gewisser Lehnrechte Statt findet, sind, wegen der Förmlichkeiten einer solchen Citation, die Vorschriften Tit. L. §. 107. u. f. zu beobachten.

§. 158.

Agnaten, deren Existenz und Aufenthalt aus den Hypothekenbüchern, oder aus der von dem Richter jedesmal zu erfordernden gewissenhaften Angabe des Extrahenten bekannt ist, müssen durch besondere Verordnungen vorgeladen werden.

3) Vorladung unbekannter Handlungs und Cocietätsgläubiger.

§. 159.

III. Wenn ein Kaufmann, welcher die seinem Faktor ertheilte Prokura zurück genommen, und dieses öffentlich bekannt gemacht hat, sich auch wegen der von dem Faktor während seiner Verwaltung vorgenommenen Geschäfte, gegen unbekannte Ansprüche sicher stellen will; so steht demselben frei, ein gerichtliches Aufgebot dieserhalb zu veranlassen.

§. 160.

Dieses Aufgebot muß bei dem persönlichen Richter des Principals nachgesucht, und es müssen dabei die Vorschriften des A. L. R. Th. II. Tit. VIII. §. 537. bis 589. beobachtet werden.

§. 161.

Was diese Gesetzstelle nicht bestimmt, ist, so weit es die Förmlichkeiten der Citation betrifft, nach den allgemeinen Vorschriften Tit. L. §. 107. u. f. mit Rücksicht auf die Beschaffenheit des Falles, von dem Richter anzuordnen.


(1275) Liquidationsprozeß.

§. 162.

Eben dergleichen Ediktalcitation findet auch in Ansehung unbekannter Societätsgläubiger Statt, wenn einem austretenden Gesellschafter die Führung der ganzen Societätshandlung, oder eines Theils derselben, als Disponenten übertragen gewesen. (A. L. R. Th. II. Tit. VIII. §. 675. 676.)

§. 163.

Wenn eine Handlungssocietät ganz aufgehoben wird, und dieß gehörig bekannt gemacht worden ist; so kann ein Societätsgläubiger, dem diese Bekanntmachung geschehen ist, sich nur innerhalb Jahresfrist, von dieser Bekanntmachung an gerechnet, an jeden der gewesenen Gesellschafter für das Ganze halten. (A. L. R. Th. I. Tit. XVII. §. 308-310.)

§. 164.

Will einer der sich trennenden Gesellschafter gegen unbekannte Societätsgläubiger sich decken, so kann er Ediktalcitation derselben mit der Wirkung ausbringen, daß er solchen Gläubigern nur für das, was aus dem Geschäfte wirklich in die Handlung gekommen ist, und nur nach Verhältnis seines an der aufgehobenen Societät gehabten Antheils, verhaftet bleibe. (A. L. R. Th. II. Tit. VIII. §. 683.)

§. 165.

Bei einer solchen Ediktalcitation finden die Vorschriften §. 160. 161. Anwendung.

§. 166.

In allen diesen Fällen (§. 159. 162. 164.) erfolgt die Ediktalcitation unter der Warnung: daß diejenigen, welche sich im Termine nicht melden, wenn sie sich an den Extrahenten halten wollen, für schuldig geachtet werden würden, die geschehene Verwendung der gegebenen Gelder oder Waaren in die Handlung nachzuweisen, und solche Umstände beizubringen, woraus erhelle, daß sie


(1276) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

das gegenwärtige Aufgebot zu erfahren keine Gelegenheit gehabt.

§. 167.

Auch muß in diesen Fällen der Extrahent an Eides Statt anzeigen, nach welchen in(-) und ausländischen Handlungsplätzen das Verkehr der Handlung hauptsächlich gerichtet gewesen, und danach sowohl die Frist des Aufgebots, die in der Regel nicht über Achtzehn, und niemals unter Sechs Monaten angenommen werden kann, als die Zahl und Art der Bekanntmachungen, ingleichen die auswärtigen Zeitungen, worin dieselben einzurücken sind, näher bestimmen.

§. 168.

Ingleichen muß die Bekanntmachung auf den Börsen der erwähnten Handlungsplätze, wohin das Verkehr sich erstreckt hat, verfügt; dessen Besorgung dem Extrahenten zur Pflicht gemacht; und der Nachweis, wie es geschehen, noch vor Eröffnung des Präklusionsurtels zu den Akten gebracht werden.

4) Vorladung unbekannter Bau- und Kassengläubiger.

§. 169.

IV. Wenn Baue auf Königliche oder andere öffentliche Rechnung geführt worden sind, so kann Fiskus, und wer mit demselben gleiche Rechte hat, darauf antragen, daß, nach geendigtem Baue und geschlossenen Rechnungen, die unbekannten Gläubiger, welche zu diesem Baue Materialien geliefert, oder Arbeiten dazu geleistet haben, öffentlich aufgefordert werden: sich innerhalb einer zu bestimmenden Frist bei derjenigen Behörde, unter deren Direktion der Bau geführt worden ist, spätestens aber in dem anzusetzenden Liquidationstermine, bei dem Richter zu melden, unter der Warnung: daß sie, nach fruchtlosem Ablaufe des Termins, ihres Anspruchs an die Kasse verlustig seyn, und bloß an die Person desjenigen, mit welchem sie kontrahirt hatten, verwiesen werden sollen.


(1277) Liquidationsprozeß.

§. 170.

Eine solche Ediktalcitation wird, wenn der Bau auf einem Domainenamte geführt worden ist, von dem Domainen-Justizamte, sonst aber von dem Landes-Justizkollegio der Provinz, veranlaßt.

§. 171 a.

Der Termin wird in der Regel auf drei Monate, wenn aber der Bau, nach richterlichem Ermessen, von keiner sonderlichen Wichtigkeit gewesen, auf sechs Wochen bestimmt. Nach dieser Bestimmung des Termins richtet sich auch die Art und Zahl der Bekanntmachungen. (Tit. L. §. 109. 111.)

Anh. §. 391. Wegen der in den Depositenkassen der Landesjustiz und Pupillenkollegien befindlichen, zum öffentlichen Aufgebot sich qualificirenden Gelder findet folgendes Verfahren Statt:

1. Es werden keine Ediktalcitationen veranlaßt, sondern nur die Eigenthümer oder deren Erben durch ein in die Zeitungen und Intelligenzblätter der Provinz einzurückendes Publikandum von Amts wegen benachrichtigt, daß die zu bezeichnenden Gelder bei ferner unterbleibender Abforderung, aus der Depositenkasse zur allgemeinen Justizofficianten -Wittwenkasse abgeliefert werden sollen.

2. Wenn auf diese keiner Wiederholung bedürfende öffentliche Bekanntmachung niemand die Auszahlung nachsucht, so sollen die Gelder nach Ablauf von vier Wochen zur Wittwenkasse gezahlt, und bei derselben so lange aufbewahrt werden, bis in der Folge deren Eigenthümer oder die Erben derselben sich bei dem Landesjustizkollegio, bei welchem die Gelder deponirt gewesen, zu deren Empfangnehmung melden und gehörig legitimiren.

3. So bald dieses geschehen ist, soll die Zurückzahlung der zur Wittwenkasse abgelieferten Gelder unweigerlich und ohne Verzug erfolgen.

4. Auf die von diesen Geldern inzwischen von der Wittwenkasse erhobenen Zinsen haben die Eigenthümer oder deren Erben keinen Anspruch; vielmehr fallen solche der Wittwenkasse anheim.

Anh. §. 392. Im Fall es zu einem wirklichen Aufgebot unbekannter Depositalinteressenten kommt, finden die Vorschriften des §. 171 a-c Anwendung.


(1278) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

Anb. §. 393. Die öffentliche Vorladung der militairischen Kassengläubiger, bei welcher übrigens alle §. 169 u. f. gegebene Vorschriften eintreten, muß bei dem Landesjustizkollegio geschehen, in dessen Departement der Stab des Regiments, zur Zeit der Anbringung des Antrags auf öffentliche Vorladung, steht. Ebendaselbst muß auch, nach verändertem Standquartier oder nach geschehener Auflösung, das angefangene Geschäft beendigt werden.

Die Gerichte haben in einem solchen Falle der Militärbehörde einen Assistenten von Amts wegen zuzuordnen, und solchen der erstern bekannt zu machen, damit sie ihn zur Wahrnehmung ihrer Gerechtsame mit gehöriger Instruktion versehen könne. Uebrigens muß für die Beschleunigung solcher Angelegenheiten vorzüglich gesorgt, und möglichst dahin gesehen werden, daß die Ansetzung des peremtorischen Termins, und demnächst die Abfassung des Präklusionserkenntnisses, in den ersten Tagen des Monats September jeden Jahres, vor Eintritt der jährlichen Musterungen der Regimenter und Bataillons, erfolge.

§. 171 b.

 Meldet sich im Termine ein solcher unbekannter Baugläubiger, so werden ihm in dem abzufassenden Präklusionsurtel bloß seine Rechte vorbehalten; übrigens aber wird er, wenn der Fiskus seine Forderung nicht sofort für bekannt annimmt, wegen näherer Ausführung derselben, an die nach der Ressortverfassung kompetente Behörde verwiesen.

§. 171 c.

Das auf ein dergleichen Aufgebot erfolgende Präklusionsurtel steht denjenigen Baugläubigern entgegen, von welchen aus den Akten und Rechnungen nicht zu ersehen gewesen, daß sie eine Forderung haben, oder daß dieselbe noch unbezahlt sei. Diese müssen sich alsdann an denjenigen halten, mit welchem sie kontrahirt haben, oder der die ihnen zu leistende Zahlung in Empfang genommen, und sie doch nicht gehörig befriedigt hat.

§. 171 d.

Auf gleiche Art können auch die Gläubiger einer Königlichen, oder andern öffentlichen, mit fiskalischen


(1279) Liquidationsprozeß.

Rechten versehenen Kasse vorgeladen werden, wenn es darauf ankommt, die Rechnungen eines abgehenden Rendanten abzuschließen, und ihm, oder seinen Erben, die Kaution zurück zu geben.

§. 171 e.

Auch findet eben dergleichen Vorladung auf den Antrag der solchen Kassen angesetzten Behörden Statt, wenn ein gewisses bestimmtes Geschäft, z. B. die Regulirung des öffentlichen Schuldenwesens einer Provinz oder Stadt, für einen gewissen Zeitraum erfolgt ist, und mit dem Abschlusse der Bücher und Rechnungen verfahren werden soll.

5) Vorladung der unbekannten Gläubiger eines Verschwenders.

§. 172.

V. Wenn jemand für einen Verschwender gerichtlich erklärt, und deshalb unter Kuratel gesetzt worden ist; so kann der Kurator desselben auf öffentliche Vorladung der Gläubiger an tragen.

§. 173.

Die Vorladung kann jedoch nur die Wirkung haben:

1) daß der Kurator von den vorhandenen Schulden näher unterrichtet werde, und seine ferneren Dispositionen darnach einrichten könne;

2) daß der Kurandus verhindert werde, neue Schulden zu kontrahiren, und durch Zurückdatirung der Instrumente, die Absicht der Prodigalitätserklärung zu vereiteln.

§. 174.

Der Nachtheil also, welcher den auf dergleichen Citation sich nicht meldenden Gläubigern bevorsteht, und welcher ihnen also auch nur angedroht werden kann, besteht bloß darin:

daß sie die Vermuthung wider sich haben: daß sie dem Kurando erst nach der Prodigalitätserklärung kreditirt, wenn auch ihre Instrumente von älterm Dato wären; und daß sie also, wenn sie nach Ablauf des Termins ihre Forderung einklagten,


(1280) Prozeßordn. Ein u. funfzigster Titel.

und bei der Instruktion der Sache das Gegentheil obiger Vermuthung nicht ausgemittelt würde, mit ihren Forderungen abgewiesen werden sollen.

§. 175.

Die Citation wird eigentlich nur an diejenigen Gläubiger gerichtet, welche sich bisher noch nicht gemeldet haben; und sie werden aufgefordert, innerhalb der gesetzten Frist, oder spätestens im Termine selbst, ihre Forderungen bei dem Gerichte anzuzeigen.

§. 176.

Dem Kurator steht frei, zugleich diejenigen Personen namentlich anzuzeigen, von welchen er weiß, daß sie Forderungen an den Kuranden machen, die er für bekannt anzunehmen Bedenken trägt. Diese werden alsdann durch besondere Beiordnungen vorgeladen; und es findet überhaupt zwischen ihnen und dem Kurator das Verfahren Statt, welches im Titel vom Diffamationsprozesse vorgeschrieben worden ist, mit dem einzigen Unterschiede, daß, da sonst die Provokation in dem Gerichtsstande des Diffamanten angebracht werden muß, dieselbe im gegenwärtigen Falle, wegen der Verbindung der Sache, vor den ordentlichen Richter des Kuranden gehört.

§. 177.

Die Bekanntmachung der Ediktalcitation aber, von welcher §. 174. die Rede ist, geschieht in der Regel mit der Bekanntmachung der Prodigalitätserklärung zugleich, und in einer Verordnung. Es sind auch dazu keine gewisse Fristen bestimmt; sondern diese, so wie die Anzahl der zu expedirenden Exemplare, und der den Intelligenzblättern und Zeitungen einzurückenden Anzeigen, müssen von dem Richter, nach vernünftigem Ermessen, mit Rücksicht auf das Vermögen des Kuranden, und den größern oder geringern Umfang seines bisherigen Verkehrs, bestimmt werden.


(1281) Liquidationsprozeß.

§. 178.Im Termine werden die sich etwa meldenden Gläubiger mit der Anmeldung ihrer Forderungen zum Protokolle vernommen, und die Sache hiernächst zur weitern besondern Ausführung zwischen ihnen und dem Kurator verwiesen. Gegen die Außenbleibenden aber wird ein Präklusionsbescheid, nach der §.174. bestimmten Kommination, abgefaßt und gewöhnlichermaßen publizirt, gegen welchen kein anderes, als das Tit. XIV. Abschn. III. beschriebene Remedium Statt findet.

6) Vorladung unbekannter Kontrahenten.

§. 179.

VII. Nach Vorschrift Tit. XXXV. §. 56. muß ein Denunciat, dessen Aufenthalt unbekannt ist, durch Ediktalcitation vorgeladen, und dabei die Vorschrift Tit. VII. beobachtet werden. Hiervon findet aber eine Ausnahme Statt, und es bedarf keiner förmlichen Ediktalcitation, wenn ein Unbekannter auf einer Accise-, Zoll- oder Polizeikontravention betroffen worden, und mit Zurücklassung der Waaren und Sachen, an welchen die Kontravention begangen ist, sich entfernt hat.

§. 180.

Ist in einem solchen Falle die Betreffung und der Beschlag von einem vereideten Accise- und Polizeibedienten auf seinen Amtseid angezeigt worden, und kommt es bloß darauf an, die Strafe der Konfiskation an der Waare, auf welcher sie haftet, zu vollstrecken; so ist es hinreichend, wenn der Vorfall, der Ort, und die Zeit, wo derselbe sich ereignet, und die Qualität der beschlagenen Waare, in den Zeitungen und Intelligenzblättern der Provinz, durch die Direktion oder Kriegs- und Domainenkammer, zu deren Ressort die Sache gehört, zu zweien Malen öffentlich bekannt gemacht wird.


(1282) Prozeßordn. Zwei u. funfzigster Titel.

Meldet sich auf diese Bekanntmachung niemand, innerhalb vier Wochen, von dem Tage an, wo sie zum ersten Male in die Intelligenzblätter eingerückt worden ist; so wird mit der Konfiskation, dem Verkaufe, und der Berechnung an die Strafkasse, ohne weitern Anstand verfahren.

§. 181.

Soll aber, außer der Konfiskation, noch eine andere Strafe verhängt werden; oder sind mit der Waare, auf welcher die Konfiskation haftet, andere, weder ganz verbotene, noch hoch impostirte Waaren, die der Eigenthümer, nach Abzug der Gefälle und Kosten, zurück fordern könnte, oder Gelder in Beschlag genommen worden; so muß dieser unbekannte Inhaber durch eine förmliche Ediktalcitation vorgeladen, und dabei die Vorschrift des Siebenten Titels beobachtet werden.

Anh. §. 394. Wenn der Werth der in Beschlag genommenen Sachen nach der Schätzung nicht über zwanzig Thaler beträgt, so bedarf es keiner Bekanntmachung und Ediktalcitation. Meldet sich aber der Inhaber oder Eigenthümer innerhalb Jahresfrist, vom Tage des Beschlags an gerechnet, und führt seine Unschuld aus; so soll ihm Alles, was er erstreitet, mit Inbegriff des Denunciantenantheils, aus der Kasse ersetzt werden.

Zwei und funfzigster Titel.

Vom Subhastationsprozesse.

Begriff.

§. 1.

Wenn ein unbewegliches Grundstück, oder eine unkörperliche Gerechtigkeit, oder eine in den Gesetzen den Immobilien gleich geachtete bewegliche Sache, gerichtlich feil gestellt wird, und die Kauflustigen öffentlich aufgefordert werden, sich zu melden, ihr Gebot abzugeben, und in so fern sie Meist- nnd Bestbietende bleiben, den Zuschlag zu erwarten; so heißt dieses eine Subhastation.


(1283) Subhastationsprozeß.

Eintheilung.

§. 2.

Dergleichen Subhastation ist entweder nothwendig, oder freiwillig. Zwischen beiden waltet einiger Unterschied des Verfahrens ob.

Erster Abschnitt. Von der nothwendigen Subhastation.

Objekte der Subhastation.

§. 3.

Die nothwendige Subhastation findet zwar eigentlich nur bei unbeweglichen Gütern Statt; es müssen aber auch unkörperliche Gerechtsame, wenn ein nothwendiger Verkauf derselben erfolgen soll, subhastirt werden.

§. 4.

Bei welchen beweglichen Sachen zu ihrer gerichtlichen Veräußerung die Subhastation erfordert werde, und wie viel selbige an Werth betragen müssen, ist Tit. L. §. 229. vorgeschrieben.

In welchen Fällen sie erforderlich sey.

§. 5.

 Die nothwendige Subhastation wird entweder nur im Wege der Exekution, auf das Andringen eines oder etlicher Gläubiger, welche aus dem Immobili ihre Befriedigung suchen, oder im Konkurse, auf Instanz des Kurators der Masse veranlaßt.

§. 6.

Wenn in einem erbschaftlichen Liquidationsprozesse auf die Subhastation eines zu dem Nachlasse gehörenden Immobilis angetragen wird, so muß dieselbe nach Art einer nothwendigen Subhastation eingeleitet werden.

§. 7. Wenn vor oder im Licitationstermine der Erbe sich erklärt, daß er ohne Vorbehalt Erbe seyn wolle; so geht die Subhastation in eine freiwillige über; außer diesem Falle aber wird, auch im fernern


(1284) Prozeßordn. Zwei u. funfzigster Titel.

Verfolge der Sache, nach den Regeln einer nothwendigen Subhastation verfahren.

§. 8.

Wenn jedoch der Erbe Umstände nachweisen kann, die ihn an Abgebung einer bestimmten Erklärung: Erbe ohne Vorbehalt seyn zu wollen, ohne seine Schuld verhindern; so kann der Richter auf sein Ansuchen, einen neuen Termin, auf eine nach den Umständen zu bestimmende Frist, ansetzen; in welchem Termine sodann, nach der alsdann erfolgenden oder nicht erfolgenden Erklärung des Erben, die Vorschrift §. 7. angewendet wird.

Vor welchem Richter sie erfolgen müsse.

§. 9.

Die Veranstaltung der Subhastation gebührt dem Richter, unter welchem die Sache gelegen ist. Bloße Pertinenzstücke werden zwar von dem Richter, unter welchem sie gehören, taxirt; ihre Subhastation aber erfolgt, der Regel nach, und außer dem Titel L. §. 662. bestimmten speciellen Falle, bei dem Richter des Hauptguts, mit diesem zugleich.

§. 10.

Wenn also die Exekution, oder der Konkurs, bei welchem die Subhastation nachgesucht wird, von einem andern Gerichte dirigirt worden ist; so muß dieses den Richter der Sache um deren Vollstreckung requiriren, oder ihm selbige auftragen.

§. 11.

Jede Subhastation setzt nothwendig die Abschätzung der zu verkaufenden Sache voraus.

§. 12.

Diese Taxe hat jedoch bloß die Belehrung und Information der Kauflustigen, von der Beschaffenheit des feil gebotenen Grundstücks und der dabei anzutreffenden Realitäten, zum Endzwecke, und soll denselben zum Leitfaden dienen, nach welchem sie an Ort und Stelle über diese Realitäten, und deren Ertrag, nähere Erkundigung anstellen können. Keinesweges


(1285) Subhastationsprozeß.

aber sollen das Gericht, oder der Kurator, oder die Gläubiger, die Taxe zu vertreten schuldig seyn; sondern alle Licitationen und Adjudikationen sollen, der Regel nach, in Bausch und Bogen geschehen: dergestalt, daß nur alsdann, wenn das ganze Grundstück, oder ein Theil desselben, von einem Dritten evincirt wird, oder ein mit zum Anschlage gebrachtes Stück, oder eine dergleichen Gerechtigkeit gar nicht vorhanden ist, die verkaufenden und aus den Kaufgeldern bezahlten Gläubiger, nach dem Verhältnis; des Gebots gegen die Taxe, dem Käufer deshalb Gewähr leisten dürfen.

Anh. §. 395. Alle gerichtliche Taxen sollen in Silbercourant aufgenommen werden. Ist aus Versehen oder wegen besonderer Ursachen eine Taxe in Golde aufgenommen worden, so ist dieselbe mit dem gesetzmäßigen und nicht mit dem coursmäßigen Agio auf Courant zu reduciren.

Deren Aufnehmung.

§. 13.

Was nun die Veranlassung der Taxation betrifft, so ist ein Unterschied zu machen: ob das zu subhastirende Immobile ein adliches Gut, oder ob es nur ein städtisches, oder anderes nicht übliches Grundstück sei.

§. 14.

In den Provinzen, wo Kreditsysteme errichtet sind, muß die Taxation der adlichen Güter demjenigen landschaftlichen Kollegio, unter dessen Departement sie gehören, aufgetragen werden.

Anh. §. 396. Die Taxation gehört, in so fern keine Pfandbriefe auf den Gütern haften, vor die ordentlichen Gerichte.

§. 15. Die Landschaft muß dabei nach den in jeder Provinz und Distrikte ihr vorgeschriebenen Grundsätzen verfahren, und die von ihr solchergestalt aufgenommene und revidirte Taxe dem Gerichte zur weitern Verfügung einsenden.


(1286) Prozeßordn. Zwei u. funfzigster Titel.

§. 16.

Zwischen einer solchen von der Landschaft zum Behuf einer Subhastation aufgenommenen Taxe, und derjenigen, welche sie bloß zur Bestimmung ihres auf ein Gut zu gebenden Kredits errichtet, waltet jedoch der Unterschied ob: daß, wenn bei einem Gute Realitäten vorhanden sind, welche keinen wirklichen Ertrag gewähren, z. B. Kirchlehn oder Patronatrecht, und andere dergleichen bloße Ehrenrechte, die daher bei bloßen landschaftlichen Taxen nicht mit aufgenommen werden, dieselben dennoch, bei Subhastationstaxen, dem Kapitale der Taxe nach einem landüblichen Satze beizufügen sind.

§. 17.

Ist in der Provinz kein Kreditsystem errichtet, oder ist das zu verkaufende Immobile kein adliches Gut; so muß das subhastirende Gericht die Taxe selbst aufnehmen, oder einen Kommisssarius dazu ernennen.

§. 18.

Die Obergerichte müssen dazu mit möglichster Sorgfalt Leute aussuchen, die außer der von Seiten der Rechtserkenntniß und des gerichtlichen Glaubens erforderlichen Tüchtigkeit, zugleich gründliche praktische Wirthschaftskenntnisse besitzen. In den Provinzen, wo diese Verrichtung gewissen dazu besonders ausgesuchten und bestellten Subjekten übertragen ist, hat es dabei auch noch ferner sein Bewenden.

§. 19.

Der Kominissarius muß sich, bei seiner Operation, zur Aufnehmung und Würdigung der vorkommenden Rubriken, geübter und sachverständiger Taxatoren bedienen. An Orten, wo dergleichen Leute zu Verrichtungen dieser Art nicht ein- für allemal bestellt und verpflichtet sind, müssen sie von dem Kommissario, wegen der dabei anzuwendenden Sorgfalt, Accuratesse, Treue, und möglichster Zuverlässigkeit, besonders vereidet werden.


(1287) Subhastationsprozeß.

§. 20.

Bei Aufnehmung der Taxe selbst muß der Kommissarius die in jeder Provinz bestehende Taxordnung pflichtmäßig befolgen. Sollte irgendwo dergleichen Taxordnung noch nicht vorhanden seyn, so muß das Landesjustizkollegium einer solchen Provinz einen Entwurf dazu fördersamst anfertigen; und nach genommener Rücksprache mit der Kriegs- und Domainenkammer und den Ständen der Provinz, binnen Jahresfrist, nach erfolgter Publikation dieser revidirten Prozeßordnung, zur Genehmigung einsenden.

§. 21.

Bei Aufnehmung der Taxe ist jedesmal auch auf das bei dem Gute vorhandene Inventarium, in so weit dasselbe zum Betriebe der Wirthschaft erforderlich, hinreichend oder entbehrlich ist, Rücksicht zu nehmen. (Tit. L. §. 491. Nr. 3.) Behaupten in der Folge die Personalgläubiger, daß bei Aufnehmung der Taxe mehr an Inventarienstücken und Zubehör zum Gute gerechnet worden, als dazu nach gesetzlichen Vorschriften wirklich gehöre; so muß ihnen zwar darüber gegen die eingetragenen Gläubiger rechtliches Gehör eröffnet, die Subhastation aber muß dadurch nicht aufgehalten werden; sondern der Erfolg, wenn die Personalgläubiger ihre Behauptung ausführen, ist nur der, daß alsdann ein verhältnißmäßiger Theil des gebotenen Kaufgeldes zur Gemeinmasse gezogen werden muß.

Wer dabei zuzuziehen.

§. 22.

Von der verordneten Aufnehmung der Taxe muß das Gericht dem Besitzer, wenn derselbe noch am Leben, und gegenwärtig ist, Nachricht ertheilen. Diesem steht alsdann frei, vor oder in dem Termine selbst, dem Kommissario einen Anschlag und ein Verzeichnis der bei dem Gute vorhandenen Realitäten und Zubehörungen, und ihrer angeblichen Erträge, vorzulegen. Der Kommissarius aber muß sich darauf


(1288) Prozeßordn. Zwei u. funfzigster Titel.

keinesweges verlassen, sondern die Richtigkeit der Angaben genau und sorgfältig prüfen; auch sich weder durch den Widerspruch und die Protestationen des Besitzers, noch durch das Außenbleiben desselben, in Vollziehung seines Auftrags irre machen lassen.

§. 23.

Gleichergestalt muß die verordnete Abschätzung den auf das Grundstück eingetragenen Gläubigern bekannt gemacht, und ihnen frei gegeben werden, derselben persönlich, oder durch Bevollmächtigte, jedoch auf ihre Kosten, beizuwohnen. Uebrigens müssen, bei Bestimmung der Grenzen, auch die Nachbarn von dem Kommissario mit zugezogen werden.

§. 24.

Erfolgt die Subhastation im Konkurse, so bedarf es keiner besondern Bekanntmachung an die eingetragenen Gläubiger; sondern es ist hinreichend, wenn das Dekret, in welchem der Richter die Abschätzung verordnet, den von ihnen bei dem Konkurse etwa ernannten Bevollmächtigten vorgelegt wird.

§. 25.

Sobald die Taxe und das dabei aufgenommene Protokoll, welches der Kommissarius jedesmal beizulegen hat, eingekommen sind, muß auf den Grund derselben die Subhastation selbst sofort verfügt werden.

Monita gegen die Taxe.

§. 26.

Während der Subhastation, und bis vier Wochen vor dem letzten Termine, steht sowohl dem Besitzer, als dem Extrahenten, ingleichen den Kauflustigen frei, die bei Aufnehmung der Taxe etwa vorgefallenen Fehler oder Versehen dem Gerichte anzuzeigen. Dieses muß alsdann dergleichen Anzeige in Erwägung ziehen; wenn sie erheblich zu seyn scheint, die nähere Untersuchung derselben veranlassen; und den Ausfall dieser Untersuchung, in so fern daraus eine Abänderung der Taxe folgt, den im Termine sich


(1289) Subhastationsprozeß.

meldenden Licitanten, vor Abgebung des Gebots, bekannt machen. Hingegen soll, wegen Erinnerungen und Ausstellungen wider die Taxe, welche erst im Licitationstermine selbst angebracht worden, die Fortsetzung der Licitation, und der Zuschlag selbst, nicht aufgehalten werden.

§. 27.

Dergleichen Erinnerungen finden auch gegen eine von der Landschafts- oder Kreditdirektion aufgenommene Taxe Statt; und können die landschaftlichen Behörden sich nicht entbrechen, solche ihnen mitgetheilte Ausstellungen gehörig zu prüfen; allenfalls dieselben an Ort und Stelle näher untersuchen zu lassen; und den Befund, noch vor dem Eintritte des Licitationstermins, dem Gerichte bekannt zu machen.

Kaufskonditionen.

§. 28.

Wenn wegen der Qualität des zu subhastirenden Grundstücks, oder wegen gewisser besonderer dabei vorkommender Umstände, die Nothwendigkeit es erfordert, gewisse specielle Bedingungen festzusetzen, und den Licitanten bekannt zu machen, unter welchen nur auf ein von ihnen abzugebendes Gebot Rücksicht genommen werden könne; so muß der Extrahent der Subhastation dieses dem Gerichte gebührend anzeigen, damit selbige, nach Beschaffenheit der Umstände, den Subhastationspatenten eingerückt werden.

Subhastationspatente.

§. 29.

Was nun diese Subhastationspatente selbst betrifft, so müssen dieselben:

1) die Benennung des zu subhastirenden Grundstücks, dessen Qualität: ob es nämlich ein adliches, ein anderes Rustikal, oder ein städtisches Grundstück, in welchem Kreise, Distrikte, Stadt, oder Dorfe es gelegen, und wie hoch es taxirt sei, enthalten.

2) Müssen alle diejenigen, welche nach der Qualität des Grundstücks dergleichen zu besitzen


(1290) Prozeßordn. Zwei u. funfzigster Titel.

fähig, und annehmlich zu bezahlen vermögend sind, aufgefordert werden, sich zu melden, und ihr Gebot abzugeben.

3) Müssen in der Regel drei Termine zu Abgebung dieses Gebots, wovon der dritte und letzte peremtorisch ist, an ordentlicher Gerichtsstelle anberaumt werden.

4) Muß den Kauflustigen bekannt gemacht werden, daß auf die nach Verlauf des letzten Licitationstermins etwa einkommenden Gebote nicht weiter reflektirt werden würde.

5) Ist, wenn nach Maaßgabe §. 28. besondere Kaufsbedingungen entworfen sind, darauf Bezug zu nehmen, auch eine Abschrift dieser Konditionen, so wie beglaubte Abschriften der Taxe, den Subhastationspatenten beizufügen; und zugleich in selbigen anzuzeigen: wo die Taxe, nebst den Konditionen, von den Kauflustigen mit mehrerer Muße nachgesehen werden könne.

Subhastationsfristen, und Bekanntmachung.

§. 30

Bei Anberaumung der Termine, und Bekanntmachung der Subhastationspatente selbst, ist auf die verschiedene Qualität des Grundstücks und dessen taxirten Werth Rücksicht zu nehmen. Ist dasselbe ein adliches Gut, welches auf 5000 Rthlr. oder höher taxirt worden ist; so sind auf jeden der drei Termine drei Monate, folglich auf die ganze Subhastationsfrist Neun Monate zu rechnen. Es werden alsdann drei Patente ausgefertigt, und davon das eine bei dem subhastirenden Gerichte selbst, das zweite bei einem andern benachbarten Obergerichte, und das dritte in dem Kreis- oder einem andern größern Stadt- oder Amtsgerichte angeschlagen. Geschieht die Subhastation auf Ansuchen eines andern, die Exekution oder den Konkurs dirigirenden Gerichts; so muß diesem jedesmal ein Exemplar zur Anschlagung zugeschickt werden.


(1291) Subhastationsprozeß.

Die Bekanntmachung in den Intelligenzblättern geschieht neunmal, nämlich jeden Monat Einmal; in den Zeitungen der Provinz aber nur dreimal, nämlich für jeden dreimonatlichen Termin Einmal.

Ist das Grundstück ein adliches Gut, welches unter 5000 Rthlr., oder ein anderes Rustikal- oder städtisches Grundstück, welches über 2000 Rthlr. taxirt worden ist; so werden auf jeden Termin zwei Monate, folglich auf das Ganze sechs Monate, gerechnet. Es werden zwei Patente ausgefertigt, und das eine davon bei dem subhastirenden, das andere aber bei einem auswärtigen Gerichte (vornehmlich bei demjenigen, auf dessen Ansuchen etwa die Subhastation verhängt worden) angeschlagen. Die Bekanntmachung in den Intelligenzblättern geschieht auf obige Art sechsmal, und in den Zeitungen dreimal.

Ist das Grundstück ein Haus, oder ein nicht adliches Landgut, und die Taxe beläuft sich nicht über 2000 Rthlr.; so ist auf jeden Termin ein Monat, folglich auf das Ganze drei Monate, zu rechnen. Es werden auf obige Art zwei Patente ausgefertigt und angeschlagen. Die Bekanntmachung in den Intelligenzblättern geschieht viermal: nämlich in jedem der ersten zwei Monate Einmal, und im letzten Monate zweimal. Die Einrückung in die Zeitungen geschieht zweimal: nämlich Einmal sogleich nach verhängter Subhastation, und das zweite Mal vier Wochen vor dem Termine. Doch kann diese Bekanntmachung in den Zeitungen, auf Verlangen der Interessenten, ganz unterbleiben.

Ist nur von Veräußerung einer Kossäthen-, Büdner-, Dresch- und Freigärtner-, Häusler- oder anderer dergleichen kleinern Rustikalbesitzung die Rede; so wird nur Ein Termin anberaumt, und auf neun Wochen hinaus gesetzt. Es werden zwei Patente ausgefertigt, wovon das eine an der ordentlichen Gerichtsstelle des Orts, das andere aber bei einem


(1292) Prozeßordn. Zwei u. funfzigster Titel.

benachbarten Kreis-, Stadt- oder Amtsgerichte angeschlagen wird. Außerdem wird der Termin in den Intelligenzblättern zu dreien Malen: nämlich alle drei Wochen Einmal, bekannt gemacht. Ist endlich das Grundstück nur zu Funfzig Thalern oder weniger geschätzt, so wird der Termin nur auf sechs Wochen bestimmt. Mit Ausfertigung der Patente wird, wie in dem unmittelbar vorhergehenden Falle, verfahren; und eine Einmalige Bekanntmachung in den Intelligenzblättern ist hinreichend.

Anh. §. 397. Wenn die Taxe eines zu subhastirenden adlichen Grundstücks über 500 Rthlr. bis 2000 Rthlr. inkl. beträgt, so treten die Vorschriften des §. 30. dieses Titels ein.

Bei Subhastationen adlicher Güter, deren Werth nicht über 500 Rthlr. beträgt, wird eben so, wie bei Veräußerung einer Kossäthen-, Büdner- oder anderer kleiner Rustikalbesitzungen, und wenn der Werth nur 100 Rthlr. oder weniger beträgt, nach der Vorschrift des §. 30. a. a. O. verfahren.

Anh. §. 398. Wenn kleine städtische Grundstücke, ingleichen Gerechtigkeiten, wovon der Werth in beiden Fällen unter 2000 Rthlr. beträgt, subhastirt werden sollen; so sind die Grundsätze anzuwenden, welche bei Veräußerung der Kossäthen-, Büdner- und anderer kleiner Rustikalbesitzungen Statt finden.

Beläuft sich der ungefähre Werth nicht über 50 Rthlr., so tritt das am Schlusse des §. 30. vorgeschriebene Verfahren ein.

Anh. §. 399. Wegen des Aushängens der Patente und der Einrückung in die öffentlichen Blätter, dienen die Vorschriften des §. 59. des Anhangs zu §. 42. u. f. Titel VII. Theil I. zur Richtschnur.

§. 31.

Bei Ausmessung dieser Termine muß besonders auf den letzten und peremtorischen Rücksicht genommen, und die Sache so gefaßt werden, daß die volle Subhastationsfrist, von dem Tage, wo die Bekanntmachung in den Intelligenznachrichten zuerst geschehen ist, frei bleibe.

Anh. §. 400. Wenn ein affigirt gewesenes Subhastationspatent vor Ablauf des vorgeschriebenen Zeitraums, es sey nun 14 Tage vorher oder früher, abgenommen,


(1293) Subhastationsprozeß.

oder abgerissen und verloren gegangen ist; so kann dieß nicht für einen solchen wesentlichen Mangel der Förmlichkeiten angesehen werden, welcher die Abfassung des Adjudikationsbescheides verhindert.

Eben dieser Grundsatz tritt auch für den Fall ein, wenn die Einrückung des Subhastationspatents in die Jntelligenzblätter statt sechsmal, nur dreimal bewirkt ist.

§. 32. Wenn in dem ersten oder zweiten Termine Kauflustige sich melden, so muß zwar ihr Gebot zum Protokolle vermerkt werden; die Adjudikation aber kann nicht anders geschehen, als wenn sämmtliche Interessenten, d. h. der Besitzer und sämmtliche Gläubiger, darunter einig sind.

Verfahren im Licitationstermine.

§. 33.

Wenn der peremtorische Termin eintritt, so muß das Gericht, zur Abwartung desselben, einen Deputirten aus seiner Mitte ernennen, und ihm einen Referendarius, oder Aktuarius, oder vereideten Protokollführer beigeben.

§. 34.

Der Licitationsaktus muß jedesmal öffentlich, und an ordentlicher Gerichtsstelle, vor sich gehen. Der Kreditor, welcher die Subhastation extrahirt hat, oder in Konkursen der Kurator, und die in Person oder durch Bevollmächtigte gegenwärtigen Gläubiger, müssen dabei zugezogen; und auch der Besitzer oder Gemeinschuldner, wenn er sich meldet, muß zugelassen werden.

§. 35. Erfolgt die Subhastation im Wege der bloßen Exekution, so muß der anstehende letzte Licitationstermin den eingetragenen Gläubigern besonders bekannt gemacht werden. Doch behält, wenn auch keiner von diesen sich meldet, die Licitation dennoch ihren Fortgang, und es bedarf wegen des Zuschlags keiner besondern Vernehmung der außen gebliebenen Realgläubiger. Uneingetragene Gläubiger werden


(1294) Prozeßordn. Zwei u. funfzigster Titel.

in keinem Falle vorgeladen; wohl aber, wenn sie sich von selbst melden, zugelassen.

Anh. §. 401. Der Vorladung an die eingetragenen Gläubiger wird die Warnung beigefügt:

daß im Fall des Ausbleibens dem Meistbietenden nicht nur der Zuschlag ertheilt, sondern auch nach gerichtlicher Erlegung des Kaufschillings, die Löschung der sämmtlichen eingetragenen, wie auch der leer ausgehenden Forderungen, und zwar der letzteren, ohne daß es zu diesem Zweck der Produktion der Instrumente bedarf, verfügt werden soll.

Ueber die geschehene Vorladung muß ein Behändigungsschein zu den Akten gebracht werden.

Anh. §. 402. Die Inhaber solcher Dokumente, welche leer ausgehen, müssen zur Produktion derselben zu dem Behuf, daß die geschehene Löschung darauf vermerkt werde, angehalten werden, worauf ihnen solche mit diesem Vermerke zurück zu geben sind und dabei die Warnung hinzu zu fügen ist, daß die Inhaber für allen aus dem mit dem gelöschten Dokumente gemachten Mißbrauch und den daraus entstehenden Schaden zu haften verbunden seyn.

Anh. §. 403. Ist der Aufenthalt eines eingetragenen Gläubigers unbekannt, auch kein bereits aufgestellter Kurator oder Bevollmächtigter desselben, der statt seiner vorgeladen werden kann, vorhanden; so muß dessen öffentliche Vorladung mit der Bekanntmachung der Subhastationstermine verbunden, und ihm, falls die Aufstellung eines Kurators nach Lage der Sache nicht Statt findet, ein Assistent beigeordnet werden, der die Erforschung seines Aufenthalts bis zum Termine fortsetzt, und überhaupt die Stelle des Kurators vertritt. Uebrigens muß über die geschehene Vorladung der bekannten Gläubiger ein Behändigungsschein zu den Akten gebracht werden.

§. 36. Uebrigens hat es in Provinzen, wo bisher auch nothwendige Subhastationen nicht von den Gerichten, sondern von eigenen dazu bestellten und autorisirten Personen vorgenommen worden sind, bei der dießfälligen Verfassung sein Bewenden.

§. 37. Zur Abgebung der Gebote, und zum Licitiren selbst, ist der ganze zum letzten Termine angesetzte Tag bestimmt: so, daß die Licitation an diesem Tage


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allenfalls des Nachmittags, wenn sie entweder am Vormittage nicht hat abgeschlossen werden können, oder sich alsdann erst neue Licitanten melden, mit Zuziehung der §. 34. benannten Personen, und der bis dahin noch nicht abgestandenen Licitanten, so lange fortgesetzt werden muß, bis nur Ein Meistbietender verbleibt, und die übrigen abstehen. Nach Sechs Uhr Abends, und noch mehr nach gänzlichem Ablaufe des Termins, können neue Gebote nicht anders, als mit Einwilligung sämmtlicher Interessenten, den Meistbietenden mit eingeschlossen, zugelassen werden.

§. 38. Der Meistbietende erlangt inzwischen hierdurch kein vollkommenes Recht auf den Zuschlag, sondern es hängt noch immer, nach den unten folgenden näheren Bestimmungen, von den Gläubigern ab, entweder in den Zuschlag zu willigen, oder auf Verlängerung der Subhastation anzutragen.

§. 39. Die Licitationshandlung wird damit eröffnet, daß der Extrahent der Subhastation die Bescheinigungen, wegen richtig geschehener Bekanntmachung des Termins in den Zeitungen und Intelligenzblättern, übergiebt, und die Kauflustigen, durch öffentlichen lauten Ausruf vor dem Gerichtszimmer, zur Licitation aufgefordert werden; wobei denselben zugleich die nach §. 28. etwa voraus zu setzenden Bedingungen nochmals erinnerlich gemacht, und die nach §. 26. etwa vorgefallenen Abänderungen bei der Taxe, von dem Deputirten des Gerichts eröffnet werden müssen.

§. 40. Sodann werden die sich meldenden Licitanten mit ihren Geboten nach und nach zum Protokolle vernommen, wobei der Gerichtsdeputirte darauf sehen muß:


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1) daß sie ihr Gebot in Ansehung des Quanti der Münzsorten bestimmt abgeben;

2) daß sie sich auf die voraus gesetzten Bedingungen deutlich erklären;

3) daß sie ihre eigenen Bedingungen, hauptsächlich wegen der Art, wie, und der Termine, in welchen die Zahlung geleistet werden soll, deutlich und bestimmt anzeigen.

Vernehmung der Interessenten über das Meistgebot.

§. 41.

Wenn solchergestalt sämmtliche Kauflustige gehört worden sind, und durch fortgesetztes Licitiren unter ihnen ausgemittelt ist: welcher von ihnen der Meistbietende bleibe; so müssen alsdann die Interessenten bei der Subhastation vernommen werden: ob sie in den Zuschlag willigen, oder, ob und was sie dabei noch zu erinnern haben.

Anh. §. 404. So lange der Adjudikationsbescheid noch nicht eröffnet ist, können die Gläubiger und der ihre Rechte vertretende Kurator ein Mehrgebot annehmen und darüber weiter bieten lassen.

§. 42.

Sind die Interessenten über die Annehmlichkeit des Gebots einig, so müssen die Akten sofort zur Abfassung des Adjudikationsbescheides vorgelegt werden. Der Meistbietende muß jedoch zuvörderst seine Fähigkeit zum Besitze des Grundstücks, wenn sie nicht notorisch ist, gehörig ausweisen, oder wenigstens vorläufig bescheinigen.

Anh. §. 405. Bei städtischen Grundstücken ist es nicht nöthig, daß der Meistbietende vor dem Zuschlage das Bürgerrecht gewinne; vielmehr genügt es, wenn er ein Attest des Magistrats darüber beibringt: daß der Ertheilung des Bürgerrechts an ihn, im Falle des Zuschlags, nichts entgegen stehe.

§. 43.

Können sich die bei der Licitation gegenwärtigen Gläubiger nicht vereinigen, so ist der Widerspruch einiger unter ihnen entweder gegen die Person, oder gegen das Quantum des Gebots, oder gegen die von


(1297) Subhastationsprozeß.

dem Meistbietenden vorgeschlagenen Zahlungs- oder anderweitigen Bedingungen gerichtet.

§. 44.

Bedenklichkeiten gegen die Person und Besitzfähigkeit des Licitanten müssen nach Vorschrift §. 42. sofort erledigt werden. Finden bei der Licitation unbekannte oder unangesessene Licitanten sich ein, so steht dem Kurator, oder auch den bei der Licitation gegenwärtigen Gläubigern frei, Kautionsbestellungen von ihnen zu verlangen, die sie auf der Stelle berichtigen müssen, ehe sie zum Mitbieten gelassen werden.

Anh. §. 406. Die Verbindlichkeit zu der Kautionsbestellung richtet sich nach den im Tit. XXI. §. 2. Nr. 2. und Tit. XXlX. §. 10. enthaltenen Grundsätzen.

§. 45.

Uebrigens versteht es sich von selbst, daß ein Licitant bloß um deßwillen, weil die Subhastation von ihm mit ausgebracht worden ist, vom Mitbieten nicht ausgeschlossen werden könne.

§. 46.

Betrifft der Widerspruch das Quantum des Gebots, und ist das subhastirte Grundstück ein adliches Gut; so muß der Zuschlag geschehen, so bald das Gebot zwei Drittel der Taxe oder mehr beträgt.

§. 47.

Hiervon sind allein die Fälle ausgenommen:

1) wenn alle eingetragene Gläubiger dagegen sind und einmüthig die weitere Subhastation verlangen;

2) wenn der dem Zuschlage widersprechende Gläubiger den übrigen, nach der unten §. 51. u. f. erfolgenden Vorschrift, für den bei einer Fortsetzung der Subhastation zu besorgenden Ausfall, sogleich annehmliche Kaution bestellt;

3) wenn ein Kreditsystem bei der Sache interessirt, und durch das geschehene Gebot mit seinen Forderungen nicht gedeckt seyn würde; in welchem


(1298) Prozeßordn. Zwei u. funfzigster Titel.

Falle demselben frei steht, auf Verlängerung der Subhastation anzutragen. Doch kann durch einen solchen Antrag der Zuschlag des Gutes, gegen den Willen der übrigen Gläubiger, niemals über drei Jahre, vom Tage der veranlaßten ersten Subhastation an gerechnet, aufgehalten werden.

§. 48.

Ist auf das subhastirte adliche Gut weniger als zwei Drittel der Taxe geboten, so findet der Zuschlag nicht Statt, wenn nicht alle Interessenten darein willigen. Unter diesen Interessenten sind nicht nur alle in Person oder durch Bevollmächtigte gegenwärtige eingetragene und uneingetragene Gläubiger, sondern auch der Schuldner, in so fern er am Leben und gegenwärtig ist, oder dessen Erben, in so fern dieselben bekannt und bei der Licitation erschienen sind, oder auch der dem Nachlasse bestellte Kurator zu verstehen.

§. 49.

Wenn in diesem Falle das subhastirte adliche Gut wegen zu niedrigen Gebots nicht zugeschlagen werden kann, so finden die Vorschriften des Funfzigsten Titels Anwendung.

§. 50.

Ist das subhastirte Grundstück kein adliches Gut, so muß, der Regel nach, die Adjudikation an den Meistbietenden schlechterdings geschehen, wenn auch das Gebot desselben unter zwei Drittel der Taxe betrüge.

§. 51.

Hiervon kann nur alsdann eine Ausnahme Statt finden, und mit der weitern Subhastation verfahren werden:

1) wenn sämmtliche eingetragene Gläubiger deshalb einig sind; da es alsdann auf den Widerspruch


(1299) Subhastationsprozeß.

der Personalgläubiger, oder des Schuldners selbst, weiter nicht ankommt; oder

2) wenn der die Fortsetzung der Subhastation verlangende Gläubiger, denen, welche in den Zuschlag willigen, für das Gebot, und für allen aus der Verzögerung des Zuschlags entstehenden Nachtheil zu haften bereit ist, und ihnen deshalb sofort eine annehmliche Kaution bestellt.

§. 52.

Selbst der Schuldner kann auf diese Art den Zuschlag aufhalten, wenn er sofort einen tüchtigen Bürgen stellt, welcher die Kaution pro quanto minore zu übernehmen bereit ist.

§. 53.

Wenn es der Fiskus ist, welcher dem Zuschlage widerspricht, so bedarf es zwar von dessen Seite keiner besonderen Kautionsbestellung; der fiskalische Bediente muß aber die ausdrückliche Erklärung der vorgesetzten Behörde, für den Ausfall haften zu wollen, beibringen.

§. 54.

Uebrigens kann der Zuschlag eines adlichen Guts, für welches zwei Drittel oder mehr geboten worden, so wie der eines nichtadlichen, für das Meistgebot überhaupt, durch den Widerspruch eines oder etlicher Interessenten, und die von ihnen geleistete Kaution nur Einmal aufgehalten werden. In dem verlängerten Subhastationstermine muß der Zuschlag schlechterdings geschehen; und wenn ein nachstehender Gläubiger, oder auch der Schuldner, demselben widerspricht; vorstehende Gläubiger hingegen, welche aus dem Gebote befriedigt werden können, darein willigen: so kann auf den Widerspruch der Ersteren nur alsdann Rücksicht genommen werden, wenn sie den Letzteren die bereite Zahlung desjenigen, was sie durch das Gebot erhalten würden, sofort anzuweisen im Stande sind.


(1300) Prozeßordn. Zwei u. funfzigster Titel.

§. 55.

In allen Fällen, wo die Subhastation fortgesetzt werden soll, hängt es von den Erklärungen der Interessenten und von dem Befinden des Gerichts ab: wie weit der prorogirte Termin hinaus zu setzen sey. Der Regel nach wird selbiger auf die einfache Subhastationsfrist, das heißt, auf drei, zwei, oder einen Monat, oder auf drei Wochen prorogirt. Auch wird dieser neue Termin, mit Anzeigung des letzten und höchsten Gebots, unter dem einen Proklama, welches an der ordentlichen Gerichtsstelle nochmals affigirt wird, und durch einmalige Anzeige in den Intelligenzblättern und Zeitungen der Provinz (in so fern in diesen die erste Einrückung erforderlich gewesen ist) anderweit bekannt gemacht. Ein abermaliger Aushang der übrigen Patente ist dabei zwar erlaubt, aber nicht nothwendig.

§. 56.

Diese Vorschriften (§. 55.) finden auch alsdann Anwendung, wenn die Subhastation nicht unmittelbar fortgesetzt, sondern erst nach einigem Zeitverlaufe wiederholt wird. (Tit. L. §. 585.)

§. 57.

Wenn nach Maaßgabe §. 43. die der Adjudikation widersprechenden Interessenten ihren Widerspruch gegen die von dem Käufer gemachten Bedingungen richten, und darüber durch gerichtliche Vermittlung nicht zum Einverständnisse gebracht werden können; so muß die Mehrheit der Stimmen der bei der Sache interessirenden Realgläubiger, welche nach den Summen ihrer aus dem Hypothekenschein erhellenden, oder in dem Klassifikationsurtel festgesetzten Kapitalsforderungen berechnet wird, entscheiden. Doch soll kein Realgläubiger durch den Konsens der übrigen zum Beitritte gezwungen werden können, wenn


(1301) Subhastationsprozeß.

1) der Licitant nicht in Pausch und Bogen kaufen will, sondern sich Vertretung der Taxe vorbehält;

oder

2) wenn er nicht wenigstens Ein Drittel des Gebots entweder baar, oder in Pfandbriefen, oder in unstreitigen vollkommen sicheren Aktivinstrumenten, vor oder bei der Naturalübergabe zu erlegen, sich anheischig macht.

Adjudikationsurtel.

§. 58.

Wenn nun die Interessenten über die Adjudikation einig sind, oder der Zuschlag nach vorstehenden Grundsätzen, des Widerspruchs einiger unter ihnen ungeachtet, erfolgen muß; so müssen die Akten zur Abfassung des Urtels ungesäumt vorgelegt werden.

Daß in Fällen, wo das den Konkurs dirigirende Gericht von dem, von welchem die Subhastation verfügt worden, unterschieden ist, mit ersterem zuvörderst Rücksprache genommen werden müsse, ist bereits oben Tit. L. §. 659. verordnet.

§. 59.

In dem Adjudikationsurtel müssen nicht nur das Gebot, gegen welches der Zuschlag geschieht, sondern auch die übrigen Bedingungen, insonderheit wegen Bezahlung der Kaufgelder, ausgedrückt werden.

§. 60. Gegen ein solches Urtel soll keine Appellation oder anderes Rechtsmittel, am allerwenigsten aber die Wiedereinlösung von Seiten des vorigen Besitzers, zulässig seyn.

Anh. §. 407. Wenn bei der Subhastation und Aufnahme der Taxe die Vorschriften Tit. LII. §. 22-26. beobachtet worden sind, so kann der vorige Besitzer wirkliche Pertinenzen des subhastirten und adjudicirten Gutes unter dem Vorwande, daß solche in der angefertigten Taxe nicht mit taxirt worden, nicht in Anspruch nehmen.

Davon findet auch alsdann keine Ausnahme Statt, wenn in dem Subhastationspatente der Ertrag des Taxati


(1302) Prozeßordn. Zwei u. funfzigster Titel.

überhaupt so hoch angegeben worden ist, als sich die Summe der einzelnen Taxationen der ausdrücklich angegebenen Pertinenzen beläuft.

Wirkung des Adjudikationsbescheides.

§. 61.

Von dem Tage des publicirten Adjudikationsbescheides an fällt sowohl die Gefahr, als die Nutzung des erstandenen Grundstücks, in so fern deshalb nichts Besonderes verabredet worden, dem Käufer anheim; und die Naturalübergabe an ihn geschieht entweder gerichtlich, oder außergerichtlich, je nachdem die Parteien sich darüber vereinigen.

§. 62.

Ein jeder Adjudikationsbescheid enthält die von selbst, und ohne ausdrückliche Erwähnung, sich verstehende Bedingung: daß, wofern die Bezahlung der Kaufgelder in der gesetzten Zeit nicht erfolgt, der Käufer sich die anderweitige Subhastation des Grundstücks auf seine Gefahr und Kosten gefallen lasse.

Wenn also derselbe mit der stipulirten Zahlung nicht inne hält, so muß diese anderweitige Subhastation, bei dem Andringen der Gläubiger auf den Grund der vorigen Taxe sofort verfügt, und der Käufer, falls er den Naturalbesiz schon ergriffen hätte, dessen wieder entsetzt werden. Wenn also die Gläubiger mit einem solchen Antrage sich melden, so muß derselbe dem Käufer bekannt gemacht, und ihm eine Frist von höchstens vier Wochen, die unter keinerlei Vorwande verlängert werden kann, bestimmt werden. Kann er in dem am Ende dieser Frist zu bestimmenden Termine die vollständige Erfüllung seiner Verbindlichkeit nicht nachweisen, so verhängt der Richter, durch ein bloßes Dekret, die anderweitige Subhastation. Wird in dem neuen Licitationstermine weniger geboten, so muß der vorige Licitant den Ausfall, so wie alle andere den Gläubigern daraus entstandene Schäden und Kosten ersezen; und Letztere


(1303) Subhastationsprozeß.

können sich deshalb nicht nur an das von ihm erlegte Angeld, sondern auch an sein übriges bereitestes Vermögen halten; allenfalls auch mit Personalarrest wider ihn verfahren lassen.

§. 63.

Dagegen bewirkt das Unterbleiben der versprochenen Zahlung keine Aufhebung des mit dem Käufer geschlossenen Kontrakts selbst, sondern dieser bleibt dergestalt in seinen Würden, daß selbst Unglücksfälle, welche in der Zwischenzeit bei dem Grundstücke sich ereignet haben, den Käufer treffen; daß aber auch, so wie dieser bei einer nochmaligen Subhastation den Ausfall tragen muß, eben so, wenn dabei mehr als sein eigenes Gebot heraus kommt, der Ueberschuß ihm, und nicht den zuerst verkaufenden Gläubigern, gebührt.

§. 64.

Wollen die Gläubiger von der nach §. 62. ihnen zustehenden Befugniß, das Gut auf Gefahr und Kosten des Käufers anderweit zur Subhastation zu bringen, keinen Gebrauch machen, sondern sich wegen des rückständig gebliebenen Kaufgeldes an das übrige Vermögen des Käufers halten; so müssen sie gegen ihn eine ordentliche Klage anstellen, und die Exekution in dieses übrige Vermögen nach den Vorschriften der Exekutionsordnung verfolgen. Dagegen steht ihnen frei, wenn sie zur nochmaligen Subhastation schreiten, wegen des besorglichen Ausfalls, Arrest auf das übrige Vermögen des Käufers nachzusuchen.

Anh. §. 408. Die verordnete anderweite Subhastation auf den Fall, wenn der Käufer eines Gutes die Zahlung der Kaufgelder in der gesetzten Zeit nicht leistet, kann nicht als eine Fortsetzung der vorigen angesehen, sondern muß als eine neue Subhastation behandelt werden, bei welcher in Ansehung der Anberaumung und Bekanntmachung der Termine überall nach Vorschrift des §. 30. dieses Titels zu verfahren ist.


(1304) Prozeßordn. Zwei u. funfzigster Titel.

Auf nochmalige Subhastation kann nicht von einem Gläubiger allein, sondern nur entweder von der Gesammtheit der Gläubiger, oder doch vermöge eines nach der Vorschrift Th. I. Tit. L. §. 78-85. abzufassenden Konklusi der Mehrheit angetragen werden.

Subhastation von Mobilien und Gerechtigkeiten.

§. 65.

Bei Mobilien, in so fern sich dieselben nach Maaßgabe §. 4. zur Subhastation qualificiren, ingleichen bei unkörperlichen Dingen und Gerechtigkeiten, sind eben diese Vorschriften, so weit sie nach der Natur des Objekts Anwendung finden können, zu beobachten.

Bei Gerechtigkeiten, welche keiner eigentlichen Taxe fähig sind, geschieht die Subhastation auf sechs Monate, und die Bekanntmachung durch zwei Patente, auch sechsmalige Einrückung in die Intelligenzblätter.

Bei Juwelen und anderen kostbaren Mobilien wird, wenn die Taxe über 2000 Rthlr. beträgt, der Termin auf sechs, sonst aber nur auf drei Monate hinausgesetzt. Im erstern Falle werden zwei Proklamata, und sechsmalige Bekanntmachung in den Intelligenzblättern, so wie dreimalige in den Zeitungen; im zweiten hingegen nur Ein Proklama, und nur viermalige Bekanntmachung in den Intelligenz- und einmalige in den Zeitungsblättern veranlaßt.

Die Adjudikation muß im Termine schlechterdings für das höchste Gebot geschehen; die adjudicirte bewegliche Sache aber kann dem Käufer nicht anders, als gegen baare Bezahlung des ganzen Gebots, ausgeantwortet werden; es wäre denn, daß ihm die Interessenten die Stundung desselben, ganz oder zum Theil, einmüthig bewilligt hätten.

Anh. §. 409. Ueber das Verfahren bei nothwendiger Subhastation der Schiffe siehe §. 361. des Anhangs zu §. 230. u. f. Th. L. Th. I.

Anh. §. 410. Bei der Veräußerung der Hüttenwerke und Bergantheile finden folgende Vorschriften Statt:


(1305) Subhastationsprozeß.

1. muß eine möglichst genaue Beschreibung des Werks angefertigt, darin die Zahl der zur Zeche gehörigen Gänge und Flötze, die Mächtigkeit oder sonstige Beschaffenheit derselben, in so fern sie bekannt sind, die Feldeslänge und der darin geführte Bau genau angegeben, auch wenn das Werk im Betrieb ist, und mit Ausbeute baut, das Ausbringen des letzten Jahres bemerkt, und solchergestalt der Kauflustige in den Stand gesetzt werden, sich mit dem Zustande und dem Werthe des Werks bekannt zu machen.

2. Die Subhastationsfrist wird ohne Unterschied des Werths auf sechs Wochen bestimmt, und die Bekanntmachung darf auch nur zweimal in die Intelligenzblätter der Provinz eingerückt werden. Außerdem wird ein Proklama bei dem subhastirenden Bergamte ausgehangen.

3. Wenn die Mitgewerke bei dem subhastirenden Bergamte einen Bevollmächtigten bestellt haben, so muß demselben der bevorstehende Verkauf und der dazu anberaumte Termin besonders bekannt gemacht werden; da hingegen eine solche Bekanntmachung in Ansehung derjenigen Mitgewerke wegfällt, von denen kein Bevollmächtigter bestellt worden ist.

4. Muß die Bekanntmachung des Verkaufs und des anstehenden Termins in dreien Kirchen, welche das Bergamt nach dem bekannten oder muthmaaßlichen Aufenthaltsorte der Mitgewerke zu wählen hat, auf die dort gewöhnliche Art erfolgen.

Zweiter Abschnitt.

Von freiwilligen Subhastationen.

§. 66.

Freiwillige Subhastationen können aus mancherlei Ursachen Statt finden, z. B. wenn Erben zum Behufe der Theilung unter sich ein zum gemeinschaftlichen Nachlasse gehöriges Grundstück öffentlich und gerichtlich feil bieten wollen; insonderheit aber alsdann, wenn die Veräußerung eines Grundstücks, dessen Besitzer noch minderjährig ist, erfolgen soll.

§. 67.

Bei dergleichen Subhastationen muß, so wie durchgehends, eine gerichtliche Taxe zum Grunde


(1306) Prozeßordn. Zwei u. funfzigster Titel.

gelegt werden. Die Bestimmung der Termine, und die Art der Bekanntmachung, hängt, in so fern der Verkauf nicht auf Andringen der Gläubiger geschieht, lediglich von dem Vorschlage und Gutfinden der Extrahenten ab. Wird aber von diesen nichts besonders angetragen, so ist dabei eben das, was bei nothwendigen Subhastationen, zu beobachten.

§. 68.

Die Extrahenten einer bloß freiwilligen Subhastation können darauf antragen, daß, statt einer förmlichen Taxe, eine bloße Beschreibung des Grundstücks, nach seiner Lage, Grenzen, allgemeinen Beschaffenheit, und aus dem Hypothekenbuche oder dem Steuerkatastro erhellenden Realitäten, Zubehörungen, Dienstbarkeiten, und beständiger Lasten, den Subhastationspatenten beigefügt werde.

§. 69.

Wenn mehrere Extrahenten einer freiwilligen Subhastation vorhanden sind, und diese sich über die dabei zu beobachtenden Förmlichkeiten nicht vereinigen können; so muß nach denjenigen Anträgen, welche sich den gesetzlichen Bestimmungen bei nothwendigen Subhastationen am meisten nähern, verfahren werden.

§. 70.

Auch in Ansehung des Zuschlags kommt es lediglich auf die Vereinigung der Extrahenten mit den sich meldenden Licitanten an; ob und an welchen von diesen Letzteren, für welches Gebot, und unter was für Bedingungen der Zuschlag erfolgen; ob allenfalls die Subhastation weiter fortgesetzt; oder ob sie gänzlich eingestellt werden solle.

§. 7l.

Sind mehrere Extrahenten der freiwilligen Subhastation vorhanden, und diese können sich wegen des Zuschlags unter einander nicht vereinigen; so


(1307) Subhastationsprozeß.

muß die Sache unter ihnen nach den Vorschriften der Gesetze vom gemeinschaftlichen Eigenthume beurtheilt, und allenfalls durch Urtel und Recht entschieden werden. (Allgem. L. R. Th. I. Tit. XVII. §. 10. u. f.)

§. 72.

Während des darüber entstehenden Streites können die Licitanten für das Gebot zu haften nicht gezwungen werden; und wenn sie abstehen, so bleiben dem die Adjudikation verlangenden Theile, wenn er in der Hauptsache obsiegt, seine Rechte gegen den Widersprechenden, wegen des aus der Vereitelung des Zuschlags etwa entstehenden Interesse, nach allgemeinen gesetzlichen Verordnungen vorbehalten.

§. 73.

Wenn nach veranlaßter freiwilliger Subhastation, und vor dem Zuschlage, Umstände sich hervor thun, welche die Verwandlung derselben in eine nothwendige begründen können; so kann mit dem Zuschlage nur alsdann verfahren werden, wenn entweder die sämmtlichen alsdann vorhandenen Interessenten damit einig, oder wenn bei der freiwilligen Subhastation alle gesetzliche Förmlichkeiten der nothwendigen beobachtet worden sind.

Anh. §. 411. Soll die Subhastation fortgesetzt werden, und sind alle Interessenten einig, daß nur eine einfache Subhastationsfrist auf die §. 55. dieses Titels bestimmte Art rathsam sey; so ist dem gemäß zu verfahren. Sind die Interessenten darüber nicht einig, so sind die Vorschriften §. 30. 31., zur Richtschnur anzunehmen.

§. 74.

Bei den freiwillig subhastirten Gütern der Pflegebefohlenen ist zu bemerken:

1) daß, ehe die Subhastation verfügt werden kann, der Vormund oder Kurator sich durch ein obervormundschaftliches Dekret zu solchem Antrage legitimiren müsse. Was bei Ertheilung eines solchen


(1308) Prozeßordn. Zwei u. funfzigster Titel.

Dekrets die Pupillengerichte zu beobachten haben, bestimmen die Vormundschaftsgesetze. (Allg. L. R. Th. II. Tit. XVIII. §. 550. u. f.)

2) daß, ehe auf das abgehaltene Licitationsprotokoll die Adjudikation erfolgen kann, zuvörderst die Genehmigung des vormundschaftlichen Gerichts, sowohl in Ansehung des Quanti, als der Zahlungs- und übrigen Bedingungen, beigebracht werden müsse.


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